S 13 R 5791/09

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Karlsruhe (BWB)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 13 R 5791/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
§ 26 Abs. 1 Satz 3 SGB IV gibt keinen Schutz bei einer Beanstandung der Höhe der Beiträge.
Die Klage wird abgewiesen. Die Beklagte hat 1/10 der außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin wendet sich gegen die Beanstandung von Pflichtbeiträgen für eine nicht erwerbsmäßige Pflegetätigkeit in den Jahren 1999 bis 2007.

Am 28.11.2008 forderte die Gmünder ErsatzKasse (GEK) die Beklagte auf zur Beanstandung zu Unrecht gezahlter Beiträge für Pflegepersonen. Die vom 01.01.1999 bis 30.11.2007 zugrunde gelegten Einnahmen überstiegen die nach Auffassung der GEK zugrunde zu legenden Einnahmen um ca. 65.000 EUR (im Schreiben erfolgte eine genaue Aufschlüsselung nach Jahren) wegen einer Verringerung des Pflegebedarfs; ab 01.06.1999 würden nur noch Leistungen entsprechend der Pflegestufe 2 erbracht.

Auf ein Anhörungsschreiben der Beklagten teilte die Klägerin mit, auf die Renteninformationen vertraut zu haben.

Mit Bescheid vom 01.07.2009 beanstandete die Beklagte die Pflichtbeiträge für nicht er-werbsmäßige Pflegetätigkeit. Sie seien vom 01.01.1999 bis 30.11.2007 zu Unrecht, weil nicht in der zutreffenden Höhe gezahlt worden. Von der GEK Schwäbisch Gmünd seien geringere Entgelte gemeldet worden, da sich der Pflegebedarf verringert habe. Die Differenz der gezahlten Beiträge werde beanstandet. Der Gegenwert würde erstattet, wenn eine Leistung nicht erbracht worden sei.

Den von der Klägerin erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 24.11.2009 zurück. Die Begründung entsprach der des Ausgangsbescheids, wenngleich 1990 statt 1999 als Beginn der zu Unrecht gezahlten Pflichtbeiträge genannt wurde.

Die Klägerin hat am 22.12.2009 Klage beim Sozialgericht Karlsruhe erhoben. Zur Begründung trägt ihre Prozessbevollmächtigte vor, dass die Klägerin auf die Gültigkeit der entrichteten Beiträge vertraut und die GEK zu jedem Zeitpunkt Kenntnis über den Pflegeumfang gehabt habe. Auch seien mit Bescheid vom 10.02.2006 die Versicherungsdaten, die länger als sechs Jahre zurückgelegen hätten – also bis 31.12.1999 – als verbindlich festgestellt worden. Schließlich sei § 26 Abs. 1 Satz 3 SGB IV zu beachten.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 01.07.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24.11.2009 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Mit Schriftsatz vom 18.03.2010 hat sie – neben der Klarstellung, dass es um den Zeitraum ab 1999 gehe – ein Teilanerkenntnis abgegeben und erklärt, dass die Zeit der Pflichtbeitragsentrichtung vom 01.01. bis 31.12.1999 dem Beanstandungsschutz unterliege aufgrund des am 10.02.2006 nach § 149 Abs. 5 SGB VI ergangenen Feststellungsbescheids. Pflichtbeiträge vom 01.01. bis 31.12.2000 seien zwar nach § 26 SGB IV zu beanstanden, jedoch nicht zu erstatten, da der Klägerin im Jahr 2001 eine Sachleistung in Form einer Rehabilitation gewährt worden sei. Im Übrigen beträfe § 26 Abs. 1 Satz 3 SGB IV ausschließlich Pflichtbeiträge von abhängig Beschäftigten, die wegen Fehlens der Versicherungspflicht in voller Höhe zu Unrecht gezahlt worden seien.

Die Klägerin hat das Teilanerkenntnis angenommen und den Rechtsstreit im Übrigen fortgeführt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und die vorliegende Behördenakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Soweit sich die Klage nicht durch die Annahme des Teilanerkenntnisses erledigt hat (§ 101 Abs. 2 SGG), ist sie zulässig, aber unbegründet. Die Beanstandung der Beiträge ab dem Jahr 2000 verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.

