S 46 R 2093/12

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Dortmund (NRW)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
46
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 46 R 2093/12
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid
Der Bescheid der Beklagten vom 19.06.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 07.11.2012 wird aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger die über eine Außenschuh-randerhöhung hinausgehenden Kosten für ein Paar für eine orthopädi-sche Zurichtung geeignete Arbeitssicherheitsschuhe abzüglich des Ar-beitsgeberanteils von 22,61 Euro zu übernehmen. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Gewährung von zur orthopädischen Zurichtung geeigneter Arbeitssicherheitsschuhe.

Der 1955 geborene Kläger beantragte gegenüber der Beklagten am 22.05.2012 orthopädische Arbeitssicherheitsschuhe. Dem Antrag war der Kostenvoranschlag eines Schuhtechnikers über 178,56 Euro (Kosten Schutzschuh:146,06 Euro, Kosten Außenranderhöhung: 32,50 Euro) beigefügt. Mit Bescheid vom 14.06.2012 bewilligte die Beklagte dem Kläger einen Zuschuss für die Zurichtung eines Paares orthopädischer Sicherheitsschuhe als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben in Höhe der Kosten für die Außenranderhöhung in Höhe von 32,50 Euro. Im Übrigen lehnte sie den Antrag des Klägers ab. Die Kosten für die Arbeitssicherungsschuhe könnten nicht übernommen werden, da sie gem. § 2 PSA-BV – Verordnung über Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Benutzung persönlicher Schutzausrüstung - zur persönlichen Schutzausrüstung bei der Arbeit gehöhrten. Die Beschaffungskosten oblägen dem Arbeitgeber. Hiergegen legte der Kläger am 26.06.2012 Widerspruch ein. Der Arbeitgeber stelle zwar Arbeitsschuhe bereit, die den Anforderungen der PSA-BV entsprächen zu einem Preis von 19,00 Euro plus Mehrwertsteuer. Nach ersatzloser Streichung der geduldeten Ausnahmeregelung der Berufsgenossenschaften in Abstimmung mit dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales bezüglich der Einlagenversorgung an Sicherheits-, Schutz- und Berufsschuhen mit der BGR 191 vom Januar 2007, dürften Abänderungen jeglicher Art an konfektionierten Sicherheits-, Schutz- und Berufsschuhen nicht mehr getätigt werden. Dies betreffe auch die Versorgung mit ortho-pädischen Einlagen, es sei denn, der Berufsschuh habe eine gültige Baumusterprüfung zur Einlagenversorgung. Bei der Beschaffung derartiger Schuhe entstünden gegenüber üblichen Sicherheitsschuhen erhöhte Kosten, die vom Unternehmer nicht allein übernommen werden müssten. Mit Widerspruchsbescheid vom 07.11.2012 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurückwies.

Am 05.12.2012 hat der Kläger hiergegen Klage erhoben, zu deren Begründung er sein bisheriges Vorbringen wiederholt. Am 25.07.2013 hat ein Erörterungstermin stattgefunden, in dessen Rahmen die Beteilig-ten hinsichtlich einer Entscheidung der Kammer durch Gerichtsbescheid angehört worden sind.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Bescheid der Beklagten vom 19.06.2012 in der Gestalt des Wider-spruchsbescheids vom 07.11.2012 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die über eine Außenschuhranderhöhung hinausgehenden Kosten für ein Paar für eine orthopädische Zurichtung geeigneter Arbeitssicherheitsschuhe abzüglich des Arbeitgeberanteils von 22,61 Euro zu übernehmen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hält die angefochtenen Bescheide unter Bezug auf ihre medizinischen Ermittlungen für rechtmäßig.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Ver-waltungsakte der Beklagten sowie der Gerichtsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Gemäß § 105 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat das Gericht ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entschieden, da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist. Der Sachverhalt ist – soweit entscheidungser-heblich - vollständig aufgeklärt. Die Beteiligten sind zur beabsichtigten Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört worden.

Die zulässige Klage ist begründet. Der Kläger ist durch den angefochtenen Bescheid in der Gestalt des Widerspruchsbe-scheides im Sinne des § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert, weil dieser rechtswidrig ist. Die Beklagte hat die Gewährung der Leistung zur Teilhabe am Arbeitsle-ben in Form von für die orthopädische Zurichtung geeigneter Arbeitssicherheitsschuhe, die eine spezielle Baumusterprüfung besitzen, zu Unrecht abgelehnt.

