S 4 SO 5201/07

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Karlsruhe (BWB)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
4
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 4 SO 5201/07
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Erweiterte Hilfe nach § 19 Abs. 5 SGB XII ist nur in begründeten Fällen nach Ausübung pflichtgemäßen Ermessens zulässig
Tenor: Der Bescheid der Beklagten vom 1. Juni 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28. November 2005 wird aufgehoben. Dem Kläger sind die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen die Heranziehung zu einem Kostenbeitrag (Aufwendungsersatz) für Leistungen bei vollstationärer Pflege durch eine Einrichtung der Evangelischen Heimstiftung.

Der am ... 1938 geborene Kläger, der an einer hirnorganischen Persönlichkeitsveränderung mit wiederkehrenden Affektdurchbrüchen bei Zustand nach Hirnhautentzündung im fünften Lebensjahr und Minderbegabung i. S. einer mittelgradigen geistigen Behinderung leidet, ist seit nunmehr ... Dezember 1995 ununterbrochen stationär untergebracht. Seit ... April 1997 erhält er Leistungen der Sozialhilfe im Rahmen der Hilfe zur Pflege (Kosten der Pflegeheimunterbringung zuzüglich Barbetrag). Die dem Kläger gewährte Sozialhilfe wurde bis zum 31. Dezember 2004 nach den Bestimmungen des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) erbracht. Durch Artikel 68 Abs. 1 Nr. 1 des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 27. Dezember 2003 wurde das BSHG zum 31. Dezember 2004 aufgehoben. Gleichzeitig trat am 1. Januar 2005 das Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) in Kraft.

Mit Bescheid vom 1. Juni 2005 gewährte die Beklagte dem Kläger aufgrund der Gesetzesänderung zum 1. Januar 2005 für die Zeit ab dem 1. Juli 2005 Hilfe zur Pflege i. S. erweiterter Hilfe mit Aufwendungsersatz. Dazu hieß es im Bescheid, die durch die Leistung durch die Pflegeversicherung (SGB XI) nicht gedeckten Restkosten der vollstationären Pflege seien in vollem Umfang als erweiterte Hilfe nach § 19 Abs. 5 SGB XII zu übernehmen. Bei der Bemessung der Hilfe sei folgender monatlicher Bedarf zu berücksichtigen:

tägliches Entgelt für Pflege Leistungsstufe II 66,49 EUR tägliches Entgelt für Unterkunft und Verpflegung 22,21 EUR tägliche Investitionsaufwendungen 9,44 EUR ihr Tagessatz im Heim 98,14 EUR x 30,42 Tage = 2.985,42 EUR zuzüglich Barbetrag zur persönlichen Verfügung 128,10 EUR abzüglich Leistung der Pflegekasse in Pflegestufe II 1.279,00 EUR errechneter Gesamtbedarf in Höhe von monatlich 1.834,52 EUR

Dieser Gesamtbedarf umfasse neben der Hilfe zur Pflege auch den in der Einrichtung erbrachten notwendigen Lebensunterhalt. Die Abrechnung erfolge direkt mit der Heimverwaltung. Die Pflegeleistung rechne das Heim direkt mit der Pflegekasse ab. Der Barbetrag zur persönlichen Verfügung werde am monatlichen Kostenbeitrag, den die Ehefrau des Klägers zu leisten habe, abgezogen. Nach den Bestimmungen des SGB XII habe die Ehefrau des Klägers die Aufwendungen insoweit zu ersetzen, als ihr und den anderen in § 19 SGB XII genannten Angehörigen die Aufbringung der Mittel aus eigenem Einkommen und Vermögen zuzumuten sei. Der Betrag, der vorliegend zu ersetzen sei, sei aus den beiliegenden Berechnungen ersichtlich. Er werde mit monatlich 736,86 EUR abzüglich 128,10 EUR Barbetrag = 608,76 EUR festgesetzt. Der monatliche Ersatzbetrag für die Zeit ab dem 1. Juli 2005 in Höhe von 608,76 EUR sei auf das angegebene Konto unter dem angegebenen Buchungszeichen bis spätestens 1. Juli 2005 zu überweisen.

