Land
Hessen
Sozialgericht
SG Darmstadt (HES)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
S 3 U 151/13
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 9 U 120/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1.) Die Klage wird abgewiesen.
2.) Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Anerkennung einer Berufskrankheit (BK) nach Nr. 2108 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) nach dem Siebten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII).
Im März 2012 zeigte die Krankenkasse Barmer GEK der als Erzieherin tätigen Klägerin, geboren xxxxx, bei der Beklagten für die Klägerin den Verdacht einer BK 2108, 2109 oder 2110 an. Die Beklagte lehnte mit Schreiben vom 22.03.2012 die Anerkennung einer BK 2108 ab, weil die Tätigkeit als Erzieherin keine geeignete Tätigkeit im Sinne der BK 2108 sei. Mit Schreiben vom 04.04.2012 beantragte die Klägerin die Durchführung eines förmlichen Feststellungsverfahrens. In den ihr übersandten Fragebögen gab die Klägerin unter anderem an, von Juli 1989 bis heute als Erzieherin gearbeitet zu haben. Sie habe Kinder im Alter zwischen 2 und 6 Jahren heben und Wasserkästen tragen müssen. Zudem seien mehrfach Umzugs- und Renovierungsarbeiten angefallen. Vom 01.08.1984 bis 31.07.1985 war die Klägerin als Praktikantin im Anerkennungsjahr in einem Kindergarten tätig.
Die Beklagte zog Befund- und Behandlungsberichte der behandelnden Ärzte der Klägerin sowie das Vorerkrankungsverzeichnis der Krankenkasse bezüglich Wirbelsäulenerkrankungen bei und befragte die Klägerin zu den bei der Beschäftigung ausgeübten wirbelsäulebelastenden Tätigkeiten. Der Einholung von Auskünften beim Arbeitgeber widersprach die Klägerin ausdrücklich.
Unter Auswertung der Angaben der Klägerin gelangte der Präventionsdienst der Beklagten in einer Stellungnahme Arbeitsplatzexposition vom 13.08.2012 zu dem Ergebnis, dass sich für den Zeitraum Oktober 1993 bis August 2012 bzgl. der BK 2108 eine Gesamtdosis von insgesamt 9 MNh ergebe. In einer weiteren Stellungnahme Arbeitsplatzexposition der Unfallkasse Hessen für den Zeitraum August 1984 bis Juli 1985 und Juli 1989 bis September 1993 wurde eine Gesamtdosis von insgesamt 1,7 MNh festgestellt. Die Beklagte gab daraufhin ein Gutachten bei Prof. Dr. B. in Auftrag bezüglich dessen Einzelheiten auf Blatt 192ff und 210f. der Beklagtenakten Bezug genommen wird.
Mit Bescheid vom 19.03.2013 lehnte die Beklagte die Anerkennung einer BK 2108 ab. Ansprüche auf Leistungen oder Maßnahmen, die dem Entstehen der Berufskrankheit entgegenwirkten, bestünden nicht. Die bei der Klägerin anzunehmenden Hebe- und Tragebelastungen seien nicht mit Wahrscheinlichkeit als rechtlich wesentliche Ursache der bandscheibenbedingten Lendenwirbelsäulenerkrankung anzusehen. Den gegen diesen Bescheid gerichteten Widerspruch der Klägerin vom 08.04.2013 wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 08.07.2013 zurück.
Daraufhin hat die Klägerin am 08.08.2013 Klage beim Sozialgericht Darmstadt erhoben und dargelegt, sie habe bei ihrer Tätigkeit lange auf nicht rückengerechten Stühlen, mithin in extremer Rumpfbeugehaltung sitzen müssen. Dies habe die Beklagte unberücksichtigt gelassen. Das von der Klägerin eingeholte Gutachten gehe von falschen Annahmen aus und habe die Untersuchungsergebnisse einschließlich vorhandener Unterlagen und Röntgenbilder nicht ausreichend berücksichtigt. Zudem habe die Beklagte bei der Arbeitsplatzerhebung die Besonderheiten des Berufes einer Erzieherin nicht ausreichend berücksichtigt.
Die Klägerin beantragt,
1.) Den Bescheid vom 19.03.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.07.2013 - zugestellt am 09.07.2013 - aufzuheben und
2.) festzustellen, dass die Gesundheitsstörung "Erkrankung der Lendenwirbelsäule" eine Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung ist.
Der Beklagtenvertreter beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung wiederholt sie im Wesentlichen ihre Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden.
Auf Antrag der Klägerin hat die Kammer ein schriftliches Sachverständigengutachten des Sachverständigen Dr. C. vom 29.05.2015 nach § 109 SGG eingeholt. Dieser hat das Vorliegen einer BK 2108 bei der Klägerin verneint. Bezüglich des Ergebnisses der Beweisaufnahme im Einzelnen wird auf das Gutachten (Blatt 139ff. der Gerichtsakten) Bezug genommen. Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung vom 19.02.2016 beantragt, den Sachverständigen zur Erörterung seines Gutachtens zu laden.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Beratung der Kammer gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist nicht begründet.
Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 54 Abs. 2 S. 1 SGG). Sie hat keinen Anspruch auf Anerkennung einer BK 2108.
Rechtsgrundlage für die Anerkennung der begehrten BK ist § 9 Abs. 1 S. 1 SGB VII i. V. m. Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKV. Berufskrankheiten sind gem. § 9 Abs. 1 SGB VII nur diejenigen Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet (Listen-BK) und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. In der Anlage 1 zur BKV vom 31.10.1997 (BGB I, S. 2623), die sich insoweit nicht mehr geändert hat, ist die BK 2108 als "Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheiten ursächlich waren oder sein können" bezeichnet.
