S 10 SO 63/06

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Köln (NRW)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
10
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 10 SO 63/06
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 8/9b SO 21/06 R
Datum
Kategorie
Urteil
Die Beklagte wird unter teilweiser Aufhebung des Bescheides vom 18.10.2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 07.04.2006 verurteilt, das in der Werkstatt für behinderte Menschen eingenommene Mittagessen nur in Höhe von 36,54 Euro monatlich als Einkommen anzurechnen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Die Beklagte trägt ein Drittel der außergerichtlichen Kosten des Klägers.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Anrechnung von Mittagessen auf Grundsicherungsleistungen nach dem Sozialgesetzbuch, Zwölftes Buch (SGB XII).

Der am 13.06.1966 geborene Kläger ist geistig behindert. Er lebt im eigenen Haushalt und arbeitet in einer Behindertenwerkstatt (Nordeifelwerkstätten). Dort erhält er neben einem Monatseinkommen von 465 Euro an jedem Anwesenheitstag ein Mittagessen. Am 20.09.2005 stellte der Kläger einen Antrag auf Grundsicherungsleistungen nach dem SGB XII. Durch Bescheid vom 18.10.2005 wurden dem Kläger Grundsicherungsleistungen für den Zeitraum 20.09.2005 bis zum 30.06.2006 bewilligt. In der Bedarfsberechnung wurden Sachbezüge von 52,20 Euro monatlich als Einkommen angerechnet.

Durch undatiertes, bei der Beklagten am 06.01.2006 eingegangenes Schreiben legte der Kläger Widerspruch ein hinsichtlich der Anrechnung des Mittagessens als Einkommen. Der Kläger legte im Wesentlichen dar, dass hinsichtlich der Einkommensanrechnung die Ausnahmeregelung des § 82 Abs. 1 SGB XII zu beachten sei, wonach Leistungen des SGB XII nicht als Einkommen gelten. Das kostenfreie Mittagessen sei kein Einkommen, sondern von seiner Rechtsnatur eine Leistung nach dem SGB XII.

Durch Widerspruchsbescheid vom 07.04.2006 wurde der Widerspruch des Klägers zurückgewiesen. Die Beklagte führte im Wesentlichen aus, dass der Widerspruch unzulässig und unbegründet sei. Der Widerspruch sei am 06.01.2006 und damit nicht fristgerecht eingelegt worden. Gemäß § 82 Abs. 1 SGB XII gehörten zum Einkommen alle Einkünfte in Geld oder Geldeswert. Geldeswert seien Natural- und Sachbezüge u. a. auch Kost. Die Einnahme des Mittagessens sei ein geldwerter Vorteil, der es rechtfertige, den im Regelsatz bereits enthaltenen Betrag für das Mittagessen entsprechend zu kürzen. Dies ergebe sich aus § 2 Abs. 1 der Verordnung zur Durchführung des § 82 SGB XII.

Hiergegen richtet sich die am 08.05.2006 eingegangene Klage. Der Kläger vertritt weiterhin die Auffassung, dass ihm Grundsicherungsleistungen ohne Anrechnung des in der Behindertenwerkstatt eingenommenen Mittagessens zu gewähren sind. Er erhalte für seine Tätigkeit im Arbeitsbereich der Nordeifelwerkstätten Leistungen nach § 54 Abs. 1 SGB XII i. V. m. § 41 SGB IX. Zuständig für die Leistungserbringung sei der Träger der Sozialhilfe, der Landschaftsverband Rheinland. Damit seien die Leistungen im Sinne der Regelung des § 82 Abs. 1 Satz 1 SGB XII Leistungen nach diesem Buch – dem SGB XII-.

Eine Anrechnung komme auch nicht im Wege einer bisher nicht vorgenommenen Regelbedarfskürzung in Frage. Die Regelung des § 28 Abs. 1 Satz 2 SGB XII, wonach die Bedarfe abweichend festgelegt werden, wenn im Einzelfall ein Bedarf ganz oder teilweise anderweitig gedeckt ist, könne nur Wirkung im Bereich der Hilfe zum Lebensunterhalt entfalten, da diese Leistung bedarfsdeckend gewährt werde. Leistungen der Grundsicherung würden demgegenüber jedoch ausschließlich bedarfsorientiert gewährt Die Bedarfsposition Ernährung lasse sich nicht aus dem Regelsatz heraus lösen, weil sie mit den einmaligen Leistungen zu einer Pauschale verrechnet worden sei. Ferner könne auf den Rechtsgedanken des § 92 XII abgestellt werden, wonach eine Kostenbeteiligung für das in der Werkstatt eingenommene Mittagessen nur vorzunehmen sei, wenn das Einkommen den 2-fachen Eckregelsatz i. H. v. 690 Euro übersteige. Es sei widersprüchlich, wenn von ihm zwar kein Kostenbeitrag verlangt werde, auf der anderen Seite aber eine entsprechende Bedarfskürzung vorgenommen würde.

