S 21 SO 492/10

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Köln (NRW)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
21
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 21 SO 492/10
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Beklagte wird verurteilt, dem Kläger die im Hilfefall X für den Zeitraum 01.07.2001 bis 31.12.2005 erstatteten Aufwendungen i.H.v. 74.329,57 EUR zurück zu erstatten. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Der Streitwert wird endgültig auf 74.329,57 EUR festgesetzt.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Rückerstattung von Kosten, die der Kläger dem Beklagten im Hilfefall X (Hilfeempfängerin) für die Zeit 1.7.2001 bis 31.12.2005 erstattet hat.

Bei der 1943 geborenen Hilfeempfängerin besteht aufgrund einer geburtstraumatischen Hirnschädigung eine geistige Behinderung. Die Eltern der Hilfeempfängerin (Vater geb. 1913 in Mettmann und Mutter geb. 1920 in Linz) waren 1945 kriegsbedingt aus Österreich nach Deutschland übergesiedelt und hatten sich in X niedergelassen. Die Hilfeempfängerin war zunächst in Österreich bei den Großeltern verblieben und 1954 zu den Eltern nach X übergesiedelt und hatte Aufnahme im Psychiatrischen Landeskrankenhaus X gefunden. 1956 war sie nach Österreich zurückgekehrt und 1958 siedelte sie erneut nach Deutschland über und wurde im Psychiatrischen Landeskrankenhaus X untergebracht. Dort war die Hilfeempfängerin bis 1988 verblieben und war danach in das Pflegeheim X in X gewechselt. Seit dem 18.7.1995 ist die Hilfeempfängerin in der Wohngemeinschaft X in X untergebracht. Der Kläger hatte als zuständiger Landesfürsorgeverband auf der Grundlage der Nr. 2 Abs. 1 Satz 2 der Bonner Vereinbarung vom 2.9.1952 in Verbindung mit § 1 der Freiburger Ergänzungsvereinbarung vom 30.7.1953 und Ziffer 5 der Fürsorgerechtsvereinbarung vom 18.9.1947/3.5.1949 gegenüber der Stadt X als dem für die Gewährung der Fürsorge unmittelbar zuständigem Bezirksfürsorgeverband die Kostenerstattung für die an die Hilfeempfängerin erbrachten Fürsorgeleistungen mit Schreiben vom 3.10.1955 zugesichert und für den erneuten Hilfefall ab 1958 ein wiederholtes Anerkenntnis gegenüber der Stadt X am 21.8.1958 abgegeben und fortlaufend der Stadt X, nach Inkrafttreten des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) am 1.6.1962 im Rahmen der Übergangsregelung gemäß § 144 Nr. 2 BSHG Kostenersatz geleistet. Nach Aufnahme der Hilfeempfängerin im Wohnheim X übernahm ab dem 1.11.1995 der damalige Landeswohlfahrtsverband X als überörtlicher Träger der Sozialhilfe mit Bescheid vom 18.10.1995 die Kosten für den Heimaufenthalt der