Die Anerkennung einer BK 2108 setzt demnach voraus, dass der Versicherte auf Grund von Verrichtungen bei einer versicherten Tätigkeit langjährig schwer gehoben und getragen bzw. in extremer Rumpfbeugehaltung gearbeitet hat und hierdurch eine bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS entstanden ist und noch besteht. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ist ein Ursachenzusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und den Verrichtungen (sachlicher Zusammenhang), diesen Verrichtungen und den schädigenden Einwirkungen (Einwirkungskausalität) und den Einwirkungen und der Erkrankung (haftungsbegründende Kausalität) erforderlich. Schließlich muss der Versicherte gezwungen gewesen sein, alle gefährdenden Tätigkeiten aufzugeben und die Aufgabe der gefährdenden Tätigkeit als Folge des Zwangs auch tatsächlich erfolgt sein. Fehlt eine dieser Voraussetzungen, liegt eine BK 2108 nicht vor (vgl. BSG Urt. v. 18.11.2008, Az. B 2 U 14/07 R, zitiert nach juris Rn. 23; Urt. v. 30.10.2007, Az. B 2 U 4/06 R, zitiert nach juris Rn. 16f.). Dass die berufsbedingte Erkrankung ggf. den Leistungsfall auslösende Folgen nach sich zieht (haftungsausfüllende Kausalität), ist hingegen keine Voraussetzung für die Anerkennung der BK, sondern lediglich für einen etwaigen, auf dieser BK beruhenden Leistungsanspruch (vgl. hierzu BSG Urt. v. 04.07.2013, Az. B 2 U 11/12 R, zitiert nach juris Rn. 12).
In beweisrechtlicher Hinsicht müssen die Tatbestandsmerkmale "versicherte Tätigkeit", "Verrichtung", "Einwirkungen" und "Krankheit" im Sinne des Vollbeweises, also mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit, vorliegen. Hingegen genügt für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit (vgl. z.B. BSG Urt. v. 04.07.2013, Az. B 2 U 11/12 R Rn. 12; Urt. v. 27.06.2006, Az. B 2 U 20/04 R, zitiert nach juris Rn. 15; Urt. v. 09.05.2006, Az. B 2 U 1/05 R, zitiert nach juris Rn. 20). Um eine hinreichende Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges zu bejahen, muss sich unter Würdigung des Beweisergebnisses ein solcher Grad von Wahrscheinlichkeit ergeben, das ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Möglichkeit ausscheiden und nach der geltenden ärztlichen wissenschaftlichen Lehrmeinung deutlich mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht (vgl. z.B. BSG Urt. v. 12.09.2012, Az. B 3 KR 10/12 R, zitiert nach juris Rn. 47 m.w.N.; Urt. v. 09.05.2006, Az. B 2 U 1/05 R, zitiert nach juris Rn. 20 m.w.N.; Beschl. v. 08.08.2001, Az. B 9 V 23/01 R, zitiert nach juris Rn. 4 m.w.N.).
Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt. Zwar ist die Klägerin bei ihrer versicherten beruflichen Tätigkeit schädigenden Einwirkungen ausgesetzt gewesen. Die Kammer hegt insoweit jedoch bereits erhebliche Zweifel, ob das Ausmaß dieser Einwirkungen die sog. "arbeitstechnischen Voraussetzungen" dieser BK erfüllt. Soweit die Klägerin meint, die Beklagte habe ihre Tätigkeiten in extremer Rumpfbeuge nicht berücksichtigt, vermag die Kammer dem nicht zu folgen. Hierzu hat die Klägerin ausgeführt, sie habe bei ihrer Tätigkeit lange auf nicht rückengerechten Stühlen, mithin in extremer Rumpfbeugehaltung sitzen müssen. Diese Tätigkeit entspricht jedoch nicht der Belastungsanforderung in Tabelle 16 der sogenannten Konsensempfehlungen zur Zusammenhangsbegutachtung (vgl. Bolm-Audorff u.a., Medizinische Beurteilungskriterien zu bandscheibenbedingten Berufskrankheiten der Lendenwirbelsäule, Trauma und Berufskrankheit Heft 3/2005, Springer Medizin Verlag, S. 211ff.). Die Konsensempfehlungen stellen den aktuellen Stand der nationalen und internationalen Diskussion zur Verursachung von Lendenwirbelsäulenerkrankungen durch körperliche berufliche Belastungen dar (vgl. dazu z.B. LSG Hessen Urt. v. 07.04.2014, Az. L 9 U 121/11, zitiert nach juris Rn. 34; Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 04. Mai 2015, Az. L 4 U 262/13, zitiert nach juris Rn. 29 m.w.N.; vgl. zur Anwendung der Konsensempfehlungen auch BSG Urt. v. 27.10.2009, Az. B 2 U 16/08 R, zitiert nach juris Rn. 15 und Urt. v. 27.06.2006, Az. B 2 U 13/05 R, zitiert nach juris Rn. 12, 14). Ein neuerer, von den Konsensempfehlungen abweichender Stand der wissenschaftlichen Diskussion, d. h. eine neuere wissenschaftlich geprägte Mehrheitsmeinung (vgl. BSG Urt. v. 27.06.2006 - B 2 U 13/05 R - juris Rn. 16) zu den bandscheibenbedingten Erkrankungen der LWS ist weder vom Sachverständigen benannt worden noch der Kammer aus anderen Verfahren bekannt. Die Kammer geht daher davon aus, dass die Konsensempfehlungen nach wie vor zur Beurteilung von Bandscheibenschäden und deren beruflicher Verursachung anzuwenden sind. Demnach ist der Belastung "Beugen" eine Vorneigung des Oberkörpers gegenüber der aufrechten Haltung um etwa 20 bis 50 Grad im Stehen, Sitzen, Knien oder Hocken zugeordnet. Derartige Arbeiten im Bücken ohne Abstützung des Oberkörpers sind geeignet, Rückenschmerzen auszulösen oder zu verstärken, wenn sie ununterbrochen längere Zeit in der Arbeitsschicht oder vielfach wiederholt ausgeübt werden. Das einfache Sitzen auf kleinen Stühlen erfüllt diese Anforderung bereits deshalb nicht, weil nicht ersichtlich ist, inwieweit damit eine vorgebeugte Haltung verbunden ist. Zudem erfordert die Tätigkeit einer Erzieherin für gewöhnlich das Sitzen auf kleinen Stühlen nur während der Mahlzeiten oder bei Bastelarbeiten o.ä., also nicht ununterbrochen längere Zeit in der Arbeitsschicht oder vielfach wiederholt. Eine entsprechende Dauer oder Häufigkeit ist aus dem Vortrag der Klägerin nicht einmal ansatzweise ersichtlich. Insoweit kann auch nicht außer Acht gelassen werden, dass in einer Kindergartengruppe zumindest zwei ErzieherInnen Aufsicht führen, wobei einzelne Beschäftigungsangebote jeweils von einer Person – nicht unbedingt dauerhaft – betreut werden.
