Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Karlsruhe (BWB)
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
7
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 7 VK 3019/11
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Häusliche Gemeinschaft mit dem Verstorbenen i.S.d. § 37 Abs. 2 BVG liegt auch dann vor, wenn der Verstorbene mit seinem Sohn und dessen Familie in einem Haus mit zwei grundsätzlich getrennten Wohneinheiten gewohnt hat. Maßgeblich ist, dass das Haus zum Zeitpunkt des Todes faktisch als räumliche Einheit bzw. Einfamilienhaus genutzt wurde.
Tenor Der Bescheid des Landratsamts vom 18.03.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 15.06.2011 wird aufgehoben und der Beklagte verurteilt, dem Kläger Sterbegeld im gesetzlichen Umfang zu gewähren. Der Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Sterbegeld nach § 37 Abs. 2 Bundesversorgungsgesetz (BVG).
Der Kläger ist der Sohn des am 17.06.1914 geborenen Kriegsbeschädigten X. X bezog wegen der anerkannten Kriegsschädigungsfolgen "Epilepsie nach Kopfverletzung und Hirnhautentzündung, Magenschleimhautentzündung" mit einem Grad der Schädigung von 100 Versorgungsbezüge nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG). Mit der Schwiegertochter des Kriegsbeschädigten und Ehefrau des Klägers bestand ein Pflegedienstleistungsvertrag. Die Kosten trug das Versorgungsamt. Der Kriegsbeschädigte und der Kläger mit seiner Ehefrau und Tochter wohnten im selben Haus.
Am 30.6.2012 verstarb der Kriegsbeschädigte. Nach einem Telefonvermerk vom 06.07.2010, wonach sich der Kläger hinsichtlich der Kostenerstattung eines nicht genommenen Urlaubs der Pflegeperson (Schwiegertochter) erkundigte, hatte der Kläger auf Nachfrage bestätigt, dass der Vater im ersten Stock des Hauses wohnhaft gewesen sei und er selbst mit seiner Familie im Erdgeschoss wohne. In einem Fragebogen hinsichtlich des Antrags auf Bestattungsgeld nach § 36 BVG beantwortete der Kläger die Frage danach, ob er mit dem Verstorbenen zum Zeitpunkt des Todes in häuslicher Gemeinschaft gelebt habe, mit nein (vgl. Antragsformular, unterschrieben am 14.07.2010, Aktenseite 1425 ff der Verwaltungsakten). Mit Bescheid vom 29.11.2010 gewährte das Versorgungsamt dem Kläger Bestattungsgeld in Höhe von 781 EUR.
Mit Schreiben vom 23.07.2010, eingegangen beim Landratsamt am 26.07.2010, beantragte der Kläger auch die Gewährung von Sterbegeld nach § 37 BVG. Mit Schreiben vom 18.10.2010 erläuterte der zuständige Sachbearbeiter dem Kläger die gesetzlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Sterbegeld. Aus den Angaben im Erhebungsbogen und weiteren Akteninhalten ergebe sich, dass der Verstorbene zurzeit seines Todes mit keiner der anspruchsberechtigten Personen in häuslicher Gemeinschaft gelebt habe und auch keiner dieser Personen Unterhalt geleistet habe, sodass Sterbegeld nur nach Maßgabe des § 37 Abs. 3 BVG gewährt werden könne, wenn und soweit ein wirtschaftlicher Ausgleich angebracht erscheine. Hierzu müsse der Kläger ggf. noch weitere Nachweise erbringen.
Den hiergegen erhobenen Widerspruch nebst Begründung wertete der Beklagte als Antragsbegründung und lehnte den Antrag mit Bescheid vom 18.03.2011 ab. Der Kläger erfülle die Anspruchsvoraussetzungen des § 37 Abs. 2 BVG nicht, da eine häusliche Gemeinschaft mit dem Vater nicht vorgelegen habe. Dieser Begriff setze nach ständiger Rechtsprechung grundsätzlich ein räumliches Zusammenleben voraus. Im entsprechenden Formblattantrag habe der Kläger die Frage nach häuslicher Gemeinschaft verneint und auch keine weiteren Angehörigen angegeben, mit denen der Verstorbene zurzeit seines Todes in häuslicher Gemeinschaft gelebt habe. Diese Angaben deckten sich mit den versorgungsärztlichen Erhebungen anlässlich einer Begutachtung des Vaters in seinem häuslichen Umfeld. In diesem Gutachten sei aufgeführt, dass der Vater eine eigene Wohnung im ersten Obergeschoss des Zweifamilienhauses bewohnt habe und dass der Sohn mit seiner Ehefrau und der Tochter im Erdgeschoss wohne. Für Notfälle in der Nacht habe der Vater eine Telefonverbindung in die Wohnung des Sohnes. Vor diesem Hintergrund und unter Einbeziehung der allgemeinen Lebenserfahrung könne das Vorbringen, wonach die in Ausbildung stehende Tochter überwachend in der Wohnung des 96-jährigen Großvaters gewohnt habe, nicht der zutreffenden Entscheidung zugrundegelegt werden.
