S 40 U 33/15

Land
Hamburg
Sozialgericht
SG Hamburg (HAM)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
40
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 40 U 33/15
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid
1. Die Klage wird abgewiesen. 2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Feststellungen von Berufskrankheiten der Ziffern 1302, 1303 und 1310 der Berufskrankheiten-Verordnung.

Der 1937 geborene Kläger war infolge seiner versicherten Tätigkeit bei der Firma B. diversen Schadstoffen (u.a. Benzol, &946;-HCH und Dioxin) aufgesetzt ausgesetzt, die unter den Ziffern 1302, 1303 und 1310 der Berufskrankheiten-Verordnung erfasst werden. Die vorherigen Anträge auf Anerkennung seiner Erkrankungen als Berufskrankheiten (1. Antrag 1993) wurden bisher abgelehnt. Zuletzt wurde in einem Berufungsverfahren (Aktenzeichen L 3 U 38/09) in der mündlichen Verhandlung am 10.12.2013 ein erneuter Antrag auf Überprüfung/Feststellung der gesundheitlichen Störungen der Sexualfunktion, der Leberfunktion und des Stoffwechsels, sowie eines Diabetes mellitus und die ab 2010 aufgetretene Störung der Nierenfunktion als Folge einer entsprechenden Berufskrankheit der Ziffern 1302, 1303 und 1310 der Berufskrankheiten-Verordnung beantragt und das Berufungsverfahren insoweit für erledigt erklärt.

In der beratungsärztlichen Stellungnahme des Dr. P. vom 31.1.2014 wurde hierzu ausgeführt, dass ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der beruflichen Belastung beim Kläger und den aufgetretenen Gesundheitsstörungen nicht vorliegen würde. Auch eine Polyneuropathie sei nicht festgestellt worden.

Die eingeschaltete staatliche Gewerbeärztin äußerte sich unter dem 1.4.2014 in der Weise, dass sie sich der Stellungnahme von Dr. P. anschließe.

Mit Bescheid vom 8.5.2014 lehnte die Beklagte die Anerkennung der Störung der Sexualfunktion, der Leberfunktion, des Fettstoffwechsels, der Nierenfunktion sowie der Diabeteserkrankung als Berufskrankheiten nach den Ziffern 1302, 1303 und 1310 der Berufskrankheiten-Verordnung ab. Diese Störungen/Krankheitsbilder seien auch nicht wie eine Berufskrankheit anzuerkennen. Es liege beim Kläger weder eine Polyneuropathie noch eine Enzephalopathie vor, sodass auch eine entsprechende Berufskrankheit oder wie Berufskrankheit nicht anerkannt werden könne.

Zur Begründung führte die Beklagte aus, zur BK 1303 seien medizinisch-wissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse über einen Kausalzusammenhang von Benzol mit Diabetes, Fettstoffwechselstörungen und Nierenschädigungen nicht bekannt. Eine Störung der Sexualfunktion wäre allenfalls als Symptom einer durch Benzol verursachten toxischen Enzephalopathie und/oder Polyneuropathie denkbar. Eine toxische Enzephalopathie oder Polyneuropathie bestehe nach den umfangreichen Ermittlungen in den geführten Vorverfahren nicht. Auch für eine benzolbedingte Störung der Leberfunktion seien keine Anhaltspunkte gegeben, weil Benzol keine starke lebertoxische Wirkung besitze.

Hinsichtlich einer BK 1302 oder BK 1310 würden keine gesicherten medizinisch wissenschaftlichen Erkenntnisse vorliegen, dass HCH generell geeignet sei, eine Diabeteserkrankung oder Fettstoffwechselstörung zu verursachen. Die Verursachung einer Nierenerkrankung sei möglich, allerdings müsse es sich um einen tubulären Nierenschaden handeln. Ein solcher liege nach dem medizinischen Bild beim Kläger nicht vor. Bezüglich der Störung der Sexualfunktion gelte das gleiche. Auch für die übrigen Krankheitsbilder sei, nach den umfangreichen Ermittlungen der Beklagten und in den Gerichtsverfahren, ein Kausalzusammenhang mit den Einwirkungen gegenüber HCH oder Dioxin ausgeschlossen worden. Hinsichtlich der Anerkennung einer wie-Berufskrankheit würden keine neuen gesicherten medizinisch wissenschaftlichen Erkenntnisse vorliegen.

Der Widerspruch des Klägers vom 12.6.2014 wurde mit Widerspruchsbescheid vom 13.1.2015 zurückgewiesen. Die begehrten Berufskrankheiten würden beim Kläger nicht vorliegen.