Weiterhin ist auszuführen, dass die Berechnungen der Beklagten zu den arbeitstechnischen Voraussetzungen einzig auf den Angaben der Klägerin beruhen. Ihre Behauptung alle von ihr betreuten Kinder seien übergewichtig gewesen und hätten zwischen 20 bis 50 kg gewogen, verwundert bereits angesichts des Umstandes, dass Kinder von ihren Erzieherinnen normalerweise nicht gewogen werden, sodass derart genaue Gewichtsangaben nicht zu erwarten sind. Sie stehen zudem nicht nur eindeutig im Widerspruch zu den von der Beklagten herangezogenen Normwertgrenztabellen bei Kindern und Jugendlichen. Sie sind auch nicht mit den Werten zu vereinbaren, welche sich aus den in der Kinder- und Jugendmedizin gebräuchlichen Perzentilwerten und kurven ergeben, wie sie sich beispielsweise in jedem gelben Kinder-Untersuchungsheft "Gelbes Heft" des Gemeinsamen Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen (U-Heft) finden; ebenso wenig mit den Angaben aktueller Studien zur Häufigkeit von Übergewicht bei Kindern. Um das Gewicht eines Kindes zu bewerten, wird bei Kindern ab dem Kindergartenalter der individuelle BodyMassIndex (BMI)-Wert mit einer Referenzpopulation verglichen. Derzeit sind etwa 8,7% aller Kinder und Jugendlichen übergewichtig (über 90. bis 97. Perzentile) und 6,3% adipös (über der 97. Perzentile), insgesamt 15%; wobei die Zahlen seit den 80iger-Jahren angestiegen sind (Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, Qualitätskriterien für Maßnahmen der Gesundheitsförderung und Primärprävention von Übergewicht bei Kindern und Jugendlichen; Reihe Gesundheitsförderung konkret Band 13, 2010, S. 17ff.). Zur Bestimmung werden entweder die Kurven von Kromeyer-Hauschild (Kromeyer-Hauschild K, Wabitsch M, Kunze D et al. [2001] Perzentile für den Body-mass-Index für das Kindes- und Jugendalter unter Heranziehung verschiedener deutscher Stichproben, Monatsschrift Kinderheilkunde 149: 807–818) oder diejenigen des Robert Koch-Instituts (Robert Koch-Institut, erweiterte Neuauflage 2013, Referenzperzentile für anthropometrische Messzahlen und Blutdruck aus der Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland [KiGGS] 2003-2006; http://www.rki.de/DE/ Content/Gesundheitsmonitoring/Gesundheitsberichterstattung/GBEDownloadsB/referenzperzentile/gewicht.pdf? blob=publicationFile) herangezogen, wobei die Kammer letzterer aus den dort dargelegten Gründen den Vorzug gibt. Demnach beginnt Übergewicht bei einem 24 Monate alten Jungen bei 14,7 kg Körpergewicht, Adipositas über 15,8 kg. Das mediane Gewicht beträgt 12,7kg. Bei sechsjährigen Jungen beginnt Übergewicht bei einem Körpergewicht von 26,4 kg, Adipositas über 29,6kg. Das mediane Gewicht beträgt 24,6kg. Übergewichtige 24 Monate alten Mädchen wiegen über 13,9kg, adipöse über 15kg. Das mediane Gewicht beträgt 12 kg. Bei den sechsjährigen Mädchen beginnt Übergewicht bei 26,2kg, Adipositas über 29,5 kg. Das mediane Gewicht beträgt 21,4 kg (Robert Koch-Institut a.a.O.).
Es ist unter Berücksichtigung des Kurvenverlaufs in Bezug auf die Altersentwicklung daher äußerst unwahrscheinlich, dass Kinder im dritten Lebensjahr ein Gewicht von 20 kg erreichen. Ein Körpergewicht von 50 kg bei einem sechsjährigen Kind bedeutete demnach die Verdopplung des durchschnittlichen Körpergewichts eines Jungen und läge mehr als 14 kg über dem Gewicht, bei welchem bei einem Jungen am siebten Geburtstag der Bereich für Adipositas beginnen würde, sodass sich dieses Kind wohl kaum noch bewegen könnte. Gerade mit Blick auf die Perzentile und den prozentualen Anteil von übergewichtigen Kindern hält es die Kammer für ausgeschlossen, dass in einem Kindergarten ausschließlich übergewichtige Kinder mit zum Teil solch erheblichen Übergewicht, wie von der Klägerin geschildert, betreut werden.
Wenig glaubhaft ist in diesem Zusammenhang auch die mehrfach erhobene Behauptung der Klägerin, sie habe diese übergewichtigen Kinder hochnehmen müssen, um sie zu trösten oder zu beruhigen. Denn der von den Kindern gewünschte Körperkontakt kann auch sitzend hergestellt werden, wenn die Kinder von der Erzieherin auf den Schoß genommen werden oder die Erzieherin sich (kniend) auf Augenhöhe zu den Kindern begibt und sie dann in den Arm nimmt.
Die Kammer hält es daher für sehr wahrscheinlich, dass die Arbeitgeber der Klägerin deutlich zu Lasten der Klägerin abweichende Angaben zu den Belastungen der Klägerin gemacht hätten. Weitere Ermittlungen seitens der Kammer waren insoweit nicht erforderlich. Denn hierauf kommt es nicht an. Selbst wenn man zugunsten der Klägerin eine ausreichenden Belastungsdosis annähme, wäre eine BK 2108 nicht anzuerkennen, da die medizinischen Voraussetzungen gleichfalls nicht vorliegen.
Weder ist bei der Klägerin nach den diesbezüglich anwendbaren Konsensempfehlungen eine bandscheibenbedingte Erkrankung i. S. d. BK 2108 nachgewiesen, noch wäre diese (bei ihrer Unterstellung) mit der für die Kausalitätsprüfung hinreichenden Wahrscheinlichkeit auf die schädigenden Einwirkungen während der Berufstätigkeit zurückzuführen.