Der Berechnung des Aufwendungsersatzes legte die Beklagte im Einzelnen folgende Daten zugrunde:

zu berücksichtigendes Einkommen: Altersrente der Ehefrau des Klägers 275,16 EUR Altersrente des Klägers 932,55 EUR Versorgungsbezüge des Klägers 209,89 EUR zusammen 1.417,60 EUR

abzusetzende Beiträge gem. § 82 SGB XII (Hausrat/Haftpflichtversicherung) 13,85 EUR verbleibender Betrag 1.403,75 EUR

Die für die Gewährung der Hilfe maßgebende Einkommensgrenze betrage nach § 85 SGB XII

Grundbetrag 690,00 EUR Familienzuschlag für Ehegatten 242,00 EUR Kosten der Unterkunft des zuhause lebenden Ehegatten 285,92 EUR Kosten der Unterkunft des Klägers 317,00 EUR insgesamt 1.534,92 EUR

Das zu berücksichtigende Einkommen liege dementsprechend unter der Einkommensgrenze. Als zu ersetzender Betrag zugemutet werden könne das Einkommen unter der Einkommensgrenze in Höhe von 1.403,75 EUR nach Abzug desjenigen Einkommens, das für den Grundsicherungsbedarf des Klägers (593,- EUR) und den Grundsicherungsbedarf der Ehefrau des Klägers (690,92 EUR) vorrangig einzusetzen sei (also 1.223,92 EUR). Der monatliche Ersetzungsbetrag mache danach 179,83 EUR aus. Dabei seien von dem errechneten Bedarf und den persönlichen Verhältnissen noch 20% freizulassen seien, also monatlich ein Betrag von 35,97 EUR. Der Einkommenseinsatz unter der Einkommensgrenze betrage somit 143,86 EUR. Zusätzlich sei der durch Einkommen bereits gedeckte Lebensunterhalt/Grundsicherungsbedarf des Klägers als Heimbewohner in einer Einrichtung als Aufwendungsersatz i. S. von § 19 Abs. 5 SGB XII an den Hilfeträger in Höhe von 593,- EUR zu ersetzen. Insgesamt zugemutet werden könne also als Kostenbeitrag und Aufwendungsersatz ein Betrag von 736,86 EUR.

Den dagegen am 29. Juni 2005 erhobenen Widerspruch begründete der Kläger unter Hinweis darauf, die seiner Ehefrau verbleibenden Einkünfte nach Abzug der von ihr monatlich zu bestreitenden Kosten zur Bestreitung ihres täglichen Lebensunterhalts reichten nicht mehr aus. Unter dem 23. August 2005 übersandte der Kläger darüber hinaus eine Kostenaufstellung und legte Nachweise über die aktuelle Rentenhöhe der von ihm und der von seiner Ehefrau bezogenen Rente bei.

Daraufhin entschied die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 28. November 2005, dem Widerspruch werde teilweise abgeholfen. Der ab 1. Juli 2005 zu leistende Aufwendungsersatz werde auf monatlich 653,27 EUR (nach Verrechnung mit dem Barbetrag von 128,10 EUR verbleibe ein monatlicher Zahlbetrag von 525,17 EUR) festgesetzt. Im Übrigen werde der Widerspruch als unbegründet zurückgewiesen. Zur Begründung hieß es, dem Kläger werde seit 1. Januar 2005 gemäß § 19 Abs. 5 SGB XII erweiterte Sozialhilfe geleistet und die durch die Pflegeversicherungsleistungen nicht gedeckten Heimkosten in vollem Umfang an die Evangelische Heimstiftung ... ausgezahlt. Die Sozialhilfeaufwendungen machten monatlich durchschnittlich 1.706,42 EUR aus (monatlich 2.985,42 EUR abzüglich Leistungen der Pflegekasse mit 1.279,- EUR bei einem täglichen Vergütungssatz der Pflegestufe II von derzeit 89,14 EUR). Hinzu komme ein nach § 35 Abs. 1 und 3 iVm § 133a SGB XII zu errechnender Barbetragsanspruch in Höhe von 128,10 EUR). Durch diese Leistungen sei sowohl der Lebensunterhalt als auch die Pflege des Klägers in der Evangelischen Heimstiftung ... bedarfsdeckend sichergestellt. Gemäß § 19 Abs. 5 SGB XII habe der Kläger die Aufwendungen zu ersetzen, soweit ihm und seiner Ehefrau die Aufbringung der Mittel aus Einkommen nach § 19 Abs. 1 SGB XII möglich und nach § 19 Abs. 3 SGB XII zuzumuten sei. Für den Bedarf des Lebensunterhalts sei nach § 19 Abs. 1 SGB XII das anrechenbare Einkommen (§ 82 SGB XII) des Leistungsberechtigten und seines nicht getrennt lebenden Ehegatten in vollem Umfang einzusetzen. Dabei entspreche der notwendige Lebensunterhalt in Einrichtungen nach § 35 Abs. 1 Satz 2 SGB XII dem Umfang der Leistungen der Grundsicherung nach § 42 Satz 1 Nr. 1 bis 3 SGB XII und errechne sich wie folgt:

