S 7 R 267/10

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Köln (NRW)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
7
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 7 R 267/10
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Bescheid vom 05.08.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.02.2010 sowie der Änderungsbescheid vom 15.06.2010 werden aufgehoben. Es wird festgestellt, dass die Beigeladene zu 1) die Tätigkeit im Bereich der Buchhaltung bei der Klägerin seit dem 06.12.2007 im Rahmen einer selbständigen Tätigkeit ausübt und nicht der Versicherungspflicht in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung unterliegt. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin sowie die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Frage, ob die Beigeladene zu 1) für die Klägerin seit 06.12.2007 (Ende des Bezugs eines Existenzgründungszuschusses nach § 421 Abs. 1 SGB III) ihre Tätigkeit als Buchhalterin im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses oder als Selbständige ausübt.

Der im Jahre 1959 geborene Beigeladene zu 1) war bis Juli 2002 bei der Klägerin als ab-hängig Beschäftigte in der Buchhaltung tätig. Nach ihrer betriebsbedingten Kündigung arbeitete sie für eine andere Firma als abhängig Beschäftigte. Im Dezember 2004 machte sich die Beigeladene zu 1) als Buchhalterin selbständig und erhielt auf Antrag von der Beigeladenen zu 3) einen Existenzgründungszuschuss mit Bewilligungsbescheid vom 08.11.2006 für die Zeit vom 06.12.2006 bis 05.12.2007. Im Januar 2006 bot die Beigeladene zu 1) der Klägerin ihre Dienstleistung an. Die Beigeladene zu 1) hat ein Gewerbe angemeldet.

Am 02.02.2009 beantragte die Klägerin die Feststellung des sozialversicherungsrechtli-chen Status hinsichtlich der Beigeladenen zu 1).

Die Beklagte holte eine Stellungnahme der Beigeladenen zu 1) zur Darstellung und Be-wertung der wesentlichen Merkmale ihrer Tätigkeit bei der Klägerin ein. Auf den Inhalt der Stellungnahme vom 13.07.2009 (Blatt 28/29 Verwaltungsakte) wird verwiesen.

Mit Bescheid vom 05.08.2009 stellte die Beklagte fest, dass die Beigeladene zu 1) bei der Klägerin seit 06.12.2007 die Tätigkeit als Buchhalterin im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ausübe. Entscheidend für die versicherungsrechtliche Beurteilung sei das Gesamtbild der Tätigkeit nach Maßgabe der den Einzelfall bestimmenden rechtlichen und tatsächlichen Gestaltung der Verhältnisse. Maßgebend sei die Rechtsbeziehung, so wie sie praktiziert werde, und die praktizierte Beziehung, so wie sie rechtlich zulässig sei. Auf die Bezeichnung, die die Parteien ihrem Rechtsverhältnis gegeben hätten, komme es nicht an. Die zu beurteilende Tätigkeit als Buchhalterin bestehe darin, alle laufenden Geschäftsfälle zu kontieren, die Verbuchung im ERP-System der Firma, Zahlungen unterschriftsreif vorzubereiten, Mahnverfahren durchzuführen, Monats- und Jahresabschlüsse zu fertigen. Aus den vorgelegten vertraglichen und dargestellten tatsächlichen Verhältnissen ergeben sich Tätigkeitsmerkmale, die für ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis sprächen. Bei Annahme eines Auftrags erfolge die Eingliederung in die betrieblichen Abläufe des Auftraggebers. Hinsichtlich des Arbeitsortes sei die Beigeladene zu 1) weisungsgebunden, da die Tätigkeit überwiegend am Betriebssitz des Auftraggebers ausgeübt werde. Die Beigeladene zu 1) könne ihre Arbeitszeit nicht selbst bestimmen, da sie die Vorgaben des Auftraggebers zu beachten habe. Selbst wenn vertraglich die freie Gestaltung der Arbeitszeit eingeräumt würde, sei sie wegen der tatsächlich von ihr zu beachtenden zeitlichen Vorgaben an feste Arbeitszeiten gebunden. Sämtliche Arbeitsmittel und Arbeitsgeräte würden der Beigeladenen zu 1) kostenfrei zur Verfügung gestellt. Sie trage kein unternehmerisches Risiko, da die Tätigkeit weder den Einsatz eigenen Kapitals noch eigener Betriebsmittel erfordere. Auftretende Schwankungen gezahlter Honorare seien mit dem Entgeltrisiko vergleichbar, welche stundenweise beschäftigte Arbeitnehmer zu tragen hätten. Die Tätigkeit sei vorher im Rahmen einer abhängigen Beschäftigung ausgeübt worden. Unterschiede zur derzeit ausgeübten Tätigkeit seien nicht ersichtlich.

