S 27 AS 1470/10 ER PKH

Land
Schleswig-Holstein
Sozialgericht
SG Lübeck (SHS)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
27
1. Instanz
SG Lübeck (SHS)
Aktenzeichen
S 27 AS 1470/10 ER PKH
Datum
2. Instanz
Schleswig-Holsteinisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Für die Wirksamkeit einer Abtretung von Ansprüchen auf Einkommensteuererstattung ist die Einhaltung der
durch § 46 AO vorgeschriebenen Formerfordernisse unabdingbar. Bei deren Nichteinhaltung ist weiter vom
Zufluss des Einkommensteuererstattungsbetrages beim Hilfebedürftigen auszugehen.
1. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt. 2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. 3. Der Antrag, dem Antragsteller Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin zu gewähren, wird abgelehnt.

Gründe:

Der vom Antragsteller mit Schriftsatz vom 30. November 2010 am selben Tag beim Sozialgericht Lübeck sinngemäß gestellte Antrag,

die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihren Ablehnungsbescheid vom 24. November 2010 aufzuheben und dem Antragsteller Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) ab 1. Dezember 2010 zu bewilligen,

ist zulässig, aber unbegründet.

Gemäß § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (sogenannte "Regelungsanordnung"). Erforderlich für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zum einen das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, das heißt eines Sachverhalts, der die Notwendigkeit einer Eilentscheidung begründet, und zum anderen ein Anordnungsanspruch im Sinne einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit eines in der Sache bestehenden materiellen Rechts. Nach § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG in Verbindung mit §§ 920 Abs. 2, 294 Zivilprozessordnung (ZPO) sind Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch glaubhaft zu machen. Ein Anordnungsanspruch ist glaubhaft gemacht, wenn das Gericht zu der Überzeugung gelangt ist, dass eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass der Antragstellerin ein Rechtsanspruch auf die begehrte Leistung zusteht und deshalb die Antragstellerin in einem Hauptsacheverfahren mit dem gleichen Begehren voraussichtlich Erfolg haben würde.

Diese Maßgaben beachtend war dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung der Erfolg zu versagen. Nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gebotenen summarischen Prüfung besteht kein Anordnungsanspruch, denn dem Antragsteller steht kein Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts gemäß §§ 19 ff. SGB II zur Seite. Er hat seine Hilfebedürftigkeit im Sinne des § 9 Abs. 1 SGB II nicht hinreichend glaubhaft gemacht.

Gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II erhalten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes Personen, die u. a. hilfebedürftig sind. Hilfebedürftig ist gemäß § 9 Abs. 1 SGB II, wer seinen Lebensunterhalt, seine Eingliederung in Arbeit und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem nicht durch Aufnahme einer zumutbaren Arbeit und nicht aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält. Das Nichtvorhandensein eigener Mittel ist negatives Tatbestandsmerkmal für den Anspruch auf Hilfe, für welches der Hilfesuchende die Darlegungslast trägt. Es ist seine Aufgabe, der Antragsgegnerin bzw. dem Gericht die hilfebegründenden Umstände zur Kenntnis zu geben und auf Verlangen in geeigneter Weise zu belegen. Er trägt auch die materielle Beweislast seiner Hilfebedürftigkeit. Verbleiben nach Durchführung der im Einzelfall gebotenen Tatsachenfeststellung Zweifel daran, dass der Antragsteller hilfebedürftig ist, so geht dies zu seinen Lasten (vgl. BVerwG, Urteil vom 05.05.1983 – 5 C 112/81, BVerwGE 67, 163, 171 f.; Mecke, in: Eicher/Spellbrink [Hrsg.], SGB II, 2. Aufl. 2008, § 9 Rdnr. 66; Klaus, in: Schlegel/Voelzke [Hrsg.], SGB II, 2. Aufl. 2007, § 9 Rdnr. 94). Soweit der Antragsteller nicht in der Lage ist, verbleibende Unklarheiten zu beseitigen oder Zweifel an der Hilfebedürftigkeit nicht beseitigt werden können, ist der Leistungsträger grundsätzlich berechtigt, die beantragten Leistungen abzulehnen (vgl. BVerwG, Urteil vom 05.05.1983 – 5 C 112/81, BVerwGE 67, 163, 171 f.; Klaus, in: Schlegel/Voelzke [Hrsg.], SGB II, 2. Aufl. 2007, § 9 Rdnr. 95).

