S 10 KR 309/10

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Darmstadt (HES)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
S 10 KR 309/10
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Der Bescheid der Beklagten vom 4. März 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. August 2010 wird aufgehoben.

2. Die Beklagte wird verurteilt, die Kosten einer minimal-invasiven Maßnahme in Form des Einsatzes eines Schlauchmagens in einem zur Behandlung von Kassenpatienten zugelassenen Krankenhaus zu übernehmen.

3. Die Beklagte trägt zwei Drittel der außergerichtlichen Kosten des Klägers.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Kostenübernahme einer Schlauchmagen-Operation zur Behandlung einer Adipositas Grad III; aktueller Body-Maß-Index (BMI) rund 53 kg/m2.

Der inzwischen 52-jährige Kläger stellte, gestützt auf eine Reihe von Attesten verschiedenster Ärzte, die er teilweise lediglich einmalig ambulant aufgesucht hatte (Prof. Dr. E., Chefarzt Chirurgie des Krankenhauses S. vom 07.12.2009; Universitätsklinikum B-Stadt vom 13.10. und 18.12.2009; Neurologe Dr. O. vom 17.12.2009, Entlassungsberichte der Universitätsklinik B-Stadt vom 13.10. und 27.07.2009), Antrag auf Kostenübernahme einer Magenschlauch-Operation zur Gewichtsreduktion. Diese Unterlagen ließ die Beklagte durch den MDK überprüfen, woraufhin der den Kläger persönlich untersuchende Arzt Dr. K. zu der Einschätzung gelangt war, dass an konservativen Behandlungsmaßnahmen noch eine Psycho-Verhaltens-Therapie zur Modulation des Essverhaltens, eine aktuelle stationäre Rehabilitationsmaßnahme zur Gewichtsreduktion sowie eine ärztlich kontrollierte Bewegungs- und Ernährungstherapie über einen längeren Zeitraum fehlten, so dass das Stadium einer "ultima ratio" zur Durchführung der gewünschten Operation (noch) nicht vorliege. Im Übrigen stünden in Bezug auf die gewünschte Schlauchmagen-Operation noch keine aussagefähigen Langzeituntersuchungen zur Verfügung, zumal bei dem Kläger bei Zustand nach voroperiertem Bauch und bekanntem Faktor-VII-Mangel ein erhöhtes Operationsrisiko bestünde. Gestützt darauf lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 04.03.2010 eine Kostenübernahme mit der Begründung ab, dass bisher noch nicht alle konservativen Behandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft worden seien. Den auf ein Attest seines Hausarztes C. (04.06.2010) gestützten Widerspruch wies die Beklagte nach Einholung einer weiteren Stellungnahme durch den MDK (Dr. S. vom 04.06.2010) schließlich mit Bescheid vom 27.08.2010 als unbegründet zurück.

Hiergegen richtet sich die am 09.09.2010 erhobene und im Dezember 2010 erstmals begründet Klage, in deren Rahmen der Kläger inzwischen eine vom Rentenversicherungsträger zunächst abgelehnte, dann jedoch im Zeitraum vom 27.03. bis 24.04.2012 durchgeführte stationäre medizinische Rehabilitationsmaßnahme zur Behandlung des Übergewichts des Klägers mit Nebenwirkungen absolviert hat.

