S 3 KA 12/11 ER

Land
Hamburg
Sozialgericht
SG Hamburg (HAM)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
3
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 3 KA 12/11 ER
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
1. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen den Beschluss des Antragsgegners vom 19. Januar 2011 wird abgelehnt. 2. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt. 3. Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragstellerin. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.

Gründe:

Die Antragstellerin wendet sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen den Beschluss des Antragsgegners vom 19. Januar 2011, mit dem dieser im Ergebnis feststellte, die Zulassung der Antragsgegnerin sei nicht wirksam geworden. Hilfsweise begehrt die Antragstellerin die gerichtliche Anordnung, sie bis zum Abschluss ihrer gegen den Beschluss gerichteten Klage (S 3 KA 13/11) vorläufig zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung zuzulassen.

I. Der Hauptantrag der Antragstellerin ist unzulässig.

1. Wörtlich ist ihr Antrag darauf gerichtet, die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen. Die Klage gegen den Beschluss vom 19. Januar 2011 hat jedoch bereits kraft Gesetz aufschiebende Wirkung. Das ergibt sich aus § 86a Abs. 1 Satz 1 und 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Nach dieser allgemeinen Vorschrift, die hier durch keine spezielle vertragsärztliche Vorschrift verdrängt wird (§ 96 Abs. 4 Satz 2 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch – Gesetzliche Krankenversicherung ( SGB V ) betrifft allein die Anrufung des Berufungsausschusses, nicht die Anrufung des Gerichts), hat die Anfechtungsklage auch bei feststellenden Verwaltungsakten aufschiebende Wirkung. Ein Fall des § 86a Abs. 2 oder Abs. 4 SGG, in dem die aufschiebende Wirkung ausnahmsweise entfällt, ist nicht gegeben. Insbesondere ist der Klage nicht allein deswegen der Suspensiveffekt zu versagen, weil es sich bei dem angegriffenen Beschluss um eine deklaratorische Entscheidung über die Wirksamkeit der Zulassung handelt und nicht um eine Zulassungsentziehung oder sonstige statusverändernde Entscheidung (s. zur Befugnis der Zulassungsgremien, zur Herstellung von Rechtssicherheit deklaratorische Entscheidungen zu treffen, BSG Urt. v. 5. Febr. 2003, B 6 KA 22/02 R, SozR 4-2500 § 95 Nr. 2). Nach den gesetzlichen Vorgaben entfällt die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Klage nur in den in § 86a Abs. 2 und 4 SGG aufgezählten Fällen; die Aufzählung ist – einschließlich der Verweisungsnorm in § 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG – abschließend und im Zweifel eng auszulegen (Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl. 2008, § 86a Rn. 12). Dass die Zulassungsgremien mit einer deklaratorischen Entscheidung lediglich aussprechen, was sich unmittelbar aus dem Gesetz ergibt, lässt nicht die aufschiebende Wirkung eines dagegen eingelegten Rechtsmittels entfallen (in diese Richtung aber LSG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 28. Nov. 2007, L 7 B 153/07 KA ER, in juris, m.w.N., zur Beendigung der vertragsärztlichen Tätigkeit nach Erreichen der Altersgrenze), sondern gibt allein zu der Frage Anlass, ob der betroffene Vertragsarzt sein Rechtsschutzziel über einen Antrag nach § 86b Abs. 1 SGG erreichen kann (dazu sogleich). Es bleibt mithin dabei, dass die Klage der Antragstellerin gegen den Beschluss vom 19. Januar 2011 aufschiebende Wirkung hat, so dass nicht die Anordnung, sondern allein die Feststellung der aufschiebenden Wirkung der Klage in Betracht kommt (s. zur Möglichkeit, die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs durch einen deklaratorischen Beschluss anzuordnen, Keller, a.a.O., § 86b Rn. 15).

