S 3 KA 221/10 ER

Land
Hamburg
Sozialgericht
SG Hamburg (HAM)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
3
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 3 KA 221/10 ER
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
1. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt. 2. Die Antragstellerin zu 1 und die Antragssteller zu 2 tragen die Kosten des Verfahrens jeweils zur Hälfte, wobei den Antragstellern zu 2 ihre Kosten als Gesamtschuldner auferlegt werden. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.

Gründe:

Die Antragsteller begehren im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes, ihnen die gemeinsame Ausübung vertragsärztlicher Tätigkeit ab dem 1. Januar 2011 zu genehmigen, hilfsweise die Verpflichtung der Antragsgegner, ihnen eine solche Genehmigung zu erteilen.

I. Der gegen den Antragsgegner zu 1 gerichtete Eilantrag ist mangels Rechtsschutzbedürfnis unzulässig. Ihm gegenüber besteht kein Bedürfnis für den Erlass einer einstweiligen Anordnung. Richtiger Antragsgegner ist grundsätzlich die Stelle, die die begehrte Verwaltungsentscheidung zu treffen hat. Dies ist bereits im Zeitpunkt des Eingangs des Eilantrags bei Gericht der Antragsgegner zu 2 gewesen. Zwar ist gemäß § 33 Abs. 3 Satz 1 Zulassungsverordnung für Vertragsärzte (Ärzte-ZV) der Zulassungsausschuss dafür zuständig, die gemeinsame Ausübung vertragsärztlicher Tätigkeit zu genehmigen. Der Antragsgegner zu 1 als der örtlich zuständige Zulassungsausschuss lehnte die Erteilung der begehrten Genehmigung jedoch mit Beschluss vom 1. Dezember 2010 ab. Gegen diese Entscheidung riefen beide Antragsteller am 9. Dezember 2010 unmittelbar vor Eingang ihres Eilantrags bei Gericht Widerspruch den Antragsgegner zu 2 als den zuständigen Berufungsausschuss an. Diesem obliegt es nun, eine eigene Entscheidung zu treffen, die die vorangegangene Entscheidung des Zulassungsausschusses ersetzt und allein Gegenstand einer nachfolgenden gerichtlichen Überprüfung ist (s. zum Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung von Zulassungsentscheidungen nur Wenner, Vertragsarztrecht nach der Gesundheitsreform, § 18 Rn. 3). Mit Anrufung des Antragsgegners zu 2 liegt es allein in dessen Zuständigkeit, die begehrte Genehmigung zu erteilen.

II. Der gegen den Antragsteller zu 2 gerichtete Eilantrag ist als Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung in Form der Regelungsanordnung zulässig, bleibt aber in der Sache ohne Erfolg. Eine Regelungsanordnung kann getroffen werden, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint (§ 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG)). Hierfür muss sowohl ein Anordnungsanspruch bestehen, also ein materiell-rechtlicher Anspruch auf die begehrte Leistung, sowie ein Anordnungsgrund, nämlich ein Sachverhalt, der die Eilbedürftigkeit der Anordnung begründet. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. §§ 294, 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO)). Die Antragsteller haben nicht glaubhaft gemacht, dass ihnen der geltend gemachte Anspruch zusteht.

1. Auf die mit ihrem Hauptantrag begehrte Genehmigung der gemeinsamen Ausübung vertragsärztlicher Tätigkeit (durch das Gericht) haben die Antragsteller schon deswegen keinen Anspruch, weil das Gericht nicht an Stelle der Zulassungsgremien entscheidet. In Betracht kommt allein die mit dem Hilfsantrag begehrte vorläufige Verpflichtung der Antragsgegnerin zu 2, den Antragstellern die gemeinsame Ausübung vertragsärztliche Tätigkeit zu genehmigen.