maßgebender Regelsatz für den Kläger 276,00 EUR zuzüglich: Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe der Durchschnittlich angemessenen tatsächlichen Aufwendungen für die Warmmiete eines Ein-Personen- Haushaltes im Bereich der Landeshauptstadt Stuttgart 317,00 EUR

Es errechne sich somit ein notwendiger Lebensunterhalt in Einrichtungen von monatlich 593,- EUR, der aus dem, dem Kläger und seiner Ehefrau ab dem 1. Juli 2005 zur Verfügung stehenden anrechenbaren monatlichen Einkommen nach § 82 SGB XII getragen werden könne (Versorgungsbezüge des Klägers 212,- EUR, Altersrente des Klägers 927,- EUR, Altersrente der Ehefrau des Klägers 273,79 EUR = insgesamt 1.413,72 EUR abzüglich Hausrat- und Haftpflichtversicherung von 13,85 EUR = anrechenbares monatliches Einkommen in Höhe von 1.399,87 EUR).

Nach § 19 Abs. 5 i. V. m. § 19 Abs. 1 SGB XII sei danach für den notwendigen Lebensunterhalt in Einrichtungen ein Aufwendungsersatz von 593,- EUR zu fordern. Wegen der gleichzeitig gewährten Hilfe zur Pflege errechne sich laut anliegendem Berechnungsblatt, das Bestandteil des Widerspruchsbescheides sei, ein zu fordernder Aufwendungsersatz nach § 19 Abs. 3 i. V. m. § 85, 87 SGB XII aus dem Einkommen unter der Einkommensgrenze mit monatlich 60,27 EUR. Der zu leistende Aufwendungsersatz nach § 19 Abs. 5 SGB XII werde deshalb ab dem 1. Juli 2005 insgesamt wie folgt festgesetzt: Aufwendungsersatz für den notwendigen Lebensunterhalt in Einrichtungen 593,- EUR zuzüglich Aufwendungsersatz wegen der Gewährung von Hilfe zur Pflegeeinrichtung von monatlich 60,27 EUR, insgesamt monatlich also 652,27 EUR. Nach Verrechnung mit dem zustehenden Barbetrag in Höhe von monatlich 128,10 EUR ergebe sich ein aus dem Einkommen des Klägers und seiner Ehefrau zu zahlender Aufwendungsersatz in Höhe von monatlich 525,17 EUR.

Von der Forderung eines weitergehenden Aufwendungsersatzes nach der neuen Rechtslage für die Zeit vom 1. Januar bis zum 30. Juni 2005 werde abgesehen.

Am 27. Dezember 2005 hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Karlsruhe erhoben.

In der mündlichen Verhandlung vom 14. März 2006 haben die Beteiligten vor dem Sozialgericht folgenden Teil-Vergleich geschlossen:

"1. Die Betreuerin des Klägers (seine Ehefrau) erklärt sich bereit, zunächst die vom Be klagten geforderten 525,17 EUR als Aufwendungsersatz zu leisten. Sie nimmt die Zahlung zum 1. März 2006 auf.

2. Die Leistung vom 1. Juni 2005 bis zum 28. Februar 2006 bleibt vorerst offen.

3. Im Übrigen ruht der Rechtsstreit im Hinblick auf derzeitige Gesetzesinitiativen und anhängige Petitionen."

Am 25. Oktober 2007 hat die Beklagte den Rechtsstreit wieder angerufen.

Die Beteiligten haben im Laufe des weiteren Verfahrens Einvernehmen dahingehend erzielt, im anhängigen Verfahren nur noch für den Zeitraum vom 1. Juni 2005 bis zum 28. Februar 2006 um die verfahrensgegenständlich erweiterte Hilfe mit Aufwendungsersatz zu streiten.

