S 17 AL 1131/13

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Karlsruhe (BWB)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
17
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 17 AL 1131/13
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Die Agentur für Arbeit darf nur dann eigenständig über die gesundheitlichen Leistungsfähigkeit - als Voraussetzung der Verfügbarkeit - entscheiden, wenn eine etwaige Leistungsminderung des Versicherten zweifelsfrei nicht länger als sechs Monate andauern wird
2. Ist die Dauer der Leistungsminderung zweifelhaft und lässt sich eine mehr als sechsmonatige Leistungsminderung nicht sicher ausschließen, obliegt die Entscheidung über eine verminderte Erwerbsfähigkeit nicht der Agentur für Arbeit, sondern gemäß § 125 Abs. 1 Satz 2 SGB III (a.F.) dem Träger der gesetzlichen Rentenversicherung.
3. Der Hinweis auf noch ausstehende Therapien sowie nicht abgeschlossene medizinische Maßnahmen in einem Gutachten des ärztlichen Dienstes nach Aktenlage schließen in der Regel eine zweifelsfreie zeitliche Ab-schätzung der Leistungsminderung aus.
Der Bescheid vom 19. Januar 2012 in Gestalt des Wider-spruchsbescheides vom 12. März 2012 wird aufgehoben. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klä-gers.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte das dem Kläger bewilligte Ar-beitslosengeld zu Recht ab 19. Januar 2012 aufgehoben und die Gewährung von Arbeitslosengeld für die Zukunft abgelehnt hat.

Der 1991 geborene Kläger verletzte sich im Januar 2010 bei einem Arbeitsunfall am Sprunggelenk und bezog bis zum 24. September 2011 Verletztengeld. Am 15. Sep-tember 2011 beantragte er bei der Beklagten Arbeitslosengeld. Dabei gab er an, seit dem 27. Januar 2010 arbeitsunfähig krankgeschrieben zu sein und bestimmte Be-schäftigungen aufgrund gesundheitlicher Gründe nicht mehr ausüben zu können. Bei einer ärztlichen Begutachtung sei er bereit, sich im Rahmen des festgestellten Leis-tungsvermögens für die Vermittlung zur Verfügung zu stellen. Die Beklagte stufte den Kläger als Verdachtsfall nach § 125 SGB III ein und ließ ihn am 26. Oktober 2011 durch den Sozialmedizinischen Dienst begutachten. In dem Gutachten nach Aktenlage schätzte Dr. M. das Leistungsvermögen als vollschichtig für gelegentlich mittelschwere Tätigkeiten ein. Die Beklagte bewilligte dem Kläger durch Bescheid vom 27. Oktober 2011 Arbeitslosengeld ab dem 25. September 2011.

Unter Berücksichtigung eines aktuellen Befundes der Universitätsklinik T. vom 12. Oktober 2011 erstellte Dr. M. am 30. November 2011 eine weitere sozialmedizinische Stellungnahme nach Aktenlage und schätzte die Leistungsfähigkeit des Klägers auf unter drei Stunden für eine Dauer von voraussichtlich bis zu sechs Monaten ein. Aufgrund der immer bestehenden Schmerzen stünden noch mehrere fachärztliche Begutachtungen aus und es sei ein stationärer Aufenthalt empfohlen worden. In dieser Zeit dürften sämtliche medizinische Maßnahmen und Begutachtungen abgeschlossen sein und eine endgültige Beurteilung der Leistungsfähigkeit möglich sein (Teil B des Gutachtens). Die Beklagte informierte den Kläger am 8. Dezember 2011 über das Gutachten.

Durch Bescheid vom 14. Dezember 2011 hob sie die Bewilligung von Arbeitslosengeld ab dem 8. Dezember 2011 auf. Zur Begründung gab sie an, der Kläger sei laut ärztlichem Gutachten voraussichtlich bis zu sechs Monaten leistungsunfähig und stehe der Arbeitsvermittlung daher nicht zur Verfügung. Auf den hiergegen erhobenen Widerspruch erließ die Beklagte einen als "Änderungsbescheid" unter dem 21. Dezember 2011, mit dem sie dem Kläger Arbeitslosengeld seit dem 8. Dezember 2011 bis "auf Weiteres" bewilligte. Durch Bescheid vom 19. Januar 2012 hob die Beklagte die Bewilligung von Arbeits-losengeld unter Berufung auf §§ 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X, 330 Abs. 3 SGB III ab dem 19. Januar 2012 auf und begründete dies mit dem Ende der Leistungsfortzahlung im Krankheitsfall. Die Prozessbevollmächtigte des Klägers teilte am 08. Februar 2012 telefonisch mit, der Kläger sei von der Beklagten bei der Krankenkasse abgemeldet worden, habe aber keinen Aufhebungsbescheid erhalten. Gegen den daraufhin an die Prozessbevollmächtigte übersandten Bescheid erhob er unter dem 15. Februar 2012 Widerspruch und wies daraufhin, dass die Berufsgenossenschaft mit Bescheid vom 21. September 2011 eine dauerhafte Arbeitsunfähigkeit anerkannt habe. Die Einschätzung der Agentur für Arbeit nach Aktenlage sei daher nicht richtig. Er werde noch mehr als sechs Monate leistungsunfähig sein, nachdem zum Ersatz der heutigen Schmerzmedikation das Implantat eines Neurostimulators geplant sei, anschließend ein Entzug der Schmerzmedikamente und anschließend eine Operation des rechten und linken Knöchels. Die Leistungsunfähigkeit werde deshalb noch mindestens sechs Monate bestehen, so dass Arbeitslosengeld weiter zu zahlen sei.

