Land
Hessen
Sozialgericht
SG Darmstadt (HES)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
18
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
S 18 KR 274/10
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 1 KR 372/11
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Der öffentlich-rechtliche Kaufvertrag zwischen einer Apotheke und einer Krankenkasse steht unter der aufschiebenden Bedingung der Einhaltung der maßgeblichen Abrechnungsbestimmung (Anschluss an BSG Urteil vom 3.8.2006 – B 3 KR 7/05 R).
2. Kein erhebliches Abweichen von den Abrechnungsbestimmungen liegt vor, wenn ein medizinisch notwendiges Medikament aufgrund eines fehlerfreien Anforderungsscheins eines Krankenhauses abgegeben wird, die erst nachträglich eingereichte und zur Abrechnung an die Krankenkasse weitergereichte ärztliche Verordnung jedoch Unklarheiten oder Fehler aufweist.
2. Kein erhebliches Abweichen von den Abrechnungsbestimmungen liegt vor, wenn ein medizinisch notwendiges Medikament aufgrund eines fehlerfreien Anforderungsscheins eines Krankenhauses abgegeben wird, die erst nachträglich eingereichte und zur Abrechnung an die Krankenkasse weitergereichte ärztliche Verordnung jedoch Unklarheiten oder Fehler aufweist.
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin einen Betrag von 14.832,66 EUR zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1.7.2010 zu zahlen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Retaxierung wegen der mehrfachen Abgabe einer Zytostatika-Rezeptur in Höhe von 14.832,66 EUR, insbesondere darum, ob eine erst nach Abgabe der Rezeptur vorliegende, fehlerhafte ärztliche Verordnung zu einem Entfall des Vergütungsanspruchs der Apotheke der Klägerin führen konnte.
Die Klägerin ist Inhaber einer Apotheke in A-Stadt. Aufgrund von Anforderungsscheinen der Krankhausapotheke des Klinikums A-Stadt GmbH gab die Apotheke der Klägerin für eine bei der Beklagte Versicherte eine Zytostatika-Rezeptur zur ambulanten Chemotherapie ab (Bl. 79 f. der Verwaltungsakte). Die Therapie wurde vom Arzt Prof. Dr. A verantwortet. Die Anforderungsscheine waren von ihm unterschrieben. Wie auf den Anforderungsscheinen angeordnet verwendete die Apotheke der Klägerin bei Herstellung der Rezeptur liposomale Doxorubicin in Form des Fertigarzneimittels Caelyx. Erst nach der Abgabe gingen der Apotheke der Klägerin ärztliche Verordnungen zu, die anstelle des teureren und besser verträglichen liposomalen Doxorubicin billigeres einfaches Doxorubicin vorsahen (Bl. 82 f. der Verwaltungsakte). Diese Verordnungen reichte die Apotheke der Klägerin bei der Beklagten zur Abrechnung ein, ohne den Fehler der Arztpraxis zu bemerken.
Mit der Beklagten rechnete die Apotheke der Klägerin zunächst die mit liposomalen Doxorubicin erstellten Rezepturen ab. In der Folge nahm die Beklagte Retaxierungen in Höhe von 14.832,66 EUR vor. Sie vergütete lediglich Rezepturen unter Verwendung einfachen Doxorubicins. Hätte der Arzt die Verwendung liposomalen Doxorubicins gewünscht, hätte er dieses verordnen müssen. Die Klägerin legte daraufhin Bestätigungen des behandelnden Arztes vor, dass eine Verordnung liposomalen Doxorubicins beabsichtigt war, die Verordnung sei von ihm nicht korrekt ausgestellt worden.
Die Beklagte verwies auf den Einspruch der Klägerin gegen die Retaxierung auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG). Grundlage für die Abrechnung sei gemäß § 10 Abs. 2 Arzneimittellieferungsvertrag ausschließlich eine ordnungsgemäß ausgestellte (vertrags-)ärztliche Verordnung. Anlagen zur Verordnung könnten dagegen keine Berücksichtigung finden.
