S 5 U 360/10

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
SG Dresden (FSS)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 5 U 360/10
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Bemerkung
Zur Frage der Bindungswirkung der Entscheidung eines Unfallversicherungsträgers gegenüber einem Versicherten im Erstattungsstreit mit einem Krankenversicherungsträger
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Auf die Widerklage hin wird die Klägerin verurteilt, an die Beklagte 2.632,09 EUR zu zahlen.
III. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits. Kosten der Beigeladenen sind nicht zu erstatten.
IV. Der Streitwert wird auf 8.750,20 EUR festgesetzt.
V. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

Umstritten sind wechselseitig geltend gemachte Erstattungsansprüche aufgrund von Leistungen im Zusammenhang mit einem Unfall der Beigeladenen.

Die im Jahre 1997 geborene Beigeladene wurde am 30.05.2007 wegen einer Fehlstellung im Bereich der Großzehe im Großzehengrundgelenk des linken Fußes operiert. Am 13.07.2007 war sie an Gehhilfen auf dem Weg vom Schulhof der 89. Grundschule in D. zurück ins Klassenzimmer, als ein Mitschüler sie auf der Treppe umrannte. Die Beigeladene stürzte dabei und verspürte sofort Schmerzen im linken Fuß. Bei der Erstuntersuchung im Klinikum D. gingen die behandelnden Ärzte davon aus, dass eine mögliche sekundäre Dislokation nach operativer Korrektur eines Hallux valgus mit zweifacher Osteotomie und drei Schrauben nicht sicher beurteilt werden könne, diagnostizierten aber gleichwohl eine Fußprellung. Wegen einer Fragmentverlagerung mit Schwellung wurde die Beigeladene fünf Tage später im K. in J. erneut operiert. In einem von der Klägerin veranlassten Gutachten vom 26.03.2008 gelangte Oberarzt Dr. K. zu dem Ergebnis, dass es bei dem Unfallereignis zu einer Kontusion des Rückfußes links gekommen sei. Veränderungen am Metatarsale I seien dabei nicht aufgetreten. Die Röntgenaufnahmen vom 09.07.2007 und 13.07.2007 würden in diesem Bereich identische Verhältnisse mit noch fehlender knöcherner Überbauung zeigen. Wegen der Unfallfolgen habe eine Behandlungsbedürftigkeit von maximal vier Wochen bestanden. Mit Bescheid vom 09.04.2008 lehnte die Klägerin daraufhin gegenüber der Beigeladenen Entschädigungsleistungen über den Zeitraum von vier Wochen nach dem Unfall hinaus ab und ging dabei von einer folgenlos ausgeheilten Prellung der linken Ferse als Folge des Arbeitsunfalls aus. Im Widerspruchsverfahren holte die Beklagte eine Auskunft der behandelnden Ärzte in der Orthopädischen Klinik des Krankenhauses R. ein, welche darauf hinwiesen, dass der Unfall in der Schule zu einer Fraktur führte, die eine Re-Osteosynthese erforderlich machte. Bereits eine kleine Einwirkung habe ausgereicht, um eine Zerstörung zu bewirken. Die Verschiebung der Fragmente sei auf den Röntgenaufnahmen eindeutig zu sehen. Der daraufhin mit einer erneuten Stellungnahme bemühten Sachverständigen vom Klinikum D. gingen weiterhin davon aus, dass eine Voraufnahme zum Vergleich mit der Aufnahme vom 13.07.2007 nicht vorliege, sahen aber jetzt einen Ausbruch der Schraube, welcher allein durch das Aufschlagen des Rückfußes auf dem Boden nicht erklärbar sei. Mit Widerspruchsbescheid vom 18.02.2009 wies die Klägerin den Widerspruch der Beigeladenen zurück. Dieser Bescheid wurde bestandskräftig.

Zwischenzeitlich hatte die Klägerin mit Schreiben vom 17.04.2008 bei der Beklagten einen Erstattungsanspruch in Höhe von 8.585,60 EUR für im Zeitraum vom 06.08.2007 bis 25.01.2008 erbrachte Leistungen geltend gemacht. Einen weiteren Erstattungsanspruch in Höhe von 164,60 EUR meldete sie mit Schreiben vom 30.04.2008 an.

Die Beklagte lehnte die Erstattung ab und machte ihrerseits mit Schreiben vom 23.04.2008 einen Erstattungsanspruch in Höhe von 2.632,09 EUR für Krankenhausbehandlung der Beigeladenen im Zeitraum vom 14.07. bis 25.07.2008 geltend.

