Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
SG Dresden (FSS)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
18
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 18 KR 397/08 ER
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 1 B 642/08 KR-ER
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Bemerkung
Zu den ergänzenden Leistungen, welche der überörtliche Sozialhilfeträger im Zusammenhang mit Eingliederungshilfeleistungen in Werkstätten für behinderte Menschen durch die von ihm vertraglich in das Leistungssystem einbezogenen Einrichtungsträger flankier
I. Für die Dauer des Verfahrens über den Widerspruch der Antragstellerin vom 15.07.2008 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 09.07.2008 und eines dem sich eventuell anschließenden Klageverfahrens, wird - bis zur Übernahme der Versorgung durch die Beigeladenen, längstens aber bis zum 07.09.2008 die Antragsgegnerin - im Einvernehmen mit der Antragsgegnerin unverzüglich, spätestens aber ab dem 08.09.2008 der Beigeladene zu 1 verpflichtet, der Antragstellerin vorläufig Behandlungspflege in Gestalt von Insulininjektionen nach vertragsärztlicher Verordnung während des Aufenthalts der Antragstellerin in der Werkstatt für behinderte Menschen als Sachleistung zu erbringen.
II. Der Beigeladene zu 1 hat der Antragstellerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Verfahrens zu erstatten.
Gründe:
I.
Mit ihrem Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz begehrt die bei der Antragsgegnerin gesetzlich krankenversicherte Antragstellerin die weitere Erbringung von Behandlungspflegeleistungen in Gestalt von Insulininjektionen während ihres Aufenthalts in der Werkstatt für behinderte Menschen. Die Antragsgegnerin hat die weitere Erbringung der Sachleistung durch Bescheid vom 09.07.2008 für den Zeitraum ab dem 14.07.2008 abgelehnt. Die Injektionen seien im Rahmen der medizinischen Betreuung vom Personal der Werkstatt für behinderte Menschen zu erbringen. Hiergegen hat die Vertreterin der Antragstellerin mit Schreiben vom 15.07.2008 Widerspruch eingelegt; das Personal der Werkstatt für behinderte Menschen erbringe keine solchen Leistungen; weder die Antragstellerin selbst noch Angehörige könnten während des Aufenthalts in der Werkstatt für behinderte Menschen die Injektionen durchführen. Der zu 1 beigeladene überörtliche Träger der Sozialhilfe und der zu 2 beigeladene Träger der Werkstatt sind der Auffassung, Behandlungspflege sei nicht von den Eingliederungsleistungen in der Werkstatt für behinderte Menschen umfasst; dem stehe der Nachrang der Sozialhilfe für medizinische Leistungen entgegen. Auf den Antrag der Vertreterin der Antragstellerin um eine Entscheidung im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes hin hat das Sozialgericht mit Zwischenverfügungen vom 18.07.2008 und vom 29.07.2008 die Antragsgegnerin zunächst befristet bis zum 15.08.2008 zur vorläufigen Weiterführung der Behandlungspflege als Sachleistung verpflichtet. Auf den Inhalt der Verwaltungsakte der Antragsgegnerin und der Akte des Antragsverfahrens mit den Stellungnahmen der Beteiligten wird wegen der Einzelheiten Bezug genommen.
II.
Das Ersuchen der Antragstellerin auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ist als Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthaft und begründet.
Gemäß § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Anordnung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt gemäß § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG in Verbindung mit § 920 Abs. 2 ZPO voraus, dass der Antragsteller glaubhaft macht, dass ihm ein materielles Recht zusteht, für das er einstweiligen Rechtsschutz beantragen kann, (Anordnungsanspruch) und dass wesentliche Nachteile drohen, die nach den Umständen des Einzelfalles unter Abwägung der widerstreitenden Interessen ein Abwarten bis zur Entscheidung in der Hauptsache als unzumutbar erscheinen lassen (Anordnungsgrund).
Diese Voraussetzungen sind im Verhältnis der Antragstellerin zum Beigeladenen zu 1 erfüllt. Der Antragstellerin steht gegenüber dem Beigeladenen zu 1 ein Anspruch auf Bereitstellung der Behandlungspflegeleistungen in Gestalt täglicher Insulininjektionen nach Maßgabe einer vertragsärztlichen Verordnung während des Aufenthalts in der vom Beigeladenen zu 2 betriebenen Werkstatt für behinderte Menschen zu.
Bei der Gewährung von Behandlungspflege während des Aufenthalts in der Werkstatt für behinderte Menschen handelt es sich um eine Annexleistung zu den Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben. Für die Leistungen zur Teilhabe gelten gemäß § 53 Abs. 4 des Sozialgesetzbuchs (SGB) Zwölftes Buch (XII) - Sozialhilfe - vorbehaltlich besonderer Bestimmungen des Sozialhilferechts die Vorschriften des Neunten Buches Sozialgesetzbuch; die Zuständigkeit und die Voraussetzungen für die Leistungen zur Teilhabe richten sich nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch. Gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 3 des Sozialgesetzbuchs (SGB) Neuntes Buch (IX) - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - umfassen die Leistungen zur Teilhabe die notwendigen Sozialleistungen, um unabhängig von der Ursache der Behinderung die Teilhabe am Arbeitsleben entsprechend den Neigungen und Fähigkeiten dauerhaft zu sichern. Zur Teilhabe werden gemäß § 5 Nr. 2 SGB IX unter Anderem Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben erbracht. Träger Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben sind gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 7 SGB IX auch die Träger der Sozialhilfe. Nach § 8 Nr. 4 SGB XII umfasst die Sozialhilfe unter Anderem die Eingliederungshilfe für behinderte Menschen. Gemäß § 53 Abs. 1 SGB XII erhalten Personen, die durch eine Behinderung im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 des Neunten Buches wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind, Leistungen der Eingliederungshilfe, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalles, insbesondere nach Art oder Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann. Besondere