S 53 AS 2006/09

Land
Hamburg
Sozialgericht
SG Hamburg (HAM)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
53
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 53 AS 2006/09
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid
1. Der Bescheid vom 17.02.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 02.04.2009 wird aufgehoben. Der Beklagte wird verpflichtet, den Klägern unter Abänderung der Bescheide vom 08.12.2005, 19.04.2006, 02.10.2006, 19.04.2007, 02.06.2007, 26.09.2007, 03.04.2008, 18.05.2008, 02.09.2008, 20.10.2008 und 17.11.2008 für den Zeitraum 16.12.2005 bis 31.12.2008 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ohne Berücksichtigung eines Einkommens des Klägers zu 3) aus Unterhaltsvorschuss zu gewähren. 2. Der Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Kläger.

Tatbestand:

Die Kläger begehren im Rahmen eines Überprüfungsantrags höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) für den Zeitraum 16.12.2005 – 31.12.2008.

Am 06.10.2005 beantragte die Klägerin zu 1) für sich und die übrigen Kläger bei dem Beklagten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Im Rahmen des Antragsverfahrens legte sie ein Schreiben des Bezirksamts Hamburg-M., Jugendamt, vom 20.10.2005 vor, in dem das Jugendamt bestätigte, dass für die Kläger zu 3) und 4) Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz beantragt worden waren. Der Beklagte werde um Vorleistung und Übersendung eines Erstattungsanspruchs gebeten.

Mit Bescheid vom 08.12.2005 bewilligte der Beklagte den Klägern als Bedarfsgemeinschaft Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für den Zeitraum 01.11.2005 bis 30.04.2006. Bei der Leistungsberechnung wurde als Einkommen der Kläger zu 3) und 4) (neben dem Kindergeld) jeweils 127,- EUR Unterhaltsvorschuss berücksichtigt. Mit Schreiben vom 08.12.2005 teilte der Beklagte dem Bezirksamt Hamburg-M., Jugendamt, mit, dass die Leistungen für die Kläger unter Anrechnung der Sätze nach dem Unterhaltsvorschussgesetz (2 x 127,00 Euro) gezahlt werden, weshalb kein Erstattungsanspruch geltend gemacht werde.

Weitere Bescheide über die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II bzw. über die Änderung von Leistungsbewilligungen ergingen am 23.03.2006 (Bewilligungszeitraum 06.10.2005 – 31.10.2005), 19.04.2006 (Bewilligungszeitraum 01.05.2006 – 31.10.2006), 02.10.2006 (Bewilligungszeitraum 01.11.2006 – 31.03.2007), 19.04.2007 (Bewilligungszeitraum 01.04.2007 – 30.09.2007), 02.06.2007 (Bewilligungszeitraum 01.07.2007 – 30.09.2007), 26.09.2007 (zwei Bescheide, Bewilligungszeitraum 01.09.2007 – 30.09.2007 und 01.10.2007 – 31.03.2008), 03.04.2008 (Bewilligungszeitraum 01.04.2008 – 30.09.2008), 18.05.2008 (Bewilligungszeitraum 01.07.2008 – 30.09.2008), 02.09.2008 (Bewilligungszeitraum 01.10.2008 – 31.03.2009), 20.10.2008 (zwei Bescheide, Bewilligungszeitraum 01.09.2008 – 30.09.2008 und 01.10.2008 – 31.03.2009) und 17.11.2008 (zwei Bescheide, Bewilligungszeitraum 01.07.2008 – 30.09.2008 und 01.11.2008 – 31.03.2009). Stets wurde als Einkommen des Klägers zu 3) ein Unterhaltsvorschuss in Höhe von 127,- EUR bzw. ab 01.09.2007 in Höhe von 125,- EUR und ab 01.11.2007 in Höhe von 168,- EUR berücksichtigt.