Dagegen erhob die Klägerin am 02.09.2009 Widerspruch. Sie trug im Wesentlichen vor, dass die Beigeladene zu 1) nicht in die Arbeitsorganisation integriert sei. Die Beigeladene zu 1) könne die Arbeit hinsichtlich ihrer Zeit und den Ort und die Art ihrer Tätigkeit frei wählen. Sie habe keinen Urlaubsanspruch und keinen Anspruch auf Lohnfortzahlung und sei für weitere Auftraggeber tätig, übe eine selbständige Tätigkeit aus. Darüber hinaus ergebe sich die Unternehmerstellung der Beigeladenen zu 1) auch daraus, dass sie einen Existenzgründungszuschuss gemäß § 421 Abs. 1 SGB III erhalten habe. Die Beigeladene zu 1) habe auch klargestellt, dass sie ihre Dienste Anfang 2006 der Klägerin angeboten habe, also unternehmerisch akquisitorisch tätig geworden sei. Sie habe in ihrer Stellungnahme vom 13.07.2009 ausgeführt, dass die Tätigkeit, die sie von Mai 2001 bis Juli 2002 bei ihrer Mandantschaft ausgeübt habe, einen völlig anderen Bereich in der Buchhaltung betroffen habe. Insofern liege hier nicht der Fall vor, dass ein Arbeitsverhältnis direkt in eine selbständige Tätigkeit umgewandelt worden sei. Auch im Rahmen der finanziellen Unterstützung durch die Arbeitsagentur bei Gründung der Firma sei die Selbständigkeit der Beigeladenen zu 1) geprüft worden. In diesem Zusammenhang werde auf die Fassung des § 7 Abs. 4 SGB IV bis zum 30.06.2009 hingewiesen. Für die Personen, die für eine selbständige Tätigkeit einen Zuschuss nach § 421 Abs. 1 SGB III beantragten, werde danach widerlegbar vermutet, dass sie in dieser Tätigkeit als Selbständige tätig sind. Im vorliegenden Fall lägen keine Umstände vor, die im Übrigen durch die Beklagte zu beweisen wären, die für eine abhängige Beschäftigung der Beigeladenen zu 1) sprächen. Ein solcher Umstand liege auch nicht darin, dass sie einen Teil der Arbeitsgeräte der Klägerin nutze. Die Arbeitsmittel eines Buchhalters seien, worauf die Beigeladene zu 1) hingewiesen habe, Kugelschreiber, Buchungsstempel und Buchhaltungssoftware incl. Arbeitsplatzrechner und Drucker. Diesen Arbeitsplatzrechner und Drucker könne die Beigeladene zu 1) schlecht in die Räume der Klägerin mitbringen. Die Tätigkeit eines Stundenbuchhalters setze regelmäßig voraus, dass Arbeitsgeräte und Computer sowie Software der Auftrag-geber genutzt werden. Dieses werde auch in der zitierten Entscheidung des BSG vom 25.09.1981 und vom 22.06.1966 deutlich. Nach alledem sei die Tätigkeit als Stundenbuchhalterin als selbständige Tätigkeit anzusehen. Hierfür spreche auch der Bescheid der Deutschen Rentenversicherung Rheinland vom 07.09.2009. Mit diesem Bescheid sei im Rahmen einer Betriebsprüfung nach § 28 p Abs. 1 SGB IV festgestellt worden, dass bezüglich der Versicherungs- und Beitragspflicht sich keine Beanstandungen ergeben. Im Prüfzeitraum sei auch eine Lohnsteueraußenprüfung vorgenommen worden. Der Prüfbericht vom 12.11.2007 für den Prüfzeitraum 01.01.2005 bis 07.08.2007 war vorgelegt und in beitragsrechtlicher Hinsicht überprüft worden. Es ergäben sich keine weiteren Beitragsnachforderungen zur Sozialversicherung. Hingewiesen sei auf die Anlage 4 zum Grundschreiben der Spitzenverbände der Sozialversicherung vom 20.12.1999, zum Gesetz zur Förderung der Selbständigkeit, Versicherungs-, Beitrags- und Melderecht. Dieser Anlage 4 sei ein Katalog bestimmter Berufsgruppen zur Abgrenzung zwischen abhängiger Beschäftigung und selbständiger Tätigkeit sowie zur Bestimmung der Merkmale typischen unternehmerischen Handels enthalten. Unter dem Stichwort Finanzbuchhalter werde auf die freien Berufe sowie die zitierten und in der Anlage beigefügten BSG Urteile vom 22.06.1966 und 01.04.1971 verwiesen. Insofern müsse davon ausgegangen werden, dass sich die Prüfung der Beklagten an diesen Urteilen orientiere.

