S 7 VG 117/1999

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Dortmund (NRW)
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
7
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 7 VG 117/1999
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 7 VG 30/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klagen werden abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger wegen eines Vor¬falles am 04.12.1996 Versorgung nach den Vorschriften des Opferentschädigungsgesetzes zu gewähren ist.

wurde er am 10,11.1995 Der Kläger ist der Vater des Kindes

Von der Kindsmutter

geschieden. Im November 1996 lebte das Kind beim Kläger in Dortmund. Das Sorgerecht für das Kind wurde gemeinsam ausgeübt. Seit dem 26.10.1996 lag das Aufenthaltsbestimmungsrecht bei der Stadt Dortmund. Die Eltern einigten sich dahingehend, dass das Kind das erste Adventswochenende 1996 bei der Mutter in Berlin verbringen sollte. Nach Angaben des Klägers wurde ihm das Kind zum vereinbar¬ten Abholungstermin wegen einer angeblichen Erkrankung nicht herausgegeben. Bezüglich der in Streit stehenden Ereignisse am 04.12,1996 gibt der Kläger an, er habe an diesem Tag den zweiten Versuch unternom¬men, sein Kind abzuholen. Er habe das Kind in der Wohnung an sich genommen, die von der geschiedenen Ehefrau verschlossene Tür gewaltsam geöffnet und mit dem Kind die Wohnung und das Haus verlassen. Zunächst sei er aufgrund des Geschreies der geschiedenen Ehefrau durch einen Händler auf der Straße aufgehalten worden. Kurz danach sei ihm das Kind von herbeigerufenen Polizeibeamten gewaltsam aus dem Arm genommen worden. Er sei in einem Polizeiwa¬gen verbracht worden. Die Polizei habe in Kenntnis der Sach- und Rechtslage gehandelt. Sie habe ihm dennoch einen Platzverweis erteilt. Das Kind sei an die Mutter übergeben worden. Am 06.12.1996 erlieJ3 das Amtsgericht Dortmund einen Beschluss, nachdem das Kind an das Jugendamt Dortmund, oder eine von diesem zu benennende Person, herauszugeben sei. Am 09.12.1996 und 12.12.1996 sei der Versuch, das Kind durch den Vater abholen zu lassen, erfolglos geblieben. Die Mutter ist seitdem mit dem Kind unbekannten Aufenthaltes. Das alleinige Sorgerecht hat der Kläger am 10.03.1997 erlangt. Am 16.04.1997 beantragte der Kläger beim Land Nordrhein-Westfalen (Beklagter zu 1) die Anerkennung als Opfer einer Gewalttat. Er berief sich darauf, Opfer einer Kindesentziehung geworden zu sein und führte nicht beherrschbare Erregungs- und Erschöpfungszustände auf diese Straftat zurück. Mit Bescheid vom 25.06.1998 lehnte der Beklagte den Antrag des Klägers auf Versorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz ab. Zur Begründung führte er aus, es sei nicht nachgewiesen, dass die gesundheitliche Schädigung, für die der Kläger Versorgung nach dem OEG begehre, infolge eines vorsätzlichen, rechtsfähigen tätlichen Angriffs erfolgt sei. Die Voraussetzungen des § 1 OEG seien somit nicht erfüllt. Diese Entscheidung bestätigte der Beklagte zu 1) mit Widerspruchsbescheid vom 30.03.1999. Dagegen richtet sich die am 21.04.1999 erhobene Klage. Einen Antrag auf Versorgung nach dem OEG stellte der Kläger darüber hinaus am 02.04.1999 beim Land C (Beklagter zu 2)). Er berief sich auf Blutergüsse, Einschränkungen der HWS, Platzwunde am Hinterkopf, schwerwiegende seelische Traumata in Bezug auf Verlust des Kindes, multiple somatoforme Störungen, Depressionen etc. Nach Auswertung, staatsanwaltschaftlicher Ermittlungsakten, die auch dem Beklagten zu 1) Vorgelegen hatten, lehnte der Beklagte zu 2) den Antrag auf Versorgung mit Bescheid vom 04.05.1999 ab. Zur Begründung führte er aus, bei den "Blutergüssen, den Bewegungseinschränkungen der Halswirbelsäule sowie der Platzwunde am Hinterkopf" handele es sich um keine Schädigungen, die einen dauernden Leidenszustand mit einer bleibenden Minderung der Erwerbsfähigkeit zur Folge hätten. Bezüglich der geltend gemachten traumatischen Schädigung wegen Kindesentziehung lägen die Voraussetzungen für die Anerkennung nach dem OEG schon deshalb nicht vor, weil der geschilderte Sachverhalt zur Schädigung keinen vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff im Sinne des § 1 OEG darstelle. Diese Entscheidung bestätigte der Beklagte zu 2) mit Widerspruchsbescheid vom 30.09.1999.

Dagegen hat der Kläger am 06.10.1999 Klage erhoben. Die Klagen sind vom Gericht zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden worden. Der Kläger beruft sich darauf, die Kindesentziehung stelle einen vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff dar. Er verweist auf den Gewaltbegriff des Bundessozialgerichtes. Insbesondere sei auf die gewaltsame Wegnahme des Kindes durch die Polizeibeamten abzustellen.

