Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Karlsruhe (BWB)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
14
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 14 R 5744/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Die Erwerbsminderungsrente ist auch dann bei Inanspruchnahme vor Vollendung des 60. Lebensjahres nach § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB VI zu kürzen, wenn der Versicherte zum Zeitpunkt der Vollendung des 60. Lebensjahres Anspruch auf eine abschlagsfreie Altersrente für schwerbehinderte Menschen nach § 236a SGB VI hat.
Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Im Streit steht eine Kürzung der Erwerbsminderungsrente des Klägers wegen Inanspruchnahme vor dem 63. Lebensjahr.
Die Beklagte bewilligte dem am ... geborenen Kläger mit Bescheid vom 22.3.2006 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung ab 1.3.2005. In der Anlage 6 legte die Beklagte einen Zugangsfaktor von 0,892 zugrunde und führte aus, der ursprüngliche Zugangsfaktor von 1,0 vermindere sich für jeden Kalendermonat nach dem 30.11.2006 bis zum Ablauf des Kalendermonats der Vollendung des 63. Lebensjahres um 0,003, im Falle des Klägers bei einer Verminderung für 36 Kalendermonate um 0,108.
Hiergegen legte der Kläger am 24.4.2006 Widerspruch ein. Mit der Kürzung des Zugangsfaktors, die zu einem Absinken der Rente von 1.111,01 EUR auf 991,02 EUR führe, sei er nicht einverstanden. Die Kürzung des Zugangsfaktors bei seiner Erwerbsminderungsrente sei nicht nach § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB VI zulässig, weil gemäß § 77 Abs. 2 Satz 3 SGB VI die Zeit des Bezugs einer Rente vor Vollendung des 60. Lebensjahres des Versicherten nicht als Zeit einer vorzeitigen Inanspruchnahme gelte und nach § 77 Abs. 2 Satz 2 SGB VI die Vollendung des 60. Lebensjahres für die Bestimmung des Zugangsfaktors maßgebend sei, wenn die Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vor Vollendung des 60. Lebensjahres beginne. Das Bundessozialgericht habe im Urteil vom 16.5.2006 (B 4 RA 22/05 R) entschieden, dass die Praxis der Beklagten, bei einem Recht auf Rente wegen Erwerbsminderung, das bereits vor Vollendung des 60. Lebensjahres entstanden sei, auch für Bezugszeiten vor Vollendung des 60. Lebensjahres durch Bestimmung eines niedrigeren Zugangsfaktors einen Teil der vom Rentner für die Rentenversicherung erbrachten Vorleistung unbeachtet zu lassen, gesetzes- und verfassungswidrig ist. Auch aus den Gesetzesmaterialien zur Reform der Erwerbsminderungsrenten finde sich kein Hinweis dafür, dass vor Vollendung des 60. Lebensjahres des Rechtsinhabers beginnende Renten wegen Erwerbsminderung auch für Bezugszeiten vor Vollendung des 60. Lebensjahres gekürzt werden dürften. Darüber hinaus sei er auch ab 11.4.2000 schwerbehindert und könne daher bereits ab dem 60. Lebensjahr eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen gem. § 236a SGB VI ohne Anhebung der Altersgrenze ab dem 60. Lebensjahr und damit ohne Abschläge beanspruchen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 16.11.2006 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Das Urteil des Vierten Senates des Bundessozialgerichts stehe der Intention des Gesetzes zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit entgegen. Denn parallel zu den Abschlägen bei den Erwerbsminderungsrenten habe der Gesetzgeber zum 1.1.2001 auch eine Verlängerung der Zurechnungszeit eingeführt, die gerade der Abfederung der Abschläge für Erwerbsminderungsrenten diene, die vor dem 60. Lebensjahr in Anspruch genommen würden.
