S 1 SB 2109/12

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Karlsruhe (BWB)
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
1
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 1 SB 2109/12
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid
Leitsätze
Die Feststellung eines GdB von 50 allein wegen eines insulinpflichtigen Diabetes mellitus erfordert neben täglich wenigstens vier Insulininjektionen und der Notwendigkeit, vor jeder Injektion den Blutzuckerwert zu messen und daraus die Insulindosis individuell zu bestimmen, zusätzlich eine gravierende Beeinträchtigung des behinderten Menschen in seiner Lebensführung.
Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Höhe des Grades der Behinderung (GdB) im Sinne des Sozialgesetzbuchs - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (SGB IX) umstritten.

Der 1970 geborene Kläger stellte am 19.09.2011 beim Landratsamt K. (LRA) den Antrag, seine Gesundheitsstörungen als Behinderung und deren Grad festzustellen. Nach medizinischer Sachaufklärung (Beizug von Arztunterlagen des Allgemeinmediziners H., versorgungsärztliche Stellungnahme des Dr. B.) setzte das LRA den GdB ab dem 01.01.2010 auf 30 fest. Dabei berücksichtigte es folgende Funktionsbeeinträchtigungen:

- Diabetes mellitus Teil-GdB 30 - Bluthochdruck Teil-GdB 10 (Bescheid vom 10.10.2011).

Zur Begründung seines dagegen erhobenen Widerspruchs trug der Kläger im Wesentlichen vor, seine Blutzuckererkrankung habe sich zwischenzeitlich deutlich verschlechtert; seit August 2011 sei er insulinpflichtig. Das entsprechende Medikament müsse er mehrfach täglich spritzen. Da sich seine Blutzuckerwerte bislang nicht ordentlich hätten einstellen lassen, sei er gezwungen, vielfach täglich seine Blutzuckerwerte zu messen und gegebenenfalls auch Insulin zu spritzen bzw. nachzuspritzen. Hierdurch habe sich seine Lebensqualität deutlich verschlechtert, denn er müsse in jeder Situation das Messgerät und die Insulinspritze parat haben. Nach Einholung eines Befundberichts des Internisten und Diabetologen Dr. K. und gestützt auf eine versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. Ki. gab das LRA dem Widerspruch teilweise statt und setzte den GdB ab dem 01.01.2010 auf 40 fest; dabei berücksichtigte es die Blutzuckererkrankung des Klägers nunmehr mit einem Teil-GdB von 40 (Bescheid vom 27.04.2012). Den aufrecht erhaltenen Widerspruch wies der Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 18.05.2012 zurück: Zwar sei die Blutzuckererkrankung des Klägers mit einem HbA1c-Wert von 8,1 % nur unzureichend eingestellt; Dr. K. habe indes schwere Hypoglykämien und Sekundärschäden verneint; auch müsse der Kläger nach dem Medikamentenplan täglich lediglich einmal Insulin spritzen; die darüber hinaus eingenommenen Blutzuckermedikamente verursachten regelhaft keine Hypoglykämien und rechtfertigten daher eine weitere Anhebung des GdB für die Blutzuckererkrankung.

Der Kläger hat deswegen am 12.06.2012 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe erhoben. Zu deren Begründung trägt er im Wesentlichen vor, er benötige täglich vier bis fünf Insulinspritzen, wobei er die Dosis individuell anhand einer Messung ermittle. Außerdem müsse er ständig Diät im Sinne einer besonders regelmäßigen Ernährung halten. Aufgrund seiner Erwerbstätigkeit im Lebensmittelgroßhandel und der dort geltenden strengen Hygienevorschriften könne er während der Arbeitszeit nicht einfach eine Zwischenmahlzeit zu sich nehmen. Es sei ihm auch nicht möglich, ohne Verlassen seiner Arbeitsstelle seinen Blutzucker zu messen und gegebenenfalls Insulin zu spritzen. Er müsse dies vielmehr in den Sanitärräumen seines Arbeitgebers durchführen. Außerdem müsse er vor jedem Antritt einer Autofahrt seinen Blutzucker messen, um das Risiko einer Unterzuckerung oder ähnlicher Komplikationen während der Fahrt zu vermeiden. Aufgrund seiner Blutzuckererkrankung sei auch sein Eheleben stark beeinträchtigt. Weiter verhalte sich sein Blutzuckerspiegel während und nach sportlicher Betätigung unberechenbar. Hinzugetreten sei ein nächtlicher Harndrang. Allein für die Blutzuckererkrankung sei deshalb ein Teil-GdB von wenigstens 50 anzuerkennen. Auch seine Bluthochdruckerkrankung habe der Beklagte angesichts einer nicht dauerhaft erfolgreichen medikamentösen Behandlung zu gering bewertet.