2. Indes haben die Antragsteller nicht glaubhaft gemacht, Anspruch auf die Erteilung einer solchen Genehmigung zu haben. Aus § 33 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Ärzte-ZV ergibt sich, das die Genehmigung zu erteilen ist, wenn jeder der betroffenen Leistungserbringer zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen ist und – in Streit steht die Genehmigung einer überörtlichen Berufsausübungsgemeinschaft – die Erfüllung der Versorgungspflicht des jeweiligen Mitglieds an seinem Vertragsarztsitz unter Berücksichtigung der Mitwirkung angestellter Ärzte und Psychotherapeuten in dem erforderlichen Umfang gewährleistet ist sowie das Mitglied und die bei ihm angestellten Ärzte und Psychotherapeuten an den Vertragsarztsitzen der anderen Mitglieder nur in zeitlich begrenztem Umfang tätig werden. Dabei müssen die Zulassungen der betroffenen Leistungserbringer auch in materieller Hinsicht rechtmäßig sein (BSG, Urt. v. 23. Juni 2010, B 6 KA 7/09 R, GesR 2010, 615-623). Nach dem Erkenntnisstand im Eilverfahren fehlt der Antragstellerin zu 1 eine solche Zulassung.

a. Der Antragstellerin zu 1 ist keine Zulassung wirksam erteilt worden. Ihr wurde mit Wirkung ab 1. Oktober 2009 unter der Bedingung eine Zulassung als Fachärztin für Radiologie erteilt, dass sie die Praxis ihres Vorgängers, Herrn Dr. G., am Vertragsarztsitz S., H., fortführt (Beschluss des Antragstellers zu 1 vom 9. September 2009). Erfolgt die Zulassung wie in ihrem Fall im Wege der Nachbesetzung, ist die Zulassung nur zu erteilen, wenn der Tatbestand der Praxisfortführung i.S.d. § 103 Abs. 4 Satz 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch – Krankenversicherung (SGB V) erfüllt ist (BSG, Urt. v. 29. Sept. 1999, B 6 KA 1/99 R, SozR 3-2500 § 103 Nr. 5). Das erfordert neben der Fortführungsfähigkeit der Praxis den Fortsetzungswillen des Bewerbers (Flint, in: Hauck/Noftz, SGB V, Stand: Erg.-Lfg. 6/09, K § 103 Rn. 37). Dabei bezieht sich der Begriff der Praxis in § 103 Abs. 4 Satz 1 SGB V auf den Ort der Niederlassung (Vertragsarztsitz) des bisherigen Praxisinhabers (BSG, a.a.O.). Mit dem Erkenntnisstand im Eilverfahren geht das Gericht davon aus, dass die Antragstellerin zu 1 im hier maßgeblichen Zeitpunkt der Zulassungserteilung nicht den Willen hatte, die Praxis von Herrn Dr. G. am S. fortzuführen. Sie war jedenfalls bis zum 21. Juni 2010 dort nicht tätig. Dies ergibt sich aus dem Schreiben von Herrn Dr. R. von diesem Tag und wird von Seiten der Antragsteller nicht in Abrede gestellt. Es ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass der Wille der Antragstellerin zu 1 darauf gerichtet war, am Vertragsarztsitz S. tätig zu werden, sie hieran jedoch bis zum 21. Juni 2010 durch äußere Umstände gehindert wurde. Vielmehr geht das Gericht mit Blick auf das Gesamtvorbringen der Antragsteller davon aus, dass zwischen ihnen Einvernehmen darüber bestand, dass die Antragstellerin zu 1 in anderen Praxen der R.A. tätig wird, insbesondere in der Praxis S1. Dass die Antragsteller dabei möglicherweise verkannten, welche Konsequenzen dies für die Zulassung der Antragstellerin zu 1 hat, vermag nicht nachträglich den subjektiven Willen der Antragstellerin zu 1 zu begründen, in der Praxis S. tätig zu werden. Ebenso wenig lässt sich ein solcher Wille aus der Abrechnungspraxis herleiten, nach der eine Vergütung für die am Praxisort S. erbrachten vertragsärztlichen Leistungen auch unter der Nummer der Antragstellerin zu 1 angefordert und zunächst auch abgerechnet wurde. Abgesehen davon, dass diese Abrechnungen inzwischen von der Beigeladenen zu 1 sachlich-rechnerisch berichtigt wurden, lässt sich aus der Abrechnungspraxis lediglich der Wille ablesen, unter der Nummer der Antragstellerin zu 1 am Vertragsarztsitz S. abzurechnen, nicht aber der Wille, dass sie dort auch tatsächlich tätig wird. Ebenso wenig ergibt sich ein Fortführungswille daraus, dass auch während urlaubsbedingter Abwesenheit der Antragstellerin zu 1 in der Praxis S. erbrachte Leistungen unter ihrer Nummer abgerechnet wurden, was das Gericht im Übrigen in einer Konstellation, in der sie auch außerhalb ihres Urlaubs in dieser Praxis nicht tätig wird, nicht als Vertretung begreift. Dafür, dass die Antragstellerin zu 1 zunächst ausschließlich an anderen Praxisorten als am S. tätig wurde, sind keine anderen Gründe vorgebracht worden oder sonst ersichtlich, als dass es sich dabei um ihre bewusste, im Einvernehmen mit den Antragstellern zu 2 getroffene Entscheidung handelt. Dem Umstand, dass die Antragstellerin zu 1 der Beigeladenen zu 1 am 16. September 2009 die Praxisaufnahme am Praxisort S. schriftlich anzeigte, kommt vor diesem Hintergrund keine eigenständige Bedeutung zu. Gleiches gilt für den Umstand, dass die Antragstellerin zu 1 inzwischen, nachdem der Antragsteller zu 1 über das Geschehen informiert ist, in der Praxis S. vertragsärztliche Leistungen erbringt.