Zwischen den Beteiligten allein streitig und erörterungsbedürftig ist die Frage der Zulässigkeit einer Beanstandung, nicht jedoch, dass die Beiträge in unzutreffender Höhe gezahlt worden sind. Insoweit gibt § 166 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a) SGB VI vor, dass die beitragspflichtigen Einnahmen bei nicht erwerbsmäßig tätigen Pflegepersonen bei Pflege eines Schwerpflegebedürftigen 53,3333 vom Hundert der Bezugsgröße sind, wenn er mindestens 21 Stunden in der Woche gepflegt wird, und nicht – wie Nr. 1 Buchst. a) der Vorschrift es bei Schwerstpflegebedürftigen vorsieht – 80 vom Hundert der Bezugsgröße. Rechenfehler sind im Schreiben der GEK an die Beklagte nicht erkennbar. Warum der auf Seite 15 der Behördenakte ausgewiesene Versicherungsverlauf vom 14.07.2009 für Dezember 2003 weiterhin die beanstandeten 1.904 EUR ausweist, ist nicht verständlich, verletzt die Klägerin aber nicht in ihren Rechten.

Es kann offen bleiben, ob die GEK gemäß § 44 Abs. 4, Abs. 3 Satz 2 Nr. 8 SGB XI der Klägerin die gemeldeten beitragspflichtigen Einnahmen mitgeteilt hat und sie daher hätte erkennen können, dass trotz der Änderung der Pflegestufe die beitragspflichtigen Einnahmen in unverminderter und daher unzutreffender Höhe gemeldet worden sind. Auf Vertrauensschutz kann sie sich schon deshalb nicht berufen, da dieser nur nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen in Betracht kommt, diese ihr im Ergebnis aber keinen gewähren.

Nach § 149 Abs. 5 SGB VI stellt der Versicherungsträger, wenn er das Versicherungskonto geklärt oder der Versicherte innerhalb von sechs Kalendermonaten nach Versendung des Ver-sicherungsverlaufs seinem Inhalt nicht widersprochen hat, die im Versicherungsverlauf enthaltenen und nicht bereits festgestellten Daten, die länger als sechs Kalenderjahre zurückliegen, durch Bescheid fest. Unabhängig davon, wieweit die Bindungswirkung des Feststellungsbescheids vom 10.02.2006 reicht und inwiefern eine Rücknahme in Betracht kommt (vgl. allgemein Polster in: Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, Stand: EL 55 - September 2007, § 149 SGB VI Rn. 15 f.), beschränkt sie sich jedenfalls auf die länger als sechs Kalenderjahre zurückliegenden Daten, also bis Ende 1999. Insoweit hat die Beklagte auch ein angenommenes Teilanerkenntnis abgegeben.

Für die Zeit ab 2000 kommt Vertrauensschutz hingegen nur nach § 26 Abs. 1 Satz 3 SGB IV in Betracht. Absatz 1 bestimmt: Sind Pflichtbeiträge in der Rentenversicherung für Zeiten nach dem 31. Dezember 1972 trotz Fehlens der Versicherungspflicht nicht spätestens bei der nächsten Prüfung beim Arbeitgeber beanstandet worden, gilt § 45 Abs. 2 SGB X entsprechend (Satz 1). Beiträge, die nicht mehr beanstandet werden dürfen, gelten als zu Recht entrichtete Pflichtbeiträge (Satz 2). Gleiches gilt für zu Unrecht entrichtete Beiträge nach Ablauf der in § 27 Abs. 2 Satz 1 SGB VI bestimmten Frist (Satz 3).

Der Geltungsbereich von § 26 Abs. 1 Satz 3 SGB IV ist soweit ersichtlich umstritten und ins-besondere höchstgerichtlich nicht geklärt. Die dazu ergangenen, in juris veröffentlichten Ent-scheidungen (SG Berlin, Urteil vom 13.01.2011, S 30 R 2956/10 sowie LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 21.01.2011, [wohl] L 4 KR 4672/10) betreffen lediglich die Frage der zeitlichen Rückwirkung der am 01.01.2008 in Kraft getretenen Vorschrift, nicht jedoch ihren sachlichen Anwendungsbereich.

Unter anderem wird die von der Beklagten geteilte Auffassung vertreten, dass die Vorschrift nur Rentenversicherungsbeiträge von abhängig Beschäftigten betreffe, die wegen Fehlens der Versicherungspflicht in voller Höhe zu Unrecht gezahlt worden seien (Mette in: Beck scher Online-Kommentar Sozialrecht, Stand 01.09.2011, § 26 SGB IV Rn. 9a). Nach anderer Auffassung solle eine Schlechterstellung vermieden werden gegenüber der Situation, wenn jemand tatsächlich pflichtversichert gewesen wäre (Seewald in: Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, Stand: EL 59 - Oktober 2008, § 26 SGB IV Rn. 7a). Schließlich wird die Auslegung vertreten, dass im Unterschied zu Satz 1 von Satz 3 alle Beiträge erfasst seien, die auf einem vermeintlichen Pflichtversicherungsverhältnis beruhten. Da Satz 3 auch nicht das Fehlen der Versicherungspflicht voraussetze, würden die Beiträge auch der Höhe nach vom Beanstandungsschutz umfasst (Waßer in: jurisPK-SGB IV, 2. Aufl. 2011, § 26 SGB IV Rn. 43).