Am 13.8.2011 hat die Klägerin Klage vor dem Sozialgericht Darmstadt erhoben.
Sie meint, die von der Beklagten behauptete Formstrenge sei aus den der Abrechnung zugrundeliegenden Verträgen nicht zu entnehmen. Vielmehr sei die Beklagte auf der Grundlage des Fünften Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB V) dazu verpflichtet, die Kosten für die notwendige Heilbehandlung zu übernehmen. Der behandelnde Arzt habe die Notwendigkeit der abgegebenen Rezeptur bestätigt. Im Übrigen dürfe die ärztliche Verordnung nicht überbewertet werden. Aufgrund der Besonderheiten der ambulanten Chemotherapie erfolge die Abgabe einer Rezeptur nicht aufgrund der ärztlichen Verordnung, sondern aufgrund des Anforderungsscheins der Apotheke des Krankenhauses. Dieses enthalte auch medizinische und persönliche Angaben zur Patientin aufgrund derer die Schlüssigkeit der Verordnung vom Apotheker geprüft werde. Die ärztliche Verordnung werde erst Tage später vom behandelnden Arzt beim Apotheker eingereicht, wenn in dessen Praxis dafür Zeit sei. Sie diene lediglich Abrechnungszwecken. Es sei zwar ein bedauerlicher Fehler der Apotheke, dass der Fehler der ärztlichen Verordnung nicht vor der Einreichung bei der Beklagten bemerkt worden sei. Da diese aber nur Abrechnungszwecken diene und nicht aufgrund der Verordnung Medikamente abgegeben würden, sei die Prüfung hier offensichtlich oberflächlicher erfolgt. Da dieser Vorgang aber zeitlich lange nach der Abgabe der Rezeptur an die Patientin stattgefunden hätte, habe zu keiner Zeit die Gefahr einer falschen medizinischen Versorgung oder einer Gefährdung der Patientin bestanden.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin einen Betrag von 14.832,66 EUR zuzüglich Verzugszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1.7.2010 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie meint, aus der Rechtsprechung des BSG ergebe sich, dass ein Vergütungsanspruch der Apotheke nicht bestehe, wenn Abgabebestimmung nicht eingehalten worden seien. Dies ergebe sich vor allem aus der Apothekenbetriebsordnung. Danach seien Unklarheiten der Verordnung vor Abgabe des Arzneimittels zu klären und die Klärung sei auf der Verordnung schriftlich zu vermerken und zu unterschreiben. Diese Vorgehensweise sei im vorliegenden Fall nicht eingehalten worden.
Zur Ergänzung des Tatbestands wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die als aufgrund des hier bestehenden Gleichordnungsverhältnisses zwischen der Klägerin und der Beklagten als Leistungsklage zulässige Klage ist auch begründet.
Die Klägerin hat einen (weiteren) Vergütungsanspruch gemäß § 433 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) analog in Verbindung mit § 129 SGB V und dem Rahmenvertrag über die Arzneimittelversorgung gemäß § 129 SGB V in Verbindung mit dem Arzneimittellieferungsvertrag in Höhe von 14.832,66 EUR gegen die Beklagte. Die von der Beklagten vorgenommene Retaxierung erfolgte zu Unrecht.
Der Anspruch der Klägerin ist mit der Abgabe einer Zytostatika-Rezeptur unter Verwendung lipsomalen Doxorubicins aufgrund des Anforderungsscheines der Krankenhaus-Apotheke entstanden. In diesem vom Vertragsarzt unterschriebenen Anforderungsschein ist ein Angebot zum Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Kaufvertrags der Krankenkasse, die insoweit vom Vertragsarzt vertreten wird, zu sehen. Der Anforderungsschein sieht ausdrücklich liposomales Doxorubicin als Bestandteil der Rezeptur vor. Dieses Angebot hat die Klägerin mit Abgabe der Rezeptur durch schlüssiges Verhalten angenommen. Aufgrund der eindeutigen Angaben im Anforderungsschein, sowie unter Beachtung der dortigen medizinischen Angaben, bleibt insoweit kein Raum für eine andere Auslegung des Vertragsinhalts zwischen der Klägerin und der Beklagten.