Mit der am 28.09.2010 erhobenen Zahlungsklage über 8.750,20 EUR begehrt die Klägerin weiterhin Erstattung und hält daran fest, dass es bei dem Unfall der Beigeladenen nur zu einer Prellung der linken Ferse gekommen sei, welche nur für vier Wochen eine Leistungspflicht des Unfallversicherungsträgers ausgelöst habe. Die Beklagte habe sich auch im Erstattungsstreit die Ablehnung weiterer Leistungen gegenüber der Beigeladenen entgegenhalten zu lassen. Dies gelte auch dann, wenn der die Leistung bewilligende oder ablehnende Bescheid fehlerhaft sei, jedenfalls solange keine offensichtliche Fehlerhaftigkeit vorliege. An einer offensichtlichen Fehlerhaftigkeit leide ihr Bescheid vom 09.04.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.02.2009 nicht. Zur Stützung ihrer Auffassung weist die Klägerin auf ein Urteil des Hessischen Landessozialgerichtes vom 29.10.2009, Az. L 8 KR 311/07 hin.

Die Klägerin beantragt daher,

die Beklagte zu verurteilen, 8.750,20 EUR an sie zu zahlen, die Widerklage abzuweisen und die Berufung zuzulassen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen und die Klägerin auf die Widerklage hin zu verurteilen, ihr 2.632,09 EUR zu erstatten und die Berufung zuzulassen.

Sie weist darauf hin, dass die vom LSG Hessen vertretene Auffassung zu einer einseitigen Belastung der Krankenkassen führen würde. Zudem sei die Entscheidung der Klägerin gegenüber der Beigeladenen auch offensichtlich fehlerhaft. Eine vorhandene Voraufnahme sei nicht ausgewertet und verkannt worden, dass eine Fraktur vorgelegen habe.

Die Beigeladene stellt keinen Antrag.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Klägerin, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erstattung der von ihr für die Behandlung der Beigeladenen erbrachten Leistungen.

Als gesetzliche Grundlage für den von der Klägerin geltend gemachten Anspruch kommt lediglich § 105 Sozialgesetzbuch X (SGB X) in Betracht. Nach dessen Absatz 1 gilt:

"Hat ein unzuständiger Leistungsträger Sozialleistungen erbracht, ohne dass die Voraussetzungen von § 102 Abs. 1 vorliegen, ist der zuständige oder zuständig gewesene Leistungsträger erstattungspflichtig, soweit dieser nicht bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat. § 104 Abs. 2 gilt entsprechend."

Der Erstattungsanspruch scheitert hier bereits daran, dass die Beklagte für die Behandlung der Beigeladenen wegen der Folgen des Unfalls vom 13.07.2007 nicht zuständig ist oder zuständig gewesen ist. Vielmehr standen der Beigeladenen Leistungsansprüche gegen die Klägerin nach den Vorschriften des Sozialgesetzbuches VII (SGB VII) auch über einen Zeitraum von vier Wochen hinaus zu.

Nach § 26 SGB VII haben Versicherte nach Maßgabe der folgenden Vorschriften und unter Beachtung des Neunten Buches Anspruch auf Heilbehandlung einschließlich Leistungen zur medizinischen Rehabilitation, auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben und am Leben in der Gemeinschaft, auf ergänzende Leistungen, auf Leistungen bei Pflegebedürftigkeit sowie auf Geldleistungen. Voraussetzung hierfür ist das Vorliegen eines Versicherungsfalls. Versicherungsfälle sind Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten (§ 7 Abs. 1 SGB VII).

Die Beigeladene hat am 13.07.2007 einen Arbeitsunfall erlitten, bei dem es zu einer Re-Fraktur der noch nicht vollständig knöchern überbauten Fragmente nach Hallux valgus-Operation links am 30.05.2007 gekommen ist. Dies macht schon der Vergleich der Röntgenaufnahme vom 09.07.2007 mit derjenigen deutlich, welche unmittelbar nach dem Unfallereignis vom 13.07.2007 angefertigt worden war. Bei der Röntgenaufnahme am 13.07.2007 zeigte sich eine Verschiebung der Fragmente, die einer Re-Operation bedurfte. Sowohl die behandelnden Ärzte im Krankenhaus R. als auch der MDK Bayern haben in ihren Stellungnahmen keinen Zweifel daran gelassen, dass schon leichter Druck auf den operierten Fuß bei dem Unfall vom 13.07.2007 zu einer Re-Fraktur führen musste. Während am 09.07.2007 die Fragmente korrekt lagen und sich eine beginnende Überbauung der beiden Osteotomien zeigte, war der MFK1 nach dem Unfall medialisiert. Die Einschätzung der medizinischen Sachverständigen aus dem Klinikum D. vom 26.03.2008, die im Folgenden, wenn auch mit unterschiedlicher Begründung, in beratungsärztlichen Stellungnahmen weiter aufrechterhalten wurde, war daher falsch. Ohne die Vergleichsaufnahme vom 09.07.2007, die den Ärzten im Klinikum D. offensichtlich nicht zur Verfügung gestellt wurde, war keine korrekte Einschätzung möglich.