Der Kläger hat am 4.12.2006 Klage erhoben. Er trägt vor, die Kürzung des Zugangsfaktors auf 0,892 sei nicht rechtmäßig. Sie sei durch § 77 Abs. 2 S. 2 und 3 SGB VI ausgeschlossen. Sie entspreche auch nicht dem Gesetzeszweck. Der Gesetzgeber habe mit der Einführung der Abschläge für Erwerbsminderungsrenten verhindern wollen, dass ein Versicherter zur Vermeidung einer Minderung der Altersrente bei vorzeitigen Inanspruchnahme auf (die bis dahin ohne Abschläge bewilligten) Erwerbsminderungsrenten ausweiche. Da er ab dem 1.12.2006 ohnehin eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen ohne Anhebung der Altersgrenze ab dem 60. Lebensjahr in Anspruch nehmen könnte, sei eine solche Ausweichreaktion bei Vollendung des 60. Lebensjahres nicht gegeben. Dies habe die Beklagte in seinem Einzelfall nicht beachtet.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Abänderung des Rentenbescheides vom 22.3.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.11.2006 zu verurteilen, der Berechnung seines Anspruchs auf Rente wegen voller Erwerbsminderung ab 1.3.2005 einen Zugangsfaktor von 1,0 zugrunde zu legen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie weist darauf hin, dass sie dem Kläger mit Bescheid vom 13.2.2007 anstelle der bisherigen Rente für die Zeit ab 1.12.2006 eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen bewilligt habe. Hierbei sei ein Zugangsfaktor von 1,0 zugrunde gelegt worden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte sowie das Vorbringen der Beteiligten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist nicht begründet.
Im Streit steht lediglich die Berechtigung der Beklagten, den Zugangsfaktor für die zum 1.3.2005 beginnende Erwerbsminderungsrente des Klägers von 1,0 auf 0,892 zu kürzen. Die Beklagte kann die Kürzung auf § 77 Abs. 2 Nr. 3 SGB VI stützen. Danach ist der Zugangsfaktor für Entgeltpunkte, die noch nicht Grundlage von persönlichen Entgeltpunkten einer Rente waren, bei Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit für jeden Kalendermonat, für den eine Rente vor Ablauf des Kalendermonats der Vollendung des 63. Lebensjahres in Anspruch genommen wird, um 0,003 niedriger als 1,0. Obwohl der Kläger bei Beginn der Rente 59 Jahre und vier Monate alt und damit mehr als drei Jahre von der Vollendung des 63. Lebensjahres entfernt war, hat die Beklagte zu Recht die Höchstminderung um 36 Monate (mit jeweils 0,003) zugrunde gelegt. Beginnt eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vor Vollendung des 60. Lebensjahres, ist die Vollendung des 60. Lebensjahres für die Bestimmung des Zugangsfaktors maßgebend (§ 77 Abs. 2 Satz 2 SGB VI). Damit wird gewährleistet, dass sich ein Zugangsfaktor von mindestens 0,892 (= 1,0 - 36 Kalendermonate nach der Vollendung des 60. Lebensjahres bis zum Ablauf des Kalendermonats der Vollendung des 63. Lebensjahres x 0,003) und damit ein Rentenabschlag von höchstens 10,8 v.H. ergibt (vgl. Eicher/Haase/Rauschenbach, Die Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten, Stand Mai 2005, Anm. 3 zu § 77 SGB VI).
Der Rechtsprechung des 4. Senats des Bundessozialgericht (BSG) im Urteil vom 16.5.2006 (B 4 RA 22/05 R = BSG 96, 209), wonach bei einer Rente wegen Erwerbsminderung für Rentenbezugszeiten vor Vollendung des 60. Lebensjahres eine Minderung des Zugangsfaktors nicht erfolgt, schließt sich die Kammer nicht an. Abweichend vom zitierten Urteil legt die Kammer § 77 Abs. 2 Satz 2 SGB VI nicht dahingehend aus, dass die Vorschrift den frühesten Beginn der Vorzeitigkeit festlege, also ab wann die Minderungsregel anzuwenden sei. Vielmehr regelt die Vorschrift lediglich, dass die Verringerung des Zugangsfaktors auf drei Jahre bzw. 10,8% begrenzt wird (vgl. Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 29.3.2007 -L 2 RA 342/06).