Der Vertrag steht jedoch nach der Rechtsprechung des BSG unter der aufschiebenden Bedingung der Einhaltung der maßgeblichen Abrechnungsbestimmung (BSG Urteil vom 3.8.2006 – B 3 KR 7/05 R). Dies gilt selbst dann, wenn sich die Abgabe nachträglich als richtig erweist (BSG a.a.O. Rn. 20; BSG Urteil vom 3.8.2006 – B 3 KR 6/06 R Rn. 21). Es würde, so das BSG, zu einer erheblichen und mit den Erfordernissen einer Massenverwaltung nicht zu vereinbarenden Erschwerung des Abrechnungsverfahrens führen, wenn Gründe für ein anderes Abgabeverhalten nachgeschoben werden könnten. Die damit in aller Regel verbundenen Aufklärungs- und Beweisschwierigkeiten sollen gerade vermieden werden. Im Übrigen haben es die Beteiligten durch ihre Spitzenverbände in der Hand, die vertraglichen Abgabe- und Abrechnungsregeln zu verändern, denn sie können die Bedingungen des sie bindenden Vertragswerks im Rahmen des § 129 SGB V selbst gestalten. Mit dieser Rechtsprechung stellt das Bundessozialgericht die Rechtssicherheit für die an der Arzneimittelversorgung Beteiligten in den Vordergrund. Daneben wird durch die herausgehobene Stellung der ärztlichen Verordnung sicher gestellt, dass nicht falsche Medikamente beziehungsweise Medikamentenmengen an Patienten ausgegeben werden. Hierdurch wird zum einen die Möglichkeit betrügerischer Manipulationen erschwert, zum anderen die Schlüsselstellung des Vertragsarztes für die Therapie gestärkt und eine Gefährdung des Patienten durch nicht ärztlich verantwortete Abweichungen vom Therapiekonzept vermieden.
Vor dem Hintergrund dieses Verständnisses der Rechtsprechung des BSG kann im vorliegenden Fall nicht davon ausgegangen werden, dass für den Vergütungsanspruch erhebliche Abrechnungsbestimmungen nicht eingehalten wurden. Bei den vom BSG entschiedenen Rechtsstreiten lagen der Medikamentenabgabe jeweils ausschließlich die ärztlichen Verordnungen zugrunde. Nur die ärztliche Verordnung konnte daher als Angebot der Krankenkasse ausgelegt werden; nur ihr Inhalt konnte Vertragsbestandteil werden. In dem hier vorliegenden Fall erfolgte die Abgabe der Rezeptur dagegen nicht aufgrund der ärztlichen Verordnung, sondern aufgrund des Anforderungsscheins der Krankenhaus-Apotheke. Dieser Anforderungsschein verkörperte die Willenserklärung des Vertragsarztes, die dieser im Namen der Krankenkasse gegenüber der Klägerin abgab. Da der Klägerin eine andere Willenserklärung des Vertragsarztes nicht vorlag und sie aufgrund dieses Anforderungsscheins die medizinische Schlüssigkeit der Verordnung prüfen konnte, hat sie richtigerweise das angeforderte liposomale Doxorubicin abgegeben. Hierdurch hat sie gleichzeitig das Angebot der Krankenkassen auf Abschluss eines Kaufvertrags mit dem Inhalt einer Rezeptur mit liposomalen Doxorubicin angenommen. Einfaches Doxorubicin konnte mangels einer entsprechenden Willenserklärung nicht Vertragsinhalt werden. Gerade auch im Interesse der vom BSG als wesentlich betrachteten Rechtssicherheit für die an der Arzneimittelversorgung Beteiligten ist es infolge dieser eindeutigen Vertragskonstellation nach Auffassung der Kammer erforderlich, dass es bei diesem Vertragsinhalt nun auch für das Abrechnungsverhältnis bleiben muss. Andernfalls wäre es von einer Apotheke nicht zu verlangen, Rezepturen aufgrund von Anforderungsscheinen herzustellen, ohne dass auch bereits eine formale ärztliche Verordnung vorliegt, da die Apotheke stets