S 12 R 369/12 ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Köln (NRW)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
12
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 12 R 369/12 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 08.03.2012 gegen den Bescheid vom 13.02.2012 wird angeordnet. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens. Der Streitwert wird auf 7.433,14 EUR festgesetzt.

Gründe:

I. Die Beteiligten streiten um eine Nachforderung von Beiträgen zur Sozialversicherung in Höhe von insgesamt EUR 29.732,54. Die Antragstellerin ist ein in der Vermittlung von Leiharbeitnehmern tätiges Dienstleis-tungsunternehmen. In der streitgegenständlichen Zeit 01.12.2005 bis 31.12.2009 verwies die Antragstellerin in den Arbeitsverträgen von ihr entliehener Arbeitnehmer auf die mit der Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalservice-agenturen (CGZP) und dem Arbeitgeberverband Mittelständischer Personaldienstleis-tungsunternehmen (AMP) abgeschlossenen Tarifverträge. Mit Beschluss vom 14.12.2010 (1 ABR 19/10, juris) bestätigte das Bundesarbeitsgericht (BAG) auf Antrag von Ver.di und dem Land Berlin die vorinstanzlich durch das Arbeitsge-richt Berlin (Beschluss v. 1.4.2009, 35 BV 17008/08) und das Landesarbeitsgericht Ber-lin-Brandenburg (Beschluss v. 7.12.2009, 23 TaBV 1016/09) festgestellte Tarifunfähigkeit der CGZP. In der Folge führte die Deutsche Rentenversicherung bei den betroffenen Zeitarbeitsun-ternehmen Betriebsprüfungen durch, so auch bei der Antragstellerin. Zu dem Ergebnis fand am 16.11.2011 eine Schlussbesprechung bei der Antragstellerin statt. Mit Bescheid vom 13.02.2012 erhob die Antragsgegnerin gegenüber der Antragstellerin bezogen auf den Prüfungszeitraum eine Beitragsnachforderung in Höhe von EUR 29.732,54. Die angewandten Tarifverträge seien unwirksam, daher stünde den betroffe-nen Arbeitnehmern derselbe Lohn wie der Stammbelegschaft zu (equal pay Ansprüche) mit der Konsequenz entsprechend höherer Beiträge zur Sozialversicherung. Hiergegen legte die Antragstellerin mit anwaltlichem Schriftsatz vom 08.03.2012 Wider-spruch ein. Zugleich bat sie die Antragsgegnerin um Aussetzung der Zwangsvollstre-ckung. Mit ihrem am 16.03.2012 bei Gericht eingegangenen Eilantrag macht die Antragstellerin die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruches gegen den Beitragsbescheid vom 13.02.2012 geltend. Es bestünden erhebliche Bedenken gegenüber der Rechtmäßigkeit der erhobenen Forderung. Das BAG habe die Tarifunfähigkeit mit Wirkung vom 14.12.2010 nur gegenwarts- und antragsbezogen festgestellt, eine Rückwirkung sei daraus nicht abzuleiten. Rückwirkende Folgen aus dem Beschluss herzuleiten verstoße gegen Art 20 Abs 3 GG. Die Antragstellerin habe auf die Wirksamkeit der zwischen dem AMP und der CGZP geschlossenen Tarifverträge vertrauen dürfen. Im Übrigen sei die Forderung verjährt bzw. sogar verwirkt. Vorhergehende Betriebsprüfungen für denselben Zeitraum stünden einer erneuten Überprüfung entgegen, insbesondere habe die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 08.06.2009 bestandskräftig für den Zeitraum 01.01.2005 bis 31.12.2008 festgestellt, dass Versicherungspflicht und beitragsrechtliche Beurteilung der Entgelte in den geprüften Fällen zutreffend beurteilt worden seien. Die Antragstellerin beantragt schriftsätzlich, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 08.03.2012 gegen den Be-scheid vom 13.02.2012 anzuordnen. Die Antragsgegnerin beantragt, den Antrag abzulehnen.

