S 18 KR 169/15 ER

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Darmstadt (HES)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
18
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
S 18 KR 169/15 ER
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
§ 5 Abs. 11 SGB V kommt bei türkischen Staatsangehörigen, die Arbeitnehmer im Sinn des Beschlusses Nr. 3/80 (Soziale Sicherheit für türkische Arbeitnehmer) sind, nicht zur Anwendung.
Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragsteller vorläufig bis zum bestandskräftigen Abschluss des Widerspruchsverfahrens nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V zu versichern.

Die Antragsgegnerin trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers.

Gründe:

I.

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob auf den Antragsteller die Regelung des § 5 Abs. 11 SGB V anzuwenden ist.

Der 1958 geborene Antragsteller ist türkischer Staatsangehöriger und reiste am 23.07.1979 nach Deutschland ein. Nach dem vorliegenden Rentenversicherungsverlauf sind die Zeiten vom 19.06.1986 bis 27.08.2000 im Wesentlichen durchgehend mit Pflichtbeitragszeiten zur Rentenversicherung belegt. Am 15.01.2002 beantragte der Antragsteller eine Rente wegen Erwerbsminderung. Mit Bescheid vom 04.12.2007 bewilligte die Deutsche Rentenversicherung Hessen dem Antragsteller im Anschluss an die Zeitrente wegen voller Erwerbsminderung eine Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Dauer in Höhe von 392,11 EUR monatlich. Nach den Bestandsdaten der Antragsgegnerin wurde bei Rentenantragstellung festgestellt, dass die Voraussetzungen für die Krankenversicherung der Rentner nicht erfüllt werden.

Mit Bescheid vom 23.04.2008 lehnte der Kreis Offenbach den Antrag des Antragstellers vom 22.04.2008 auf Grundsicherung im Alter ab, da der Antragsteller über Wohneigentum verfügte (1/2 Anteil einer Eigentumswohnung, die von der geschiedenen Ehefrau bewohnt wird). In Hinblick darauf sei eine weitere Anmeldung nach § 264 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) nicht möglich. Dem Antragsteller werde geraten, Kontakt mit seiner letzten Versicherung aufzunehmen und einen Antrag auf Beitritt in die Krankenkasse nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V zu stellen, sofern ein anderer Versicherungsschutz nicht möglich sei. Dagegen legte der Antragsteller Widerspruch ein.

Am 16.07.2008 beantragte der Antragsteller die Aufnahme in die Krankenversicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V bei der Antragsgegnerin. Dabei gab er an, bis zum 20.08.2001 selber gesetzlich versichert gewesen zu sein. Auf seinen Antrag vom 01.01.2004 hin habe er bis zum 31.12.2007 Sozialleistungen erhalten.

Mit Bescheid vom 02.10.2008 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag ab. Der Antragsteller könne nur dann versicherungspflichtig werden, wenn er nicht selbst zur eigenen Sicherung des Lebensunterhalts verpflichtet sei (§ 5 Abs. 11 SGB V). Nach der Bescheinigung der Stadt Offenbach vom 30.09.2008 sei dem Antragsteller eine Niederlassungserlaubnis mit einer Verpflichtung zur Sicherung des Lebensunterhalts erteilt worden (§ 9 Abs. 2 Nr. 2 Aufenthaltsgesetz).

Nach einem Unfall des Antragstellers fragte die Schwester des Antragstellers am 09.02.2015 bei der Antragsgegnerin nach, ob ein Versicherungsschutz für diesen möglich sei. Mit Bescheid vom 09.02.2015 teilte die Antragsgegnerin mit, dass eine Aufnahme des Antragstellers nicht möglich sei aus den Gründen, die die Antragsgegnerin auch im Bescheid vom 02.10.2008 aufgeführt hatte.

Dagegen legte der Antragsteller Widerspruch ein. Die Antragsgegnerin führte in ihrem Schreiben vom 16.02.2015, das gleichzeitig als Anhörung überschrieben war, aus, dass nach § 5 Abs. 11 SGB V Nicht-EU-Ausländer nur dann versicherungspflichtig nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V werden können, wenn für die Erteilung des Aufenthaltstitels keine Verpflichtung zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 des Aufenthaltsgesetzes bestehe. Nach den vorliegenden Unterlagen sei die erteilte Aufenthaltserlaubnis mit einer Verpflichtung zur Sicherung des Lebensunterhalts nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 bzw. des § 9 Abs. 2 des Aufenthaltsgesetzes verbunden.