Die Kammer hat den Internisten und Diabetologen Dr. Bi. schriftlich als sachverständigen Zeugen gehört. Dieser hat bekundet, die Diabeteserkrankung sei als mittelgradig einzustufen, während die gesundheitlichen Beeinträchtigungen aufgrund weiterer metabolischer Störungen einschließlich der arteriellen Hypertonie eher leichtgradig ausgeprägt seien. Der Einschätzung des GdB mit 40 stimme er zu.

Der Kläger beantragt - teilweise sinngemäß -,

den Bescheid vom 27. April 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Mai 2012 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, seinen GdB ab dem 01. Januar 2010 mit wenigstens 60 festzustellen.

Der Beklagte hat keinen Antrag gestellt und sich auch nicht zur Sach- und Rechtslage geäußert.

Mit Schreiben vom 19.10.2012 hat das Gericht den Beteiligten mitgeteilt, es erwäge eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung und ohne Hinzuziehung ehrenamtlicher Richter durch Gerichtsbescheid, und ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der vorliegenden Verwaltungsakte des Beklagten sowie den der Prozessakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage ist zulässig, aber unbegründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 54 Abs. 2 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG)). Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung eines höheren GdB als 40, wie vom Beklagten bereits anerkannt. Hierüber konnte die Kammer gem. § 105 Abs. 1 Satz 1 SGG ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, weil sie der Auffassung ist, dass die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist.

1. Nach § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX stellt auf Antrag des behinderten Menschen der Beklagte das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest, für den die im Rahmen des § 30 Abs. 1 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) und der aufgrund des § 30 Abs. 17 BVG erlassenen Rechtsverordnung festgesetzten Maßstäbe entsprechend gelten (§ 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX). Menschen sind behindert im Sinne des SGB IX, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als 6 Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist (§ 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Menschen sind schwerbehindert, wenn bei ihnen ein GdB von wenigstens 50 vorliegt und sie ihren Wohnsitz, gewöhnlichen Aufenthalt oder ihre Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz im Sinne des § 73 rechtmäßig im Geltungsbereich dieses Gesetzbuches haben (§ 2 Abs. 2 SGB IX). Die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als GdB nach Zehnergraden abgestuft, von 20 bis 100 festgestellt (§ 69 Abs. 1 Sätze 4 und 6 SGB IX).

Bei mehreren sich gegenseitig beeinflussenden Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft ist deren Gesamtauswirkung unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen für die Feststellung des GdB maßgebend (§ 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX). Dabei ist zu beachten, dass die Auswirkungen einzelner Funktionsbeeinträchtigungen einander verstärken, sich überschneiden, aber auch gänzlich voneinander unabhängig sein können (vgl. BSG v. 24.04.2008 - B 9/9a SB10/06 R -, BSG SozR 3-3870 § 4 Nrn. 5 und 19 sowie BSGE 48, 82, 84). Gleichgültig ist, auf welche Ursachen die Auswirkungen zurückzuführen sind (§ 4 Abs. 1 SGB IX); entscheidend ist, dass sie Krankheitswert haben.

Für die Feststellung des GdB sind für die Verwaltung und die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit gleichermaßen seit dem 01.01.2009 die Bewertungsmaßstäbe der Anlage zu § 2 der aufgrund der Ermächtigung in § 30 Abs. 16 (bis zum 30.06.2011: Abs. 17) des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) erlassenen Versorgungsmedizin-Verordnung (VMV) vom 10.12.2008 (BGBl. I Seite 2412) in der Fassung der Fünften Änderungs-Verordnung vom 11.10.2012 (BGBl. I Seite 2122), gültig ab dem 17.10.2012, maßgebend (§ 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX). In den versorgungsmedizinischen Grundsätzen (VG) ist ebenso wie in den bis zum 31.12.2008 gültig gewesenen ?Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht?, die als antizipierte Sachverständigengutachten beachtlich waren und normähnliche Wirkung entfalteten (vgl. BSG SozR 3-3100 § 30 Nr. 22, SozR 3-3870 § 4 Nr. 19 und SozR 4-3250 § 69 Nrn. 2 und 9 sowie BVerfG SozR 3-3870 § 3 Nr. 6), der medizinische Kenntnistand für die Beurteilung von Behinderungen wiedergegeben (vgl. BSG vom 02.12.2010 -B 9 SB 4/10 R -(juris)). Dadurch wird eine für den behinderten Menschen nachvollziehbare, dem medizinischen Kenntnisstand entsprechende Festsetzung des GdB ermöglicht (vgl. LSG Baden-Württemberg vom 23.07.2010 - L 8 SB 1372/10 - (unveröffentlicht)). Die VG bezwecken darüber hinaus eine möglichst gleichmäßige Anwendung der Bewertungsmaßstäbe im Bundesgebiet und dienen so auch dem Ziel des einheitlichen Verwaltungshandelns und der Gleichbehandlung (vgl. Bay. LSG, Breithaupt 2011, 68ff).