Hiergegen erhob der Kläger am 20.04.2011 Widerspruch. Bei der Ankreuzung im Formblattantrag habe es sich um ein Missverständnis gehandelt. Es habe sich faktisch so verhalten, dass der Beschädigte nur zum Schlafen in seiner Wohnung gewesen sei, die Mahlzeiten jedoch im Untergeschoss mit dem Kläger und seiner Familie eingenommen habe. Es sei tatsächlich so gewesen, dass die Tochter des Klägers ihr Jugendzimmer in der Wohnung des Großvaters gehabt habe. Eine häusliche Gemeinschaft sei daher anzunehmen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 15.06.2011 wies das Regierungspräsidium Stuttgart - Landesversorgungsamt - den Widerspruch zurück. Die gemeinsame Einnahme von Mahlzeiten oder das Übernachten der Enkelin beim Opa reiche nicht aus, um eine häusliche Gemeinschaft zu bejahen.
Am 15.07.2011 hat der Kläger beim Sozialgericht Karlsruhe Klage erhoben. Er begehrt weiterhin die Gewährung von Sterbegeld nach § 37 Abs. 2 BVG. In dem versorgungsärztlichen Gutachten aus dem Jahr 2004, auf das sich der Beklagte berufe, werde auch mitgeteilt, dass die Wohnung des Verstorbenen immer offen sei und zwei- bis dreimal in der Stunde ein Familienmitglied nach oben gehe und nach dem Großvater schaue. Zum Frühstück würde er von der Schwiegertochter aus seiner Wohnung eine Treppe tiefer an den gerichteten Frühstückstisch begleitet. Sodann werde er wieder in seine Wohnung gebracht, wo er dann in einem Liegesessel Fernsehen schaue oder Zeitung lese. Das Mittagessen würde er wieder in der unteren Wohnung einnehmen und sodann mit seiner Schwiegertochter für eine gute Stunde mit dem Rollator an die frische Luft gehen. Auch das Abendbrot würde er in der unteren Wohnung einnehmen. In den späteren Jahren des Verstorbenen habe zudem dann noch die Enkelin, also die Tochter des Klägers, mit dem Großvater in einer Wohnung geschlafen. Angesichts dessen sei nicht nachvollziehbar, warum nicht von einer häuslichen Gemeinschaft ausgegangen werden könne. Da die Wohnungstür der oberen Wohnung immer offen gestanden habe, sei sowieso nicht von zwei getrennten Wohnungen auszugehen.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid des Landratsamts vom 18.03.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Regierungspräsidiums Stuttgart - Landesversorgungsamt - vom 15.06.2011 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, Sterbegeld in gesetzlicher Höhe nach § 37 Abs. 2 BVG zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung beruft er sich im Wesentlichen auf den Inhalt des Bescheides vom 18.3.2011 sowie des Widerspruchsbescheides vom 15.6.2011.
Das Gericht hat die Verwaltungsakten des Beklagten beigezogen. Im Termin zur mündlichen Verhandlung hat der Kläger weitere Angaben zur Wohnsituation im Zeitpunkt des Todes des Kriegsbeschädigten gemacht. Für die weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten sowie auf den Inhalt der Gerichtsakte S 7 VK XXXX/11, insbesondere der Niederschrift vom 24.8.2012 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist auch begründet. Der Bescheid des Landratsamts vom 18.03.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 15.06.2011 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Der Kläger hat Anspruch auf Gewährung von Sterbegeld.