Der Kläger beantragt,

1. den Beklagten zu 1) zu verurteilen, dem Kläger unter Aufhebung des Bescheides vom 25.06.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.03.1999 wegen der Folgen der Gewalttat vom 04.12.1996 Versorgung nach den Vor schriften des Opferentschädigungsgesetzes dem Grunde nach zu gewähren,

2. den Beklagten zu 2) zu verurteilen, dem Kläger unter Aufhebung des Bescheides vom 04.05.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.09.1999 wegen der Folgen der Gewalttat vom 04.12.1996 Versorgung nach den Vorschriften des Opferentschädigungsgesetzes dem Grunde nach zu gewähren.

Der Beklagte zu 1) beantragt, die Klage abzuweisen.

Der Beklagte zu 2) beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagten sind übereinstimmend der Ansicht, dass ihre angefochtenen Bescheide der Sach- und Rechtslage entsprechen. In einem Termin zur Erörterung des Sachverhaltes hat der Kläger angegeben, dass er auf den Polizeieinsatz in Berlin keine bleibenden körperlichen Schäden zurückführe. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Beteiligten und den übrigen Akteninhalt verwiesen, Die den Kläger betreffenden B-Akten der Beklagten zu 1) und 2) lagen im Termin vor und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die zulässigen Klagen sind nicht begründet. Die Beklagten haben zu Recht die Gewährung von Versorgung nach den Vorschriften des Opferentschädigungsgesetzes abgelehnt. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Versorgung gemäß § 1 OEG. Gemäß § 1 OEG erhält derjenige, der im Geltungsbereich des Gesetzes oder auf einem deutschen Schiff oder Luftfahrzeug infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, auf Antrag Versorgung. Es liegt weder ein vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff gegen den Kläger noch gegen eine andere Person vor. Ausgehend von dem vom Kläger geschilderten Sachverhalt gibt es für die Kammer keine Anhaltspunkte dafür, dass das Handeln der Poli¬zeibeamten am 04.12.1996 rechtswidrig gewesen sein könnte. Die Wegnahme des Kindes war von den rechtlichen Befugnissen gedeckt. Ein vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff durch die Polizeibeamten scheidet somit aus. Es liegt auch kein vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff durch die geschiedene Ehefrau vor. Es ist davon auszugehen, dass die geschiedene Ehefrau den Tatbestand der Kindesentziehung gemäß § 235 Strafgesetzbuch (alte Fassung bis 1998 -, heute Entziehung Minderjähriger) erfüllt hat. Danach machte sich derjenige strafbar, der eine Person unter 18 Jahren durch List, Drohung oder Gewalt ihren Eltern, ihrem Vormund oder ihrem Pfleger entzieht. Den gesamten Umständen ist zu entnehmen, dass die geschiedene Ehefrau diesen Tatbestand durch List verwirklicht hat. Für eine Kindesentziehung mit Gewalt läßt sich kein Vorsatz feststellen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass bei § 235 Strafgesetzbuch (alte Fassung) nach herrschender Meinung (vgl. Schönke-Schroeder - StGB- 1997 - § 235 Randnr. 1 f.) die elterliche Sorge und das Kindeswohl geschütztes Rechtsgut waren. Insoweit stellte § 235 StGB (alte Fassung) schon keine den Kläger als Person schützende Strafvor- schrift dar. Mit dem Abstellen auf einen tätlichen Angriff hat sich der Gesetzgeber vom allgemeinen Gewaltbegriff im Strafrecht gelöst und die tätlichen Angriffe auf Personen unter Schutz gestellt, die nach der Rechtsprechung eine in feindlicher Willensrichtung unmittelbar auf dem Körper eines anders zielende Einwirkung erfordern. Ein tätlicher Angriff liegt nur dann vor, wenn ein gewaltsames, handgreifliches Vorgehen gegen eine Person in kämpferischer, feindseliger Absicht vorliegt. Auch dies ist nicht der Fall. Die geschiedene Ehefrau hat sich auch insoweit nicht vorsätzlich der Polizeibeamten als Werkzeug im Sinne des Strafrechtes bedient. Sie konnte nicht davon ausgehen, dass der Polizeieinsatz zu einer Wegnahme des Kindes führte. Überdies ist nicht klar, ob die geschiedene Ehefrau den Polizeieinsatz veranlasst hat. Es liegt auch kein tätlicher Angriff gegen das Kind vor. Auch insoweit käme, unmittelbar handelnd, nur der Einsatz der Polizeibeamten in Betracht. Diesbezüglich ist keinerlei kämpferische oder feindselige Absicht zu erkennen, sondern lediglich von Amts wegen gebotenes rechtmäßiges (s. o.) Einschreiten. Da auch eine rechtmäßige Abwehr eines tätlichen Angriffs nicht vorliegt, sind die Voraussetzungen des § 1 OEG nicht erfüllt. Ein Anspruch auf Versorgung ist demnach nicht gegeben. Im Übrigen weist die Kammer darauf hin, dass sie es für ausgeschlossen hält, dass allein die Situation am 04.12.1996 zu nachteiligen gesundheitlichen Folgen beim Kläger geführt hat. Sie geht vielmehr davon aus, dass das nachfolgende selbstveranlasste Handeln des Klägers (verzweifeltes Suchen nach dem Kind) die angegebenen gesundheitlichen Folgen nach sich gezogen hat. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.
Rechtskraft
Aus
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