S 7 AS 1567/13

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
SG Dresden (FSS)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 7 AS 1567/13
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Jugendarrest gem. § 16 Jugendgerichtsgesetz (JGG) ist keine richterlich angeordnete Freiheitsentziehung im Sinne von § 7 Abs. 4 S. 2 SGB 2
Bemerkung
Jugendarrest gem. § 16 Jugendgerichtsgesetz (JGG) ist keine richterlich angeordnete Freiheitsentziehung im Sinne von § 7 Abs. 4 S. 2 SGB 2
I. Der Bescheid des Beklagten vom 12.03.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 06.02.2013 wird aufgehoben.
II. Der Beklagte hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
III. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Frage, ob es sich bei einem Dauerarrest gem. § 16 Jugendgerichtsgesetz (JGG) um einen richterlich anordneten Freiheitsentzug handelt, welcher den Beklagte berechtigt, dem Kläger für die Dauer des Jugendarrest die Leistungen gem. § 7 Abs. 4 S. 2 Sozialgesetzbuch, Zweites Buch (SGB II) vollständig aufzuheben und zurück zu verlangen. Der Kläger wurde 1993 geboren. Mit Datum vom 24.03.2011 beantragte er erstmals selbst Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II beim Beklagten. Ferner beantragte er, dass es ihm ermöglicht wird, in eine eigene Wohnung zu ziehen. Seit dem 28.03.2011 bewohnt der Kläger eine eigene Einraumwohnung in H. Diese ist ca. 28,29 m² groß. Der monatliche Mietzins beträgt 114,00 EUR. Die Vorauszahlung auf die kalten Betriebskosten beträgt 37,00 EUR (21,00 EUR Betriebskosten + 16,00 EUR Kaltwasser). Für Heizung und Warmwasser sind monatlich 26,00 EUR zu zahlen. Mit Bescheid vom 16.02.2010 wurde durch das Landratsamt B. – Sozialamt – beim Kläger ein Grad der Behinderung (GdB) 80 wegen einer seelischen Krankheit festgestellt. Durch den Beklagten wurde bezüglich des Klägers ein "Härtefall U25" anerkannt und ihm wurden mit Bewilligungsbescheid vom 31.03.2011 für den Zeitraum vom 28.03.2011 bis 29.02.2012 erstmals Leistungen nach dem SGB II unter Anerkennung der tatsächlichen Kosten der Unterkunft bewilligt. Für den Monat März 2011 wurden anteilig Leistungen ab Antragstellung in Höhe von 71,47 EUR bewilligt. Ab April 2011 wurden dem Kläger monatlich Leistungen in Höhe von 536,00 EUR bewilligt, die sich aus den anerkannten Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von 177,00 EUR und dem maßgeblichen gesetzlichen Regelbedarf in Höhe von 359,00 EUR zusammensetzten. Per Email teilte die Mutter des Klägers, A. S., dem Beklagten am 14.02.2012 mit, dass sich ihr Sohn auf Grund des Beschlusses des Amtsgerichts H. im Zeitraum vom 13.02.2012 bis 27.02.2012 im Arrest befindet, da er gegen Auflagen verstoßen habe. Mit Änderungsbescheid vom 12.03.2012 hob der Beklagte den Bewilligungsbescheid vom 31.03.2011 für die Zeit vom 13.02.2012 bis 27.02.2012 vollständig in Höhe von 293,87 EUR auf. Zur Begründung gab der Beklagte an, dass der Kläger gem. § 7 Abs. 4 S. 2 SGB II für den Zeitraum seines Arrestes vom Leistungsbezug ausgeschlossen sei. Mit Schreiben vom 28.03.2012 legte der Kläger Widerspruch gegen den Bescheid vom 12.03.2012 ein. Der Kläger machte geltend, dass es sich bei dem gegen ihn verhängten Jugendarrest um ein Zuchtmittel handele und nicht um eine richterliche Freiheitsentziehung. Zur Begründung berief er sich auf das Urteil des Sozialgerichts (SG) Gießen vom 01.03.2010 – S 29 AS 1053/09. Mit Bescheid vom 20.11.2012 erklärte der Beklagte, dass die mit Bescheid vom 12.03.2012 geltend gemachte Forderung in Höhe von 293,87 EUR gegen den Anspruch auf Geldleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts aufgerechnet wird. Der Widerspruch gegen den Bescheid vom 12.03.2012 wurde mit