Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Köln (NRW)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
6
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 6 AS 5/06
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheids vom 28.07.2005 in Gestalt des Bescheids vom 18.11.2005 und unter Aufhebung des Widerspruchsbescheids vom 14.12.2005 verurteilt, den Klägern Leistungen der Grund- sicherung für Arbeitssuchende in Höhe von 677,10 Euro für die Zeit vom 01.05.2005 bis 31.05.2005 und in Höhe von 185,55 Euro für die Zeit vom 01.06.2005 bis 08.06.2005 zu zahlen. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Kläger.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob den Klägern rückwirkend Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem SGB II zu gewähren sind.
Der Kläger zu 1) lebt zusammen mit seiner Ehefrau, der Klägerin zu 2), und den beiden gemeinsamen minderjährigen Kindern, den Kläger zu 3) und 4), in einer 101 m² großen Wohnung, für die er laut Mietvertrag vom 28.12.2004 eine Grundmiete von 505,00 Euro nebst Nebenkostenvorauszahlung in Höhe von 163,70 Euro und Heizkostenvorauszahlung in Höhe von 98,10 Euro pro Monat zu zahlen hat.
Am 12.01.2005 meldete sich der Kläger zu 1) bei der Agentur für Arbeit Bergisch Gladbach arbeitssuchend. Am 31.03.2005 meldete er sich dort persönlich zum 01.05.2005 arbeitslos und füllte ein Antragsformular für die Gewährung von Arbeitslosengeld aus. Mit Bescheid vom 03.06.2005 bewilligte ihm die Agentur für Arbeit Bergisch Gladbach ab dem 01.05.2005 Arbeitslosengeld für die Dauer von 360 Kalendertagen in Höhe von kalendertäglich 29,99 Euro bzw. monatlich 899,70 Euro.
Am 14.06.2005 füllte der Kläger zu 1) bei der Beklagten, die in demselben Gebäude untergebracht war wie die Agentur für Arbeit Bergisch Gladbach, ein Antragsformular für Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II aus. Mit Bescheid vom 28.07.2005 bewilligte die Beklagte, die damals den Namen "KoGe Agentur für Arbeit Bergisch Gladbach" trug, dem Kläger zu 1) und den mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II vom 14.06.2005 bis 30.06.2005 in Höhe von 383,68 Euro und vom 01.07.2005 bis zum 31.12.2005 in Höhe von monatlich 677,10 Euro.
Mit dem hiergegen eingelegten Widerspruch wandte sich der Kläger zu 1) dagegen, dass die Leistungen erst ab 14.06.2005 bewilligt wurden. Er sei nicht darüber informiert worden, dass er auch einen Anspruch auf Arbeitslosengeld II (Alg II) habe. Er habe erst durch einen Bekannten hiervon erfahren. Da er mehrfach und vor allem rechtzeitig vorgesprochen habe, gehe er davon aus, das Arbeitslosengeld II auch ab dem 01.05.2005 bewilligt werden müsse.
Ermittlungen der Beklagten ergaben, dass der Kläger zu 1) bereits am 09.06.2005 um die Aufstockung seines Arbeitslosengeldes durch Alg II-Leistungen nachgesucht hatte. Mit Bescheid vom 18.11.2005 bewilligte die Beklagte dem Kläger zu 1) und den mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen daraufhin Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für die Zeit vom 09.06.2005 bis 31.12.2005, wobei sie den Betrag für die Zeit vom 09.06.2005 bis zum 30.06.2005 auf 491,55 Euro und die ab dem 01.07.2005 zu zahlenden monatlichen Leistungen auf 677,10 Euro festsetzte.
Mit Widerspruchsbescheid vom 14.12.2005 wies die Beklagte den Widerspruch, soweit ihm nicht durch den Bescheid vom 18.11.2005 abgeholfen worden war, als unbegründet zurück. Zur Begründung führte sie aus, Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem SGB II würden gemäß § 37 Abs. 1 SGB II nur auf Antrag erbracht. Gemäß § 37 Abs. 2 SGB II würden die Leistungen nicht für Zeiten vor der Antragstellung erbracht. Nachweislich der vorliegenden Unterlagen sei erstmals am 09.06.2005 bekannt geworden, dass der Kläger zu 1) Leistungen nach dem SGB II begehre, so dass dieser Tag als Tag der Antragstellung anzusehen sei. Soweit der Kläger zu 1) geltend mache, dass die Wirkung des Antrags ab dem Tag der Antragstellung auf Arbeitslosengeld nach dem SGB III gelten müsse, so lägen hierfür keine Anhaltspunkte vor.
Der Kläger hat am 09.01.2006 Klage erhoben. Er ist der Auffassung, der Antrag auf Arbeitslosengeld bei der Agentur für Arbeit Bergisch Gladbach habe auch den Antrag auf Zahlung eines Aufstockungsbetrags nach den Vorschriften des SGB II enthalten, da jemand, der Sozialleistungen beantrage, in Zweifel alle ihm zustehenden Leistungen erhalten wolle.