befürchten müsste, dass die ärztliche Verordnung von der Anforderung abweicht und der Vertragsarzt – anders als in diesem Falle – es ablehnt einen Fehler seiner Praxis zuzugeben. Insbesondere stützt die Kammer diese Rechtssprechung auf die Überlegung, dass die Abgabe der Rezeptur aufgrund des Anforderungsscheins, die gesundheitlichen Interessen des Patienten am weitestgehenden schützt: Die in Praxis erforderliche schnelle Abgabe von Rezepturen ist hierdurch möglich. Durch die medizinischen Angaben in der Anlage des Anforderungsscheins ist es der Apotheke darüber hinaus möglich, die Schlüssigkeit der Anforderung zu überprüfen. Entsprechende Angaben finden sich auf einer ärztlichen Verordnung nicht. Im Übrigen ist die vom BSG zu Recht herausgehobene Schlüsselstellung des Vertragsarztes gewahrt, da der Anforderungsschein von ihm unterzeichnet und damit verantwortet ist.
Die Kammer hält es nicht für vertretbar, davon auszugehen, dass es in Fallkonstellationen, in denen eine Rezeptur aufgrund eines Anforderungsscheins abgegeben und eine ärztliche Verordnung erst nachgereicht wird, dennoch auf die ärztliche Verordnung ankommen muss und eine nachträgliche Korrektur einer unstreitig fehlerhaften Verordnung durch Vorlage des Original-Anforderungsscheins nicht möglich ist. Eine so weit gehende Formalisierung des Abrechnungsverfahrens würde aus den oben dargelegten Gründen gerade nicht durch die Rechtssicherheit der Beteiligten gerechtfertigt werden, da das Medikament bei Vorlage der ärztlichen Verordnung bereits abgegeben wurde und die Abgabe nicht mehr rückgängig zu machen ist. Dies gilt umso mehr, wenn schutzwürdige Interessen des Patienten an einer sicheren Therapie und Versorgung mit Arzneimitteln dem ebenso wenig entgegen steht, wie das Interesse der Allgemeinheit an dem Schutz der Medikamentenabgabe vor betrügerischen Manipulationen. Sie würde darüber hinaus allgemein vertragsrechtlichen Rechtsgedanken widersprechen, nach denen offensichtliche Unrichtigkeiten ohne weiteres korrigierbar sind, vgl. § 133 BGB. Dieser allgemeine Rechtsgedanke ist auch dem Sozialrecht nicht fremd, vgl. § 38 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X).
Ein anderes Ergebnis ergibt sich auch nicht aus § 17 Abs. 5 der Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO). Danach muss das abgegebene Arzneimittel den Verschreibungen und den damit verbundenen Vorschriften des SGB V zur Arzneimittelversorgung entsprechen. Erkennbare Irrtümer, die Unlesbarkeit oder sonstige Bedenken führen dazu, dass das Arzneimittel nicht abgegeben werden darf, bevor die Unklarheiten beseitigt und gegebenenfalls erforderliche Veränderungen schriftlich vermerkt worden sind. Dieses Verfahren betrifft jedoch eine andere Fallkonstellation als die hier zugrunde liegende. § 17 Abs. 5 ApBetrO regelt Fälle, in denen das Dokument, aufgrund dessen ein Arzneimittel abgegeben wird fehlerbehaftet ist. Hier war das der Abgabe zugrunde liegende Dokument (der Anforderungsschein) aber unstreitig fehlerfrei. Das in § 17 Abs. 5 ApBetrO geregelte Verfahren ist dagegen unanwendbar auf die nachträgliche Vorlage von Dokumenten, die lediglich der Abrechnung dienen (hier: die ärztliche Verordnung). Dies ergibt sich eindeutig aus § 17 Abs. 5 Satz 2 ApBetrO, der die Nichtabgabe des Arzneimittels bei Unklarheiten vorschreibt. Diese Rechtsfolge ist bei Fallkonstellationen wie der vorliegenden nicht einschlägig.
