S 26 KN 24/09 KR ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Köln (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
26
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 26 KN 24/09 KR ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird zurückgewiesen. Kosten sind unter den Beteiligten nicht zu erstatten.

Gründe:

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Antragsgegnerin der Antragstellerin einstweilen die Kosten eines Behandlungsintervalls (drei Injektionen) mit dem Fertigarzneimittel Lucentis durch die St. Elisabeth-Krankenhaus-GmbH finanzieren muss.

Dieses Krankenhaus, welches grundsätzlich für gesetzlich krankenversicherte Patienten zugelassen ist, und die bei der Antragsgegnerin (AGG) versicherte, im Jahre 1939 geborene Antragstellerin (AST) beantragten Anfang Mai 2009 bei der AGG die Kostenübernahme einer Lucentis-Injektionstherapie. Aus dem Antrag ergibt sich, dass die AST bei angiographisch nachgewiesener Neovaskularisierung unter einer altersabhängigen Makuladegeneration (AMD) am rechten Auge leidet und die Therapie mit Lucentis erforderlich ist. Da die Leistung nach dem EBM derzeit nicht abrechenbar sei, werde um die Zusage der Kostenübernahme der Lucentis-Therapie für zunächst drei Monate in Höhe von 5.028,66 Euro gebeten (Apothekenverkaufspreis von Lucentis: 1.296,22 Euro, für 3 Injektionen: 3.888,66 Euro/Ärztliches Honorar für die intravitreale Injektion: 300,- Euro, für 3 Injektionen: 900,00 Euro/Ärztliches Honorar für die Nachbehandlung: 80,- Euro, für 3 Injektionen: 240,- Euro). Mit Bescheid vom 11.05.2009 teilte die AGG der AST mit, die geplante Behandlung für drei Medikamenteneinspritzungen ins rechte Auge werde grundsätzlich genehmigt. Die AGG habe jedoch zwischenzeitlich einen Vertrag mit der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein (KVNO) und den augenärztlichen Berufsverbänden geschlossen, der eine pauschalierte Kostenvergütung von 450,- Euro für alle mit den Medikamenteneinspritzungen einhergehenden Aufwendungen (Arztkosten und Arzneimittelkosten) je Injektion vorsehe. Welches Arzneimittel (Avastin, Lucentis oder Macugen) im Einzelfall zum Einsatz komme, kläre der Arzt gemeinsam mit seinem Patienten. Für die augenärztliche Nachbehandlung sei ein zusätzlicher Betrag von 50,- Euro abrechenbar. Die Kostenabrechnung erfolge in diesen Fällen direkt über die Krankenversichertenkarte mit der KVNO. Die Elisabeth-Krankenhaus GmbH habe sich derzeit dem oben genannten Vertrag nicht angeschlossen. Deshalb sei eine direkte Abrechnung über die Krankenversichertenkarte nicht möglich. Sofern die AST die Behandlung dennoch in dieser Einrichtung durchführen lassen wolle, seien die entstehenden Mehrkosten selbst zu tragen. Über den hiergegen gerichteten Widerspruch der AST hat die AGG noch nicht entschieden.