Der Kläger zu 1) beantragt,
die Beklagte unter Abänderung ihres Bescheids vom 28.07.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14.12.2005 zu verurteilen, ihm Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende in Höhe von 677,10 Euro für die Zeit vom 01.05. bis zum 31.05.2005 und in Höhe von 185,55 Euro für die Zeit vom 01.06.2005 bis zum 08.06.2005 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist der Auffassung, dass für das Arbeitslosengeld nach dem SGB III und für die Grundsicherungsleistung nach dem SGB II jeweils ein gesonderter Antrag erforderlich sei, da beide Leistungen keine Anspruchseinheit darstellten. Darauf werde auch auf dem Merkblatt für Arbeitslosengeld nach dem SGB III, dessen Erhalt und Kenntnisnahme der Kläger bei der Antragstellung auf Arbeitslosengeld zum 01.05.2005 unterschriftlich bestätigt habe, hingewiesen. So befinde sich auf Seite 4 der Hinweis: "Ein weiteres Merkblatt – Grundsicherung für Arbeitssuchende (Arbeitslosengeld II/Sozialgeld) – können Sie bei dem für Sie zuständigen Träger (örtliche Agentur für Arbeit, kommunaler Träger, Arbeitsgemeinschaft) erhalten". Auf Seite 28 sei folgender Hinweis enthalten: "Was ist zu beachten, wenn nur ein sehr geringer Anspruch auf Arbeitslosengeld besteht? Besteht in Ihrem Fall nur ein sehr geringer Anspruch auf Arbeitslosengeld, weil Sie z.B. in Ihrer vorherigen Beschäftigung ein niedriges Arbeitsentgelt erhalten haben, setzen Sie sich bitte unverzüglich mit dem für Sie zuständigen Träger für die Grundsicherung für Arbeitssuchende (örtliche Agentur für Arbeit, kommunaler Träger, Arbeitsgemeinschaft) in Verbindung. Dieser wird prüfen, ob Ihnen ggfs. aufstockende Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (Arbeitslosengeld II/Sozialgeld) zustehen". Auf Seite 70 des Merkblattes werde ausdrücklich auf eine gesonderte Antragstellung für SGB II-Leistungen hingewiesen: "Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (Arbeitslosengeld II/Sozialgeld): Wenn Arbeitslosengeld nicht, vorübergehend nicht oder nicht in ausreichender Höhe gewährt wird, kann ein Anspruch auf Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (Arbeitslosengeld II/Sozialgeld) bestehen. Für Leistungen der Grundsicherung ist eine Antragstellung erforderlich. Leistungen werden grundsätzlich nicht für Zeiten vor der Antragstellung erbracht. Um Nachteile zu vermeiden, stellen Sie den Antrag daher bitte umgehend. Der Antrag ist bei dem für Sie zuständigen Träger (Agentur für Arbeit, kommunaler Träger, Arbeitsgemeinschaft) zu stellen. Zuständig sind die Träger, in deren Bezirk Sie Ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben". Somit habe der Kläger aufgrund des Merkblattes erkennen können, dass zum Bezug von Leistungen nach den SGB II eine gesonderte Antragstellung erforderlich gewesen sei. Soweit er die Ausführungen in dem Merkblatt nicht zur Kenntnis genommen habe, gehe dies zu seinen eigenen Lasten. Eine separate Beratungspflicht durch die Agentur für Arbeit oder die Beklagte bestehe nicht.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Streit- und beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten sowie der darin befindlichen gewechselten Schriftsätze, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig und begründet.
Das Klagebegehren im Sinne von § 123 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist dahingehend auszulegen, dass der Kläger zu 1) die im Bescheid vom 28.07.2005 und 28.11.2005 bewilligten monatlichen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II für sich und die mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Kläger zu 2) bis 4) auch für den Zeitraum vom 01.05.2005 bis zum 08.06.2005 erhalten möchte. Die Höhe der in diesen Bescheiden bewilligten Leistungen als solche ist nicht streitig.
Diesem Klagebegehren entsprechend war das Rubrum dergestalt zu korrigieren, dass die Kläger zu 2) bis 4) als weitere Kläger aufgenommen wurden. Eine an den Grundsätzen des § 99 SGG zu messende Klageänderung in Gestalt einer Beteiligtenerweiterung liegt nicht vor, da das Begehren dahingehend auszulegen ist, dass der Rechtsstreit von Anfang an nicht nur von dem Kläger zu 1), sondern auch von den Klägern zu 2) bis 4), diese nach Maßgabe von § 73 Abs. 2 Satz 2 SGG vertreten durch den Kläger zu 1), geführt wird (sog. subjektive Klagehäufung). Diese Auslegung ist im Hinblick darauf geboten, dass die Ansprüche aus dem SGB II auch bei Mitgliedern einer Bedarfsgemeinschaft Individualansprüche der jeweiligen Mitglieder sind und deshalb notwendig von diesen individuell geltend gemacht werden müssen (vgl. hierzu ausführlich Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 09.05.2006, Az.: L 10 AS 102/06). Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger die Leistungen nur für sich erhalten möchte, sind nicht ersichtlich.
Die als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 1, Abs. 4 SGG zulässige Klage ist begründet. Der Bescheid vom 28.07.2005 in Gestalt des Bescheids vom 18.11.2005 und der Widerspruchsbescheid vom 14.12.2005 sind rechtswidrig und beschweren die Kläger im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG. Die Beklagte hat die in den angefochtenen Bescheiden bewilligten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zu Unrecht erst ab dem 09.06.2005 bewilligt. Die Kläger haben vielmehr Anspruch auf Zahlung der bewilligten Leistungen bereits ab dem 01.05.2005.
Die materiellen Voraussetzungen für einen Anspruch auf Leistung zur Sicherung des Lebensunterhalts gemäß §§ 7, 9 Abs. 1, 19 Satz 1, 20, 22 und 28 SGB II lagen unstreitig bereits ab dem 01.05.2005 vor. Die Kläger waren auch im Zeitraum vom 01.05.2005 bis zum 08.06.2005 hilfebedürftig, da sie – vom Arbeitslosengeld des Klägers zu 1) abgesehen – weder über anrechenbares Einkommen noch über Vermögen verfügten. Die Verhältnisse lagen nicht anders als ab dem 09.06.2005, ab dem die Beklagte unter Anrechnung des vom Kläger zu 1) bezogenen Arbeitslosengeldes Leistungen in Höhe von monatlich 677,10 Euro bewilligt hat. Diese Leistungen sind dementsprechend ab dem 01.05.2005 zu gewähren, und zwar für Mai 2005 in voller Höhe und für die Zeit vom 01.06.2005 bis zum 08.06.2005 anteilig in Höhe der Differenz zwischen dem monatlich zu bewilligenden Betrag von 677,10 Euro und den für den Monat Juni 2005 bereits gezahlten 491,55 Euro.