Zur Begründung seines weiterverfolgten Antrages macht der Kläger im Wesentlichen geltend, dass auch von seinen untersuchenden bzw. behandelnden Ärzten die Indikation für eine chirurgische Behandlung der bei ihm bestehenden erheblichen Adipositas befürwortet worden seien. Denn diese sei allein geeignet, um seine schwere und heimtückische Krankheit zu behandeln bzw. in den Griff zu bekommen. Denn er gehöre zu dem Patientenkreis der Volumenesser, denen das Sättigungsgefühl abhanden gekommen sei, so dass sich auf anderem Wege keine erfolgreiche Gewichtsreduktion erzielen lasse. Dies habe er nicht nur im Rahmen verschiedener Diäten erfahren müssen, sondern auch durch die von dem Rentenversicherungsträger gewährte, gezielt auf Gewichtsreduktion angelegte Rehabilitationsmaßnahme in der Klinik "T. W.", wo er - allerdings ohne bleibenden Erfolg - vom 27.03. bis 24.04.2012 in stationärer Behandlung insgesamt 8 kg abgenommen hatte. Dieses Gewicht habe er jedoch längst wieder zugenommen. Die gewünschte Schlauchmagen-Operation entspräche auch dem allgemein anerkannten Stand des medizinischen Fortschritts, da auf herkömmlichem, d.h. nicht-chirurgischem Wege, eine signifikante und nachhaltige Gewichtsreduktion bei ihm nicht mehr zu erzielen sei. Dagegen seien sowohl der Langzeiterfolg der chirurgischen Therapien wie auch der langfristige Misserfolg herkömmlicher Therapie bei adipösen Menschen mit einem BMI über 40 - selbst in strukturierten Programmen - nachgewiesen. Zumal aufgrund seines Nebenerkrankungsprofils dem extremen Ausgangsgewicht und der dringend angezeigten Bauch-Narben-Revision ein möglichst schneller und sicherer Erfolg einer Gewichtsreduktion ohne chirurgischen Eingriff nicht zu erreichen sei. Selbst die neue S-3-Leitlinie der DAG "Chirurgie der Adipositas" vom April 2010 erkenne an, dass in Ausnahmefällen - wie sie bei ihm vorlägen - angesichts der Art und/oder der Schwere der Krankheit bzw. psychosozialen Gegebenheiten anzunehmen ist, dass eine chirurgische Therapie nicht aufgeschoben werden kann, oder die konservative Therapie ohne Aussicht auf Erfolg ist. Vor dem Hintergrund der durch die eingereichten Unterlagen nachgewiesenen Veränderungen an der Wirbelsäule, dem metabolischen Syndroms, der hypertensiven Herzkrankung und des bestehenden Diabetes mellitus benötige er dringend die streitgegenständliche Operation.

Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 04. März.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. August 2010 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Kosten für eine minimal-invasive chirurgische Maßnahme in Form des Einsatzes eines Schlauchmagens zu übernehmen.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Sie vertritt dagegen, gestützt auch auf das Ergebnis der stationären Rehabilitationsmaßnahme die Auffassung, dass die Voraussetzungen eines chirurgischen Eingriffs zur Behandlung der krankheitswertigen Adipositas nicht vorlägen, weil noch nicht alle konservativen Maßnahmen zur Reduzierung des Körpergewichtes durchgeführt worden seien; zumal nach dem Ergebnis der Rehabilitationsmaßnahme deren mittelfristiger Erfolg noch abzuwarten sei.