Widerspruchsbescheid vom 06.02.2013 (W 1165/12) als unbegründet zurückgewiesen. Im Widerspruchsbescheid verblieb der Beklagte bei seiner Rechtsauffassung, wonach im Falle der Verbüßung eines Dauerarrest nach § 16 JGG ein Fall des Leistungsausschlusses gem. § 7 Abs. 4 S. 2 SGB II vorläge. Vom Ausschlusstatbestand des § 7 Abs. 4 S. 2 SGB II werde generalisierend jede Vollzugsform erfasst und damit auch der Dauerarrest. Der Dauerarrest werde durch einen Richter ausgesprochen und sei selbstverständlich ein Eingriff in die grundrechtlich geschützte Freiheit der Person. § 7 Abs. 4 S. 2 SGB II stelle nur auf die Wirkung "Freiheitsentziehung" ab, nicht jedoch auf die rechtliche Grundlage. Gegen den Bescheid des Beklagten vom 12.03.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 06.02.2013 erhob der Kläger am 11.03.2013 Klage beim Sozialgericht Dresden. Zur Begründung führte er unter Berufung auf das Urteil des SG Gießen – S 29 AS 1053/09 an, dass es sich bei Jugendarrest nach § 16 JGG nicht um eine Haftstrafe, sondern um ein Zuchtmittel handele und die Leistungen deshalb zu Unrecht von ihm zurückgefordert werden. Während der Dauer des Arrestes habe zudem das Mietverhältnis für die von ihm angemietete Wohnung fortbestanden. Eine Leistungskürzung stehe in keinem Verhältnis zum Dauerarrest und stelle eine außerordentlich hohe Bürde dar. Der Kläger beantragt sinngemäß, den Bescheid des Beklagten vom 12.03.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids (W 1165/12) vom 06.02.2013 aufzuheben. Der Beklagte beantragt, die Klage anzuweisen. Der Beklagte verteidigt die ergangenen Bescheide. Er ist der Rechtsauffassung, für die Dauer des Jugendarrestes läge beim Kläger der Ausschlussgrund des § 7 Abs. 4 S. 2 SGB II vor, wonach der Kläger vom Leistungsbezug nach dem SGB II ausgeschlossen sei. Das Bundessozialgericht (BSG) gehe in seiner Entscheidung vom 06.09.2007 – B 14/7b AS 16/07 R zum Begriff der stationären Einrichtung davon aus, dass der Begriff der Einrichtung funktional auszulegen sei. Maßgeblich sei danach allein, ob der in einer Einrichtung Untergebrachte auf Grund der objektiven Struktur der Einrichtung in der Lage sei, wöchentlich 15 Stunden bzw. täglich 3 Stunden auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt erwerbstätig zu sein. Dies sei dem sich in Jugendarrest befindlichen Jugendlichen für die Dauer des Arrests gerade nicht möglich. Der Aufenthalt in einer stationären Einrichtung sei dem Aufenthalt zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung gleichgestellt. Deshalb sei seien die Voraussetzungen für den Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 4 S. 2 SGB II gegeben. Zudem sei das BSG in seinen Entscheidungen vom 24.02.2011 – B 14 AS 81/09 R und vom 21.06.2011 – B 4 AS 128/10 R auch im Falle der Verbüßung einer Ersatzfreiheitsstraße nach § 43 Strafgesetzbuch (StGB) von einem Leistungsausschluss nach dem SGB II ausgegangen. Zuletzt macht der Beklagte geltend, das SG Gießen würde sich in seiner Entscheidung Az. S 29 AS 1053/09 zu Unrecht darauf stützen, dass es ein Anliegen des Gesetzgebers gewesen sei, einen ständigen Wechsel des zuständigen Leistungsträgers nach SGB II und SGB X zumindest für überschaubare vorübergehende Zeiträume zu vermeiden. Gegen diese Betrachtungsweise spreche nach Ansicht des Beklagten, dass derjenige, der in einer solchen Einrichtung untergebracht und nicht unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 15 Stunden wöchentlich erwerbstätig ist, bereits vom ersten Tag seiner stationären Unterbringung von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen sei. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten verwiesen, die Gegenstand der Entscheidungsfindung waren.