Auch die in der zitierten Rechtsprechung des 4. Senates des Bundessozialgerichts, von der der sachlich zuständige 5. Senat des Bundessozialgerichts offensichtlich abrücken will (vgl. die Medieninformation Nr. 6/08 des Bundessozialgerichts über die Anfrage des 5a. Senates beim 13. Senat, ob diese an der vom 4. Senat entwickelten Rechtsprechung festhalte) zu § 77 Abs. 2 Satz 3 SGB VI entwickelte Auffassung hält die Kammer nicht für zwingend. Nach dieser Vorschrift gilt die Zeit des Bezugs einer Rente vor Vollendung des 60. Lebensjahres des Versicherten nicht als Zeit einer vorzeitigen Inanspruchnahme. Dies schließt aber eine Rentenkürzung nicht aus. Vielmehr hängt die Vorschrift mit § 77 Abs. 3 Satz 1 SGB VI zusammen, wonach für Entgeltpunkte, die bei einer früheren Rentenberechnung berücksichtigt worden sind, der bereits ermittelte Zugangsfaktor zu übernehmen ist. Zugunsten der Versicherten ordnet § 77 Abs. 2 Satz 3 SGB VI an, dass Renten, die vor dem 60. Lebensjahr bezogen und wieder weggefallen sind, von der Regelung des § 77 Abs. 3 Satz 1 SGB VI ausgenommen sind. Wenn ein Versicherter in jungen Jahren eine oder mehrere Renten wegen Erwerbsminderung bezogen hat und danach wieder erwerbsfähig geworden ist, gelten diese Renten damit als nicht bereits bezogen mit der Folge, dass bei einer späteren Rente wegen Erwerbsminderung, einer Erziehungsrente, einer Altersrente oder einer Rente wegen Todes zugunsten des Versicherten für die Entgeltpunkte, die der früheren Rentenberechnung zugrunde lagen, nicht nach § 77 Abs. 3 Satz 1 SGB VI der verminderte Zugangsfaktor der früheren Rente zugrunde zu legen ist, sondern der Zugangsfaktor für die Entgeltpunkte nach § 77 Abs. 2 SGB VI neu zu bestimmen ist (vgl. das zitierte Urteil des LSG Hessen).
Ein Verzicht auf die Kürzung des Zugangsfaktor unter Außerachtlassung des § 77 Abs. 2 Nr. 3 SGB VI, der für die Benennung des Zugangsfaktors für die Inanspruchnahme von Erwerbsminderungsrenten vor Vollendung des 63. Lebensjahres keine Unterscheidung zwischen Inanspruchnahme vor oder nach dem 60. Lebensjahr macht, ist auch nicht unter Berücksichtigung des Vortrag des Klägers zwingend, dass der vom Gesetzgeber mit der Kürzung verfolgte Zweck, nämlich ein Ausweichen der Versicherten von der vorzeitigen Altersrente auf Erwerbsminderungsrente zu verhindern, bei ihm nicht einschlägig sei. Dies ist zwar inhaltlich richtig, berechtigt das Gericht indes nicht zu einem Abweichen vom klaren Wortlaut der Vorschrift. Denn eine Vorschrift wird nicht deswegen unanwendbar, weil der vom Gesetzgeber mit ihr bezweckte Erfolg nicht erreicht wird.
Der Kläger kann auch nicht mit Erfolg verlangen, dass die Kürzung des Zugangsfaktors nach § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB VI deswegen unterbleibt, weil § 77 Abs. 2 Satz 2 und 3 SGB VI im Hinblick auf den von ihm zitierten Gesetzeszweck auf ein bestimmte Weise auszulegen seien. Denn diese Vorschriften betreffen die Kürzung selbst nicht, sondern regeln lediglich die Berechnung des Zugangsfaktors (§ 77 Abs. 2 Satz 2 SGB VI) bzw. bewirken eine gesetzliche Funktion zugunsten des Versicherten (§ 77 Abs. 2 Satz 3 SGB VI). Sie werden vom 4. Senat des BSG nur als Argument bei der systematischen Auslegung des § 77 Abs. 2 Satz 1 SGB VI herangezogen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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Tatbestand:
Im Streit steht eine Kürzung der Erwerbsminderungsrente des Klägers wegen Inanspruchnahme vor dem 63. Lebensjahr.