Die Kammer hat zunächst Berichte der behandelnden Ärzte beigezogen und die vom Kläger vorgelegten weiteren Atteste und Arztberichte zur Kenntnis genommen. Darin beschreibt Prof. Dr. E. am 19.01.2011, dass sich der Kläger erstmalig am 07.12.2009 in der ambulanten Sprechstunde mit einem Körpergewicht von 133,9 kg vorgestellt habe und dabei angegeben habe, dass er seit mehr als 10 Jahren unter seinem deutlichen Übergewicht leide. Obwohl der Kläger eigenverantwortlich an gewichtsreduzierenden Maßnahmen, wie zum Beispiel Diäten, Ernährungsberatungen, etc. teilgenommen habe, sei eine anhaltende Gewichtsreduktion nicht eingetreten, weshalb er die Operation eines Schlauchmagens empfohlen habe. Dabei sei nach durchgeführter Operation eine dauerhafte Kontrolle durch die Klinik gewährleistet. Der Orthopäde Dr. A. ergänzt in seinem Bericht vom 19.01.2011, dass er ein chronisch lumbales Schmerzsyndrom bei Verdacht auf Spondylarthrose L 4- S 1, einen Verdacht auf ISG-Arthrose rechts und eine beidseitige Coxarthrose diagnostiziert habe, weshalb er neben einem selbständigen Durchführen von krankengymnastischen Übungen und Fahrrad-Ergometer-Training auch häufiges schwimmen gehen empfohlen habe. Der Neurologe Dr. H. berichtet am 02.02.2011, dass aufgrund einer Langzeit-intensivmedizinischen Behandlung eine critical-illness-Polyneuropathie entstanden sei, über deren Verlauf er jedoch angesichts einmaliger Vorstellung des Klägers keine Angaben machen könne. Der Internist Dr. I. führt am 13.02.2011 aus, dass der Kläger im Januar 2011 148 kg wog, während er im September 2006 (nur) 135 kg auf die Wage gebracht habe. Da bei ihm lediglich die Einstellung auf Überdruck-Beatmung wegen der diagnostizierten schweren obstruktiven Schlaf-Apnoe vorgenommen worden sei, seien durch ihn keine Maßnahmen zur Gewichtsreduktion eingeleitet worden. Der Hausarzt C. erwähnt in seinem Bericht vom 08.04.2011, dass angesichts des aktuellen Übergewichts (148 kg), dem metabolischen Syndrom sowie den weiteren erheblichen Risikofaktoren (z. B. Diabetes, Schlaf-Apnoe, Hypertonie mit hypertensiver Herzerkrankung mit paroxysmalem Vorhofflimmern) eine ambulante Gewichtsreduktion nicht zu erzielen sei und insbesondere keinen dauerhaften Erfolg verspreche, weshalb er eine operative Magenveränderung als einig erfolgversprechende Maßnahme sehe. Im Arztbericht der Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie des Universitätsklinikums B-Stadt vom 18.12.2009 wird im Hinblick auf die bestehende ausgeprägte Adipositas und dem großen Bauchwanddefekt, der dringend einer operativen Revision zugeführt werden müsse, die Anlage eines Schlauchmagens für dringend erforderlich gehalten. Schließlich bestätigt der Neurologe Dr. O. am 04.04.11 die Diagnose einer Critical-illness-Polyneuropathie, die sich zwar im Beobachtungszeitraum gebessert habe, ohne jedoch das erhebliche Gesundheitsrisiko infolge der schwerwiegenden Adipositas per magna zu verändern.

Schließlich hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers den Entlassungsbericht der Reha-Klink RB. vorgelegt, in der sich der Kläger vom 27.03. bis 24.04.2012 auf Kosten des Rentenversicherungsträgers zur stationären Behandlung befunden hat. Darin wird unter anderem ausgeführt, dass der Kläger während des Aufenthalts mit strukturierter Adipositasschulung insgesamt 8 kg abgenommen habe, jedoch der mittel- bis langfristige Verlauf hinsichtlich einer Gewichtsstabilisierung auf niedrigerem Niveau abgewartet werden müsse. Trotz guter Motivation und der Fähigkeiten zum Selbstmanagement ging auch diese Einrichtung davon aus, dass mittel- bis langfristig die Selbststeuerung nicht ausreichend entwickelt sei und es zu einem erneuten Gewichtsanstieg mit Progredienz adipositas-assoziierter Folgeerkrankungen kommen werde. Dementsprechend seien auch dort die Möglichkeiten und Grenzen und Risiken eines chirurgischen Vorgehens bei Adipositas mit dem Kläger erörtert worden. Sofern nach einem halben bis einem Jahr die vereinbarten Therapieziele nicht erreicht werden sollten, würden auch die dortigen Ärzte zu einer Operation raten.

Nach der Ladung zum heutigen Termin hat der Kläger noch Antrag auf Einholung eines Gutachtens nach § 109 SGG für den Fall gestellt, dass seinem Klageantrag nicht gefolgt werde. In der mündlichen Verhandlung am 14.11.2012, zu der das persönliche Erscheinen des Klägers angeordnet worden war, hat der Kläger erklärt, dass er seit der Entlassung aus der Rehaklinik erneut zugenommen habe, so dass sein Gewicht wieder bei 155,3 kg liege.

Bezüglich des weiteren Sachvortrags der Beteiligten und den Einzelheiten in den erwähnten Unterlagen wird auf die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten und die Gerichtsakte, die beide auch zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht wurden, verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage gemäß § 54 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig und begründet. Der Bescheid vom 04.03.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.08.2010 erweist sich aktuell als rechtswidrig und war daher antragsgemäß aufzuheben. Denn die Beklagte hat darin in rechtswidriger Weise dem Kläger sein Recht auf Krankenbehandlung verweigert. Der Kläger hat nämlich einen Anspruch auf Kostenübernahme einer Schlauchmagen-Operation zur Behandlung seines krankhaften Übergewichts in einer zur Behandlung von in der gesetzlichen Krankenversicherung versicherten Mitgliedern zugelassenen Klinik.