Der Kläger hält die angefochtenen Bescheide auch im Hinblick auf den nur noch streitigen Zeitraum von Juli 2005 bis Februar 2006 für rechtswidrig. Es sei generell zu fragen, ob bei Vorhandensein eines Ehepartners, der über eigene Einkünfte verfüge, geprüft werden dürfe, ob er sich überwiegend selbst unterhalten könne. Dies sei vor Inkrafttreten der Regelung des § 82 Abs. 4 SGB XII abgelehnt worden. Im Übrigen sei die alte Regelung in § 88 Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 SGB XII übernommen worden, so dass folglich nach neuem Recht die gleiche Frage nicht unterschiedlich bei gleichem Wortlaut des § 82 Abs. 4 und des § 88 Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 SGB XII ausgelegt werden könne. Denn die Bedarfsgemeinschaft nach § 19 SGB XII gelte sowohl nach Abs. 1 und 2 für Hilfen zum Lebensunterhalt bzw. Grundsicherung als auch nach Abs. 3 für Hilfen nach dem 5. bis 19. Kapitel. Bei Einbeziehung von Ehegatten mit Einkommen sei weiter zu berücksichtigen, dass das Einkommen des Ehegatten bereits im Rahmen des Heimbewohners nach § 19 Abs. 1 SGB XII wie das Einkommen des Heimbewohners selbst einbezogen werde. Nicht verständlich sei, dass eine unterschiedliche Einschätzung erfolge, wenn der zu Hause verbleibende Ehepartner eigenes Einkommen beziehe. Es vermöge nicht anzugehen, dass der zu Hause bleibende Angehörige in seinem Einkommen auf das Niveau der Hilfe zum Lebensunterhalt gedrückt werde, so dass er ggf. finanziell noch schlechter gestellt sei als der Heimbewohner. Dies werde auch in der Rechtsprechung des Landessozialgerichts Baden-Württemberg (L 2 SO 4175/07 ER-B) so gesehen. § 88 Abs. 4 SGB XII sei entgegen des Beschlusses des Bayerischen Landessozialgerichts vom 28. Juli 2005 (L 11 B 249/05 SO-ER) auch bei erweiterter Grundsicherung anzuwenden.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 1. Juni 2005 in der Gestalt ihres Widerspruchsbescheides vom 28. November 2005 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hält die angefochtenen Bescheide nach wie vor für rechtmäßig. Bei der Berechnung des Aufwendungsersatzes sei jeweils das dem Kläger zustehende Taschengeld (Barbetrag nach § 35 Abs. 2 SGB XII) mit monatlich 128,10 EUR berücksichtigt worden. Entsprechend sei die Aufwendungsersatzforderung reduziert worden, so dass eben nicht die "Kernfamilie" das "Taschengeld" zahlen müsse. § 82 Abs. 4 SGB XII sei mit dem Gesetz zur Änderung des SGB XII und anderer Gesetze vom 2. Dezember 2006 (BGBl. I S. 2670) mit Wirkung ab dem 7. Dezember 2006 aufgehoben worden. Nicht nachvollziehbar sei der Hinweis des Klägers, das Gesetz kenne keine Grundsicherung im Heim. Hierzu werde auf § 42 Abs. 1 Nr. 2 SGB XII und § 35 Abs. 1 Satz 2 SGB XII verwiesen, wonach ausdrücklich Leistungen der Grundsicherung in stationäre Einrichtungen vorgesehen seien. Nach dem in der Zeit vom 1. Juli 2005 bis zum 28. Februar 2006 geltenden Recht sei es dem Kläger zuzumuten gewesen, aus seinem Einkommen (Altersrente und Versorgungsbezüge in Höhe von monatlich 1.139,93 EUR) die Kosten eines Lebensunterhalts in der Einrichtung zu tragen (593,- EUR) und der Beklagten diese Aufwendungen (erweiterte Hilfe nach § 19 Abs. 5 SGB XII) in vollem Umfang zu ersetzen. Wegen der daneben erforderlichen Aufwendungen im Rahmen der Hilfe zur Pflege (Leistungen nach dem 7. Kapitel SGB XII) sei wegen dauerhafter Heimunterbringung eine Heranziehung aus dem (gemeinsamen) Einkommen unter der Einkommensgrenze nach §§ 85 und 88 Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 SGB XII in betracht gekommen. Bei der Prüfung, welcher Betrag zumutbar sei, sei berücksichtigt worden, dass zunächst auch der Lebensunterhalt der Ehefrau des Klägers zu bestreiten sei. Danach sei ein Betrag von monatlich 60,27 EUR gerechtfertigt und als zumutbare Kostenbeteiligung festgesetzt worden. An der sich errechnenden Gesamtforderung (Aufwendungsersatz nach § 19 Abs. 5 SGB XII) mit 653,27 EUR sei der zustehende Barbetrag von 128,18 EUR abgesetzt worden. Eine rückwirkende Anwendung des § 92a SGB XII sei nicht vorgesehen. Die Beklagte könne auch nicht erkennen, dass das neue Recht bei noch nicht entschiedenen Fällen quasi in die Vergangenheit ausstrahlen könne.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der dem Gericht vorliegenden Behördenakten und den Inhalt der Prozessakten (S 4 SO 5286/05 und S 4 SO 5201/07) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet.

