S 1 KO 1111/13

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Karlsruhe (BWB)
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
1
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 1 KO 1111/13
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Gutachten von Sachverständigen zum Ausmaß von Pflegebedürftigkeit sind grundsätzlich nach der Honorargruppe M2 zu entschädigen.
Die Entschädigung der Antragstellerin für ihr im Hauptsacheverfahren S 14 P xxx/12 erstelltes Gutachten vom 30. Januar 2013 wird auf 923,00 EUR festgesetzt. Dieser Beschluss ergeht gebührenfrei, Kosten werden nicht erstattet.

Gründe:

I.

Im Hauptsacheverfahren S 14 P xxx/12 streiten die Beteiligten um die Gewährung von Leistungen aus der gesetzlichen Pflegeversicherung nach der Pflegestufe II anstelle der Pflegestufe I. Die Vorsitzende der 14. Kammer des Sozialgerichts Karlsruhe ernannte die Antragstellerin mit Schreiben vom 30. Oktober 2012 auf Antrag und im Kostenrisiko des Klägers gemäß § 109 des Sozialgerichtsgesetzes zur gerichtlichen Sachverständigen und beauftragte sie mit der Erstellung eines schriftlichen Gutachtens. Hierfür lagen der Antragstellerin die Verwaltungsakten der Beklagten (66 Blatt) und die Prozessakte (59 Blatt) vor. Am 31. Januar 2013 legte die Antragstellerin ihr am 30. Januar 2013 erstelltes Gutachten mit rund 35.000 Zeichen im Umfang von 20 Seiten vor. Hierfür beanspruchte sie eine Entschädigung von insgesamt 1.256,79 EUR. Dabei legte sie einen Zeitaufwand von 11,50 Stunden und ein Honorar von 85,00 EUR je Stunde (Honorargruppe M 3) zu Grunde. Außerdem machte sie eine Entschädigung für Schreibauslagen (26,24 EUR), für Fahrtkosten (106 km zu je 0,30 EUR), für 26 Fotokopien zu je 0,50 EUR, das sind 13,00 EUR, und für Portoauslagen (7,58 EUR), insgesamt 1.056,13 EUR, zzgl. 19 % Umsatzsteuer hieraus (200,66 EUR) geltend.

Der Kostenbeamte hat die Entschädigung nach Prüfung der Abrechnungsunterlagen auf insgesamt 914,66 EUR festgesetzt. Dabei ist er von einem Zeitaufwand von 11,50 Stunden ausgegangen. Das Gutachten hat der Kostenbeamte der Honorargruppe M 2 (60,00 EUR) zugeordnet. Weiter hat er eine Entschädigung für Schreibgebühren (26,24 EUR), für 26 Kopien (13,00 EUR), für Fahrtkosten (31,80 EUR) und für Portoauslagen (7,58 EUR) zuzüglich 146,04 EUR Umsatzsteuer aus 768,62 EUR gewährt (Schreiben vom 28. Februar 2013).

Deswegen hat die Antragstellerin am 18. März 2013 richterliche Festsetzung ihrer Entschädigung beantragt. Zur Begründung trägt sie im wesentlichen vor, auch im Rahmen eines Pflegegutachtens seien Kausalität und Leistungsvermögen zu beurteilen, weil nur krankheits-, behinderungs- oder altersbedingte Funktionseinbußen einen anrechenbaren Pflegebedarf auslösten. Die Abgrenzung des tatsächlichen krankheitsbedingten Hilfeaufwands habe sich vorliegend gegenüber der auf Leistungsgewährung ausgerichteten Aggravation des Klägers außergewöhnlich schwierig gestaltet aufgrund vager, ausweichender und teilweise widersprüchlicher Angaben und einer sehr eingeschränkten Bereitschaft des Klägers zur Mitarbeit.

Der Kostenbeamte hat der Erinnerung nicht abgeholfen (Verfügung vom 26. März 2013) und sie dem erkennenden Gericht zur Entscheidung vorgelegt.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Antragstellerin wird auf den Inhalt der vorliegenden Prozess- und Kostenakten Bezug genommen.

II.