Entscheidungsgründe:

I.
1. Die als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage gem. § 54 Abs. 1 und Abs. 4 Sozialgesetzbuch (SGG) statthafte Klage ist zulässig und begründet. Die Aufhebung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II des Klägers für den Zeitraum vom 13.02.2012 bis 27.02.2012 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. 2. Der Kläger wendet sich gegen die Aufhebung der Leistungen nach dem SGB II (Regelbedarf und Kosten der Unterkunft und Heizung) für den Zeitraum, in welchem er sich im Dauerarrest gem. § 16 JGG befunden hat. 3. Der Beklagte kann die Aufhebung der bewilligten Leistung nicht auf § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X stützen, da der Kläger nicht vom Leistungsbezug gem. § 7 Abs. 4 S. 2 SGB II ausgeschlossen war. Die ihn betreffende Leistungsbewilligung war auch in dem Zeitraum rechtmäßig, in welchem sich der Kläger in der Jugendarrestanstalt befand. 3. Der Kläger war im seitgegenständlichen Zeitraum grundsätzlich leistungsberechtigt im Sinne des SGB II. Gem. § 19 Abs. 1 S. 1 SGB II erhalten erwerbsfähige Leistungsberechtigte Arbeitslosengeld II. Dieses umfasst gem. § 19 Abs. 1 S. 3 SGB II den Regelbedarf, Mehrbedarfe und die Kosten der Unterkunft. Nach § 7 Abs. 1 S. 1 SGB II erhalten Leistungen nach diesem Buch Personen, die (1.) das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze des § 7a SGB II noch nicht erreicht haben, (2.) erwerbsfähig sind, (3.) hilfebedürftig sind und (4.) ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben. Der Kläger erfüllt die vorgenannten Voraussetzungen. Er hatte im dem in Streit stehenden Zeitraum ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland. Er war im betreffenden Zeitraum 19 Jahre alt und erwerbsfähig im Sinne des § 8 Abs. 1 SGB II. Der Kläger war im streitgegenständlichen Zeitraum auch hilfebedürftig im Sinne des § 9 Abs. 1 SGB II. Danach ist hilfebedürftig, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder Trägern anderer Sozialleistungen, erhält. Insbesondere war der Kläger nicht gem. § 7 Abs. 4 S. 2 SGB II vom Leistungsbezug ausgeschlossen. 4. Gem. § 7 Abs. 4 S. 1 SGB II ist u.a. derjenige vom Leistungsbezug ausgeschlossen, der in einer stationären Einrichtung untergebracht ist. Gem. § 7 Abs. 4 S. 2 SGB II ist dem Aufenthalt in einer stationären Einrichtung der Aufenthalt in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung gleichgestellt. Der vom Kläger im Zeitraum vom 13.02.2012 bis 27.02.2012 verbüßten Jugendarrest gem. § 16 JGG ist keine richterlich angeordnete Freiheitsentziehung gem. § 7 Abs. 4 S. 2 SGB II. Dem Beklagten ist zuzugeben, dass der Jugendarrest vorliegend durch einen Richter angeordnet wurde und der Kläger während des Arrestvollzugs in seinem Freiheitsgrundrecht gem. Art. 2 Abs. 2 Grundgesetz (GG) eingeschränkt war. Die Frage, ob es sich bei Jugendarrest nach dem JGG um eine richterlich angeordnete Freiheitsentziehung handelt, kann nur unter Berücksichtigung der Besonderheiten aus dem JGG beantwortet werden kann. Gem. § 5 JGG Abs. 1 und 2 JGG können aus Anlass einer Straftat eines Jugendlichen Erziehungsmaßregeln, Zuchtmittel oder Jugendstrafe gegen diesen verhangen werden, wobei