Dem Anspruch der Kläger steht § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB II nicht entgegen. Nach dieser Regelung werden Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende nicht für Zeiten der Antragstellung erbracht. Zwar hat der in Vertretung für die Kläger zu 2) bis 4) handelnde Kläger zu 1) (vgl. § 38 Satz 2 SGB II) erst am 14.06.2006 ein förmliches Antragsformular für Leistungen nach dem SGB II ausgefüllt und am 09.06.2005 erstmals explizit um die Gewährung von Arbeitslosengeld II – Leistungen nachgesucht. Auf diese Anträge ist jedoch nicht abzustellen. Die Kläger haben vielmehr dadurch rechtzeitig zum 01.05.2005 Leistungen nach dem SGB II im Sinne von § 37 Abs. 1 SGB II beantragt, dass der als Vertreter für die Kläger zu 2) bis 4) handelnde Kläger zu 1) zu diesem Zeitpunkt einen Antrag auf Arbeitslosengeld gestellt hat. Dieser Antrag umfasste auch den Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II.
Der gemäß § 37 Abs. 1 SGB II erforderliche Antrag ist entsprechend dem Grundsatz der Nichtförmlichkeit des Verwaltungsverfahrens (vgl. § 9 SGB X) an keine Form gebunden. Ob eine Erklärung eines Bürgers als Antrag auf eine Sozialleistung im Allgemeinen oder eine bestimmte Leistung zu verstehen ist, ist durch Auslegung gemäß §§ 133, 157 BGB analog zu ermitteln. Dabei ist der Grundsatz der laiengünstigen Auslegung bzw. der Meistbegünstigung zu beachten, wonach der Bürger im Zweifel das beantragen will, was ihm nach Maßgabe der Sozialgesetze zusteht. Ausgehend von diesen Grundsätzen hat das Bundessozialgericht zum früheren Recht entscheiden, dass der Antrag auf Arbeitslosengeld zugleich den Antrag auf Arbeitslosenhilfe umfasst und umgekehrt (vgl. BSGE 44, 164, 167; 49, 114, 116). Daran anknüpfend wird in der Literatur die Auffassung vertreten, dass ein bei der Agentur für Arbeit gestellter Antrag auf Arbeitslosengeld auch den Antrag auf Arbeitslosengeld II umfasst, sofern der Antragsteller zu erkennen gibt, dass er Leistungen wegen Erwerbslosigkeit begehrt, und den Antrag nicht auf eine bestimmte Leistung beschränkt (vgl. Link in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2005, § 37 Rn. 21). Dieser Auffassung schließt sich die Kammer jedenfalls für die hier vorliegenden Fallkonstellation, in der der betreffende Antragsteller erstmals nach Inkrafttreten des SGB II Leistungen für den Fall der Erwerbslosigkeit begehrt und die Anträge auf Arbeitslosengeld nach dem SGB III einerseits und auf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach den SGB II andererseits in dem selben Gebäude entgegen genommen und bearbeitet werden, an. In diesem Fall ergibt die aus dem Empfängerhorizont, d.h. aus der Sicht eines objektiven Dritten in der Rolle des Erklärungsempfängers vorzunehmende Auslegung der Erklärungen des Antragstellers, dass dieser sämtliche Leistungen, die ihm von Gesetzes wegen im Falle der Erwerbslosigkeit bei fortbestehender Arbeitssuche zustehen können, d.h. sowohl Arbeitslosengeld als auch Arbeitslosengeld II, beantragt.
Der Kläger zu 1) hat zwar am 31.03.2005, als er sich persönlich bei der Agentur für Arbeit Bergisch Gladbach arbeitslos meldete und einen förmlichen Antrag auf Arbeitslosengeld nach dem SGB III ausfüllte, explizit nur diese Sozialleistung förmlich beantragt. Die Erklärungen des Klägers zu 1) können jedoch nicht auf das Ausfüllen und die Abgabe des förmlichen Antragsformulars auf Arbeitslosengeld reduziert werden. Es müssen vielmehr die Gesamtumstände der Antragstellung berücksichtigt werden. Insoweit stellt sich der Sachverhalt aus Sicht des Gerichts so dar, dass der Kläger zu 1), der wusste, dass er zum 01.05.2005 seine Arbeitsstelle verlieren würde, am 31.03.2005 die Agentur für Arbeit Bergisch Gladbach als die für den Fall der Arbeitslosigkeit primär zuständige Stelle aufsuchte, um die ihm zustehende Leistung im Falle der Erwerbslosigkeit zu beantragen. Entsprechend dem Vortrag des Klägers zu 1) im Widerspruchsverfahren ist davon auszugehen, dass er als rechtsunkundiger Laie nicht wusste, dass für den Fall der Erwerbslosigkeit zwei verschiedene Leistungen in Betracht kommen, nämlich Arbeitslosengeld nach dem SGB III und Arbeitslosengeld II nach dem SGB II, die kumulativ gewährt werden können, sich jedoch, was die Voraussetzungen ihrer Gewährung und die Zuständigkeit der Leistungsträger betrifft, unterscheiden. Vor diesem Hintergrund konnte das zunächst vor einem Sachbearbeiter der Agentur für Arbeit Bergisch Gladbach zum Ausdruck gebrachte Begehren nicht als inhaltlich auf Gewährung von Arbeitslosengeld nach dem SGB III beschränkter Antrag verstanden werden. Einem solchen Verständnis stand nicht nur entgegen, dass die Leistungen nach dem SGB II auch als "Arbeitslosengeld", nämlich Arbeitslosengeld II, bezeichnet werden. Dem betreffenden Sachbearbeiter hätte sich außerdem aufdrängen müssen, dass dem Kläger zu 1) nicht bekannt war, wie hoch sein Anspruch auf Arbeitslosengeld nach dem SGB III ausfiel und er deshalb im Zweifel alle Leistungen einschließlich etwaiger ergänzender Leistungen nach dem SGB II erhalten wollte.
