Land
Hamburg
Sozialgericht
SG Hamburg (HAM)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
20
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 20 R 113/07
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Bescheide der Beklagten vom 1.11.2006 und vom 14.12.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5.1.12007 werden abgeändert. 2. Die Beklagte wird verurteilt, bei der Feststellung der Versicherungszeiten und der Berechnung der Altersrente des Klägers auch die in den Jahren 1969,1972, 1975, 1979, 1980, 1983, 1985, 1986 und 1987 zurückgelegten Zeiten als nachgewiesene Beitragszeiten nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu berücksichtigen. 3. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers dem Grunde nach.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Bewertung von in sowjetischen Kolchosen zurückgelegten Beitragszeiten.
Der Kläger ist am xxxxx1942 in T. in der ehemaligen UdSSR geboren. Er ist d. Staatsangehöriger und Inhaber einer Spätaussiedlerbescheinigung nach § 15 Abs. 1 Bundesvertriebenengesetz. Bis zu seinem Zuzug nach D. im Jahre 2004 hat er in der UdSSR bzw. in R. gelebt. Ausweislich seines Arbeitsbuches war der Kläger ab 1957 – unterbrochen durch den Militärdienst (xxxxx1963 bis xxxxx1966) - bis 1976 Kolchosmitglied. Zunächst gehörte er der Kolchose E. und danach der Kolchose S. in K. / Gebiet O2 an. Ab 1977 war er Mitglied der Kolchose O1, die im Jahr 1992 in eine Aktiengesellschaft umgewandelt wurde.
Mit Feststellungsbescheid vom 27.9.2005 stellte die Beklagte folgende Beschäftigungszeiten des Klägers nach § 149 Abs. 5 Sozialgesetzbuch – Sechstes Buch – (SGB VI) als nachgewiesene Zeiten nach dem Fremdrentengesetz (FRG) zu 6/6 fest: 1967, 1968, 1970, 1971, 1973, 1974, 1976, 1977, 1982, 1984 bis 1992. Die restlichen Beschäftigungszeiten wurden als lediglich glaubhaft gemachte Zeiten zu 5/6 berücksichtigt.
Gegen den Feststellungsbescheid legte der Kläger am 24.10.2005 Widerspruch ein, den er unter anderem damit begründete, dass er mit der Anrechung zu 5/6 nicht einverstanden sei. Er legte eine Bescheinigung der E.-Kolchose vor, aus der hervorgeht, dass er dort von 1957 bis 1976 als Tierzüchter gearbeitet hat. In einer weiteren von dem Kläger eingereichten Bescheinigung der Aktiengesellschaft T1 werden für die Zeit in der Kolchose O1 von 1977 bis 1997 die geleisteten Arbeitstage des Klägers pro Jahr aufgeführt. Einer dritten Bescheinigung der Aktiengesellschaft R2 zufolge war der Kläger vom 6.6.1998 bis 10.2.2004 als Forstaufseher tätig.
Mit Feststellungsbescheid vom 1.11.2006 – der gem. § 86 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gegenstand des anhängigen Widerspruchsverfahren geworden ist - nahm die Beklagte daraufhin auch für das Jahr 1981 eine volle Anrechnung zu 6/6 vor.
Mit Bescheid vom 14.12.2006 gewährte die Beklagte dem Kläger ab 1.2.2007 Regelaltersrente in Höhe von 574,37 EUR, wobei die Anrechnung der Zeiten entsprechend der Feststellungen im Bescheid vom 1.11.2006 erfolgte. Zur Erläuterung heißt es in dem Bescheid, die zu 5/6 angerechneten Beitrags- bzw. Beschäftigungszeiten könnten nicht voll berücksichtigt werden, weil sie nicht nachgewiesen, sondern nur glaubhaft gemacht seien.
Mit Widerspruchsbescheid vom 5.1.2007 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers – soweit ihm nicht durch Feststellungsbescheid vom 1.11.2006 abgeholfen worden war – mit der Begründung zurück, die übrigen Zeiten der Mitgliedschaft in einer Kolchose seien nicht auf 6/6 zu erhöhen, weil nicht mindestens 300 Arbeitstage pro Kalenderjahr bescheinigt worden seien.
Mit der am 24.1.2007 erhobenen Klage verfolgt der Kläger den geltend gemachten Anspruch fort. Er ist der Ansicht, dass ihm für seine Beschäftigungszeiten bis einschließlich 1987 durchgängig eine ungekürzte FRG-Rente zustehe.
