S 42 SO 34/11

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
SG Dresden (FSS)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
42
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 42 SO 34/11
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zur fortdauernden örtlichen Zuständigkeit eines Leistungserbringers bei Umzug des Leistungsempfängers in den Zuständigkeitsbereich eines anderen Leistungserbringers bei der Gewährung von Leistungen in Form des ambulant betreuten Wohnens
Bemerkung
1. Wird mit dem Umzug das betreute Wohnen tatsächlich beendet, findet § 98 Abs. 5 Satz 1 SGB XII keine Anwendung. Die Zuständigkeit richtet sich nach § 98 Abs. 1 SGB XII nach dem neuen Wohnort des Leistungsempfängers.

2. Wird das betreute Wohnen nach d
I. Die Klage wird abgewiesen
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Erstattung erbrachter Sozialhilfeleistungen für den Zeitraum vom 01.07.2010 bis 30.04.2013.

Seit 22.12.2009 steht die am 1950 in K. geborene und seit 2004 in Deutschland lebende N. K. (Leistungsempfängerin) fortdauernd unter Betreuung. Im Anschluss an den bis Ende September 2009 dauernden stationären Aufenthalt in der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Klinikums P. war die Leistungsempfängerin in der Einrichtung des "H. e.V." in P ... untergebracht und wurde dort ambulant betreut. Die entsprechenden Kosten hat der Beigeladene übernommen.

Am 31.01.2010 zog die Leistungsempfängerin ohne vorherige Ankündigung und Information der damaligen Betreuerin oder anderer Personen nach B. Dort wohnte sie zunächst bis 08.03.2010 in der Wohnung der aus K. bekannten Frau K ... Über einen Kontaktpolizisten ist die Leistungsempfängerin im Frauenhaus der G. mbH in B. untergebracht worden.

Mit Schreiben vom 15.04.2010 stellte die damalige Betreuerin bei der Beklagten einen Antrag auf Übernahme der Kosten des Betreuten Wohnens für die Leistungsempfängerin. Diesen Antrag hat die Beklagte unter Verweis auf § 14 SGB XI i.v.m. § 98 Abs. 5 SGB XII an den Kläger weitergeleitet.

Mit Bescheid vom 29.06.2010 bewilligte der Kläger die Übernahme der tatsächlich anfallenden Kosten für die Inanspruchnahme von Leistungen eines ambulant betreuten Wohnens für erwachsene Menschen für die Leistungsempfängerin durch das ambulant betreute Wohnen für psychisch kranke Menschen des D. für den Zeitraum vom 01.07.2010 bis 31.12.2010.

Mit Schreiben vom 30.06.2010 hat der Kläger sowohl bei der Beklagten als auch beim Beigeladenen Kostenerstattung nach §§ 102 ff SGB X geltend gemacht. Die Beklagte hat eine Kostenerstattung mit Verweis auf die Zuständigkeitsregelung des § 98 Abs. 5 SGB XII abgelehnt.

Am 24.01.2011 hat der Kläger Klage auf Zahlung von 4.248,18 EUR erhoben.

Mit Beschluss des Sozialgerichts Dresden vom 16.09.2011 wurde der Kommunale Sozialverband Sachsen zum Verfahren beigeladen.

Mit Schreiben vom 14.02.2012 erweiterte der Kläger die Klage um den Zeitraum vom 01.01.2011 bis 31.01.2012 auf insgesamt 13.648,65 EUR. Mit Schreiben vom 15.02.2012 erweiterte der Beklagte die Klage um weitere 5.658,60 EUR für an die Leistungsempfängerin seit 01.06.2011 aufgrund Bescheides vom 21.06.2011 gezahlter Leistungen zur Hilfe zum Lebensunterhalt auf insgesamt 19.307,15 EUR. Mit Schreiben vom 29.05.2013 erweiterte der Kläger die Klage um weitere 12.860,73 EUR für im Zeitraum vom 01.06.2012 bis 30.04.2013 an die Leistungsempfängerin gezahlter Leistungen auf insgesamt 32.167,88 EUR.

Der Kläger trägt vor, er habe die Leistungen an die Leistungsempfängerin nur vorläufig als sog. zweitangegangener Leistungsträger nach § 14 SGB IX erbracht, da er lediglich mit der Weiterleitung des Antrages durch die Beklagte nach § 14 Abs. 2 Satz 3 SGB IX zuständig geworden sei. Tatsächlich zuständiger Rehabilitationsträger sei die Beklagte. Wegen der erheblichen zeitlichen Unterbrechung der ambulanten Betreuung vom 30.01.2010 bis zum 01.07.2010 sei die Vorschrift des § 98 Abs. 5 SGB XII nicht anzuwenden. Insoweit sei die Vorschrift eng auszulegen.