Sie verweist zur Begründung auf entsprechende Beschlüsse des SG Duisburg in den Verfahren S 37 R 5/12 ER und S 34 R 1554/11 ER sowie den Beschluss des SG Hamburg in dem Verfahren S 11 R 1354/11 ER. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und den der beigezogenen Akten der Antragsgegnerin Bezug genommen.

Gründe:

II. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs ist zulässig und begründet. Nach § 86b Abs. 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung in den Fällen anordnen, in denen Widerspruch oder Klage keine aufschiebende Wirkung haben. Diese Voraussetzungen sind gegeben. Die aufschiebende Wirkung entfällt gemäß § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG bei Entscheidungen über Beitragspflichten und die Anforderung von Beiträgen sowie der darauf entfallenden Nebenkosten einschließlich der Säumniszuschläge (vgl. nur LSG NRW, Beschluss vom 7.1.2011, L 8 R 864/10 ER m.w.N. unter www.sozialgerichtsbarkeit.de). Dass über den an die Antragsgegnerin gestellten Antrag, die Vollziehung auszusetzen, nicht entschieden wurde, hindert die Zulässigkeit des gerichtlichen Antrags nicht. Einer vorherigen Antragstellung an die Behörde bedarf es im sozialgerichtlichen Verfahren anders als nach § 80 Abs 5 VwGO nicht (Meyer-Ladewig/ Keller/ Leitherer – Keller, SGG, § 86b Rn 7). Die Entscheidung, ob die aufschiebende Wirkung ausnahmsweise durch das Gericht angeordnet wird, hängt davon ab, ob bei Abwägung der Interessen das Interesse der An-tragstellerin an der Aussetzung der Vollziehung gegenüber dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung überwiegt. Im Rahmen der nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffenden gerichtlichen Entscheidung ist dabei insbesondere zu berücksichtigen, dass das Gesetz das Vollzugsrisiko bei Beitragsbescheiden grundsätzlich auf den Adressaten verlagert (s.o. § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG). Nach dem Rechtsgedanken der insoweit entsprechend anzuwendenden Vorschrift des § 86a Abs. 3 S. 2 SGG ist die aufschiebende Wirkung daher anzuordnen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Für ernstliche Zweifel reicht es dabei nicht schon aus, dass im Rechtsbehelfsverfahren möglicherweise noch ergänzende Tatsachenfeststellungen zu treffen sind. Maßgebend ist vielmehr, ob nach der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Eilentscheidung mehr für als gegen die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides spricht, d.h. wenn ein Erfolg des Rechtsbehelfes im Hauptsacheverfahren wahrscheinlicher ist als ein Misserfolg (vgl. LSG NRW, Beschlüsse v. 24.6.2009, L 8 B 4/09 R ER; v. 27.7.2009, L 8 B 5/09 R ER; v. 18.2.2010, L 8 B 13/09 R ER; v. 8.10.2010, L 8 R 368/10 B ER, v. 7.1.2011, a.a.O., jeweils unter www.sozialgerichtsbarkeit.de). Unter Beachtung dieser Grundsätze überwiegt das private Aussetzungsinteresse der An-tragstellerin das öffentliche Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin. Bei der im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens regelmäßig nur summarischen Prüfung ergeben sich ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides. Nach Auffassung der Kammer spricht insgesamt mehr für einen Erfolg des Widerspruchs der Antragstellerin vom 08.03.2012 als dagegen. Während die Erfolgsaussichten eines Widerspruchs bezüglich der Tariffähigkeit der CGZP für die Vergangenheit nach aktuellem Rechtsstand zu Gunsten der Antragstellerin bestenfalls noch als offen zu betrachten sind, sind die