Der Klage war daher stattzugeben.
Der Zinsanspruch ergibt sich aus § 69 Satz 4 SGB V in Verbindung mit § 288 Abs. 1 BGB (LSG Niedersachsen-Bremen Urteil vom 31.8.2011 – L 1 KR 432/09 Rn. 72 f.; Müller in SGb 2010, 336, 340). Er ist dem Klageantrag folgend auf 5 Prozentpunkte über dem jeweiligen Basiszinssatz beschränkt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 und 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
2. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Retaxierung wegen der mehrfachen Abgabe einer Zytostatika-Rezeptur in Höhe von 14.832,66 EUR, insbesondere darum, ob eine erst nach Abgabe der Rezeptur vorliegende, fehlerhafte ärztliche Verordnung zu einem Entfall des Vergütungsanspruchs der Apotheke der Klägerin führen konnte.
Die Klägerin ist Inhaber einer Apotheke in A-Stadt. Aufgrund von Anforderungsscheinen der Krankhausapotheke des Klinikums A-Stadt GmbH gab die Apotheke der Klägerin für eine bei der Beklagte Versicherte eine Zytostatika-Rezeptur zur ambulanten Chemotherapie ab (Bl. 79 f. der Verwaltungsakte). Die Therapie wurde vom Arzt Prof. Dr. A verantwortet. Die Anforderungsscheine waren von ihm unterschrieben. Wie auf den Anforderungsscheinen angeordnet verwendete die Apotheke der Klägerin bei Herstellung der Rezeptur liposomale Doxorubicin in Form des Fertigarzneimittels Caelyx. Erst nach der Abgabe gingen der Apotheke der Klägerin ärztliche Verordnungen zu, die anstelle des teureren und besser verträglichen liposomalen Doxorubicin billigeres einfaches Doxorubicin vorsahen (Bl. 82 f. der Verwaltungsakte). Diese Verordnungen reichte die Apotheke der Klägerin bei der Beklagten zur Abrechnung ein, ohne den Fehler der Arztpraxis zu bemerken.
Mit der Beklagten rechnete die Apotheke der Klägerin zunächst die mit liposomalen Doxorubicin erstellten Rezepturen ab. In der Folge nahm die Beklagte Retaxierungen in Höhe von 14.832,66 EUR vor. Sie vergütete lediglich Rezepturen unter Verwendung einfachen Doxorubicins. Hätte der Arzt die Verwendung liposomalen Doxorubicins gewünscht, hätte er dieses verordnen müssen. Die Klägerin legte daraufhin Bestätigungen des behandelnden Arztes vor, dass eine Verordnung liposomalen Doxorubicins beabsichtigt war, die Verordnung sei von ihm nicht korrekt ausgestellt worden.
Die Beklagte verwies auf den Einspruch der Klägerin gegen die Retaxierung auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG). Grundlage für die Abrechnung sei gemäß § 10 Abs. 2 Arzneimittellieferungsvertrag ausschließlich eine ordnungsgemäß ausgestellte (vertrags-)ärztliche Verordnung. Anlagen zur Verordnung könnten dagegen keine Berücksichtigung finden.
Am 13.8.2011 hat die Klägerin Klage vor dem Sozialgericht Darmstadt erhoben.