Am 12.06.2009 hat die AST den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung beim Sozialgericht Köln eingereicht, um die AGG einstweilen zu verpflichten, die beantragte Behandlung im St. Elisabeth-Krankenhaus von der AGG finanziert zu erhalten. Die AST trägt vor, an ihrem rechten Auge bestehe noch eine 32prozentige Sehfähigkeit, am linken Auge eine 20prozentige Sehfähigkeit. Wenn die streitgegenständliche Behandlung nicht umgehend durchgeführt werde, drohe ihr wahrscheinlich sogar ein vollständiger Sehverlust am rechten Auge. Die Prognose werde umso schlechter, je länger die Behandlung hinausgezögert werde. Die ärztliche Dienstleistung (intravitreale Injektion) sei derzeit noch nicht im EBM geregelt. Es bestehe deshalb die Verpflichtung der AGG zur Vergütung der ärztlichen Leistung auf der Grundlage der GOÄ. Die Begrenzung der Leistung auf dreimal 500,- Euro statt der beantragten 5.028,66 Euro könne die AGG nicht unter Hinweis auf den abgeschlossenen Vertrag über die Behandlung der feuchten AMD mittels intravitrealer Injektion (im folgenden: AMD-Vertrag) stützen. Die AST habe ein Recht auf freie Arztwahl. Die Kostenkalkulation im AMD-Vertrag lasse nur den Schluss zu, dass eine Durchstechflasche Lucentis für die Behandlung mehrerer Patienten (entgegen der Fachinformation) oder Avastin im Off-Label-Use Verwendung finde. Der AMD-Vertrag sei evident rechtswidrig. Da die AST unter multiplen Allergien bei schwerer KHK- und Diabeteserkrankungen leide, wolle sie sich entsprechend der Empfehlung ihres seit über 15 Jahren behandelnden Augenarztes aufgrund möglicher Komplikationen im St. Elisabeth-Klinikum behandeln lassen, was auch medizinisch geboten sei. Sie verfüge nur über eine monatliche Rente von 922,07 Euro und müsse allein für die Miete ihrer Wohnung 427,53 Euro aufwenden. Ersparnisse habe sie nicht.

Die AST hat auf zahlreiche Parallelverfahren verwiesen, welche ihre Bevollmächtigten bei der Sozialgerichtsbarkeit im krankenversicherungs- und vertragsärztlichen Bereich geführt haben. Ferner wird auf die zahlreichen weiteren von der AST vorgelegten Unterlagen Bezug genommen.

Die AST beantragt schriftlich,

die Antragsgegnerin einstweilen bis zu einer bestandskräftigen Entscheidung in der Hauptsache zu verpflichten, der Antragstellerin die Behandlung ihrer feuchten altersabhängigen Makuladegeneration am rechten Auge mittels intravitrealer Injektion des Fertigarzneimittels Lucentis durch Übernahme der Kosten eines Behandlungsintervalls (drei Injektionen) in Höhe von EUR 5.028,66 zu gewähren.

Die AGG beantragt schriftlich,

den Antrag abzuweisen.

Sie hat zunächst vorgetragen, die medizinische Notwendigkeit der beantragten Arzneimitteltherapie werde nicht bestritten. Die von der AST ausgewählte Augenklinik am St. Elisabeth-Krankenhaus sei nicht bereit oder mangels Zulassung zur Teilnahme an der ambulanten vertragsärztlichen Versorgung nicht berechtigt, für das seit Ende Februar 2007 in Deutschland zugelassene Medikament Lucentis eine Arzneimittelverordnung nach Muster 16 (Kassenrezept) auszustellen, obwohl dies arzneimittelrechtlich zulässig sei. Diese Augenklinik wolle die erforderlichen Leistungen vollständig außervertraglich erbringen. Kostenerstattungsansprüche bestünden nach § 13 Absatz 3 SGB V in entstandener Höhe aber nur dann, wenn die Kasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen könne oder diese zu Unrecht abgelehnt habe. Die AGG lehne die streitgegenständliche Behandlung jedoch nicht ab, sondern verweise auf mittlerweile über 90 niedergelassene und hochqualifizierte Augenärzte, welche im Rahmen des AMD-Vertrages auch Lucentis verabreichen könnten.