Das Vorliegen dieser Voraussetzungen hat der Antragsteller im laufenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht glaubhaft machen können. Seine Behauptung, weder über einsetzbares Vermögen noch über ausreichende Einkünfte zu verfügen, ist nach derzeitigem Stand nicht glaubhaft

Sowohl die aus der Verwaltungsakte der Antragsgegnerin als auch die im gerichtlichen Verfahren vorgelegten Unterlagen sind nicht geeignet, die bestehenden Zweifel an der Hilfebedürftigkeit des Antragstellers auszuräumen. Insbesondere werden diese nicht durch die als "Privater Kreditvertrag" bezeichnete Vereinbarung zwischen dem Antragsteller und Herrn (Blatt 8 der Gerichtsakte) ausgeräumt. Danach soll der Antragsteller von Herrn am 29. Oktober 2009 ein Darlehen in Höhe von insgesamt 3.800,00 EUR erhalten haben, welches der Antragsteller benötigt habe, um Reparaturen am Kraftfahrzeug seiner Ehefrau durchzuführen, damit diese ihrer Erwerbstätigkeit im ambulanten Pflegedienst nachgehen könne. Die Vereinbarung sieht vor, dass die Rückzahlung des zinslos gewährten Kredits aus der zu erwartenden Einkommenssteuererstattung für 2009 erfolgen solle.

Soweit der Antragsteller vorträgt, er sei bereits nach Unterzeichnung dieser Vereinbarung am 29. Oktober 2009 kein berechtigter Empfänger der Einkommenssteuererstattung mehr gewesen, weil er – wie aus der Vereinbarung folge – seinen Anspruch auf Einkommenssteuererstattung gemäß § 398 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) an Herrn abgetreten habe und ihm daher die Einkommenssteuererstattung im Oktober 2010 nicht zugeflossen sei bzw. zur Verfügung gestanden habe, ist dem nicht zu folgen. Es kann hier dahinstehen, ob die Voraussetzungen einer Abtretung nach §§ 398 ff. BGB überhaupt erfüllt sind, denn der Annahme einer rechtswirksamen Abtretung stehen öffentlich-rechtliche Vorschriften entgegen.

Zwar können Ansprüche auf Erstattung von Steuern gemäß § 46 Abs. 1 Abgabenordnung (AO) grundsätzlich abgetreten werden. Nach § 46 Abs. 2 AO wird eine solche Abtretung jedoch erst wirksam, wenn sie der Gläubiger in der nach § 46 Abs. 3 AO vorgeschriebenen Form der zuständigen Finanzbehörde nach Entstehung des Anspruchs anzeigt. Eine rechtswirksame Abtretung setzt danach voraus, dass sie der zuständigen Finanzbehörde unter Angabe des Abtretenden, des Abtretungsempfängers sowie der Art und Höhe des abgetretenen Anspruchs und des Abtretungsgrundes auf einem amtlich vorgeschriebenen Vordruck angezeigt wird. Diese Anzeige ist vom Abtretenden und vom Abtretungsempfänger zu unterschreiben. An diesen Voraussetzungen fehlt es hier. Der Anspruch auf Steuererstattung sowie die daraus folgende Forderung standen dem Antragsteller im Rechtssinne weiterhin zu. Denn der Finanzbehörde gegenüber ist – wie sich bereits aus dem Vorbringen des Antragstellers (Blatt 22 der Gerichtsakte) ergibt – die Abtretung zu keinem Zeitpunkt angezeigt worden, nicht einmal formunwirksam. Ohne eine solche Abtretungsanzeige konnte eine Abtretung jedoch keinesfalls wirksam werden.

Soweit der Antragsteller einwendet, dass er als juristischer Laie nicht gewusst habe, dass er die Abtretung der Finanzbehörde habe anzeigen sollen, muss er sich den Grundsatz der "formellen Publizität" der Gesetze entgegenhalten lassen. Danach haben Rechtsnormen auch dann für die von ihr Betroffenen Gültigkeit, selbst wenn sie ihnen nicht bekannt sind, solange sie ordnungsgemäß verkündet wurden. Dies ist hinsichtlich § 46 AO eindeutig der Fall.

Die Einkommensteuererstattung ist dem Antragsteller zugeflossen. Der Antragsteller hat insoweit selbst eingeräumt, dass er die Einkommenssteuererstattung im Oktober 2010 erhalten habe. Der Antragsteller hat in seiner eidesstattlichen Versicherung vom 29. November 2010 den Vorgang erneut bestätigt. Er habe das von Herrn erhaltene Darlehen am 18. Oktober 2010 in bar an Herrn zurückgezahlt, nachdem im selben Monat die Einkommenssteuererstattung in Höhe von 3.515,04 EUR auf das Konto des Antragstellers eingegangen sei. Seine Ehefrau habe noch 300,00 EUR dazugeben müssen, weil der Betrag der Einkommenssteuererstattung nicht ausreichend gewesen sei, um die Darlehensschuld zu tilgen. Hieraus folgt zwanglos, dass dem Antragsteller die Einkommenssteuererstattung selbst zugeflossen ist und in diesem Zeitpunkt als Einkommen zur Verfügung stand.

