S 10 AS 4333/10

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
SG Dresden (FSS)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
10
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 10 AS 4333/10
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
grundsätzlich keine Berücksichtigung von Wirtschaftlichkeit und Prozessrisiko bei der Entscheidung über die Notwendigkeit der Zuziehung eines Prozessbevollmächtigten
Bemerkung
Die wirtschaftliche Bedeutung des Widerspruchsbegehrens hat grundsätzlich keine Auswirkungen auf die nach § 63 Abs. 2 SGB 10 zu treffende Entscheidung.
Ausnahmsweise kann die wirtschaftliche Bedeutung berücksichtigt werden, wenn sich die Rechtsverfolgung
1. Der Bescheid des Beklagten vom 30.4.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9.6.2010 wird dahingehend geändert, dass in dem Widerspruchsverfahren (W 16022/09) die Hinzuziehung eines Prozessbevollmächtigten notwendig war und der Beklagte die Kosten dieses Widerspruchsverfahrens zu tragen hat.
2. Der Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
3. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten in einem Widerspruchsverfahren. Die am 1951 geborene, erwerbsfähige Klägerin steht seit dem 1.1.2005 bei dem Beklagten im Leistungsbezug. Mit Bescheid vom 14.12.2009 bewilligte der Beklagte der Klägerin Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) für den Zeitraum 1.12.2009 bis 31.5.2010 in Höhe von monatlich 667,70 EUR, wovon 359,00 EUR auf die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts und 308,70 EUR auf die Kosten für Unterkunft und Heizung entfielen. Die Klägerin ließ durch Herrn Rechtsanwalt Z mit Schreiben vom 20.12.2009 Widerspruch gegen diesen Bewilligungsbescheid mit der Begründung einlegen, die Berechnung der Leistungen berücksichtige die Rundungsregelung des § 41 Abs. 2 SGB II in der damals geltenden Fassung nicht. Es wurde um entsprechende Korrektur des angefochtenen Bescheides gebeten. Bereits im Vorfeld dieses Bescheides hatte die Klägerin mit Hilfe von Herrn Rechtsanwalt Z erfolgreich Widerspruch und teilweise auch Klage gegen vorangegangene Bescheide des Beklagten erhoben. Mit Bescheid vom 30.4.2010 half der Beklagte dem Widerspruch vom 20.12.2009 (Az des Widerspruchsverfahrens W 16022/09) vollumfänglich ab, indem für den Zeitraum 1.12.2009-31.5.2010 monatlich weitere Leistungen in Höhe von 0,30 EUR gewährt wurden. Die Kostenentscheidung des Beklagten lautete wie folgt:

"Die Ihnen im Widerspruchsverfahren entstandenen Kosten können nicht erstattet werden, da sie nicht notwendig waren. Die Erstattung von Kosten im Vorverfahren erfolgt über die Regelung des § 63 Abs. 2 SGB X, wonach die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwaltes im Vorverfahren erstattungsfähig sind, wenn die Zuziehung notwendig war. Die eigens für die Prüfung/Widerspruchseinlegung hinsichtlich der fehlenden Rundung vorgenommene Beauftragung eines Rechtsanwalts ist nach diesseits vertretener Ansicht nicht notwendig. Es war dem Widerspruchsführer ohne weiteres zumutbar, sein Begehren knapp selbst bei der Widerspruchsgegnerin vorzutragen." Gegen die Kostenentscheidung dieses Abhilfebescheides ließ die Klägerin mit Schreiben vom 3.6.2010 mit der Begründung Widerspruch einlegen, die Auffassung, die Zuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten sei nicht notwendig gewesen, sei rechtsfehlerhaft. Die Klägerin sei durch den Beklagten nicht dahingehend beraten worden, dass der Ausgangsbescheid aufgrund fehlerhafter Rundung falsch sein könnte. Ohne die Beratung durch einen Rechtsanwalt habe die Klägerin nicht erkennen können, dass der Bescheid vom 14.12.2009 fehlerhaft war. Es wäre vom Beklagten willkürlich und unangemessen, könnte er grob fehlerhafte Bescheide erstellen