2. Für eine solche Feststellung fehlt es hier jedoch am Rechtsschutzbedürfnis. Dass die Klage der Antragstellerin gegen den feststellenden Beschluss vom 19. Januar 2011 aufschiebenden Wirkung hat, bedeutet, dass bis zum Abschluss des Klageverfahrens keine rechtlichen oder tatsächlichen Folgerungen aus der Feststellung gezogen werden dürfen (s. zur Vollziehungshemmung bei feststellenden Verwaltungsakten nur Redeker/von Oertzen, Verwaltungsgerichtsordnung, 15. Aufl. 1010, § 80 Rn. 4 m.w.N.). Es tritt ein vorläufiger Schwebezustand ein, der bis zum Abschluss des Rechtsmittelverfahrens den status quo ante beibehält (s. zur aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Klage nur BSG, Urt. v. 23. Sept. 1997, 2 RU 44/96, SozR 3-1300 § 50 Nr. 20 m.w.N.). Indem zunächst der Rechtszustand beibehalten wird, der vor Erlass des Beschlusses vom 19. Januar 2011 bestand, hat die Antragstellerin jedoch nichts für ihr eigentliches Rechtsschutzziel gewonnen, das darin liegt, jedenfalls bis zum Abschluss des Klageverfahrens an der vertragsärztlichen Versorgung teilzunehmen. An dieser Stelle erst wird bedeutsam, dass es sich bei dem angegriffenen Beschluss lediglich um eine deklaratorische Entscheidung handelt. Der Beschluss vom 19. Januar 2011 soll für alle an der vertragsärztlichen Versorgung Beteiligten Klarheit darüber zu schaffen, ob die Antragstellerin berechtigt ist, vertragsärztlich tätig zu werden (s. zum Zweck deklaratorischer Entscheidungen der Zulassungsgremien nochmals BSG Urt. v. 5. Febr. 2003, B 6 KA 22/02 R, SozR 4-2500 § 95 Nr. 2). Er spricht lediglich aus, was sich nach Auffassung des Antragsgegners unmittelbar aus dem Gesetz ergibt, ohne selbst den Rechtszustand verändern zu wollen. Auch unter dem status quo ante beurteilt sich allein anhand der gesetzlichen Bestimmungen, ob die Antragstellerin im Besitz einer wirksamen Zulassung ist. Im Rechtsstreit über deklaratorische Entscheidungen der Zulassungsgremien ist einstweiliger Rechtsschutz daher nicht über einen Antrag nach § 86b Abs. 1 SGG, sondern allenfalls über einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnungen nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG zu erlangen (im Ergebnis ebenso LSG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 20. Juni 2007, L 11 B 12/07 KA ER, m.w.N., in juris; LSG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 28. Nov. 2007, L 7 B 153/07 KA ER, in juris, m.w.N.; a.A. LSG Bayern, Beschl. v. 28. März 2007, L 12 B 835/06 KA ER, in Juris; jeweils zur Beendigung der vertragsärztlichen Tätigkeit nach Erreichen der Altersgrenze).

II.1. Der Hilfsantrag ist als Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung in Form der Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG zulässig. Insbesondere besteht ein Rechtsschutzbedürfnis für den gerichtlichen Eilantrag, auch wenn die Ausfertigung des Beschlusses vom 19. Januar 2011 – jedenfalls dem Gericht – noch nicht vorliegt und daher davon ausgegangen wird, dass das Zulassungsverfahren noch nicht förmlich abgeschlossen ist. Die Antragstellerin wurde mit Schreiben vom 20. Januar 2011 vorab über die Entscheidung informiert. In Ausübung ihres verfassungsrechtlich verbürgten Rechts auf effektiven Rechtsschutz, Art. 19 Grundgesetz (GG), kann sie bereits jetzt um Eilrechtsschutz nachsuchen.