Am 18.02.2015 wurde für den Antragsteller ein vorläufiger Betreuer für den Aufgabenkreis Gesundheitssorge, Aufenthaltsbestimmung, Vermögenssorge, Wohnungsangelegenheiten, Entgegennahme, Öffnen und Anhalten der Post, Vertretung beim Ämtern und Behörden, Vertretung bei Versicherungen, Renten- und Sozialleistungsträgern bestellt.
Mit Schriftsatz vom 02.03.2015 zeigte der Betreuer des Antragsstellers diese bei der Antragsgegnerin an und nahm zur Begründung des Widerspruchs auf das mit vorgelegtem Schreiben des Kreises Offenbach vom 24.02.2015 Bezug. In diesem trug der Kreis Offenbach vor, dass der Antragsteller nach der Bestätigung des Fachdienstes Ausländerangelegenheiten bereits am 11.02.2013 eine unbefristete Niederlassungserlaubnis nach § 9 Aufenthaltsgesetz ohne Einschränkungen erteilt worden sei. Die Ablehnung des Antrags auf Aufnahme in die Krankenversicherung sei deshalb nicht nachvollziehbar.

Am 12.03.2015 hat der Antragsteller einstweiligen Rechtsschutz beantragt. Zur Begründung trägt der Prozessbevollmächtigte und Betreuer des Antragstellers vor, dass sich dieser vom 09.02. bis 06.03.2015 in unfallchirurgischer Behandlung befunden habe. Die Heilung der Knochenbrüche werde längere Zeit in Anspruch nehmen, so dass der Antragsteller dringend auf medizinische Hilfe angewiesen sei. Der Antrag auf Kostenübernahme beim örtlichen Sozialhilfeträger sei abgelehnt worden (Bescheid vom 09.03.2015).

Der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers beantragt schriftlich,
die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung gem. § 123 VwGO zu verpflichten, den Antragsteller als Mitglied aufzunehmen.

Die Antragsgegnerin beantragt schriftlich,
den Antrag abzulehnen.

Zur Begründung führt sie aus, dass kein Anordnungsanspruch erkennbar sei. Bei dem Aufenthaltstitel des Antragstellers handele es sich um eine unbefristete Niederlassungserlaubnis. Voraussetzung für die Erteilung einer solchen sei u.a., dass der Lebensunterhalt gesichert sei (vgl. § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG). Nach der eindeutigen Normierung in § 5 Abs. 11 letzter Halbsatz SGB V i.V. m. §§ 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG und 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG komme die beantragte Pflichtversicherung nach § 5 Abs.1 Nr. 13 SGB V vorliegend nicht in Betracht. Auf die hierzu ergangene Rechtsprechung werde verwiesen (u.a. Beschluss des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 16.07.2014, S 14 KR 287/14 ER; Urteil des BSG vom 03.07.2013, B 12 KR 2/11 R).

Der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers trägt dazu weiter vor, dass sich der Anspruch des Antragstellers unmittelbar aus Art. 3 (Gleichbehandlung) des Beschlusses Nr. 3/80 des Assoziierungsabkommen EWG-Türkei ergebe (unter Verweis auf das Urteil des EuGH vom 04.05.1999, Sürül, C-262/96). § 5 Abs. 11 SGB V sei auf türkische Staatsangehörige nicht anwendbar.

Die Antragsgegnerin hält weiter an ihrer Auffassung fest. Sie gehe davon aus, dass der Gesetzgeber im Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung ab 01.04.2007 in § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V eine Sonderregelung für türkische Staatsangehörige geschaffen hätte, wenn die von dem Prozessbevollmächtigten des Antragstellers vorgetragene Auffassung gewollt gewesen wäre. Auch finde sich in der einschlägigen Kommentarliteratur kein Hinweis auf die Rechtsauffassung des Prozessbevollmächtigten des Antragstellers.

Auf Nachfrage des Gerichts teilt der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers mit, dass dieser derzeit keine Leistungen der Grundsicherung bei Erwerbsminderung bekomme. Der Antrag sei bereits gestellt; die zuständige Mitarbeiterin des Kreises Offenbach habe die Ablehnung signalisiert. Der Antragsteller sei zuletzt bei der Antragsgegnerin bis 2007 versichert gewesen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Antragsgegnerin und der ausländerrechtlichen Verwaltungsakte Bezug genommen.

II. Der zulässige Antrag ist begründet. Der Antrag ist allerdings dahingehend auszulegen, dass eine einstweilige Anordnung nach § 86b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) gemeint ist.