Die Beklagte hörte die Beigeladene zu 1) an. Diese schloss sich im Wesentlichen den Ausführungen der Klägerseite an.

Die Beklagte wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 08.02.2010 zurück. Sie führte aus: Entscheidungserheblich sei, dass die Beigeladene zu 1) am Betriebssitz der Firma tätig sei und deren Arbeitsmittel kostenlos nutze. Ferner würden der Arbeitseinsatz und die Zeit individuell und persönlich mit dem Buchhaltungsleiter der Firma abgesprochen. Bei Arbeitsausfällen müsse die Beigeladene zu 1) dem Buchhaltungsleiter Kenntnis geben, damit dieser die zeitgebundenen Tätigkeiten an die festangestellten Mitarbeiter verteilen könne. Sie unterliege bezüglich Ort und Zeit Weisungen. Für diese Tätigkeit erhalte die Auftragnehmerin (Beigeladene zu 1)) einen Stundenlohn von 25,00 EUR. Ein unternehmerisches Risiko liege in diesem Vertragsverhältnis nicht vor.

Die Klägerin hat am 01.03.2010 Klage erhoben. Sie wiederholt im Wesentlichen ihr bisheriges Vorbringen und ist der Ansicht, dass sich aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 17.04.2012, aufgrund der Anhörung der Beigeladenen zu 1) und der Zeugenvernehmung des Buchhaltungsleiters XXXXXXXXXXX eindeutig ergebe, dass die Beigeladene zu 1) die Tätigkeit als Stundenbuchhalterin seit dem 06.12.2007 im Rahmen einer selbständigen Tätigkeit ausübe. Die Klägerin überreicht ein rechtskräftiges Urteil des SG Duisburg vom 15.10.2010 Az.: S 10 R 332/08 (Blatt 100 ff. Gerichtsakte). Hinsichtlich der Einzelheiten des umfangreichen Vorbringens der Klägerin wird auf die Schriftsätze, insbesondere auf den Schriftsatz vom 01.02.2012 (Blatt 123 – 126 Gerichts-akte Bezug genommen).

Mit Änderungsbescheid vom 15.06.2010 hat die Beklagte die Versicherungspflicht in der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung; in der sozialen Pflegeversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung hinsichtlich der ausgeübten Beschäftigung als Buchhalterin bei der Klägerin festgestellt.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid vom 05.08.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.02.2010 sowie den Änderungsbescheid vom 15.06.2010 aufzu- heben und festzustellen, dass die Beigeladene zu 1) die Tätigkeit im Be- reich der Buchhaltung bei der Klägerin seit dem 06.12.2007 im Rahmen einer selbständigen Tätigkeit ausübt und nicht der Versicherungspflicht in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung unterliegt.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie nimmt im Wesentlichen Bezug auf die angefochtenen Verwaltungsentscheidungen und vertritt die Rechtsauffassung, dass es sich bei der Tätigkeit der Beigeladenen zu 1) um eine Teilzeitbeschäftigung handele.

