S 21 SB 35/09

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Köln (NRW)
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
21
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 21 SB 35/09
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Ausstellung eines Schwerbehindertenausweises ohne Befristung.

Dem Kläger war von der Beklagten mit Bescheid vom 12.12.2007 ein GdB von 60 und das Merkzeichen G zuerkannt worden. Auf seine Klage gegen diesen Bescheid (S 21 SB 18/08 SG Köln) mit dem Begehren der Feststellung eines GdB von 100 war zur Beendigung des Rechtsstreits zwischen ihm und der Beklagten am 15.10.2008 folgender gerichtlicher Vergleich geschlossen worden:

1. Die beklagte Gebietskörperschaft verpflichtet sich, unter Aufhebung der im vorliegenden Verfahren angefochtenen Bescheide ab dem 25.6.2007 den Gesamt-GdB von 80 festzustellen. 2. Im Hinblick auf die Regelung zu 1) erklärt der Kläger das vorliegende Verfahren für erledigt. 3. Die Beklagte übernimmt ½ der erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten des Klägers.

Dem Angebot der Beklagten auf Feststellung eines GdB von 80 hatte die gutachterliche Stellungnahme der Ärztin Dr. vom 27.9.2008 zugrunde gelegen, wonach bei dem Kläger ein Gesamt-GdB von 80 und das Merkzeichen G zu vertreten war und eine Nachuntersuchung für 9/2010 vorgeschlagen worden ist.

Mit Bescheid vom 29.10.2008 stellte die Beklagte in Ausführung des Vergleiches fest, dass der GdB des Klägers ab dem 24.5.2007 -80- beträgt und der Ausweis den festgestellten GdB von 80 und das Merkzeichen G sowie den Gültigkeitsbeginn 24.5.2007 enthält. Im weiteren wurde zum Gültigkeitszeitraum festgestellt, dass die Gültigkeit des Ausweises vom Monat der Ausstellung an bis zum 31.3.2011 befristet ist und kurz vor Ablauf dieser Frist von Amts wegen geprüft wird, ob sich die maßgebenden Voraussetzungen geändert haben.

Der Kläger erhob Widerspruch und rügte die Befristung des Schwerbehindertenausweises. Die Beklagte wies mit Widerspruchsbescheid vom 2.3.2009 den Widerspruch als unzulässig zurück. Soweit in dem Bescheid etwas geregelt sei, was in einem sozialgerichtlichen Verfahren zuvor festgelegt worden sei, könne dies nicht noch einmal mit einem Widerspruch angefochten werden. Sie habe mit dem angefochtenen Bescheid das Ergebnis des sozialgerichtlichen Verfahrens zutreffend ausgeführt.

Der Kläger hat am 5.3.2009 Klage erhoben. Er macht geltend, der Ausweis sei unbefristet zu erteilen, dies sei die Vereinbarung zwischen den Parteien. Sollte eine solche Vereinbarung nicht getroffen worden sein, sei eine Befristung nicht sachgerecht, denn er sei Frührentner, seine Erwerbsunfähigkeit auf Dauer behördlich festgestellt und das Krankheitsbild lasse keine Besserung erwarten. Auch sei es ihm im Zeitpunkt einer Überprüfung als fast 60 Jähriger nicht mehr zuzumuten, sich noch mit der Beklagten über die Ausstellung des Schwerbehindertenausweises auseinandersetzen zu müssen. Die Frage der Befristung des Schwerbehindertenausweises beinhalte eine Ermessensentscheidung. Eine solche habe die Beklagte nicht vorgenommen bzw. das Ermessen falsch ausgeübt, weil eine wesentliche Änderung in seinen gesundheitlichen Verhältnissen nicht zu erwarten sei.

Der Kläger beantragt,

unter Aufhebung des Bescheides vom 29.10.2008 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 2.3.2009 neu zu bescheiden und die Befristung bis zum 31.3.2011 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zu ihrem Regelungsvorschlag vom 7.10.2008 im Verfahren S 21 SB 18/08 sei dem Kläger die gutachterliche Stellungnahme vom 27.9.2008 vorgelegt worden, hieraus ergebe sich die Notwendigkeit einer Nachuntersuchung. Die festgestellte dauerhafte Erwerbsunfähigkeit sei unerheblich.

Wegen weitergehender Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten (Gz. S 0100656) und der Gerichtsakten S 21 SB 18/08 SG Köln verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht konnte den Rechtsstreit ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten sich mit dieser Vorgehensweise einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz –SGG-).

Die Klage ist zulässig (1), aber unbegründet (2).