Der Kläger beantragt,
die Bescheide der Beklagten vom 01.11.2006 und 14.12.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5.1.2007 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, bei der Feststellung der Versicherungszeiten und der Berechnung der Altersrente des Klägers auch die in den Jahren 1969,1972, 1975, 1979, 1980, 1983, 1985, 1986 und 1987 zurückgelegten Zeiten als nachgewiesene Beitragszeiten zu berücksichtigen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hält die vom Kläger eingereichten Bescheinigungen und Unterlagen nicht für geeignet, den Nachweis einer ununterbrochenen Beschäftigung zu erbringen. Eine weitere 6/6- Anrechnung sei daher nicht gerechtfertigt. Diese komme erst dann in Frage, wenn mehr als 300 Arbeitstage pro Jahr zurückgelegt worden seien.
Nach erster Erörterung der Sach- und Rechtslage im Termin am 30.7.2009 hat das Gericht im Rahmen der Sachverhaltsermittlungen die Geflügelgroßfarm A. (Aktiengesellschaft R2), die Aktiengesellschaft T1 (frühere Kolchose O1) und das M. Archiv - Administration des R1, Gebiet O2 -, in dem die Unterlagen der Aktiengesellschaft T1 archiviert sind, um Angaben zu den von dem Kläger während seiner damaligen Beschäftigung geleisteten Arbeitstagen gebeten. Es wird insoweit auf die Schreiben des Gerichts vom 26.8.2009, 11.2.2010 und der Angeschriebenen vom 22.9.2009, 30.3.2010, 10.9.2010 Bezug genommen. Das Gericht hat des Weiteren die Prozessakte des Sozialgerichts Dortmund zum Aktenzeichen S 22 RA 35/03 beigezogen und den Beteiligten die darin befindlichen Auskünfte der Sachverständigen Dr. S1 vom Institut für O. M1 e.V. übermittelt. Diese zu verschiedenen Aspekten der Arbeitssituation von Mitgliedern sowjetischer Kolochosen erteilten Stellungnahmen waren Grundlage des zu dem genannten Aktenzeichen ergangenen Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 30.1.2006.
Mit Schreiben vom 25.7.2011 hat die Beklagte ein Teilanerkenntnis abgegeben und erklärt, eine ungekürzte Anrechung für die Jahre 1978 und 2001 vorzunehmen, da sich aus den Archivunterlagen unter Berücksichtigung der bescheinigten Urlaubstage für diese Jahre mehr als 300 Arbeitstage ergäben.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 26.01.1212 hat der Kläger das Teilanerkenntnis angenommen.
Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Sitzungsniederschriften vom 30.7.2009 und 26.1.2012 sowie auf den weiteren Inhalt der Prozessakte der Kammer und der Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Beratung der Kammer gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig. Zwar hat sich der Kläger mit seiner Klage ausdrücklich nur gegen die Feststellungsbescheide in der Fassung des Widerspruchsbescheides gewandt. Der Klagantrag ist aber im Wege der sachdienlichen Auslegung dahingehend auszulegen, dass er sich auch gegen den Rentenbescheid vom 14.12.2006 richtet, der während des Widerspruchsverfahrens erlassen wurde und daher analog § 86 SGG Gegenstand des Widerspruchsverfahrens geworden ist (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz, 10. Aufl., § 96 SGG Rn 9d). Die Durchführung eines weiteren Widerspruchsverfahrens gegen einen Rentenbescheid, der im Laufe des Widerspruchsverfahrens gegen den dem Rentenbescheid zugrunde liegenden Feststellungsbescheid erlassen wird, ist nicht erforderlich.
Die Klage ist auch begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten. Der Kläger hat Anspruch darauf, dass bei der Berechnung seiner Altersrente auch die in den Jahren 1969, 1972, 1975, 1979, 1980, 1983, 1985, 1986 und 1987 in einer sowjetischen Kolchose zurückgelegten Beitragzeiten als nachgewiesene Beitragszeiten im Umfang von 6/6 berücksichtigt werden.