2. Orientiert an diesen rechtlichen Bestimmungen und Beurteilungsmaßstäben sind die angefochtenen Bescheide rechtmäßig und steht dem Kläger ein Anspruch auf Feststellung eines höheren GdB als 40 - wie durch den Teil-Abhilfebescheid vom 27.04.2012 zuerkannt - nicht zu.

a) Im Vordergrund des Beschwerdebildes steht die Blutzuckererkrankung (Diabetes mellitus Typ II) des Klägers. Zwar hat Dr. K. in seinem Arztbrief vom 22.02.2012 aufgrund des damals von ihm erhobenen Blutzucker-Langzeitwertes (HbA1c-Wert) von 8,8% ausgeführt, es sei bislang trotz der Insulintherapie noch keine ausreichende Beherrschung der diabetischen Stoffwechsellage. Allerdings ist nach den von dem sachverständigen Zeugen Dr. Bi. zuletzt im Juli 2012 erhobenen Laborwerten bereits eine Reduzierung des HbA1c-Wertes auf 7,2% eingetreten. Dieser Wert entspricht dem bei dieser Form des Diabetes neben einer möglichst normalen Einstellung der Blutglukose therapeutisch anzustrebenden HbA1c-Wert von unter 7,5% (vgl. hierzu Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 262. Auflage 2011, Stichwort ?Diabetes mellitus?). Zudem lag nach den von Dr. Bi. erhobenen Laborwerten im Juli 2012 der Glukose-Wert mit 110 mg/dl innerhalb des Referenzbereiches (75 bis 126 mg/dl). Schwere Hypoglykämien oder Sekundärschäden aufgrund der Blutzuckererkrankung bestehen mit Dr. K. ebenfalls nicht. Auch Dr. Bi. hat solche Erkrankungen nicht bekundet. Die Blutzuckererkrankung hat der Beklagte deshalb mit einem Teil-GdB von 40 zutreffend (vgl. Teil B Nr. 15.1 Seite 60 VG) bewertet.