In der medizinischen Wissenschaft ist anerkannt, dass Bandscheibenschäden und Bandscheibenvorfälle insbesondere der unteren LWS in allen Altersgruppen, sozialen Schichten und Berufsgruppen vorkommen. Sie sind von multifaktorieller Ätiologie und kommen ebenso in Berufsgruppen vor, die während ihres Arbeitslebens keiner schweren körperlichen Belastung ausgesetzt waren, wie in solchen, die schwere körperliche Arbeiten geleistet haben. Aus diesem Grund kann nicht einmal die Erfüllung der arbeitstechnischen Voraussetzungen im Sinne des MDD die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines wesentlichen Kausalzusammenhanges begründen (vgl. Merkblatt zu der BK 2108, BArbBl. 2006, S. 30 ff.). Im Hinblick auf die Schwierigkeiten der Beurteilung des Ursachenzusammenhanges bei der BK 2108 bedarf es weiterer Kriterien für die Beurteilung der beruflichen Verursachung. Diese dem aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft entsprechenden Beurteilungskriterien zu bandscheibenbedingten Berufskrankheiten der LWS sind in den sogenannten Konsensempfehlungen zur Zusammenhangsbegutachtung niedergelegt. (Zur Anwendbarkeit der Konsensempfehlungen siehe bereits oben.)
Eine bandscheibenbedingte Erkrankung i. S. d. BK 2108 setzt nach den Konsensempfehlungen den bildgebenden Nachweis eines altersuntypischen Bandscheibenschadens im Sinne einer Höhenminderung (Chondrose) und/oder einem Bandscheibenvorfall einerseits und einer korrelierenden klinischen Symptomatik andererseits voraus (vgl. Konsensempfehlungen 1.3/ 1.4 - S. 215 f. sowie zur Berechnung der Bandscheibenhöhen Anhang 3 - S. 224 ff.). Nach den Ausführungen des Sachverständigen Dr. C. ließ sich das Vollbild einer derartigen Erkrankung bei der Klägerin jedoch nicht sichern. Demnach liegt bei der Klägerin, ihre Angaben zur Arbeitsplatzbelastung als wahr unterstellt, die Konstellation A1 vor. Demnach kann das Vorliegen einer BK 2108 nicht angenommen werden.
Darüber hinaus fehlt es, wie sich aus den hilfsweise angestellten Überlegungen des Sachverständigen ergibt, an einem hinreichend wahrscheinlichen Ursachenzusammenhang zwischen den schädigenden Einwirkungen und den festgestellten morphologischen Veränderungen der Bandscheibe und an der LWS bzw. den geklagten Beschwerden. Selbst wenn eine gesicherte bandscheibenbedingte Erkrankung vorläge, was die Kammer verneint, könnte das Vorliegen einer BK 2108 nicht mit dem Erforderlichen Grad der Wahrscheinlichkeit angenommen werden. Zwar spräche es für einen Zusammenhang, dass eine Veränderung mit Chondrosegrad III im Bandscheibensegment L5/S1 vorliegt und wesentliche konkurrierende Ursachenfaktoren neben schicksalhaften Sachverhalten und der beruflichen Exposition nicht benannt werden können. Gegen eine kausale Verursachung wäre jedoch anzuführen, dass eine Begleitspondylose nicht vorliegt. Das Schadensbild der Klägerin könnte bei Vorliegen einer bandscheibenbedingten Erkrankung in die Konstellation B 2 der Konsensempfehlungen eingeordnet werden, wenn mindestens eines der in Konstellation B 2 genannten Zusatzkriterien erfüllt ist. Bei der Klägerin hat sich jedoch keines dieser Zusatzkriterien (Black disc in mindestens zwei angrenzenden Segmenten, besonders intensive Belastung, besonderes Gefährdungspotential durch hohe Belastungsspitzen) erweisen lassen, sodass letztlich die Konstellation B3 vorläge. Hinsichtlich der Beurteilung dieser Konstellation bestand bei der Kommission kein Konsens. Ein Zusammenhang ist für die Kammer mithin nicht wahrscheinlich.
Erhebliche Zweifel an den Ausführungen im Gutachten des Sachverständigen Dr. C. sind weder erkennbar, noch von der Klägerin in medizinischer Hinsicht vorgetragen worden. Soweit sie in der mündlichen Verhandlung vom 19.02.2016 die Ansicht hat vertreten lassen, das Gutachten sei nicht verwertbar, da der Sachverständige sich ausschließlich auf die von der Beklagten erstellten Konsensempfehlungen bezogen habe, ist dem aus den oben genannten Gründen nicht zu folgen. Das darauf gestützte Gesuch der Klägerin, den Sachverständigen wegen der Besorgnis der Befangenheit abzulehnen war ebenfalls nicht erfolgreich. Die Schlussfolgerungen des Sachverständigen sind nachvollziehbar und überzeugend. Der Facharzt stützt seine medizinische Einschätzung auf eine vollständige Auswertung der Akten, die umfassende Anamnese und eingehende körperliche Befunderhebung bei der Klägerin sowie Sichtung und Beurteilung der derzeit in der aktuellen medizinischen Wissenschaft vorliegenden Erkenntnisse zur Verursachung von Lendenwirbelsäulenerkrankungen durch körperliche berufliche Belastungen. Nach seiner zusammenfassenden Bewertung kommt er aufgrund der Konsensempfehlungen zu dem schlüssigen Ergebnis, dass bei der Klägerin keine BK 2108 vorliegt. Diesen Ausführungen schließt sich die Kammer nach einer umfassenden inhaltlichen Auswertung des Gutachtens an und macht sie sich zu Eigen. Diese Feststellung deckt sich im Übrigen mit den Ergebnissen des von der Beklagten eingeholten Gutachtens des Prof. Dr. B.
Weitere Ermittlungen waren nicht erforderlich. Insbesondere war der Sachverständige Dr. C. nicht zur mündlichen Erörterung seines Gutachtens nach § 118 Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. § 411 Abs. 3 ZPO zu laden, da der Antrag auf Befragung des Sachverständigen bereits nicht rechtzeitig vor der mündlichen Verhandlung gestellt worden ist, § 411 Abs. 4 S. 1 ZPO i.V.m. § 118 Abs. 1 S. 1 SGG.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
2.) Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Anerkennung einer Berufskrankheit (BK) nach Nr. 2108 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) nach dem Siebten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII).