der Jugendarrest zu den Zuchtmitteln gehört, §§ 13 ff., 16 JGG. Insgesamt ist dem Sanktionssystem des JGG ist ein abgestuftes System von Ahndungen und Strafen immanent. Erziehungsmaßregeln, welche die Folge mit der geringsten Intensität sind, sollen die die Lebensführung des Jugendlichen erzieherisch wirksam beeinflussen und diese fördern und sichern. Zuchtmittel werden gegen den Jugendlichen zur Ahndung einer Straftat angeordnet, wenn Jugendstrafe nicht geboten ist, dem Jugendlichen aber eindringlich zu Bewusstsein gebracht werden muss, dass er für das von ihm begangene Unrecht einzustehen hat. Zuchtmittel sollen sowohl repressiv wirken als auch der Erziehung des Jugendlichen dienen (vgl. dazu §§ 15 Abs. 3 S. 1, 16 Abs. 3 S. 1 JGG). Der in § 16 JGG geregelte Jugendarrest kann als Freizeitarrest, Kurzzeitarrest oder Dauerarrest verhangen werden, wobei ein Dauerarrest mindestens für eine Woche und höchstens für vier Wochen verhangen werden darf (vgl. § 16 Abs. 4 JGG). Zuletzt kann der Jugendarrest auch als sog. Ungehorsamkeitsarrest gem. §§ 11 Abs. 3, 15 Abs. 3 JGG in den Fällen verhangen werden, in denen der Jugendliche Auflagen oder Weisungen schuldhaft nicht nachkommt. Wie die Erziehungsmaßregeln auch stellen alle Zuchtmittel keine echten Kriminalstrafen dar. Sie haben auch nicht die Rechtswirkungen einer Kriminalstrafe; eine Eintragung ins Bundeszentralregister erfolgt nicht. Der Kläger befand sich für einen Zeitraum von 2 Wochen in der Jugendarrestanstalt Bautzen. Seinen eigenen Angaben zu Folge wurde der Arrest gegen ihn verhangen, da er Weisungen bzw. Auflagen nicht nachgekommen war. Ein Dauerarrest gem. § 16 Abs. 1 und 4 JGG lag somit vor. Vom Jugendarrest nach § 16 JGG ist die Jugendstrafe gem. §§ 17 ff. JGG zu unterscheiden. Bei der Jugendstrafe handelt es sich eine Kriminalstrafe. Aus dem Wortlaut des § 17 Abs. 1 JGG ergibt sich, dass die Jugendstrafe die einzige Kriminalstrafe des JGG ist. Deshalb ist zwar die Jugendstrafe, nicht jedoch der Jugendarrest als eine richterlich angeordnete Freiheitsentziehung anzusehen. In den Gesetzesmaterialien zu § 7 Abs. 4 SGB II (vgl. BT-Drs. 16/1410) lassen sich keine Hinweise dazu finden, ob Jugendarrest von § 7 Abs. 4 SGB II erfasst werden soll. Das SG Gießen, Urteil vom 01.03.2010 – S 29 AS 1053/09, geht in seiner Entscheidung davon aus, dass auch nach Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung bei einem kurzfristigen Arrest kein Leistungsbezug anzunehmen ist. Das SG Gießen hat a.a.O. dazu ausgeführt: "Nach Sinn und Zweck des § 7 Abs. 4 SGB II sollen potentielle Leistungsempfänger vom Leistungsbezug nach dem SGB II ausgeschlossen sein, wenn ein an sich Erwerbsfähiger in einer Einrichtung so untergebracht ist, dass er daneben objektiv nicht mehr in der Lage ist, erwerbstätig zu sein. Nach dem vom Bundessozialgericht verfolgten "funktionalen Ansatz" (BSG, Urteile vom 6. September 2007, B 14/7b AS 60/06 und B 14/7b AS 16/07 R) kommt es daher grds. darauf an, ob aufgrund des Charakters, der Art, der Struktur und der Verfasstheit einer Einrichtung objektiv eine Erwerbstätigkeit unmöglich ist. Aus der Ausnahme vom Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 4 Satz 3 Nr. 1 SGB II unter