Der Kläger beantragt zuletzt, den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger 32.167,88 nebst Zinsen in Höhe von 5% über dem Basiszins der Deutschen Bundesbank ab Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie trägt vor, im Rahmen der Zuständigkeitsregelung des § 98 Abs. 5 SGB XII müsse es darauf ankommen, ob nach dem Umzug der Leistungsempfängerin am 30.01.2010 ununterbrochen ein fortdauernder Betreuungsbedarf bestanden habe. Der neue Aufenthaltsort der Leistungsempfängerin habe scheinbar erst am 15.04.2010 von der damaligen Betreuerin in Erfahrung gebracht werden können. Erst zu diesem Zeitpunkt sei ein Antrag auf Kostenübernahme eines ambulant betreuten Wohnens für psychisch kranke Menschen gestellt worden. Die Tendenz zum Weglaufen und Verstecken sei zudem charakteristisch für das Krankheitsbild der Leistungsempfängerin.

Die Beteiligten erklärten mit Schreiben vom 19.08.2013, 19.08.2013 und 20.08.2013 ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung.

Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der gerichtlichen Verfahrensakte mit den Schriftsätzen nebst Anlagen sowie den Inhalt der vom Gericht beigezogenen Verwaltungsakte des Klägers Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erklärt haben (§ 124 Abs. 2 SGG).

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Der Kläger hat aus keinem rechtlichen Gesichtspunkt Anspruch auf eine Erstattung der mit der Klage geltend gemachten Summe gegen die Beklagte.

Ein Erstattungsanspruch ergibt sich nicht aus § 14 Abs. 4 Satz 1 SGB IX.

Die Kläger war, nachdem die Beklagte den bei ihr gestellten Leistungsantrag der Leistungsempfängerin als erstangegangener Rehabilitations-(Reha-)Träger innerhalb der 2-Wochen-Frist des § 14 Abs. 1 Satz 2 SGB IX an den Kläger weitergeleitet hat, als zweitangegangener Reha-Träger gem. § 14 Abs. 2 Satz 3 SGB IX endgültig verpflichtet, über den Antrag unter Zugrundelegung aller in Betracht kommenden Rechtsgrundlagen zu entscheiden (vgl. dazu BSG, Urteile vom 25.06.2009 - B 3 KR 4/08 R - und vom 20.11.2008 - B 3 KN 4/07 KR R). Dem ist der Kläger durch die Bewilligung der Übernahme der Kosten für das ambulant betreute Wohnen als auch in der Folge mit der Bewilligung von Leistungen zur Hilfe zum Lebensunterhalt nachgekommen.

Insofern regelt § 14 Abs. 4 Satz 1 SGB IX, dass soweit nach Bewilligung der Leistung durch einen Rehabilitationsträger nach Absatz 1 Satz 2 bis 4 festgestellt wird, dass ein anderer Rehabilitationsträger für die Leistung zuständig ist, dieser dem Rehabilitationsträger, der die Leistung erbracht hat, dessen Aufwendungen nach den für diesen geltenden Rechtsvorschriften erstattet.

Hier fehlt es für einen Erstattungsanspruch nach § 14 Abs. 4 Satz 1 SGB IX jedenfalls an einer Zuständigkeit der Beklagten für die Erbringung der durch den Kläger bewilligten Leistungen an die Leistungsempfängerin.

Zwar bestimmt sich die örtliche Zuständigkeit eines Leistungsträgers nach § 98 Abs. 1 SGB XII grundsätzlich nach dem Aufenthalt des Leistungsempfängers. Dies gilt nach § 98 Abs. 5 SGB XII allerdings nicht soweit die Leistungsempfänger Leistungen in Formen ambulanter betreuter Wohnmöglichkeiten erhalten. In diesem Fall ist der Träger der Sozialhilfe örtlich zuständig, der vor Eintritt in diese Wohnform zuletzt zuständig war oder gewesen wäre.

Die Zuständigkeit der Beklagten wurde hier mit dem Umzug der Leistungsempfängerin nach Bremerhaven nicht begründet. Entscheidend ist dabei, ob § 98 Abs. 5 Satz 1 SGB XII ein fortdauerndes tatsächliches betreutes Wohnen auch am Zuzugsort voraussetzt oder ob ein bestehender (fortgesetzter) Betreuungsbedarf ausreicht.