Die Beigeladene zu 1) schließt sich dem Klageantrag der Klägerin an. Sie überreicht eine Stundenaufstellung hinsichtlich der Tätigkeit für die Klägerin und andere Auftraggeber (Blatt 159/160 Gerichtsakte). Das Gericht hat die Beigeladene zu 1) im Termin vom 17.04.2012 angehört. Sie hat im Wesentlichen ausgeführt: Wenn sie nach der Rolle des Buchhaltungsleiters gefragt wer-de, müsse sie sagen, dass sie mit dem Buchhaltungsleiter nichts zu tun habe. Er erteile ihr auf keinen Fall Weisungen. Sie könne auch zu dem Anforderungsprofil des Buchhal-tungsleiters nichts sagen. Sie sitze in der eigentlichen Chefetage. Dort sitze auch XXXXXXXXXXX, der Juniorchef. Sie arbeite als einzige Buchhalterin für 2 Einzelfirmen. Die Firma habe 4 festangestellte Buchhalter, die ihres Wissens allerdings für andere Fir-mengruppen tätig seien. Auch Frau XXXXXXXXXXXX erteile ihr keine Weisungen. Es handele sich um die Geschäftsführerin. Natürlich sei es so, dass sie sich für die buchhalterischen Zahlen interessieren müsse. Sie habe keine festen Arbeitszeiten. Sie sei hinsichtlich ihrer Arbeitsgestaltung vollkommen frei. Sie habe einen Schlüssel zu der Firma und arbeite auch am Wochenende und in den Abendstunden. Je nach Arbeitsanfall arbeite sie im Monat 30 bis 40 Stunden, auch schon mal mehr. Wenn der Wirtschaftsprüfer im Hause sei, sei es für sie selbstverständlich, dass sie anwesend sei. Für die Benutzung der Software werde ihr ein geringeres Entgelt ausgezahlt. Für die Klägerin erhalte sie den niedrigsten Stundensatz von 25,00 EUR. Bei den anderen Firmen erhalte sie etwa 27,00 EUR bis 30,00 EUR. Ihren Urlaub spreche sie mit der Firma nicht ab. Natürlich zeige sie den Urlaub ihren Auftraggebern gegenüber an. Dies sei für sie selbstverständlich als Selbständige. In der Firma XXXXXXX arbeite sie montags, mittwochs, donnerstags, auch schon mal dienstags je nach Arbeitsanfall. Sie könne jederzeit das Auftragsverhältnis beenden. Sie habe keine feste Arbeitsaufteilung. Sie habe allerdings die buchhalterische Tätigkeit für die beiden Einzelfirmen, für die Klägerin und für die Grundstücksgesellschaft XXXXXXXXXXX. Wenn sie in ihr Büro komme, lägen dort die Vorgänge bereits bereit. Zum Teil hole sie auch die Vorgänge. Es gäbe eine Sammelstelle für die jeweiligen Abteilungen. Sie erkläre ausdrücklich, dass sie keine Mindestarbeitszeit habe. Sie sei vollkommen frei in der Gestaltung. Hinsichtlich der gewählten Werktage sei sie auch vollkommen frei. Sollte sie krank werden, so habe sie die Möglichkeit, auch am Wochenende die Arbeit nachzuarbeiten, da sie einen Schlüssel zur Firma habe.

Die Beigeladene zu 2) stellt keinen Antrag.

Die Beigeladene zu 3) stellt keinen Antrag, schließt sich allerdings der Rechtsauffassung der Klägerin an.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung des Finanzbuchhalters Herrn XXXXXXXXXX. Auf den Inhalt der Sitzungsniederschrift vom 17.04.2012 wird Bezug ge-nommen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Verwaltungs- und Gerichtsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig und begründet. Der Bescheid vom 05.08.2009 in Gestalt des Wi-derspruchsbescheides vom 08.02.2010 sowie der Änderungsbescheid vom 15.06.2010, der gemäß § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des vorliegenden Verfahrens geworden ist, sind rechtswidrig. Die Beigeladene zu 1) ist in ihrer Tätigkeit als Buchhalterin bei der Klägerin seit dem 06.12.2007 nicht abhängig beschäftigt. Sie unterliegt nicht der Versicherungspflicht in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung.

Nach § 7 a Abs. 1 Satz 1 SGB IV können die Beteiligten schriftlich eine Entscheidung beantragen, ob eine Beschäftigung vorliegt, es sei denn die Einzugsstelle oder ein anderer Versicherungsträger hatte im Zeitpunkt der Antragstellung bereits ein Verfahren zur Feststellung einer Beschäftigung eingeleitet.