Allein der Umstand, dass der Kläger seinem Vorbringen zufolge vier bis fünf Insulinspritzen täglich benötigt und die Dosis vor jeder Spritze anhand einer Blutzuckermessung individuell ermittelt, führt zu keinem höheren Teil-GdB. Denn für die Feststellung eines GdB von 50 reicht es insoweit nicht aus, wenn ein an Diabetes mellitus erkrankter Mensch mit Insulintherapie täglich mindestens vier Insulininjektionen durchführt und die Insulindosis in Abhängigkeit vom aktuellen Blutzucker, der folgenden Mahlzeit und der körperlichen Belastung selbstständig variiert werden muss (vgl. BSG vom 25.10.2012 - B 9 SB 2/12 R - (aktuell nur als Pressemitteilung vorliegend)). Vielmehr muss bereits nach dem Wortlaut der VG der behinderte Mensch zusätzlich durch den konkreten Therapieaufwand, die jeweilige Stoffwechselqualität oder sonstige Auswirkungen der Erkrankung (z.B. Folgeerkrankungen) insgesamt gesehen erheblich in seiner Lebensführung beeinträchtigt sein (vgl. insoweit LSG Sachsen-Anhalt vom 21.02.2012 - L 7 SB 20/11 - (Juris), bestätigt durch BSG vom 25.10.2012 - B 9 SB 2/12 R -). Diese Formulierung in den VG ist daher nicht allein therapiebezogen zu verstehen. Vielmehr ist neben dem eigentlichen Therapieaufwand durch die notwendigen Insulininjektionen und die ständige jeweilige Dosisanpassung eine zusätzliche Wertung erforderlich, um die Schwerbehinderung allein aufgrund der Blutzuckererkrankung zu rechtfertigen. Der an einem insulinpflichtigen Diabetes mellitus Erkrankte muss deshalb wegen des reinen Therapieaufwands und/oder der durch die Erkrankung eingetretenen weiteren Begleitfolgen generell gravierende Einschnitte in der Lebensführung erleiden. Dies ergibt sich zusätzlich aus einem Vergleich ganz erheblicher Einschränkungen in der Lebensführung bei anderen Erkrankungen, für die die VG einen GdB von wenigstens 50 vorsehen: Dies ist beispielsweise bei einer Colitis ulcerosa erst bei schweren Auswirkungen (anhaltende oder häufig rezidivierende erhebliche Beschwerden, erhebliche Beeinträchtigung des Kräfte- und Ernährungszustands, häufige, tägliche, auch nächtliche Durchfälle) festzustellen (vgl. Teil B Nr. 10.2.2 Seite 48 VG). Im Fall einer Lungenerkrankung (vgl. Teil B Nr. 8.3 Seite 41 VG) ist für einen GdB von 50 eine mittelgradige Einschränkung der Lungenfunktion zu fordern, die zu einer das gewöhnliche Maß übersteigenden Atemnot bei alltäglicher leichter Belastung führen würde (z.B. Spazierengehen (3-4 km/h), Treppensteigen bis zu einem Stockwerk, leichte körperliche Arbeit). Für den Bereich der Psyche sind hierfür schwere Störungen mit mittelgradigen sozialen Anpassungsstörungen (vgl. Teil B Nr. 3.7 Seite 29 VG) und im Fall einer Herzerkrankung eine Leistungsbeeinträchtigung bereits bei alltäglicher leichter Belastung zu verlangen (vgl. Teil B Nr. 9.1.1 Ziff. 3 Seite 43 VG).

Betrachtet man diese einschneidenden Teilhabebeeinträchtigungen bei diesen Erkrankungen, die häufig zudem eine teilweise oder gar vollständige Erwerbsminderung nach sich ziehen, kann das Merkmal ?gravierende und erhebliche Einschnitte in der Lebensführung? im Sinne des Teils B Nr. 15.1 Seite 60 VG nicht nur therapiebedingt verstanden werden. Vielmehr sind die Stoffwechsellage und die konkreten krankheitsbedingten Auswirkungen bei der Teilhabeeinschränkung zu berücksichtigen. Die vom Kläger vorgetragenen therapie- oder auch erkrankungsbedingten Einschränkungen in seiner konkreten Lebensführung lassen danach eine gravierende Einschränkung der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft nicht zur Überzeugung der Kammer erkennen. So geht der Kläger seinem eigenen Vorbringen zufolge weiterhin einer vollschichtigen Erwerbstätigkeit in einem Lebensmittelgroßhandel nach, die zudem mit einer erheblichen körperlichen Belastung (Arbeiten in einem gekühlten Lagerraum bei 2-3°C) verbunden ist. Wesentliche krankheitsbedingte Ausfälle hat der Kläger selbst nicht mitgeteilt. Außerdem betreibt er seinem Vorbringen im Schriftsatz vom 17.10.2012 zufolge offenbar regelmäßig Sport mit vier bis fünf Mal wöchentlich Ergometertraining, ohne daran durch seine Erkrankung bereits dem Grunde nach gehindert zu sein. Die an seinem Arbeitsplatz geltenden strengen Hygienevorschriften, aufgrund derer es ihm verboten ist, dort eine Zwischenmahlzeit zu sich zu nehmen, wie auch der Umstand, dass der Kläger zur Blutzuckermessung und gegebenenfalls erforderlichen Insulintherapie seine Arbeitsstelle verlassen muss, sind zwar von ihm zu beachten; sie führen jedoch nach Auffassung des erkennenden Gerichts noch nicht zu einer gravierenden Teilhabebeeinträchtigung. Denn der Kläger räumt ein, dass er die Sanitärräume seines Arbeitgebers aufsuchen kann, wenn er Maßnahmen ergreifen will, die seine Diabeteserkrankung erfordern. Eine von ihm geltend gemachte therapiebedingte Reduzierung seines Leistungsvermögens auf seiner derzeitigen Arbeitsstelle ist daher für das erkennende Gericht nicht nachvollziehbar. Auch die ständige Kontrolle und Abwägung bei der Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme sowie die Beachtung der hygienischen Aufmerksamkeit bei den Injektionen und häufigen Blutzuckermessungen rechtfertigen weder für sich noch insgesamt die Annahme einer gravierenden Beeinträchtigung seiner Teilhabe am gesellschaftlichen Leben (vgl. insoweit auch LSG Sachsen-Anhalt, a.a.O.).