Dies ergibt sich aus folgendem: Auf die Feststellung der in der S2 zurückgelegten rentenrechtlichen Zeiten des Klägers findet das Fremdrentengesetz (FRG) Anwendung, denn der Kläger gehört als Spätaussiedler unstreitig zum Personenkreis des § 1 FRG. Gem. § 15 Abs. 1 S. 1 FRG stehen Beitragszeiten, die bei nichtdeutschen Träger der gesetzlichen Rentenversicherungen zurückgelegt wurden, den nach Bundesrecht zurückgelegten Beitragszeiten gleich. Die Ermittlung von Entgeltpunkten für Beitrags- oder Beschäftigungszeiten (§§ 15, 16 FRG) erfolgt nach Maßgabe des § 22 FRG, wobei die ermittelten Entgeltpunkte für Beitrags- und Beschäftigungszeiten, die nur glaubhaft gemacht und nicht nachgewiesen sind, um ein Sechstel gekürzt werden (§ 22 Abs. 3 FRG in der seit 1.1.1992 geltenden maßgeblichen Fassung, § 256 b SGB VI). Glaubhaft gemacht sind die Zeiten, wenn ihr Vorliegen nach dem Ergebnis der Ermittlungen, die sich auf sämtliche erreichbaren Beweismittel erstrecken sollen, überwiegend wahrscheinlich ist (§ 4 Abs. 1 FRG). Die Beweiserleichterung der Glaubhaftmachung hat der Gesetzgeber vorgesehen, um den im Anwendungsbereich des FRG häufig auftretenden Beweisnotstand abzumildern. Dabei wirkt sich das Verfahren der Glaubhaftmachung für die Versicherten dann vorteilhaft aus, wenn vorhandene aber nicht bescheinigte Zeiten der Arbeitsunterbrechung länger als 1/6 der Dauer eines bescheinigten Arbeitsverhältnisses andauerten. Auch in diesen Fällen wird die bescheinigte Beschäftigungszeit zu 5/6 angerechnet. Umgekehrt findet eine Kürzung um 1/6 auch dann statt, wenn der Berechtigte im Herkunftsgebiet ohne jede Unterbrechung tätig war, dies aber nicht nachweisen, sondern eben nur glaubhaft machen kann. Die Kürzung der Entgeltpunkte auf 5/6 nach § 22 Abs. 3 FRG geht von der Erfahrung aus, dass Beschäftigungszeiten im Allgemeinen nur zu 5/6 mit Beiträgen belegt sind, weil im Verlauf einer Beschäftigungszeit auch Zeiten der Arbeitsunfähigkeit oder sonstiger Arbeitsunterbrechung liegen können, für die keine Beiträge entrichtet werden (vgl. LSG für das Saarland, Urteil vom 13.2.2004, L 7 RJ 145/03).
Gemäß § 15 Abs. 2 FRG ist als gesetzliche Rentenversicherung im Sinne des Abs. 1 jedes System der sozialen Sicherheit anzusehen, in das in abhängiger Beschäftigung stehende Personen durch öffentlich-rechtlichen Zwang einbezogen waren, um sie und ihre Hinterbliebenen für den Fall der Minderung der Erwerbsfähigkeit, des Alters und des Todes oder für einen oder mehrere dieser Fälle durch die Gewährung regelmäßig wiederkehrender Geldleistungen (Renten) zu sichern.
Für Zeiten der Mitgliedschaft bzw. Beschäftigung in einer Kolchose oder landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft (LPG) hat das BSG grundsätzlich anerkannt, dass solche Zeiten als nachgewiesene Beitragszeiten anerkannt werden können, wenn Beiträge zu einem System der sozialen Sicherheit im Herkunftsland entrichtet wurden und keine Tatbestände vorliegen, aus denen – wie etwa bei Mutterschaftszeiten - geschlossen werden kann, dass keine Arbeitsleistung oder nur eine Teilzeitarbeit erbracht wurde (vgl. BSG, Urteil vom 21.8.2008, B 13/4 R 25/07 R und Urteil vom 12.2.2009, B 5 R 39/06 R). Die Entscheidungen beziehen sich auf rumänische LPGen. Sie sind jedoch auf sowjetische Kolchosen übertragbar, da Systemunterschiede zwischen rumänischen LPGen und sowjetischen Kolchosen hinsichtlich der im Zusammenhang mit der Anerkennung von Beitragszeiten maßgeblichen Fragen nicht bestehen. Dies hat auch die Beklagte in einem vergleichbaren vor dem Sozialgericht Hamburg unter dem Aktenzeichen S 15 RJ 1761/04 anhängig gewesenen Rechtsstreit eines ehemaligen Mitglieds einer sowjetischen Kolchose grundsätzlich anerkannt (siehe Schreiben der Beklagten zum o.g. Aktenzeichen vom 1.12.2008, S. 2).