Erfolgsaussichten bezüglich der Frage der rückwirkenden Erstattungspflicht der beitragspflichtigen Arbeitgeber nach Auffassung der Kammer als überwiegend wahrscheinlich zu beurteilen. Die Kammer schließt sich insoweit der Auffassung der 7. Kammer des SG Köln im Beschluss vom 15.02.2012 – S 7 R 1921/11 ER, juris, sowie des SG Duisburg, Beschuss vom 18.01.2012 – S 21 R 1564/11 ER und des SG Hamburg, Beschluss vom 18.11.2011 - S 51 R 1149/11 ER - an (entgegen SG Hamburg, Beschluss vom 09.01.2012 – S 11 R 1354/11 ER, juris; SG Duisburg, Beschluss vom 19.01.2012 - S 34 R 1554/11 ER). Rechtsgrundlage des Beitragsbescheides vom 13.02.2012 ist § 28p Abs. 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV). Nach § 28p Abs. 1 Satz 1 SGB IV prüfen die Träger der Ren-tenversicherung bei den Arbeitgebern, ob diese ihre Meldepflichten und ihre sonstigen Pflichten nach diesem Gesetzbuch, die im Zusammenhang mit dem Gesamtsozialversi-cherungsbeitrag stehen, ordnungsgemäß erfüllen. Nach § 28p Abs. 1 Satz 5 erster Halb-satz SGB IV erlassen die Träger der Rentenversicherung im Rahmen der Prüfung Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht und Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung gegenüber den Arbeitgebern. Die Antragsgegnerin hat durch den Beitragsbescheid vom 13.02.2012 eine Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen für die bei der Antragstellerin beschäftigten Leiharbeitnehmer in der Krankenversicherung (gem. § 5 Abs. 1 Nr. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V)) in der Rentenversicherung (gem. § 1 Satz 1 Nr. 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI)), in der sozialen Pflegeversicherung (gem. § 20 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 1 HS 1 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) und in der Arbeitslosenversicherung (gem. § 25 Abs. 1 Satz 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III)) im Zusammenhang mit der Tarifunfähigkeit der CGZP festgestellt. Die Nachforderung ist allerdings nur bei tatsächlichem Bestehen der Beitragsschuld der Antragstellerin rechtmäßig. Dies setzt zum einen voraus, dass die bei der Antragstellerin auf der Basis von mit der CGZP abgeschlossenen Tarifverträgen beschäftigten Leihar-beitnehmer rückwirkend einen höheren Entgeltanspruch ("equal pay") hätten (s. 1.) und zum anderen, dass auf diesen höheren Entgeltanspruch Sozialversicherungsbeiträge im Prüfungszeitraum zulässiger Weise nach zu erheben wären (s. 2.) Hierfür besteht zum jetzigen Zeitpunkt keine überwiegende Wahrscheinlichkeit. 1. Voraussetzung für eine höheren Entgeltanspruch der entliehenen Arbeitnehmer ist die Tarifunfähigkeit der CGZP auch im streitgegenständlichen Zeitraum. Denn dann hätte kein Tarifvertrag bestanden, der eine geringere Bezahlung der Leiharbeitnehmer gegenüber den vergleichbaren Arbeitnehmern des Entleihers zugelassen hätte. Auch dann ist aber noch offen, ob ggfs Vertrauensschutz der Arbeitgeber besteht. Nach § 9 Nr. 2 Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) sind Vereinbarungen, die für den Leiharbeitnehmer für die Zeit der Überlassung an einen Entleiher schlechtere Bedingungen einschließlich des Arbeitsentgeltes vorsehen als die für einen vergleichbaren Arbeitnehmer des Entleihers geltenden unwirksam, es sei denn ein Tarifvertrag lässt eine abweichende Regelung zu. Liegt ein solcher eine Abweichung erlaubender, rechtswirksamer Tarifvertrag nicht vor, ist der Verleiher nach § 10 Abs. 4 AÜG verpflichtet, dem Leiharbeitnehmer für die