Im März 2012 zeigte die Krankenkasse Barmer GEK der als Erzieherin tätigen Klägerin, geboren xxxxx, bei der Beklagten für die Klägerin den Verdacht einer BK 2108, 2109 oder 2110 an. Die Beklagte lehnte mit Schreiben vom 22.03.2012 die Anerkennung einer BK 2108 ab, weil die Tätigkeit als Erzieherin keine geeignete Tätigkeit im Sinne der BK 2108 sei. Mit Schreiben vom 04.04.2012 beantragte die Klägerin die Durchführung eines förmlichen Feststellungsverfahrens. In den ihr übersandten Fragebögen gab die Klägerin unter anderem an, von Juli 1989 bis heute als Erzieherin gearbeitet zu haben. Sie habe Kinder im Alter zwischen 2 und 6 Jahren heben und Wasserkästen tragen müssen. Zudem seien mehrfach Umzugs- und Renovierungsarbeiten angefallen. Vom 01.08.1984 bis 31.07.1985 war die Klägerin als Praktikantin im Anerkennungsjahr in einem Kindergarten tätig.
Die Beklagte zog Befund- und Behandlungsberichte der behandelnden Ärzte der Klägerin sowie das Vorerkrankungsverzeichnis der Krankenkasse bezüglich Wirbelsäulenerkrankungen bei und befragte die Klägerin zu den bei der Beschäftigung ausgeübten wirbelsäulebelastenden Tätigkeiten. Der Einholung von Auskünften beim Arbeitgeber widersprach die Klägerin ausdrücklich.
Unter Auswertung der Angaben der Klägerin gelangte der Präventionsdienst der Beklagten in einer Stellungnahme Arbeitsplatzexposition vom 13.08.2012 zu dem Ergebnis, dass sich für den Zeitraum Oktober 1993 bis August 2012 bzgl. der BK 2108 eine Gesamtdosis von insgesamt 9 MNh ergebe. In einer weiteren Stellungnahme Arbeitsplatzexposition der Unfallkasse Hessen für den Zeitraum August 1984 bis Juli 1985 und Juli 1989 bis September 1993 wurde eine Gesamtdosis von insgesamt 1,7 MNh festgestellt. Die Beklagte gab daraufhin ein Gutachten bei Prof. Dr. B. in Auftrag bezüglich dessen Einzelheiten auf Blatt 192ff und 210f. der Beklagtenakten Bezug genommen wird.
Mit Bescheid vom 19.03.2013 lehnte die Beklagte die Anerkennung einer BK 2108 ab. Ansprüche auf Leistungen oder Maßnahmen, die dem Entstehen der Berufskrankheit entgegenwirkten, bestünden nicht. Die bei der Klägerin anzunehmenden Hebe- und Tragebelastungen seien nicht mit Wahrscheinlichkeit als rechtlich wesentliche Ursache der bandscheibenbedingten Lendenwirbelsäulenerkrankung anzusehen. Den gegen diesen Bescheid gerichteten Widerspruch der Klägerin vom 08.04.2013 wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 08.07.2013 zurück.
Daraufhin hat die Klägerin am 08.08.2013 Klage beim Sozialgericht Darmstadt erhoben und dargelegt, sie habe bei ihrer Tätigkeit lange auf nicht rückengerechten Stühlen, mithin in extremer Rumpfbeugehaltung sitzen müssen. Dies habe die Beklagte unberücksichtigt gelassen. Das von der Klägerin eingeholte Gutachten gehe von falschen Annahmen aus und habe die Untersuchungsergebnisse einschließlich vorhandener Unterlagen und Röntgenbilder nicht ausreichend berücksichtigt. Zudem habe die Beklagte bei der Arbeitsplatzerhebung die Besonderheiten des Berufes einer Erzieherin nicht ausreichend berücksichtigt.
Die Klägerin beantragt,
1.) Den Bescheid vom 19.03.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.07.2013 - zugestellt am 09.07.2013 - aufzuheben und
2.) festzustellen, dass die Gesundheitsstörung "Erkrankung der Lendenwirbelsäule" eine Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung ist.
Der Beklagtenvertreter beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung wiederholt sie im Wesentlichen ihre Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden.
Auf Antrag der Klägerin hat die Kammer ein schriftliches Sachverständigengutachten des Sachverständigen Dr. C. vom 29.05.2015 nach § 109 SGG eingeholt. Dieser hat das Vorliegen einer BK 2108 bei der Klägerin verneint. Bezüglich des Ergebnisses der Beweisaufnahme im Einzelnen wird auf das Gutachten (Blatt 139ff. der Gerichtsakten) Bezug genommen. Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung vom 19.02.2016 beantragt, den Sachverständigen zur Erörterung seines Gutachtens zu laden.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Beratung der Kammer gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist nicht begründet.
Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 54 Abs. 2 S. 1 SGG). Sie hat keinen Anspruch auf Anerkennung einer BK 2108.
Rechtsgrundlage für die Anerkennung der begehrten BK ist § 9 Abs. 1 S. 1 SGB VII i. V. m. Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKV. Berufskrankheiten sind gem. § 9 Abs. 1 SGB VII nur diejenigen Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet (Listen-BK) und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. In der Anlage 1 zur BKV vom 31.10.1997 (BGB I, S. 2623), die sich insoweit nicht mehr geändert hat, ist die BK 2108 als "Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheiten ursächlich waren oder sein können" bezeichnet.