Wie sich aus den den Beteiligten vorliegenden Stellungnahmen der Sachverständigen Dr. S1 vom Institut für O. e.V., die sie gegenüber dem Sozialgericht Dortmund im Rechtsstreit S 22 RA 35/03 abgegeben hat, ergibt, führte schon die bloße Mitgliedschaft im sowjetischen Kolchos zur ununterbrochenen Beitragsentrichtung. Grundlage hierfür war das sowjetische Gesetz über Renten und Unterstützungen für Kolchosmitglieder vom 15.7.1964. Die Beiträge für die Mitglieder der Kolchosen wurden unabhängig von Krankheitszeiten abgeführt. Die Mitgliedschaft konnte auch bei z.B. mehrwöchiger Arbeitsunfähigkeit nicht beendet werden. Die Mitglieder haben auch in Zeiten, in denen sie keine Arbeitsleistung erbracht haben, einen Grundlohn erhalten. Während der Dauer ihrer Mitgliedschaft waren die Kolchos-Mitglieder – unabhängig davon, ob zum Beispiel im Winter an bestimmten Tagen nicht gearbeitet wurde – durchgängig dem Weisungsrecht der Kolchosverwaltung unterworfen (zu den Arbeits- und Mitgliedschaftsverhältnissen in sowjetischen Kolchosen vgl. auch LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 29.9.2006, L 12 R 3649/04).
Gleichwohl hat die Beklagte nur für diejenigen Jahre eine 6/6-Anrechnung zugunsten des Klägers vorgenommen, für die ihm über 300 Arbeitstage bescheinigt worden sind. Dies mag darin begründet sein, dass bei 300 Arbeitstagen p.a. von einer über den 5/6-Umfang hinausgehende tatsächliche Arbeitsleistung ausgegangen werden kann (so die Gemeinsamen Arbeitsanweisungen der LVA Freie und Hansestadt Hamburg EL NB 22 – August 2004, § 15 Anl UdSSR FRG, S. 13). Für Mitglieder von Kolchosen ist dieses Erfordernis jedoch nicht plausibel. Zum einen ist die Anknüpfung an Arbeitstage bereits in Anbetracht dessen, dass es in Kolchosen keine normierten Arbeitstage gegeben haben dürfte und mithin auch nicht von einer 5- oder 6-Tage-Woche ausgegangen werden kann, zweifelhaft (vgl. hierzu die Ausführungen der Sachverständigen Dr. Solotych zu den Begriffen der "Mann-Arbeitstage" und Arbeitskrafttage, Prozessakte SG Dortmund Az. S 22 RA 35/03). Zudem kann es aufgrund der dargelegten Besonderheiten, die für die Mitglieder von Kolchosen bestanden, auf die bescheinigten Arbeitstage nicht ankommen. Denn für sie gilt, wie dargelegt, dass eine ununterbrochene Beitragsleistung zu einem Sicherungssystem im Sinne des § 15 Abs. 2 FRG bestand und dass sie durchgängig dem Weisungsrecht des Kolchos unterstellt waren und jederzeit bereit sein mussten, Arbeit zu leisten. Auch in Zeiten, in denen das Kolchosmitglied tatsächlich nicht gearbeitet hat, war es verpflichtet, zur Arbeitsleistung zur Verfügung zu stehen (vgl. BSG, Urteil vom 30.10.1997, 13 RJ 19/97; BSG, Urteil vom 31.3.1993, 13 RJ 17/92; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 29.9.2006, L 12 R 3649/04). Eine Unterbrechung der Beschäftigungs- und Beitragszeit, die eine Kürzung um 1/6 rechtfertigen könnte, kann daher für Mitglieder von Kolchosen regelmäßig nicht angenommen werden.
Die Kammer ist daher der Auffassung, dass die streitigen Zeiten des Klägers aufgrund seiner Mitgliedschaft in sowjetischen Kolchosen als nachgewiesene Beitragszeiten zu 6/6 zu berücksichtigen sind. Es liegen keinerlei Anhaltspunkte dafür vor, dass er während der fraglichen Zeit keinerlei Arbeitsleistung oder nur eine Teilzeitarbeitsleistung erbracht hat. Vielmehr ergibt sich aus dem Arbeitsbuch und den vorliegenden Unterlagen der Rechtsnachfolger der ehemaligen Arbeitgeber des Klägers, dass er in den streitigen Jahren durchgängig und regelmäßig tätig war. Dies hat er auch selbst überzeugend vorgetragen und im Übrigen darauf hingewiesen, dass er in Kolchosen gearbeitet habe, in denen Vieh zu versorgen war, weshalb das ganze Jahr durchgearbeitet werden musste.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Bewertung von in sowjetischen Kolchosen zurückgelegten Beitragszeiten.