Zeit seiner Überlassung an den Entleiher die für einen vergleichbaren Arbeitnehmer des Entleihers geltenden wesentlichen Arbeitsbedingungen einschließlich des Arbeitsentgeltes zu gewähren. Ob dieser Anspruch besteht, kann zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht beurteilt werden. Die Tarifunfähigkeit der CGZP damit die Unwirksamkeit der von ihr abgeschlossenen Tarifverträge für die Zeit vor dem Beschluss des BAG vom 14.12.2010 ist für den hier maßgeblichen Prüfzeitraum vom 01.12.2005 bis 31.12.2009 derzeit noch nicht fachgerichtlich, insbesondere höchstrichterlich abschließend geklärt. Das BAG hat in seinem Beschluss vom 14.12.2010 nur festgestellt, dass die CGZP gegenwartsbezogen nicht tariffähig ist (a.a.O.). Spitzenorganisationen können gem. § 2 Abs. 3 Tarifvertragsgesetz (TVG) selbst Parteien eines Tarifvertrages sein, wenn der Abschluss von Tarifverträgen zu ihren satzungsge-mäßen Aufgaben gehört. Die an die Tariffähigkeit einer Arbeitnehmervereinigung im Einzelnen zu stellenden Anforderungen sind dabei gesetzlich nicht bestimmt. In seinem Beschluss vom 14.12.2010 (a.a.O.) hat das BAG hierzu unter anderem ergänzend festge-stellt, dass die Tariffähigkeit im Gesetzessinne auch voraussetzt, dass der Organisations-bereich der Spitzenorganisationen mit dem ihrer Mitgliedergewerkschaften übereinstimmt. Davon ist nach Auffassung der höchstrichterlichen Rechtsprechung im Hinblick auf die Tarifgemeinschaft der CGZP unter Berücksichtigung ihrer Satzung vom 8.10.2009 jedoch nicht auszugehen, deren Organisationsbereich überrage den der Mitgliedergewerkschaften. Der Antragsgegnerin ist ohne weiteres zuzugeben, dass die tragenden Gründe des BAG es wahrscheinlich machen, oder, wie es das Sächsische LAG formuliert hat, "sich ent-sprechende Zweifel fast zur Sicherheit verdichten" (vgl. Beschluss v. 5.9.2011, a.a.O., Rn. 26 in der Interpretation von juris, vgl. 3. Leitsatz), dass die CGZP auch in der Vergangenheit tarifunfähig war. Das LAG Berlin-Brandenburg hat in seinem Beschluss vom 09.01.2012 – 24 TaBV 1285/11 ua – juris, genau diese Konsequenz auch gezogen und festgestellt, dass die CGZP auch am 29.11.2004, 16.06.2006 und 09.07.2008 nicht tariffähig war und sich auf Vertrauensschutz nicht berufen könne. Nichtsdestotrotz hat das BAG seine Feststellungen ganz ausdrücklich und mit besonderer Betonung ohne Vergangenheitsbezug getroffen (a.a.O., Rn. 33). Das BAG hat sich dabei an der Antragstellung der die Feststellung begehrenden Parteien orientiert und daraus nach Wortlaut und Begründung einen ausdrücklichen Gegenwartsbezug abgeleitet ("tarifunfähig ist"). Wenn das BAG den Gegenwartsbezug seiner Feststellung jedoch explizit hervorhebt, ist daraus zu schließen, dass eine weitreichende, vergangenheitsbezogene Rückwirkung nicht beabsichtigt war. Entsprechend geht auch die vorherrschende Ansicht der Landesarbeitsgerichte davon aus, dass der Entscheidung des BAG vom 14.12.2010 keine Rückwirkung zukommt ("ex tunc"), sondern die fehlende Tariffähigkeit der CGZP lediglich rein gegenwartsbezogen festgestellt worden ist (LAG Rheinland – Pfalz, Beschluss v. 15.06.2011, 6 Ta 99/11; LAG Baden – Württemberg, Beschluss v. 21.06.2011, 11 Ta 10/11; LAG Mecklenburg – Vor-pommern, Beschluss v. 15.8.2011, 2 Ta 42/11; Sächsisches LAG, Beschluss v. 05.09.2011, 4 Ta 162/11 und v. 8.9.2011, 4 Ta 149/11; LAG Nürnberg, Beschluss v. 19.09.2011, 2 Ta 128/11; LAG Hamm, Beschluss v. 28.09.2011, 1 Ta 500/11; LAG Köln, Beschluss v. 14.10.2011, 13 Ta 284/11, jeweils zitiert