Hilfeempfängerin als Eingliederungshilfe für Behinderte nach §§ 40 Abs. 1 Nr. 8, 100 Abs.1 Nr. 1, 2 BSHG. Bis dahin hatte die Stadt X der Hilfeempfängerin Hilfe im Rahmen eines sog. Erhaltungsfalls gewährt, für den der Kläger fortlaufend Kostenerstattung geleistet hatte. Mit Schreiben vom 18.10.1995 hatte der X bei dem Kläger unter Hinweis auf einen nahtlosen Anstaltsübertritt nach § 108 BSHG um ein Kostenanerkenntnis gebeten, worauf hin der Kläger mit Schreiben vom 3.11.1995 die Verpflichtung zur Kostenerstattung gemäß § 108 BSHG ab dem 1.11.1995 anerkannte. In der Folgezeit hatte der Kläger dem X dessen Aufwendungen für die Hilfeempfängerin erstattet. Aufgrund des Verwaltungsstruktur-Reformgesetzes (VRG) für das Land X vom 13.7.2004 sind die Landeswohlfahrtsverbände - mithin auch der X - zum 31.12.1994 aufgelöst worden. Die zuständigen örtlichen Träger haben die Aufgaben der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen übernommen. Der Kläger erstattete daraufhin dem Beklagten die von ihm ab dem 1.1.2005 an die Hilfeempfängerin erbrachten Aufwendungen der Eingliederungshilfe. Mit Schreiben vom 9.5.2007 lehnte der Kläger gegenüber dem Beklagten eine weitere Kostenerstattung ab, weil ein entsprechender Erstattungsanspruch wegen des zum 1.1.1995 eingetretenen Trägerwechsels nicht mehr gegeben sei und machte gleichzeitig einen Rückerstattungsanspruch in Höhe von 20.815,90 Euro für die im Jahr 2006 erstatteten Aufwendungen für die Zeit 1.1.2005 bis 31.12.2005 geltend. Mit Schreiben vom 11.5.2007 an den Beklagten hob der Kläger sein Anerkenntnis vom 3.11.1995 mit der Begründung auf, dem x habe ein Kostenerstattungsanspruch weder aufgrund der Übergangsregelung des § 144 Nr. 2 BSHG noch nach § 108 BSHG zugestanden. Des Weiteren machte der Kläger gegenüber dem Beklagten die Rückerstattung weiterer, in den Jahren 2003 bis 2005 für die Zeiträume 1.7.2001 bis 31.12.2004 erbrachten Erstattungsleistungen in Höhe von 53.513,67 Euro geltend. Unter dem 29.11.2007 erklärte der Beklagte dem Kläger gegenüber den Verzicht auf die Einrede der Verjährung. In der Folgezeit hatte der Beklagte das Bundesverwaltungsamt ersucht gemäß § 108 BSHG /§ 108 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch –Sozialhilfe- (SGB XII) einen überörtlichen Träger für die Kostenerstattung zu bestimmen. Die hierauf gerichtete Klage des Beklagten gegen das Bundesverwaltungsamt blieb erfolglos (SG Konstanz Urteil vom 21.10.2008 -S 3 SO 3132/07- und LSG Baden- Württemberg Urteil vom 25.3.2010 –L 7 SO 5799/08-). Mit Schreiben vom 6.9.2010 lehnte der Beklagte gegenüber dem Kläger die Rückerstattung der erstattenden Aufwendungen ab.

