S 7 R 1921/11 ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Köln (NRW)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
7
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 7 R 1921/11 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 8 R 197/12 B ER
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin vom 10.12.2011 gegen den Beitragsbescheid der Antragsgegnerin vom 30.11.2011 wird angeordnet. Die Antragsgegnerin trägt die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin sowie die Gerichtskosten. Der Streitwert wird auf 4.562,23 EUR festgesetzt.

Gründe:

Der zulässige Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs vom 10.12.2011 gegen den Bescheid vom 30.11.2011 ist begründet.

Nach § 86 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Haupt-sache in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, diese ganz oder teilweise anordnen. Die aufschiebende Wirkung entfällt gemäß § 86 a Abs. 2 Nr. 1 SGG bei Entscheidungen über Beitragspflichten und die Anforderung von Beiträgen sowie der darauf entfallenden Nebenkosten einschließlich der Säumniszuschläge (vgl. LSG NRW, Beschluss vom 07.01.2011, L 8 R 864/10 B ER, Sozialgerichtsbarkeit.de). Die Entscheidung, ob die aufschiebende Wirkung ausnahmsweise dennoch durch das Gericht angeordnet wird, erfolgt aufgrund einer umfassenden Abwägung des Aufschubsinteresses des Antragstellers einerseits und des öffentlichen Interesses an der Vollziehung des Verwaltungsaktes andererseits. Bei der gerichtlichen Abwägungsentscheidung in den Fällen des § 86 a Abs. 2 Nr. 1 SGG, in denen der Gesetzgeber die sofortige Vollziehung der behördlichen Entscheidung vorgesehen hat, ist nach den Kriterien des § 86 a Abs. 3 Satz 2 SGG vorzugehen (LSG NRW, Beschluss vom 11.09.2006, L 5 (3) B 10/06 R ER; Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz, 9. Auflage 2008, § 86 b Rnr. 12 b). Unter Berücksichtigung dieses Maßstabes war dem Antrag stattzugeben, da die tatbes-tandlichen Voraussetzungen des § 86 a Abs. 3 Satz 2 SGG nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gebotenen summarischen Prüfung vorliegen. Nach Auffassung des Gerichts überwiegt vorliegend das private Aussetzungsinteresse der Antragstellerin das öffentliche Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin. Bei der im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens vorzunehmenden summarischen Prüfung ergeben sich ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Beitragsbescheides vom 30.11.2011, der auf der Rechtsgrundlage des § 28 p SGB IV erlassen wurde.

Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Verwaltungsentscheidung bestehen, wenn aufgrund summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage ein Erfolg des Rechtsbehelfes im Hauptsacheverfahren wahrscheinlicher ist als ein Misserfolg. Das ist vorliegend der Fall. Der Widerspruch der Antragstellerin dürfte nach summarischer Prüfung gegenwärtig Aussicht auf Erfolg haben. Das Gericht schließt sich weitgehend der Argumentationsweise der Antragstellerin an. Schon die fehlende Rückwirkung des BAG-Beschlusses vom 14.12.2010, Az.: 1 ABR 19/10 begründet ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Beitragsbescheides vom 30.11.2011. Fraglich ist, ob die bei der Antragstellerin auf der Basis eines mit der xxxxxxxx abgeschlossenen Tarifvertrages beschäftigten Leiharbeitnehmer gegenwärtig aufgrund der Tarifunfähigkeit der xxxxxxxxxxxxxxx unter Anwendung des Equal-Pay-Grundsatzes aus den §§ 9 Nr. 2, 10 Abs. 4 Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) einen höheren Entgeltanspruch haben. Die höheren Entgelte aus dem Equal-Pay-Anspruch stehen den Arbeitnehmern regelmäßig nur zu, wenn die von der XXXXXXXXXXXXX abgeschlossenen Tarifverträge im Bereich der Arbeitnehmerüberlassung wegen auch für die Vergangenheit rechtskräftig festgestellter Tarifunfähigkeit der XXXXXXXXXXXXX unwirksam wären. Diese Voraussetzung ist nach Ansicht des Gerichts gegenwärtig nicht gegeben. Die Tarifunfähigkeit der XXXXXXXXXXXXX ist für den hier maßgeblichen Prüfzeitraum 01.12.2005 bis 31.12.2009 nicht rechtskräftig festgestellt worden. Das BAG hat in seinem Beschluss vom 14.12.2010 nur festgestellt, dass die XXXXXXXXXXXXX gegenwartsbezogen nicht tariffähig ist. Das BAG hat sich dabei an der Antragstellung der für die Feststellung begehrenden Parteien orientiert und hat daraus nach Wortlaut und Begründung lediglich einen Gegenwartsbezug abgeleitet. Das BAG hat die Anträge ausdrücklich als nicht vergangenheitsbezogen angesehen (BAG, a.a.O. Rn. 34,35; 64). In diesem Sinne gingen auch die Landesarbeitsgerichte überwiegend davon aus, dass die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 14.12.2010 keine ex-tunc Wirkung hatte, sondern die fehlende Tariffähigkeit der XXXXXXXXXXXXX nur gegenwartsbezogen festgestellt worden ist (vgl. LAG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 15.06.2011, Az.: 6 Ta 99/11; LAG Baden Württemberg, Beschluss vom 21.06.2011, Az.: 11 Ta 10/11; LAG Nürnberg, Beschluss vom 19.09.2011, Az.: 2 Ta 128/11; LAG Hamm, Beschluss vom 28.09.2011, Az.: 1 Ta 500/11). Diesbezüglich stimmt das Gericht mit der Entscheidung des Sozialgerichts Hamburg vom 18.11.2011, Az.: 51 R 1149/11 ER) überein. Auf der Grundlage der Entscheidung des BAG vom 14.12.2010 steht lediglich fest, dass die XXXXXXXXXXXXX ab dem Zeitpunkt der letztmöglichen Verhandlung vor dem LAG Berlin-Brandenburg am 07.12.2009 nicht tariffähig ist. Die Antragsgegnerin hat nicht abgewartet, bis rechtskräftige arbeitsgerichtliche Entschei-dungen über die Frage der Tariffähigkeit der xxxxxxxxxxxxxxxxxxx für die Vergangenheit getroffen wurden. Vielmehr hat sie die Erstreckung der Tarifunfähigkeit auf die Vergan-genheit unterstellt. Für den maßgeblichen Prüfzeitraum vom 01.12.2005 bis 31.12.2009 kann nicht festge-stellt werden, dass die XXXXXXXXXXXXX tarifunfähig und die von ihr abgeschlossenen Tarifverträge unwirksam sind.

Darüber hinaus dürfte der Antragstellerin mindestens bis zum 14.12.2010 Vertrauens-schutz zustehen. Dies gilt schon deswegen, weil das BAG in seiner Entscheidung vom 14.12.2010 eine Änderung seiner bisherigen Rechtsprechung vorgenommen hat. Die Antragstellerin und andere Zeitarbeitsunternehmen haben über viele Jahre auf die Rechtmäßigkeit der angewandten Tarifverträge vertraut. Es herrschte eine lange Verwaltungspraxis auch bei der Antragsgegnerin im Rahmen von Betriebsprüfungen und gleichfalls bei den anderen Sozialleistungsträgern. Die Tarifverträge sind bei den Prüfungen durch die verschiedenen Sozialversicherungsträger nicht beanstandet worden.

Ebenso greift das Argument, dass in dem streitigen Nachentrichtungszeitraum (Dezember 2005 bis Dezember 2009) bereits Betriebsprüfungen stattgefunden haben. Dies erlaubt eine Betriebsprüfung nur unter den engen Voraussetzungen der §§ 44 ff. Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) (im einzelnen Beschluss des SG Dortmund vom 23.01.2012 Az.: S 25 R 2507/11 ER m.w.N.). Die Antragsgegnerin hat bei der Bescheiderteilung vom 30.11.2011 die Voraussetzungen des § 45 SGB X nicht beachtet. Eine Ermessensausübung wurde nicht vorgenommen.

Bei der summarischen Prüfung überwiegt insgesamt das private Interesse der Antrag-stellerin an der aufschiebenden Wirkung gegenüber dem öffentlichen Interesse am Voll-zug des Bescheides vom 30.11.2011. Es bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Verwaltungsentscheidung.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197 a SGG i.V.m. § 154 VwGO.

Der Streitwert beruht auf § 52 Abs. 3 Gerichtskostengesetz. Der Betrag war im Hinblick auf den vorläufigen Charakter der Entscheidung auf 4.562,23 EUR festzusetzen (25 % der streitgegenständlichen Forderung in Höhe von 18.248,92 EUR).
Rechtskraft
Aus
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