Eine andere Interpretation ist nicht deshalb geboten, weil die gemäß § 44 b SGB II gebildete Beklagte für die Gewährung der Leistungen nach dem SGB II zuständig war und ist. Unabhängig von der Aufgabenwahrnehmung durch die Beklagte gemäß § 44 b Abs. 3 SGB II blieb und bleibt die Bundesagentur für Arbeit, hier vertreten durch die Agentur für Arbeit Bergisch Gladbach, gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II Träger der Leistungen nach dem SGB II. Die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II lag deshalb nicht gänzlich außerhalb des Verantwortungsbereichs der Agentur für Arbeit Bergisch Gladbach, für die der den Antrag des Klägers zu 1) aufnehmende Sachbearbeiter gehandelt hat. Zudem zeigt die Regelung des § 16 Abs. 2 Satz 1 SGB I, wonach Anträge, die bei einem unzuständigen Leistungsträger gestellt werden, unverzüglich an den zuständigen Leistungsträger weiterzuleiten sind, dass die Unzuständigkeit des konkreten Erklärungsadressaten die Interpretation, dass eine bestimmte Sozialleistung gewollt ist, grundsätzlich nicht ausschließt.
Ein anderes Ergebnis folgt auch nicht aus dem Umstand, dass die Antragsaufnahmestellen für SGB III-Leistungen einerseits und SGB II-Leistungen andererseits nach den Angaben der Beklagten in der mündlichen Verhandlung für die betreffenden Antragsteller erkennbar räumlich getrennt sind. Wie bereits ausgeführt, war aus Sicht des Klägers zu 1) die Agentur für Arbeit im Hinblick auf die zukünftige Arbeitslosigkeit die primär zuständige Stelle, die er verständlicherweise aufsuchte, um sein Begehren vorzubringen, zumal das Arbeitslosengeld nach dem SGB III eine gegenüber den Leistungen nach dem SGB II vorrangige Leistung ist. Da die Beklagte in demselben Gebäude wie die Agentur für Arbeit Bergisch Gladbach untergebracht ist, konnte der Kläger zu 1) aus Laiensicht darauf vertrauen, dass sein Antrag von der primär zuständigen Agentur für Arbeit an die Beklagte weitergeleitet würde, falls dies erforderlich sein sollte.
Schließlich ändern auch die Ausführungen im Merkblatt für Arbeitslosengeld nach dem SGB III nichts daran, dass das Begehren des Klägers zu 1) die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II umfasste. Das Begehren des Klägers zu 1) kann nicht dadurch auf die Beantragung von Arbeitslosengeld nach dem SGB III beschränkt werden, dass man unterstellt, dem Kläger zu 1) sei der Inhalt des ausgehändigten Merkblattes bekannt gewesen. Zum einen ist zu berücksichtigen, dass die Aushändigung des Merkblattes erst erfolgt ist, als der Sachbearbeiter der Agentur für Arbeit dem Kläger zu 1) lediglich ein Antragsformular für Arbeitslosengeld nach dem SGB III ausgehändigt hatte und entsprechend den vorstehenden Ausführungen das Begehren des Klägers zu 1) nicht in dem nach seinem objektiven Erklärungswert gebotenen Umfang erfasst hatte. Zum anderen kommt in den von der Beklagten angeführten Ausführungen lediglich die von ihr und offensichtlich auch von der Bundesagentur für Arbeit vertretene streng formale Betrachtungsweise zum Ausdruck, wonach für die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II eine (formell) gesonderte Antragstellung erforderlich ist. Diese Auffassung wird jedoch der Interessenlage des Bürgers bei der Beantragung von Leistungen für den Fall der Erwerbslosigkeit nicht gerecht.
Dass der Kläger zu 1) danach durch sein am 31.03.2005 der Agentur für Arbeit Bergisch Gladbach gegenüber zum Ausdruck gebrachtes Begehren bei dieser und damit nicht bei der gemäß § 44 b SGB II zuständigen Beklagten die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II zum 01.05.2005 beantragt hat, ist, auch was den Zeitpunkt der Antragstellung anbetrifft, gemäß § 16 Abs. 2 Satz 2 SGB I unschädlich. Danach gilt der Antrag als zu dem Zeitpunkt gestellt, in dem er bei der an sich unzuständigen Stelle, d.h. hier der Agentur für Arbeit Bergisch Gladbach, eingegangen ist.
Da die Kläger deshalb rechtzeitig zum 01.05.2005 den gemäß § 37 Abs. 1 SGB II erforderlichen Antrag gestellt haben, kommt es nicht darauf an, ob (auch) die Voraussetzungen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs erfüllt wären (vgl. dazu Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 12.04.2006, Az.: L 10 B 134/06 AS ER). Ergänzend ist insoweit darauf hinzuweisen, dass die Agentur für Arbeit Bergisch Gladbach, wenn die von der Beklagten vertretene streng formelle Betrachtungsweise hinsichtlich der Antragstellung zutreffend wäre, ihrer aus § 16 Abs. 3 SGB I folgenden Pflicht, darauf hinzuwirken, dass unverzüglich klare und sachdienliche Anträge gestellt und unvollständige Angaben ergänzt werden, kaum ausreichend nachgekommen seien dürfte. Die Ausführungen auf Seite 70 des Merkblattes für Arbeitslosengeld nach dem SGB III erfüllen die Anforderungen, die an eine nach § 16 Abs. 3 SGB I gebotene konkrete und individuelle Beratung zu stellen sind, nach Auffassung der Kammer nicht. Insoweit ist auch zu berücksichtigen, dass in dem Hinweis auf Seite 28 des Merkblattes nicht eindeutig und unmissverständlich im Hinblick auf die Regelung des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB II zu einer vorsorglichen förmlichen Antragstellung geraten wird, sondern die Empfehlung, sich unverzüglich mit dem für die Grundsicherung für Arbeitssuchende zuständigen Träger in Verbindung zu setzen, nur für den Fall ausgesprochen wird, dass ein sehr geringer Anspruch auf Arbeitslosengeld besteht. Dies kann ein Leistungsempfänger, wie der vorliegende Fall zeigt, jedoch regelmäßig erst feststellen, wenn er den Bescheid über die Bewilligung des Arbeitslosengeldes erhalten hat. Selbst wenn der Betreffende dann unverzüglich einen förmlichen Antrag auf Leistungen nach dem SGB II stellen würde, verlöre er nach der von der Beklagten vertretenen Rechtsauffassung für den Zeitraum von der förmlichen Beantragung des Arbeitslosengeldes bis zur förmlichen Beantragung der Leistungen nach dem SGB II seinen Anspruch nach § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB II.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob den Klägern rückwirkend Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem SGB II zu gewähren sind.