Nach § 11 Abs. 1 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V) haben Versicherte Anspruch auf Leistungen zur Verhütung von Krankheiten und von deren Verschlimmerung. Der Anspruch auf Krankenbehandlung, unter der auch die stationäre Versorgung zu verstehen ist (Krankenhausbehandlung), wird dann gewährt, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern (§ 27 Abs. 1 SGB V). "Krankheit" im Sinne der genannten Vorschrift ist dabei ein regelwidriger Körper- oder Geisteszustand, der die Notwendigkeit einer ärztlichen Behandlung bzw. zugleich oder allein Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat. Regelwidrig ist dabei der Zustand, der vom Leitbild des gesunden Menschen abweicht. Eine ärztliche Behandlung ist insoweit notwendig, wenn durch sie der regelwidrige Körper- und Geisteszustand behoben, gebessert aber zumindest vor einer Verschlimmerung bewahrt wird oder Schmerzen und Beschwerden gelindert werden können (ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts vergleiche BSGE 26, 200; 35,10 und 39, 167 - jeweils mit weiteren Nachweisen). Alle diese Maßnahmen stehen unter dem Gebot des § 12 Abs. 1 SGB V, wonach die Behandlung ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein soll und das Maß des Notwendigen nicht überschreiten darf. Behandlungsbedürftigkeit ist schon dann anzunehmen, wenn der gegenwärtige Zustand zwar noch keine Schmerzen oder Beschwerden bereitet, durch ärztliche Behandlung im Frühstadium jedoch eine wesentliche Besserung oder gar Beseitigung des Leidens und damit eine günstige Wirkung auf die spätere Erwerbsfähigkeit erreicht werden kann (Maaßen-Schermer-Wiegend: Kommentar zum SGB V, zu § 27 Randnummer 13).

Auch wenn nicht unumstritten ist, ob der Adipositas (erhebliches Übergewicht) bereits als solche ein Krankheitswert zukommt, besteht in der Medizin aber Einigkeit darüber, dass bei starkem Übergewicht (im allgemeinen ab einem BMI von 30) eine Behandlung mit dem Ziel der Gewichtsreduktion erforderlich ist, weil andernfalls ein erhöhtes Risiko für das Auftreten von Begleit- und Folgeerscheinungen wie Stoffwechselkrankheiten, Herz- und Kreislauferkrankungen, Atemwegserkrankungen, gastrointestinale Erkrankungen, Krankheiten des Bewegungsapparates oder gar die Gefahr der Entwicklung bösartiger Neubildungen besteht (wie hier: Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 07.12.2004 - L 11 KR 1627/04 mit weiteren Nachweisen). Erfordert jedoch eine Adipositas eine ärztliche Behandlung, so ist die Regelwidrigkeit des bestehenden Zustandes und damit das Vorliegen einer Krankheit im krankenversicherungsrechtlichen Sinne belegt (BSG, Urteil vom 19.02.2003 - B. 1 KR 1/02 R). Deshalb kommt die Kammer auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass der Kläger ausweislich des bei Antragstellung gemessenen Body-Maß-Index (BMI von 44,22 Kg/m2 gemäß dem Bericht des Krankenhauses S. vom 07.12.2009) bereits zur Gruppe der von ihr aufgeführten extrem Übergewichtigen (BMI über 40) gehört hatte, zu der Überzeugung, dass bereits das damalige Übergewicht des Klägers eine - behandlungsbedürftige Krankheit darstellte. Davon geht im Übrigen auch die Beklagte, gestützt auf die ärztliche Untersuchung des MDK vom 09.02.2010 (Dr. K.) und deren ergänzende Stellungnahme vom 04.06.2010 (Dr. S.) aus, weil dort auch wegen erheblicher Folgeerscheinungen von einem behandlungsbedürftigen Übergewicht gesprochen wird.