Ein Erstattungsanspruch der Klägerin folgt auch nicht daraus, dass die Beklagte an die Ablehnung von Leistungen durch die Klägerin gegenüber der Beigeladenen nach einem Zeitraum von vier Wochen nach dem Unfallereignis gebunden wäre. Zwar geht hiervon wohl das LSG Hessen in der von der Klägerin aufgegriffenen Entscheidung vom 29.10.2009 in einem ähnlich gelagerten Fall hiervon aus. Es verkennt jedoch, dass den zitierten Entscheidungen des Bundessozialgerichtes (BSG), wie zum Beispiel dem Urteil vom 23.06.1993 – 9/9 a RV 95/91 – oder der Entscheidung vom 12.05.1999 – B 7 AL 74/98 R – andere Konstellationen zu anderen Erstattungstatbeständen zugrunde lagen. Noch nach diesen Entscheidungen hatte der für die Unfallversicherung zuständige 2. Senat des BSG in einem Urteil vom 28.09.1999 – B 2 U 36/98 – klargestellt, dass selbst die bindende Ablehnung des Begehrens des Sozialleistungsberechtigten durch den auf Erstattung in Anspruch genommenen Leistungsträger dem späteren Erstattungsbegehren des vorleistenden Leistungsträger nicht entgegensteht. Bei den Erstattungsansprüchen der §§ 102 f. SGB X handele es sich um eigenständige, originäre Ansprüche, die nicht von der Rechtsposition des Leistungsberechtigten abgeleitet seien.

Unabhängig davon besteht aber auch nach der Auffassung des LSG Hessen dann keine Bindungswirkung, wenn die, einen weitergehenden Anspruch der Beigeladenen auf Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung ablehnenden Bescheide der Klägerin offensichtlich unrichtig waren. Dies ist vorliegend der Fall.

Offensichtlich ist eine Fehlerhaftigkeit in der Regel (nur) dann, wenn sie sozusagen "auf der Hand" liegt, die Rechtsanwendung des die Leistung bewilligenden Leistungsträgers oder die Ablehnung weiterer Leistungen aufgrund der gegebenen Sach- und Rechtslage mithin offenkundig nicht vertretbar ist. Dabei sind objektive Gesichtspunkte zugrunde zu legen (BSGE 57, 146, 150). Auch wenn man die im Verwaltungs- bzw. Vorverfahren zur Frage des Vorliegens eines Unfallschadens gewonnenen Ermittlungsergebnisse primär zugrunde legt, ist die Entscheidung der Klägerin offensichtlich fehlerhaft. Spätestens als der Klägerin die Einschätzung der behandelnden Ärzte des Krankenhauses R. und der Umstand, dass eine Röntgenaufnahme vom 09.07.2007 existierte, bekannt geworden war, hätte Veranlassung bestanden, die Sachverständigen des Klinikums Dresden-Friedrichstadt auf diesen Umstand hinzuweisen oder ein weiteres Sachverständigengutachten eines anderen Sachverständigen in Auftrag zu geben. Stattdessen wurde Prof. Dr. B. in dem Glauben gelassen, dass keine Voraufnahme existiere, so dass er dann in einer beratungsärztlichen Stellungnahme vom 18.12.2008 wiederum hiervon ausging und jetzt den Ausbruch einer Schraube am Os metatarsale I feststellte. Dass die Klägerin dann weiterhin die Feststellungen der Ärzte aus dem Klinikum D. zugrunde legte, ist als offensichtlich fehlerhaft zu beurteilen.

Nach alledem war die Klage abzuweisen und die Klägerin auf die Widerklage der Beklagten hin zur Zahlung von 2.632,09 EUR zu verurteilen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung. Kosten der Beigeladenen waren nicht zu erstatten (§ 197 a SGG in Verbindung mit § 191 SGG).

Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 63, 52 Abs. 3 Gerichtskostengesetz (GKG). Dabei war zu berücksichtigen, dass die Ansprüche der Klägerin und der Beklagten denselben Gegenstand betrafen, so dass nur der Wert des höheren Anspruchs maßgebend ist (§ 45 Abs. 1 Satz 3 GKG).

Die Berufung war zuzulassen, da die zugrunde liegende Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung hat (§ 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
Rechtskraft
Aus
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