Die Beklagte bewilligte dem am ... geborenen Kläger mit Bescheid vom 22.3.2006 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung ab 1.3.2005. In der Anlage 6 legte die Beklagte einen Zugangsfaktor von 0,892 zugrunde und führte aus, der ursprüngliche Zugangsfaktor von 1,0 vermindere sich für jeden Kalendermonat nach dem 30.11.2006 bis zum Ablauf des Kalendermonats der Vollendung des 63. Lebensjahres um 0,003, im Falle des Klägers bei einer Verminderung für 36 Kalendermonate um 0,108.
Hiergegen legte der Kläger am 24.4.2006 Widerspruch ein. Mit der Kürzung des Zugangsfaktors, die zu einem Absinken der Rente von 1.111,01 EUR auf 991,02 EUR führe, sei er nicht einverstanden. Die Kürzung des Zugangsfaktors bei seiner Erwerbsminderungsrente sei nicht nach § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB VI zulässig, weil gemäß § 77 Abs. 2 Satz 3 SGB VI die Zeit des Bezugs einer Rente vor Vollendung des 60. Lebensjahres des Versicherten nicht als Zeit einer vorzeitigen Inanspruchnahme gelte und nach § 77 Abs. 2 Satz 2 SGB VI die Vollendung des 60. Lebensjahres für die Bestimmung des Zugangsfaktors maßgebend sei, wenn die Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vor Vollendung des 60. Lebensjahres beginne. Das Bundessozialgericht habe im Urteil vom 16.5.2006 (B 4 RA 22/05 R) entschieden, dass die Praxis der Beklagten, bei einem Recht auf Rente wegen Erwerbsminderung, das bereits vor Vollendung des 60. Lebensjahres entstanden sei, auch für Bezugszeiten vor Vollendung des 60. Lebensjahres durch Bestimmung eines niedrigeren Zugangsfaktors einen Teil der vom Rentner für die Rentenversicherung erbrachten Vorleistung unbeachtet zu lassen, gesetzes- und verfassungswidrig ist. Auch aus den Gesetzesmaterialien zur Reform der Erwerbsminderungsrenten finde sich kein Hinweis dafür, dass vor Vollendung des 60. Lebensjahres des Rechtsinhabers beginnende Renten wegen Erwerbsminderung auch für Bezugszeiten vor Vollendung des 60. Lebensjahres gekürzt werden dürften. Darüber hinaus sei er auch ab 11.4.2000 schwerbehindert und könne daher bereits ab dem 60. Lebensjahr eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen gem. § 236a SGB VI ohne Anhebung der Altersgrenze ab dem 60. Lebensjahr und damit ohne Abschläge beanspruchen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 16.11.2006 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Das Urteil des Vierten Senates des Bundessozialgerichts stehe der Intention des Gesetzes zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit entgegen. Denn parallel zu den Abschlägen bei den Erwerbsminderungsrenten habe der Gesetzgeber zum 1.1.2001 auch eine Verlängerung der Zurechnungszeit eingeführt, die gerade der Abfederung der Abschläge für Erwerbsminderungsrenten diene, die vor dem 60. Lebensjahr in Anspruch genommen würden.