Auf den zulässigen (§ 4 Abs. 1 Satz 1 des Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetzes (JVEG)) Antrag auf richterliche Festsetzung ist die Entschädigung der Antragstellerin für ihr dem Sozialgericht Karlsruhe am 31. Januar 2013 zugegangenes Gutachten vom 30. Januar 2013 auf insgesamt 923,00 EUR festzusetzen. Als für die Erstellung des Gutachtens erforderlicher Zeitaufwand sind dabei - wie geltend gemacht - 11,50 Stunden zu berücksichtigen. Das Gutachten ist indes - entgegen der Auffassung der Antragstellerin - der Honorargruppe M 2 zuzuordnen und deshalb mit 60,00 EUR je Stunde zu entschädigen.

Grundlage des Vergütungsanspruchs der Antragstellerin ist § 8 Abs. 1 Nr. 1 JVEG. Danach erhält der Sach¬verständige als Vergütung ein Honorar für seine Leistungen, das nach Stundensätzen bemessen ist. Dementsprechend wird das Honorar gemäß § 8 Abs. 2 JVEG für jede Stunde der erforderlichen Zeit gewährt, wobei die letzte bereits begonnene Stunde voll gerechnet wird, wenn sie zu mehr als 30 Minuten für die Erbringung der Leistung erforderlich war; andernfalls beträgt das Honorar die Hälfte des sich für eine volle Stunde ergebenden Betrages.

Das Gutachten hat der Kostenbeamte zu Recht nicht der Honorargruppe M 3, sondern der Honorargruppe M 2 zugeordnet:

Medizinische Sachverständige erhalten nach § 9 Abs. 1 JVEG für jede Stunde ein Honorar in Höhe von 50,00 EUR, 60,00 EUR oder 85,00 EUR, je nachdem, welcher Honorargruppe das von ihnen erstattete Gutachten nach der Anlage 1 zu § 9 JVEG zuzuordnen ist. In dieser Anlage werden die medizinischen Gutachten ihrem Schwierigkeitsgrad entsprechend in die bereits genannten drei Honorargruppen M 1, M 2 und M 3 eingeteilt. Dabei hat sich der Gesetzgeber an den verschiedenen Gegenständen medizinischer Gutachten und ihrem Umfang orientiert und die Vergütung damit aufwandsbezogen gestaltet (vgl. BT-Drucks. 15/1971 S. 186). Nach der Rechtsprechung des Kostensenats des LSG Baden-Württemberg (vgl. Beschlüsse vom 22.09.2004 - L 12 RJ 3686/04 KO-A -, vom 30.01.2006 - L 12 R 5483/05 KO-B - und vom 24.04.2008 - L 12 R 985/07 KO-B -), der die Kammer folgt, sind einfachere gutachtliche Beurteilungen der Honorargruppe M 1 zuzuordnen. Dabei handelt es sich um medizinische Gutachten, bei denen die Diagnose zu beurteilender Gesundheitsstörungen verhältnismäßig leicht zu stellen ist und die Beweisfragen ohne sonderliche Mühe zu beantworten sind, insbesondere wenn die Beurteilung durch antizipierte Sachverständigengutachten oder einschlägige Tabellenwerke erleichtert wird. Hierunter fallen etwa - augen- und ohrenfachärztliche Gutachten zur Frage des Ausmaßes einer Seh- oder Hörminderung sowie - Gutachten unabhängig vom Sachgebiet ohne schwierige Diagnostik, wenn die Beurteilung - z.B. anhand einer Monoverletzung - im Wesentlichen auf Zustand oder Funktion eines Organs/Organpaares bzw. eines Körperteils gerichtet ist und keine komplizierten Überlegungen anzustellen sind.

Gutachten mit einer Vergütung nach der Honorargruppe M 2 sind die typischen in der Sozialgerichtsbarkeit eingeholten Gutachten, die durchschnittliche Anforderungen stellen. In diese Gruppe fällt daher der Großteil der von den Sozialgerichten eingeholten Gutachten. Gutachten mit durchschnittlicher Schwierigkeit sind solche, bei denen die diagnostischen oder die ätiologischen Fragen oder die Beurteilung des Leistungsvermögens eingehendere Überlegungen erfordern.