Die Anerkennung einer BK 2108 setzt demnach voraus, dass der Versicherte auf Grund von Verrichtungen bei einer versicherten Tätigkeit langjährig schwer gehoben und getragen bzw. in extremer Rumpfbeugehaltung gearbeitet hat und hierdurch eine bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS entstanden ist und noch besteht. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ist ein Ursachenzusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und den Verrichtungen (sachlicher Zusammenhang), diesen Verrichtungen und den schädigenden Einwirkungen (Einwirkungskausalität) und den Einwirkungen und der Erkrankung (haftungsbegründende Kausalität) erforderlich. Schließlich muss der Versicherte gezwungen gewesen sein, alle gefährdenden Tätigkeiten aufzugeben und die Aufgabe der gefährdenden Tätigkeit als Folge des Zwangs auch tatsächlich erfolgt sein. Fehlt eine dieser Voraussetzungen, liegt eine BK 2108 nicht vor (vgl. BSG Urt. v. 18.11.2008, Az. B 2 U 14/07 R, zitiert nach juris Rn. 23; Urt. v. 30.10.2007, Az. B 2 U 4/06 R, zitiert nach juris Rn. 16f.). Dass die berufsbedingte Erkrankung ggf. den Leistungsfall auslösende Folgen nach sich zieht (haftungsausfüllende Kausalität), ist hingegen keine Voraussetzung für die Anerkennung der BK, sondern lediglich für einen etwaigen, auf dieser BK beruhenden Leistungsanspruch (vgl. hierzu BSG Urt. v. 04.07.2013, Az. B 2 U 11/12 R, zitiert nach juris Rn. 12).
In beweisrechtlicher Hinsicht müssen die Tatbestandsmerkmale "versicherte Tätigkeit", "Verrichtung", "Einwirkungen" und "Krankheit" im Sinne des Vollbeweises, also mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit, vorliegen. Hingegen genügt für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit (vgl. z.B. BSG Urt. v. 04.07.2013, Az. B 2 U 11/12 R Rn. 12; Urt. v. 27.06.2006, Az. B 2 U 20/04 R, zitiert nach juris Rn. 15; Urt. v. 09.05.2006, Az. B 2 U 1/05 R, zitiert nach juris Rn. 20). Um eine hinreichende Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges zu bejahen, muss sich unter Würdigung des Beweisergebnisses ein solcher Grad von Wahrscheinlichkeit ergeben, das ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Möglichkeit ausscheiden und nach der geltenden ärztlichen wissenschaftlichen Lehrmeinung deutlich mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht (vgl. z.B. BSG Urt. v. 12.09.2012, Az. B 3 KR 10/12 R, zitiert nach juris Rn. 47 m.w.N.; Urt. v. 09.05.2006, Az. B 2 U 1/05 R, zitiert nach juris Rn. 20 m.w.N.; Beschl. v. 08.08.2001, Az. B 9 V 23/01 R, zitiert nach juris Rn. 4 m.w.N.).
Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt. Zwar ist die Klägerin bei ihrer versicherten beruflichen Tätigkeit schädigenden Einwirkungen ausgesetzt gewesen. Die Kammer hegt insoweit jedoch bereits erhebliche Zweifel, ob das Ausmaß dieser Einwirkungen die sog. "arbeitstechnischen Voraussetzungen" dieser BK erfüllt. Soweit die Klägerin meint, die Beklagte habe ihre Tätigkeiten in extremer Rumpfbeuge nicht berücksichtigt, vermag die Kammer dem nicht zu folgen. Hierzu hat die Klägerin ausgeführt, sie habe bei ihrer Tätigkeit lange auf nicht rückengerechten Stühlen, mithin in extremer Rumpfbeugehaltung sitzen müssen. Diese Tätigkeit entspricht jedoch nicht der Belastungsanforderung in Tabelle 16 der sogenannten Konsensempfehlungen zur Zusammenhangsbegutachtung (vgl. Bolm-Audorff u.a., Medizinische Beurteilungskriterien zu bandscheibenbedingten Berufskrankheiten der Lendenwirbelsäule, Trauma und Berufskrankheit Heft 3/2005, Springer Medizin Verlag, S. 211ff.). Die Konsensempfehlungen stellen den aktuellen Stand der nationalen und internationalen Diskussion zur Verursachung von Lendenwirbelsäulenerkrankungen durch körperliche berufliche Belastungen dar (vgl. dazu z.B. LSG Hessen Urt. v. 07.04.2014, Az. L 9 U 121/11, zitiert nach juris Rn. 34; Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 04. Mai 2015, Az. L 4 U 262/13, zitiert nach juris Rn. 29 m.w.N.; vgl. zur Anwendung der Konsensempfehlungen auch BSG Urt. v. 27.10.2009, Az. B 2 U 16/08 R, zitiert nach juris Rn. 15 und Urt. v. 27.06.2006, Az. B 2 U 13/05 R, zitiert nach juris Rn. 12, 14). Ein neuerer, von den Konsensempfehlungen abweichender Stand der wissenschaftlichen Diskussion, d. h. eine neuere wissenschaftlich geprägte Mehrheitsmeinung (vgl. BSG Urt. v. 27.06.2006 - B 2 U 13/05 R - juris Rn. 16) zu den bandscheibenbedingten Erkrankungen der LWS ist weder vom Sachverständigen benannt worden noch der Kammer aus anderen Verfahren bekannt. Die Kammer geht daher davon aus, dass die Konsensempfehlungen nach wie vor zur Beurteilung von Bandscheibenschäden und deren beruflicher Verursachung anzuwenden sind. Demnach ist der Belastung "Beugen" eine Vorneigung des Oberkörpers gegenüber der aufrechten Haltung um etwa 20 bis 50 Grad im Stehen, Sitzen, Knien oder Hocken zugeordnet. Derartige Arbeiten im Bücken ohne Abstützung des Oberkörpers sind geeignet, Rückenschmerzen auszulösen oder zu verstärken, wenn sie ununterbrochen längere Zeit in der Arbeitsschicht oder vielfach wiederholt ausgeübt werden. Das einfache Sitzen auf kleinen Stühlen erfüllt diese Anforderung bereits deshalb nicht, weil nicht ersichtlich ist, inwieweit damit eine vorgebeugte Haltung verbunden ist. Zudem erfordert die Tätigkeit einer Erzieherin für gewöhnlich das Sitzen auf kleinen Stühlen nur während der Mahlzeiten oder bei Bastelarbeiten o.ä., also nicht ununterbrochen längere Zeit in der Arbeitsschicht oder vielfach wiederholt. Eine entsprechende Dauer oder Häufigkeit ist aus dem Vortrag der Klägerin nicht einmal ansatzweise ersichtlich. Insoweit kann auch nicht außer Acht gelassen werden, dass in einer Kindergartengruppe zumindest zwei ErzieherInnen Aufsicht führen, wobei einzelne Beschäftigungsangebote jeweils von einer Person – nicht unbedingt dauerhaft – betreut werden.
