Land
Hamburg
Sozialgericht
SG Hamburg (HAM)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
52
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 52 AY 62/10
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Klage wird abgewiesen. 2. Die außergerichtlichen Kosten des Klägers sind von der Beklagten nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Der Kläger will die rückwirkende Gewährung höherer Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (im Folgenden: AsylbLG) erreichen.
Der 1989 geborene Kläger ist nichtdeutscher Staatsangehörigkeit. Er reiste 1998 mit seiner Familie nach Deutschland ein. In den folgenden Jahren erhielt er Leistungen nach § 3 AsylbLG. Seit 2008 ist er Inhaber einer Aufenthaltserlaubnis. Seitdem bezieht er keine Leistungen von der Beklagten mehr.
Mit Schreiben seines Bevollmächtigten vom 20. Juni 2009 beantragte der Kläger die Überprüfung zurückliegender Leistungsbescheide und machte rückwirkend die Gewährung von Leistungen nach § 2 AsylbLG geltend.
Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 14. April 2010 ab. Sie führte aus, dass Leistungen nach dem AsylbLG in der Regel nicht für die Vergangenheit, sondern nur für die Zukunft gewährt werden könnten.
Der Kläger widersprach dem Bescheid mit Schreiben seines Bevollmächtigten vom 11. Mai 2010. Er verwies darauf, mindestens drei Jahre lang Leistungen nach § 3 AsylbLG bezogen und seinen Aufenthalt nicht rechtsmissbräuchlich verlängert zu haben.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Bescheid vom 1. Juli 2010 als unbegründet zurück. In der Sache bezog sie sich auf ihre Ausführungen im angegriffenen Bescheid und führte aus, dass der Kläger nicht dargelegt habe, inwieweit ein etwaiger Bedarf aus zurückliegenden Zeiten auch im Zeitpunkt der Behördenentscheidung noch aktuell sei.
Dagegen richtet sich die am 19. Juli 2010 eingegangene Klage, mit der der Kläger sein Begehren weiter verfolgt.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 14. April 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. Juli 2010 zu verpflichten, dem Kläger für die Zeit vom 1. Januar 2005 bis zum 31. Dezember 2008 Leistungen nach § 2 AsylbLG zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie wiederholt und vertieft die Argumentation aus dem angegriffenen Bescheid. Sie hat ergänzend darauf verwiesen, dass der Kläger seit 2008 im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis sei und grundsätzlich zum Kreis der Leistungsberechtigten nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitssuchende – (im Folgenden: SGB II) gehöre. Ob er diese Leistungen tatsächlich beziehe, sei der Beklagten nicht bekannt.
Das Gericht hat am 30. September 2013 und am 16. Juni 2014 mündlich über die Klage verhandelt. Der Kläger ist zu beiden Verhandlungsterminen ungeachtet einer Ladung nicht erschienen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage hat keinen Erfolg. Sie ist zulässig, aber nicht begründet. Der Kläger kann nicht die Verpflichtung der Beklagten zur rückwirkenden Gewährung von Analogleistungen nach § 2 AsylbLG verlangen; eine entsprechende Verpflichtung der Beklagten ist daher nicht auszusprechen (vgl. § 54 Sozialgerichtsgesetz – SGG –).
Eine rückwirkende Anpassung der Leistungen für den streitgegenständlichen Zeitraum kann, da die maßgeblichen Leistungsbescheide inzwischen bestandskräftig geworden sind, allenfalls auf der Grundlage von § 44 SGB X erfolgen. Diese Bestimmung ist dem Grunde nach auch im Asylbewerberleistungsrecht anwendbar; dies ergibt sich eindeutig aus § 9 Abs. 3 AsylbLG.
Allerdings liegen die Voraussetzungen für eine rückwirkende Leistungsanpassung nach § 44 SGB X nicht vor. Diese Vorschrift bestimmt, dass ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen ist, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen (hier: Leistungen nach dem AsylbLG, s. § 9 Abs. 3 AsylbLG) zu Unrecht nicht erbracht worden sind.
Nach der Rechtsprechung des BSG ist es für eine rückwirkende Gewährung von (erhöhten) Sozialleistungen allerdings nicht ausreichend, dass aufgrund einer falschen Rechtsanwendung oder einer falschen Tatsachengrundlage überhaupt Sozialleistungen vorenthalten wurden. Im Hinblick darauf, dass Leistungen nach dem AsylbLG ebenso wie Sozialhilfe nur der Behebung gegenwärtiger Notlagen dienen, kommt eine rückwirkende Gewährung dieser Leistungen nur in Betracht, wenn der Zweck der Leistungen noch erfüllt werden kann. Das ist nur der Fall, wenn die Bedürftigkeit auch im Zeitpunkt der Entscheidung durch die Behörde bzw. das Gericht noch fortbesteht (BSG, Urteil vom 20. Dezember 2012, Az. B 7 AY 4/11 R unter Verweis auf frühere Entscheidungen vergleichbaren Inhalts).