Der Kläger zu 1) lebt zusammen mit seiner Ehefrau, der Klägerin zu 2), und den beiden gemeinsamen minderjährigen Kindern, den Kläger zu 3) und 4), in einer 101 m² großen Wohnung, für die er laut Mietvertrag vom 28.12.2004 eine Grundmiete von 505,00 Euro nebst Nebenkostenvorauszahlung in Höhe von 163,70 Euro und Heizkostenvorauszahlung in Höhe von 98,10 Euro pro Monat zu zahlen hat.
Am 12.01.2005 meldete sich der Kläger zu 1) bei der Agentur für Arbeit Bergisch Gladbach arbeitssuchend. Am 31.03.2005 meldete er sich dort persönlich zum 01.05.2005 arbeitslos und füllte ein Antragsformular für die Gewährung von Arbeitslosengeld aus. Mit Bescheid vom 03.06.2005 bewilligte ihm die Agentur für Arbeit Bergisch Gladbach ab dem 01.05.2005 Arbeitslosengeld für die Dauer von 360 Kalendertagen in Höhe von kalendertäglich 29,99 Euro bzw. monatlich 899,70 Euro.
Am 14.06.2005 füllte der Kläger zu 1) bei der Beklagten, die in demselben Gebäude untergebracht war wie die Agentur für Arbeit Bergisch Gladbach, ein Antragsformular für Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II aus. Mit Bescheid vom 28.07.2005 bewilligte die Beklagte, die damals den Namen "KoGe Agentur für Arbeit Bergisch Gladbach" trug, dem Kläger zu 1) und den mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II vom 14.06.2005 bis 30.06.2005 in Höhe von 383,68 Euro und vom 01.07.2005 bis zum 31.12.2005 in Höhe von monatlich 677,10 Euro.
Mit dem hiergegen eingelegten Widerspruch wandte sich der Kläger zu 1) dagegen, dass die Leistungen erst ab 14.06.2005 bewilligt wurden. Er sei nicht darüber informiert worden, dass er auch einen Anspruch auf Arbeitslosengeld II (Alg II) habe. Er habe erst durch einen Bekannten hiervon erfahren. Da er mehrfach und vor allem rechtzeitig vorgesprochen habe, gehe er davon aus, das Arbeitslosengeld II auch ab dem 01.05.2005 bewilligt werden müsse.
Ermittlungen der Beklagten ergaben, dass der Kläger zu 1) bereits am 09.06.2005 um die Aufstockung seines Arbeitslosengeldes durch Alg II-Leistungen nachgesucht hatte. Mit Bescheid vom 18.11.2005 bewilligte die Beklagte dem Kläger zu 1) und den mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen daraufhin Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für die Zeit vom 09.06.2005 bis 31.12.2005, wobei sie den Betrag für die Zeit vom 09.06.2005 bis zum 30.06.2005 auf 491,55 Euro und die ab dem 01.07.2005 zu zahlenden monatlichen Leistungen auf 677,10 Euro festsetzte.
Mit Widerspruchsbescheid vom 14.12.2005 wies die Beklagte den Widerspruch, soweit ihm nicht durch den Bescheid vom 18.11.2005 abgeholfen worden war, als unbegründet zurück. Zur Begründung führte sie aus, Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem SGB II würden gemäß § 37 Abs. 1 SGB II nur auf Antrag erbracht. Gemäß § 37 Abs. 2 SGB II würden die Leistungen nicht für Zeiten vor der Antragstellung erbracht. Nachweislich der vorliegenden Unterlagen sei erstmals am 09.06.2005 bekannt geworden, dass der Kläger zu 1) Leistungen nach dem SGB II begehre, so dass dieser Tag als Tag der Antragstellung anzusehen sei. Soweit der Kläger zu 1) geltend mache, dass die Wirkung des Antrags ab dem Tag der Antragstellung auf Arbeitslosengeld nach dem SGB III gelten müsse, so lägen hierfür keine Anhaltspunkte vor.
Der Kläger hat am 09.01.2006 Klage erhoben. Er ist der Auffassung, der Antrag auf Arbeitslosengeld bei der Agentur für Arbeit Bergisch Gladbach habe auch den Antrag auf Zahlung eines Aufstockungsbetrags nach den Vorschriften des SGB II enthalten, da jemand, der Sozialleistungen beantrage, in Zweifel alle ihm zustehenden Leistungen erhalten wolle.