Aufgabe der Eingliederungshilfe ist gemäß § 53 Abs. 3 Satz 1 SGB XII unter Anderem, die behinderten Menschen in die Gesellschaft einzugliedern. Hierzu gehört nach § 53 Abs. 3 Satz 2 SGB XII insbesondere, den behinderten Menschen die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen oder zu erleichtern und ihnen die Ausübung einer angemessenen Tätigkeit zu ermöglichen. Zu den Leistungen der Eingliederungshilfe gehören gemäß § 54 Abs. 1 Satz 2 SGB XII unter Anderem Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach § 33 SGB IX und Leistungen im Arbeitsbereich einer Werkstatt für behinderte Menschen nach § 41 SGB XII. Gemäß § 33 Abs. 1 SGB IX werden zur Teilhabe am Arbeitsleben die erforderlichen Leistungen erbracht, um die Erwerbsfähigkeit behinderter oder von Behinderung bedrohter Menschen entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit zu erhalten, zu verbessern, herzustellen oder wiederherzustellen und ihre Teilhabe am Arbeitsleben möglichst auf Dauer zu sichern. Die Leistungen umfassen nach § 33 Abs. 3 Nr. 6 SGB IX auch sonstige Hilfen zur Förderung der Teilhabe am Arbeitsleben, um behinderten Menschen eine angemessene und geeignete Beschäftigung oder eine selbständige Tätigkeit zu ermöglichen und zu erhalten. Um die Leistungs- oder Erwerbsfähigkeit der behinderten Menschen zu erhalten, zu entwickeln, zu verbessern oder wiederherzustellen, die Persönlichkeit dieser Menschen weiterzuentwickeln und ihre Beschäftigung zu ermöglichen oder zu sichern, werden gemäß § 39 SGB IX Leistungen in anerkannten Werkstätten für behinderte Menschen erbracht. Leistungen im Arbeitsbereich einer Werkstatt für behinderte Menschen sind gemäß § 41 Abs. 2 Nr. 1 SGB IX auf die Aufnahme, Ausübung und Sicherung einer der Eignung und Neigung des behinderten Menschen entsprechenden Beschäftigung gerichtet. § 136 Abs. 1 Satz 1 und 2 Nr. 2 SGB IX definiert Werkstätten für behinderte Menschen als Einrichtungen zur Teilhabe behinderter Menschen am Arbeitsleben im Sinne der §§ 33 bis 45 SGB IX und zur Eingliederung in das Arbeitsleben mit der Aufgabe, denjenigen behinderten Menschen, die wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht, noch nicht oder noch nicht wieder auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt beschäftigt werden können, eine angemessene berufliche Bildung und eine Beschäftigung zu einem ihrer Leistung angemessenen Arbeitsentgelt aus dem Arbeitsergebnis anzubieten und zu ermöglichen, ihre Leistungs- oder Erwerbsfähigkeit zu erhalten, zu entwickeln, zu erhöhen oder wiederzugewinnen und dabei ihre Persönlichkeit weiterzuentwickeln. Die Leistungen im Arbeitsbereich erbringen gemäß § 42 Abs. 2 Nr. 4 SGB IX, soweit nicht die Träger der Unfallversicherung, der Kriegsopferversorgung oder der Jugendhilfe zuständig sind, unter den Voraussetzungen des Zwölften Buches die Träger der Sozialhilfe. Das Nähere über Begriff und Aufgaben der Werkstätten für behinderte Menschen regelt auf Grundlage des § 144 Abs. 1 SGB IX die Werkstättenverordnung (WVO).
Für die Erbringung der Leistungen zuständig ist der Beigeladene zu 1 als überörtlicher Träger der Sozialhilfe (§ 13 Abs. 1 des Sächsischen Gesetzes zur Ausführung des Sozialgesetzbuches [SächsAGSGB]). Dies ergibt sich aus § 97 Abs. 2 Satz 1 SGB XII und § 13 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SächsAGSGB, wonach der überörtliche Träger der Sozialhilfe unter Anderem für alle teilstationären Leistungen für Personen, die das 18. Lebensjahr, aber noch nicht das 65. Lebensjahr vollendet haben, mit Ausnahme der Leistungen nach dem Fünften Kapitel des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch - Hilfen zur Gesundheit - sachlich zuständig ist. Bei den Werkstätten für behinderte Menschen handelt es sich um teilstationäre Einrichtungen im Sinne des § 13 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 SGB XII. Dass es sich um eine Einrichtung handelt, stellt bereits die Definition der Werkstatt für behinderte Menschen in § 136 Abs. 1 Satz 1 SGB IX klar. Nach § 13 Abs. 2 SGB XII sind Einrichtungen im Sinne des § 13 Abs. 1 SGB XII alle Einrichtungen, die der Pflege, der Behandlung oder sonstigen nach diesem Buch zu deckenden Bedarfe oder der Erziehung dienen; zur Deckung eines speziellen Bedarfs im Sinne dieser Regelung dienen auch die Eingliederungshilfeleistungen im Arbeitsbereich einer Werkstatt für behinderte Menschen (vgl. § 8 Nr. 4 SGB XII).
Die vom überörtlichen Träger der Sozialhilfe in Werkstätten für behinderte Menschen zu erbringenden Leistungen beschränken sich nicht auf die Verschaffung einer Beschäftigungsmöglichkeit. Zu den Leistungen der Eingliederungshilfe gehören gemäß § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 SGB XII auch nachgehende Hilfen zur Sicherung der Wirksamkeit der ärztlichen und ärztlich verordneten Leistungen und zur Sicherung der Teilhabe der behinderten Menschen am Arbeitsleben. Gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 der auf § 60 SGB XII beruhenden Eingliederungshilfe-Verordnung zählen zur Hilfe im Sinne des § 54 Abs. 1 Satz 1 SGB XII in Verbindung mit den §§ 33 und 41 SGB IX sowie der Hilfe im Sinne des § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 SGB XII auch andere Leistungen, wenn sie wegen der Behinderung zur Aufnahme oder Fortsetzung einer angemessenen Beschäftigung im Arbeitsleben erforderlich sind. Die Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben umfassen gemäß § 33 Abs. 6 SGB IX auch medizinische, psychologische und pädagogische Hilfen, soweit diese Leistungen im Einzelfall erforderlich sind, um die in § 33 Abs. 1 SGB IX genannten Ziele zu erreichen oder zu sichern und Krankheitsfolgen zu vermeiden, zu überwinden, zu mindern oder ihre Verschlimmerung zu verhüten. Gemäß § 136 Abs. 1 Satz 3 SGB IX und § 10 Abs. 1 Satz 1 WVO muss die Werkstatt für behinderte Menschen über begleitende Dienste zur medizinischen Betreuung der behinderten Menschen verfügen. Nach § 10 Abs. 2 WVO haben im Einvernehmen mit den zuständigen Rehabilitationsträgern pflegerische und therapeutische Fachkräfte zur Verfügung zu stehen.