Dies zugrunde gelegt, kann es im hier zu entscheidenden Fall dahinstehen, ob dem Kläger in der Vergangenheit durch falsche Rechtsanwendung oder durch Berücksichtigung einer falschen Tatsachengrundlage im Einzelfall zu Unrecht Sozialleistungen vorenthalten worden sind. Darauf kommt es nämlich nicht an. Eine Anwendung des § 44 SGB X ist im hier zu entscheidenden Fall nämlich bereits deshalb ausgeschlossen, weil nicht erkennbar ist, dass sich der Kläger weiterhin in einer Notlage befindet.
Unzweifelhaft ist, dass er jedenfalls seit mindestens fünf Jahren keine Leistungen nach dem AsylbLG oder andere Leistungen von der Beklagten mehr bezieht. Ob er nach dem Erhalt der Aufenthaltserlaubnis 2008 von einem anderen Träger anderweitige Sozialleistungen – insbesondere solche nach dem SGB II – erhalten hat oder möglicherweise noch immer erhält, konnte ebenso wenig geklärt werden wie die Frage, ob er möglicherweise inzwischen berufstätig ist und seinen Lebensunterhalt durch eigenes (Arbeits-) Einkommen bestreitet. Der Beklagten und dem Bevollmächtigten des Klägers, der zu seinem Mandanten nach eigenen Angaben keinen Kontakt hat, ist hierzu nichts bekannt. Der Kläger, der allein hierzu Auskunft geben könnte, ist ohne Angabe von Gründen in der ersten und in der zweiten mündlichen Verhandlung nicht erschienen, obwohl er jeweils ordnungsgemäß geladen war und obwohl das Gericht im Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 30. September 2013 ausdrücklich darauf hingewiesen hat, dass sein Erscheinen für eine weitere Aufklärung der Sachlage und damit für den Erfolg des Begehrens vonnöten ist. Das Gericht kann nicht ohne konkrete Anhaltspunkte einfach unterstellen, dass eine Bedürftigkeit weiterhin gegeben wäre. Da der Kläger die Aufklärung von Umständen, die für sein Begehren günstig sind, in Kenntnis ihrer Relevanz nicht ermöglicht hat, geht dies zu seinen Lasten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Sie folgt dem Ausgang des Verfahrens in der Sache.
Tatbestand:
Der Kläger will die rückwirkende Gewährung höherer Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (im Folgenden: AsylbLG) erreichen.
Der 1989 geborene Kläger ist nichtdeutscher Staatsangehörigkeit. Er reiste 1998 mit seiner Familie nach Deutschland ein. In den folgenden Jahren erhielt er Leistungen nach § 3 AsylbLG. Seit 2008 ist er Inhaber einer Aufenthaltserlaubnis. Seitdem bezieht er keine Leistungen von der Beklagten mehr.
Mit Schreiben seines Bevollmächtigten vom 20. Juni 2009 beantragte der Kläger die Überprüfung zurückliegender Leistungsbescheide und machte rückwirkend die Gewährung von Leistungen nach § 2 AsylbLG geltend.
Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 14. April 2010 ab. Sie führte aus, dass Leistungen nach dem AsylbLG in der Regel nicht für die Vergangenheit, sondern nur für die Zukunft gewährt werden könnten.
Der Kläger widersprach dem Bescheid mit Schreiben seines Bevollmächtigten vom 11. Mai 2010. Er verwies darauf, mindestens drei Jahre lang Leistungen nach § 3 AsylbLG bezogen und seinen Aufenthalt nicht rechtsmissbräuchlich verlängert zu haben.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Bescheid vom 1. Juli 2010 als unbegründet zurück. In der Sache bezog sie sich auf ihre Ausführungen im angegriffenen Bescheid und führte aus, dass der Kläger nicht dargelegt habe, inwieweit ein etwaiger Bedarf aus zurückliegenden Zeiten auch im Zeitpunkt der Behördenentscheidung noch aktuell sei.
Dagegen richtet sich die am 19. Juli 2010 eingegangene Klage, mit der der Kläger sein Begehren weiter verfolgt.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 14. April 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. Juli 2010 zu verpflichten, dem Kläger für die Zeit vom 1. Januar 2005 bis zum 31. Dezember 2008 Leistungen nach § 2 AsylbLG zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie wiederholt und vertieft die Argumentation aus dem angegriffenen Bescheid. Sie hat ergänzend darauf verwiesen, dass der Kläger seit 2008 im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis sei und grundsätzlich zum Kreis der Leistungsberechtigten nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitssuchende – (im Folgenden: SGB II) gehöre. Ob er diese Leistungen tatsächlich beziehe, sei der Beklagten nicht bekannt.