Der Kläger zu 1) beantragt,
die Beklagte unter Abänderung ihres Bescheids vom 28.07.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14.12.2005 zu verurteilen, ihm Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende in Höhe von 677,10 Euro für die Zeit vom 01.05. bis zum 31.05.2005 und in Höhe von 185,55 Euro für die Zeit vom 01.06.2005 bis zum 08.06.2005 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist der Auffassung, dass für das Arbeitslosengeld nach dem SGB III und für die Grundsicherungsleistung nach dem SGB II jeweils ein gesonderter Antrag erforderlich sei, da beide Leistungen keine Anspruchseinheit darstellten. Darauf werde auch auf dem Merkblatt für Arbeitslosengeld nach dem SGB III, dessen Erhalt und Kenntnisnahme der Kläger bei der Antragstellung auf Arbeitslosengeld zum 01.05.2005 unterschriftlich bestätigt habe, hingewiesen. So befinde sich auf Seite 4 der Hinweis: "Ein weiteres Merkblatt – Grundsicherung für Arbeitssuchende (Arbeitslosengeld II/Sozialgeld) – können Sie bei dem für Sie zuständigen Träger (örtliche Agentur für Arbeit, kommunaler Träger, Arbeitsgemeinschaft) erhalten". Auf Seite 28 sei folgender Hinweis enthalten: "Was ist zu beachten, wenn nur ein sehr geringer Anspruch auf Arbeitslosengeld besteht? Besteht in Ihrem Fall nur ein sehr geringer Anspruch auf Arbeitslosengeld, weil Sie z.B. in Ihrer vorherigen Beschäftigung ein niedriges Arbeitsentgelt erhalten haben, setzen Sie sich bitte unverzüglich mit dem für Sie zuständigen Träger für die Grundsicherung für Arbeitssuchende (örtliche Agentur für Arbeit, kommunaler Träger, Arbeitsgemeinschaft) in Verbindung. Dieser wird prüfen, ob Ihnen ggfs. aufstockende Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (Arbeitslosengeld II/Sozialgeld) zustehen". Auf Seite 70 des Merkblattes werde ausdrücklich auf eine gesonderte Antragstellung für SGB II-Leistungen hingewiesen: "Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (Arbeitslosengeld II/Sozialgeld): Wenn Arbeitslosengeld nicht, vorübergehend nicht oder nicht in ausreichender Höhe gewährt wird, kann ein Anspruch auf Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (Arbeitslosengeld II/Sozialgeld) bestehen. Für Leistungen der Grundsicherung ist eine Antragstellung erforderlich. Leistungen werden grundsätzlich nicht für Zeiten vor der Antragstellung erbracht. Um Nachteile zu vermeiden, stellen Sie den Antrag daher bitte umgehend. Der Antrag ist bei dem für Sie zuständigen Träger (Agentur für Arbeit, kommunaler Träger, Arbeitsgemeinschaft) zu stellen. Zuständig sind die Träger, in deren Bezirk Sie Ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben". Somit habe der Kläger aufgrund des Merkblattes erkennen können, dass zum Bezug von Leistungen nach den SGB II eine gesonderte Antragstellung erforderlich gewesen sei. Soweit er die Ausführungen in dem Merkblatt nicht zur Kenntnis genommen habe, gehe dies zu seinen eigenen Lasten. Eine separate Beratungspflicht durch die Agentur für Arbeit oder die Beklagte bestehe nicht.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Streit- und beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten sowie der darin befindlichen gewechselten Schriftsätze, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig und begründet.
Das Klagebegehren im Sinne von § 123 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist dahingehend auszulegen, dass der Kläger zu 1) die im Bescheid vom 28.07.2005 und 28.11.2005 bewilligten monatlichen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II für sich und die mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Kläger zu 2) bis 4) auch für den Zeitraum vom 01.05.2005 bis zum 08.06.2005 erhalten möchte. Die Höhe der in diesen Bescheiden bewilligten Leistungen als solche ist nicht streitig.
Diesem Klagebegehren entsprechend war das Rubrum dergestalt zu korrigieren, dass die Kläger zu 2) bis 4) als weitere Kläger aufgenommen wurden. Eine an den Grundsätzen des § 99 SGG zu messende Klageänderung in Gestalt einer Beteiligtenerweiterung liegt nicht vor, da das Begehren dahingehend auszulegen ist, dass der Rechtsstreit von Anfang an nicht nur von dem Kläger zu 1), sondern auch von den Klägern zu 2) bis 4), diese nach Maßgabe von § 73 Abs. 2 Satz 2 SGG vertreten durch den Kläger zu 1), geführt wird (sog. subjektive Klagehäufung). Diese Auslegung ist im Hinblick darauf geboten, dass die Ansprüche aus dem SGB II auch bei Mitgliedern einer Bedarfsgemeinschaft Individualansprüche der jeweiligen Mitglieder sind und deshalb notwendig von diesen individuell geltend gemacht werden müssen (vgl. hierzu ausführlich Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 09.05.2006, Az.: L 10 AS 102/06). Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger die Leistungen nur für sich erhalten möchte, sind nicht ersichtlich.
Die als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 1, Abs. 4 SGG zulässige Klage ist begründet. Der Bescheid vom 28.07.2005 in Gestalt des Bescheids vom 18.11.2005 und der Widerspruchsbescheid vom 14.12.2005 sind rechtswidrig und beschweren die Kläger im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG. Die Beklagte hat die in den angefochtenen Bescheiden bewilligten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zu Unrecht erst ab dem 09.06.2005 bewilligt. Die Kläger haben vielmehr Anspruch auf Zahlung der bewilligten Leistungen bereits ab dem 01.05.2005.
Die materiellen Voraussetzungen für einen Anspruch auf Leistung zur Sicherung des Lebensunterhalts gemäß §§ 7, 9 Abs. 1, 19 Satz 1, 20, 22 und 28 SGB II lagen unstreitig bereits ab dem 01.05.2005 vor. Die Kläger waren auch im Zeitraum vom 01.05.2005 bis zum 08.06.2005 hilfebedürftig, da sie – vom Arbeitslosengeld des Klägers zu 1) abgesehen – weder über anrechenbares Einkommen noch über Vermögen verfügten. Die Verhältnisse lagen nicht anders als ab dem 09.06.2005, ab dem die Beklagte unter Anrechnung des vom Kläger zu 1) bezogenen Arbeitslosengeldes Leistungen in Höhe von monatlich 677,10 Euro bewilligt hat. Diese Leistungen sind dementsprechend ab dem 01.05.2005 zu gewähren, und zwar für Mai 2005 in voller Höhe und für die Zeit vom 01.06.2005 bis zum 08.06.2005 anteilig in Höhe der Differenz zwischen dem monatlich zu bewilligenden Betrag von 677,10 Euro und den für den Monat Juni 2005 bereits gezahlten 491,55 Euro.