Der Kläger hat am 30.9.2010 Klage erhoben. Er trägt zur Begründung im Wesentlichen vor: Es habe ab dem 1.11.1995 weder nach der Übergangsvorschrift des § 144 BSHG noch nach der Kostenerstattungsregelung des § 108 BSHG/SGB XII ein Kostenerstattungsanspruch bestanden. Die durch § 144 Nr. 2 BSHG angeordnete Fortdauer des Kostenerstattungsanspruchs für die Stadt Konstanz nach "alten Fürsorgeregelungen" sei mit dem Zuständigkeits- bzw. Trägerwechsel und der Übernahme des Hilfefalles durch den X zum 1.11.1995 beendet worden, weil das nach altem Recht abgegebene Kostenanerkenntnis seine Wirkung verloren habe. Auch habe dem X Baden bzw. dem Beklagten kein Kostenerstattungsanspruch nach § 108 BSHG /SGB XII zugestanden, weil diese Vorschriften mit Blick auf die in § 144 BSHG bestehende Sonderregelung von vorneherein nicht in Betracht kämen, wie das LSG Baden- Württemberg in seinem Urteil vom 25.3.2010 (aaO) festgestellt habe. Ein Erstattungsanspruch ergebe sich auch nicht aus dem Anerkenntnis vom 3.11.1995, da dieses als deklaratorisches Schuldanerkenntnis keinen neuen selbständigen Rechtsanspruch begründe.