nach juris; differenzierend: LAG Sachsen-Anhalt, Beschluss v. 2.11.2011, 4 Ta 130/11; a.A. LAG Berlin-Brandenburg, Be-schluss vom 20.9.2011, 7 Sa 1318/11; vgl. auch ArbG Bremen-Bremerhaven, Urteil v. 12.5.2011, 5 Ca 5129/10; ArbG Frankfurt/Oder, Beschluss v. 9.6.2011, 3 Ca 422/11; vgl. auch: ArbG Hamburg, Beschluss v. 9.1.2012, S 11 R 1354/11 ER im Anschluss an LAG Berlin-Brandenburg v. 20.9.2011, jeweils zitiert nach juris). Auch aus dem Beschluss des LAG Berlin-Brandenburg vom 09.01.2012 (aaO) folgt für das hiesige ER-Verfahren nichts anderes, denn zum einen steht die höchstrichterliche Klärung aus den ausgesetzten Verfahren noch aus. Zum anderen hat sich das LAG gerade nicht zur Frage des auch vorliegend relevanten Vertrauensschutzes zu Gunsten der Arbeitgeber geäußert, die in Einzelrechtsstreitigkeiten über bestehende Nachforderungen zu klären sei (Rn 186). Es hat lediglich ausgeführt, warum kein Vertrauensschutz in die Tariffähigkeit der CGZP bestand (Rn 176ff). Damit bleibt es dabei, dass für den hier maßgeblichen Prüfzeitraum nicht höchstrichterlich abschließend festgestellt wurde, dass die CGZP tarifunfähig ist und die von ihr abgeschlossenen Tarifverträge unwirksam sind, so dass zumindest gegenwärtig die Rechtmäßigkeit für die Vergangenheit wirkender "Equal-Pay-Ansprüche" der beschäftigten Leiharbeitnehmer und daran gekoppelter sozialversicherungsrechtlicher Beitragsnachforderungen noch nicht hinreichend feststeht. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass sich das BAG im Falle eines auch die rückwirkenden Zeiträume erfassenden Antragsverfahrens nicht nur mit der Tariffähigkeit der CGZP auseinandersetzen muss, sondern insbesondere auch mit der Frage der Rückwirkung seiner Rechtsprechung, die es ganz offensichtlich sensibel behandelt.

2. Unabhängig davon ist die Frage der Tariffähigkeit oder –unfähigkeit nach Auffassung der erkennenden Kammer auch nicht automatisch gleichzusetzen mit der Rechtmäßigkeit der Beitragsnachforderung im Sozialversicherungsrecht. Vielmehr geht die erkennende Kammer nach summarischen Maßstäben davon aus, dass sich die Antragsgegnerin gegenüber der Forderung jedenfalls auf Vertrauensschutz berufen kann. Die Kammer schließt sich auch insoweit den Beschlüssen des SG Duisburg vom 18.01.2012 – S 21 R 1564/11 ER, juris und SG Köln vom 15.02.2012 – S 7 R 1921/11 ER an und verweist auf die dortigen Ausführungen.

Zur Frage der Rückwirkung (gesetzesgleicher) höchstrichterlicher Entscheidungen im Beitragsrecht hat das Bundessozialgericht bereits in der grundlegenden Entscheidung vom 18.11.1980 (12 RK 59/79, zitiert nach juris) klargestellt, dass eine nachträgliche Forderung von noch nicht verjährten Beiträgen nach Treu und Glauben ausgeschlossen sein kann (vgl. auch LSG NRW, Urteil v. 28.01.2003, L 5 KR 197/01, zitiert nach juris). Die Vorschrift in § 242 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB), wonach ein Schuldner die Leistung nur so zu erbringen braucht, wie Treu und Glauben es erfordern, enthalte einen allgemeinen Rechtsgrundsatz, der auch im öffentlichen Recht und damit auch im Beitragsrecht der Sozialversicherung gelte (vgl. BSGE 17,173, 175 f.; 21, 52, 55; 47, 194, 196; s. SG Duisburg aaO). Es ist nicht auszuschließen, dass hier in der Rechtsprechung des BAG eine Änderung eingetreten ist, die bei Annahme einer Rückwirkung zu Lasten der beitragspflichtigen Arbeitgeber hier praktisch wie eine Änderung des Rechts wirkt (s. hierzu ausführlich SG Duisburg aaO). Eine Rechtsänderung würde