Dem Anspruch der Kläger steht § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB II nicht entgegen. Nach dieser Regelung werden Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende nicht für Zeiten der Antragstellung erbracht. Zwar hat der in Vertretung für die Kläger zu 2) bis 4) handelnde Kläger zu 1) (vgl. § 38 Satz 2 SGB II) erst am 14.06.2006 ein förmliches Antragsformular für Leistungen nach dem SGB II ausgefüllt und am 09.06.2005 erstmals explizit um die Gewährung von Arbeitslosengeld II – Leistungen nachgesucht. Auf diese Anträge ist jedoch nicht abzustellen. Die Kläger haben vielmehr dadurch rechtzeitig zum 01.05.2005 Leistungen nach dem SGB II im Sinne von § 37 Abs. 1 SGB II beantragt, dass der als Vertreter für die Kläger zu 2) bis 4) handelnde Kläger zu 1) zu diesem Zeitpunkt einen Antrag auf Arbeitslosengeld gestellt hat. Dieser Antrag umfasste auch den Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II.
Der gemäß § 37 Abs. 1 SGB II erforderliche Antrag ist entsprechend dem Grundsatz der Nichtförmlichkeit des Verwaltungsverfahrens (vgl. § 9 SGB X) an keine Form gebunden. Ob eine Erklärung eines Bürgers als Antrag auf eine Sozialleistung im Allgemeinen oder eine bestimmte Leistung zu verstehen ist, ist durch Auslegung gemäß §§ 133, 157 BGB analog zu ermitteln. Dabei ist der Grundsatz der laiengünstigen Auslegung bzw. der Meistbegünstigung zu beachten, wonach der Bürger im Zweifel das beantragen will, was ihm nach Maßgabe der Sozialgesetze zusteht. Ausgehend von diesen Grundsätzen hat das Bundessozialgericht zum früheren Recht entscheiden, dass der Antrag auf Arbeitslosengeld zugleich den Antrag auf Arbeitslosenhilfe umfasst und umgekehrt (vgl. BSGE 44, 164, 167; 49, 114, 116). Daran anknüpfend wird in der Literatur die Auffassung vertreten, dass ein bei der Agentur für Arbeit gestellter Antrag auf Arbeitslosengeld auch den Antrag auf Arbeitslosengeld II umfasst, sofern der Antragsteller zu erkennen gibt, dass er Leistungen wegen Erwerbslosigkeit begehrt, und den Antrag nicht auf eine bestimmte Leistung beschränkt (vgl. Link in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2005, § 37 Rn. 21). Dieser Auffassung schließt sich die Kammer jedenfalls für die hier vorliegenden Fallkonstellation, in der der betreffende Antragsteller erstmals nach Inkrafttreten des SGB II Leistungen für den Fall der Erwerbslosigkeit begehrt und die Anträge auf Arbeitslosengeld nach dem SGB III einerseits und auf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach den SGB II andererseits in dem selben Gebäude entgegen genommen und bearbeitet werden, an. In diesem Fall ergibt die aus dem Empfängerhorizont, d.h. aus der Sicht eines objektiven Dritten in der Rolle des Erklärungsempfängers vorzunehmende Auslegung der Erklärungen des Antragstellers, dass dieser sämtliche Leistungen, die ihm von Gesetzes wegen im Falle der Erwerbslosigkeit bei fortbestehender Arbeitssuche zustehen können, d.h. sowohl Arbeitslosengeld als auch Arbeitslosengeld II, beantragt.
Der Kläger zu 1) hat zwar am 31.03.2005, als er sich persönlich bei der Agentur für Arbeit Bergisch Gladbach arbeitslos meldete und einen förmlichen Antrag auf Arbeitslosengeld nach dem SGB III ausfüllte, explizit nur diese Sozialleistung förmlich beantragt. Die Erklärungen des Klägers zu 1) können jedoch nicht auf das Ausfüllen und die Abgabe des förmlichen Antragsformulars auf Arbeitslosengeld reduziert werden. Es müssen vielmehr die Gesamtumstände der Antragstellung berücksichtigt werden. Insoweit stellt sich der Sachverhalt aus Sicht des Gerichts so dar, dass der Kläger zu 1), der wusste, dass er zum 01.05.2005 seine Arbeitsstelle verlieren würde, am 31.03.2005 die Agentur für Arbeit Bergisch Gladbach als die für den Fall der Arbeitslosigkeit primär zuständige Stelle aufsuchte, um die ihm zustehende Leistung im Falle der Erwerbslosigkeit zu beantragen. Entsprechend dem Vortrag des Klägers zu 1) im Widerspruchsverfahren ist davon auszugehen, dass er als rechtsunkundiger Laie nicht wusste, dass für den Fall der Erwerbslosigkeit zwei verschiedene Leistungen in Betracht kommen, nämlich Arbeitslosengeld nach dem SGB III und Arbeitslosengeld II nach dem SGB II, die kumulativ gewährt werden können, sich jedoch, was die Voraussetzungen ihrer Gewährung und die Zuständigkeit der Leistungsträger betrifft, unterscheiden. Vor diesem Hintergrund konnte das zunächst vor einem Sachbearbeiter der Agentur für Arbeit Bergisch Gladbach zum Ausdruck gebrachte Begehren nicht als inhaltlich auf Gewährung von Arbeitslosengeld nach dem SGB III beschränkter Antrag verstanden werden. Einem solchen Verständnis stand nicht nur entgegen, dass die Leistungen nach dem SGB II auch als "Arbeitslosengeld", nämlich Arbeitslosengeld II, bezeichnet werden. Dem betreffenden Sachbearbeiter hätte sich außerdem aufdrängen müssen, dass dem Kläger zu 1) nicht bekannt war, wie hoch sein Anspruch auf Arbeitslosengeld nach dem SGB III ausfiel und er deshalb im Zweifel alle Leistungen einschließlich etwaiger ergänzender Leistungen nach dem SGB II erhalten wollte.
Eine andere Interpretation ist nicht deshalb geboten, weil die gemäß § 44 b SGB II gebildete Beklagte für die Gewährung der Leistungen nach dem SGB II zuständig war und ist. Unabhängig von der Aufgabenwahrnehmung durch die Beklagte gemäß § 44 b Abs. 3 SGB II blieb und bleibt die Bundesagentur für Arbeit, hier vertreten durch die Agentur für Arbeit Bergisch Gladbach, gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II Träger der Leistungen nach dem SGB II. Die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II lag deshalb nicht gänzlich außerhalb des Verantwortungsbereichs der Agentur für Arbeit Bergisch Gladbach, für die der den Antrag des Klägers zu 1) aufnehmende Sachbearbeiter gehandelt hat. Zudem zeigt die Regelung des § 16 Abs. 2 Satz 1 SGB I, wonach Anträge, die bei einem unzuständigen Leistungsträger gestellt werden, unverzüglich an den zuständigen Leistungsträger weiterzuleiten sind, dass die Unzuständigkeit des konkreten Erklärungsadressaten die Interpretation, dass eine bestimmte Sozialleistung gewollt ist, grundsätzlich nicht ausschließt.