Der Kläger beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, ihm die von ihm im Hilfefall X für den Leistungszeitraum vom 1.7.2001 bis 31.12.2005 erstatteten Sozialhilfeaufwendungen in Höhe von 74.329,57 Euro gemäß § 112 SGB X zurückzuerstatten.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Erstattungspflicht des Klägers sei mit dem Übergang der sachlichen Zuständigkeit auf den X zum 1.11.1995 nicht beendet, denn an den tatsächlichen Verhältnissen hätte sich zu diesem Zeitpunkt nichts geändert. Die Hilfeempfängerin habe sich nach wie vor durchgehend seit ihrem Zuzug nach Deutschland im Landkreis X aufgehalten. Das vom Kläger in den 50er Jahren abgegebene Anerkenntnis wirke auch gegenüber dem X, zumal es mit Schreiben vom 3.11.1995 bekräftigt worden sei, wobei unschädlich sei, dass dort von einem solchen "gemäß § 108 BSHG" die Rede sei, gemeint sei aber nur eines im Zusammenhang mit der Übergangsregelung. Denn der Grenzort sollte dauerhaft nicht mit den Sozialhilfekosten des dort verbliebenen Grenzgängers belastet werden, es müsse daher bei der ursprünglichen Erstattungsregelung bleiben, zumal hier die Neuregelung des § 108 BSHG nicht in Betracht komme. Auch könne ein einmal abgegebenes Anerkenntnis nur ex nunc, nicht aber ex tunc widerrufen werden, dies würde die Übergangsregelung nach § 144 BSHG ad absurdum führen. Aber selbst wenn für ihn kein Erstattungsanspruch mehr gegen den Kläger bestünde, könne dieser keine Rückerstattung verlangen. Für die Zeit der Zuständigkeit des X bis zum 31.12.2004 folge dies aus dem Grundsatz von Treu und Glauben. Durch die verspätete Geltendmachung des Anspruchs, nämlich nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Auflösung der Landeswohlfahrtsverbände würde er mit Kosten belastet werden, die er beim Rechtsvorgänger nicht geltend machen könne. Ursächlich sei das Verhalten des Klägers, der zu spät erkannt habe, dass er nicht mehr erstattungspflichtig sei. Hätte er dies vor dem 1.1.2005 entdeckt und gegenüber dem X geltend gemacht, so müsste er -der Beklagte- jetzt keine Kosten mehr befürchten. Es erfülle den Verwirkungstatbestand, wenn der Kläger erst mit Schreiben vom 9.5.2007 geltend mache, er sei seit dem 1.11.1995, also seit fast 12 Jahren, nicht mehr erstattungspflichtig. Zudem könne eine Rückerstattung nicht über § 112 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch –Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz- (SGB X) erfolgen, sondern hierfür würden ausschließlich vorkonstitutionelle Regelungen gelten.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Gerichtsakten und die von den Beteiligten beigezogenen Verwaltungsakten.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht konnte ohne mündliche Verhandlung den Rechtsstreit entscheiden, weil die Beteiligten dieser Vorgehensweise mit Schreiben vom 7.2.2012 und 27.12.2010 bzw. 31.1.2012 zugestimmt haben (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz –SGG-).

Die zulässige Leistungsklage ist begründet.

Der Beklagte ist gemäß § 112 SGB X zur Rückerstattung der von dem Kläger dem X in den Jahren 2003, 2004 und 2005 erstattenden Aufwendungen für die der Hilfeempfängerin in der Zeit 1.7.2001 bis 31.12.2004 und dem Beklagten im Jahr 2006 erstattenden Aufwendungen für die Zeit 1.1.2005 bis 31.12.2005 erbrachten Sozialhilfe in Höhe von insgesamt 74.329,57 Euro verpflichtet. Die Passivlegitimation des Beklagten ist zwischen den Beteiligten unstreitig und ergibt sich nach § 12 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes zur Auflösung der Landeswohlfahrtsverbände (in Kraft getreten zum 1.1.2005 gemäß Art. 187 Abs. 1 VRG), wonach der zuständige Stadt- und Landkreis in den übergegangenen Leistungsfällen in die Rechte und Pflichten des bisher örtlich zuständigen Landeswohlfahrtsverbandes eintritt.

Nach § 112 SGB X sind, soweit eine Erstattung zu Unrecht erfolgt ist, die gezahlten Beträge zurückzuerstatten.

Die Rückerstattungsvorschrift des § 112 SGB X findet vorliegend Anwendung. Sie ist seit 1983 in Kraft und regelt für den gesamten Sozialleistungsbereich die Rückabwicklung von zu Unrecht erfolgten Erstattungen unter Behörden. Vorliegend geht es um Erstattungen des Klägers, die er in den Jahren 2003 bis 2006, also nach dem Inkrafttreten der Regelung des § 112 SGB X, an den X bzw. den Beklagten zu Unrecht geleistet hat. Infolgedessen richtet sich sein Anspruch auf Rückerstattung nach § 112 SGB X und nicht nach vorkonstitutionellen Regelungen. Der Umstand, dass sich die Rechtmäßigkeit der Erstattungen u.a. nach vorkonstitutionellen Recht beurteilt, bleibt insoweit unbeachtlich, weil dies allein die Frage tangiert, ob die in den Jahren 2003 bis 2006 geleisteten Erstattungen ohne Rechtsgrund erfolgt sind, was Voraussetzung für eine Rückerstattung nach § 112 SGB X ist.

