S 36 U 20/13

Land
Hamburg
Sozialgericht
SG Hamburg (HAM)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
36
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 36 U 20/13
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Gewährung einer Verletztenrente im Rahmen eines Stützrententatbestandes nach einer MdE von 10 v.H.

Der im Jahre 1980 geborene Kläger war seit dem 1. Juli 2001 als Profi-Fußballer bei den Kickers E. angestellt. Am 29. September 2007 erlitt der Kläger einen Unfall, als er mit dem Kopf gegen den Kopf eines Gegenspielers prallte. Der Durchgangsarzt Dr. K. diagnostizierte eine Schädelprellung mit Einblutung in die Kiefernhöhle rechts, mit Verdacht auf eine Kieferhöhlenfraktur.

Die Beklagte übernahm die Heilbehandlung der Verletzungsfolgen sowie Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben. In einem Schreiben vom 11. Oktober 2011 führte der Kläger aus, dass er als Folge eines weiteren Versicherungsfalles vom 28. März 2009 nicht mehr in der Lage sei, seinen Beruf als Fußballspieler wettbewerbsmäßig auszuüben. Dementsprechend werde ein Antrag auf Rente auf unbestimmte Zeit gestellt.

Dr. Dr. R. wies in seinem Mund-Kiefer-Gesichtschirurgischen Fachgutachten vom 8. März 2012 darauf hin, dass im Hinblick auf den Versicherungsfall vom 29. September 2007 unfallabhängig noch eine deutliche fassbare Stufe infraorbital rechtsseitig von ca. 6-7 mm Höhe mittig im Bereich des Infraorbitalrandes bestehe. Desweiteren zeige sich ein hypästhisches Areal für stumpfe und spitze Qualität in Projektion auf das Foramen infraorbital rechtsseitig mit einer Ausdehnung von 3x3 cm. Hypästhesien im Bereich der Oberlippe und paranasal lägen nicht vor. Es bestehe derzeit eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 10 %. Eine Besserung sei nicht zu erwarten. Der Kläger werde generell für alle Arbeiten für fähig erachtet. Eine Einschränkung bestehe für Arbeiten, bei denen ein Druckausgleich notwendig sei. In einer weiteren Stellungnahme vom 27. April 2012 erklärte der Gutachter, dass andere vegetative Begleitverletzungen im Rahmen eines neurologischen Zusatzgutachtens nicht abgeklärt worden seien, da dies auch nicht zwingend erforderlich sei. Konkrete Funktionseinschränkungen durch Druckbelastungen lägen bei normalen körperlichen Tätigkeiten nicht vor.

Mit Bescheid vom 6. Juni 2012 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Rente ab. Als Folgen des Arbeitsunfalls erkannte die Beklagte eine leicht herabgesetzte Berührungsempfindlichkeit im Bereich der rechten Gesichtshälfte nach in leichter Fehlstellung verheiltem Jochbeinbruch rechts an. Die Einschätzung des Gutachters entspreche nicht den in Rechtsprechung und Literatur herausgebildeten Erfahrungswerten, denn die Minderung der Erwerbsfähigkeit sei nicht im messbaren Bereich einzuordnen. Die dokumentierte einseitige herabgesetzte Berührungsempfindlichkeit verursache keine Funktionsstörung und habe auch keine kosmetische Beeinträchtigung zur Folge.

Der Kläger legte gegen den Bescheid Widerspruch ein. Er teilte mit, dass nach der unfallversicherungsrechtlichen Literatur von Mehrhoff-Meindl-Murr (12. Auflage, 2.3) Brüche des Hirn- oder Gesichtsschädels ohne weitere Auswirkung mit einer MdE von 10 v.H. bewertet würden.