Zu den ergänzenden Leistungen, welche der überörtliche Sozialhilfeträger im Zusammenhang mit Eingliederungshilfeleistungen in Werkstätten für behinderte Menschen durch die von ihm vertraglich in das Leistungssystem einbezogenen Einrichtungsträger flankierend bereit zu stellen hat, gehören im Einzelfall auch Leistungen der medizinischen Behandlungspflege. Der Anspruch auf begleitende medizinische Versorgung in der Werkstatt für behinderte Menschen umfasst im Falle der Antragstellerin auch die ärztlich verordneten täglichen Insulininjektionen während des Aufenthalts in der Werkstatt.
Der Anspruch ist nicht auf Grund des in § 2 SGB XII verankerten Nachrangs der Sozialhilfe durch vorrangig von der Antragsgegnerin zu erbringende Leistungen ausgeschlossen. Sozialhilfe - hierzu gehören gemäß § 8 Nr. 4 SGB XII auch die Eingliederungsleistungen - erhält gemäß § 2 Abs. 1 SGB XII nicht, wer die erforderliche Leistung von Anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält. Auf Rechtsvorschriften beruhende Leistungen Anderer dürfen gemäß § 2 Abs. 2 Satz 2 SGB XII nicht deshalb versagt werden, weil nach dem Recht der Sozialhilfe entsprechende Leistungen vorgesehen sind. Dieser Nachrang greift, entgegen der Auffassung der Beigeladenen, im vorliegenden Falle nicht ein. Die Antragstellerin kann die begehrte Leistung von der Antragsgegnerin nicht beanspruchen. Es besteht schon keine Konkurrenz von Leistungsansprüchen gegen den Träger der Krankenversicherung einerseits und gegen den Sozialhilfeträger andererseits, die im Sinne eines Vorrangs der Versicherungsleistung gegenüber der Fürsorgeleistung aufzulösen wäre. Vielmehr hat der Gesetzgeber die Zuständigkeit der Träger untereinander so abgegrenzt, dass der Beigeladene zu 1 ausschließlich für die Versorgung der Antragstellerin mit den benötigten Injektionen während des Einsatzes im Arbeitsbereich des Beigeladenen zu 2 verantwortlich ist, während die Antragsgegnerin schon dem Grunde nach nicht leistungspflichtig ist.
Bei der hier im Streit stehenden Behandlungspflege in Gestalt von Insulininjektionen handelt es sich zwar für Versicherte der gesetzlichen Krankenkassen um eine Form der häuslichen Krankenpflege, auf die der Versicherte gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 4 sowie § 37 Abs. 2 Satz 1 des Sozialgesetzbuch (SGB) Fünftes Buch (V) - Gesetzliche Krankenversicherung - dem Grunde nach einen (Sachleistungs-) Anspruch gegen die Gesetzliche Krankenversicherung hat.
Die Antragstellerin ist unstreitig nicht in der Lage, sich die - ausweislich der ärztlichen Verordnung vom 26.06.2008 medizinisch notwendigen - Insulinspritzen selbst zu setzen. Wie ihre Vertreterin nachvollziehbar vorträgt, sind auch Angehörige auf Grund eigener Berufstätigkeit nicht in der Lage, die Antragstellerin zu diesem Zweck tagsüber in der Werkstatt aufzusuchen. Gleichwohl ist ein Anspruch auf häusliche Krankenpflege nach § 37 Abs. 2 SGB V gegenüber der Antragsgegnerin ausgeschlossen, weil der Pflegebedarf kein besonders hohes Ausmaß aufweist und deshalb vom Beigeladenen zu 1 im Rahmen der Eingliederungsleistungen begleitend mit abzudecken ist.
Gemäß § 37 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 SGB V in der am 01.04.2007 in Kraft getretenen Fassung des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes erhalten Versicherte in ihrem Haushalt, ihrer Familie oder sonst an einem geeigneten Ort, insbesondere in betreuten Wohnformen, Schulen und Kindergärten, bei besonders hohem Pflegebedarf auch in Werkstätten für behinderte Menschen als häusliche Krankenpflege Behandlungspflege, wenn diese zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung erforderlich ist. § 10 WVO bleibt gemäß § 37 Abs. 2 Satz 2 SGB V unberührt.
Versicherte erhalten demnach Behandlungspflege als Leistung der Krankenkasse in Behindertenwerkstätten nur bei besonders hohem Pflegebedarf. Die Gesetzesbegründung erläutert dies dahin gehend, dass ein Anspruch auf Leistungen auch in Werkstätten für behinderte Menschen gegeben sein kann, "wenn wegen des besonders hohen Pflegebedarfs eines Versicherten die zur Verfügung stehenden pflegerischen Fachkräfte nicht ausreichen. Im Regelfall bleibt es hier aber dabei, dass nach § 10 der WerkstättenVO der pflegerische Bedarf durch die Werkstätten selbst abgedeckt wird." (Deutscher Bundestag, Drucksache 16/4247, Seite 33 f.)
Die Neufassung stellt klar, dass Behandlungspflegeleistungen der Krankenkasse nicht generell vorrangig sind, sondern nur dort eingreifen, wo die Behandlungspflege nicht schon durch andere Träger sicherzustellen ist. An Stelle des allgemein in § 2 SGB XII angeordneten Nachrangs der Leistungen der Sozialhilfe hat der Gesetzgeber damit in Bezug auf die besondere Konstellation der Erbringung von Behandlungspflegeleistungen in Werkstätten für behinderte Menschen eine speziellere Regelung gesetzt, welche den Leistungsumfang der Krankenkasse schon dem Grunde nach im Sinne der Subsidiarität begrenzt. Dabei hat der Gesetzgeber mit dem Merkmal des "besonders hohen Pflegebedarfs" die Zuständigkeit der Träger im Sinne der Ausschließlichkeit ihrer jeweiligen Leistungspflicht gegeneinander abgegrenzt.