Rechtsgrundlage für den Anspruch auf Sterbegeld ist § 37 Bundesversorgungsgesetz (BVG). Beim Tode eines Beschädigten ist ein Sterbegeld in Höhe des Dreifachen der Versorgungsbezüge zu zahlen, die ihm für den Sterbemonat nach den §§ 30 bis 33, 34 und 35 zustanden, Pflegezulage jedoch höchstens nach Stufe II (§ 37 Abs. 1 Satz 1 BVG). Anspruchsberechtigt sind nach § 37 Abs. 2 BVG der Ehegatte, der Lebenspartner, die Kinder, die Eltern, die Stiefeltern, die Pflegeeltern, die Enkel, die Großeltern, die Geschwister und die Geschwisterkinder, wenn sie mit dem Verstorbenen zurzeit des Todes in häuslicher Gemeinschaft gelebt haben. Hat der Verstorbene mit keiner dieser Personen in häuslicher Gemeinschaft gelebt, so ist das Sterbegeld in vorstehender Rangfolge dem zu zahlen, den der Verstorbene unterhalten hat.
Nachdem die Ehefrau des Kriegsbeschädigten bereits im Jahr 1994 verstorben ist, ist der Kläger als Sohn des Kriegsbeschädigten grundsätzlich Anspruchsberechtigter im Sinne der genannten Vorschriften. Auch die weitere Voraussetzung des Lebens in häuslicher Gemeinschaft zurzeit des Todes ist nach der Überzeugung der Kammer erfüllt. Häusliche Gemeinschaft setzt im allgemeinen räumliches Zusammenleben voraus. Eine Trennung hebt die häusliche Gemeinschaft nicht auf, wenn ihre Wiederherstellung beabsichtigt war (Verwaltungsvorschrift Nr. 4 zu § 36 BVG - die Vorschrift betrifft die Gewährung von Bestattungsgeld und enthält in ihrem Absatz 2 ebenfalls die Tatbestandsvoraussetzung des Lebens in häuslicher Gemeinschaft mit dem Verstorbenen). Nach der Überzeugung der Kammer kann es für die Entscheidung, ob ein räumliches Zusammenleben in diesem Sinne vorliegt, nicht allein auf die äußeren Gegebenheiten der Wohnsituation ankommen. Zu berücksichtigen ist vielmehr entscheidend die tatsächliche Handhabung durch den Kläger und seine Familie.
Nach den glaubhaften und nachvollziehbaren Angaben des Klägers sowohl schriftlich als auch mündlich im Termin zur mündlichen Verhandlung besteht sein Haus aus zwei Wohneinheiten bzw. Wohnungen (im Erdgeschoss und im ersten Stock). Will man von einer Wohneinheit zur anderen gelangen, ist dies über ein außerhalb der Wohnungen gelegenes Treppenhaus möglich. Dem Beklagten ist zuzugeben, dass bei tatsächlicher Nutzung des Hauses mit zwei in sich abgeschlossenen und getrennten Wohneinheiten - der Kriegsbeschädigte ausschließlich oben und der Sohn mit der Familie ausschließlich unten - ein räumliches Zusammenleben abgelehnt werden müsste. Im Fall des Klägers und seiner Familie war es aber so, dass das Haus faktisch jedenfalls zum Zeitpunkt des Todes des Kriegsbeschädigten als eine räumliche Einheit bzw. als Einfamilienhaus genutzt wurde. Die Tür zur oberen Wohneinheit stand immer offen. In der oberen Wohneinheit befanden sich nicht nur Schlafzimmer und Bad des Kriegsbeschädigten, sondern auch Jugendzimmer der Tochter sowie ein Arbeitszimmer des Klägers. Die Küche oben hat der Kriegsbeschädigte nicht mehr selbst genutzt, sondern (soweit gesundheitlich möglich) alle Mahlzeiten unten mit dem Kläger und seiner Familie eingenommen. Er hat sich regelmäßig auch im Wohnzimmer des Klägers und auf dessen Terrasse (z.B. zum Mittagsschlaf oder für Spaziergänge) aufgehalten. Insofern ist eine gemeinschaftliche Nutzung des gesamten Hauses durch die gesamte Familie gegeben. Es gab tatsächlich keine Trennung der Nutzungsbereiche. Im konkreten Fall ist die rein theoretisch bestehende Möglichkeit einer räumlichen Trennung der Wohneinheiten faktisch nicht durchgeführt worden. Dafür spricht auch, dass der Kläger im Rahmen der mündlichen Verhandlung nochmals betont hat, dass er und seine Familie bei offenen Türen ständig "mit einem Ohr" oben beim Kriegsbeschädigten gewesen seien und im Laufe eines Tages sehr häufig nach ihm geschaut hätten.