Hilfsweise werde auch die Höhe des Anrechnungsbetrages von monatlich 52,20 Euro gerügt. Dieser Betrag liege über dem Betrag, der im Rahmen des Regelsatzes von 345 Euro für das Mittagessen vorgesehen sei. Der Nahrungsmittel-/Getränke-Anteil am Regelsatz betrage 36,8%, dies seien 126,96 Euro bzw. 4,23 Euro pro Tag.

Der Kläger beantragt,

den Beklagten unter teilweiser Aufhebung seines Bescheides vom 18.10.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Kreises Euskirchen vom 07.04.2006 zu verurteilen, ihm Leistungen der Grund- sicherung ohne Anrechnung des in der Werkstatt für behinderte Menschen eingenommenen Mittagessens als Einkommen zu ge- währen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat im Wesentlichen dargelegt, dass nach § 82 Abs. 1 SGB XII zum Einkommen alle Einkünfte in Geld oder Geldeswert gehörten, insbesondere Natural- und Sachbezüge wie freie Kost. Das in den Behindertenwerkstätten zur Verfügung gestellte Mittagessen stelle einen Sachbezug im Sinne dieser Vorschrift dar. Der Betrag ergebe sich aus § 1 Abs. 1 der Verordnung über den Wert der Sachbezüge in der Sozialversicherung (Sachbezugsverordnung). Der Wert des Mittagessens werde gemäß Sachbezugsverordnung mit 78,25 Euro festgesetzt und entsprechend mit 2,61 Euro als Tagesbedarf. Unter Zugrundelegung einer durchschnittlichen 20-tägigen Anwesenheit werde ein Wert von 52,20 Euro berücksichtigt. § 92 Abs. 2 SGB XII beziehe sich nicht auf die im häuslichen Bereich gewährte Hilfe zum Lebensunterhalt, selbst wenn daneben, wie hier, Eingliederungshilfemaßnahmen in Anspruch genommen würden. Einkommen und Vermögen seien deshalb in diesem Falle aufgrund § 41 Abs. 2 SGB XII in vollem Umfang zur Bedarfdeckung einzusetzen. Durch den Verweis auf die §§ 82 bis 84 und 90 SGB XII sei eindeutig geklärt, in welchem Umfang der Leistungsberechtigte Einkommen und Vermögen anzusetzen habe.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Kammer konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten sich hiermit einverstanden erklärt haben.

Die Klage ist zulässig und teilweise begründet. Der Bescheid vom 18.10.2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 07.04.2006 ist hinsichtlich der Höhe des als Einkommen angerechneten Betrages rechtswidrig und beschwert insoweit den Kläger im Sinne des § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Die Klage ist nicht bereits deswegen unbegründet, weil der Widerspruch des Klägers verspätet eingelegt worden wäre. Die Beklagte hat sich im Widerspruchsbescheid vom 07.04.2006 mit der Sache inhaltlich befasst. Eine eventuelle Fristversäumung ist damit geheilt (Meyer-Ladewig/Leitherer, SGG, 8. Aufl., § 84 Rz. 7) Davon abgesehen ist aus der Verwaltungsakte nicht erkennbar, wann der Bescheid vom 18.10.2005 an den Kläger abgesendet wurde, so dass eine Zugangsfiktion ohnehin nicht in Betracht kommt.

Hinsichtlich der grundsätzlichen Anrechnung des in der Werkstatt für behinderte Menschen eingenommenen Mittagessens als Einkommen sind die o. g. Bescheide der Beklagten nicht zu beanstanden. Der Kläger gehört als dauerhaft Erwerbsgeminderter zum leistungsberechtigten Personenkreis der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach § 41 SGB XII. Anspruch auf Leistung besteht nach § 41 Abs. 2 SGB XII nur insoweit, als Leistungsberechtigte den Lebensunterhalt nicht aus ihrem Einkommen und Vermögen gemäß der §§ 82 bis 84 und 90 beschaffen können. Das in der Werkstatt für behinderte Menschen eingenommene Mittagessen ist Einkommen im Sinne des § 82 Abs. 1 Satz 1 SGB XII. Danach gehören zum Einkommen alle Einkünfte in Geld oder Geldeswert mit Ausnahme der Leistungen nach diesem Buch, der Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz sowie weiterer vergleichbarer Leistungen. Nach § 2 der Verordung zur Durchführung des § 82 SGB XII sind für die Bewertung von Einnahmen, die nicht in Geld bestehen wie Kost, Wohnung und sonstige Sachbezüge, die aufgrund des § 17 Abs. 2 des Vierten Buches, Sozialgesetzbuch (SGB IV) zuletzt festgesetzten Werte der Sachbezüge maßgebend. Bezüglich des Wertes des Mittagessens gibt es in der Verordnung für den Wert der Sachbezüge in der Sozialversicherung (Sachbezugsverordnung 2005) in § 1 Abs. 1 die Regelung, dass für das Mittagessen 78,25 Euro anzusetzen sind und nach § 1 Abs. 3 ist bei der Berechnung des Wertes für kürzere Zeiträume als einen Monat für jeden Tag 1/30 des Wertes nach § 1 zugrunde zulegen. Dies ergibt 2,61 Euro täglich.