Hierbei handelt es sich - vor allem um sog. "Zustandsgutachten", in denen das Leistungsvermögen des Untersuchten im Rahmen der gesetzlichen Rentenversicherung, der Arbeitslosenversicherung, im Bereich des Schwerbehindertenrechts (SGB IX) oder der gesetzlichen Pflegeversicherung (SGB XI; vgl. Thür. LSG vom 19.04.2007 - L 6 SF 11/07 - (Juris)) und - die Leidensverbesserungen oder -verschlimmerungen bei Neufeststellungen in der gesetzlichen Unfallversicherung oder im sozialen Entschädigungsrecht unter Berücksichtigung von Vorgutachten und Vorbefunden zu erörtern sind sowie - Gutachten aus dem Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung oder des sozialen Entschädigungsrechts, wenn die zu klärenden Kausalfragen keine besonders schwierigen Überlegungen erfordern, insbesondere wenn sich die Beantwortung der Kausalfragen ohne kritische Auseinandersetzung allein an den Standardwerken der unfallmedizinischen Literatur orientiert.

Gutachten mit hohem Schwierigkeitsgrad nach der Honorargruppe M 3 liegen vor, wenn der Sachverständige umfassende und vielseitige bzw. vielschichtige Überlegungen anstellen muss. Die Schwierigkeiten können mit den diagnostischen oder ätiologischen Fragen zusammenhängen, aber auch andere Gründe haben, z.B. durch eine Vielzahl unklarer oder widerspruchsvoller Befunde oder anamnestischer Angaben bedingt sein.

In erster Linie sind hier - Zusammenhangsgutachten in der gesetzlichen Unfallversicherung und im sozialen Entschädigungsrecht einzuordnen, die sich im notwendigen Umfang mit den im Schrifttum vertretenen wissenschaftlichen Meinungen im Gutachten auseinander setzen sowie - Zustandsgutachten bei sehr komplizierten, widersprüchlichen Befunden und entsprechenden Schwierigkeiten bei deren diagnostischer Einordnung. In diese Honorargruppe gehören auch die in der Anlage 1 des JVEG beispielhaft aufgeführten Gutachten in Verfahren nach dem Häftlingshilfegesetz (HHG), zur Geschäfts- oder Prozessfähigkeit und Gutachten zu rechtsmedizinischen, toxikologischen und spurenkundlichen Fragestellungen im Zusammenhang mit einer abschließenden Todesursachenklärung, ärztlichen Behandlungsfehlern oder einer Beurteilung der Schuldfähigkeit, sofern der eingangs dargestellte hohe Schwierigkeitsgrad vorliegt.