Die Versicherungspflicht dem Grunde nach ist zwischen den Beteiligten nicht streitig. Nach Auffassung der Kammer beschränkt sich darauf jedoch der von § 26 Abs. 1 Satz 3 SGB IV gewährte Vertrauensschutz und erstreckt sich nicht auf Beanstandungen der Höhe der Beiträge. Satz 1 der Vorschrift erfasst ausdrücklich nur "trotz Fehlens der Versicherungspflicht" entrichtete – aber bei einer späteren Prüfung nicht beanstandete – Beiträge, für die § 45 Abs. 2 SGB X entsprechend gilt. Beiträge, die nicht mehr beanstandet werden dürfen, gelten nach § 26 Abs. 1 Satz 2 SGB IV als zu Recht entrichtete Pflichtbeiträge. Wenn nach Satz 3 der Vorschrift "Gleiches gilt" für zu Unrecht entrichtete Beiträge nach Ablauf der Vierjahresfrist des § 27 Abs. 2 Satz 1 SGB IV, erfasst dies nach Auffassung der Kammer auch die Einschränkung des Satzes 1, dass die Beiträge "trotz Fehlens der Versicherungspflicht" entrichtet worden sind, aber nicht den hier zu beurteilenden Fall in unzutreffender Höhe entrichteter Beiträge.

Auch die Gesetzesbegründung spricht dafür. Im "Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze" (BT-Drs. 16/6540), der die Ergänzung von § 26 Abs. 1 SGB IV um den hier zu beurteilenden Satz 3 vorgesehen hat (Artikel 1, Nr. 14 auf Seite 9), heißt es:

"Die bisherige Rechtslage, wonach zu Unrecht entrichtete Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung im Einzelfall viele Jahre rückwirkend erstattet werden müssen, wird geändert. Den Antragstellern wird ermöglicht, dass die zu Unrecht entrichteten Beiträge in der gesetzlichen Rentenversicherung nach Ablauf der Verjährungsfrist von vier Jahren nach § 27 Abs. 2 Satz 1 SGB IV als zu Recht entrichtete Pflichtbeiträge gelten. Damit bleiben die Beiträge als solche erhalten, eine Erstattung ist jedoch nicht möglich. Es entsteht keine Schlechterstellung gegenüber der Situation, wenn der Antragsteller tatsächlich pflichtversichert gewesen wäre, wovon er bis zur Feststellung des Nichtvorliegens der Versicherungspflicht auch ausgegangen ist."

Sinn und Zweck der Vorschrift ist es daher, eine Schlechterstellung zu vermeiden gegenüber der Situation, wenn jemand "tatsächlich pflichtversichert gewesen wäre". Es gibt hingegen keine Anhaltspunkte dafür, dass Beanstandungsschutz auch dann bestehen soll, wenn die Beanstandung nicht der – bei der Klägerin tatsächlich auch vorliegenden – Versicherungspflicht gilt, sondern (allein) der Höhe der entrichteten Beiträge. Schließlich nähme eine andere Auslegung dem § 149 Abs. 5 SGB VI aufgrund dessen längerer Frist – sechs statt vier Jahre – weitgehend seine Schutzwirkung zugunsten des Versicherten, da stets bereits und weitergehend § 26 Abs. 1 Satz 3 SGB IV eingriffe.

Eine derartige Differenzierung hinsichtlich des Bezugs des gewährten Vertrauensschutzes ist nach Auffassung der Kammer auch nicht unangemessen. Zwar ist verständlich, wenn die Klägerin vorträgt, im Rahmen einer Altersvorsorge auf eine entsprechende Höhe der entrichteten Beiträge vertraut zu haben. Die Folgen einer Jahre zurückreichenden Beanstandung der Versicherungspflicht dem Grunde nach wären jedoch wesentlich weitreichender. Die Auswirkungen "beschränkten" sich nicht auf die zu erwartende Rentenhöhe, sondern erfassten neben den Rentenansprüchen dem Grunde nach etwa auch die von der Beitragshöhe unabhängigen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für Leistungen zur Teilhabe (§ 11 SGB VI) oder andere Fälle, in denen die Beitragsentrichtung als solche (allein) anspruchsrelevant ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG und berücksichtigt, dass aufgrund des Teilanerkenntnisses der Beklagten die Beanstandung für Beiträge in Höhe von ca. 4.200 EUR im Jahr 1999 – aufgerundet also einem Zehntel der insgesamt beanstandeten Beitragsdifferenz – rückgängig gemacht worden ist (vgl. Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz, 9. Auflage 2008, § 193 Rn. 2d).
Rechtskraft
Aus
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