Soll aber die Krankenbehandlung durch die Behandlung eigentlich gesunder Körperteile – hier des funktionell gesunden Magens - erfolgen, so bedarf dies einer speziellen Rechtfertigung (BSG, Urteil vom 06.10.1999 - B 1 KR 13/97 R). Dies bedeutet, dass dann, wenn die therapeutische Behandlung dort ansetzt, wo für sich genommen eine Behandlung gar nicht erforderlich ist (hier am gesunden Magen-Darm-Trakt), besonders umfassende Abwägungen zwischen voraussichtlichem medizinischen Nutzen und möglichen gesundheitlichen Schäden erfolgen muss. Denn die Interessen der Versichertengemeinschaft werden durch einen solchen Eingriff besonders nachhaltig berührt, weil eventuelle Folgekosten der zu Therapiezwecken vorsätzlich veranlassten Gesundheitsschädigung wiederum die Gemeinschaft der Versicherten belasten würde. Ist deshalb der therapeutische Nutzen einer solchen mittelbaren Maßnahme nicht ausreichend gesichert, besteht grundsätzlich auch kein Anspruch auf Übernahme der Kosten für diese mittelbare Krankenbehandlung (so auch: Landessozialgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 08.11.2001, L 5 KR 48/01). Für den Fall der Magenband- bzw. der Magen-Bypass-Operation – wie der im vorliegenden Fall gewünschten Schlauchmagen-Operation bedeutet dies, dass die Art und Schwere der Erkrankung, die Dringlichkeit der Intervention, die Risiken und der zu erwartende Nutzen der Therapie sowie etwaige Folgekosten für die Krankenversicherung gegeneinander abzuwägen sind (vgl. BSG, Urteile vom 19.02.2003, B 1 KR 1/02 R; so auch die erkennende Kammer schon im Urteil vom 14.12.2005 - S 10 KR 530/03) und das diese Entscheidung bestätigende Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 12.12.2006 - L 8 KR 55/06 sowie im Urteil vom 26.09.2007 - S 10 KR 360/06). Demgegenüber kann die Beklagte, was sie angesichts des Urteils des Bundessozialgerichts vom 19.02.2003 auch nicht getan hat, nicht geltend machen, dass die Magenband- bzw. die hier gewünschte Schlauchmagen-Operation als solche überhaupt keine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung darstellt.

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze, die sich die erkennende Kammer zu eigen gemacht hat, steht dem Kläger - jedenfalls zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung am 14.11.2012 - ein Anspruch auf Kostenübernahme der gewünschten und beantragten Schlauchmagen-Operation zu, da es sich - nach Ausschöpfung aller sonstigen konservativen Behandlungsmaßnahmen - um die einzige Möglichkeit handelt, der dringend notwendigen Gewichtsreduktion - zumal noch in einem angemessenen Zeitrahmen - zu erreichen. Denn erst dadurch wird der Kläger in die Lage versetzt, die medizinisch dringend notwendige Bauchnarben-Revisions-Operation durchzuführen. Das medizinisch notwendige Behandlungsziel einer deutlichen Gewichtsreduktion - laut Angabe der die Bauchwandnarben-Operation für dringend erforderlich haltende Universitätsklinik B-Stadt hält eine Gewichtsreduktion von immerhin 25 kg für notwendig - ist zur Überzeugung nach dem aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft mit keiner anderen Krankenbehandlung erreichbar; inzwischen alle sonstigen möglichen konservativen Behandlungsmaßnahmen erschöpft. Dabei kann sich die Kammer sowohl auf die im Verwaltungsverfahren vorgelegten bzw. beigezogenen Berichte (Prof. Dr. E., Krankenhaus S. vom 07.12.2009; Universitätsklinikum B-Stadt vom 18.12.2009, 27.07.2009 und 13.10.2009, Neurologe Dr. O. vom 17.12.2009 und Hausarzt C. vom 30.03.2010) und Gutachten (des MDK der Krankenkassen - Dr. K. vom 09.02.2010 - und dessen ergänzende Stellungnahme - Dr. S. vom 04.06.2010) ebenso stützen wie auf die im Klageverfahren beigezogenen Berichte des Prof. Dr. E. vom 19.01.2011; des Orthopäden A. N. vom 19.01.2011, des Neurologen Dr. H. vom 02.02.2011, des Internisten und Pneumologen Dr. I. vom 27.01. und 13.02.2011, der chirurgischen Klinik der Universitätskliniken B-Stadt vom 02.09.2011, des Hausarztes C. vom 08.04.2011; des Kardiozentrums B-Stadt vom 27.04.2011, des Neurologen Dr. O. vom 04.04.2011 und erst recht auf das Ergebnis der medizinischen Rehabilitationsmaßnahme des Reha-Klinikums RB., wie es in dessen Entlassungsbericht vom 03.05.3012 festgestellt wird.