Ein anderes Ergebnis folgt auch nicht aus dem Umstand, dass die Antragsaufnahmestellen für SGB III-Leistungen einerseits und SGB II-Leistungen andererseits nach den Angaben der Beklagten in der mündlichen Verhandlung für die betreffenden Antragsteller erkennbar räumlich getrennt sind. Wie bereits ausgeführt, war aus Sicht des Klägers zu 1) die Agentur für Arbeit im Hinblick auf die zukünftige Arbeitslosigkeit die primär zuständige Stelle, die er verständlicherweise aufsuchte, um sein Begehren vorzubringen, zumal das Arbeitslosengeld nach dem SGB III eine gegenüber den Leistungen nach dem SGB II vorrangige Leistung ist. Da die Beklagte in demselben Gebäude wie die Agentur für Arbeit Bergisch Gladbach untergebracht ist, konnte der Kläger zu 1) aus Laiensicht darauf vertrauen, dass sein Antrag von der primär zuständigen Agentur für Arbeit an die Beklagte weitergeleitet würde, falls dies erforderlich sein sollte.
Schließlich ändern auch die Ausführungen im Merkblatt für Arbeitslosengeld nach dem SGB III nichts daran, dass das Begehren des Klägers zu 1) die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II umfasste. Das Begehren des Klägers zu 1) kann nicht dadurch auf die Beantragung von Arbeitslosengeld nach dem SGB III beschränkt werden, dass man unterstellt, dem Kläger zu 1) sei der Inhalt des ausgehändigten Merkblattes bekannt gewesen. Zum einen ist zu berücksichtigen, dass die Aushändigung des Merkblattes erst erfolgt ist, als der Sachbearbeiter der Agentur für Arbeit dem Kläger zu 1) lediglich ein Antragsformular für Arbeitslosengeld nach dem SGB III ausgehändigt hatte und entsprechend den vorstehenden Ausführungen das Begehren des Klägers zu 1) nicht in dem nach seinem objektiven Erklärungswert gebotenen Umfang erfasst hatte. Zum anderen kommt in den von der Beklagten angeführten Ausführungen lediglich die von ihr und offensichtlich auch von der Bundesagentur für Arbeit vertretene streng formale Betrachtungsweise zum Ausdruck, wonach für die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II eine (formell) gesonderte Antragstellung erforderlich ist. Diese Auffassung wird jedoch der Interessenlage des Bürgers bei der Beantragung von Leistungen für den Fall der Erwerbslosigkeit nicht gerecht.
Dass der Kläger zu 1) danach durch sein am 31.03.2005 der Agentur für Arbeit Bergisch Gladbach gegenüber zum Ausdruck gebrachtes Begehren bei dieser und damit nicht bei der gemäß § 44 b SGB II zuständigen Beklagten die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II zum 01.05.2005 beantragt hat, ist, auch was den Zeitpunkt der Antragstellung anbetrifft, gemäß § 16 Abs. 2 Satz 2 SGB I unschädlich. Danach gilt der Antrag als zu dem Zeitpunkt gestellt, in dem er bei der an sich unzuständigen Stelle, d.h. hier der Agentur für Arbeit Bergisch Gladbach, eingegangen ist.
Da die Kläger deshalb rechtzeitig zum 01.05.2005 den gemäß § 37 Abs. 1 SGB II erforderlichen Antrag gestellt haben, kommt es nicht darauf an, ob (auch) die Voraussetzungen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs erfüllt wären (vgl. dazu Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 12.04.2006, Az.: L 10 B 134/06 AS ER). Ergänzend ist insoweit darauf hinzuweisen, dass die Agentur für Arbeit Bergisch Gladbach, wenn die von der Beklagten vertretene streng formelle Betrachtungsweise hinsichtlich der Antragstellung zutreffend wäre, ihrer aus § 16 Abs. 3 SGB I folgenden Pflicht, darauf hinzuwirken, dass unverzüglich klare und sachdienliche Anträge gestellt und unvollständige Angaben ergänzt werden, kaum ausreichend nachgekommen seien dürfte. Die Ausführungen auf Seite 70 des Merkblattes für Arbeitslosengeld nach dem SGB III erfüllen die Anforderungen, die an eine nach § 16 Abs. 3 SGB I gebotene konkrete und individuelle Beratung zu stellen sind, nach Auffassung der Kammer nicht. Insoweit ist auch zu berücksichtigen, dass in dem Hinweis auf Seite 28 des Merkblattes nicht eindeutig und unmissverständlich im Hinblick auf die Regelung des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB II zu einer vorsorglichen förmlichen Antragstellung geraten wird, sondern die Empfehlung, sich unverzüglich mit dem für die Grundsicherung für Arbeitssuchende zuständigen Träger in Verbindung zu setzen, nur für den Fall ausgesprochen wird, dass ein sehr geringer Anspruch auf Arbeitslosengeld besteht. Dies kann ein Leistungsempfänger, wie der vorliegende Fall zeigt, jedoch regelmäßig erst feststellen, wenn er den Bescheid über die Bewilligung des Arbeitslosengeldes erhalten hat. Selbst wenn der Betreffende dann unverzüglich einen förmlichen Antrag auf Leistungen nach dem SGB II stellen würde, verlöre er nach der von der Beklagten vertretenen Rechtsauffassung für den Zeitraum von der förmlichen Beantragung des Arbeitslosengeldes bis zur förmlichen Beantragung der Leistungen nach dem SGB II seinen Anspruch nach § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB II.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG.
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