Der Bescheid vom 1. Juni 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28. November 2005 ist rechtswidrig. Der Kläger ist hierdurch beschwert (§ 54 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 SGG). Die Beklagte war nach den in den angefochtenen Bescheiden benannten Rechtsgrundlagen nicht berechtigt, von dem Kläger einen Kostenbeitrag für die für den Zeitraum 1. Juni 2005 – 28. Februar 2006 bewilligten Leistungen zu fordern.

Die Forderung eines Kostenbeitrags findet keine Rechtsgrundlage in § 19 Abs. 5 SGB XII, der die so genannte "erweiterte Hilfe" regelt. Danach haben der Leistungsberechtigte und die sonstigen nach § 19 Abs. 1 bis 3 SGB XII zum Einsatz von Einkommen oder Vermögen verpflichteten Personen dem Sozialhilfeträger dessen Aufwendungen zu erstatten, wenn rechtmäßig Leistungen erbracht worden sind, obwohl diesen Personen die Aufbringung der Mittel aus dem Einkommen oder Vermögen möglich und zuzumuten ist. Damit wird es dem Sozialhilfeträger ermöglicht, Leistungen auch dann zu erbringen, wenn eigentlich infolge einzusetzenden Einkommens und Vermögens kein Anspruch besteht. Um den Grundsatz des Nachrangs der Sozialhilfe dennoch zu wahren, gibt § 19 Abs. 5 SGB XII dem Sozialhilfeträger in diesen Fällen einen Aufwendungsersatzanspruch.

Der Aufwendungsersatzanspruch setzt jedoch voraus, dass die Leistungen zu Recht als erweiterte Hilfe gewährt worden sind (vgl. Seidel, in: Oestreicher u.a., SGB II/SGB XII, § 19 SGB XII Rn. 60). Zwar formuliert § 19 Abs. 5 SGB XII als Anspruchsvoraussetzung nur, dass Leistungen trotz bestehender Selbsthilfemöglichkeit erbracht worden sind. Aus einem rechtswidrigen Handeln können jedoch keine Ansprüche des Sozialhilfeträgers entstehen.