Das Gericht hat von Amts wegen einen Befundbericht bei dem Augenarzt der AST, Dr. Meyer-Stoll, eingeholt; dieser hat ergänzend telefonisch erklärt, seit einer Abklärung im Krankenhaus stehe fest, dass die AST an einer feuchten AMD am rechten Auge leide.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die umfangreichen, zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Der Antrag ist zulässig, jedoch nicht begründet. Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung liegen nicht vor. Nach § 86 b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht, sofern ein Fall nach Absatz 1 nicht vorliegt, auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch die Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Nach Satz 2 der Vorschrift sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile zwingend erforderlich erscheint. Die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes setzt einen Anordnungsanspruch, also einen materiell-rechtlichen Anspruch auf die Leistung, sowie einen Anordnungsgrund, nämlich einen Sachverhalt, der die Eilbedürftigkeit der Anordnung begründet, voraus. Anordnungsanspruch und- grund sind glaubheft zu machen. Dabei stehen Anordnungsanspruch und-grund nicht isoliert nebeneinander. Es besteht vielmehr eine Wechselbeziehung derart, als die Anforderungen an den Anordnungsanspruch mit zunehmender Eilbedürftigkeit bzw. Schwere des drohenden Nachteils zu verringern sind und umgekehrt. Anordnungsanspruch und- grund bilden nämlich aufgrund ihres funktionalen Zusammenhangs ein bewegliches System: Ist die Klage in der Hauptsache offensichtlich unzulässig und /oder unbegründet, so ist der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ohne Rücksicht auf den Anordnungsgrund abzulehnen, weil ein schützenswertes Recht nicht vorhanden ist. Ist die Klage in der Hauptsache dagegen offensichtlich begründet, so vermindern sich die Anforderungen an den Anordnungsgrund. In der Regel ist dann die begehrte einstweilige Anordnung zu erlassen, auch wenn in diesem Fall nicht gänzlich auf einen Anordnungsgrund verzichtet werden kann. Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens, wenn etwa eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich ist, ist im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden.

Hier ist bereits ein Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht. Die begehrte Anordnung ist zur Abwendung wesentlicher Nachteile der AST (hier: drohende Erblindung am rechten Auge) nicht erforderlich. Nach dem Befundbericht des Augenarztes Dr. Meyer-Stoll ist zwar eine schnelle Behandlung des rechten Auges der AST durch Injektionen mit einem Anti-VEGF-Präparat erforderlich. Dass hier nur Lucentis in Betracht kommt, hat dieser Arzt trotz ausdrücklicher

Nachfrage des Gerichts jedoch nicht bestätigt. Wie das Sozialgericht Düsseldorf in seinem überzeugenden Urteil vom 02.07.2008 ausgeführt hat (S 2 KA 181/07), gehört auch Avastin zu den VEGF-Antagonisten und hemmt Gefäßneubildungen. Avastin ist seit 2006 mehrere 100.000mal weltweit erfolgreich eingesetzt worden. Begründete Zweifel an der Arzneimittelsicherheit von Avastin bei der Therapie der feuchten AMD bestehen nicht. Das Bundesversicherungsamt als zuständige Aufsichtsbehörde hat bislang keine Veranlassung zur Beanstandung gesehen, dass die Krankenkassen die Kosten für die Behandlung mit Avastin übernehmen. Es bestehen deshalb gefahrlose Behandlungsmöglichkeiten durch Vertragsbehandler der AGG, welche dem Grunde nach die streitgegenständliche Behandlung in Höhe der mit den Vertragsbehandlern vereinbarten Vergütung im Fall der AST bewilligt hat. Im übrigen kommt nach dem Inhalt des Vertrages die Anwendung von verschiedenen VEGF-Hemmern in Betracht, u.a. auch von Lucentis. Im übrigen wird von namhaften Experten( z.B. dem Pharmakologen Prof. Dr. Mühlbauer) befürchtet, dass Lucentis nicht nur das wesentlich teurere, sondern sogar das schlechtere Mittel ist. Es besteht die Vermutung, dass Avastin länger im Auge verbleibt und deshalb seltener gespritzt werden muss als Lucentis. Diesbezüglich laufen derzeit noch Studien. Soweit die AST zuletzt geltend gemacht hat, wegen ihrer anderweitigen Erkrankungen müsse die begehrte Therapie bei ihr im Krankenhaus stattfinden, ist dies zum einen nicht glaubhaft gemacht; aber auch die Tatsache, dass die AST ein grundsätzlich für gesetzlich Krankenversicherte zugelassenes Krankenhaus für ihre Behandlung gewählt hat, welches Lucentis nur im Wege einer privatärztlichen Behandlung verabreichen will, kann einen Anordnungsgrund nicht begründen. Falls bei der AST die Verabreichung eines VEGF-Hemmers nur im Rahmen einer Krankenhausbehandlung in Betracht kommt, wäre es ihr zuzumuten, ein anderes zugelassenes Krankenhaus im Sinne der §§ 108, 115 ff SGB V aufzusuchen, welches die AST gegen Vorlage der Krankenversichertenkarte - und nicht etwa auf privatärztlicher Basis - versorgt. Nur am Rande ist zu erwähnen, dass die vom St. Elisabeth- Krankenhaus geforderten Arzthonorare eben nicht auf der GOÄ , sondern auf Pauschalen beruhen, deren Bemessung nicht plausibel dargelegt wurde. Unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse der AST würde eine Verpflichtung der AGG zur Übernahme von Kosten in Höhe von 5.028,66 Euro hier im Ergebnis die Hauptsache vorwegnehmen, da sie im Falle des Unterliegens im (derzeit noch gar nicht anhängigen) Hauptsacheverfahren voraussichtlich nicht in der Lage sein wird, diese Kosten zurückzuzahlen. Eine echte Vorwegnahme der Hauptsache im Wege der einstweiligen Anordnung kommt jedoch in der Regel nur dann in Betracht, wenn das