und müsste im Widerspruchsverfahren nicht die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin erstatten. Mit Bescheid vom 9.6.2010 wies der Beklagte den Widerspruch (Az des Widerspruchsverfahrens W 7497/10) als unbegründet zurück. Die Zuziehung eines Rechtsanwalts sei nicht notwendig gewesen, da es der Klägerin ohne weiteres zumutbar gewesen sei, ihr Begehren knapp selbst bei der Behörde vorzutragen. Hiergegen hat die Klägerin am 9.7.2010 Klage beim Sozialgericht Dresden erhoben. Ergänzend zur Begründung des Widerspruchs wird vorgetragen, dass es sich bei der Frage, ob die Rundungsregelung auch auf die Kosten der Unterkunft anzuwenden sei, um eine in der Rechtsprechung der Sozialgerichte umstrittene Frage handele. Schon deshalb sei eine Zuziehung eines Rechtsanwalts im Widerspruchsverfahren notwendig gewesen. Zudem habe der Beklagte aufgrund seines elektronischen Verwaltungssystems zu keinem Zeitpunkt eine freiwillige Berücksichtigung der Rundungsregel vorgesehen. Die Klägerin beantragt, Es wird festgestellt, dass die Hinzuziehung eines Prozessbevollmächtigten im Widerspruchsverfahren mit dem Az. des Beklagten W 16022/09 notwendig war. Es wird zudem festgestellt, dass der Beklagte die notwendigen Kosten der Klägerin im Widerspruchsverfahren dem Grund nach zu erstatten hat. Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen. Der Beklagte ist der Auffassung, dass eine Kostenerstattung zugunsten der Klägerin rechtsmissbräuchlich wäre. Die Erfolgsquote des Widerspruchs liege bei 0,045 %. Diesen Erwägungen sei auch das LSG Mecklenburg-Vorpommern mit Beschluss vom 20.11.2008 (Az L 8 B 426/08) in einem Prozesskostenhilfeverfahren gefolgt. Die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes sei nach klarer Rechts- und Weisungslage des Beklagten nicht notwendig gewesen. Für die Frage der Notwendigkeit im Sinne von § 63 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) sei auf die individuelle Sach- und Rechtskunde abzustellen, weshalb in der Regel die Notwendigkeit zu bejahen sei, da der Bürger nur in Ausnahmefällen in der Lage sein werde, seine Rechte gegenüber der Verwaltung ausreichend zu wahren. Dieser Grundsatz könne aber bei der Prüfung der Rundungsregel nicht pauschal angewandt werden. Zudem sei die Verhältnismäßigkeit zwischen der Geringfügigkeit der Forderung und dem verursachten Kostenaufwand durch die Inanspruchnahme eines Rechtsanwalts nicht mehr gegeben. Sollte der Kunde, die fehlende Berücksichtigung der Rundungsregel nicht bemerkt haben, könne er dies durch einen Rechtsanwalt allenfalls im Rahmen eines schon bestehenden Mandats mitprüfen lassen. Es widerspreche billigem Ermessen, ein äußerst geringes Obsiegen des Widerspruchsführers nicht auch bei der Kostenentscheidung zu berücksichtigen. Die Rundungsproblematik falle in diesem Fall nicht ins Gewicht, was sich nach Auffassung des Beklagten aus einem Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 30.8.2007 (Az L 7 AS 7/07) und einem Gerichtsbescheid des SG Reutlingen vom 24.1.2008 (Az S 2 AS 1647(07) ergebe. Die Auffassung des Beklagten werde auch durch die Rechtsprechung zur Gewährung von Prozesskostenhilfe (PKH) gestützt. Es käme für die Gewährung von PKH auch auf die Frage an, ob der Rechtsstreit allein wirtschaftliche Bedeutung im Bagatellbereich habe. Dies müsse auch für ungeklärte Rechtsfragen gelten. Deshalb sei in die Erwägungen zur Notwendigkeit der Hinzuziehung auch mit einzubeziehen, ob ein Bemittelter in der Lage des Unbemittelten vernünftigerweise einen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung seiner Rechte beauftragen würde. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, die Niederschrift des Termins zur mündlichen Verhandlung vom 5.3.2012 sowie die vom Beklagten vorgelegte Behördenakte Bezug genommen, die zum Gegenstand des Verfahrens gemacht worden ist.