Das bedeutet nicht nur, dass die Leistungspflicht der Krankenkasse erst dort beginnt, wo die Vorhaltepflicht des Werkstattträgers und damit die Leistungsverantwortung des Sozialhilfeträgers endet. Es besagt darüber hinaus auch, das der Sozialhilfeträger durch den von ihm hinzugezogenen Träger der Behindertenwerkstatt auch für die Behandlungspflege der in der Werkstatt beschäftigten Behinderten aufzukommen hat, wenn und solange deren Pflegebedarf nicht besonders hoch ist.
Entgegen der Auffassung des Beigeladenen zu 2 beschränkt sich die Versorgung der Beschäftigten in der Werkstatt für behinderte Menschen durch die vorzuhaltenden Pflegekräfte nicht auf grundpflegerische Verrichtungen (z.B. Hilfestellung beim Waschen, Umziehen und Toilettengang). Vielmehr haben diese Fachkräfte auch Behandlungspflegeleistungen zu erbringen, wenn diese während des Aufenthalts erforderlich sind. Dies ergibt sich schon aus § 10 WVO, wonach die Werkstatt für behinderte Menschen über begleitende Dienste zur medizinischen Betreuung der behinderten Menschen verfügen muss und (nicht nur pflegerische, sondern auch) therapeutische Fachkräfte zur Verfügung stehen müssen. Die Regelungen unterscheiden dabei auch nicht danach, ob die medizinischen und therapeutischen Angebote zur Behandlung der die Behinderung auslösenden Krankheit oder sonstiger Begleiterkrankungen (hier z.B. des Diabetes der Antragstellerin) erforderlich sind.
Der Fall gibt keinen Anlass zur vertieften Erörterung, wann im Sinne des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V der Pflegebedarf des in der Werkstatt beschäftigten behinderten Menschen "besonders hoch" ist. Hier ist er es nicht. Die Antragstellerin bezieht zur Zeit keine Leistungen der sozialen Pflegeversicherung nach einer Pflegestufe im Sinne des § 15 des Sozialgesetzbuchs (SGB) Elftes Buch (XI) - Soziale Pflegeversicherung. Das tägliche Setzen einer Insulininjektion ist weder mit einem großen Aufwand verbunden, noch bedarf es einer speziellen medizinischen Qualifikation und kann durch eine ausgebildete Krankenschwester erfolgen.
Die zwischen den Beigeladenen geschlossene Vereinbarung nach § 75 Abs. 3 SGB XII vom 01.09.2006 sieht unter Anderem vor, dass Pflegepersonal im zeitlichen Umfang von 1,42 Vollkräften vorgehalten wird. Nach Auskunft des Beigeladenen zu 2 verfügt die Werkstatt über eine Krankenschwester. Das Gericht geht auf Grund dessen davon aus, dass der Beigeladene zu 1 für die gebotene Behandlungspflege durch den Beigeladenen zu 2 aufkommen kann.
Ob der in der Vereinbarung nach § 75 Abs. 3 SGB XII vorgesehene Betreuungsschlüssel angesichts der zwischenzeitlichen Gesetzesänderung noch auseichend ist, um allen in der Werkstatt Beschäftigten die erforderliche Behandlungspflege in dem von § 37 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 SGB V komplementär umrissenen Umfang zukommen zu lassen, spielt dabei keine Rolle und kann nicht zu einer Verlagerung der Leistungszuständigkeit auf die Antragsgegnerin führen. Erforderlichenfalls haben die Beigeladenen die Vereinbarung und die Personalausstattung des Beigeladenen zu 2 der Rechtslage nach der Neufassung des § 37 SGB V anzupassen. Sollte dies nicht geschehen, hat der Beigeladene die Erfüllung seiner Leistungspflichten notfalls sicherzustellen, indem er externe Pflegekräfte als Leistungserbringer hinzuzieht oder den Beigeladenen zu 2 hierzu veranlasst.
Der Antragstellerin steht auch ein Anordnungsgrund zur Seite. Zwischen den Beteiligten steht außer Frage, dass die Antragstellerin nicht selbst zur Applikation des Insulins in der Lage ist und während des Aufenthalts in der Werkstatt für behinderte Menschen auch nicht von Angehörigen dabei unterstützt werden kann. Die Unaufschiebbarkeit der Leistung ergibt sich aus der medizinischen Indikation. Vor dem Hintergrund der von der Antragstellerin nachgewiesenen Sozialhilfebedürftigkeit ist ihr auch nicht zuzumuten, sich die dringend benötigten Behandlungen für die Dauer des Widerspruchs- und eines dem möglicherweise folgenden Klageverfahrens vorläufig auf eigene Kosten selbst zu beschaffen und im Obsiegensfall die Antragsgegnerin gemäß § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V auf Erstattung in Anspruch zu nehmen. Weil das Bestehen eines Anspruchs auf Bereitstellung der benötigten Behandlungsleistung durch einen der beteiligten Träger an sich nicht im Streit steht, sondern lediglich die Frage der Leistungszuständigkeit zwischen der Antragsgegnerin und den Beigeladenen umstritten ist, fällt auch die gebotene Interessenabwägung zu Gunsten der Antragstellerin aus. Der Anspruch der betroffenen Träger, nach Abschluss des Hauptsacheverfahrens für die vorläufig erbrachten Leistungen, für die eine eigene Leistungspflicht letztlich bindend verneint wird, beim jeweils anderen Beteiligten gemäß § 102 oder § 105 des Sozialgesetzbuchs (SGB) Zehntes Buch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - Erstattung zu suchen, bleibt hiervon unberührt.
Auf Grund des - nach seiner systematische Stellung im Zweiten Teil, Erster Abschnitt, Erster Unterabschnitt des Sozialgerichtsgesetzes auch im Antragsverfahren nach § 86b SGG anwendbaren - § 75 Abs. 5 SGG ist die Verpflichtung zur Gewährleistung der von der Antragstellerin beantragten Leistung gegenüber dem Beigeladenen zu 1 auszusprechen.