Letzeres war nicht der Fall. Die Klägerin hat am 02.02.2009 bei der Beklagten den Antrag gestellt, festzustellen, ob die Tätigkeit der Beigeladenen zu 1) innerhalb eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses oder selbständig erfolgt. Die Beklagte hatte aufgrund einer Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalles zu entscheiden, ob eine Beschäftigung der Beigeladenen zu 1) bei der Klägerin vorliegt (vgl. § 7 a Abs. 2 SGB IV).

Nach § 7 Abs. 1 SGB IV ist Beschäftigung die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers. Ob die Beigeladene zu 1) selbständig tätig ist oder in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis steht, richtet sich nach dieser Vorschrift und den von der Rechtsprechung für die Abgrenzung von selbständiger Tätigkeit und abhängiger Beschäftigung herausgearbeiteten Grundsätzen. Danach ist für die Wertung einer Beschäftigung als abhängig ausschlaggebend, dass diese in persönlicher Abhängigkeit verrichtet wird. Diese äußert sich regelmäßig in der Eingliederung des Beschäftigten in einen fremden Betrieb. Typisches Merkmal eines Abhängigkeitsverhältnisses ist die Weisungsbefugnis des Auftraggebers hinsichtlich Zeit, Dauer und Ort der Ausübung der Tätigkeit. Demgegenüber kennzeichnet die selbständige Tätigkeit das eigene Unternehmerrisiko, die Verfügungsfreiheit über die eigene Arbeitskraft sowie die im Wesentlichen freigestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit. Bedeutsam ist dabei, ob eigenes Kapital und/oder die eigene Arbeitskraft mit der Gefahr auch eines Verlustes eingesetzt, der Erfolg des Einsatzes und der sachlich und persönlichen Mittel als ungewiss ist. Weist eine Tätigkeit im Einzelfall Merkmale der Abhängigkeit und der selbständigen Tätigkeit auf, kommt es bei der Beurteilung des Gesamtbildes darauf an, welche Merkmale überwiegen (vgl. BSG, Urteil vom 22.06.2005 – Az: B 12 RK 28/03 R – SozR 4-2400 § 7 Nr. 5; BSG, Urteil vom 24.01.2007 – Az: B 12 KR 31/06 RSozR 4-2400 § 7 Nr. 7).

Die Kammer ist aufgrund der Umstände des Einzelfalles, der Anhörung der Beigeladenen zu 1) im Termin vom 17.04.2012 und der Zeugenvernehmung des Finanzbuchhalters XXXXXXXXX zu dem Ergebnis gelangt, dass die Beigeladene zu 1) nicht in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis zur Klägerin, zur XXXXXXXXXX steht. Die überwiegenden Einzelumstände des Beschäftigungsverhältnisses sprechen eindeutig dagegen. Die Kammer schließt sich insofern vollinhaltlich der Argumentationsweise der Klägerin an. Die Beigeladene zu 1) unterliegt hinsichtlich der Art der Arbeitsausführung keinem Wei-sungsrecht der Klägerin. Die Zeugenvernehmung des Finanzbuchhalters XXXXXXXXXX hat den diesbezüglichen Vortrag der Beklagten eindeutig widerlegt. Die Beigeladene zu 1) ist ihm nicht unterstellt. Er erteilt ihr keine Weisungen. Im Gegenteil oft holt er sich bei der Beigeladenen zu 1) buchhalterischen Rat. Die Beigeladene zu 1) arbeitet selbständig für die beiden Einzelfirmen, für die Klägerin und die Grundstücksgesellschaft XXXXXXXXXXXX. Es ist auch nicht so, dass während der Urlaubszeit oder im Krankheitsfalle Aufgaben von anderen Buchhaltern übernommen werden. Aufgrund ihrer langjährigen Berufserfahrung führt die Beigeladene zu 1) die ihr übertragenen Finanzbuchhaltungs- und Lohnbuchhaltungsarbeiten eigegenständig durch, ohne dass auch inhaltliche Weisungen und Vorgaben seitens der Geschäftsführerin Frau XXXXXXXXXX gemacht werden. Sie ist zur Durchführung ihrer Aufgaben nicht auf Zusatzinformation angewiesen. Wenn sie in ihr Büro kommt, liegen dort die Vorgänge bereits bereit. Zum Teil holt sie sich auch die Vorgänge. Es gibt dafür eine Sammelstelle für die jeweiligen Abteilungen. Die Beigeladene zu 1) unterliegt hinsichtlich der Arbeitszeit keinerlei Weisungen der Klä-gerin, was gegen ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis spricht. Die Beigeladene zu 1) ist weder verpflichtet, an bestimmten Tagen in der Firma XXXXXXXXXXX zu erscheinen, noch muss sei eine bestimmte Anzahl von Stunden pro Tag oder pro Woche arbeiten. Es obliegt allein ihrer Entscheidung, an welchen Tagen, zu welchen Tageszeiten und wie lange sie jeweils arbeitet, um die von ihr übernommenen Aufträge termingerecht fertigzustellen. Die Beigeladene zu 1) hat schlüssig dargelegt, dass sie einen Schlüssel zu der Firma hat und hinsichtlich ihrer Arbeitsgestaltung vollkommen frei ist. Sie arbeitet auch am Wochenende und in den Abendstunden. Hinsichtlich der Erledigung der Aufgaben gibt es zwar eine Bindung an bestimmte Termine für Steuermeldungen bei den Finanzbuchhaltungsarbeiten. Die Einhaltung solcher Termine ist nicht Ausfluss eines Weisungsrechtes der Klägerin gegenüber der Beigeladenen zu 1) (vgl. für Buchhalter BSG SozR Nr. 4 zu § 2 AVG = Breithaupt 1967, 1, 3; BSG SozR Nr. 18 zu § 539 = Breithaupt 71, 272); Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 15.10.2010, Az.: S 10 R 332/08).