Nach §86 b Abs. 2 S. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte, soweit ein Fall des Absatzes 1 nicht vorliegt. Nach S. 2 sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint.
In beiden Fällen ist erforderlich, dass ein Anordnungsanspruch und ein Anordnungsgrund bestehen. Diese stehen sich nicht isoliert gegenüber. Vielmehr besteht zwischen ihnen eine funktionelle Wechselwirkung: Die Anforderungen an den Anordnungsanspruch sind mit zunehmender Eilbedürftigkeit bzw. Schwere des drohenden Eingriffs (Anordnungsgrund) zu verringern oder umgekehrt zu erhöhen. Dabei dürfen keine zu hohen Anforderungen an die Glaubhaftmachung im Eilverfahren gestellt werden; die Anforderungen haben sich vielmehr am Rechtsschutzziel zu orientieren, das der Antragsteller mit seinem Begehren verfolgt. (Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschlüsse vom 29.07.2003 - 2 BvR 311/03 - NVwZ 2004, 95; vom 19.03.2004 - 1 BvR 131/04 - NJW 2004, 3100 ). Ist dem Gericht eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, ist anhand einer Folgenabwägung unter umfassender Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange aller Beteiligter zu entscheiden (BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05 - Breithaupt 2005, 803 -; Keller, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl., § 86b Rn 27 f mwN).

Ausgehend davon ist die Antragsgegnerin vorläufig zu verpflichten, den Antragsteller nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V zu versichern. Nach dem bisherigen Sachverhalt ist das Bestehen der Pflichtversicherung (und damit eines Anordnungsanspruchs) überwiegend wahrscheinlich.

Nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V sind versicherungspflichtig in der gesetzlichen Krankenversicherung Personen, die keinen anderweitigen Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall haben und
a) zuletzt gesetzlich krankenversichert waren oder
b) bisher nicht gesetzlich oder privat krankenversichert waren, es sei denn, dass sie zu den in Absatz 5 oder den in § 6 Abs. 1 oder 2 genannten Personen gehören oder bei Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit im Inland gehört hätten.
Gemäß § 5 Abs. 8a SGB V ist nicht nach Absatz 1 Nr. 13 versicherungspflichtig, wer nach Absatz 1 Nr. 1 bis 12 versicherungspflichtig, freiwilliges Mitglied oder nach § 10 versichert ist. Satz 1 gilt entsprechend für Empfänger von laufender Leistungen nach dem Dritten, Vierten, Sechsten und siebten Kapitel des Zwölften Buches und für Empfänger laufender Leistungen nach § 2 des Asylbewerberleistungsgesetzes. Der Antragsteller erfüllt die Voraussetzungen nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V. Er war zuletzt bis Ende 2007 gesetzlich krankenversichert. Eine private Krankenversicherung bestand nie, so dass eine Zuordnung zur gesetzlichen Krankenversicherung besteht. Dem steht nicht entgegen, dass nach 2007 offenbar zeitweise eine Kostenübernahme über den örtlichen Sozialhilfeträger nach § 264 SGB V erfolgt ist. Denn dies ist weder eine gesetzliche noch eine private Krankenversicherung und ändert damit nichts an der Zuordnung zum System der gesetzlichen Krankenversicherung. Der Antragsteller ist nicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 – 12 SGB V versicherungspflichtig. Insbesondere besteht nach den Angaben der Antragsgegnerin keine Mitgliedschaft in der Krankenversicherung der Rentner nach § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V. Andere Tatbestände nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 – 12 SGB V kommen nicht in Betracht.

Einer Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V kann nicht § 5 Abs. 11 Satz 1 SGB V entgegen gehalten werden.
Nach § 5 Abs. 11 Satz 1 SGB V werden Ausländer, die nicht Angehörige eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, Angehörige eines Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder Staatsangehörige der Schweiz sind, von der Versicherungspflicht nach Absatz 1 Nr. 13 erfasst, wenn sie eine Niederlassungserlaubnis oder eine Aufenthaltserlaubnis mit einer Befristung auf mehr als zwölf Monate nach dem Aufenthaltsgesetz besitzen und für die Erteilung dieser Aufenthaltstitel keine Verpflichtung zur Sicherung des Lebensunterhalts nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 des Aufenthaltsgesetzes besteht.

Ob bei Erteilung der Niederlassungserlaubnis nach § 9 AufenthG an den Antragsteller am 11.02.2013 eine Ausnahme nach § 9 Abs. 1 Satz 6 AufenthG gemacht wurde (Absehen von der Voraussetzung, dass der Lebensunterhalt gesichert ist (§ 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG), wenn der Antragsteller diese aus körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung nicht erfüllen kann), ist aus der ausländerrechtlichen Akte nicht zu entnehmen. Dafür könnte sprechen, dass der Antragsteller seit 2008 eine unbefristete Rente wegen voller Erwerbsminderung erhält.