Das Gericht hat am 30. September 2013 und am 16. Juni 2014 mündlich über die Klage verhandelt. Der Kläger ist zu beiden Verhandlungsterminen ungeachtet einer Ladung nicht erschienen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage hat keinen Erfolg. Sie ist zulässig, aber nicht begründet. Der Kläger kann nicht die Verpflichtung der Beklagten zur rückwirkenden Gewährung von Analogleistungen nach § 2 AsylbLG verlangen; eine entsprechende Verpflichtung der Beklagten ist daher nicht auszusprechen (vgl. § 54 Sozialgerichtsgesetz – SGG –).
Eine rückwirkende Anpassung der Leistungen für den streitgegenständlichen Zeitraum kann, da die maßgeblichen Leistungsbescheide inzwischen bestandskräftig geworden sind, allenfalls auf der Grundlage von § 44 SGB X erfolgen. Diese Bestimmung ist dem Grunde nach auch im Asylbewerberleistungsrecht anwendbar; dies ergibt sich eindeutig aus § 9 Abs. 3 AsylbLG.
Allerdings liegen die Voraussetzungen für eine rückwirkende Leistungsanpassung nach § 44 SGB X nicht vor. Diese Vorschrift bestimmt, dass ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen ist, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen (hier: Leistungen nach dem AsylbLG, s. § 9 Abs. 3 AsylbLG) zu Unrecht nicht erbracht worden sind.
Nach der Rechtsprechung des BSG ist es für eine rückwirkende Gewährung von (erhöhten) Sozialleistungen allerdings nicht ausreichend, dass aufgrund einer falschen Rechtsanwendung oder einer falschen Tatsachengrundlage überhaupt Sozialleistungen vorenthalten wurden. Im Hinblick darauf, dass Leistungen nach dem AsylbLG ebenso wie Sozialhilfe nur der Behebung gegenwärtiger Notlagen dienen, kommt eine rückwirkende Gewährung dieser Leistungen nur in Betracht, wenn der Zweck der Leistungen noch erfüllt werden kann. Das ist nur der Fall, wenn die Bedürftigkeit auch im Zeitpunkt der Entscheidung durch die Behörde bzw. das Gericht noch fortbesteht (BSG, Urteil vom 20. Dezember 2012, Az. B 7 AY 4/11 R unter Verweis auf frühere Entscheidungen vergleichbaren Inhalts).
Dies zugrunde gelegt, kann es im hier zu entscheidenden Fall dahinstehen, ob dem Kläger in der Vergangenheit durch falsche Rechtsanwendung oder durch Berücksichtigung einer falschen Tatsachengrundlage im Einzelfall zu Unrecht Sozialleistungen vorenthalten worden sind. Darauf kommt es nämlich nicht an. Eine Anwendung des § 44 SGB X ist im hier zu entscheidenden Fall nämlich bereits deshalb ausgeschlossen, weil nicht erkennbar ist, dass sich der Kläger weiterhin in einer Notlage befindet.
Unzweifelhaft ist, dass er jedenfalls seit mindestens fünf Jahren keine Leistungen nach dem AsylbLG oder andere Leistungen von der Beklagten mehr bezieht. Ob er nach dem Erhalt der Aufenthaltserlaubnis 2008 von einem anderen Träger anderweitige Sozialleistungen – insbesondere solche nach dem SGB II – erhalten hat oder möglicherweise noch immer erhält, konnte ebenso wenig geklärt werden wie die Frage, ob er möglicherweise inzwischen berufstätig ist und seinen Lebensunterhalt durch eigenes (Arbeits-) Einkommen bestreitet. Der Beklagten und dem Bevollmächtigten des Klägers, der zu seinem Mandanten nach eigenen Angaben keinen Kontakt hat, ist hierzu nichts bekannt. Der Kläger, der allein hierzu Auskunft geben könnte, ist ohne Angabe von Gründen in der ersten und in der zweiten mündlichen Verhandlung nicht erschienen, obwohl er jeweils ordnungsgemäß geladen war und obwohl das Gericht im Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 30. September 2013 ausdrücklich darauf hingewiesen hat, dass sein Erscheinen für eine weitere Aufklärung der Sachlage und damit für den Erfolg des Begehrens vonnöten ist. Das Gericht kann nicht ohne konkrete Anhaltspunkte einfach unterstellen, dass eine Bedürftigkeit weiterhin gegeben wäre. Da der Kläger die Aufklärung von Umständen, die für sein Begehren günstig sind, in Kenntnis ihrer Relevanz nicht ermöglicht hat, geht dies zu seinen Lasten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Sie folgt dem Ausgang des Verfahrens in der Sache.
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