Die Tatsache, dass die Beigeladene zu 1) bei der Klägerin aufgrund der Auftragsvorgabe eine bestimmte Tätigkeit ausführt, führt nach Ansicht der Kammer nicht zu einer Wei-sungsgebundenheit. Auftragsvorgabe und Weisungsgebundenheit sind zu unterschei-den. Die Beigeladene zu 1) arbeitet zwar aus Praktikabilitätsgründen und aus Gründen der Kostenersparnis am Computer der Klägerin. Das bedeutet allerdings nicht, dass sie nicht auch dieselbe Tätigkeit von zu Hause aus ausführen kann. Im Übrigen nutzt sie gegen Entgelt die Software der Klägerin. Von der Firma XXXXXXXXXXXX erhält sie den niedrigsten Stundensatz von 25,00 EUR. Bei den anderen Firmen erhält sie etwa 27,00 EUR bis 30,00 EUR, (Urteil SG Köln vom 22.01.2002, Az: S 7 RJ 116/99). Im Übrigen ist die Durchfüh-rung der Buchführungsarbeiten in den Räumen der Klägerin durch die Art der Tätigkeit bedingt und spricht nicht gegen eine selbständige Tätigkeit (ebenso für die Durchführung von Buchhaltungsarbeiten in den jeweiligen Betrieben: BSG SozR Nr. 4 zu § 2 AVG; BSG SozR Nr. 18 zu § 539 RVO; vgl. für die Durchführung von Buchhaltungsarbeiten in einer Steuerberaterpraxis: LSG Schleswig Holstein vom 07.09.2005, Az: L 5 KR 47/04). Entgegen der Auffassung der Beklagten ist die Beigeladene zu 1) nicht in die betrieblichen Abläufe der Firma eingegliedert. Ein ausschließlich für sie eingerichteter Arbeitsplatz steht nicht zur Verfügung. Sie nutzt für die Durchführung der Buchhaltungsarbeiten einen von mehreren PC-Arbeitsplätzen. Die zeitliche Anwesenheit der Beigeladenen zu 1) in der Firma orientiert sich allein an den Bedürfnissen der Beigeladenen zu 1) sowie Kapazitäten und ist für die Klägerin mangels Vorhersehbarkeit nicht einplanbar. Sie steht nicht zu bestimmten Zeiten als telefonische Ansprechpartnerin zur Verfügung.