Weiterhin ist auszuführen, dass die Berechnungen der Beklagten zu den arbeitstechnischen Voraussetzungen einzig auf den Angaben der Klägerin beruhen. Ihre Behauptung alle von ihr betreuten Kinder seien übergewichtig gewesen und hätten zwischen 20 bis 50 kg gewogen, verwundert bereits angesichts des Umstandes, dass Kinder von ihren Erzieherinnen normalerweise nicht gewogen werden, sodass derart genaue Gewichtsangaben nicht zu erwarten sind. Sie stehen zudem nicht nur eindeutig im Widerspruch zu den von der Beklagten herangezogenen Normwertgrenztabellen bei Kindern und Jugendlichen. Sie sind auch nicht mit den Werten zu vereinbaren, welche sich aus den in der Kinder- und Jugendmedizin gebräuchlichen Perzentilwerten und kurven ergeben, wie sie sich beispielsweise in jedem gelben Kinder-Untersuchungsheft "Gelbes Heft" des Gemeinsamen Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen (U-Heft) finden; ebenso wenig mit den Angaben aktueller Studien zur Häufigkeit von Übergewicht bei Kindern. Um das Gewicht eines Kindes zu bewerten, wird bei Kindern ab dem Kindergartenalter der individuelle BodyMassIndex (BMI)-Wert mit einer Referenzpopulation verglichen. Derzeit sind etwa 8,7% aller Kinder und Jugendlichen übergewichtig (über 90. bis 97. Perzentile) und 6,3% adipös (über der 97. Perzentile), insgesamt 15%; wobei die Zahlen seit den 80iger-Jahren angestiegen sind (Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, Qualitätskriterien für Maßnahmen der Gesundheitsförderung und Primärprävention von Übergewicht bei Kindern und Jugendlichen; Reihe Gesundheitsförderung konkret Band 13, 2010, S. 17ff.). Zur Bestimmung werden entweder die Kurven von Kromeyer-Hauschild (Kromeyer-Hauschild K, Wabitsch M, Kunze D et al. [2001] Perzentile für den Body-mass-Index für das Kindes- und Jugendalter unter Heranziehung verschiedener deutscher Stichproben, Monatsschrift Kinderheilkunde 149: 807–818) oder diejenigen des Robert Koch-Instituts (Robert Koch-Institut, erweiterte Neuauflage 2013, Referenzperzentile für anthropometrische Messzahlen und Blutdruck aus der Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland [KiGGS] 2003-2006; http://www.rki.de/DE/ Content/Gesundheitsmonitoring/Gesundheitsberichterstattung/GBEDownloadsB/referenzperzentile/gewicht.pdf? blob=publicationFile) herangezogen, wobei die Kammer letzterer aus den dort dargelegten Gründen den Vorzug gibt. Demnach beginnt Übergewicht bei einem 24 Monate alten Jungen bei 14,7 kg Körpergewicht, Adipositas über 15,8 kg. Das mediane Gewicht beträgt 12,7kg. Bei sechsjährigen Jungen beginnt Übergewicht bei einem Körpergewicht von 26,4 kg, Adipositas über 29,6kg. Das mediane Gewicht beträgt 24,6kg. Übergewichtige 24 Monate alten Mädchen wiegen über 13,9kg, adipöse über 15kg. Das mediane Gewicht beträgt 12 kg. Bei den sechsjährigen Mädchen beginnt Übergewicht bei 26,2kg, Adipositas über 29,5 kg. Das mediane Gewicht beträgt 21,4 kg (Robert Koch-Institut a.a.O.).
Es ist unter Berücksichtigung des Kurvenverlaufs in Bezug auf die Altersentwicklung daher äußerst unwahrscheinlich, dass Kinder im dritten Lebensjahr ein Gewicht von 20 kg erreichen. Ein Körpergewicht von 50 kg bei einem sechsjährigen Kind bedeutete demnach die Verdopplung des durchschnittlichen Körpergewichts eines Jungen und läge mehr als 14 kg über dem Gewicht, bei welchem bei einem Jungen am siebten Geburtstag der Bereich für Adipositas beginnen würde, sodass sich dieses Kind wohl kaum noch bewegen könnte. Gerade mit Blick auf die Perzentile und den prozentualen Anteil von übergewichtigen Kindern hält es die Kammer für ausgeschlossen, dass in einem Kindergarten ausschließlich übergewichtige Kinder mit zum Teil solch erheblichen Übergewicht, wie von der Klägerin geschildert, betreut werden.
Wenig glaubhaft ist in diesem Zusammenhang auch die mehrfach erhobene Behauptung der Klägerin, sie habe diese übergewichtigen Kinder hochnehmen müssen, um sie zu trösten oder zu beruhigen. Denn der von den Kindern gewünschte Körperkontakt kann auch sitzend hergestellt werden, wenn die Kinder von der Erzieherin auf den Schoß genommen werden oder die Erzieherin sich (kniend) auf Augenhöhe zu den Kindern begibt und sie dann in den Arm nimmt.
Die Kammer hält es daher für sehr wahrscheinlich, dass die Arbeitgeber der Klägerin deutlich zu Lasten der Klägerin abweichende Angaben zu den Belastungen der Klägerin gemacht hätten. Weitere Ermittlungen seitens der Kammer waren insoweit nicht erforderlich. Denn hierauf kommt es nicht an. Selbst wenn man zugunsten der Klägerin eine ausreichenden Belastungsdosis annähme, wäre eine BK 2108 nicht anzuerkennen, da die medizinischen Voraussetzungen gleichfalls nicht vorliegen.
Weder ist bei der Klägerin nach den diesbezüglich anwendbaren Konsensempfehlungen eine bandscheibenbedingte Erkrankung i. S. d. BK 2108 nachgewiesen, noch wäre diese (bei ihrer Unterstellung) mit der für die Kausalitätsprüfung hinreichenden Wahrscheinlichkeit auf die schädigenden Einwirkungen während der Berufstätigkeit zurückzuführen.