aber einem - sogar verfassungsrechtlichen - Rückwirkungsverbot unterliegen (BVerfGE 19, 187,195; 22, 330, 347; 30, 272, 285, je-weils m.w.N). Da dieses Rückwirkungsverbot ebenfalls aus dem Gedanken des Vertrau-ensschutzes entwickelt worden ist, erscheint es nur folgerichtig, den Betroffenen im Falle einer sie belastenden Änderung einer höchstrichterlichen Rechtsprechung den gleichen Vertrauensschutz zuzubilligen wie bei einer entsprechenden Rechtsänderung, insbesondere wenn es sich um die Anwendung der geänderten Rechtsprechung auf Sachverhalte handelt, die abgeschlossen in der Vergangenheit liegen. Dies bedeutet, dass ihnen bis zur Bekanntgabe der Rechtsprechung bzw. Information hierüber von der zuständigen Verwaltungsstelle Vertrauensschutz zuzubilligen ist (vgl. BAG, Urteil v. 18.11.1980, a.a.O.). Insoweit bleibt allerdings abzuwarten, inwieweit sich das BAG den diesbezüglich abweichenden Erwägungen des LAG Berlin-Brandenburg in der Entscheidung vom 09.01.2012, das gerade nicht von einer Rechtsprechungsänderung ausgeht (juris Rn 182ff) anschließt oder nicht. Hinsichtlich eines Vertrauensschutzes der Antragstellerin ist jedoch desweiteren zu be-rücksichtigen, dass die Anwendung der von der CGZP geschlossenen Tarifverträge bis zur höchstrichterlichen Rechtsprechung von staatlichen Stellen zumindest geduldet und zum Teil auch ausdrücklich empfohlen und von der Deutschen Rentenversicherung entsprechend bisher nicht moniert wurde.

Vor allem aber gibt es mit dem Bescheid vom 08.06.2009 für den Zeitraum 01.01.2005 bis 31.12.2008 einen bestandskräftigen Verwaltungsakt über ein Betriebsprüfung, der zu keinen Beanstandungen geführt hat. Es mag sein, dass sich dieser Verwaltungsakt bei Feststellung der Tarifunfähigkeit der CGZP, fehlendem Vertrauensschutz der Arbeitgeber und rückwirkend höherem Entgeltanspruch und daraus resultierender Beitragsnachzahlungspflicht als anfänglich rechtswidrig begünstigend erweist. Dann darf er aber nur unter den Voraussetzungen des § 45 SGB X zurückgenommen werden (Bayerisches LSG , Urteil vom 18. 01.2011 – L 5 R 752/08, juris, SG Dortmund, Beschluss vom 23.01.2012 – S 25 R 1507/11 ER, juris Rn 19ff mwN). D.h., die Antragsgegnerin müsste Vertrauensschutz nach § 45 Abs 1 SGB X prüfen und Ermessen ausüben. Dies hat sie im angegriffenen Bescheid vom 13.02.2012 nicht getan. Darüber hinaus stehen die Folgen einer zu raschen Ermöglichung der sozialversiche-rungsrechtlichen Vollstreckung für die Vergangenheit vor einer gesetzlich ausdrücklich für vorgreiflich befundenen fachgerichtlichen letztinstanzlichen Klärung in keinem Verhältnis zu den daraus resultierenden wirtschaftlichen Belastungen der Antragstellerin mit insgesamt EUR 29.732,54. Sie liegt auch nicht im Interesse der Antragsgegnerin bzw. der Einzugsstellen, auf die insoweit ein unverhältnismäßiger, weil ggf. rückgängig zu machender Aufwand zukäme. Es ist auf der anderen Seite nicht ersichtlich, dass die Durchsetzbarkeit der Beitragsforderung bei positivem Ausgang des Verfahrens für die Antragsgegnerin gefährdet wäre.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 1 Verwal-tungsgerichtsordnung (VwGO) und entspricht dem Ausgang des Verfahrens.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs 3 Gerichtskostengesetz (GKG). Der Betrag war im Hinblick auf den vorläufigen Charakter der Entscheidung auf 7.433,14 EUR festzusetzen (25% der streitgegenständlichen Forderung in Höhe von EUR 29.732,54).
Rechtskraft
Aus
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