(1) Der Klageantrag ist dahingehend auszulegen, dass der Kläger mit seiner Klage die teilweise Abänderung des Feststellungsbescheides vom 29.10.2008 in Bezug auf die dort geregelte Gültigkeit des auszustellenden Schwerbehindertenausweises (bis zum 31.3.2011) und die Verpflichtung der Beklagten, den Ausweis ohne Befristung zu erteilen, begehrt. Der so verstandene Klageantrag ist zulässig, es handelt sich um eine zulässige Anfechtungs- und Verpflichtungsklage. Dem steht nicht entgegen, dass es sich bei dem Feststellungsbescheid vom 29.10.2008 um einen Ausführungsbescheid handelt, mit dem die Beklagte die vergleichsweise eingegangene Verpflichtung vom 15.10.2008, bei dem Kläger einen GdB von 80 festzustellen, ausgeführt hat. Grundsätzlich enthält ein Ausführungsbescheid, der nur der im gerichtlichen Vergleich eingegangenen Verpflichtung entspricht, keine Regelung im Sinne des § 31 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch –Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz- (SGB X) (vgl. BSG 9. Senat Beschluss vom 18.9.2003 –B 9 V 82/02 B-) und kann daher nicht erneut mit Widerspruch bzw. Klage angefochten werden. Vorliegend hat der Kläger aber mit seinem Widerspruch und nachfolgender Klage nicht dem im Ausführungsbescheid festgestellten GdB widersprochen, sondern der dortigen Feststellung zur befristeten Gültigkeit des Schwerbehindertenausweises. Dies ist zulässig. Denn zur Gültigkeitsdauer des Schwerbehindertenausweises haben die Beteiligten ausweislich des Vergleichs vom 15.10.2008 keine Einigung getroffen. Die Bestimmung im Ausführungsbescheid, dass die Gültigkeit des Schwerbehindertenausweises bis zum 31.3.2011 befristet ist, stellt daher eine weitergehende verbindliche Regelung der Beklagten gegenüber dem Kläger dar, insoweit hat der Ausführungsbescheid eine Regelungsfunktion, die ihm die Eigenschaft eines Verwaltungsaktes im Sinne von § 31 SGB X verleiht. Dieser Verwaltungsakt in Bezug auf die Gültigkeitsdauer des Schwerbehindertenausweises kann zur Überprüfung und Abänderung durch das Gericht gestellt werden.

(2) In der Sache bleibt die Klage erfolglos.

Der Kläger wird durch den angefochtenen Verwaltungsakt nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert, denn die von der Beklagten bestimmte Ausstellung des Schwerbehindertenausweises unter Befristung bis zum 31.3.2011 ist nicht zu beanstanden. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Ausstellung eines unbefristeten Schwerbehindertenausweises, denn die Voraussetzungen hierfür liegen in seinem Fall nicht vor.