Sie meint, die von der Beklagten behauptete Formstrenge sei aus den der Abrechnung zugrundeliegenden Verträgen nicht zu entnehmen. Vielmehr sei die Beklagte auf der Grundlage des Fünften Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB V) dazu verpflichtet, die Kosten für die notwendige Heilbehandlung zu übernehmen. Der behandelnde Arzt habe die Notwendigkeit der abgegebenen Rezeptur bestätigt. Im Übrigen dürfe die ärztliche Verordnung nicht überbewertet werden. Aufgrund der Besonderheiten der ambulanten Chemotherapie erfolge die Abgabe einer Rezeptur nicht aufgrund der ärztlichen Verordnung, sondern aufgrund des Anforderungsscheins der Apotheke des Krankenhauses. Dieses enthalte auch medizinische und persönliche Angaben zur Patientin aufgrund derer die Schlüssigkeit der Verordnung vom Apotheker geprüft werde. Die ärztliche Verordnung werde erst Tage später vom behandelnden Arzt beim Apotheker eingereicht, wenn in dessen Praxis dafür Zeit sei. Sie diene lediglich Abrechnungszwecken. Es sei zwar ein bedauerlicher Fehler der Apotheke, dass der Fehler der ärztlichen Verordnung nicht vor der Einreichung bei der Beklagten bemerkt worden sei. Da diese aber nur Abrechnungszwecken diene und nicht aufgrund der Verordnung Medikamente abgegeben würden, sei die Prüfung hier offensichtlich oberflächlicher erfolgt. Da dieser Vorgang aber zeitlich lange nach der Abgabe der Rezeptur an die Patientin stattgefunden hätte, habe zu keiner Zeit die Gefahr einer falschen medizinischen Versorgung oder einer Gefährdung der Patientin bestanden.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin einen Betrag von 14.832,66 EUR zuzüglich Verzugszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1.7.2010 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie meint, aus der Rechtsprechung des BSG ergebe sich, dass ein Vergütungsanspruch der Apotheke nicht bestehe, wenn Abgabebestimmung nicht eingehalten worden seien. Dies ergebe sich vor allem aus der Apothekenbetriebsordnung. Danach seien Unklarheiten der Verordnung vor Abgabe des Arzneimittels zu klären und die Klärung sei auf der Verordnung schriftlich zu vermerken und zu unterschreiben. Diese Vorgehensweise sei im vorliegenden Fall nicht eingehalten worden.
Zur Ergänzung des Tatbestands wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die als aufgrund des hier bestehenden Gleichordnungsverhältnisses zwischen der Klägerin und der Beklagten als Leistungsklage zulässige Klage ist auch begründet.
Die Klägerin hat einen (weiteren) Vergütungsanspruch gemäß § 433 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) analog in Verbindung mit § 129 SGB V und dem Rahmenvertrag über die Arzneimittelversorgung gemäß § 129 SGB V in Verbindung mit dem Arzneimittellieferungsvertrag in Höhe von 14.832,66 EUR gegen die Beklagte. Die von der Beklagten vorgenommene Retaxierung erfolgte zu Unrecht.
Der Anspruch der Klägerin ist mit der Abgabe einer Zytostatika-Rezeptur unter Verwendung lipsomalen Doxorubicins aufgrund des Anforderungsscheines der Krankenhaus-Apotheke entstanden. In diesem vom Vertragsarzt unterschriebenen Anforderungsschein ist ein Angebot zum Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Kaufvertrags der Krankenkasse, die insoweit vom Vertragsarzt vertreten wird, zu sehen. Der Anforderungsschein sieht ausdrücklich liposomales Doxorubicin als Bestandteil der Rezeptur vor. Dieses Angebot hat die Klägerin mit Abgabe der Rezeptur durch schlüssiges Verhalten angenommen. Aufgrund der eindeutigen Angaben im Anforderungsschein, sowie unter Beachtung der dortigen medizinischen Angaben, bleibt insoweit kein Raum für eine andere Auslegung des Vertragsinhalts zwischen der Klägerin und der Beklagten.