Der Rückerstattungsanspruch nach § 112 SGB X setzt voraus, dass ein anderer Leistungsträger ein Erstattungsanspruch geltend gemacht hat und dieser Anspruch tatsächlich befriedigt worden ist, die Erstattung aber zu Unrecht erfolgt ist. Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Denn eine Rechtsgrundlage für die vom Kläger in den Jahren 2003 bis 2006 erstattenden Aufwendungen im Hilfefall X fehlt.

Ein Anspruch auf Erstattung der für die Hilfeempfängerin aufgebrachten Aufwendungen ergibt sich zunächst nicht aus § 144 Nr. 2 BSHG. Nach dieser Vorschrift sind auf die Kostenerstattung zwischen den Trägern der Sozialhilfe die bei Inkrafttreten dieses Gesetzes (BSGH) geltenden Regelungen weiter anzuwenden in den Fällen, in denen vor Inkrafttreten dieses Gesetzes die Pflicht zur Kostenerstattung durch Anerkennung oder rechtskräftige Entscheidung festgestellt worden ist. Es handelt sich um eine Übergangsregelung für die Kostenerstattung, nach der die die Kostenerstattungspflicht vor Inkrafttreten des BSHG, d.h. bis spätestens 31.5.1962 u.a. durch Anerkenntnis festgestellt sein muss. Ein entsprechendes Anerkenntnis musste dem die Leistung erbringenden Träger bis zum 31.5.1962 zugegangen sein. Ein Anerkenntnis im Sinne von § 144 Nr. 2 BSHG hat der Kläger mit Schreiben vom 21.8.1958 gegenüber der seinerzeit leistungserbringenden Stadt X abgegeben und darin für die Fürsorgeleistungen an die Hilfeempfängerin Kostenübernahme ab dem 30.6.1958 zugesichert. Das Anerkenntnis vom 21.8.1958 kann aber kein Rechtsgrund für die Erstattungen des Klägers in den Jahren 2003 bis 2006 sein. Denn aufgrund der Übernahme des Hilfefalls zum 1.11.1995 durch den damaligen X und dessen Bewilligung von Eingliederungshilfe nach §§ 40 Abs. 1 Nr. 8, 100 Abs. 1 Nr. 1, 2 BSHG an die Hilfeempfängerin mit Bescheid vom 18.10.1995 und des damit einhergehenden Wechsels vom örtlichen Sozialhilfeträger –der Stadt X - auf den überörtlichen Sozialhilfeträger –dem X- verlor das vom Kläger gegenüber der Stadt X am 21.8.1958 abgegebene Anerkenntnis seine Wirkung. Ein Anerkenntnis wirkt grundsätzlich nur in einem bestehenden Rechtsverhältnis zwischen Anerkennendem und Empfänger und kann nur für bzw. gegen diese Rechtswirkungen erzeugen. Es verliert jedoch seine Wirkung bzw. wird gegenstandslos, sobald ein anderer Träger als der Empfänger des Anerkenntnisses sachlich oder örtlich zuständig wird. Rechtsfolge ist, dass ab dem Zeitpunkt des Wechsels eine Anwendung des § 144 Nr. 2 BSHG ausgeschlossen ist und damit die Kostenerstattungspflicht nach § 144 Nr. 2 BSHG endet (Fichtner/Wenzel, BSHG -2. Auflage-, § 144 Rdn. 4; Mergler/Zink, BSHG -4. Auflage-, § 144 Rdn. 15). Das bedeutet, aufgrund des zum 1.11.1995 gegenstandlos gewordenen Anerkenntnisses vom 21.8.1958 war die Regelung des § 144 Nr. 2 BSHG als Rechtsgrund für die Erstattungen im Hilfefall X zum 1.11.1995 weggefallen. Das am 3.11.1995 vom Kläger gegenüber dem X abgegebene Kostenanerkenntnis kann – ungeachtet der Frage, ob dieses wirksam widerrufen worden ist- bereits deshalb keine Kostenerstattungspflicht nach § 144 Nr. 2 BSHG begründen, weil es nach dem 31.5.1962 abgegeben worden ist und damit kein Kostenanerkenntnis im Sinne des § 144 Nr. 2 BSGH ist. Auch nach erneutem Wechsel der Zuständigkeit für die Erbringung der Sozialhilfeleistungen an die Hilfeempfängerin ab dem 1.1.2005 vom X als überörtlicher Träger nach dessen Auflösung zum 31.12.2004 auf den Beklagten als örtlicher Sozialhilfeträger lebt der Anspruch aus § 144 Nr. 2 BSHG auf Kostenerstattung nicht wieder zugunsten des Beklagten auf, da eine entsprechende Nachfolgeregelung im SGB XII fehlt und durch den Wegfall des Anerkenntnisses vom 21.8.1958 zum 1.11.1995 die alten Regelungen zur Kostenerstattung unter den Fürsorgeverbänden ihren Zweck erfüllt hatten und die mit der fürsorgerechtlichen Lastenverteilung bezweckte Schutzfunktion deshalb nicht mehr greift (LSG Baden Württemberg, aaO).