Nach § 69 Abs. 5 Satz 1 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch –Rehabilitation und Teilhaber behinderter Menschen- (SGB IX) stellen die zuständigen Behörden auf Antrag des behinderten Menschen auf Grund einer Feststellung der Behinderung einen Ausweis über die Eigenschaft als behinderter Mensch, den Grad der Behinderung sowie ggf. über weitere gesundheitliche Merkmale aus. Die Gültigkeitsdauer des Ausweises soll befristet werden (Satz 3). Diese Soll-Vorschrift gebietet es, dass die Behörde in der Regel den Schwerbehindertenausweis mit befristeter Gültigkeit zu erteilen hat, wobei § 6 Abs. 2 der Schwerbehindertenausweisverordnung (SchwBAwV) konkretisiert, dass die Gültigkeit des Ausweises für die Dauer von längstens 5 Jahren vom Monat der Ausstellung an zu befristen ist. Von der Soll-Vorschrift des § 69 Abs. 5 Satz 3 SGB IX kann nur in Ausnahmefällen (sog. Atypik) abgesehen werden. Insoweit gibt § 6 Abs.2 SchwbAwV vor, dass in den Fällen, in denen eine Neufeststellung wegen einer wesentlichen Änderung in den gesundheitlichen Verhältnissen, die für die Feststellung maßgebend sind, nicht zu erwarten ist, der Ausweis unbefristet ausgestellt werden kann. Im Fall des Klägers sind keine Anhaltspunkte für eine atypische Situation ersichtlich, weder kann eine wesentliche Änderung der gesundheitlichen Verhältnisse ausgeschlossen werden noch rechtfertigen das Alter des Klägers oder die bei ihm festgestellte dauernde Erwerbsunfähigkeit von der gesetzlich angeordneten Regel der Befristung des Schwerbehindertenausweises Abstand zu nehmen. Nach der gutachterlichen Stellungnahme von Dr. erfordert die bei dem Kläger vorliegende Gesundheitsstörung cerebrale Anfallbereitschaft (Einzel-GdB von 40) eine Überprüfung im Rahmen einer Nachuntersuchung im September 2010- ausgehend von dem letzten Grand-Mal-Anfall im Jahr 2007. Der im Verfahren S 21 SB 18/08 SG Köln gehörte Sachverständige Dr. Allgemeinmediziner hat in seinem Gutachten vom 5.7.2008 in Bezug auf das Anfallsleiden festgestellt, dass dieses mit einem Einzel-GdB von 40 zu bewerten ist und sich zukünftige Bewertungen nach weiterer Symptomatologie und Behandlungsnotwendigkeit zu richten haben. Der Sachverständige hat damit deutlich gemacht, dass der festgestellte Einzel-GdB von 40 für das Anfallsleiden nicht als unveränderliche, dauerhafte Bewertung anzusehen ist. Angesichts der Ausführungen von Dres. und kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass eine wesentliche Änderung in den gesundheitlichen Verhältnissen des Klägers, die zu einer Änderung der Höhe des GdB führen kann, in Zukunft ausgeschlossen ist. Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht im Hinblick auf die beim Kläger festgestellte Erwerbsfähigkeit auf Dauer. Die Anerkennung von verminderter Erwerbsfähigkeit durch den Rentenversicherungsträger erlaubt keine Rückschlüsse auf das Ausmaß der nach dem Schwerbehindertenrecht anzuerkennende Behinderung bzw. den GdB, wie umgekehrt aus dem GdB nicht auf die Leistungsvoraussetzungen anderer Rechtsgebiete geschlossen werden kann. Während die Frage nach der Erwerbsminderung im Rentenversicherungsrecht dadurch bestimmt ist, inwieweit das bei dem Betroffenen vorhandene körperliche, geistige und seelische Restleistungsvermögen noch eine Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt (bzw. in seinem Beruf) zulässt, stellt das Schwerbehindertenrecht darauf ab, inwieweit aufgrund der gesundheitlichen Funktionsstörungen der Betroffene in seiner Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Der Begriff des GdB hat die Auswirkungen von Funktionsbeeinträchtigungen in allen Lebensbereichen und nicht nur die Einschränkungen im allgemeinen Erwerbsleben zum Inhalt. Aus der Feststellung der dauernden Erwerbsfähigkeit kann daher weder auf einen GdB in bestimmter Höhe noch auf die Dauer einer nach dem Schwerbehindertenrecht anzuerkennenden Behinderung geschlossen werden. Schließlich erfordert auch das Alter des Klägers kein Abweichen von der gesetzlich angeordneten Regel der befristeten Ausstellung des Schwerbehindertenausweises. Das Gericht kann keinen sachlichen Grund erkennen, weshalb es dem im Zeitpunkt der vorgesehenen Nachprüfung 57jährigen Kläger nicht zumutbar sein sollte, sich ggf. einer Untersuchung zur Verfügung zu stellen bzw. im Falle einer Neufeststellung des GdB sich hierüber mit der Beklagten im Rechtsweg auseinander zusetzen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 193,183 SGG.

Rechtsmittelbelehrung:

Dieses Urteil kann mit der Berufung angefochten werden.

Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils beim

Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Zweigertstraße 54, 45130 Essen,

schriftlich oder mündlich zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.

Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist bei dem

Sozialgericht Köln, An den Dominikanern 2, 50668 Köln,

schriftlich oder mündlich zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird.

Die Berufungsschrift muss bis zum Ablauf der Frist bei einem der vorgenannten Gerichte eingegangen sein. Sie soll das angefochtene Urteil bezeichnen, einen bestimmten Antrag enthalten und die zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben.

Gegen das Urteil steht den Beteiligten die Revision zum Bundessozialgericht unter Übergehung der Berufungsinstanz zu, wenn der Gegner schriftlich zustimmt und wenn sie von dem Sozialgericht auf Antrag durch Beschluss zugelassen wird. Der Antrag auf Zulassung der Revision ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils bei dem Sozialgericht Köln schriftlich zu stellen. Die Zustimmung des Gegners ist dem Antrag beizufügen.

Lehnt das Sozialgericht den Antrag auf Zulassung der Revision durch Beschluss ab, so beginnt mit der Zustellung dieser Entscheidung der Lauf der Berufungsfrist von neuem, sofern der Antrag auf Zulassung der Revision in der gesetzlichen Form und Frist gestellt und die Zustimmungserklärung des Gegners beigefügt war.

Die Einlegung der Revision und die Zustimmung des Gegners gelten als Verzicht auf die Berufung, wenn das Sozialgericht die Revision zugelassen hat.

Horstmann Richterin am Sozialgericht
Rechtskraft
Aus
Saved