Am 25.11.2008 teilte die Klägerin zu 1) dem Beklagten telefonisch mit, dass sie seit ca. zwei Jahren keinen Unterhaltsvorschuss für den Kläger zu 3) mehr erhalte. Sie reichte ferner einen Einstellungsbescheid des Bezirksamts Hamburg-M., Jugendamt, vom 20.12.2005 ein. Mit diesem Bescheid wurden die Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz für den Kläger zu 3) ab dem 16.12.2005 eingestellt, da der Zeitraum von 72 Monaten, für den die Unterhaltsvorschussleistungen längstens gewährt werden, zu diesem Datum erreicht sei.

Mit Änderungsbescheid vom 11.12.2008 bewilligte der Beklagte den Klägern Leistungen für den Zeitraum 01.01.2009 – 31.03.2009 ohne Berücksichtigung eines Unterhaltsvorschusses als Einkommen des Klägers zu 3).

Am 02.02.2009 beantragte die Klägerin zu 1) bei dem Beklagten für den Zeitraum Dezember 2005 bis Dezember 2008 die rückwirkende Gewährung der Differenzbeträge, die sich durch die irrtümliche Anrechnung des nicht gezahlten Unterhaltsvorschusses für den Kläger zu 3) ergeben.

Mit Bescheid vom 17.02.2009 lehnte der Beklagte den Antrag auf Überprüfung ab. Die Bewilligungsbescheide seien nicht zu beanstanden. Da weder das Recht unrichtig angewandt noch von einem falschen Sachverhalt ausgegangen worden sei, müsse es bei der bisherigen Entscheidung verbleiben. Der in der Leistungsakte abgeheftete Ausdruck dieses Bescheids lässt nicht erkennen, wann der Bescheid abgesandt wurde. Er trägt keinen "Ab"-Vermerk, auch sonstige Hinweise auf das Datum der Aufgabe zur Post finden sich nicht.

Mit Schreiben vom 13.03.2009, bei dem Beklagten am 26.03.2009 abgegeben, erhob die Klägerin zu 1) Widerspruch gegen den Bescheid vom 17.02.2009.

Am 02.04.2009 wies der Beklagte den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid zurück. Der Widerspruch sei unzulässig, da er nicht innerhalb der Monatsfrist nach Bekanntgabe des Bescheids vom 17.02.2009 erhoben worden sei.

Ausweislich eines Computervermerks des Beklagten hat die Klägerin zu 1) am 10.07.2009 beim Beklagten nach dem Bearbeitungsstand des Widerspruchs vom 26.03.2009 gefragt. In einem persönlichen Termin am 13.07.2009 wurde der Klägerin zu 1) eine Kopie des Widerspruchsbescheids ausgehändigt.

Am 15.07.2009 hat die Klägerin zu 1) Klage erhoben. Sie sei der Auffassung, dass sie ihren Widerspruch fristgerecht eingereicht habe.

Die Kläger beantragen, den Bescheid vom 17.02.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 02.04.2009 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, ihnen unter Abänderung der entgegenstehenden Bescheide für den Zeitraum 16.12.2005 bis 31.12.2008 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ohne Berücksichtigung eines Einkommens des Klägers zu 3) aus Unterhaltsvorschuss zu gewähren.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Er beruft sich auf den Inhalt des Widerspruchsbescheids vom 02.04.2009.

Zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts hat das Gericht die Verwaltungsakte des Beklagten beigezogen und am 28.02.2011 einen Termin zur Erörterung des Sachverhalts durchgeführt. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakte und die beigezogene Akte verwiesen, die bei der Entscheidung vorgelegen haben.

Entscheidungsgründe:

1. Das Gericht kann gemäß § 105 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (im Folgenden: SGG) ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist, der Sachverhalt geklärt ist und die Beteiligten Gelegenheit hatten, hierzu und zur Sache Stellung zu nehmen.