Nach der Vorgängerregelung in § 29 BSHG war erweiterte Hilfe nur rechtmäßig, wenn ein begründeter Fall für eine derartige Vorleistung vorlag. Eine solche tatbestandliche Voraussetzung enthält § 19 Abs. 5 SGB XII nicht mehr. Das Fehlen einer entsprechenden Einschränkung der Zulässigkeit erweiterter Hilfe im SGB XII kann jedoch nicht dazu führen, dass Leistungen nunmehr beliebig auch dann erbracht werden dürfen, wenn nach den Vorschriften über den Einsatz von Einkommen und Vermögen kein Anspruch auf sie besteht. Vielmehr ist die erweiterte Hilfe auch weiterhin nur in begründeten Fällen und nach der Ausübung pflichtgemäßen Ermessens zulässig (so Neumann, in Hauck/Noftz, SGB XII, Kommentar, Loseblatt 2007, § 19 Rn. 54-56 m. w. N.; Schoch, in: LPK-SGB XII, § 19 Rn. 80; Hohm, in: Schellhorn/Schellhorn/Hohm SGB XII, § 19 Rn. 42; nach Seidel, in: Oestreicher u.a., SGB II/SGB XII, § 19 SGB XII Rn. 64 sind entsprechende Erwägungen im Rahmen des Ermessens bezüglich der Gewährung erweiterter Hilfe anzustellen, ebenso Grieger, in Rothkegel, Sozialhilferecht, Kapitel 30 Rn. 11 ff.). Dies ergibt sich bereits daraus, dass der Gesetzgeber ausweislich der Begründung zu § 19 Abs. 5 SGB XII, (der damals allerdings noch als Abs. 4 vorgeschlagen war) den bisherigen § 29 BSHG inhaltsgleich übertragen wollte (Bundestags-Drucksache 15/1514, S. 57). Das Erfordernis eines begründeten Falls ergibt sich ferner aus folgenden Überlegungen: Erweiterte Hilfe führt dazu, dass der Nachranggrundsatz der Sozialhilfe zunächst nicht eingehalten wird und Leistungen gewährt werden, obwohl eigentlich kein Anspruch besteht. Außerdem bedeutet sie für den Leistungsberechtigten nicht lediglich eine Vergünstigung, da er zwar Leistungen erhält, im Gegenzug aber einem Aufwendungsersatzanspruch ausgesetzt ist (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 8. August 1991, Az: 6 S 964/91, JURIS). Hierdurch wird seine finanzielle Dispositionsfreiheit eingeschränkt. Der Bruch mit dem Nachranggrundsatz und die Belastung des Leistungsberechtigten mit einem Aufwendungsersatzanspruch lassen sich jedoch nur durch das Vorliegen besonderer Gründe rechtfertigen. Solche Gründe sind insbesondere dann gegeben, wenn in einer gegenwärtigen Notlage die notwendige sofortige Bedarfsdeckung ohne die Gewährung erweiterter Hilfe an der Kostenfrage zu scheitern droht. In diesen Fällen erfordert der Bedarfsdeckungsgrundsatz, der neben dem Nachranggrundsatz ein weiteres Strukturprinzip der Sozialhilfe darstellt, eine sofortige, vollumfängliche Hilfeleistung in voller Höhe durch den Sozialhilfeträger (vgl. Grieger, in Rothkegel, Sozialhilferecht, Kapitel 30 Rn. 3, 12; Schoch, in: LPK-SGB XII, § 19 Rn. 80). Hingegen kann die erweiterte Hilfe keine Generalermächtigung an den Leistungsträger sein, Leistungen trotz vorhandener eigener Mittel und damit sehenden Auges rechtswidrig zu gewähren. Vor diesem Hintergrund darf erweiterte Hilfe nicht lediglich zum Zweck der Erleichterung des Verwaltungsverfahrens gewährt werden; der Sozialhilfeträger darf weder von seiner Pflicht zur genauen Prüfung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse noch von den strengen Anforderungen an die Rücknahme rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakte nach § 45 SGB X entbunden werden (vgl. Neumann, in: Hauck/Noftz, SGB XII, § 19 Rn. 57; Schoch, in: LPK-SGB XII, § 19 Rn. 82).

Ein begründeter Fall im oben genannten Sinne liegt insbesondere dann vor, wenn einerseits sofortige Hilfe geboten ist, andererseits ohne eine volle Kostenübernahme des Sozialhilfeträgers die sofortige Leistungsgewährung gefährdet wäre. In Rechtsprechung und Literatur haben sich dabei folgende Fallgruppen herausgebildet (vgl. nur Grieger, in Rothkegel, Sozialhilferecht, Kapitel 30 Rn. 13 ff.; Schoch, in: LPK-SGB XII, § 19 Rn. 81; Bundesverwaltungsgericht - BVerwG -, Urteil vom 4. Juni 1992, 5 C 25/87, FEVS 43, S. 324; Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Urteil vom 8. August 1991, 6 S 964/91, JURIS):

- Ein zur Leistung verpflichteter Dritter (z.B. die unterhaltspflichtigen Eltern eines Minderjährigen) verweigert die erforderliche Leistung. - Ein Krankenhaus- oder Heimträger weigert sich, Leistungen an den Hilfebedürftigen ohne volle Kostenübernahme durch den Sozialhilfeträger zu erbringen. - Die Einkommens- und Vermögensverhältnisse sind ungeklärt und es kann dem Leistungsberechtigten nicht zugemutet werden, bis zum Abschluss der Ermittlungen auf die Leistung zu verzichten.

Hingegen liegt kein begründeter Fall vor, wenn die Leistungsvoraussetzungen geklärt sind und ausreichend Informationen über vorhandenes Einkommen und Vermögen vorliegen. Hohe Arbeitsbelastung und die Möglichkeit, die Prüfung, ob ein Anspruch tatsächlich besteht, hinaus zu schieben, rechtfertigen ebenso wenig die Gewährung erweiterter Hilfe wie der Wunsch des Sozialhilfeträgers, sich vorsorglich die Möglichkeit eines Aufwendungsersatzes offen zu halten.