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage gemäß § 54 Abs. 1. Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig und begründet. 1. Der klägerische Antrag war als Anfechtungs- und Verpflichtungsklage auszulegen. Begehrt war eine Abänderung des Abhilfebescheides vom 30.4.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9.6.2010, nicht nur die Feststellung, dass die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts notwendig war und der Beklagte die Kosten des Widerspruchsverfahrens zu tragen hat. Dies ergibt sich aus der positiven Formulierung des Antrags, wonach die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Prozessbevollmächtigten und die Kostentragungspflicht des Beklagten "festgestellt" werden sollen. 2. Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten in dem Widerspruchsverfahren W 16022/09 war notwendig im Sinne von § 63 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X). Dieser sieht vor, dass Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts oder sonstigen Bevollmächtigten im Vorverfahren erstattungsfähig sind, wenn die Zuziehung eines Bevollmächtigten notwendig war. Wann die Zuziehung eines Bevollmächtigten notwendig ist, beurteilt sich nach den Verhältnissen des Einzelfalls, ist aber nicht nur bei schwierigen und umfangreichen Sachverhalten anzunehmen (vgl. Roos in v. Wulffen SGB X 7. Aufl. § 63 Rn. 26). Umfang und Schwierigkeit der Sache sind aber grundsätzlich bei der Entscheidung ebenso zu berücksichtigen, wie die Fähigkeiten der Beteiligten, sich mündlich und schriftlich auszudrücken (BVerfG Beschluss vom 12.4.1983 – 2 BvR 1304/80 – Rn 39 nach juris). Entscheidend ist, ob ein Bemittelter in der Lage des Unbemittelten vernünftigerweise einen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung seiner Interessen beauftragt hätte (BVerfG Beschluss vom 24.3.2011 – 1 BvR 1737/10 – Rn 16 nach juris). Davon ist regelmäßig dann auszugehen, wenn im Kenntnisstand und in den Fähigkeiten der Prozessparteien ein deutliches Ungleichgewicht besteht (vgl. BVerfG Beschluss vom 17.2.1997 – 1 BvR 1440/96 – Rn 10 nach juris). Ein zwischen Behörde und Prozesspartei bestehendes Ungleichgewicht dieser Art wird nicht durch den Untersuchungsgrundsatz des § 20 SGB X ausgeglichen. Entscheidend ist, ob aus Sicht eines verständigen Beteiligten – ex ante – im Zeitpunkt der Beauftragung die Hinzuziehung erforderlich erschien (BVerwG Urteil vom 6.12.1963 – VII C 14.63 – nach juris). Maßgebliches Kriterium sind die individuellen Fähigkeiten und Möglichkeiten des Widerspruchsführers (vgl. Ross a.a.O.). Die Notwendigkeit ist zu bejahen, wenn der Widerspruchsführer ohne den Beistand des Bevollmächtigten hilflos wäre (SG Berlin Urteil vom 18.5.1982 – S 46 VS 275/82 – nach juris). Grundsätzlich darf der Bürger einen Prozessbevollmächtigten beiziehen, da er nur in Ausnahmefällen in der Lage sein wird, seine Rechte gegenüber der Verwaltung ausreichend zu wahren. Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts darf die Prüfung der Erforderlichkeit der Vertretung bzw. Hinzuziehung nicht allein auf das Verhältnis von Streitwert und Kostenrisiko abstellen. Bewertungsmaßstab für die Erforderlichkeit ist nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts vornehmlich, ob die besonderen persönlichen Verhältnisse dazu führen, dass der Grundsatz der Waffengleichheit zwischen den Parteien verletzt ist (BVerfG Beschluss vom 24.3.2011 – 1 BvR 1737/10 – Rn 17 nach juris). Nach Auffassung der Kammer kommt es danach für die Notwendigkeit der Beiordnung nicht auf die wirtschaftliche Bedeutung des Streitgegenstands an, soweit kein Rechtsmissbrauch vorliegt (a.). Die Kammer ist der