Mit Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 19. Dezember 2012 führte diese aus, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit anhand konkreter Funktionseinbußen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt festgestellt werden müsse. Allgemeine, diffuse und unqualifizierte Störungen des körperlichen Wohlbefindens könnten nicht ohne weiteres berücksichtigt werden. Dies gelte insbesondere für leichtere Schmerzen und Sensibilitätsminderungen. Entscheidend sei, ob sich subjektive Behinderungen dieser Art tatsächlich nachhaltig auf die allgemeine Erwerbsfähigkeit auswirkten. Nicht die Sensibilitätsminderung selbst, sondern allein ihre Wirkung auf die Erwerbsfähigkeit des Betroffenen könne in die Entscheidung der Minderung der Erwerbsfähigkeit einfließen. Eine solche Wirkung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt liege vor, wenn der Betroffene nur unter besonderem Energieaufwand oder unter Hinnahme außergewöhnlicher Schmerzen arbeiten könne. Dies liege bei dem Kläger nicht vor. Der Gutachtenliteratur sei explizit für Schädigungen des nervus infraorbitalis zu entnehmen, dass die daraus resultierende Missempfindung im Wangenbereich kaum je eine messbare MdE bedingen werde (vgl. Hausotter, Neurologische Begutachtung, 2. Auflage 2006, S. 36). Dem stehe auch eine Bewertung auf Mund-Kiefer-Gesichtschirurgischem Gebiet nicht entgegen, da sich die gesundheitliche Einschränkung des Klägers allein in der Nervenschädigung äußere und nicht in der Funktionalität des Mund-Kiefer-Gesichtsbereich. Darüber hinaus bestehe auch keine Entstellung, so dass keine messbare MdE anzunehmen sei.

Der Kläger hat am 21. Januar 2013 Klage erhoben. Er trägt vor, dass er als Folge des Versicherungsfalles vom 28. März 2009 eine Rente auf unbestimmte Zeit nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 20 % erhalte. Die ergänzende Stellungnahme von Dr. Dr. R. vom 2. Mai 2012 bekräftige sein Gutachten dahingehend, dass durch die veränderte und durch die Jochbeinfraktur vorgeschädigte Nebenhöhle der Druckausgleich der Kiefernhöhe nicht erfolgen könne, so dass von diesbezüglichen Arbeiten ausdrücklich abgeraten werde. Es bestehe eine ausstrahlende Parästhesie und Wetterfühligkeit. Eine weitere dauerhafte Beeinträchtigung sei die in Fehlstellung verheilte Jochbeinfraktur mit deutlich fassbarer Stufe von ca. 7 mm Höhe infraorbital rechts.

Er beantragt sinngemäß, den Bescheid der Beklagten vom 6. Juni 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Dezember 2012 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm aufgrund der Folgen des Arbeitsunfalls vom 29. September 2007 eine Stützrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 10 v.H. zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hat ausgeführt, dass als wesentliche Unfallfolge eine verminderte Berührungsempfindlichkeit im Bereich der rechten Wange von ca. 3 × 3 cm beschrieben werde. Die vom Gutachter vorgeschlagene unfallbedingte MdE von 10 % bleibe anhand der beschriebenen Befunde und mit Blick auf die Gutachtenliteratur unbegründet, zumal Dr. Dr. R. selbst eine Einsatzfähigkeit für alle Arbeiten bestätige und die minimale Einschränkung bei druckbelastender Tätigkeit nicht den normalen körperlichen Tätigkeiten zuordne. Die abschließende Bewertung der MdE stelle eine Rechtsfrage dar, über die ohne Bindungspflicht an ärztliche Gutachten zu entscheiden sei. Auch in Schönberger/Mertens/Valentin (Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Auflage, Seite 252) und Mehrhoff/Meindl/Murr würden MdE-Werte von 10 % erst bei einseitigen Gesichtsnervenlähmungen vorgeschlagen, die sich kosmetisch auswirkten. Beides liege nicht vor. Es sei nicht nachzuvollziehen, welche Arbeitsmöglichkeiten dem Kläger aufgrund der Sensibilitätsstörungen der rechten Wange überhaupt verschlossen seien und weshalb diese einen messbaren Anteil von 10 % des gesamten Arbeitsmarktes ausmachten.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens des Mund-Kiefer-Gesichtschirurgen Professor Dr. H. vom 14. März 2014. Dieser kommt zu dem Ergebnis, dass bei dem Kläger seit dem Beginn der Arbeitsfähigkeit keine unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit vorliege. Der Bewertung von Dr. Dr. R. mit einer MdE von 10 % könne nicht zugestimmt werden. In einer weiteren ergänzenden gutachterlichen Stellungnahme vom 16. Februar 2015 hatte der Sachverständige weiter ausgeführt, dass es unstrittig sei, dass die verbliebene Schädigung nicht das gesamte vordere und untere Gesicht betreffe, sondern der nervus infraorbitalis nur teilweise geschädigt sei. Die Teilschädigung eines der sechs sensiblen Gesichtsnerven führe nach seiner Einschätzung nicht zu einer MdE. Es ergebe sich insgesamt eine MdE-Bewertung von null.