Hat der Kläger somit nach der Überzeugung der Kammer im Zeitpunkt des Todes des Kriegsbeschädigten in häuslicher Gemeinschaft mit diesem gelebt, hat er Anspruch auf Gewährung von Sterbegeld nach § 37 Abs. 2.
Die Klage hat im vollen Umfang Erfolg, demzufolge hat der Beklagte auch die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten (§ 193 SGG).
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Sterbegeld nach § 37 Abs. 2 Bundesversorgungsgesetz (BVG).
Der Kläger ist der Sohn des am 17.06.1914 geborenen Kriegsbeschädigten X. X bezog wegen der anerkannten Kriegsschädigungsfolgen "Epilepsie nach Kopfverletzung und Hirnhautentzündung, Magenschleimhautentzündung" mit einem Grad der Schädigung von 100 Versorgungsbezüge nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG). Mit der Schwiegertochter des Kriegsbeschädigten und Ehefrau des Klägers bestand ein Pflegedienstleistungsvertrag. Die Kosten trug das Versorgungsamt. Der Kriegsbeschädigte und der Kläger mit seiner Ehefrau und Tochter wohnten im selben Haus.
Am 30.6.2012 verstarb der Kriegsbeschädigte. Nach einem Telefonvermerk vom 06.07.2010, wonach sich der Kläger hinsichtlich der Kostenerstattung eines nicht genommenen Urlaubs der Pflegeperson (Schwiegertochter) erkundigte, hatte der Kläger auf Nachfrage bestätigt, dass der Vater im ersten Stock des Hauses wohnhaft gewesen sei und er selbst mit seiner Familie im Erdgeschoss wohne. In einem Fragebogen hinsichtlich des Antrags auf Bestattungsgeld nach § 36 BVG beantwortete der Kläger die Frage danach, ob er mit dem Verstorbenen zum Zeitpunkt des Todes in häuslicher Gemeinschaft gelebt habe, mit nein (vgl. Antragsformular, unterschrieben am 14.07.2010, Aktenseite 1425 ff der Verwaltungsakten). Mit Bescheid vom 29.11.2010 gewährte das Versorgungsamt dem Kläger Bestattungsgeld in Höhe von 781 EUR.
Mit Schreiben vom 23.07.2010, eingegangen beim Landratsamt am 26.07.2010, beantragte der Kläger auch die Gewährung von Sterbegeld nach § 37 BVG. Mit Schreiben vom 18.10.2010 erläuterte der zuständige Sachbearbeiter dem Kläger die gesetzlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Sterbegeld. Aus den Angaben im Erhebungsbogen und weiteren Akteninhalten ergebe sich, dass der Verstorbene zurzeit seines Todes mit keiner der anspruchsberechtigten Personen in häuslicher Gemeinschaft gelebt habe und auch keiner dieser Personen Unterhalt geleistet habe, sodass Sterbegeld nur nach Maßgabe des § 37 Abs. 3 BVG gewährt werden könne, wenn und soweit ein wirtschaftlicher Ausgleich angebracht erscheine. Hierzu müsse der Kläger ggf. noch weitere Nachweise erbringen.
Den hiergegen erhobenen Widerspruch nebst Begründung wertete der Beklagte als Antragsbegründung und lehnte den Antrag mit Bescheid vom 18.03.2011 ab. Der Kläger erfülle die Anspruchsvoraussetzungen des § 37 Abs. 2 BVG nicht, da eine häusliche Gemeinschaft mit dem Vater nicht vorgelegen habe. Dieser Begriff setze nach ständiger Rechtsprechung grundsätzlich ein räumliches Zusammenleben voraus. Im entsprechenden Formblattantrag habe der Kläger die Frage nach häuslicher Gemeinschaft verneint und auch keine weiteren Angehörigen angegeben, mit denen der Verstorbene zurzeit seines Todes in häuslicher Gemeinschaft gelebt habe. Diese Angaben deckten sich mit den versorgungsärztlichen Erhebungen anlässlich einer Begutachtung des Vaters in seinem häuslichen Umfeld. In diesem Gutachten sei aufgeführt, dass der Vater eine eigene Wohnung im ersten Obergeschoss des Zweifamilienhauses bewohnt habe und dass der Sohn mit seiner Ehefrau und der Tochter im Erdgeschoss wohne. Für Notfälle in der Nacht habe der Vater eine Telefonverbindung in die Wohnung des Sohnes. Vor diesem Hintergrund und unter Einbeziehung der allgemeinen Lebenserfahrung könne das Vorbringen, wonach die in Ausbildung stehende Tochter überwachend in der Wohnung des 96-jährigen Großvaters gewohnt habe, nicht der zutreffenden Entscheidung zugrundegelegt werden.