Der Vertrag steht jedoch nach der Rechtsprechung des BSG unter der aufschiebenden Bedingung der Einhaltung der maßgeblichen Abrechnungsbestimmung (BSG Urteil vom 3.8.2006 – B 3 KR 7/05 R). Dies gilt selbst dann, wenn sich die Abgabe nachträglich als richtig erweist (BSG a.a.O. Rn. 20; BSG Urteil vom 3.8.2006 – B 3 KR 6/06 R Rn. 21). Es würde, so das BSG, zu einer erheblichen und mit den Erfordernissen einer Massenverwaltung nicht zu vereinbarenden Erschwerung des Abrechnungsverfahrens führen, wenn Gründe für ein anderes Abgabeverhalten nachgeschoben werden könnten. Die damit in aller Regel verbundenen Aufklärungs- und Beweisschwierigkeiten sollen gerade vermieden werden. Im Übrigen haben es die Beteiligten durch ihre Spitzenverbände in der Hand, die vertraglichen Abgabe- und Abrechnungsregeln zu verändern, denn sie können die Bedingungen des sie bindenden Vertragswerks im Rahmen des § 129 SGB V selbst gestalten. Mit dieser Rechtsprechung stellt das Bundessozialgericht die Rechtssicherheit für die an der Arzneimittelversorgung Beteiligten in den Vordergrund. Daneben wird durch die herausgehobene Stellung der ärztlichen Verordnung sicher gestellt, dass nicht falsche Medikamente beziehungsweise Medikamentenmengen an Patienten ausgegeben werden. Hierdurch wird zum einen die Möglichkeit betrügerischer Manipulationen erschwert, zum anderen die Schlüsselstellung des Vertragsarztes für die Therapie gestärkt und eine Gefährdung des Patienten durch nicht ärztlich verantwortete Abweichungen vom Therapiekonzept vermieden.
Vor dem Hintergrund dieses Verständnisses der Rechtsprechung des BSG kann im vorliegenden Fall nicht davon ausgegangen werden, dass für den Vergütungsanspruch erhebliche Abrechnungsbestimmungen nicht eingehalten wurden. Bei den vom BSG entschiedenen Rechtsstreiten lagen der Medikamentenabgabe jeweils ausschließlich die ärztlichen Verordnungen zugrunde. Nur die ärztliche Verordnung konnte daher als Angebot der Krankenkasse ausgelegt werden; nur ihr Inhalt konnte Vertragsbestandteil werden. In dem hier vorliegenden Fall erfolgte die Abgabe der Rezeptur dagegen nicht aufgrund der ärztlichen Verordnung, sondern aufgrund des Anforderungsscheins der Krankenhaus-Apotheke. Dieser Anforderungsschein verkörperte die Willenserklärung des Vertragsarztes, die dieser im Namen der Krankenkasse gegenüber der Klägerin abgab. Da der Klägerin eine andere Willenserklärung des Vertragsarztes nicht vorlag und sie aufgrund dieses Anforderungsscheins die medizinische Schlüssigkeit der Verordnung prüfen konnte, hat sie richtigerweise das angeforderte liposomale Doxorubicin abgegeben. Hierdurch hat sie gleichzeitig das Angebot der Krankenkassen auf Abschluss eines Kaufvertrags mit dem Inhalt einer Rezeptur mit liposomalen Doxorubicin angenommen. Einfaches Doxorubicin konnte mangels einer entsprechenden Willenserklärung nicht Vertragsinhalt werden. Gerade auch im Interesse der vom BSG als wesentlich betrachteten Rechtssicherheit für die an der Arzneimittelversorgung Beteiligten ist es infolge dieser eindeutigen Vertragskonstellation nach Auffassung der Kammer erforderlich, dass es bei diesem Vertragsinhalt nun auch für das Abrechnungsverhältnis bleiben muss. Andernfalls wäre es von einer Apotheke nicht zu verlangen, Rezepturen aufgrund von Anforderungsscheinen herzustellen, ohne dass auch bereits eine formale ärztliche Verordnung vorliegt, da die Apotheke stets befürchten müsste, dass die ärztliche Verordnung von der Anforderung abweicht und der Vertragsarzt – anders als in diesem Falle – es ablehnt einen Fehler seiner Praxis zuzugeben. Insbesondere stützt die Kammer diese Rechtssprechung auf die Überlegung, dass die Abgabe der Rezeptur aufgrund des Anforderungsscheins, die gesundheitlichen Interessen des Patienten am weitestgehenden schützt: Die in Praxis erforderliche schnelle Abgabe von Rezepturen ist hierdurch möglich. Durch die medizinischen Angaben in der Anlage des Anforderungsscheins ist es der Apotheke darüber hinaus möglich, die Schlüssigkeit der Anforderung zu überprüfen. Entsprechende Angaben finden sich auf einer ärztlichen Verordnung nicht. Im Übrigen ist die vom BSG zu Recht herausgehobene Schlüsselstellung des Vertragsarztes gewahrt, da der Anforderungsschein von ihm unterzeichnet und damit verantwortet ist.