Darauf und auf die Qualität des Titels kommt es letztlich jedoch nicht an. Der Anwendung des § 5 Abs. 11 SGB V auf den Antragsteller steht Art. 3 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 3/80 (Soziale Sicherheit für türkische Arbeitnehmer; Abl. Nr. C I 10/60, Nr. C 110/96)) entgegen.

Für diese sind auf der Grundlage des Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsunion und der Türkei vom 12. September 1963 weitergehende Rechte geschaffen worden. Dieses Abkommen ist unabhängig von dessen Alter in Kraft und damit gültig. Auf dieser Grundlage erließ der Assoziationsrat am 19. September 1980 den Beschluss Nr. 3/80 – Soziale Sicherheit für türkische Arbeitnehmer - (zur genauen rechtlichen Herleitung ausführlich: Urteil des EuGH vom 04.05.1999 – Sürül – C-262/96, juris, Ziffern 3-14).
Nach Art. 3 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 3/80 haben die Personen, die im Gebiet eines Mitgliedstaats wohnen und für die dieser Beschluss gilt, die gleichen Rechte und Pflichten aufgrund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats wie die Staatsangehörigen dieses Staates, soweit dieser Beschluss nichts anderes bestimmt.
Auf diese Regelung können sich Personen, die in den Geltungsbereich des Beschlusses fallen, vor den Gerichten der Mitgliedstaaten unmittelbar berufen (EuGH, aaO, Ziffer 74). Unmittelbare Anwendbarkeit im Bereich des Europarechts bedeutet aber, dass das Gericht die entgegenstehende nationale Vorschrift nicht anwenden darf. Es besteht gerade kein Verwerfungsmonopol des Bundesverfassungsgerichts wie bei der Prüfung der Vereinbarkeit von einfachgesetzlichen Regelungen mit dem Grundgesetz.

Das in Art. 3 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 3/80 aufgestellte Verbot jeder Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit im Geltungsbereich des Beschlusses bedeutet, dass "ein türkischer Staatsangehöriger, für den der Beschluss gilt, ebenso behandelt werden muss wie die Staatsangehörigen des Aufnahmemitgliedstaats, so dass die Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats die Gewährung eines Anspruchs an einen solchen türkischen Staatsangehörigen nicht von zusätzlichen oder strengeren Voraussetzungen abhängig machen dürfen, als sie für die Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats gelten" (EuGH, aaO, Ziff. 97).
"Folglich hat ein türkischer Staatsangehöriger, dem es gestattet wurde, ( ) in einen Mitgliedstaat einzureisen, und der sich dort rechtmäßig bei diesem aufhält, im Aufnahmestaat unter denselben Voraussetzungen wie dessen Staatsangehörige Anspruch auf eine im Recht dieses Staates vorgesehene Leistung der sozialen Sicherheit." (EuGH, aaO, Ziff. 98).

In den persönlichen Geltungsbereich fallen Arbeitnehmer, für welche die Rechtsvorschriften eines oder mehrere Mitgliedstaaten gelten oder galten, und die türkische Staatsangehörige sind. Arbeitnehmer in diesem Sinne ist jede Person, die, ob sie nun eine Erwerbstätigkeit ausübt oder nicht, die Versicherteneigenschaft nach den für die soziale Sicherheit geltenden Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten besitzt (EuGH, aaO, Ziffer 85).
Der Antragsteller ist in diesem Sinne Arbeitnehmer. Er erhält eine Rente wegen Erwerbsminderung von der Deutschen Rentenversicherung Hessen und ist damit Versicherter (in der Rentenversicherung), der eine Leistung von dieser erhält.
Der sachliche Anwendungsbereich des Beschlusses Nr. 3/80 ist ebenfalls eröffnet. Nach Art. 4 Abs. 1 i) des Beschlusses Nr. 3/80 erstreckt sich der sachliche Geltungsbereich des Beschlusses auf Leistungen bei Krankheit.

Aus dem Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 3/80 ergibt sich, dass § 5 Abs. 11 SGB V auf den Antragsteller nicht anzuwenden ist. Denn für deutsche Staatsangehörige wird die Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V nur an die in dieser Vorschrift genannten Voraussetzungen geknüpft. Weitergehende Voraussetzungen für den Zugang zum Versicherungsschutz nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V dürfen damit auch nicht an den Antragsteller gestellt werden. Es darf insbesondere keine bestimmte Art von Aufenthaltstitel gefordert werden, um nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V krankenversichert sein zu können.

Das Bestehen eines Anordnungsgrundes ist ebenfalls glaubhaft gemacht. Dem Antragsteller drohen bei fehlendem Versicherungsschutz und bestehender Erkrankung ernsthafte gesundheitliche Nachteile, sofern keine vorläufige Regelung getroffen wird.
Rechtskraft
Aus
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