S 2 R 338/12

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Darmstadt (HES)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
S 2 R 338/12
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 2 R 356/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um den Anspruch der Klägerin auf Erwerbsminderungsrente.

Die 1959 geborene Klägerin ist geschieden. Sie hat 2 Kinder. Von Beruf ist sie gelernte Fleischereiverkäuferin. Sie war im erlernten Beruf bis zum 13.02.2011 tätig. In der Zeit vom 12.04.2011 bis 10.05.2011 absolvierte sie eine Maßnahme der medizinischen Rehabilitation in der Klink Kurhessen in Bad Sooden - Allendorf. Dort wurden die Diagnosen stabiles gemischtförmiges Asthma und eine alveoläre Hyperventilation, arterielle Hypertonie I, Minderbelastbarkeit bei Rotatorenmanschettenläsion beidseits und Omarthrose rechts sowie maladaptive Stressbewältigung und Verdacht auf Angststörung gestellt. Die alte Tätigkeit in der Metzgerei sei nicht mehr zumutbar, jedoch könnten bei Berücksichtigung qualitativer Einschränkungen leichte bis mittelschwere Tätigkeiten vollschichtig verrichtet werden.

Am 27.10.2011 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente. Die Beklagte veranlasste daraufhin eine Stellungnahme nach Aktenlage des Sozialmedizinischen Dienstes. Diese wurde vom Internisten und Sozialmediziner C. unter dem 19.01.2012 nach Auswertung des Reha - Entlassungsberichtes, eines arbeitsamtsärztlichen Gutachtens des Herrn D. vom 21.07.2011 und eines Befundberichtes des Allgemeinmediziners Dr. E. vom 13.01.2012 erstellt. Nach dem Befundbericht des Dr. E. sei es in den letzten 12 Monaten nicht zu einer wesentlichen Befundänderung gekommen. Die sozialmedizinischen Leistungsbeurteilungen in den beiden zuvor genannten Berichten hätten somit noch Gültigkeit. Gestützt auf diese Stellungnahme lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin mit Bescheid vom 26.01.2012 und Widerspruchsbescheid vom 08.06.2012 ab.

Hiergegen richtet sich die am 27.06.2012 bei Gericht eingegangene Klage. Mit der Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren aus dem Veraltungsverfahren weiter. Sie sei voll erwerbsgemindert.

Die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 26.01.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.06.2012 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Rente wegen Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Zur Begründung beruft sie sich auf die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides.

Im Rahmen der Sachermittlungen ist zunächst ein Bericht des Markus Krankenhauses Frankfurt eingeholt worden über die stationäre Behandlung der Klägerin im Zeitraum 28.11.2011 – 04.12.2011, bei der wegen einer Refluxkrankheit eine Laparoskopie zur Verengung eines Magenabschnittes durchgeführt wurde. Ferner sind Befundberichte eingeholt worden beim Hausarzt der Klägerin Dr. E. vom 04.09.2012, dem Neurologen und Psychiater Dr. F. vom 06.09.2012, dem Internisten und Pneumologen Dr. G. als Nachfolder des Dr. H. vom 05.09.2012 sowie des Pneumologen Dr. J. vom 26.09.2012, ferner ein Entlassungsbericht des Zentrums für Soziale Psychiatrie in Heppenheim über eine Behandlung im Zeitraum 04.10.2000 – 19.12.2000 wegen einer mittelgradigen depressiven Episode bei Partnerschaftskonflikt. Im Rahmen der Beweisaufnahme ist ein psychiatrisches Gutachten eingeholt worden bei Dr. K. Dieser stellt in seinem Gutachten vom 22.04.2013 die Diagnosen eines ängstlich vermeidenden Persönlichkeitsstils mit dependenten Zügen, Agoraphobie mit Panikstörung, somatoforme Schmerzstörung, Dysthymia sowie rezidivierende depressive Episoden, gegenwertig remittiert. Hinsichtlich der Leistungsfähigkeit der Klägerin gelangt er zu der Einschätzung, dass ihr bei qualitativen Einschränkungen leichte Tätigkeiten für zumindest 6 Stunden arbeitstäglich zumutbar seien.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Verwaltungsakte, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Sie hat keinen Anspruch auf Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung.

Nach § 43 Abs. 1 bzw. 2 SGB VI haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser oder voller Erwerbsminderung, wenn sie

1. teilweise bzw. voll erwerbsgemindert sind,
2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und
3. vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.

Die allgemeine Wartezeit und die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen sind erfüllt.

Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte gemäß § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 6 Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 3 Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

Nach § 43 Abs. 3 SGB VI ist nicht erwerbsgemindert, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 6 Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Wer auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch mindestens 6 Stunden täglich erwerbstätig sein kann, ist demnach in der Regel nicht erwerbsgemindert. Denn bei Versicherten mit dieser Leistungsfähigkeit ist davon auszugehen, dass für jede Art einer noch gesundheitlich zumutbaren Tätigkeit Arbeitsplätze in ausreichendem Umfang auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen, wobei es nicht darauf ankommt, ob diese Arbeitsplätze besetzt oder unbesetzt sind.