Nach § 9 Abs. 1 Satz 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Rentenversiche-rung – (SGB VI) erbringt die Beklagte medizinische Leistungen zur Rehabilitation, Leis-tungen zur Teilhabe am Arbeitsleben sowie ergänzende Leistungen, um den Auswirkun-gen einer Krankheit oder körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung auf die Erwerbsfähigkeit der Versicherten entgegenzuwirken oder sie zu überwinden und dadurch Beeinträchtigungen der Erwerbsfähigkeit der Versicherten oder ihr vorzeitiges Ausscheiden aus dem Erwerbsleben zu verhindern oder sie möglichst dauerhaft in das Erwerbsleben wiedereinzugliedern. Die Leistungen können erbracht werden, wenn die persönlichen und versicherungsrechtlichen Voraussetzungen dafür erfüllt sind (§ 9 Abs. 2 SGB VI); sie stehen im Ermessen der Beklagten. Für die Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben haben Versicherte die persönlichen Voraussetzungen erfüllt, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung erheblich gefährdet oder gemindert ist (§ 10 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI) und bei denen voraussichtlich

a) bei erheblicher Gefährdung der Erwerbsfähigkeit eine Minderung der Erwerbsfähigkeit durch Leistungen zur medizinischen Rehabilitation abgewendet werden kann,

b) bei geminderter Erwerbsfähigkeit diese durch Leistungen zur medizinischen Rehabilitation wesentlich gebessert oder wiederhergestellt oder hierdurch deren wesentliche Verschlechterung abgewendet werden kann (§ 10 Abs. 1 SGB VI), oder

c) bei teilweiser Erwerbsminderung ohne Aussicht auf eine wesentliche Besserung der Erwerbsfähigkeit der Arbeitsplatz durch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben erhalten werden kann.

Erwerbsfähigkeit ist die Fähigkeit des Versicherten, seinen bisherigen Beruf oder eine seiner Eignung, Neigung und bisherigen Tätigkeit angemessene Erwerbs- oder Berufstätigkeit dauernd auszuüben. Geminderte Erwerbsfähigkeit liegt vor, wenn die Leistungsfähigkeit im Erwerbsleben nicht unwesentlich eingeschränkt ist und der Versicherte daher nicht mehr in der Lage ist sein Beruf normal auszuüben. Eine Gefährdung der Erwerbsfähigkeit liegt vor, wenn wegen gesundheitlicher Beeinträchtigungen und Funktionseinschränkungen damit zu rechnen ist, dass ohne Leistungen zur Teilhabe einer Minderung der Erwerbsfähigkeit eintritt (vgl. Kreikebohm/Kreikebohm, Kommentar zum Sozialgesetzbuch - gesetzliche Rentenversicherung, § 10, Rn. 7). Vorübergehende Erkrankungen erfüllen diese Voraussetzungen nicht. Hierfür ist die Zuständigkeit der Krankenversicherung gegeben. Es muss vielmehr die Gefahr einer dauerhaften Ausgliederung aus Arbeit, Beruf und Gesellschaft bestehen (BSG SozR 2200 § 1236 Nr. 31).

Diese Voraussetzungen sind bei dem Kläger erfüllt. Der Kläger leidet an einer Innenme-niskusläsion rechts, die zur Folge hat, dass eine Schuhaußenranderhöhung von 0,5 cm an den Arbeitssicherheitsschuhen notwendig ist, um seine Gehbehinderung auszuglei-chen. Da der Kläger ausweislich der Notwendigkeitsbescheinigung des Arbeitsgebers vom 08.05.2012 als technischer Angestellter aufgrund geltender Unfallverhütungsvorschriften und gemäß der Gefährdungsbeurteilung zum Tragen von Arbeitssicherheitsschuhen verpflichtet ist, muss der Kläger während der Ausübung seiner Tätigkeit über außenranderhöhte Arbeitssicherheitsschuhe verfügen, ansonsten kann er seinen Beruf nicht mehr ausüben.

Entgegen der Ansicht der Beklagten ist nicht etwa der Arbeitgeber zur Übernahme der Kosten für die Anschaffung von den im Falle des Klägers benötigten Arbeitssicherheits-schuhen gemäß § 618 Abs. 1 BGB zuständig, sondern gem. § 33 Abs. 8 Nr. 4 und 5 SGB IX die Beklagte. Zwar hat der Arbeitgeber dem Kläger aufgrund von Unfallverhütungsvor-schriften und arbeitsrechtlichen Grundsätzen Sicherheitsschuhe zu stellen. Dies hat der Arbeitgeber getan, indem er dem Kläger die Übernahme der Kosten für gewöhnliche Sicherheitsschuhe i.H.v. 19 Euro nebst Mehrwertsteuer angeboten hat. Damit hat er sei-ner Verpflichtung gem. § 2 PSA-BV zur Abwehr von Arbeitsunfällen genüge getan. Dieser Kostenanteil ist von ihm gemäß § 618 Abs. 1 BGB zu tragen. Da der Kläger auf eine orthopädische Zurichtung der Sicherheitsschuhe durch Einlagenversorgung behinderungsbedingt angewiesen ist, gewöhnliche Sicherheitsschuhe mangels gültiger Baumusterprüfung nicht entsprechend verändert werden dürfen, sind die Mehrkosten für insoweit geeignete Sicherheitsschuhe neben den Kosten der orthopädischen Zurichtung von der Beklagten gemäß § 33 Abs. 8 Nr. 4 und 5 SGB IX zu tragen.

Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 SGG und trägt dem Unterliegen der Beklagten Rechnung.
Rechtskraft
Aus
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