Gemessen an diesen Maßstäben, vermag das Gericht vorliegend keinen begründeten Fall für die Gewährung der Leistungen an den Kläger in Form der erweiterten Hilfe nach § 19 Abs. 5 SGB XII zu erkennen. Ein Fall der Verweigerung der Leistungserbringung durch Dritte liegt erkennbar nicht vor. Der Beklagten haben auch ausreichend Informationen vorgelegen, um über das Bestehen eines Leistungsanspruchs abschließend zu entscheiden.

Vor diesem Hintergrund war ein begründeter Fall für die Gewährung der Leistungen in der Form der erweiterten Hilfe nach § 19 Abs. 5 SGB XII nicht gegeben. Dies hat schon für die erstmalige Bewilligung der Leistungen nach dem SGB XII ab Januar 2005 gegolten, trifft aber erst recht zu für die vorliegend allein noch streitgegenständliche Bewilligung von Juni 2005 bis Februar 2006. Zu diesem Zeitpunkt sind die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Klägers seit vielen Jahren bekannt gewesen, sodass ausreichend Zeit für ergänzende Ermittlungen und eine abschließende Prüfung der Leistungsansprüche des Klägers vor einer Bewilligung der Leistungen vorhanden gewesen war.

Dieses Auslegungsergebnis wird zusätzlich durch die zum 7. Dezember 2006 in Kraft getretene Neuregelung des Gesetzgebers in § 92a SGB XII durch Art. 1 Nr. 15 des Gesetzes vom 2. Dezember 2006 (BGBl. I S. 2670) bestätigt. § 92a Abs. 2 SGB XII bestimmt, dass, wenn - wie hier - eine Person auf voraussichtlich längere Zeit Leistungen in einer stationären Einrichtung bedarf, die Aufbringung der Mittel über die häusliche Ersparnis des Abs. 1 hinaus in angemessenem Umfang verlangt werden soll. Hierzu ergibt sich aus der Gesetzesbegründung (Bundestag-Drucksdache 16/2711 zu Art. 1 Nr. 16) und der dazu bisher ergangenen obergerichtlichen Rechtsprechung (Landessozialgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 15. Oktober 2007, L 2 SO 4175/07 ER-B, JURIS, Rn. 13, zustimmend: Ruschmeier, Kostenbeitragsberechnung bei Einsatzgemeinschaften in der stationären Hilfe nach dem SGB XII - Divergenzen in der Umsetzung des § 92a SGB XII, ZfF, 2008, 265 (266); Lücking, in Hauck/Noftz, SGB XII, Kommentar, Loseblatt, 2008, § 92a Rn. 5), dass mit der Änderung dem Grundsatz der Gleichbehandlung Rechnung getragen wird und damit die sich aus dem bisherigen Recht (§ 82 Abs. 4 SGB XII) ergebende Privilegierung der zu Hause lebenden und überwiegend vom Heimbewohner unterhaltenen (Ehe-)Partner beseitigt worden ist. Welche Beteiligung an den Kosten der Heimunterbringung angemessen ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles. Neben der Dauer der erforderlichen Aufwendungen sind die besonderen Belastungen des Leistungsberechtigten und nach Abs. 3 der Vorschrift auch die bisherige Lebenssituation des im Haushalt verbliebenen (Ehe-)Partners sowie der im Haushalt lebenden unverheirateten Kinder zu berücksichtigen; insoweit handelt es sich im Verhältnis zu § 19 Abs. 1 und 2 SGB XII um eine Spezialnorm. Welcher Selbstbehalt dem im Haushalt verbliebenen (Ehe-)Partner zu belassen ist, richtet sich ebenfalls nach den Gegebenheiten des Einzelfalles, wobei dem Betroffenen nach dem Willen des Gesetzgebers (a. a. O.) ein angemessener Betrag oberhalb des sozialhilferechtlich notwendigen Lebensunterhalts verbleiben soll. Bei der Prüfung der Frage des Selbstbehalts des im Haushalt verbliebenen (Ehe-)Partners ist dem Sozialhilfeträger vom Gesetzgeber weiterhin Ermessen eingeräumt worden, was die Träger der Sozialhilfe in die Lage versetzen soll, die frühere Praxis nach dem BSHG fortzuführen (Landessozialgericht Baden-Württemberg, a. a. O.; Bundestags-Drucksache, a. a. O.; Ruschmeier, a. a. O.).