Überzeugung, dass die individuellen Fähigkeiten der Klägerin nicht ausreichten, um das streitige Widerspruchsverfahren selbst zu führen (b.). Darüber hinaus war die Zuziehung des Bevollmächtigten nicht rechtsmissbräuchlich (c.). a. Die Ausführungen des Beklagten, wonach die Rechtsprechung zur Mutwilligkeit der Beiordnung eines Prozessbevollmächtigten gemäß § 114 Satz 1 a.E. Zivilprozessordnung (ZPO) auch auf die Frage der Notwendigkeit der Zuziehung eines Bevollmächtigten im Widerspruchsverfahren nach § 63 Abs. 2 SGG übertragbar sein soll, steht im Widerspruch zur gesetzlichen Regelung und der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Der Beklagte übersieht, dass auch die ZPO zwischen mutwilliger Rechtsverfolgung, § 114 S. 1, und der Erforderlichkeit der Beiordnung eines Rechtsanwalts, § 121 Abs. 2, unterscheidet. Die Frage der Erforderlichkeit soll dazu dienen, die Waffengleichheit zwischen den Prozessbeteiligten zu wahren. Sie hat keine Unterscheidungsfunktion hinsichtlich der wirtschaftlichen Sinnhaftigkeit eines Verfahrens. Natürlich stellt sich bei einem maximal möglichen Klageerfolg von 1,80 EUR die Frage, inwieweit ein Bemittelter den Prozess ohne Gewährung von PKH betrieben hätte. Allerdings ist diese Problematik unter Gesichtspunkten wie "Mutwilligkeit" oder rechtsmissbräuchlicher Rechtsverfolgung zu prüfen. Sie hat keine Auswirkungen auf die Frage, ob zwischen den Prozessbeteiligten ein strukturelles Ungleichgewicht besteht, das durch die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten ausgeglichen werden kann. Auch das Bundesverfassungsgericht stellt klar, dass für die Erforderlichkeit der Hinzuziehung eines Prozessbevollmächtigten vor allem festzustellen ist, ob zwischen den Prozessparteien ein solches Ungleichgewicht besteht (vgl. BVerfG Beschluss vom 24.3.2011 – 1 BvR 1737/10 – Rn 18 nach juris). Es hält darüber hinaus fest, dass sobald sich ein Rechtsunkundiger und prozesserfahrene Vertreter einer Behörde gegenüber stehen, ein vernünftiger Rechtssuchender regelmäßig einen Rechtsanwalt einschalten wird, um das Verfahren in jedem Stadium durch sachdienlichen Vortrag und Anträge effektiv fördern zu können (BVerfG a.a.O Rn. 18). Diese Ausführungen zur Erforderlichkeit der Beiordnung eines Rechtsanwalts im Gerichtsprozess sind auf die Notwendigkeit der Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren zu übertragen. Auch der Widerspruchsführer sieht sich einem erfahrenen Behördenvertreter gegenüber, der regelmäßig über weitgehendere Rechtskenntnisse verfügt, als der Widerspruchsführer. b. Die individuellen Fähigkeiten und Rechtskenntnisse der Klägerin reichten nach Überzeugung der Kammer nicht aus, um selbst ein Widerspruchsverfahren gegen den Beklagten zu führen. Der persönliche Eindruck, den die Kammer in der mündlichen Verhandlung von der Klägerin gewonnen hat, ließ keine Zweifel daran, dass zwischen der Klägerin und dem Beklagten ein strukturelles Ungleichgewicht bestanden hätte, wenn sie ihre Rechte ohne Zuziehung eines Bevollmächtigten hätte verfolgen müssen. Sie gab überzeugend an, dass sie nicht verstehe, wie die Leistungen nach dem SGB II berechnet würden. Daher könne sie auch nicht prüfen, ob die Berechnungsbögen, die den Bewilligungsbescheiden beigefügt sind, richtig seien. Bei der Entscheidung war auch zu berücksichtigen, dass der Klägerin schon im Vorfeld des zugrundeliegenden Streits, vom Beklagten zu geringe Leistungen für die Kosten der Unterkunft und Heizung gewährt worden waren. Diese musste sie teilweise mit anwaltlicher Unterstützung einklagen. Da sie selbst nicht in der Lage war, die Richtigkeit nachfolgender Bescheide zu prüfen, ist es nachvollziehbar, dass sie diese von einem Rechtsanwalt prüfen und gegebenenfalls erforderliche