Obsiegen des AST/der AST in der Hauptsache ganz überwiegend wahrscheinlich ist. Dies ist hier jedoch zu verneinen. Entgegen der Auffassung der AST ist der sog. AMD-Vertrag nicht offensichtlich rechtswidrig, wie sich bereits aus dem Beschluss des SG Düsseldorf vom 23.08.2007 (S 2 KA 104/07), bestätigt durch Beschluss des LSG NRW vom 11.02.2008 - L 11 (10) B 17/07 KA, dem Beschluss des SG Düsseldorf vom 16.10.2008 - S 14 KA 121/08 ER - und dem Urteil des SG Düsseldorf vom 02.07.2008 - S 2 KA 181/07 - ergibt. Grundsätzlich erhalten Versicherte die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung nach § 2 Absatz 2 Satz 1 SGB V als Sach- und Dienstleistung. Dabei ist das Wirtschaftlichkeitsgebot zu beachten. § 13 Absatz 3 SGB V (Kostenerstattung) stellt demgegenüber eine Ausnahme vom Grundsatz des Sachleistungsprinzips dar. Die Behandlung der AST mit einem VEGF-Hemmer ist von der AGG jedoch dem Grunde nach bewilligt worden. Mit dem AMD-Vertrag haben die Vertragspartner eine Möglichkeit geschaffen, den Versicherten diese ärztliche Behandlung als Sachleistung anzubieten. In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass die Erhaltung der finanziellen Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung ein Gemeinwohlbelang von hohem Rang ist. Ob die AST vor diesem Hintergrund berechtigt ist, von der AGG die Behandlung mit Lucentis von einem besonders teuren Anbieter finanziert zu erhalten, welcher das ärztliche Honorar zudem nach frei bestimmten Pauschalen abrechnen will, ist mehr als fraglich. Im übrigen ist auch dem Sitzungsprotokoll des LSG NRW vom 17.06.2009 nicht zu entnehmen, dass die AST im hier zu entscheidenden Fall in der Hauptsache voraussichtlich obsiegen wird. Das diesem Beschwerdeverfahren zugrunde liegende erstinstanzliche Eilverfahren hat die dortige AST, die von den Prozessbevollmächtigten der hiesigen AST ebenfalls vertreten worden ist, in vollem Umfang verloren. Ausweislich der Kostenentscheidung des LSG NRW entsprach das Obsiegen der AST im Beschwerdeverfahren nur einem Fünftel. Schlüsse auf das hier zu beurteilende individuelle Eilverfahren können aus dem Protokoll des LSG NRW jedenfalls nicht gezogen werden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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