b. Zudem war die der Antragstellerin zu 1 erteilte Zulassung ausdrücklich mit der Bedingung versehen, dass sie die Praxis ihres Vorgängers am S. fortführt. Mangels eines Fortführungswillens der Antragstellerin zu 1 ist diese aufschiebende Bedingung nicht eingetreten, so dass die Zulassung auch unter diesem Aspekt nicht wirksam wurde.

c. Auf die Frage, ob auch ohne ein Tätigwerden der Antragstellerin zu 1 die vertragsärztliche Versorgung in der Praxis S. durch die übrigen dort tätigen Radiologen sichergestellt war, kommt es ebenso wenig an wie darauf, ob die Voraussetzungen für eine Praxisverlegung für die Antragstellerin zu 1 vorliegen. Der Antragsteller zu 1 ließ die Antragstellerin zu 1 (nur) unter der Bedingung zu, dass sie die Praxis von Herrn Dr. G. am Vertragsarztsitz S., 20095 Hamburg, fortführt. Der Zulassungsbeschluss vom 9. September 2009 ist bestandskräftig und in seinem Wortlaut eindeutig. Eine Verlegung des Vertragsarztsitzes wurde nicht beantragt. Es bleibt daher dabei, dass die Zulassung unter einer aufschiebenden Bedingung erteilt wurde, die nicht eintrat, so dass die Zulassung nicht wirksam wurde.

d. Selbst wenn die Zulassung zunächst wirksam geworden sein sollte, hätte sie jedenfalls inzwischen kraft Gesetz geendet. Nach § 19 Abs. 3 Ärzte-ZV endet die Zulassung, wenn die vertragsärztliche Tätigkeit in einem von Zulassungsbeschränkungen betroffenen Planungsbereich – wie für Radiologen im Planungsbereich Hamburg der Fall – nicht innerhalb von drei Monaten nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung aufgenommen wird. Dies ist hier der Fall, da die Antragstellerin zu 1 nach dem Erkenntnisstand im Eilverfahren innerhalb von drei Monaten nach Zustellung des Beschlusses weder den Willen hatte, ihre vertragsärztliche Tätigkeit in der Praxis am S. aufzunehmen, noch dort tatsächlich tätig wurde. Dabei geht das Gericht davon, dass der relevante 3-Monats-Zeitraum jedenfalls bis zum 21. Juni 2010 abgelaufen war, auch wenn ihm das Datum der Zustellung des Beschlusses vom 9. September 2009 nicht bekannt ist. Einen Antrag nach § 19 Abs. 2 Satz 2 Ärzte-ZV, nachträglich einen späteren Zeitraum festzusetzen, bis zum dem die vertragsärztliche Tätigkeit aufzunehmen wäre, stellte die Antragstellerin nicht.