Der Kläger ist am xxxxx1942 in T. in der ehemaligen UdSSR geboren. Er ist d. Staatsangehöriger und Inhaber einer Spätaussiedlerbescheinigung nach § 15 Abs. 1 Bundesvertriebenengesetz. Bis zu seinem Zuzug nach D. im Jahre 2004 hat er in der UdSSR bzw. in R. gelebt. Ausweislich seines Arbeitsbuches war der Kläger ab 1957 – unterbrochen durch den Militärdienst (xxxxx1963 bis xxxxx1966) - bis 1976 Kolchosmitglied. Zunächst gehörte er der Kolchose E. und danach der Kolchose S. in K. / Gebiet O2 an. Ab 1977 war er Mitglied der Kolchose O1, die im Jahr 1992 in eine Aktiengesellschaft umgewandelt wurde.
Mit Feststellungsbescheid vom 27.9.2005 stellte die Beklagte folgende Beschäftigungszeiten des Klägers nach § 149 Abs. 5 Sozialgesetzbuch – Sechstes Buch – (SGB VI) als nachgewiesene Zeiten nach dem Fremdrentengesetz (FRG) zu 6/6 fest: 1967, 1968, 1970, 1971, 1973, 1974, 1976, 1977, 1982, 1984 bis 1992. Die restlichen Beschäftigungszeiten wurden als lediglich glaubhaft gemachte Zeiten zu 5/6 berücksichtigt.
Gegen den Feststellungsbescheid legte der Kläger am 24.10.2005 Widerspruch ein, den er unter anderem damit begründete, dass er mit der Anrechung zu 5/6 nicht einverstanden sei. Er legte eine Bescheinigung der E.-Kolchose vor, aus der hervorgeht, dass er dort von 1957 bis 1976 als Tierzüchter gearbeitet hat. In einer weiteren von dem Kläger eingereichten Bescheinigung der Aktiengesellschaft T1 werden für die Zeit in der Kolchose O1 von 1977 bis 1997 die geleisteten Arbeitstage des Klägers pro Jahr aufgeführt. Einer dritten Bescheinigung der Aktiengesellschaft R2 zufolge war der Kläger vom 6.6.1998 bis 10.2.2004 als Forstaufseher tätig.
Mit Feststellungsbescheid vom 1.11.2006 – der gem. § 86 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gegenstand des anhängigen Widerspruchsverfahren geworden ist - nahm die Beklagte daraufhin auch für das Jahr 1981 eine volle Anrechnung zu 6/6 vor.
Mit Bescheid vom 14.12.2006 gewährte die Beklagte dem Kläger ab 1.2.2007 Regelaltersrente in Höhe von 574,37 EUR, wobei die Anrechnung der Zeiten entsprechend der Feststellungen im Bescheid vom 1.11.2006 erfolgte. Zur Erläuterung heißt es in dem Bescheid, die zu 5/6 angerechneten Beitrags- bzw. Beschäftigungszeiten könnten nicht voll berücksichtigt werden, weil sie nicht nachgewiesen, sondern nur glaubhaft gemacht seien.
Mit Widerspruchsbescheid vom 5.1.2007 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers – soweit ihm nicht durch Feststellungsbescheid vom 1.11.2006 abgeholfen worden war – mit der Begründung zurück, die übrigen Zeiten der Mitgliedschaft in einer Kolchose seien nicht auf 6/6 zu erhöhen, weil nicht mindestens 300 Arbeitstage pro Kalenderjahr bescheinigt worden seien.
Mit der am 24.1.2007 erhobenen Klage verfolgt der Kläger den geltend gemachten Anspruch fort. Er ist der Ansicht, dass ihm für seine Beschäftigungszeiten bis einschließlich 1987 durchgängig eine ungekürzte FRG-Rente zustehe.