Der Kläger hat am 4.12.2006 Klage erhoben. Er trägt vor, die Kürzung des Zugangsfaktors auf 0,892 sei nicht rechtmäßig. Sie sei durch § 77 Abs. 2 S. 2 und 3 SGB VI ausgeschlossen. Sie entspreche auch nicht dem Gesetzeszweck. Der Gesetzgeber habe mit der Einführung der Abschläge für Erwerbsminderungsrenten verhindern wollen, dass ein Versicherter zur Vermeidung einer Minderung der Altersrente bei vorzeitigen Inanspruchnahme auf (die bis dahin ohne Abschläge bewilligten) Erwerbsminderungsrenten ausweiche. Da er ab dem 1.12.2006 ohnehin eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen ohne Anhebung der Altersgrenze ab dem 60. Lebensjahr in Anspruch nehmen könnte, sei eine solche Ausweichreaktion bei Vollendung des 60. Lebensjahres nicht gegeben. Dies habe die Beklagte in seinem Einzelfall nicht beachtet.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Abänderung des Rentenbescheides vom 22.3.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.11.2006 zu verurteilen, der Berechnung seines Anspruchs auf Rente wegen voller Erwerbsminderung ab 1.3.2005 einen Zugangsfaktor von 1,0 zugrunde zu legen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie weist darauf hin, dass sie dem Kläger mit Bescheid vom 13.2.2007 anstelle der bisherigen Rente für die Zeit ab 1.12.2006 eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen bewilligt habe. Hierbei sei ein Zugangsfaktor von 1,0 zugrunde gelegt worden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte sowie das Vorbringen der Beteiligten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist nicht begründet.
Im Streit steht lediglich die Berechtigung der Beklagten, den Zugangsfaktor für die zum 1.3.2005 beginnende Erwerbsminderungsrente des Klägers von 1,0 auf 0,892 zu kürzen. Die Beklagte kann die Kürzung auf § 77 Abs. 2 Nr. 3 SGB VI stützen. Danach ist der Zugangsfaktor für Entgeltpunkte, die noch nicht Grundlage von persönlichen Entgeltpunkten einer Rente waren, bei Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit für jeden Kalendermonat, für den eine Rente vor Ablauf des Kalendermonats der Vollendung des 63. Lebensjahres in Anspruch genommen wird, um 0,003 niedriger als 1,0. Obwohl der Kläger bei Beginn der Rente 59 Jahre und vier Monate alt und damit mehr als drei Jahre von der Vollendung des 63. Lebensjahres entfernt war, hat die Beklagte zu Recht die Höchstminderung um 36 Monate (mit jeweils 0,003) zugrunde gelegt. Beginnt eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vor Vollendung des 60. Lebensjahres, ist die Vollendung des 60. Lebensjahres für die Bestimmung des Zugangsfaktors maßgebend (§ 77 Abs. 2 Satz 2 SGB VI). Damit wird gewährleistet, dass sich ein Zugangsfaktor von mindestens 0,892 (= 1,0 - 36 Kalendermonate nach der Vollendung des 60. Lebensjahres bis zum Ablauf des Kalendermonats der Vollendung des 63. Lebensjahres x 0,003) und damit ein Rentenabschlag von höchstens 10,8 v.H. ergibt (vgl. Eicher/Haase/Rauschenbach, Die Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten, Stand Mai 2005, Anm. 3 zu § 77 SGB VI).
Der Rechtsprechung des 4. Senats des Bundessozialgericht (BSG) im Urteil vom 16.5.2006 (B 4 RA 22/05 R = BSG 96, 209), wonach bei einer Rente wegen Erwerbsminderung für Rentenbezugszeiten vor Vollendung des 60. Lebensjahres eine Minderung des Zugangsfaktors nicht erfolgt, schließt sich die Kammer nicht an. Abweichend vom zitierten Urteil legt die Kammer § 77 Abs. 2 Satz 2 SGB VI nicht dahingehend aus, dass die Vorschrift den frühesten Beginn der Vorzeitigkeit festlege, also ab wann die Minderungsregel anzuwenden sei. Vielmehr regelt die Vorschrift lediglich, dass die Verringerung des Zugangsfaktors auf drei Jahre bzw. 10,8% begrenzt wird (vgl. Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 29.3.2007 -L 2 RA 342/06).