Für eine Kostenerstattungspflicht des Klägers gegenüber dem X bzw. dem Beklagten kann auch die Regelung des § 108 BSHG –Kostenerstattung bei Übertritt aus dem Ausland- bzw. des § 108 SGB XII –Kostenerstattung bei Einreise aus dem Ausland- nicht herangezogen werden. Denn mit Blick auf die Sonderregelung von § 144 Nr. 2 BSHG kam die Anwendung des neuen Kostenerstattungsrechts nach dem BSHG -in Kraft ab dem 1.6.1962-von vorneherein nicht in Betracht. An dieser Rechtslage hat sich auch in der Folgezeit nicht geändert (LSG Baden –Württemberg, aaO), so dass auch § 108 SGB XII von vorneherein unbeachtlich bleibt.

Die Erstattung von Aufwendungen in Höhe von 74.329,57 Euro an den Beklagten ist schließlich auch nicht deshalb rechtmäßig erfolgt, weil der Kläger auf Aufforderung des X mit Schreiben vom 3.11.1995 die Kostenerstattung gemäß § 108 BSHG für die Hilfeempfängerin ab 1.11.1995 anerkannt hat. Aus diesem ausdrücklichen Anerkennen folgte keine rechtliche Verpflichtung des Klägers zur Erstattung der für die Hilfeempfängerin geleistete Sozialhilfe (LSG NRW Urteil vom 22.11.2010 –L 20 SO 4/09-; und Urteil vom 23.4.2007 –L 20 SO 39/06- ). Denn weder ist durch die Aufforderung des X vom 18.10.1995 und die Abgabe des Anerkenntnisses vom 3.11.1995 ein wirksamer öffentlich-rechtlicher (Vergleichs-) Vertrag im Sinne von § 54 SGB X analog bzw. § 53 SGB X zustande gekommen (vgl. LSG NRW 22.11.2010, aaO), der Rechtsgrundlage für die Erstattungen sein kann noch ergibt sich aus dem Anerkenntnis vom 3.11.1995 selbst eine rechtliche Verpflichtung des Klägers zur Erstattung von Aufwendungen. Das "Anerkenntnis" des Klägers geht vielmehr wegen Nichtbestehen eines Erstattungsanspruchs des Beklagten bzw. seinerzeit des X nach § 108 BSHG (dazu siehe oben) ins Leere. Dafür, das Anerkenntnis als eine konstitutive Rechtsgrundlage zur Begründung der Erstattungsforderung des Beklagten anzusehen, fehlt eine gesetzliche Grundlage im BSHG bzw. SGB XII. Gleichgeordnete Verwaltungsträger sind vielmehr untereinander auf die einvernehmliche Bewertung des Anspruchsbegehrens angewiesen oder auf eine Klage, die sich nur materiell-rechtlich begründen lässt, nicht aber allein durch eine den Anspruch bejahende Erklärung des materiell-rechtlich nicht verpflichteten Sozialleistungsträgers (LSG NRW 22.11.2010, aaO). Selbst bei Annahme einer entsprechenden Anwendung der Regelung über das (abstrakte) Schuldanerkenntnis gemäß § 781 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) auf öffentlich-rechtliche Leistungsbeziehungen zwischen Sozialleistungsträger, wäre ein solches Schuldanerkenntnis auf Kostenübernahme ohne Rücksicht auf einen dahinter stehenden Rechtsgrund im vorliegenden Fall ersichtlich nicht gewollt gewesen. Denn der Kläger hat in seiner Anerkenntnis-Erklärung vom 3.11.1995 ausdrücklich auf § 108 BSHG Bezug genommen, damit war deutlich, dass er (deklaratorisch) eine Leistungsverpflichtung allein im Rahmen des § 108 BSHG eingehen wollte, welche er nach genauerer rechtlicher Prüfung jedoch nicht mehr als bestehend ansieht. Ein nur deklaratorisches Schuldanerkenntnis erzeugt jedoch keinen neuen, selbständigen Anspruch (LSG NRW, aaO). Soweit der Beklagte sinngemäß geltend macht, mit dem Anerkenntnis vom 3.11.1995 habe der Kläger das im Jahr 1958 abgegebene Anerkenntnis bekräftigen wollen, soweit in dem Anerkenntnis von einem solchen nach § 108 BSHG die Rede sei, sei dies unschädlich, gemeint sei aber ein Anerkenntnis im Zusammenhang mit der Übergangsregelung gemäß § 144 Nr. 2 BSHG, kann dieser Argumentation nicht gefolgt werden. Zum einen findet sich in dem Schreiben vom 3.11.1995 kein Hinweis, dass der Kläger sein Anerkenntnis vom 21.8.1958 auf den damals zuständigen LWV Baden als Empfänger erweitert wollte, insoweit ist der Wortlaut des Schreibens vom 3.11.1995 "die Verpflichtung zur Kostenerstattung gemäß § 108 BSHG wird für die o.g. Hilfeempfängerin für die Zeit ab 1.11.1995 anerkannt" unmissverständlich und einer erweiternden Auslegung nicht zugänglich. Im übrigen wäre eine Erweiterung des Anerkenntnisses vom 21.8.1958 auf den X als weiteren Empfänger mit Blick auf § 144 Nr. 2 BSHG ohne Bedeutung, weil unter diese Regelung nur Anerkenntnisse, die bis zum 31.5.1962 abgegeben worden sind, fallen können. Angesichts dieser rechtlichen Beurteilung bleibt auch der Einwand des Beklagten, das Anerkenntnis vom 3.11.1995 habe der Kläger nur mit Wirkung ex nunc, nicht aber ex tunc widerrufen können, ohne Entscheidungsrelevanz.