Am 16.2.2015 hat der Kläger dagegen Klage erhoben und trägt insbesondere vor, es würden neuen Erkenntnisse vorliegen, dass seine Gesundheitsstörungen unter die BK Ziffern 1302, 1303 und 1310 der Berufskrankheiten-Verordnung erfasst werden. Nach einer Stellungnahme von Prof. Dr. F. soll eine schwedische Studie 2011 einen signifikant gesicherten Zusammenhang zwischen einer beruflichen Belastung und Diabetes belegen können.

Der Kläger beantragt nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen (sinngemäß gefasst),

den Bescheid der Beklagten vom 8.5.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.1.2015 aufzuheben und festzustellen, dass die Gesundheitsstörungen beim Kläger (Störung der Sexualfunktion, Leberfunktion, des Stoffwechsels und der Diabeteserkrankung sowie einer Störung der Nierenfunktion) als eine Berufskrankheit nach den Ziffern 1302, 1303 und 1310 der Berufskrankheiten-Verordnung oder wie eine Berufskrankheit festzustellen sind.

Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte bezieht sich im Wesentlichen auf die Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden.

Das Gericht hat zur Aufklärung des Sachverhaltes die umfangreichen Verwaltungsakten der Beklagten und die Akten aus den Vorprozessen beigezogen.

Auf Veranlassung des Gerichts hat der Facharzt für Innere Medizin und Arbeitsmedizin, Lungen- und Bronchialheilkunde, Umweltmedizin und Diplomchemiker Dr. S. unter dem 27.5.2015 ein Gutachten erstattet. Zusammengefasst führt Dr. S. aus, dass beim Kläger keine besonders hohe Belastung durch seine berufliche Tätigkeit bei B. bestanden habe. Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen den geltend gemachten Gesundheits-störungen und der beruflichen Belastung sei nicht wahrscheinlich.

Auf Veranlassung des Gerichts hat Professor Dr. U. unter dem 8.2.2016 ein epidemiologisches Gutachten erstattet.

Der Gutachter kommt zusammengefasst zu dem Ergebnis, dass sich insgesamt aufgrund neuerer Publikationen keine Hinweise auf einen signifikanten erhöhten Zusammenhang zwischen einer Exposition gegenüber den Gefahrstoffen, den der Kläger ausgesetzt war und den Erkrankungen, die er geltend macht, ergeben.

Am 26.4.2016 fand eine mündliche Verhandlung statt, in der Dr. S. sein Gutachten und die Ausführungen von Professor Dr. U. ausführlich erläutert und medizinisch dargelegt hat. In diesem Termin legte der Bevollmächtigte des Klägers eine Studie aus dem arabischen Raum vor, wonach &946;-HCH als wesentliche Ursache für Diabetes angesehen werden soll.

Unter dem 20.9.2016 nahm Professor Dr. U. ergänzend Stellung und führte zusammengefasst aus, die vorgelegte Studie enthalte keinen Hinweis auf einen Zusammenhang zwischen Beta-HCH und dem Auftreten von Diabetes.

Unter dem 24.5.2017 nahm Dr. P. für die Beklagte beratungsärztlich Stellung und führte zusammengefasst aus, die vorgelegten wissenschaftlichen Studien würden keine wissenschaftlich gesicherten Erkenntnisse über Kausal-zusammenhänge zwischen den Einwirkungen und den geltend gemachten Erkrankungen enthalten.

Mit Verfügung vom 20.7.2017 hat das Gericht den Beteiligten mitgeteilt, dass beabsichtigt ist, durch Gerichtsbescheid zu entscheiden. Den Beteiligten wurde eine angemessene Frist zur Stellungnahme eingeräumt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Akteninhalt und der beigezogenen Akten Bezug genommen. Diese waren Gegenstand der Entscheidungsfindung des Gerichts.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht konnte gemäß § 105 SGG nach Anhörung der Beteiligten durch Gerichtsbescheid entscheiden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht aufweist und der entscheidungserhebliche Sachverhalt geklärt ist. Die Entscheidung durch Gerichtsbescheid setzt nach § 105 Abs. 1 SGG kein Einverständnis der Beteiligten voraus.

Die zulässige Anfechtungs- und Feststellungsklage ist unbegründet.

Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Feststellung seiner Gesundheitsstörungen - Störung der Sexualfunktion, Leberfunktion, des Stoffwechsels und der Diabeteserkrankung sowie einer Störung der Nierenfunktion - als eine Berufskrankheit nach den Ziffern 1302, 1303 und 1310 der Berufskrankheiten-Verordnung oder als wie-Berufskrankheit. Einen ursächlichen Zusammenhang zwischen den Erkrankungen beim Kläger und den toxischen Einwirkungen während seiner versicherten Tätigkeit konnte das Gericht nicht feststellen.