Soweit die Beklagte das Fehlen eines mit dem Einsatz eigenen Kapitals verbundenen Unternehmerrisikos als Indiz gegen eine selbständige Tätigkeit der Beigeladenen zu 1) vorbringt, ist zu berücksichtigen, dass ein erheblicher Kapitaleinsatz bei Buchhaltungsarbeiten nicht tätigkeitsimmanent ist. Die Beigeladene zu 1) verfügt über ein eigenes Büro, einen Computer sowie über Buchführungsprogramme. Insoweit verfügt sie über die Arbeitsmittel, die zur Ausübung von Buchhaltungsarbeiten auch im Rahmen einer selbständigen Tätigkeit erforderlich sind. Die Beigeladene zu 1) trägt insoweit ein unternehmerisches Risiko, als ihr der Erfolg des Einsatzes der Arbeitskraft für die Klägerin nicht gewiss ist (vgl. BSG vom 25.01.2001 Az. B 12 KR 17/00 KR). Eine Vergütung der von ihr ausgeführten Arbeiten erfolgt durch die Klägerin nur dann, wenn diese ordnungsgemäß durchgeführt und abgeschlossen worden sind. Ein unternehmerisches Risiko ist nicht erst dann gegeben, wenn sich die Tätigkeit durch den Einsatz höherer Beträge, Kapital und der Gefahr, dieses Kapital zu verlieren, aus-zeichnet. Ein unternehmerisches Risiko ist schon dann zu bejahen, wenn der Tätige das Risiko des Lohnausfalls durch mangelnde Aufträge bzw. Krankheit trägt. Dies ist im Streitfall gegeben (vgl. LSG NRW, Urteil vom 22.02.2007, Az: L 16 KR 11/05). Entscheidend ist, dass die Beigeladene zu 1) für mehrere Auftraggeber tätig wird. Dieses zeigt eindeutig, die Aufstellung, die im Termin vom 17.04.2012 überreichte Stundenauf-stellung (Bl. 159/160 Gerichtsakte). Schon die Vorschrift des § 2 Nr. 9 SGB VI geht davon aus, dass sich Selbständigkeit durch das Tätigwerden für mehrere Auftraggeber aus-zeichnet. Es handelt sich dabei um ein objektives Merkmal, welches auch bei der Betrachtung eines konkreten Tätigkeitsverhältnisses nicht außer acht gelassen werden darf. Gerade der Umstand, für mehrere Auftraggeber tätig zu sein, erfordert es, weisungsungebunden und zeitlich frei zu sein. Die verschiedenen Auftraggeber der Beigeladenen zu 1) stehen in keinerlei Kontaktverhältnissen. Irgendeine Abstimmung der Tätigkeit der Beigeladenen zu 1) zwischen den verschiedenen Auftraggebern gibt es nicht. Die Beigeladene zu 1) vereinbart die Tätigkeit mit den verschiedenen Aufraggebern jeweils zeitlich und örtlich unabhängig und frei. In der Beziehung zwischen der Klägerin und der Beigeladenen zu 1) fehlt ab Januar 2006 eine Regelung zu einer Vergütung während des Urlaubs der Beigeladenen zu 1) bzw. während ihrer Erkrankung. Auch dieser Umstand spricht für eine selbständige Tätigkeit (LSG, Urteil vom 13.09.2007, Az: L 5 R 5/06; LSG NRW, Urteil vom 22.02.2007, Az: L 16 KR 11/05). In der mündlichen Verhandlung vom 17.04.2012 hat die Beigeladene zu 1) glaubhaft bekundet, sollte sie krank werden, muss sie nacharbeiten oder muss selbst die Aufgaben koordinieren. Sie hat die Möglichkeit, die Aufgaben einem anderen von ihr beauftragten Buchhalter zu übergeben. Auch der Zeuge XXXXXXXX hat glaubhaft dargelegt, dass während der Urlaubszeit oder im Krankheitsfalle Aufgaben nicht von anderen Buchhaltern übernommen werden. Im Falle von Urlaub und Krankheit muss die Beigeladene zu 1) die Arbeiten vor- und nachbereiten.

Nach Gesamtwürdigung aller zur Beurteilung der Tätigkeit der Beigeladenen zu 1) in der Zeit ab 06.12.2007 (Ende des Bezugs des Existenzgründungszuschusses) relevanten Tatsachen überwiegen eindeutig die Merkmale für ein nicht abhängiges Beschäftigungsverhältnis.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 193, 197 a SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 VwGO.
Rechtskraft
Aus
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