Um dem Beigeladenen zu 1 Gelegenheit zu geben, im Zusammenwirken mit dem Beigeladenen zu 2 und in Absprache mit der Antragsgegnerin die vorläufige Leistungserbringung sicherzustellen, hat das Gericht dem Beigeladenen zu 1 eine Übergangsfrist bis zum Ablauf der 36. Kalenderwoche eingeräumt. Bis dahin macht das Gericht von der Möglichkeit Gebrauch, die in den Beschlüssen vom 18.07.2008 und vom 29.07.2008 angeordnete Zwischenverfügung aus den dort genannten Gründen nochmals und letztmalig zu verlängern.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 183 Satz 1 und § 193 Abs. 1 SGG. Die Erstattungspflicht folgt dabei der in der Sache angenommenen Leistungspflicht des Beigeladenen zu 1.
II. Der Beigeladene zu 1 hat der Antragstellerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Verfahrens zu erstatten.
Gründe:
I.
Mit ihrem Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz begehrt die bei der Antragsgegnerin gesetzlich krankenversicherte Antragstellerin die weitere Erbringung von Behandlungspflegeleistungen in Gestalt von Insulininjektionen während ihres Aufenthalts in der Werkstatt für behinderte Menschen. Die Antragsgegnerin hat die weitere Erbringung der Sachleistung durch Bescheid vom 09.07.2008 für den Zeitraum ab dem 14.07.2008 abgelehnt. Die Injektionen seien im Rahmen der medizinischen Betreuung vom Personal der Werkstatt für behinderte Menschen zu erbringen. Hiergegen hat die Vertreterin der Antragstellerin mit Schreiben vom 15.07.2008 Widerspruch eingelegt; das Personal der Werkstatt für behinderte Menschen erbringe keine solchen Leistungen; weder die Antragstellerin selbst noch Angehörige könnten während des Aufenthalts in der Werkstatt für behinderte Menschen die Injektionen durchführen. Der zu 1 beigeladene überörtliche Träger der Sozialhilfe und der zu 2 beigeladene Träger der Werkstatt sind der Auffassung, Behandlungspflege sei nicht von den Eingliederungsleistungen in der Werkstatt für behinderte Menschen umfasst; dem stehe der Nachrang der Sozialhilfe für medizinische Leistungen entgegen. Auf den Antrag der Vertreterin der Antragstellerin um eine Entscheidung im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes hin hat das Sozialgericht mit Zwischenverfügungen vom 18.07.2008 und vom 29.07.2008 die Antragsgegnerin zunächst befristet bis zum 15.08.2008 zur vorläufigen Weiterführung der Behandlungspflege als Sachleistung verpflichtet. Auf den Inhalt der Verwaltungsakte der Antragsgegnerin und der Akte des Antragsverfahrens mit den Stellungnahmen der Beteiligten wird wegen der Einzelheiten Bezug genommen.
II.
Das Ersuchen der Antragstellerin auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ist als Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthaft und begründet.
Gemäß § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Anordnung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt gemäß § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG in Verbindung mit § 920 Abs. 2 ZPO voraus, dass der Antragsteller glaubhaft macht, dass ihm ein materielles Recht zusteht, für das er einstweiligen Rechtsschutz beantragen kann, (Anordnungsanspruch) und dass wesentliche Nachteile drohen, die nach den Umständen des Einzelfalles unter Abwägung der widerstreitenden Interessen ein Abwarten bis zur Entscheidung in der Hauptsache als unzumutbar erscheinen lassen (Anordnungsgrund).
Diese Voraussetzungen sind im Verhältnis der Antragstellerin zum Beigeladenen zu 1 erfüllt. Der Antragstellerin steht gegenüber dem Beigeladenen zu 1 ein Anspruch auf Bereitstellung der Behandlungspflegeleistungen in Gestalt täglicher Insulininjektionen nach Maßgabe einer vertragsärztlichen Verordnung während des Aufenthalts in der vom Beigeladenen zu 2 betriebenen Werkstatt für behinderte Menschen zu.
Bei der Gewährung von Behandlungspflege während des Aufenthalts in der Werkstatt für behinderte Menschen handelt es sich um eine Annexleistung zu den Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben. Für die Leistungen zur Teilhabe gelten gemäß § 53 Abs. 4 des Sozialgesetzbuchs (SGB) Zwölftes Buch (XII) - Sozialhilfe - vorbehaltlich besonderer Bestimmungen des Sozialhilferechts die Vorschriften des Neunten Buches Sozialgesetzbuch; die Zuständigkeit und die Voraussetzungen für die Leistungen zur Teilhabe richten sich nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch. Gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 3 des Sozialgesetzbuchs (SGB) Neuntes Buch (IX) - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - umfassen die Leistungen zur Teilhabe die notwendigen Sozialleistungen, um unabhängig von der Ursache der Behinderung die Teilhabe am Arbeitsleben entsprechend den Neigungen und Fähigkeiten dauerhaft zu sichern. Zur Teilhabe werden gemäß § 5 Nr. 2 SGB IX unter Anderem Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben erbracht. Träger Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben sind gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 7 SGB IX auch die Träger der Sozialhilfe. Nach § 8 Nr. 4 SGB XII umfasst die Sozialhilfe unter Anderem die Eingliederungshilfe für behinderte Menschen. Gemäß § 53 Abs. 1 SGB XII erhalten Personen, die durch eine Behinderung im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 des Neunten Buches wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind, Leistungen der Eingliederungshilfe, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalles, insbesondere nach Art oder Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann. Besondere Aufgabe der Eingliederungshilfe ist gemäß § 53 Abs. 3 Satz 1 SGB XII unter Anderem, die behinderten Menschen in die Gesellschaft einzugliedern. Hierzu gehört nach § 53 Abs. 3 Satz 2 SGB XII insbesondere, den behinderten Menschen die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen oder zu erleichtern und ihnen die Ausübung einer angemessenen Tätigkeit zu ermöglichen. Zu den Leistungen der Eingliederungshilfe gehören gemäß § 54 Abs. 1 Satz 2 SGB XII unter Anderem Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach § 33 SGB IX und Leistungen im Arbeitsbereich einer Werkstatt für behinderte Menschen nach § 41 SGB XII. Gemäß § 33 Abs. 1 SGB IX werden zur Teilhabe am Arbeitsleben die erforderlichen Leistungen erbracht, um die Erwerbsfähigkeit behinderter oder von Behinderung bedrohter Menschen entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit zu erhalten, zu verbessern, herzustellen oder wiederherzustellen und ihre Teilhabe am Arbeitsleben möglichst auf Dauer zu sichern. Die Leistungen umfassen nach § 33 Abs. 3 Nr. 6 SGB IX auch sonstige Hilfen zur Förderung der Teilhabe am Arbeitsleben, um behinderten Menschen eine angemessene und geeignete Beschäftigung oder eine selbständige Tätigkeit zu ermöglichen und zu erhalten. Um die Leistungs- oder Erwerbsfähigkeit der behinderten Menschen zu erhalten, zu entwickeln, zu verbessern oder wiederherzustellen, die Persönlichkeit dieser Menschen weiterzuentwickeln und ihre Beschäftigung zu ermöglichen oder zu sichern, werden gemäß § 39 SGB IX Leistungen in anerkannten Werkstätten für behinderte Menschen erbracht. Leistungen im Arbeitsbereich einer Werkstatt für behinderte Menschen sind gemäß § 41 Abs. 2 Nr. 1 SGB IX auf die Aufnahme, Ausübung und Sicherung einer der Eignung und Neigung des behinderten Menschen entsprechenden Beschäftigung gerichtet. § 136 Abs. 1 Satz 1 und 2 Nr. 2 SGB IX definiert Werkstätten für behinderte Menschen als Einrichtungen zur Teilhabe behinderter Menschen am Arbeitsleben im Sinne der §§ 33 bis 45 SGB IX und zur Eingliederung in das Arbeitsleben mit der Aufgabe, denjenigen behinderten Menschen, die wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht, noch nicht oder noch nicht wieder auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt beschäftigt werden können, eine angemessene berufliche Bildung und eine Beschäftigung zu einem ihrer Leistung angemessenen Arbeitsentgelt aus dem Arbeitsergebnis anzubieten und zu ermöglichen, ihre Leistungs- oder Erwerbsfähigkeit zu erhalten, zu entwickeln, zu erhöhen oder wiederzugewinnen und dabei ihre Persönlichkeit weiterzuentwickeln. Die Leistungen im Arbeitsbereich erbringen gemäß § 42 Abs. 2 Nr. 4 SGB IX, soweit nicht die Träger der Unfallversicherung, der Kriegsopferversorgung oder der Jugendhilfe zuständig sind, unter den Voraussetzungen des Zwölften Buches die Träger der Sozialhilfe. Das Nähere über Begriff und Aufgaben der Werkstätten für behinderte Menschen regelt auf Grundlage des § 144 Abs. 1 SGB IX die Werkstättenverordnung (WVO).
Für die Erbringung der Leistungen zuständig ist der Beigeladene zu 1 als überörtlicher Träger der Sozialhilfe (§ 13 Abs. 1 des Sächsischen Gesetzes zur Ausführung des Sozialgesetzbuches [SächsAGSGB]). Dies ergibt sich aus § 97 Abs. 2 Satz 1 SGB XII und § 13 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SächsAGSGB, wonach der überörtliche Träger der Sozialhilfe unter Anderem für alle teilstationären Leistungen für Personen, die das 18. Lebensjahr, aber noch nicht das 65. Lebensjahr vollendet haben, mit Ausnahme der Leistungen nach dem Fünften Kapitel des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch - Hilfen zur Gesundheit - sachlich zuständig ist. Bei den Werkstätten für behinderte Menschen handelt es sich um teilstationäre Einrichtungen im Sinne des § 13 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 SGB XII. Dass es sich um eine Einrichtung handelt, stellt bereits die Definition der Werkstatt für behinderte Menschen in § 136 Abs. 1 Satz 1 SGB IX klar. Nach § 13 Abs. 2 SGB XII sind Einrichtungen im Sinne des § 13 Abs. 1 SGB XII alle Einrichtungen, die der Pflege, der Behandlung oder sonstigen nach diesem Buch zu deckenden Bedarfe oder der Erziehung dienen; zur Deckung eines speziellen Bedarfs im Sinne dieser Regelung dienen auch die Eingliederungshilfeleistungen im Arbeitsbereich einer Werkstatt für behinderte Menschen (vgl. § 8 Nr. 4 SGB XII).
Die vom überörtlichen Träger der Sozialhilfe in Werkstätten für behinderte Menschen zu erbringenden Leistungen beschränken sich nicht auf die Verschaffung einer Beschäftigungsmöglichkeit. Zu den Leistungen der Eingliederungshilfe gehören gemäß § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 SGB XII auch nachgehende Hilfen zur Sicherung der Wirksamkeit der ärztlichen und ärztlich verordneten Leistungen und zur Sicherung der Teilhabe der behinderten Menschen am Arbeitsleben. Gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 der auf § 60 SGB XII beruhenden Eingliederungshilfe-Verordnung zählen zur Hilfe im Sinne des § 54 Abs. 1 Satz 1 SGB XII in Verbindung mit den §§ 33 und 41 SGB IX sowie der Hilfe im Sinne des § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 SGB XII auch andere Leistungen, wenn sie wegen der Behinderung zur Aufnahme oder Fortsetzung einer angemessenen Beschäftigung im Arbeitsleben erforderlich sind. Die Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben umfassen gemäß § 33 Abs. 6 SGB IX auch medizinische, psychologische und pädagogische Hilfen, soweit diese Leistungen im Einzelfall erforderlich sind, um die in § 33 Abs. 1 SGB IX genannten Ziele zu erreichen oder zu sichern und Krankheitsfolgen zu vermeiden, zu überwinden, zu mindern oder ihre Verschlimmerung zu verhüten. Gemäß § 136 Abs. 1 Satz 3 SGB IX und § 10 Abs. 1 Satz 1 WVO muss die Werkstatt für behinderte Menschen über begleitende Dienste zur medizinischen Betreuung der behinderten Menschen verfügen. Nach § 10 Abs. 2 WVO haben im Einvernehmen mit den zuständigen Rehabilitationsträgern pflegerische und therapeutische Fachkräfte zur Verfügung zu stehen.