Gemessen hieran ist das von der Antragstellerin erstellte Gutachten vom 30. Januar 2013 der Honorargruppe M 2 zuzuordnen und mit 60,00 EUR je Stunde zu entschädigen. Es handelt sich um ein Gutachten in einem Rechtsstreit nach dem SGB XI zur Feststellung des Ausmaßes der Pflegebedürftigkeit. Das Gutachten der Antragstellerin stellt sowohl nach der vom Gericht vorgegebenen Fragestellung als auch nach seinem Aufbau und Inhalt eine beschreibende Ist-Zustandsbegutachtung nach standardisiertem Schema dar. Spezielle Kausalzusammenhänge wie etwa im Bereich der Kriegsopferversorgung, des Opferentschädigungs- oder des Häftlingshilfegesetzes oder der gesetzlichen Unfallversicherung waren nicht zu erörtern. Überdies ist zu berücksichtigen, dass die Beurteilung des Ausmaßes der Pflegebedürftigkeit des Klägers durch die entsprechenden Zeitvorgaben in den Richtlinien des GKV-Spitzenverbandes zur Begutachtung von Pflegebedürftigkeit nach dem XI. Buch des Sozialgesetzbuches erleichtert ist. Das von der Antragstellerin erstattete Gutachten wies damit lediglich einen durchschnittlichen Schwierigkeitsgrad auf und ist deshalb der Honorargruppe M 2 zuzuordnen (vgl. insoweit auch Keller, "Die Vergütung ärztlicher Sachverständigengutachten im sozialgerichtlichen Verfahren nach dem Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz" in MedSach 2005, 154, 156; Straßfeld, "Auswirkungen des Kostenmodernisierungsgesetzes auf das sozialgerichtliche Verfahren" in SGb 2005, 154, 156). Eine Vergütung nach der Honorargruppe M 3 erfordert gegenüber einem Gutachten nach der Honorargruppe M 2 einen deutlich höheren Schwierigkeitsgrad, wobei sich dieser deutlich höhere Schwierigkeitsgrad gerade aus den Darlegungen im Gutachten entnehmen lassen muss, oder etwa die Auseinandersetzung des Sachverständigen mit einer extrem seltenen, komplexen Gesundheitsstörung (vgl. hierzu LSG Berlin-Brandenburg vom 06.02.2012 - L 2 SF 305/11 E - (Juris)). Dies ist vorliegend nicht der Fall. Soweit die Antragstellerin vorträgt, solche deutlich höheren Schwierigkeiten hätten sich vorliegend aus der Abgrenzung des objektiven krankheitsbedingten Hilfebedarfs gegenüber der auf die Gewährung höherer Leistungen ausgerichteten Aggravation des Klägers ergeben wie auch aufgrund vager, ausweichender und teilweise widersprüchlicher Angaben und einer nur eingeschränkten Bereitschaft zur Mitarbeit, führt dies zu keinem anderen Ergebnis. Denn all diese Umstände stellen nach Auffassung des erkennenden Gerichts allein solche dar, die einzeln oder auch insgesamt bei nahezu jeder Begutachtung anzutreffen sind. Sie sind zudem teilweise auch durch das jeweilige Krankheitsbild selbst mit bedingt.

Unter Berücksichtigung eines für die Erstellung des Gutachtens der Antragstellerin erforderlichen Zeitaufwands von 11,5 Stunden ergibt sich damit eine Entschädigung der Antragstellerin für die Erstellung ihres Gutachtens i.H.v. 690,00 EUR.

Darüber hinaus hat die Antragstellerin Anspruch auf Entschädigung von 26,25 EUR Schreibgebühren (= 35 x 0,75 EUR; § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 i.V.m. § 8 Abs. 1 Nr. 4 JVEG), für 2 Mehrfertigung ihres Gutachtens, das sind 40 Fotokopien zu je 0,50 EUR (§ 8 Abs. 1 Nr. 4 i.V.m. § 7 Abs. 2 Satz 1 JVEG), mithin 20,00 EUR, für Fahrtkosten i.H.v.31,80 EUR für 106 km zu je 0,30 EUR (§ 8 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 JVEG) und für das von ihr verauslagte Porto i.H.v. 7,58 EUR (§ 8 Abs. 1 Nr. 4 i.V.m. § 7 Abs. 1 Satz 1 JVEG). Soweit die Antragstellerin selbst die Entschädigung für Schreibgebühren auf 26,24 EUR und für die Fotokopierkosten auf 13,00 EUR beziffert hat, ist die Kammer daran im Rahmen der richterlichen Festsetzung der Entschädigung nicht gebunden, da der Gesamtbetrag der festzusetzenden Entschädigung der Antragstellerin die von ihr geforderte Summe nicht übersteigt (§ 308 Abs. 1 Satz 1 der Zivilprozessordnung; so auch Thür LSG vom 11.03.2004 - L 6 SF 980/03 - (Juris) und OLG Düsseldorf, JurBüro 1982, 1229 und 1992, 264).

Damit ergibt sich ein (Netto-) Entschädigungsbetrag von 775,63 EUR.

Schließlich hat die Antragstellerin Anspruch auf Entschädigung der von ihr für die Erstellung des Gutachtens zu errichtenden Umsatzsteuer i.H.v. 19 Prozent aus 775,63 EUR, das sind 147,73 EUR (§ 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 i.V.m. § 8 Abs. 1 Nr. 4 JVEG).

Damit ergibt sich eine Gesamtentschädigung der Antragstellerin i.H.v. 923,00 EUR.

Die Entscheidung über die Gebühren und Kosten beruht auf § 4 Abs. 8 Abs. 1 und 2 JVEG.
Rechtskraft
Aus
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