Der Kläger beantragt,
die Bescheide der Beklagten vom 01.11.2006 und 14.12.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5.1.2007 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, bei der Feststellung der Versicherungszeiten und der Berechnung der Altersrente des Klägers auch die in den Jahren 1969,1972, 1975, 1979, 1980, 1983, 1985, 1986 und 1987 zurückgelegten Zeiten als nachgewiesene Beitragszeiten zu berücksichtigen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hält die vom Kläger eingereichten Bescheinigungen und Unterlagen nicht für geeignet, den Nachweis einer ununterbrochenen Beschäftigung zu erbringen. Eine weitere 6/6- Anrechnung sei daher nicht gerechtfertigt. Diese komme erst dann in Frage, wenn mehr als 300 Arbeitstage pro Jahr zurückgelegt worden seien.
Nach erster Erörterung der Sach- und Rechtslage im Termin am 30.7.2009 hat das Gericht im Rahmen der Sachverhaltsermittlungen die Geflügelgroßfarm A. (Aktiengesellschaft R2), die Aktiengesellschaft T1 (frühere Kolchose O1) und das M. Archiv - Administration des R1, Gebiet O2 -, in dem die Unterlagen der Aktiengesellschaft T1 archiviert sind, um Angaben zu den von dem Kläger während seiner damaligen Beschäftigung geleisteten Arbeitstagen gebeten. Es wird insoweit auf die Schreiben des Gerichts vom 26.8.2009, 11.2.2010 und der Angeschriebenen vom 22.9.2009, 30.3.2010, 10.9.2010 Bezug genommen. Das Gericht hat des Weiteren die Prozessakte des Sozialgerichts Dortmund zum Aktenzeichen S 22 RA 35/03 beigezogen und den Beteiligten die darin befindlichen Auskünfte der Sachverständigen Dr. S1 vom Institut für O. M1 e.V. übermittelt. Diese zu verschiedenen Aspekten der Arbeitssituation von Mitgliedern sowjetischer Kolochosen erteilten Stellungnahmen waren Grundlage des zu dem genannten Aktenzeichen ergangenen Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 30.1.2006.
Mit Schreiben vom 25.7.2011 hat die Beklagte ein Teilanerkenntnis abgegeben und erklärt, eine ungekürzte Anrechung für die Jahre 1978 und 2001 vorzunehmen, da sich aus den Archivunterlagen unter Berücksichtigung der bescheinigten Urlaubstage für diese Jahre mehr als 300 Arbeitstage ergäben.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 26.01.1212 hat der Kläger das Teilanerkenntnis angenommen.
Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Sitzungsniederschriften vom 30.7.2009 und 26.1.2012 sowie auf den weiteren Inhalt der Prozessakte der Kammer und der Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Beratung der Kammer gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig. Zwar hat sich der Kläger mit seiner Klage ausdrücklich nur gegen die Feststellungsbescheide in der Fassung des Widerspruchsbescheides gewandt. Der Klagantrag ist aber im Wege der sachdienlichen Auslegung dahingehend auszulegen, dass er sich auch gegen den Rentenbescheid vom 14.12.2006 richtet, der während des Widerspruchsverfahrens erlassen wurde und daher analog § 86 SGG Gegenstand des Widerspruchsverfahrens geworden ist (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz, 10. Aufl., § 96 SGG Rn 9d). Die Durchführung eines weiteren Widerspruchsverfahrens gegen einen Rentenbescheid, der im Laufe des Widerspruchsverfahrens gegen den dem Rentenbescheid zugrunde liegenden Feststellungsbescheid erlassen wird, ist nicht erforderlich.
Die Klage ist auch begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten. Der Kläger hat Anspruch darauf, dass bei der Berechnung seiner Altersrente auch die in den Jahren 1969, 1972, 1975, 1979, 1980, 1983, 1985, 1986 und 1987 in einer sowjetischen Kolchose zurückgelegten Beitragzeiten als nachgewiesene Beitragszeiten im Umfang von 6/6 berücksichtigt werden.