Nach § 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII sind Berufskrankheiten Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. Voraussetzung für die Anerkennung einer Berufskrankheit ist neben dem Vorliegen eines berufskrankheitentypischen Erkrankungsbildes, dass die schädigenden beruflichen Einwirkungen (so genannte arbeitstechnische Voraussetzungen) im Sinne des Berufskrankheitentatbestandes nachgewiesen sind und dass ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und den schädigenden Einwirkungen (Einwirkungskausalität) sowie zwischen den schädigenden Einwirkungen und der Erkrankung (haftungsbegründende Kausalität) besteht. Dabei müssen die schädigenden Einwirkungen, die versicherte Tätigkeit und die als Berufskrankheit geltend gemachte Gesundheitsschädigung im Vollbeweis nachgewiesen sein. Für die Beurteilung der Kausalzusammenhänge genügt die hinreichende Wahrscheinlichkeit. Das Entstehen von länger andauernden Krankheitsfolgen infolge der beruflich bedingten Erkrankungen (haftungsausfüllende Kausalität) ist regelmäßig keine Voraussetzung für die Anerkennung des Berufskrankheitentatbestandes.

Der Kläger war während seiner versicherten Tätigkeit bei der Firma B. zwar den in den BKen der Ziffern 1302, 1303 und 1310 der Anlage zur BKV den dort genannten gefährdenden Einwirkungen, insbesondere Benzol, HCH und Dioxin, ausgesetzt und leidet an den von ihm geltend gemachten Erkrankungen, es kann jedoch nicht festgestellt werden, dass diese Erkrankungen durch seine versicherte Tätigkeit verursacht wurde.

Das Gericht kann vorliegend nicht feststellen, dass der erforderliche ursächliche Zusammenhang nach den geltenden Grundsätzen der gesetzlichen Unfallversicherung gegeben ist. Das Gericht kann bereits nicht feststellen, dass der naturwissenschaftliche Zusammenhang (1. Kausalitätsstufe) vorliegt. Der Kläger war zwar während seiner versicherten Tätigkeit bei der Firma B. den gefährdenden Schadstoffen ausgesetzt, die grundsätzlich geeignet sind, die Berufskrankheiten der Ziffer 1302, 1303 und 1310 der Anlage zur BKV zu verursachen. Diese beruflichen Einwirkungen haben die beim Kläger unstreitig vorliegenden Erkrankungen nach dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand aber nicht verursacht. Insoweit ist der erforderliche naturwissenschaftliche Zusammenhang nach den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht feststellbar.

Das Gericht folgt den schlüssigen und zutreffenden Ausführungen der gerichtlich bestellten Sachverständigen Dr. S. und Professor Dr. U ... Der Sachverständige Professor Dr. U. hat für das Gericht den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand zu den neuesten epidemiologischen Studien dargelegt, dass derzeit ein kausaler Zusammenhang zwischen den Erkrankungen beim Kläger und einer beruflichen Verursachung wissenschaftlich nicht belegt ist. Das Gericht stellt insoweit fest, dass nach aktuellem wissenschaftlichen Erkenntnisstand der erforderliche (signifikant erhöhte) Zusammenhang, der nach dem Berufskrankheitenrecht erforderlich ist, in Bezug auf die Erkrankungen beim Kläger nicht besteht. Das Gericht folgt weiter den Ausführungen des Dr. S., der zum einen darauf hingewiesen hat, dass die tatsächliche Belastung beim Kläger durch seine berufliche Tätigkeit als nicht hoch einzuschätzen ist, sodass ein ursächlicher Zusammenhang bereits auch aus diesem Grunde nicht wahrscheinlich zu machen ist. Dieses Ergebnis stellt das Gericht entsprechend fest. Insoweit verweist das Gericht ebenfalls auf die gesamten Verwaltungsvorgänge und vorherigen Gerichtsverfahren, in denen dieses Ergebnis ebenfalls bereits festgestellt wurde. Es spricht naturwissenschaftlich mehr gegen als für eine berufliche Verursachung.

Beim Kläger liegen insgesamt wieder die geltend gemachten Berufskrankheiten, noch neue Erkenntnisse für die Anerkennung seiner Erkrankungen als wie Berufskrankheit nach § 9 Abs. 2 SGB VII vor.

Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 183, 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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