2. Auch wenn die Klage zunächst nur von der Klägerin zu 1) erhoben worden war, so war doch bei verständiger Würdigung des Rechtsschutzziels davon auszugehen, dass diese dabei nicht nur in eigenem Namen, sondern auch im Namen der übrigen Kläger gehandelt hat. Die Kläger bildeten bei Klageerhebung und bilden noch heute eine Bedarfsgemeinschaft. Da Leistungen nach dem SGB II nicht der Bedarfsgemeinschaft als solcher zu gewähren sind, sondern jedes Mitglied der Bedarfsgemeinschaft einen individuellen Leistungsanspruch hat, können die für die Bedarfsgemeinschaft höchstmöglichen Leistungen nur dann erreicht werden, wenn alle Mitglieder ihre Ansprüche geltend machen (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 7.11.2006, Az: B 7b AS 8/06 R). Vorliegend wird die Anrechnung von Einkommen aus Unterhaltsvorschuss des Klägers zu 3) gerügt. Die Klägerin zu 1) hatte in Teilen des streitgegenständlichen Zeitraums Einkommen, das auf die Bedarfe aller Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft angerechnet wurde. Diese Einkommensanrechnung verschiebt sich, wenn bei dem Kläger zu 3) ein niedrigeres eigenes Einkommen zu berücksichtigen ist. Folglich sind von einer rückwirkenden Korrektur der Berücksichtigung des Unterhaltsvorschusses des Klägers zu 3) alle Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft betroffen. Daher war davon auszugehen, dass alle Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft Klage erheben wollten und dass die Klägerin zu 1) bei Klagerhebung sowohl für sich selbst als auch in ihrer Eigenschaft als gesetzliche Vertreterin der übrigen minderjährigen Kläger handelte. Entsprechendes gilt für den Überprüfungsantrag sowie den Widerspruch.

3. Die Klage ist zulässig. Sie ist insbesondere innerhalb der Klagfrist von einem Monat nach Bekanntgabe des Widerspruchsbescheids (§ 87 Sozialgerichtsgesetz – SGG) erhoben. Der Widerspruchsbescheid ist der Klägerin zu 1) am 13.07.2009 durch Aushändigung einer Kopie bekanntgegeben worden. Eine Bekanntgabe bereits zu einem früheren Zeitpunkt lässt sich nicht feststellen. Zwar datiert der Widerspruchsbescheid bereits vom 02.04.2009. Die in der Leistungsakte abgeheftete Kopie trägt auch den unterzeichneten Vermerk "abgesandt am: 02. Apr. 2009". Hierdurch ist jedoch nicht nachgewiesen, dass der an diesem Datum abgesandte Widerspruchsbescheid den Klägern auch zugegangen ist. Ein Nachweis für einen Zugang bei den Klägern vor dem 13.07.2009 liegt nicht vor. Bestehen Zweifel am Zugang eines Verwaltungsakts, so hat diesen die Behörde nachzuweisen, § 37 Abs. 2 Satz 3 des Zehnten Buchs Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) (vgl. hierzu auch BSG, Urteil vom 26.07.2007, B 13 R 4/06 R). Zweifel in diesem Sinne bestehen aber schon dann, wenn der Adressat den Zugang schlicht bestreitet, da ein substantiiertes Bestreiten oder gar der Nachweis des Nichtzugangs in aller Regel nicht möglich ist (vgl. BSG aaO). Die Klägerin zu 1) hat im Erörterungstermin vom 28.02.2011 mitgeteilt, dass sie den Widerspruchsbescheid erst mit der Aushändigung der Kopie am 13.07.2009 erhalten hat. Das Gericht sieht keinen Anlass, an der Glaubhaftigkeit dieser Angabe zu zweifeln. Diese Aussage deckt sich auch mit der in einem Computervermerk des Beklagten dokumentierten Anfrage der Klägerin zu 1) vom 10.07.2009 nach dem Bearbeitungsstand des Widerspruchsverfahrens. War der Widerspruchsbescheid den Klägern daher erst mit Aushändigung der Kopie am 13.07.2009 bekannt gegeben worden, so ist die am 15.07.2009 erhobene Klage fristgemäß.