Die Kammer hält es nicht für vertretbar, davon auszugehen, dass es in Fallkonstellationen, in denen eine Rezeptur aufgrund eines Anforderungsscheins abgegeben und eine ärztliche Verordnung erst nachgereicht wird, dennoch auf die ärztliche Verordnung ankommen muss und eine nachträgliche Korrektur einer unstreitig fehlerhaften Verordnung durch Vorlage des Original-Anforderungsscheins nicht möglich ist. Eine so weit gehende Formalisierung des Abrechnungsverfahrens würde aus den oben dargelegten Gründen gerade nicht durch die Rechtssicherheit der Beteiligten gerechtfertigt werden, da das Medikament bei Vorlage der ärztlichen Verordnung bereits abgegeben wurde und die Abgabe nicht mehr rückgängig zu machen ist. Dies gilt umso mehr, wenn schutzwürdige Interessen des Patienten an einer sicheren Therapie und Versorgung mit Arzneimitteln dem ebenso wenig entgegen steht, wie das Interesse der Allgemeinheit an dem Schutz der Medikamentenabgabe vor betrügerischen Manipulationen. Sie würde darüber hinaus allgemein vertragsrechtlichen Rechtsgedanken widersprechen, nach denen offensichtliche Unrichtigkeiten ohne weiteres korrigierbar sind, vgl. § 133 BGB. Dieser allgemeine Rechtsgedanke ist auch dem Sozialrecht nicht fremd, vgl. § 38 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X).
Ein anderes Ergebnis ergibt sich auch nicht aus § 17 Abs. 5 der Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO). Danach muss das abgegebene Arzneimittel den Verschreibungen und den damit verbundenen Vorschriften des SGB V zur Arzneimittelversorgung entsprechen. Erkennbare Irrtümer, die Unlesbarkeit oder sonstige Bedenken führen dazu, dass das Arzneimittel nicht abgegeben werden darf, bevor die Unklarheiten beseitigt und gegebenenfalls erforderliche Veränderungen schriftlich vermerkt worden sind. Dieses Verfahren betrifft jedoch eine andere Fallkonstellation als die hier zugrunde liegende. § 17 Abs. 5 ApBetrO regelt Fälle, in denen das Dokument, aufgrund dessen ein Arzneimittel abgegeben wird fehlerbehaftet ist. Hier war das der Abgabe zugrunde liegende Dokument (der Anforderungsschein) aber unstreitig fehlerfrei. Das in § 17 Abs. 5 ApBetrO geregelte Verfahren ist dagegen unanwendbar auf die nachträgliche Vorlage von Dokumenten, die lediglich der Abrechnung dienen (hier: die ärztliche Verordnung). Dies ergibt sich eindeutig aus § 17 Abs. 5 Satz 2 ApBetrO, der die Nichtabgabe des Arzneimittels bei Unklarheiten vorschreibt. Diese Rechtsfolge ist bei Fallkonstellationen wie der vorliegenden nicht einschlägig.
Der Klage war daher stattzugeben.
Der Zinsanspruch ergibt sich aus § 69 Satz 4 SGB V in Verbindung mit § 288 Abs. 1 BGB (LSG Niedersachsen-Bremen Urteil vom 31.8.2011 – L 1 KR 432/09 Rn. 72 f.; Müller in SGb 2010, 336, 340). Er ist dem Klageantrag folgend auf 5 Prozentpunkte über dem jeweiligen Basiszinssatz beschränkt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 und 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
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