Dies ergibt sich aus folgendem: Auf die Feststellung der in der S2 zurückgelegten rentenrechtlichen Zeiten des Klägers findet das Fremdrentengesetz (FRG) Anwendung, denn der Kläger gehört als Spätaussiedler unstreitig zum Personenkreis des § 1 FRG. Gem. § 15 Abs. 1 S. 1 FRG stehen Beitragszeiten, die bei nichtdeutschen Träger der gesetzlichen Rentenversicherungen zurückgelegt wurden, den nach Bundesrecht zurückgelegten Beitragszeiten gleich. Die Ermittlung von Entgeltpunkten für Beitrags- oder Beschäftigungszeiten (§§ 15, 16 FRG) erfolgt nach Maßgabe des § 22 FRG, wobei die ermittelten Entgeltpunkte für Beitrags- und Beschäftigungszeiten, die nur glaubhaft gemacht und nicht nachgewiesen sind, um ein Sechstel gekürzt werden (§ 22 Abs. 3 FRG in der seit 1.1.1992 geltenden maßgeblichen Fassung, § 256 b SGB VI). Glaubhaft gemacht sind die Zeiten, wenn ihr Vorliegen nach dem Ergebnis der Ermittlungen, die sich auf sämtliche erreichbaren Beweismittel erstrecken sollen, überwiegend wahrscheinlich ist (§ 4 Abs. 1 FRG). Die Beweiserleichterung der Glaubhaftmachung hat der Gesetzgeber vorgesehen, um den im Anwendungsbereich des FRG häufig auftretenden Beweisnotstand abzumildern. Dabei wirkt sich das Verfahren der Glaubhaftmachung für die Versicherten dann vorteilhaft aus, wenn vorhandene aber nicht bescheinigte Zeiten der Arbeitsunterbrechung länger als 1/6 der Dauer eines bescheinigten Arbeitsverhältnisses andauerten. Auch in diesen Fällen wird die bescheinigte Beschäftigungszeit zu 5/6 angerechnet. Umgekehrt findet eine Kürzung um 1/6 auch dann statt, wenn der Berechtigte im Herkunftsgebiet ohne jede Unterbrechung tätig war, dies aber nicht nachweisen, sondern eben nur glaubhaft machen kann. Die Kürzung der Entgeltpunkte auf 5/6 nach § 22 Abs. 3 FRG geht von der Erfahrung aus, dass Beschäftigungszeiten im Allgemeinen nur zu 5/6 mit Beiträgen belegt sind, weil im Verlauf einer Beschäftigungszeit auch Zeiten der Arbeitsunfähigkeit oder sonstiger Arbeitsunterbrechung liegen können, für die keine Beiträge entrichtet werden (vgl. LSG für das Saarland, Urteil vom 13.2.2004, L 7 RJ 145/03).
Gemäß § 15 Abs. 2 FRG ist als gesetzliche Rentenversicherung im Sinne des Abs. 1 jedes System der sozialen Sicherheit anzusehen, in das in abhängiger Beschäftigung stehende Personen durch öffentlich-rechtlichen Zwang einbezogen waren, um sie und ihre Hinterbliebenen für den Fall der Minderung der Erwerbsfähigkeit, des Alters und des Todes oder für einen oder mehrere dieser Fälle durch die Gewährung regelmäßig wiederkehrender Geldleistungen (Renten) zu sichern.
Für Zeiten der Mitgliedschaft bzw. Beschäftigung in einer Kolchose oder landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft (LPG) hat das BSG grundsätzlich anerkannt, dass solche Zeiten als nachgewiesene Beitragszeiten anerkannt werden können, wenn Beiträge zu einem System der sozialen Sicherheit im Herkunftsland entrichtet wurden und keine Tatbestände vorliegen, aus denen – wie etwa bei Mutterschaftszeiten - geschlossen werden kann, dass keine Arbeitsleistung oder nur eine Teilzeitarbeit erbracht wurde (vgl. BSG, Urteil vom 21.8.2008, B 13/4 R 25/07 R und Urteil vom 12.2.2009, B 5 R 39/06 R). Die Entscheidungen beziehen sich auf rumänische LPGen. Sie sind jedoch auf sowjetische Kolchosen übertragbar, da Systemunterschiede zwischen rumänischen LPGen und sowjetischen Kolchosen hinsichtlich der im Zusammenhang mit der Anerkennung von Beitragszeiten maßgeblichen Fragen nicht bestehen. Dies hat auch die Beklagte in einem vergleichbaren vor dem Sozialgericht Hamburg unter dem Aktenzeichen S 15 RJ 1761/04 anhängig gewesenen Rechtsstreit eines ehemaligen Mitglieds einer sowjetischen Kolchose grundsätzlich anerkannt (siehe Schreiben der Beklagten zum o.g. Aktenzeichen vom 1.12.2008, S. 2).