Rechtsbehelfe von diesem einlegen ließ. Ohne die Zuziehung des Bevollmächtigten hätte die Klägerin nicht erkannt, ob die Bescheide rechtswidrig sind, sodass sie entweder "ins Blaue" Rechtsbehelfe hätte einlegen oder – im Falle rechtswidriger Bescheide – eine Rechtsvereitelung in Kauf nehmen müssen. c. Die Rechtverfolgung erscheint auch nicht rechtsmissbräuchlich. Der Umstand, dass der Beklagte seit der Einführung des SGB II die Rundungsregelung des § 41 Abs. 2 SGB II in der bis 31.12.2010 geltenden Fassung bis zuletzt nicht angewandt hat, wäre weitgehend folgenlos geblieben. Die meisten rechtsunkundigen Leistungsbezieher hätten diesen Fehler nie rügen können, da er ihnen nicht aufgefallen wäre und sie finanziell nur selten in der Situation gewesen wären, einen Bevollmächtigten selbst zu bezahlen. Selbst nicht mit dem SGB II vertrauten Juristen dürfte dieser Fehler bei Durchsicht eines Bewilligungsbescheides kaum auffallen, sodass allein die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten, der mit der Rechtsmaterie vertraut ist, die Rechtsverwirklichung gewährleisten kann. Die wirtschaftliche Bedeutung dieses Fehlers wirkt sich nicht bei der Entscheidung über die Notwendigkeit der Zuziehung aus, sondern erst bei der Festsetzung der Kosten des Verfahrens. Dort ist der weit unterdurchschnittlichen Bedeutung durch eine entsprechende Anpassung der Gebührenhöhe Rechnung zu tragen (so wohl auch Roos a.a.O. § 63 Rn 27). 3. Der Beklagte hat die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen zu erstatten, § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X, da der Widerspruch in vollem Umfang erfolgreich war. Der Beklagte hat auf den Widerspruch hin einen vollständig dem Widerspruchsbegehr statt gebenden Abhilfebescheid erlassen. Für die Frage des Erfolgs kommt es entgegen der Auffassung des Beklagten allein auf den formellen Erfolg des Widerspruchs an. Dieser war umfassend. Folgte man der Argumentation des Beklagten, wonach der Widerspruch nur im Verhältnis des gegenüber dem Ausgangsbescheid gewährten Mehrbetrags zum gesamten Leistungsbetrag Erfolg hatte, wäre es völlig unerheblich, in welcher Höhe der Widerspruchsführer sich gegen den Ausgangsbescheid richtet. Die vom Beklagten angeführten Entscheidungen des LSG Nordrhein-Westfalen vom 30.8.2007 (Az L 7 AS 7/07) und des SG Reutlingen vom 24.1.2008 (Az S 2 AS 1647/07) treffen keine Aussage über den Prüfungsumfang einer Kostenentscheidung nach § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Die zitierte Rechtsprechung stellt im Rahmen der gerichtlichen Kostenentscheidung darauf ab, dass die Verletzung der Rundungsregel im Verhältnis zum übrigen Streitgegenstand nicht ins Gewicht falle und deshalb mit dem Rechtsgedanken des § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO nicht zu einer Quotelung der Kostenentscheidung führen könne. Diese letztlich aus § 193 SGG folgende Billigkeitsentscheidung steht dem Beklagten aber nach § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X nicht offen. Entscheidend ist hier allein, inwieweit der Widerspruch Erfolg hatte. 4. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG. 5. Die Berufung war gemäß § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG zuzulassen, da die Frage, ob die wirtschaftliche Bedeutung eines Widerspruchs Auswirkungen auf die Notwendigkeit der Zuziehung eines Prozessbevollmächtigten nach § 63 Abs. 2 SGB X hat, noch nicht höchstrichterlich entschieden ist. Der Beklagte berücksichtigt diese Tatsache aber regelmäßig aufgrund interner Anweisungen bei der Entscheidung, sodass die Frage in einer Vielzahl von Fällen und damit von grundsätzlicher Bedeutung für die Erhaltung der Rechtseinheit ist.
Rechtskraft
Aus
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