e. Eine abweichende Beurteilung ergibt sich schließlich nicht mit Blick darauf, dass beide Antragsteller gegen den Beschluss des Antragsgegners zu 1 vom 1. Dezember 2010, mit dem dieser aussprach, die mit Beschluss vom 9. September 2010 ausgesprochene Zulassung für die Antragstellerin zu 1 sei nicht wirksam geworden, den Antragsteller zu 2 angerufen haben und diese Anrufungen gemäß § 96 Abs. 4 Satz 2 SGB V aufschiebende Wirkung haben. Da die Zulassung der Antragstellerin zu 1 nach Überzeugung des Gerichts nicht wirksam geworden ist, kommt dem Beschluss des Antragsgegners zu 1 lediglich deklaratorische Wirkung zu. Insbesondere handelt es sich nicht um eine Zulassungsentziehung oder eine andere statusverändernde Entscheidung. Zwar hat nach der Grundregel des § 86b Abs. 1 Satz 2 SGG auch die Einleitung des Vorverfahrens – als solches gilt gemäß § 97 Abs. 3 Satz 2 SGB V das Verfahren vor dem Berufungsausschuss – gegen feststellende Verwaltungsakte aufschiebende Wirkung. Die Bindung des Verwaltungsakts wird hinausgeschoben und während des Schwebezustands dürfen keine Folgerungen aus ihm gezogen werden (zum Grundsatz der aufschiebenden Wirkung s. nur Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, 9. Aufl. 2008, § 86a Rn. 3ff. m.w.N.). Das bedeutet aber auch mit Blick auf die verfassungsrechtlich verankerte Garantie effektiven Rechtsschutzes, Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) nicht, dass der Betroffene während des Schwebezustands seinen Rechtskreis erweitern kann, selbst wenn er die hierfür sonst gültigen materiellen Voraussetzungen in seiner Person nicht erfüllt. Die Erteilung der begehrten Genehmigung der gemeinsamen Ausübung vertragsärztlicher Tätigkeit ab dem 1. Januar 2011 wäre eine solche Rechtskreiserweiterung. Wie ausgeführt setzt die Genehmigung voraus, dass jeder der betroffenen Leistungserbringer auch materiell wirksam zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen ist. Wie weiter ausgeführt trifft dies auf die Antragstellerin zu 1 nicht zu. Damit fehlt es an einer Tatbestandsvoraussetzung für die Genehmigungserteilung, die sich durch die aufschiebende Wirkung der Anrufung des Berufungsausschusses zu 2 nicht fingieren lässt.

f. Wie die Antragsteller zutreffend vorbringen, hat dies zur Konsequenz, dass die Antragstellerin zu 1 ab dem 1. Januar 2010 allenfalls in Einzelpraxis vertragsärztlich tätig sein kann. Dass dies aus wirtschaftlich nachvollziehbaren Gründen nicht dem Willen der Antragsteller entspricht, begründet keinen Anspruch auf die Erteilung der begehrten Genehmigung.

II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 3 SGG i.V.m. §§ 154 Abs. 1, 159 Verwaltungsgerichtsgesetz (VwGO). Die Entscheidung zur Erstattungsfähigkeit der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 3 SGG i.V.m. § 162 Abs. 3 VWGO und berücksichtigt, dass die Beigeladenen keine Anträge gestellt haben und damit auch kein Kostenrisiko eingegangen sind.
Rechtskraft
Aus
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