Auch die in der zitierten Rechtsprechung des 4. Senates des Bundessozialgerichts, von der der sachlich zuständige 5. Senat des Bundessozialgerichts offensichtlich abrücken will (vgl. die Medieninformation Nr. 6/08 des Bundessozialgerichts über die Anfrage des 5a. Senates beim 13. Senat, ob diese an der vom 4. Senat entwickelten Rechtsprechung festhalte) zu § 77 Abs. 2 Satz 3 SGB VI entwickelte Auffassung hält die Kammer nicht für zwingend. Nach dieser Vorschrift gilt die Zeit des Bezugs einer Rente vor Vollendung des 60. Lebensjahres des Versicherten nicht als Zeit einer vorzeitigen Inanspruchnahme. Dies schließt aber eine Rentenkürzung nicht aus. Vielmehr hängt die Vorschrift mit § 77 Abs. 3 Satz 1 SGB VI zusammen, wonach für Entgeltpunkte, die bei einer früheren Rentenberechnung berücksichtigt worden sind, der bereits ermittelte Zugangsfaktor zu übernehmen ist. Zugunsten der Versicherten ordnet § 77 Abs. 2 Satz 3 SGB VI an, dass Renten, die vor dem 60. Lebensjahr bezogen und wieder weggefallen sind, von der Regelung des § 77 Abs. 3 Satz 1 SGB VI ausgenommen sind. Wenn ein Versicherter in jungen Jahren eine oder mehrere Renten wegen Erwerbsminderung bezogen hat und danach wieder erwerbsfähig geworden ist, gelten diese Renten damit als nicht bereits bezogen mit der Folge, dass bei einer späteren Rente wegen Erwerbsminderung, einer Erziehungsrente, einer Altersrente oder einer Rente wegen Todes zugunsten des Versicherten für die Entgeltpunkte, die der früheren Rentenberechnung zugrunde lagen, nicht nach § 77 Abs. 3 Satz 1 SGB VI der verminderte Zugangsfaktor der früheren Rente zugrunde zu legen ist, sondern der Zugangsfaktor für die Entgeltpunkte nach § 77 Abs. 2 SGB VI neu zu bestimmen ist (vgl. das zitierte Urteil des LSG Hessen).
Ein Verzicht auf die Kürzung des Zugangsfaktor unter Außerachtlassung des § 77 Abs. 2 Nr. 3 SGB VI, der für die Benennung des Zugangsfaktors für die Inanspruchnahme von Erwerbsminderungsrenten vor Vollendung des 63. Lebensjahres keine Unterscheidung zwischen Inanspruchnahme vor oder nach dem 60. Lebensjahr macht, ist auch nicht unter Berücksichtigung des Vortrag des Klägers zwingend, dass der vom Gesetzgeber mit der Kürzung verfolgte Zweck, nämlich ein Ausweichen der Versicherten von der vorzeitigen Altersrente auf Erwerbsminderungsrente zu verhindern, bei ihm nicht einschlägig sei. Dies ist zwar inhaltlich richtig, berechtigt das Gericht indes nicht zu einem Abweichen vom klaren Wortlaut der Vorschrift. Denn eine Vorschrift wird nicht deswegen unanwendbar, weil der vom Gesetzgeber mit ihr bezweckte Erfolg nicht erreicht wird.
Der Kläger kann auch nicht mit Erfolg verlangen, dass die Kürzung des Zugangsfaktors nach § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB VI deswegen unterbleibt, weil § 77 Abs. 2 Satz 2 und 3 SGB VI im Hinblick auf den von ihm zitierten Gesetzeszweck auf ein bestimmte Weise auszulegen seien. Denn diese Vorschriften betreffen die Kürzung selbst nicht, sondern regeln lediglich die Berechnung des Zugangsfaktors (§ 77 Abs. 2 Satz 2 SGB VI) bzw. bewirken eine gesetzliche Funktion zugunsten des Versicherten (§ 77 Abs. 2 Satz 3 SGB VI). Sie werden vom 4. Senat des BSG nur als Argument bei der systematischen Auslegung des § 77 Abs. 2 Satz 1 SGB VI herangezogen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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