Entgegen der Auffassung des Klägers gehört das aus der Werkstatttätigkeit des Klägers bezogene Mittagessen nicht zu den Leistungen nach dem SGB XII, die von der Einkommensanrechnung ausgenommen sind. In § 82 Abs. 3 Satz 2 SGB XII ist ausdrücklich die Beschäftigung in einer Werkstatt für behinderte Menschen aufgeführt. In diesem Fall sind abweichend von Satz 1 der Vorschrift von dem Entgelt 1/8 des Regelsatzes zusätzlich 25 vom Hundert des diesen Betrag übersteigenden Entgelts abzusetzen. Bezüglich des abzusetzenden Betrages sind Behinderte, die in einer Behindertenwerkstatt tätig sind, dementsprechend privilegiert, sie sind aber in den Regelungsbereich des § 82 SGB XII einbezogen. Vom Kläger selbst wird nicht die Auffassung vertreten, dass der aufgrund der Tätigkeit in der Behindertenwerkstatt gezahlte Lohn nicht Einkommen im Sinne des § 82 SGB XII ist. Aus welchem Grund die Sachbezüge anders behandelt werden sollen als der Lohn, erschließt sich der Kammer nicht. Schließlich ist in § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 82 SGB XII ausdrücklich der Bezug von Kost geregelt. Hätte der Gesetzgeber die Sachbezüge aus der Tätigkeit in einer Behindertenwerkstatt nicht anrechnen wollen, so hätte es nahe gelegen, dies ebenfalls in § 82 SGB XII zu regeln. Da dies aber unterblieben ist, kann nicht von einer weiteren Privilegierung ausgegangen werden.

Entgegen der Auffassung des Klägers kann daher auch nicht auf den Rechtsgedanken des § 92 Abs. 2 Satz 4 SGB XII, der auf Grundsicherungsleistungen nicht direkt anwendbar ist, abgestellt werden, denn für eine Analogie hinsichtlich der Berücksichtigung des Mittagessens fehlt es an einer Regelungslücke. Eine analoge Anwendung des § 92 Abs. 2 Satz 4 SGB XII, wonach ein Kostenbeitrag für das Mittagessen in einer Behindertenwerkstatt nur von den Personen verlangt wird, die mehr als 690 Euro pro Monat verdienen, kommt daher nicht in Betracht. Der Gesetzgeber hat an verschiedenen Stellen des SGB XII die Behinderten privilegiert. Wie dargelegt ist eine ausdrückliche Regelung der Nichtanrechnung von Sachbezügen in den für die Grundsicherungs-leistungen maßgeblichen Vorschriften aber nicht erfolgt.

Die Einkommensanrechnung der Beklagten ist insoweit rechtswidrig als der Betrag von 2,61 Euro täglich für 20 Tage eines Monats angesetzt wird. Der Kläger ist nicht an so vielen Tagen des Monats in den Nordeifelwerkstätten anwesend. Laut der in der Verwaltungsakte enthaltenen Bescheinigung vom 14.09.2005 ist er im Zeitraum vom 01.01.2004 bis zum 31.12.2004 an 174 Tagen anwesend gewesen, dies sind 14,5 Tage pro Monat und im Zeitraum vom 01.01.2005 bis zum 31.08.2005 an 113 Tagen, dies sind 14,1 Tage monatlich. Aufgrund dessen und der fallenden Tendenz ist es sachgerecht, nur für 14 Tage pro Monat die Einkommensanrechnung des Mittagessens vorzunehmen. Ein Ansetzen von mehr Tagen würde aller Voraussicht danach dazu führen, dass dem Kläger mehr Sachbezüge angerechnet werden als er tatsächlich erhält. Aufgrund dessen, dass die Beklagte über die Grundsicherung für die Zukunft entscheidet (§ 44 Abs. 1 Satz 1 SGB XII), ist eine typisierende Betrachtung zulässig. Sie darf aber nicht dazu führen, dass der Behinderte regelmäßig gegenüber einer nachträglichen, taggenauen Berechnung benachteiligt wird. Eine Typisierung im Fall von Sachbezügen hat daher großzügig die voraussichtlichen Fehltage aufgrund Urlaub und Krankheit einzubeziehen. Eine Berücksichtigung von 20 Tagen pro Monat entbehrt schon alleine aufgrund des Jahresurlaubs jeglicher Berechtigung. Sachgerecht ist es nach Auffassung der Kammer, auf die Anwesenheitstage in der Vergangenheit abzustellen und diese auf die Zukunft hochzurechnen.

Im vorliegenden Fall ergibt sich bei einer Berücksichtigung von 14 Tagen pro Monat ein Betrag von 36,54 Euro.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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