Nach Auffassung der Kammer ist wie folgt zu differenzieren: Wird mit dem Umzug das betreute Wohnen tatsächlich beendet, findet § 98 Abs. 5 Satz 1 SGB XII keine Anwendung. Wird das betreute Wohnen nahtlos fortgesetzt, liegt ein Anwendungsfall des § 98 Abs. 5 Satz 1 SGB XII vor.

Besteht nach dem Umzug jedoch ein fortgesetzter Bedarf für ein betreutes Wohnen, der aber nur aufgrund mit dem Umzug verbundener Umstände nicht realisierbar ist, und mündet dieser Bedarf erneut in ein ambulant betreutes Wohnen, findet nach Auffassung der Kammer § 98 Abs. 5 Satz 1 SGB XII weiterhin Anwendung.

So liegt der Fall wohl hier. Nach dem weder vom Kläger noch von der Beigeladenen widersprochenem Bericht der Beklagten vom 16.07.2010 (Bl. 6f. der Verwaltungsakte des Klägers) wird deutlich, dass die Leistungsempfängerin wohl weniger auf Einladung von Frau K., sondern vielmehr aus eigenen – krankhaften – Erwägungen die Reise nach B. angetreten hat. Der Umzug der Leistungsempfängerin war getrieben von der Angst in der Wohngemeinschaft in P. ermordet zu werden. Frau K. hat die Leistungsempfängerin notgedrungen lediglich übergangsweise bei ihr aufgenommen. Bereits am 09.03.2010 wurde im Rahmen des Hausbesuchs bei Frau K. deutlich, dass die Leistungsempfängerin nicht in der Lage ist, den Anforderungen an ein eigenständiges Wohnen gerecht zu werden. Demzufolge kam sie (wohl nur übergangsweise) noch am gleichen Tag in ein Frauenhaus. Am 15.04.2010 wurde durch die damalige Betreuerin ein erneuter Antrag auf Übernahme der Kosten für betreutes Wohnen gestellt. Allein aus dem Umstand, dass die Betreuerin erst im April den Antrag stellte, kann nicht geschlussfolgert werden, dass das Betreute Wohnen für die Leistungsempfängerin nicht auch vorher erforderlich gewesen wäre. Insbesondere das Krankheitsbild der Leistungsempfängerin, die ausweislich des ärztlichen Zeugnisses der Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie W. vom Oktober 2009 ( Bl. 11 ff. der Verwaltungsakten des Klägers) an einer paranoiden Schizophrenie leidet, und auch die tatsächlichen Abläufe nach dem Umzug lassen nicht den Schluss zu, die Leistungsempfängerin wäre nach dem Umzug nach B., der sich für diese als eine "Flucht" darstellte, in der Lage gewesen, selbständig und ohne die besondere Fürsorge des Betreutes Wohnen zurecht zu kommen. Insbesondere der Umstand, dass sich der Zustand der Leistungsempfängerin während des vorübergehenden Aufenthaltes im Frauenhaus derart verschlechterte, dass eine stationäre Behandlung erforderlich war, lässt die Auffassung des Klägers, mit dem Umzug habe kein Betreuungsbedarf mehr bestanden, lebensfremd erscheinen.

Die Umstände des Falls lassen damit nicht erkennen, dass die Kette des betreuten Wohnens durch den Umzug derart unterbrochen wurde, dass ein neuer Leistungsfall eingetreten ist. Vielmehr war die Aufnahme der Leistungsempfängerin in das betreute Wohnen in B. logische Konsequenz des Umzuges und deren Krankheitsbildes. Dass bei einem eigenmächtig vollzogenen Umzug durch die Betreute ein nahtloser Anschluss des betreuten Wohnens nicht gewährleistet werden kann, versteht sich dabei von selbst.

Aus gleichen Erwägungen scheitert auch ein Erstattungsanspruch nach § 102 Abs. 1 SGB XII und § 105 Abs. 1 SGB XII. Auch hierfür wäre eine Zuständigkeit der Beklagten Voraussetzung.

Ob der Kläger einen Erstattungsanspruch gegen den Beigeladenen hat, musste in diesem allein gegen die Beklagte gerichteten Verfahren nicht geklärt werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf und folgt der Entscheidung in der Hauptsache.
Rechtskraft
Aus
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