Darüber hinaus sind schwere hypoglykämische Entgleisungen seit Beginn der Insulintherapie beim Kläger - wie oben bereits ausgeführt - bislang nicht aufgetreten: Auch haben weder Dr. K. noch Dr. Bi. durch den Diabetes mellitus verursachte wesentliche Folgeschäden diagnostiziert. Beachtliche Mobilitätseinschränkungen, die ebenfalls zu berücksichtigen wären, hat der Kläger nicht angegeben. Die von ihm geltend gemachte erektile Dysfunktion sowie sein nächtlicher Harndrang lassen ebenfalls nicht den Schluss auf eine gravierende Einschränkung der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft erkennen. Die Kammer verkennt nicht, dass die insgesamt angegebenen Nachteile durch die Stoffwechselerkrankung zwar einschränkend und belastend sind; sie sind jedoch nicht ?gravierend? im Sinne der VG. Vor diesem Hintergrund ist die Grenze zur Schwerbehinderung und eines GdB von 50 allein durch die Blutzuckererkrankung damit noch nicht erreicht. Bestätigt sieht sich die Kammer insoweit durch den sachverständigen Zeugen Dr. Bi., der dem Teil-GdB von 40 ausdrücklich zugestimmt hat.

b) Ebenfalls nicht zu beanstanden ist die Bewertung des Teil-GdB mit 10 für die Bluthochdruckerkrankung (vgl. Teil B Nr. 9.3 Seite 76 VG). Denn die von Dr. K. im Juni 2011 mit 136/86 mmHg und im Januar 2010 mit 132/80 mmHg erhobenen Blutdruckwerte sind unter medikamentöser Behandlung allenfalls leichtgradig erhöht. Auch der sachverständige Zeuge Dr. Bi. hat die gesundheitliche Beeinträchtigung des Klägers aufgrund der arteriellen Hypertonie, trotz eines von ihm im Juli 2012 einmalig erhobenen erhöhten Blutdruckwertes von rund 175/90 mmHg, als ?eher leichtgradig? bezeichnet. Dass trotz medikamentöser Behandlung der diastolische Blutdruck wiederholt über 100 mmHg lag, ist aufgrund des Gesamtergebnisses des Verfahrens nicht erwiesen. Auch bestehen keine Hinweise für eine koronare Herzerkrankung als Folge- oder Begleiterkrankung der Hypertonie, wie sich insbesondere aus den Arztbriefen des Internisten Dr. Ba. vom Januar 2010 und des Dr. K. vom Juni 2011 ergibt. Anders ist insoweit auch nicht aufgrund der Bekundungen des sachverständigen Zeugen Dr. Bi. zu entscheiden, denn dieser hat einen inferioren Myokardschaden lediglich als ?möglich? bezeichnet. Nochmals ist auch in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass er die gesundheitliche Beeinträchtigung des Klägers durch die weiteren metabolischen Störungen inklusive der arteriellen Hypertonie als ?eher leichtgradig? angesehen hat. Vor diesem Hintergrund ist die Bewertung des Teil-GdB für die Bluthochdruckerkrankung des Klägers mit 10 nicht zu beanstanden. Insoweit schließt sich die Kammer den - übereinstimmenden - versorgungsärztlichen Stellungnahmen der Dres. B. und Ki. an.

c) Den Gesamt-GdB bewertet auch das erkennende Gericht, ausgehend von Teil-GdB-Werten von 40 und 10, mit 40. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass einzelne Teil-GdB-Werte zur Ermittlung des Gesamt-GdB nicht addiert werden dürfen und auch andere Rechenmethoden hierfür nicht geeignet sind. Vielmehr ist für die Beurteilung des Gesamt-GdB von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Teil-GdB bedingt, und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Von hier nicht vorliegenden Ausnahmefällen abgesehen führen leichte Gesundheitsstörungen mit einem Teil-GdB von lediglich 10 nicht zu einer wesentlichen Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, und zwar auch dann nicht, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen (vgl. BSG SozR 3-3100 § 30 Nr. 24 sowie Teil A Nr. 3 VG).

3. Aus eben diesen Gründen sind die angefochtenen Bescheide rechtsmäßig und musste das Begehren des Klägers erfolglos bleiben.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 Abs. 1 und 4 SGG.
Rechtskraft
Aus
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