Zu den ergänzenden Leistungen, welche der überörtliche Sozialhilfeträger im Zusammenhang mit Eingliederungshilfeleistungen in Werkstätten für behinderte Menschen durch die von ihm vertraglich in das Leistungssystem einbezogenen Einrichtungsträger flankierend bereit zu stellen hat, gehören im Einzelfall auch Leistungen der medizinischen Behandlungspflege. Der Anspruch auf begleitende medizinische Versorgung in der Werkstatt für behinderte Menschen umfasst im Falle der Antragstellerin auch die ärztlich verordneten täglichen Insulininjektionen während des Aufenthalts in der Werkstatt.
Der Anspruch ist nicht auf Grund des in § 2 SGB XII verankerten Nachrangs der Sozialhilfe durch vorrangig von der Antragsgegnerin zu erbringende Leistungen ausgeschlossen. Sozialhilfe - hierzu gehören gemäß § 8 Nr. 4 SGB XII auch die Eingliederungsleistungen - erhält gemäß § 2 Abs. 1 SGB XII nicht, wer die erforderliche Leistung von Anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält. Auf Rechtsvorschriften beruhende Leistungen Anderer dürfen gemäß § 2 Abs. 2 Satz 2 SGB XII nicht deshalb versagt werden, weil nach dem Recht der Sozialhilfe entsprechende Leistungen vorgesehen sind. Dieser Nachrang greift, entgegen der Auffassung der Beigeladenen, im vorliegenden Falle nicht ein. Die Antragstellerin kann die begehrte Leistung von der Antragsgegnerin nicht beanspruchen. Es besteht schon keine Konkurrenz von Leistungsansprüchen gegen den Träger der Krankenversicherung einerseits und gegen den Sozialhilfeträger andererseits, die im Sinne eines Vorrangs der Versicherungsleistung gegenüber der Fürsorgeleistung aufzulösen wäre. Vielmehr hat der Gesetzgeber die Zuständigkeit der Träger untereinander so abgegrenzt, dass der Beigeladene zu 1 ausschließlich für die Versorgung der Antragstellerin mit den benötigten Injektionen während des Einsatzes im Arbeitsbereich des Beigeladenen zu 2 verantwortlich ist, während die Antragsgegnerin schon dem Grunde nach nicht leistungspflichtig ist.
Bei der hier im Streit stehenden Behandlungspflege in Gestalt von Insulininjektionen handelt es sich zwar für Versicherte der gesetzlichen Krankenkassen um eine Form der häuslichen Krankenpflege, auf die der Versicherte gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 4 sowie § 37 Abs. 2 Satz 1 des Sozialgesetzbuch (SGB) Fünftes Buch (V) - Gesetzliche Krankenversicherung - dem Grunde nach einen (Sachleistungs-) Anspruch gegen die Gesetzliche Krankenversicherung hat.
Die Antragstellerin ist unstreitig nicht in der Lage, sich die - ausweislich der ärztlichen Verordnung vom 26.06.2008 medizinisch notwendigen - Insulinspritzen selbst zu setzen. Wie ihre Vertreterin nachvollziehbar vorträgt, sind auch Angehörige auf Grund eigener Berufstätigkeit nicht in der Lage, die Antragstellerin zu diesem Zweck tagsüber in der Werkstatt aufzusuchen. Gleichwohl ist ein Anspruch auf häusliche Krankenpflege nach § 37 Abs. 2 SGB V gegenüber der Antragsgegnerin ausgeschlossen, weil der Pflegebedarf kein besonders hohes Ausmaß aufweist und deshalb vom Beigeladenen zu 1 im Rahmen der Eingliederungsleistungen begleitend mit abzudecken ist.
Gemäß § 37 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 SGB V in der am 01.04.2007 in Kraft getretenen Fassung des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes erhalten Versicherte in ihrem Haushalt, ihrer Familie oder sonst an einem geeigneten Ort, insbesondere in betreuten Wohnformen, Schulen und Kindergärten, bei besonders hohem Pflegebedarf auch in Werkstätten für behinderte Menschen als häusliche Krankenpflege Behandlungspflege, wenn diese zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung erforderlich ist. § 10 WVO bleibt gemäß § 37 Abs. 2 Satz 2 SGB V unberührt.
Versicherte erhalten demnach Behandlungspflege als Leistung der Krankenkasse in Behindertenwerkstätten nur bei besonders hohem Pflegebedarf. Die Gesetzesbegründung erläutert dies dahin gehend, dass ein Anspruch auf Leistungen auch in Werkstätten für behinderte Menschen gegeben sein kann, "wenn wegen des besonders hohen Pflegebedarfs eines Versicherten die zur Verfügung stehenden pflegerischen Fachkräfte nicht ausreichen. Im Regelfall bleibt es hier aber dabei, dass nach § 10 der WerkstättenVO der pflegerische Bedarf durch die Werkstätten selbst abgedeckt wird." (Deutscher Bundestag, Drucksache 16/4247, Seite 33 f.)
Die Neufassung stellt klar, dass Behandlungspflegeleistungen der Krankenkasse nicht generell vorrangig sind, sondern nur dort eingreifen, wo die Behandlungspflege nicht schon durch andere Träger sicherzustellen ist. An Stelle des allgemein in § 2 SGB XII angeordneten Nachrangs der Leistungen der Sozialhilfe hat der Gesetzgeber damit in Bezug auf die besondere Konstellation der Erbringung von Behandlungspflegeleistungen in Werkstätten für behinderte Menschen eine speziellere Regelung gesetzt, welche den Leistungsumfang der Krankenkasse schon dem Grunde nach im Sinne der Subsidiarität begrenzt. Dabei hat der Gesetzgeber mit dem Merkmal des "besonders hohen Pflegebedarfs" die Zuständigkeit der Träger im Sinne der Ausschließlichkeit ihrer jeweiligen Leistungspflicht gegeneinander abgegrenzt.
Das bedeutet nicht nur, dass die Leistungspflicht der Krankenkasse erst dort beginnt, wo die Vorhaltepflicht des Werkstattträgers und damit die Leistungsverantwortung des Sozialhilfeträgers endet. Es besagt darüber hinaus auch, das der Sozialhilfeträger durch den von ihm hinzugezogenen Träger der Behindertenwerkstatt auch für die Behandlungspflege der in der Werkstatt beschäftigten Behinderten aufzukommen hat, wenn und solange deren Pflegebedarf nicht besonders hoch ist.