2. In der Sache bleibt der Eilantrag indes ohne Erfolg. Eine Regelungsanordnung kann getroffen werden, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint, vgl. § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG. Hierfür muss sowohl ein Anordnungsanspruch bestehen, also ein materiell-rechtlicher Anspruch auf die begehrte Leistung, sowie ein Anordnungsgrund, nämlich ein Sachverhalt, der die Eilbedürftigkeit der Anordnung begründet. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. §§ 294, 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO)). Die Antragstellerin hat nicht glaubhaft gemacht, Anspruch auf die Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung zu haben.

a. An der vertragsärztlichen Versorgung nehmen nur die in § 95 Abs. 1 Satz 1 SGB V und an anderer Stelle in den §§ 95ff. SGB V aufgezählten Ärzte und Einrichtungen teil. Für die Antragstellerin kommt allein eine Teilnahme als zugelassene Ärztin in Betracht. Nach dem Erkenntnisstand im Eilverfahren ist ihr schon keine Zulassung wirksam erteilt worden, da ihr im maßgeblichen Zeitpunkt der Zulassungserteilung der Wille fehlte, die Praxis ihrs Vorgängers, Herrn Dr. G. an dessen Vertragsarztsitz S. fortzuführen. Zur Begründung wird auf die den Beteiligten bekannten Ausführungen im Beschluss des Gerichts vom 23. Dezember 2010 verwiesen.

b. Das Vorbringen der Antragstellerin in diesem Verfahren gibt zu keiner abweichenden Beurteilung Anlass. Dass sich der erforderliche Fortführungswille nicht am Praxisaufnahmeformular ablesen lässt, wenn entgegen der dortigen Angaben die Antragsstellerin, wie hier unstreitig, ihre Tätigkeit zunächst an anderen Standorten der R.A. aufnahm, wurde im Beschluss vom 23. Dezember 2010 dargelegt. Ebenso wurde ausgeführt, warum sich der Fortführungswille hier nicht aus der Abrechnungspraxis ableiten lässt. Das Argument, zulassungsrechtlich sei die Erbringung von Leistungen an anderen Standorten der Leistungserbringung am Standort S. gleichzusetzen, verfängt nicht; der Fortführungswille muss sich auf den Vertragsarztsitz des bisherigen Praxisinhabers beziehen, wie ebenfalls bereits im Beschluss vom 23. Dezember 2010 ausgeführt wurde.

c. Das Gericht verkennt nicht, dass die Antragstellerin damit keine Möglichkeit hat, zumindest bis zum Abschluss des Klageverfahrens vertragsärztlich tätig zu sein, und damit ihre verfassungsrechtlich durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsfreiheit berührt ist. Angesichts des hohen Anteils an gesetzlich krankenversicherten Patienten kommt der Ausschluss von der vertragsärztlichen Tätigkeit in seinen Auswirkungen einem Berufsverbot zumindest nahe (BVerfG 1. Senat 2. Kammer, Kammerbeschl. v. 8. Nov. 2010, 1 BvR 722/10, in juris). Doch ergibt sich dies hier unmittelbar aus der Gesetzeslage, nach der nur zugelassene Ärzte an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmen, und nicht aus einem Eingriff der Zulassungsgremien oder des Gerichts in eine geschützte Rechtsposition der Antragstellerin, wie dies etwa bei einer Zulassungsentziehung der Fall wäre. Die für alle Ärzte gleichermaßen geltenden gesetzlichen Vorschriften, nach denen die vertragsärztliche Tätigkeit eine wirksame Zulassung voraussetzt, werden von Seiten der Antragstellerin nicht angegriffen.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 3 SGG i.V.m. §§ 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsgesetz (VwGO). Die Entscheidung zur Erstattungsfähigkeit der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 3 SGG i.V.m. § 162 Abs. 3 VWGO und berücksichtigt, dass die Beigeladenen keine Anträge gestellt haben und damit auch kein Kostenrisiko eingegangen sind.
Rechtskraft
Aus
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