Die Beteiligten haben bezüglich einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung ihr Einverständnis erklärt.

Außer der Gerichtsakte haben die den Kläger betreffende Verwaltungsakte vorgelegen und war Gegenstand der Entscheidungsfindung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Akten ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht hat gemäß § 124 Abs. 2 SGG eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung getroffen, da die Beteiligten dafür ihr Einverständnis erklärt haben.

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.

Die angefochtenen Bescheide der Beklagten erweisen sich als rechtmäßig. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Stützrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 10 v.H. aufgrund der Folgen seines Arbeitsunfalls vom 29. September 2007.

Gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1-3 SGB VII haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v.H. gemindert ist, einen Anspruch auf Rente. Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente, wenn die Folgen dieses Versicherungsfalls die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 v.H. mindern. Die Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) richtet sich gemäß § 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens.

Für das Bemessen der MdE haben sich für eine vereinfachte Beurteilung seit langem Grundlagen gebildet, die im Schrifttum (z.B. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Auflage 2009) zusammengefasst sind (Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 56 SGB VII Rn. 10.3). Neben der Bestimmung der prozentualen Herabsetzung der individuellen Erwerbsfähigkeit ist die Feststellung der MdE auch eine Schätzung, weil der Grad der MdE nicht völlig genau, sondern nur annäherungsweise festzustellen ist (BSGE 4, 147, 149; 31, 185, 186; 41, 99, 100).

Die durch den Unfall vom 29. September 2007 hervorgerufenen Folgen mindern die Erwerbsfähigkeit des Klägers auf Dauer nicht in um wenigstens 10 v.H. Somit kann für diesen Versicherungsfall auch keine Stützrente gezahlt werden. Plausibel beschreibt insbesondere Dr. H. in seinem Gutachten vom 14. März 2014 dass das Unfallgeschehen zu einer in Dislokation verheilten Jochbeinfraktur rechts mit persistierender Teilschädigung des nervus infraorbitalis (Unteraugennervs) rechts geführt hat, in deren Folge noch Hypästhesien im Bereich der caudalen Wange, bei intraoraler Druckschmerzhaftigkeit der rechten Crista zygmoatico-alverolaris bestehen. Nachvollziehbar geht der Sachverständige davon aus, dass zwar noch von einer leichten Sensibilitätsstörung im Gesichtsbereich ausgegangen werden muss, aber aufgrund einer lediglich vorliegenden Teilschädigung eines der sechs sensiblen Gesichtsnerven keine um mindestens 10 v.H. einzuschätzende MdE verblieben ist.

Die Bewertung von Dr. H. stimmt auch mit den Erfahrungswerten in der ärztlich-wissenschaftlichen Literatur überein. So soll nach den einschlägigen Erfahrungswerten eine MdE von bis 10 v.H. festgestellt werden, wenn eine einseitige, kosmetisch wenig störende Gesichtsnervenlähmung vorliegt oder 10 v.H. bei einer Gesichtsentstellung, die kosmetisch nur wenig störend ist (Schönberger et al, a.a.O., Seite 252 f.). Zu Recht hat bereits die Beklagte darauf hingewiesen, dass zum einen eine Gesichtsnervenlähmung nicht vorliegt, sondern eben nur eine Teilschädigung eines der sechs sensiblen Gesichtsnerven, mit der Folge von Hypästhesien (Berührungsempfindlichkeit), aber keiner Lähmung. Zum anderen liegen auch keine Anhaltspunkte, insbesondere nicht medizinisch, für eine Gesichtsentstellung vor.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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