Es ist auch ein ordnungsgemäßes Widerspruchsverfahren durchgeführt worden. Insbesondere war auch der Widerspruch nicht verfristet. Gemäß § 84 Abs. 1 SGG ist der Widerspruch binnen eines Monats nachdem der Verwaltungsakt dem Beschwerten bekanntgegeben worden ist, zu erheben. Der angefochtene Bescheid trägt das Datum 17.02.2009. Ein Nachweis für den Zugang bei den Klägern liegt nicht vor. Der Bescheid trägt auch – anders als der Widerspruchsbescheid – keinen "Ab"-Vermerk, auch sonst finden sich keine Anhaltspunkte für das Datum der Aufgabe zur Post. Daher kann die Zugangsfiktion des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X hier keine Anwendung finden. Nach dieser Norm gilt ein schriftlicher Verwaltungsakt, der im Inland durch die Post übermittelt wird, am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Die Zugangsfiktion kann jedoch nur eintreten, wenn der Tag der Aufgabe zur Post festgestellt werden kann (vgl. BSG, Urteil vom 03.03.2009, B 4 AS 37/08 R). Das ist vorliegend gerade nicht der Fall. Die Klägerin zu 1) hat in dem Erörterungstermin am 28.02.2011 angegeben, dass sie den Bescheid vom 17.02.2009 bekommen habe, sich aber nicht mehr erinnern könne, wann das gewesen sei. Der Bescheid muss ihr spätestens am 13.03.2009 bekannt gewesen sein, denn dieses Datum trägt das Widerspruchsschreiben, das erst am 26.03.2009 bei dem Beklagten abgegeben wurde. Auch daraus ergibt sich jedoch nicht, zu welchem genauen Zeitpunkt an oder vor dem 13.03.2009 der Bescheid zugegangen ist. Nach § 37 Abs. 2 Satz 3 SGB X hat im Zweifel die Behörde den Zugang des Verwaltungsaktes und den Zeitpunkt des Zugangs nachzuweisen. Das ist hier nicht gelungen. Folglich kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Widerspruchsfrist bei Einlegung des Widerspruchs am 26.03.2009 bereits abgelaufen war.

4. Die Klage ist auch begründet. Der angefochtene Verwaltungsakt ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten, § 54 Abs. 2 SGG. Die Kläger haben einen Anspruch darauf, dass der Beklagte die ursprünglichen Bewilligungsbescheide bezüglich der Anrechnung eines Einkommens des Klägers zu 3) aus Unterhaltsvorschuss korrigiert.

Für den Bewilligungsbescheid vom 08.12.2005, mit dem Leistungen für den Zeitraum 01.11.2005 – 30.04.2006 bewilligt wurden, stützt sich der Anspruch der Kläger auf § 48 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 1 SGB X iVm § 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II und § 330 Abs. 3 Satz 1 des Dritten Buchs Sozialgesetzbuch – Arbeitsförderung (SGB III). Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 1 SGB X soll ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass des Verwaltungsakts vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt und diese Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt.

Der Bewilligungsbescheid vom 08.12.2005 ist ein Bescheid mit Dauerwirkung (zur Dauerwirkung von Bewilligungsbescheiden siehe Schütze, in: von Wulffen, SGB X, 7. Auflage 2010, § 45 Rn. 66). Nach Erlass dieses Bescheids ist eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen eingetreten. Während bei Erlass des Bewilligungsbescheids vom 08.12.2005 der Kläger zu 3) noch Einkommen in Form von Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz erhielt, fiel diese Einkommen mit der Einstellung der Unterhaltsvorschussleistungen ab dem 16.12.2005 weg. Diese Änderung war wesentlich und erfolgte auch zugunsten der Kläger, da sie mit den neuen Einkommensverhältnissen einen Anspruch auf höhere Leistungen nach dem SGB II hatten.

Dem Beklagten kommt kein Ermessen hinsichtlich der Aufhebung für den in der Vergangenheit liegenden Zeitraum zu. Denn gemäß § 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II iVm § 330 Abs. 3 Satz 1 SGB III ist in den Fällen, in denen die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X vorliegen, der Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse – hier also mit Wirkung ab 16.12.2005 – aufzuheben.