Unstreitig besteht bei dem Kläger ein krankhaftes, behandlungsbedürftiges Übergewicht des Grades III mit einem Body-Maß-Index von inzwischen 53,6 kg/m2 mit einer ganzen Reihe von negativen, ebenfalls behandlungsbedürftigen Begleiterscheinungen. Denn ausweislich des Berichtes des Prof. Dr. E. vom Krankenhaus S. vom 19.01.2011, des Berichtes des Hausarztes C. vom 08.04.2011, des Internisten Dr. I. vom 22.07.2011 und des Entlassungsberichtes des Reha-Klinikums RB. vom 03.05.2012, liegt bei dem Kläger eine Hypertonie, ein Schlaf-Apnoe-Syndrom, Gicht, Hypothyreose, Hyperlipidämie, ein metabolisches Syndrom, ein Zustand nach Thrombose bei Faktor VIII, ein Diabetes mellitus und eine beidseitige Coxarthrose rechts ) links vor, die nach den Darlegungen aller behandelnden Ärzte zum großen Teil auf das seit dem 20. Lebensjahr bestehende Übergewicht zurückzuführen sind. Insoweit handelt sich um einen krankhaften Zustand, der eine deutliche Gewichtsreduktion medizinisch indiziert. Diese ist auch in absehbarer Zeit notwendig, weil die bereits mehrfach durchgeführte (1 x mittels medianer Laparatomie und 2 x mittels querer Laparatomie - laut Bericht der Chirurgischen Uni-Klinik B-Stadt vom 02.09.2011), jedoch weiterhin dringend operativ zu behandelnde Bauchwand-Narbenhernie (Berichte der Uni-Klinik F. vom 18.12.2009 und vom 02.09.2011) medizinisch allein daran scheitert, dass der Kläger zunächst circa 25 kg abnehmen sollte.

Entgegen der Auffassung der Beklagten ist jedoch eine solche Gewichtsreduktion jedenfalls jetzt - mit konservativen Maßnahmen nicht mehr zu erzielen.

Zum einen hat der Kläger - worauf bereits Prof. Dr. W. in seinem Arztbericht vom 07.12.2009 hingewiesen hatte - "eine ausreichende Anzahl von konservativen Therapieversuchen", wie diversen Diäten, Ernährungsberatungen in den Universitätskliniken B-Stadt und auch medikamentöse Versuche, unternommen (siehe auch MDK-Gutachten Dr. K. vom 09.02.2010), zum anderen hat er zuletzt vom 27.03. bis 24.04.2012 an einer stationären Rehabilitationsmaßnahme teilgenommen, in der er zwar ca. 8 kg abnahm, die er jedoch bereits zum Zeitpunkt der mündlichen Entscheidung am 24.11.2012 nicht nur wieder zugenommen, sondern sogar übertroffen hat. Ob es sich bei dem Kläger - wie er selbst durch seinen Prozessbevollmächtigten vortragen lässt (Schriftsatz vom 28.12.2010) - um einen Volumenesser handelt, dem das Sättigungsgefühl abhanden gekommen ist oder einfach um einen Genussmenschen, der seine Leidenschaft zum Essen trotz aller möglicher Anstrengungen nicht unter Kontrolle bringt, ist für die zu treffende Entscheidung dabei unerheblich. Entscheidend ist allein, dass nach Einschätzung der Kammer gerade auch bei dem aktuellen Gewicht des Klägers von 155,3 kg die auch medizinisch dringend indizierte Gewichtsreduktion nicht mehr auf andere Art und Weise als durch eine operative Maßnahme zu erzielen ist. Sämtliche anderen konservativen Maßnahmen sind zur Überzeugung der Kammer erschöpft; dies gilt auch angesichts der Begutachtung durch den MDK der Krankenkassen vom 09.02.2010 (Dr. K.). Zwar wurde dort neben einer stationären Rehabilitationsmaßnahme eine Psycho-Verhaltenstherapie zur Modulation des Essverhaltens sowie eine ärztlich kontrollierte Bewegungstherapie mit Ernährungstherapie noch für möglich gehalten, jedoch erscheint dies - insbesondere angesichts des Ergebnisses der im März/April 2012 durchgeführten stationären Rehabilitationsmaßnahme - nicht mehr erfolgversprechend. So hat die Reha-Klinik selbst bescheinigt, dass dort eine strukturierte Adipositasschulung durchgeführt worden war, zu der der Kläger durchaus ein motiviertes Verhalten gezeigt hatte. Dennoch gelang es dem Kläger nicht einmal, das um 8 kg reduzierte Gewicht zu halten, sondern wog etwa ein halbes Jahr später schon wieder genauso viel wie zu Beginn der Maßnahme.