Wie sich aus den den Beteiligten vorliegenden Stellungnahmen der Sachverständigen Dr. S1 vom Institut für O. e.V., die sie gegenüber dem Sozialgericht Dortmund im Rechtsstreit S 22 RA 35/03 abgegeben hat, ergibt, führte schon die bloße Mitgliedschaft im sowjetischen Kolchos zur ununterbrochenen Beitragsentrichtung. Grundlage hierfür war das sowjetische Gesetz über Renten und Unterstützungen für Kolchosmitglieder vom 15.7.1964. Die Beiträge für die Mitglieder der Kolchosen wurden unabhängig von Krankheitszeiten abgeführt. Die Mitgliedschaft konnte auch bei z.B. mehrwöchiger Arbeitsunfähigkeit nicht beendet werden. Die Mitglieder haben auch in Zeiten, in denen sie keine Arbeitsleistung erbracht haben, einen Grundlohn erhalten. Während der Dauer ihrer Mitgliedschaft waren die Kolchos-Mitglieder – unabhängig davon, ob zum Beispiel im Winter an bestimmten Tagen nicht gearbeitet wurde – durchgängig dem Weisungsrecht der Kolchosverwaltung unterworfen (zu den Arbeits- und Mitgliedschaftsverhältnissen in sowjetischen Kolchosen vgl. auch LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 29.9.2006, L 12 R 3649/04).
Gleichwohl hat die Beklagte nur für diejenigen Jahre eine 6/6-Anrechnung zugunsten des Klägers vorgenommen, für die ihm über 300 Arbeitstage bescheinigt worden sind. Dies mag darin begründet sein, dass bei 300 Arbeitstagen p.a. von einer über den 5/6-Umfang hinausgehende tatsächliche Arbeitsleistung ausgegangen werden kann (so die Gemeinsamen Arbeitsanweisungen der LVA Freie und Hansestadt Hamburg EL NB 22 – August 2004, § 15 Anl UdSSR FRG, S. 13). Für Mitglieder von Kolchosen ist dieses Erfordernis jedoch nicht plausibel. Zum einen ist die Anknüpfung an Arbeitstage bereits in Anbetracht dessen, dass es in Kolchosen keine normierten Arbeitstage gegeben haben dürfte und mithin auch nicht von einer 5- oder 6-Tage-Woche ausgegangen werden kann, zweifelhaft (vgl. hierzu die Ausführungen der Sachverständigen Dr. Solotych zu den Begriffen der "Mann-Arbeitstage" und Arbeitskrafttage, Prozessakte SG Dortmund Az. S 22 RA 35/03). Zudem kann es aufgrund der dargelegten Besonderheiten, die für die Mitglieder von Kolchosen bestanden, auf die bescheinigten Arbeitstage nicht ankommen. Denn für sie gilt, wie dargelegt, dass eine ununterbrochene Beitragsleistung zu einem Sicherungssystem im Sinne des § 15 Abs. 2 FRG bestand und dass sie durchgängig dem Weisungsrecht des Kolchos unterstellt waren und jederzeit bereit sein mussten, Arbeit zu leisten. Auch in Zeiten, in denen das Kolchosmitglied tatsächlich nicht gearbeitet hat, war es verpflichtet, zur Arbeitsleistung zur Verfügung zu stehen (vgl. BSG, Urteil vom 30.10.1997, 13 RJ 19/97; BSG, Urteil vom 31.3.1993, 13 RJ 17/92; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 29.9.2006, L 12 R 3649/04). Eine Unterbrechung der Beschäftigungs- und Beitragszeit, die eine Kürzung um 1/6 rechtfertigen könnte, kann daher für Mitglieder von Kolchosen regelmäßig nicht angenommen werden.
Die Kammer ist daher der Auffassung, dass die streitigen Zeiten des Klägers aufgrund seiner Mitgliedschaft in sowjetischen Kolchosen als nachgewiesene Beitragszeiten zu 6/6 zu berücksichtigen sind. Es liegen keinerlei Anhaltspunkte dafür vor, dass er während der fraglichen Zeit keinerlei Arbeitsleistung oder nur eine Teilzeitarbeitsleistung erbracht hat. Vielmehr ergibt sich aus dem Arbeitsbuch und den vorliegenden Unterlagen der Rechtsnachfolger der ehemaligen Arbeitgeber des Klägers, dass er in den streitigen Jahren durchgängig und regelmäßig tätig war. Dies hat er auch selbst überzeugend vorgetragen und im Übrigen darauf hingewiesen, dass er in Kolchosen gearbeitet habe, in denen Vieh zu versorgen war, weshalb das ganze Jahr durchgearbeitet werden musste.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
Login
HAM
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