Das weitere Vorbringen des Beklagen, der Rückerstattungsanspruch sei unter Berücksichtigung des allgemeinen Grundsatzes von Treu und Glauben ausgeschlossen, weil der Kläger die Rückerstattung verspätet, erst nach Auflösung des X bzw. fast 12 Jahre nach Wegfall der Erstattungspflicht ab 1.11.1995 geltend gemacht habe, greift nicht durch und steht der Zuerkennung des Rückerstattungsanspruchs nicht entgegen. Ungeachtet der Frage, ob dem Anspruch nach § 112 SGB X, welchen der Gesetzgeber nicht durch Regelungen zum Vertrauensschutz begrenzt hat, überhaupt mit Erfolg entgegengehalten werden kann, ein Rückerstattungsverlangen verstoße wegen der Enttäuschung begründeten Vertrauens gegen den Grundsatz von Treu und Glauben bzw. unterliege wegen erfolgten Zeitablaufs zwischen Erstattung und Geltendmachung der Rückerstattung der Verwirkung , kann das Gericht im vorliegenden Fall weder einen Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben noch eine Verwirkung des Rückerstattungsanspruchs erkennen. Ein Entfallen des Rückerstattungsanspruchs (bzw. dessen Minderung) wird nur in Erwägung zu ziehen sein, in Fällen von vorsätzlichem Handeln oder Rechtsmissbrauch. Allein der Umstand, dass der Kläger zunächst irrtümlicherweise den Erstattungsanspruch des Beklagten bzw. des X bejaht und jahrelang befriedigt hat, nun aber aufgrund der Erkenntnis, dass die insoweit seinerzeit zugrundegelegte Rechtsauffassung fehlerhaft gewesen ist, die Rückerstattung verlangt, stellt sich nicht als rechtsmissbräuchliches, treuwidriges Verhalten dar. Denn die Regelung des § 112 SGB X setzt ausweislich der Gesetzesbegründung gerade voraus, dass ein Leistungsträger irrtümlich von einer Erstattungspflicht ausgegangen ist und sich deshalb erst nachträglich herausstellt, dass die Erstattung zu Unrecht erfolgt ist und gewährt den Rückerstattungsanspruch unabhängig davon, ob der rechtswidrige Zustand von einem oder den Beteiligten schuldhaft herbeigeführt worden ist und zielt, ohne insoweit Vertrauensschutz zu gewähren, im Interesse der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung darauf ab, die zu Unrecht erfolgte Vermögensverschiebung wieder rückgängig zu machen. Der dargelegte Zweck des § 112 SGB X gebietet eine Rückabwicklung der zu Unrecht erfolgten Erstattung daher unabhängig davon, ob der Erstattung eine langjährige irrtümliche Praxis zugrundegelegen hat (OVG NRW Beschluss vom 29.5.2008 -12A 4144/06-). Dem um Rückerstattung angegangenen Leistungsträger ist insoweit nur das Recht zuerkannt worden, Rückerstattungsansprüchen gemäß § 113 Abs. 1 Satz 2 SGB X die Einrede der Verjährung entgegenzuhalten, damit ist seinem berechtigten Interesse an Begrenzung der Rückerstattungen für vergangene Zeiträume gedient. Infolgedessen ist das Rückerstattungsverlangen des Klägers auch unter dem Gesichtspunkt, dass seine irrtümliche Erstattungspraxis ab November 1995 bis zur Geltendmachung der Rückerstattung im Mai 2007 fast 12 Jahre anhielt, weder treuwidrig noch verwirkt. Eine Verwirkung des Rückerstattungsrechts kann nur ausnahmsweise in Betracht kommen, bspw. wenn sich die Erstattungsbehörde jahrelang vorsätzlich der Erkenntnis der Rechtswidrigkeit der Erstattung verschlossen hat oder aber in der Vergangenheit auf ihr Recht auf Rückerstattung verzichtet hat. Beide Fallgestaltungen liegen hier nicht vor. Schließlich bleibt unschädlich, dass der Kläger erst nach Inkrafttreten des VRG bzw. nach Auflösung des X zum 31.12.2004 die Unrechtmäßigkeit seiner Erstattungen erkannt hat und die Rückerstattung der dem X zu Unrecht in den Jahren 2003 bis 2005 erbrachten gegenüber dem Beklagten als nach § 12 Abs. 3 des Gesetzes zur Auflösung der Landeswohlfahrtsverbände ab dem 1.7.2005 für bestehende Forderungen und Verbindlichkeiten Verpflichteten geltend gemacht hat. Der Rückerstattungsanspruch des Klägers wird nicht dadurch tangiert, dass zum 1.7.2005 die Verbindlichkeiten des X auf den Beklagten übergegangen sind. Der Umstand, dass die vom Beklagten jetzt aufzubringenden Rückerstattungen für Erstattungen, die der X erhalten hat, letztlich ihm verbleiben, ohne dass er sich bei einem Dritten schadlos halten kann, ist der im Jahr 2005 in Baden-Württemberg erfolgten Verwaltungsstrukturreform und der damit verbundenen Auflösung der Landeswohlfahrtsverbänden und dem Übergang der Forderungen und Verbindlichkeiten der Landeswohlfahrtsverbände auf die örtlichen Sozialhilfeträger geschuldet und fällt nicht in den Risikobereich des Klägers.

Nach alledem war der Klage stattzugeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 SGG in Verbindung mit § 154 Abs.1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

Der Streitwert wird gemäß § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 63 Abs. 2 und § 52 Abs. 1 und 3 Gerichtskostengesetz (GKG) entsprechend des Klageantrages auf 74.329,57 Euro festzusetzen.
Rechtskraft
Aus
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