Hiergegen erhob der Kläger am 20.04.2011 Widerspruch. Bei der Ankreuzung im Formblattantrag habe es sich um ein Missverständnis gehandelt. Es habe sich faktisch so verhalten, dass der Beschädigte nur zum Schlafen in seiner Wohnung gewesen sei, die Mahlzeiten jedoch im Untergeschoss mit dem Kläger und seiner Familie eingenommen habe. Es sei tatsächlich so gewesen, dass die Tochter des Klägers ihr Jugendzimmer in der Wohnung des Großvaters gehabt habe. Eine häusliche Gemeinschaft sei daher anzunehmen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 15.06.2011 wies das Regierungspräsidium Stuttgart - Landesversorgungsamt - den Widerspruch zurück. Die gemeinsame Einnahme von Mahlzeiten oder das Übernachten der Enkelin beim Opa reiche nicht aus, um eine häusliche Gemeinschaft zu bejahen.
Am 15.07.2011 hat der Kläger beim Sozialgericht Karlsruhe Klage erhoben. Er begehrt weiterhin die Gewährung von Sterbegeld nach § 37 Abs. 2 BVG. In dem versorgungsärztlichen Gutachten aus dem Jahr 2004, auf das sich der Beklagte berufe, werde auch mitgeteilt, dass die Wohnung des Verstorbenen immer offen sei und zwei- bis dreimal in der Stunde ein Familienmitglied nach oben gehe und nach dem Großvater schaue. Zum Frühstück würde er von der Schwiegertochter aus seiner Wohnung eine Treppe tiefer an den gerichteten Frühstückstisch begleitet. Sodann werde er wieder in seine Wohnung gebracht, wo er dann in einem Liegesessel Fernsehen schaue oder Zeitung lese. Das Mittagessen würde er wieder in der unteren Wohnung einnehmen und sodann mit seiner Schwiegertochter für eine gute Stunde mit dem Rollator an die frische Luft gehen. Auch das Abendbrot würde er in der unteren Wohnung einnehmen. In den späteren Jahren des Verstorbenen habe zudem dann noch die Enkelin, also die Tochter des Klägers, mit dem Großvater in einer Wohnung geschlafen. Angesichts dessen sei nicht nachvollziehbar, warum nicht von einer häuslichen Gemeinschaft ausgegangen werden könne. Da die Wohnungstür der oberen Wohnung immer offen gestanden habe, sei sowieso nicht von zwei getrennten Wohnungen auszugehen.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid des Landratsamts vom 18.03.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Regierungspräsidiums Stuttgart - Landesversorgungsamt - vom 15.06.2011 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, Sterbegeld in gesetzlicher Höhe nach § 37 Abs. 2 BVG zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung beruft er sich im Wesentlichen auf den Inhalt des Bescheides vom 18.3.2011 sowie des Widerspruchsbescheides vom 15.6.2011.
Das Gericht hat die Verwaltungsakten des Beklagten beigezogen. Im Termin zur mündlichen Verhandlung hat der Kläger weitere Angaben zur Wohnsituation im Zeitpunkt des Todes des Kriegsbeschädigten gemacht. Für die weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten sowie auf den Inhalt der Gerichtsakte S 7 VK XXXX/11, insbesondere der Niederschrift vom 24.8.2012 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist auch begründet. Der Bescheid des Landratsamts vom 18.03.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 15.06.2011 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Der Kläger hat Anspruch auf Gewährung von Sterbegeld.
Rechtsgrundlage für den Anspruch auf Sterbegeld ist § 37 Bundesversorgungsgesetz (BVG). Beim Tode eines Beschädigten ist ein Sterbegeld in Höhe des Dreifachen der Versorgungsbezüge zu zahlen, die ihm für den Sterbemonat nach den §§ 30 bis 33, 34 und 35 zustanden, Pflegezulage jedoch höchstens nach Stufe II (§ 37 Abs. 1 Satz 1 BVG). Anspruchsberechtigt sind nach § 37 Abs. 2 BVG der Ehegatte, der Lebenspartner, die Kinder, die Eltern, die Stiefeltern, die Pflegeeltern, die Enkel, die Großeltern, die Geschwister und die Geschwisterkinder, wenn sie mit dem Verstorbenen zurzeit des Todes in häuslicher Gemeinschaft gelebt haben. Hat der Verstorbene mit keiner dieser Personen in häuslicher Gemeinschaft gelebt, so ist das Sterbegeld in vorstehender Rangfolge dem zu zahlen, den der Verstorbene unterhalten hat.