Entgegen der Auffassung des Beigeladenen zu 2 beschränkt sich die Versorgung der Beschäftigten in der Werkstatt für behinderte Menschen durch die vorzuhaltenden Pflegekräfte nicht auf grundpflegerische Verrichtungen (z.B. Hilfestellung beim Waschen, Umziehen und Toilettengang). Vielmehr haben diese Fachkräfte auch Behandlungspflegeleistungen zu erbringen, wenn diese während des Aufenthalts erforderlich sind. Dies ergibt sich schon aus § 10 WVO, wonach die Werkstatt für behinderte Menschen über begleitende Dienste zur medizinischen Betreuung der behinderten Menschen verfügen muss und (nicht nur pflegerische, sondern auch) therapeutische Fachkräfte zur Verfügung stehen müssen. Die Regelungen unterscheiden dabei auch nicht danach, ob die medizinischen und therapeutischen Angebote zur Behandlung der die Behinderung auslösenden Krankheit oder sonstiger Begleiterkrankungen (hier z.B. des Diabetes der Antragstellerin) erforderlich sind.
Der Fall gibt keinen Anlass zur vertieften Erörterung, wann im Sinne des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V der Pflegebedarf des in der Werkstatt beschäftigten behinderten Menschen "besonders hoch" ist. Hier ist er es nicht. Die Antragstellerin bezieht zur Zeit keine Leistungen der sozialen Pflegeversicherung nach einer Pflegestufe im Sinne des § 15 des Sozialgesetzbuchs (SGB) Elftes Buch (XI) - Soziale Pflegeversicherung. Das tägliche Setzen einer Insulininjektion ist weder mit einem großen Aufwand verbunden, noch bedarf es einer speziellen medizinischen Qualifikation und kann durch eine ausgebildete Krankenschwester erfolgen.
Die zwischen den Beigeladenen geschlossene Vereinbarung nach § 75 Abs. 3 SGB XII vom 01.09.2006 sieht unter Anderem vor, dass Pflegepersonal im zeitlichen Umfang von 1,42 Vollkräften vorgehalten wird. Nach Auskunft des Beigeladenen zu 2 verfügt die Werkstatt über eine Krankenschwester. Das Gericht geht auf Grund dessen davon aus, dass der Beigeladene zu 1 für die gebotene Behandlungspflege durch den Beigeladenen zu 2 aufkommen kann.
Ob der in der Vereinbarung nach § 75 Abs. 3 SGB XII vorgesehene Betreuungsschlüssel angesichts der zwischenzeitlichen Gesetzesänderung noch auseichend ist, um allen in der Werkstatt Beschäftigten die erforderliche Behandlungspflege in dem von § 37 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 SGB V komplementär umrissenen Umfang zukommen zu lassen, spielt dabei keine Rolle und kann nicht zu einer Verlagerung der Leistungszuständigkeit auf die Antragsgegnerin führen. Erforderlichenfalls haben die Beigeladenen die Vereinbarung und die Personalausstattung des Beigeladenen zu 2 der Rechtslage nach der Neufassung des § 37 SGB V anzupassen. Sollte dies nicht geschehen, hat der Beigeladene die Erfüllung seiner Leistungspflichten notfalls sicherzustellen, indem er externe Pflegekräfte als Leistungserbringer hinzuzieht oder den Beigeladenen zu 2 hierzu veranlasst.
Der Antragstellerin steht auch ein Anordnungsgrund zur Seite. Zwischen den Beteiligten steht außer Frage, dass die Antragstellerin nicht selbst zur Applikation des Insulins in der Lage ist und während des Aufenthalts in der Werkstatt für behinderte Menschen auch nicht von Angehörigen dabei unterstützt werden kann. Die Unaufschiebbarkeit der Leistung ergibt sich aus der medizinischen Indikation. Vor dem Hintergrund der von der Antragstellerin nachgewiesenen Sozialhilfebedürftigkeit ist ihr auch nicht zuzumuten, sich die dringend benötigten Behandlungen für die Dauer des Widerspruchs- und eines dem möglicherweise folgenden Klageverfahrens vorläufig auf eigene Kosten selbst zu beschaffen und im Obsiegensfall die Antragsgegnerin gemäß § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V auf Erstattung in Anspruch zu nehmen. Weil das Bestehen eines Anspruchs auf Bereitstellung der benötigten Behandlungsleistung durch einen der beteiligten Träger an sich nicht im Streit steht, sondern lediglich die Frage der Leistungszuständigkeit zwischen der Antragsgegnerin und den Beigeladenen umstritten ist, fällt auch die gebotene Interessenabwägung zu Gunsten der Antragstellerin aus. Der Anspruch der betroffenen Träger, nach Abschluss des Hauptsacheverfahrens für die vorläufig erbrachten Leistungen, für die eine eigene Leistungspflicht letztlich bindend verneint wird, beim jeweils anderen Beteiligten gemäß § 102 oder § 105 des Sozialgesetzbuchs (SGB) Zehntes Buch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - Erstattung zu suchen, bleibt hiervon unberührt.
Auf Grund des - nach seiner systematische Stellung im Zweiten Teil, Erster Abschnitt, Erster Unterabschnitt des Sozialgerichtsgesetzes auch im Antragsverfahren nach § 86b SGG anwendbaren - § 75 Abs. 5 SGG ist die Verpflichtung zur Gewährleistung der von der Antragstellerin beantragten Leistung gegenüber dem Beigeladenen zu 1 auszusprechen.
Um dem Beigeladenen zu 1 Gelegenheit zu geben, im Zusammenwirken mit dem Beigeladenen zu 2 und in Absprache mit der Antragsgegnerin die vorläufige Leistungserbringung sicherzustellen, hat das Gericht dem Beigeladenen zu 1 eine Übergangsfrist bis zum Ablauf der 36. Kalenderwoche eingeräumt. Bis dahin macht das Gericht von der Möglichkeit Gebrauch, die in den Beschlüssen vom 18.07.2008 und vom 29.07.2008 angeordnete Zwischenverfügung aus den dort genannten Gründen nochmals und letztmalig zu verlängern.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 183 Satz 1 und § 193 Abs. 1 SGG. Die Erstattungspflicht folgt dabei der in der Sache angenommenen Leistungspflicht des Beigeladenen zu 1.
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