Berücksichtigung eines weniger als 6-monatigen Krankenhausaufenthalts ergibt sich darüber hinaus ein Anliegen des Gesetzgebers, einen ständigen Wechsel des zuständigen Leistungsträgers (nach SGB II bzw. nach SGB XII) zumindest für überschaubare vorübergehende Zeiträume zu vermeiden. Da der Kläger vorliegend lediglich 14 Tage Dauerarrest ableistete entsprach es damit auch nicht dem Sinn und Zweck des § 7 Abs. 4 SGB II, ihn für diesen kurzen, zeitlich von vornherein begrenzten Zeitraum einem anderen Leistungsträger als der Beklagten zuzuordnen. Eine dem § 7 Abs. 4 Satz 3 Nr. 1 SGB II entsprechende Ausnahmevorschrift für richterlich angeordnete Freiheitsentziehungen sieht das SGB II nicht vor. Eine solche Ausnahmevorschrift ist systematisch auch nicht erforderlich, da eine richterlich angeordnete Freiheitsentziehung in der Regel eine Haft von mindestens 6 Monaten voraussetzt. Im Rahmen von Haftstrafen nach dem Strafgesetzbuch (StGB) ergibt sich dies aus § 47 Abs. 1 StGB. Für die Jugendstrafe als Haftstrafe ergibt sich dies aus § 18 Abs. 1 Satz 1 JGG. Insofern wäre es überflüssig gewesen, in § 7 Abs. 4 SGB II eine Ausnahme vom Leistungsausschluss für einen richterlich angeordnete Freiheitsentzug von weniger als 6 Monaten einzuführen (vgl. hierzu auch SG Bremen, Beschluss vom 26. Juni 2009, S 26 AS 1118/09 ER, Rn. 17). Schließlich spricht auch dies spricht dafür, dass Freiheitsentziehungen von weniger als 6 Monaten, wie im vorliegenden Fall eines Jugendarrestes, generell nicht vom Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 4 Satz 2 SGB II umfasst sind." Dieser Auffassung schließt sich die Kammer nach eigener Prüfung an. Gegen eine Gleichbehandlung des Jugendarrests mit der Jugendstrafe und damit als Freiheitsstrafe spricht zudem, dass beide Sanktionen völlig unterschiedliche Zielrichtungen verfolgen. Ziel des Jugendarrestes ist nicht etwa eine Spezial- oder Generalprävention, sondern durch den Vollzug Jugendarrest soll gem. § 90 Abs. 1 JGG das Ehrgefühl des Jugendlichen geweckt und ihm eindringlich zum Bewusstsein gebracht werden, dass er für das von ihm begangene Unrecht einzustehen hat. Ferner soll der Vollzug erzieherisch gestaltet werden und dem Jugendlichen helfen, die Schwierigkeiten zu bewältigen, die zur Begehung der Straftat beigetragen haben. Jugendarrest und Jugendstrafe dürfen gem. § 90 Abs. 2 JGG auch nicht gemeinsam vollzogen werden. Jugendarrest muss in Arrestanstalten vollzogen werden, die von Haftanstalten zu unterscheiden sind. Dies folgt auch aus § 1 Abs. 2 Jugendarrestvollzugsordnung (JAVollzO), wonach Jugendarrestanstalten nicht gleichzeitig dem Vollzug von Strafe oder dem Vollzug an Erwachsenen dienen und nicht in Straf- oder Untersuchungshaftanstalten, auch nicht im Verwaltungsteil dieser Anstalten, eingerichtet werden dürfen. Der Beklagte kann sich vorliegend nicht auf die Urteile des BSG vom 24.02.2011 – B 14 AS 81/09 R und vom 21.06.2010 – B 4 AS 128/10 R berufen, wonach der Leistungsausschluss gem. § 7 Abs. 4 S. 2 SGB II eingreift, wenn der Leistungsempfänger eine Ersatzfreiheitsstrafe gem. § 43 StGB verbüßt. Das BSG hat in seiner Entscheidung vom 21.06.2011 ausgeführt: "Entsprechend der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts hat der 14. Senat des BSG zu § 7 Abs 4 Satz 2 SGB II in der hier maßgebenden Fassung entschieden, dass der Leistungsausschluss vom ersten Tag der Aufnahme in die Einrichtung (BSG Urteil vom 6.9.2007 - B 14/7b AS 16/07 R, BSGE 99, 88 ff = SozR 4-4200 § 7 Nr 7, RdNr 16) auch greife, wenn der Hilfebedürftige in der JVA eine Ersatzfreiheitsstrafe nach § 43 Strafgesetzbuch (StGB) verbüße, weil er sich auch dann in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung aufhalte (BSG Urteil vom 24.2.2011 - B 14 AS 81/09 R, RdNr 20, zur Veröffentlichung vorgesehen). Hintergrund des fehlenden Ausspruchs der Ersatzfreiheitsstrafe im Falle der Nichtzahlung der Geldstrafe im Strafurteil sei, dass der Maßstab der Umrechnung zwischen Geldstrafe und Ersatzfreiheitsstrafe im Gesetz bereits bestimmt sei und dem Strafrichter insoweit kein Raum für eine eigene Entscheidung verbleibe (§ 43 Abs 2 StGB). Bei jeder Verurteilung zu einer Geldstrafe werde die Ersatzfreiheitsstrafe bei Nichtzahlung der Geldstrafe mitgedacht und mitverhängt und trete als echte Strafe ohne rechtsgestaltenden Akt an die Stelle der Geldstrafe (BSG Urteil vom 24.2.2011 - B 14 AS 81/09 R, RdNr 21, zur Veröffentlichung vorgesehen; BVerfG NJW 2006, 3626; BGHSt 20, 13 (16))." Wie bereits ausgeführt, handelt es sich bei Jugendarrest gem. § 16 JGG schon nicht um eine echte Kriminalstrafe, so dass eine Gleichbehandlung eines Jugendarrestanten mit einer Person, die eine Ersatzfreiheitsstrafe in einer Justizvollzugsanstalt verbüßt, nicht in Betracht kommt. Zuletzt kann auch die vom Beklagten angeführte Entscheidung des BSG vom 06.09.2007 – B 14/7b AS 16/07 R vorliegend zu keinem anderen Ergebnis führen. Das BSG hat mit diesem Urteil den Regelvollzug in einer Justizvollzugsanstalt (JVA) als Einrichtung im Sinne des § 7 Abs. 4 SGB II angesehen. Der Kläger befand sich jedoch weder in einer Justizvollzugsanstalt noch im Regelvollzug, sondern gegen ihn wurde ein Zuchtmittel des JGG vollzogen. Den vom Kläger zurückverlangten Betrag (anteilige Regelleistung und Kosten der Unterkunft) in Höhe von 293,87 EUR hat der Beklagte durch die mit Bescheid vom 20.11.2012 erklärte und vollzogene Aufrechnung bereits erhalten. Daher sind diese Leistungen an den Kläger erneut auszuzahlen.

II.
Die Kostenentscheidung folgt der Entscheidung in der Hauptsache und beruht auf § 193 SGG.

III.
Die Berufung war durch das Gericht zuzulassen. Die Klärung der Frage, ob Jugendarrest gem. § 16 JGG eine richterlich angeordnete Freiheitsentziehung gem. § 7 Abs. 4 S. 2 JGG ist, ist von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne von § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG. Diese Rechtsfrage ist in der Rechtsprechung bisher noch nicht geklärt. Die Klärung der Rechtsfrage liegt indes im allgemeinen Interesse und nicht lediglich im Individualinteresse der Beteiligten, da aufgrund der behandelten Lebenssituation in der Zukunft mit einer Vielzahl gleichgelagerter Fälle zu rechnen ist. Unabhängig von der Berufungssumme war die Zulassung der Berufung daher geboten, auch um eine einheitliche Rechtsprechung in dieser Frage sicherzustellen.
Rechtskraft
Aus
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