Hinsichtlich der Bewilligungs- bzw. Änderungsbescheide vom 19.04.2006, 02.10.2006, 19.04.2007, 02.06.2007, 26.09.2007, 03.04.2008, 18.05.2008, 02.09.2008, 20.10.2008 und 17.11.2008, die Leistungen für den Zeitraum 01.04.2007 – 31.03.2009 betreffen, ergibt sich der Anspruch auf Berichtigung aus § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Diese Vorschrift ist auch im Bereich des SGB II uneingeschränkt anwendbar (BSG, Urteil vom 01.06.2010, B 4 AS 78/09 R). Danach ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind.

Vorliegend ging der Beklagte bei Erlass der genannten Bescheide davon aus, dass der Kläger zu 3) weiterhin und laufend Leistungen nach dem Unterhaltsvorschuss erhielt. Dies war tatsächlich jedoch nicht der Fall. Infolge dessen wurden auch Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht, denn bei Nichtanrechnung der Unterhaltsvorschussleistungen als Einkommen ergibt sich ein höherer Leistungsanspruch der Kläger.

Der Anspruch der Kläger auf rückwirkende Bewilligung höherer Leistungen ist auch nicht nach § 44 Abs. 1 Satz 2 SGB X ausgeschlossen. Denn vorliegend beruhten die Bewilligungs- und Änderungsbescheide nicht auf Angaben, die die Kläger vorsätzlich in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht haben. Dabei ist zunächst zu berücksichtigen, dass nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 31.05.1988, 2/9b RU 8/87) ein schuldhaftes Unterlassen des Betroffenen hierfür nicht ausreicht. Der Gesetzeswortlaut erfordert vielmehr ein positives Tun. Es genügt also nicht, dass die Kläger die Einstellung der Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz dem Beklagten nicht mitgeteilt haben. Auch die Tatsache, dass die Klägerin ihren zwischenzeitlich gestellten Weiterbewilligungsanträgen bei der Frage nach Änderungen in ihren wirtschaftlichen Verhältnissen das Feld "Keine Änderungen" angekreuzt haben, führt nicht zu einem Ausschluss ihres Berichtigungsanspruchs. Es erscheint bereits zweifelhaft, ob hierin eine über ein bloßes Unterlassen einer entsprechenden Änderungsmitteilung hinausgehende Handlung zu sehen ist. Letztlich kann dies aber dahingestellt bleiben. Denn die Kläger hatten dem Beklagten auch nie positiv mitgeteilt, dass der Kläger zu 3) Einkommen aus Unterhaltsvorschussleistungen hat. Sie hatten lediglich im Rahmen des Antragsverfahrens ein Schreiben des Jugendamts vorgelegt, in dem dieses bestätigte, dass für die Kläger zu 3) und 4) Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz beantragt worden waren. Bereits auf diese Mitteilung hin und ohne eine tatsächliche Bescheidung durch das Jugendamt abzuwarten, hatte der Beklagte ein entsprechendes Einkommen der Kläger zu 3) und 4) angerechnet. Insoweit waren die Angaben der Kläger allenfalls von vornherein unvollständig, da die letztlich getroffene Entscheidung des Jugendamtes noch nicht vorlag. Außerdem hatte das Jugendamt in der Bescheinigung über die Beantragung der Unterhaltsvorschussleistungen den Beklagten um Vorleistung und Übersendung eines Erstattungsanspruchs gebeten. Die Kläger konnten also zunächst ausgehen, dass der Beklagte und das Jugendamt die Frage der Berücksichtigung der Unterhaltsvorschussleistungen unter sich klären würden. Im Übrigen dürfte es jedenfalls an einem Vorsatz der Kläger bezüglich einer falschen bzw. unvollständigen Angabe – die noch dazu zu ihren Ungunsten wirkte – fehlen. Die Kläger mögen vorliegend grob fahrlässig gehandelt haben, indem sie trotz der ausdrücklichen Erwähnung des Einkommens aus Unterhaltsvorschussleistungen des Klägers zu 3) in den Bewilligungsbescheiden den Beklagten nicht auf deren Einstellung hinwiesen. Dies reicht jedoch nicht aus, um einen rückwirkenden Berichtigungsanspruch entfallen zu lassen.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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