Da neben den behandelnden Ärzten auch die Reha-Klinik in ihrem Entlassungsbericht vom 03.05.2012 trotz guter Motivation des Klägers zu der Prognose kam, dass die Fähigkeit des Klägers zum Selbstmanagement und zur Selbststeuerung nicht ausreichend entwickelbar sein dürften und es zu einem - inzwischen auch eingetretenen - erneuten Gewichtsanstieg mit Progredienz adipositas-assoziierter Folgekrankheiten kommen dürfte, trotz deren Grenzen und Risiken ein operatives Vorgehen anriet, sofern nach einem halben bis einem Jahr die vereinbarten Therapieziele (= deutliche Senkung des Übergewichts) nicht erreicht wurden, hält die Kammer nunmehr den gewünschten operativen Eingriff im Sinne der Implantation eines Schlauchmagens als die ultimative Behandlungsmethode. Die denkbare psychotherapeutische bzw. verhaltenstherapeutische Behandlung zur besseren Steuerung des Essverhaltens erscheint der Kammer auch deshalb nicht mehr für erfolgversprechend, weil angesichts der dringend erforderlichen Bauchwand-Hernie ein schneller Erfolg der Gewichtsreduktion zwingend erforderlich ist. Insoweit kommt es nicht mehr darauf an, ob tatsächlich, wie es der Prozessbevollmächtigte des Klägers behauptet, neuere Studien belegten, dass bei einem Body-Maß-Index von mehr als 40 v. H. ohnehin kaum eine Chance zur konservativen Gewichtsreduktion besteht, während in diesen Fällen der chirurgische Eingriff (mit anschließender Langzeitbehandlung) eine hohe Erfolgsgarantie bestätigten.

Da im Falle des Klägers zur Überzeugung der Kammer keine andere Möglichkeit als die operative Implantation eines Schlauchmagens erfolgreich das Übergewicht des Klägers behandeln könnte - laut Prof. Dr. E. scheiden andere chirurgische Eingriffe aus -, erweist sich zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung am 24.11.2012 der Bescheid der Beklagten 04.03.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.08.2010 als rechtswidrig, weshalb er aufzuheben und die Beklagte antragsgemäß zur Kostenübernahme einer chirurgischen Schlauchmagen-Operation zu verpflichten war. Diese ist jedoch - entsprechend den Regeln der gesetzlichen Krankenversicherung - auf ein zur Behandlung von Kassenpatienten zugelassenen Krankenhaus im Sinne des § 109 SGB V zu beschränken.

Angesichts dessen war der in der mündlichen Verhandlung vom 14.11.2012 auch nicht mehr wiederholte (hilfsweise gestellte) Antrag auf Einholung eines Gutachtens bei dem Privat-Dozenten Dr. med. M. M. nicht mehr zu bescheiden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 183 SGG, wobei die Kammer zwar von einem überwiegenden Obsiegen des Klägers ausgeht, jedoch im Hinblick auf die Tatsache, dass weder zum Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides noch zum Zeitpunkt der Klageerhebung bereits alle konservativen Maßnahmen zur Gewichtsreduktion durchgeführt worden waren, einen Anteil der außergerichtlichen Kosten in Höhe von einem Drittel beim Kläger zu verbleiben hat.
Rechtskraft
Aus
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