Soweit die Beklagte dagegen einwendet, § 92a SGB XII sei vorliegend nicht einschlägig, weil die Vorschrift erst zum 7. Dezember 2006, also nach Ablauf des vorliegend streitgegenständlichen Leistungszeitraums in Kraft getreten ist, ist dies vom Wortlaut her zutreffend. Der Gesetzgeber hat in der Tat die Norm nicht rückwirkend zum 1. Januar 2005 in Kraft gesetzt. Bis dahin hat aber seit dem 1. Januar 2005 - und damit den hier streitgegenständlichen Zeitraum umfassend - der inhaltsgleiche § 82 Abs. 4 SGB XII gegolten (Gesetz zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 9. Dezember 2004, BGBl. I. S. 3305). Danach haben Hilfeträger von Dritten, deren Partner in einer stationären Einrichtung lebten "die Aufbringung der Mittel für Leistungen nach dem Dritten Kapitel" nur verlangen dürfen, "soweit Aufwendungen für den häuslichen Lebensunterhalt erspart werden" (§ 82 Abs. 4 S. 1 SGB XII a. F.). Darüber hinaus hat in angemessenem Umfang die Aufbringung von Mitteln von Personen verlangt werden sollen, die auf voraussichtlich längere Zeit der Pflege in einer Einrichtung bedürfen (§ 82 Abs. 4 S. 2 Hs. 1 SGB XII a. F.). Ziel auch dieser Regelung ist es gewesen, die bisherige, unter Geltung des Bundessozialhilfegesetzes bestehende Bewilligungspraxis der Hilfeträger fortzuschreiben (vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit und Soziale Sicherung vom 20.Oktober 2004, Bundestags-Drucksache 15/3977, zu Art. 2 Nr. 4; zustimmend: Lücking, in Hauck/Noftz, SGB XII, Kommentar, Loseblatt, 2008. § 92a Rn. 4).

Im Übrigen sind die Vorschriften - § 92a SGB XII, wie seine Vorgängernorm (§ 82 Abs. 4 SGB XII) - allein besonderer Ausdruck des allgemeinen geltenden Verhältnismäßigkeitsgedankens, der den Einkommenseinsatz bei Leistungen für Einrichtungen der zu Hause verbleibenden Ehe- und Lebenspartner auf das Angemessene und Zumutbare begrenzt. In der Sache nichts anderes bestimmt der im fraglichen Leistungszeitraum von Juni 2005 bis Februar 2006 bereits geltende § 19 Abs. 3 SGB XII, der im einschlägigen § 19 Abs. 5 SGB XII ausdrücklich in Bezug genommen wird. Danach wird Hilfe zur Pflege nach dem Fünften bis Neunten Kapitel des SGB XII geleistet, soweit den Leistungsberechtigten und ihren Angehörigen die Aufbringung der Mittel aus Einkommen und Vermögen nicht zuzumuten ist. Das Kriterium der Zumutbarkeit wieder um verlangt, das Verhältnismäßigkeitserwägungen angestellt werden, bevor ein Kostenbeitrag nach § 19 Abs. 5 SGB XII erhoben wird. Zumutbar ist aber ein Kostenbeitrag nur, wenn ein begründeter Fall vorliegt (siehe oben). In diese Richtung aber hat die Beklagte - obgleich geboten - den Ausführungen in den angefochtenen Entscheidungen zufolge ebenso wie im daran anschließenden Gerichtsverfahren weder ermittelt noch vorgetragen.

Ist nach alledem schon die Gewährung von erweiterter Hilfe vorliegend nicht rechtmäßig gewesen, so kann hieraus kein Aufwendungsersatzanspruch der Beklagten entstehen. Aufwendungsersatz ist nur die zwingende Folge von rechtmäßig erbrachter erweiterter Hilfe. An rechtmäßig erbrachter erweiterter Hilfe aber fehlt es hier. Sonstige Rechtsgrundlagen für die Kostenbeitragsforderungen sind nicht ersichtlich und von der Beklagten auch nicht benannt worden.

Ist die Kostenbeitragsforderung der Beklagten mangels Rechtsgrundlage rechtswidrig, so hat das Gericht nicht darüber zu entscheiden, ob und in welchem Umfang der Kläger tatsächlich über vorrangig einzusetzendes Einkommen oder Vermögen verfügt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Sie folgt dem Ergebnis in der Hauptsache, da keine Gründe für eine abweichende Entscheidung erkennbar sind.
Rechtskraft
Aus
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