Die zugeflossene Einkommensteuererstattungssumme ist als Einkommen zu berücksichtigen. Das Bundessozialgericht (vgl. BSG, Urteil vom 30.09.2008 – B 4 AS 29/07 R, SozR 4-4200 § 11 Nr. 15; BSG, Urteil vom 16.12.2008 – B 4 AS 48/07 R, juris; st. Rspr.), dem sich das hiesige Gericht nach eigener Prüfung der Sach- und Rechtslage anschließt, hat in nunmehr ständiger Rechtsprechung entschieden, dass nach Antragstellung erhaltene Einkommenssteuererstattungen Einkommen im Sinne des § 11 Abs. 1 SGB II darstellen. Mit Antragstellung ist hier nicht jede erneute Antragstellung für einen weiteren Bewilligungsabschnitt gemeint, sondern die erstmalige Antragstellung, wenn seitdem ein ununterbrochener Leistungsbezug vorliegt, wie auch hier. Gegenüber dem Einkommen aus Einkommenssteuererstattung kann der Antragsteller nicht geltend machen, dass er hiervon Schulden getilgt habe, die bereits vor dem Leistungsbezug begründet worden sein sollen. Erneut ist auf die ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl. z. B. BSG, Urteil vom 19.09.2008 – B 14/7b AS 10/07 R, juris), der sich das hiesige Gericht auch insoweit nach eigener Prüfung der Sach- und Rechtslage anschließt, hinzuweisen, dass Einkommen nicht frei oder gar vorrangig zur Schuldentilgung verwendet werden kann, sondern zur Sicherung des eigenen Lebensunterhalts einzusetzen ist. Eine Absetzung der Schulden vom Einkommen ist gesetzlich nicht vorgesehen. Dies gilt selbst dann, wenn sich der Leistungsberechtigte dadurch außerstande setzt, seine privaten Verbindlichkeiten zu tilgen (BSG, Urteil vom 19.09.2008 – B 14/7b AS 10/07 R, juris). Dementsprechend kann der Antragsteller hier nicht einwenden, dass er die Einkommenssteuererstattung dazu habe verwenden müssen, dass von Herrn erhaltene Privatdarlehen tilgen zu müssen.

Von dem Einkommen des Antragstellers aus Einkommenssteuererstattung ist neben den privaten Einkünften aus Erwerbstätigkeit kein weiterer Freibetrag nach § 11 Abs. 2 SGB II oder der Alg II-VO abzuziehen. Denn die aus diesen Normen folgenden Absetzmöglichkeiten sind bereits bei der Berücksichtigung des Erwerbseinkommens des Antragstellers berücksichtigt worden. Diesbezügliche Rechtsfehler der Antragsgegnerin sind nicht erkennbar.

Der Abzug eines Freibetrages gemäß § 30 SGB II kommt hier ebenso wenig in Betracht, da es sich bei dem Einkommen aus Einkommenssteuererstattung nicht um ein Einkommen aus Erwerbstätigkeit handelt, was für eine Inanspruchnahme des Freibetrages gemäß § 30 SGB II Voraussetzung wäre (vgl. Mecke, in: Eicher/Spellbrink [Hrsg.], SGB II, 2. Aufl. 2008, § 30 Rdnr. 14).

Die Verteilung der Einkommenssteuererstattung auf einen Zeitraum von sechs Monaten gemäß § 4 in Verbindung mit § 2 Alg II-VO ist angemessen. Auch diesbezüglich sind Rechtsfehler der Antragsgegnerin nicht ersichtlich.

Das aus der Einkommensteuererstattung zusätzlich zum (bereinigten) Erwerbseinkommen des Antragstellers und seiner Ehefrau hinzutretende Einkommen in Höhe von monatlich durchschnittlich 555,84 EUR reicht aus, um den Bedarf des Antragstellers und der mit ihm in Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen zu decken.

Schließlich besteht im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens kein Anspruch auf Aufhebung des Bescheides vom 24. November 2010, da hierdurch bereits die Hauptsache vorweg genommen würde.

Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung der Verfahrensbevollmächtigten war gemäß § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 114 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO) abzulehnen, da der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG aus den oben genannten Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat.

Richter
Rechtskraft
Aus
Saved