Nachdem die Ehefrau des Kriegsbeschädigten bereits im Jahr 1994 verstorben ist, ist der Kläger als Sohn des Kriegsbeschädigten grundsätzlich Anspruchsberechtigter im Sinne der genannten Vorschriften. Auch die weitere Voraussetzung des Lebens in häuslicher Gemeinschaft zurzeit des Todes ist nach der Überzeugung der Kammer erfüllt. Häusliche Gemeinschaft setzt im allgemeinen räumliches Zusammenleben voraus. Eine Trennung hebt die häusliche Gemeinschaft nicht auf, wenn ihre Wiederherstellung beabsichtigt war (Verwaltungsvorschrift Nr. 4 zu § 36 BVG - die Vorschrift betrifft die Gewährung von Bestattungsgeld und enthält in ihrem Absatz 2 ebenfalls die Tatbestandsvoraussetzung des Lebens in häuslicher Gemeinschaft mit dem Verstorbenen). Nach der Überzeugung der Kammer kann es für die Entscheidung, ob ein räumliches Zusammenleben in diesem Sinne vorliegt, nicht allein auf die äußeren Gegebenheiten der Wohnsituation ankommen. Zu berücksichtigen ist vielmehr entscheidend die tatsächliche Handhabung durch den Kläger und seine Familie.
Nach den glaubhaften und nachvollziehbaren Angaben des Klägers sowohl schriftlich als auch mündlich im Termin zur mündlichen Verhandlung besteht sein Haus aus zwei Wohneinheiten bzw. Wohnungen (im Erdgeschoss und im ersten Stock). Will man von einer Wohneinheit zur anderen gelangen, ist dies über ein außerhalb der Wohnungen gelegenes Treppenhaus möglich. Dem Beklagten ist zuzugeben, dass bei tatsächlicher Nutzung des Hauses mit zwei in sich abgeschlossenen und getrennten Wohneinheiten - der Kriegsbeschädigte ausschließlich oben und der Sohn mit der Familie ausschließlich unten - ein räumliches Zusammenleben abgelehnt werden müsste. Im Fall des Klägers und seiner Familie war es aber so, dass das Haus faktisch jedenfalls zum Zeitpunkt des Todes des Kriegsbeschädigten als eine räumliche Einheit bzw. als Einfamilienhaus genutzt wurde. Die Tür zur oberen Wohneinheit stand immer offen. In der oberen Wohneinheit befanden sich nicht nur Schlafzimmer und Bad des Kriegsbeschädigten, sondern auch Jugendzimmer der Tochter sowie ein Arbeitszimmer des Klägers. Die Küche oben hat der Kriegsbeschädigte nicht mehr selbst genutzt, sondern (soweit gesundheitlich möglich) alle Mahlzeiten unten mit dem Kläger und seiner Familie eingenommen. Er hat sich regelmäßig auch im Wohnzimmer des Klägers und auf dessen Terrasse (z.B. zum Mittagsschlaf oder für Spaziergänge) aufgehalten. Insofern ist eine gemeinschaftliche Nutzung des gesamten Hauses durch die gesamte Familie gegeben. Es gab tatsächlich keine Trennung der Nutzungsbereiche. Im konkreten Fall ist die rein theoretisch bestehende Möglichkeit einer räumlichen Trennung der Wohneinheiten faktisch nicht durchgeführt worden. Dafür spricht auch, dass der Kläger im Rahmen der mündlichen Verhandlung nochmals betont hat, dass er und seine Familie bei offenen Türen ständig "mit einem Ohr" oben beim Kriegsbeschädigten gewesen seien und im Laufe eines Tages sehr häufig nach ihm geschaut hätten.
Hat der Kläger somit nach der Überzeugung der Kammer im Zeitpunkt des Todes des Kriegsbeschädigten in häuslicher Gemeinschaft mit diesem gelebt, hat er Anspruch auf Gewährung von Sterbegeld nach § 37 Abs. 2.
Die Klage hat im vollen Umfang Erfolg, demzufolge hat der Beklagte auch die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten (§ 193 SGG).
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