Nach Maßgabe dieser Grundsätze ist die Klägerin nicht erwerbsgemindert. Zwar wird ihr Leistungsvermögen durch Gesundheitsstörungen vorrangig auf neurologisch - psychiatrischen Fachgebiet in qualitativer Hinsicht eingeschränkt. Doch sind der Klägerin bei Berücksichtigung der qualitativen Einschränkungen mindestens sechs Stunden täglich leichte Arbeiten zumutbar. Die Feststellungen zum Gesundheitszustand und Leistungsvermögen entnimmt die Kammer insoweit dem Gesamtergebnis der Ermittlungen und der Beweisaufnahme, insbesondere dem Sachverständigengutachten des Dr. K. Dieser ist den Beschwerden der Klägerin sorgfältig nachgegangen und hat die Befunde aufgrund körperlicher und neurologischer Untersuchung sowie aufgrund einer ausführlichen Exploration erhoben. Die Kammer hat keinen Anlass an der Vollständigkeit der erhobenen Befunde und der Richtigkeit der daraus geforderten Leistungsbeurteilung zu zweifeln. Das Gutachten ist schlüssig und plausibel begründet und in sich widerspruchsfrei.

Das verbliebene Leistungsvermögen von 6 Stunden und mehr pro Arbeitstag schließt den Anspruch auf Rente wegen teilweiser und auch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung aus.

Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit, da sie nicht berufsunfähig ist.

Nach § 240 SGB VI haben Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres auch Versicherte, die berufsunfähig sind.

Berufsunfähig sind nach Absatz 2 der Norm Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbstätigkeit von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als 6 Stunden gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufes und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Das Gesetz räumt den Versicherten einen Anspruch auf Gewährung von Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit also nicht bereits dann ein, wenn sie ihren "bisherigen Beruf" aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr ausüben können. Von den Versicherten wird vielmehr verlangt, dass sie - immer bezogen auf ihren "bisherigen Beruf" - auch einen "zumutbaren" beruflichen Abstieg in Kauf nehmen und sich vor Inanspruchnahme einer Rente mit einer geringerwertigen Erwerbstätigkeit zufrieden geben (vgl. BSGE 41, 129, 131). Berufsunfähig im Sinne des § 240 Abs. 2 SGB VI ist also nur derjenige, der sich nicht in dieser Weise auf einen anderen Beruf "verweisen" lassen muss.

"Zugemutet werden" im Sinne des § 240 Abs. 2 SGB VI können den Versicherten alle von ihnen nach ihren gesundheitlichen Kräften und ihren beruflichen Kenntnissen und Fähigkeiten ausführbaren, auch "berufsfremden" Tätigkeiten, die nach der im Gesetz ausgeführten positiven Kennzeichnung (Ausbildung und deren Dauer, besondere Anforderungen, Bedeutung des Berufes im Betrieb, d. h. nach ihrer Qualität) dem "bisherigen Beruf" nicht zu fern stehen (ständige Rechtsprechung des BSG, vgl. BSGE 41, 129, 132 mit weiteren Nachweisen).

Zur Ausfüllung dieser Grundsätze wurde von der Rechtsprechung das so genannte Mehrstufen-Schema entwickelt. Für Arbeiterberufe wird unterschieden in die Gruppen mit den Leitberufen des Vorarbeiters mit Vorgesetztenfunktion bzw. des besonders hochqualifizierten Facharbeiters (1. Stufe), des Facharbeiters (anerkannter Ausbildungsberuf mit einer Ausbildungszeit von mehr als zwei Jahren; 2. Stufe), des angelernten Arbeiters (sonstiger Ausbildungsberuf mit einer Ausbildungszeit von drei Monaten bis zu zwei Jahren) mit Unterscheidung in einen oberen und einen unteren Bereich (3. Stufe) und des ungelernten Arbeiters (4. Stufe).

Als zumutbaren beruflichen Abstieg hat die Rechtsprechung jeweils den Abstieg zur nächst niedrigeren Stufe angenommen.

Die Klägerin, die langjährig den Beruf der Fleischereifachverkäuferin ausgeübt hat, ist der Gruppe der Facharbeiter zuzuordnen. Nach den vom Bundessozialgericht entwickelten Grundsätzen muss sie sich sozial zumutbar auf all diejenigen Tätigkeiten verweisen lassen, die zu den Facharbeiterberufen und den staatlich anerkannten Ausbildungsberufen gehören oder die eine echte betriebliche Ausbildung von wenigstens drei Monaten Dauer voraussetzen, wenn sie dazu gesundheitlich imstande und beruflich fähig ist (ständige Rechtsprechung, vgl. BSG SozR 2200 § 1246 Nr. 37 und Nr. 152).

Sie kann darüber hinaus aber auch auf Tätigkeiten aus der Gruppe der ungelernten Arbeiter verwiesen werden, soweit sich diese Tätigkeiten aus dem Kreis der ungelernten Tätigkeiten innerhalb des Betriebes und im Ansehen, aber auch unter Berücksichtigung ihrer tariflichen Eingruppierung im Vergleich mit anderen Tätigkeiten besonders herausheben. Dabei sollen diese ungelernten Tätigkeiten wegen ihrer Qualität tariflich etwa gleich hoch wie die sonstigen Ausbildungsberufe eingestuft sein (vgl. BSG SozR 2200 § 1246 Nr. 116 und Nr. 147; BSG SozR 3 – 2200 § 1246 Nr. 17).

Eine nach diesen Grundsätzen auch einer Facharbeiterin zumutbare Verweisungstätigkeit ist die Tätigkeit einer Mitarbeiterin in der Poststelle eines Betriebes oder einer Behörde. Diese Tätigkeit entspricht dem Restleistungsvermögen der Klägerin. Sie ist ihr auch sozial zumutbar. In der Rechtsprechung ist die soziale Zumutbarkeit dieser Tätigkeit als Verweisungstätigkeit anerkannt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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