In der medizinischen Wissenschaft ist anerkannt, dass Bandscheibenschäden und Bandscheibenvorfälle insbesondere der unteren LWS in allen Altersgruppen, sozialen Schichten und Berufsgruppen vorkommen. Sie sind von multifaktorieller Ätiologie und kommen ebenso in Berufsgruppen vor, die während ihres Arbeitslebens keiner schweren körperlichen Belastung ausgesetzt waren, wie in solchen, die schwere körperliche Arbeiten geleistet haben. Aus diesem Grund kann nicht einmal die Erfüllung der arbeitstechnischen Voraussetzungen im Sinne des MDD die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines wesentlichen Kausalzusammenhanges begründen (vgl. Merkblatt zu der BK 2108, BArbBl. 2006, S. 30 ff.). Im Hinblick auf die Schwierigkeiten der Beurteilung des Ursachenzusammenhanges bei der BK 2108 bedarf es weiterer Kriterien für die Beurteilung der beruflichen Verursachung. Diese dem aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft entsprechenden Beurteilungskriterien zu bandscheibenbedingten Berufskrankheiten der LWS sind in den sogenannten Konsensempfehlungen zur Zusammenhangsbegutachtung niedergelegt. (Zur Anwendbarkeit der Konsensempfehlungen siehe bereits oben.)
Eine bandscheibenbedingte Erkrankung i. S. d. BK 2108 setzt nach den Konsensempfehlungen den bildgebenden Nachweis eines altersuntypischen Bandscheibenschadens im Sinne einer Höhenminderung (Chondrose) und/oder einem Bandscheibenvorfall einerseits und einer korrelierenden klinischen Symptomatik andererseits voraus (vgl. Konsensempfehlungen 1.3/ 1.4 - S. 215 f. sowie zur Berechnung der Bandscheibenhöhen Anhang 3 - S. 224 ff.). Nach den Ausführungen des Sachverständigen Dr. C. ließ sich das Vollbild einer derartigen Erkrankung bei der Klägerin jedoch nicht sichern. Demnach liegt bei der Klägerin, ihre Angaben zur Arbeitsplatzbelastung als wahr unterstellt, die Konstellation A1 vor. Demnach kann das Vorliegen einer BK 2108 nicht angenommen werden.
Darüber hinaus fehlt es, wie sich aus den hilfsweise angestellten Überlegungen des Sachverständigen ergibt, an einem hinreichend wahrscheinlichen Ursachenzusammenhang zwischen den schädigenden Einwirkungen und den festgestellten morphologischen Veränderungen der Bandscheibe und an der LWS bzw. den geklagten Beschwerden. Selbst wenn eine gesicherte bandscheibenbedingte Erkrankung vorläge, was die Kammer verneint, könnte das Vorliegen einer BK 2108 nicht mit dem Erforderlichen Grad der Wahrscheinlichkeit angenommen werden. Zwar spräche es für einen Zusammenhang, dass eine Veränderung mit Chondrosegrad III im Bandscheibensegment L5/S1 vorliegt und wesentliche konkurrierende Ursachenfaktoren neben schicksalhaften Sachverhalten und der beruflichen Exposition nicht benannt werden können. Gegen eine kausale Verursachung wäre jedoch anzuführen, dass eine Begleitspondylose nicht vorliegt. Das Schadensbild der Klägerin könnte bei Vorliegen einer bandscheibenbedingten Erkrankung in die Konstellation B 2 der Konsensempfehlungen eingeordnet werden, wenn mindestens eines der in Konstellation B 2 genannten Zusatzkriterien erfüllt ist. Bei der Klägerin hat sich jedoch keines dieser Zusatzkriterien (Black disc in mindestens zwei angrenzenden Segmenten, besonders intensive Belastung, besonderes Gefährdungspotential durch hohe Belastungsspitzen) erweisen lassen, sodass letztlich die Konstellation B3 vorläge. Hinsichtlich der Beurteilung dieser Konstellation bestand bei der Kommission kein Konsens. Ein Zusammenhang ist für die Kammer mithin nicht wahrscheinlich.
Erhebliche Zweifel an den Ausführungen im Gutachten des Sachverständigen Dr. C. sind weder erkennbar, noch von der Klägerin in medizinischer Hinsicht vorgetragen worden. Soweit sie in der mündlichen Verhandlung vom 19.02.2016 die Ansicht hat vertreten lassen, das Gutachten sei nicht verwertbar, da der Sachverständige sich ausschließlich auf die von der Beklagten erstellten Konsensempfehlungen bezogen habe, ist dem aus den oben genannten Gründen nicht zu folgen. Das darauf gestützte Gesuch der Klägerin, den Sachverständigen wegen der Besorgnis der Befangenheit abzulehnen war ebenfalls nicht erfolgreich. Die Schlussfolgerungen des Sachverständigen sind nachvollziehbar und überzeugend. Der Facharzt stützt seine medizinische Einschätzung auf eine vollständige Auswertung der Akten, die umfassende Anamnese und eingehende körperliche Befunderhebung bei der Klägerin sowie Sichtung und Beurteilung der derzeit in der aktuellen medizinischen Wissenschaft vorliegenden Erkenntnisse zur Verursachung von Lendenwirbelsäulenerkrankungen durch körperliche berufliche Belastungen. Nach seiner zusammenfassenden Bewertung kommt er aufgrund der Konsensempfehlungen zu dem schlüssigen Ergebnis, dass bei der Klägerin keine BK 2108 vorliegt. Diesen Ausführungen schließt sich die Kammer nach einer umfassenden inhaltlichen Auswertung des Gutachtens an und macht sie sich zu Eigen. Diese Feststellung deckt sich im Übrigen mit den Ergebnissen des von der Beklagten eingeholten Gutachtens des Prof. Dr. B.
Weitere Ermittlungen waren nicht erforderlich. Insbesondere war der Sachverständige Dr. C. nicht zur mündlichen Erörterung seines Gutachtens nach § 118 Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. § 411 Abs. 3 ZPO zu laden, da der Antrag auf Befragung des Sachverständigen bereits nicht rechtzeitig vor der mündlichen Verhandlung gestellt worden ist, § 411 Abs. 4 S. 1 ZPO i.V.m. § 118 Abs. 1 S. 1 SGG.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
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