Die Beklagte beauftragte daraufhin ihren Ärztlichen Dienst mit einer erneuten gutach-terlichen Stellungnahme, in der Dr. M. unter dem 1. März 2012 weiterhin davon ausging, dass die Leistungsfähigkeit innerhalb von sechs Monaten wieder hergestellt werden könne. Wann mit dem Wiedereintritt von Leistungsfähigkeit zu rechnen sei, könne nicht abgeschätzt werden. Es seien noch mehrere Therapien erforderlich. In dem Bescheid der BG vom 21. September 2011 werde von Arbeitsunfähigkeit gesprochen, die sich immer auf die letzte Tätigkeit nicht jedoch auf den allgemeinen Arbeitsmarkt beziehe. Dies verdeutliche sich auch aus dem Ersten Rentengutachten vom 15. Dezember 2011, in dem eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 20 angenommen und eine Umschulungsmaßnahme auf eine rein sitzende Tätigkeit vorgeschlagen werde.

Durch Widerspruchsbescheid vom 12. März 2012 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Ein Anspruch auf Arbeitslosengeld gemäß § 125 SGB III bestehe nicht, da keine mehr als sechsmonatige Minderung der Leistungsfähigkeit vorliege.

Der Kläger hat hiergegen am XXX 2012 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe erhoben. Zur Begründung wiederholt er im Wesentlichen sein Vorbringen im Widerspruchsver-fahren. Er ergänzt, dass ihm das Arbeitslosengeld bereits am 25. September 2011 bewilligt worden sei und der Sechs-Monats-Zeitraum somit am 25. März 2012 geendet habe. In Anbetracht der Tatsache, dass er sich derzeit erneut in stationärer Behandlung aufgrund einer seiner zahlreichen gesundheitlichen Beschwerden befinde, müsse von einer Arbeitsunfähigkeit von mehr als sechs Monaten ausgegangen werden, zumal der Ärztliche Dienst selbst auch aktuell von Arbeitsunfähigkeit ausgehe.

Das Gericht hat die medizinischen Unterlagen des Ärztlichen Dienstes der Bundes-agentur für Arbeit, den Bericht über interdisziplinäre Schmerztherapie der BG-Klinik T. vom 12. Oktober 2011 sowie das Erste Rentengutachten vom 15. Dezember 2011 beigezogen und die behandelnden Ärzte Dr. M. sowie Dr. Z. als sachverständige Zeugen befragt. Auf den Inhalt der sachverständigen Zeugenaussagen und der weiteren medizinischen Unterlagen wird Bezug genommen.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 19. Januar 2012 in Form des Widerspruchs-bescheides vom 12. März 2012 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie trägt vor, auch nach Vorlage der im Klageverfahren vorgelegten Unterlagen ergebe sich keine andere Beurteilung des Leistungsvermögens des Klägers auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Bei üblichem Krankheitsverlauf und entsprechender Be-handlung sei zum Beurteilungszeitpunkt (November 2011) von einer Leistungsunfä-higkeit des Klägers von bis zu sechs Monaten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auszugehen.

Für die weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und dem Vorbringen der Beteiligten wird auf die vorliegende Prozess- und Verwaltungsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Anfechtungsklage gemäß § 54 Abs. 1 Alt.1 SGG ist zulässig und begründet. Der Bescheid vom 19. Januar 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. März 2012 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten.

Als Rechtsgrundlage für die Aufhebung des dem Kläger bewilligten Arbeitslosengeldes kommen weder die zunächst von der Beklagten zur Begründung ihrer Entscheidung benannten §§ 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X, 330 Abs. 3 SGB III, noch §§ 45 SGB X , 330 Abs. 2 SGB III in Betracht.

1. Nach § 48 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Diese Voraussetzungen lägen vor, wenn eine die Aufhebung der Arbeitslosengeldbewilligung rechtfertigende wesentliche Änderung in den - hier nur in Betracht kommenden - tatsächlichen Verhältnissen seit Antragstellung am 15. September 2011 eingetreten wäre. Dies ist jedoch nicht der Fall. Zwischen der Antragstellung, der Bekanntgabe des Bewilligungsbescheids vom 27. Oktober 2011 und der erneuten, unbefristeten ("bis auf weiteres") Bewilligung durch den Änderungsbescheid vom 21. Dezember 2011 ist keine Verschlechterung des Gesundheitszustands des Klägers eingetreten, die eine zuvor bestehende objektive Verfügbarkeit hätte entfallen lassen. Eine wesentliche Änderung der tatsächlichen Verhältnisse ist auch nicht durch den schmerztherapeutischem Bericht vom 12. Oktober 2011 oder das Gutachten vom 30. November 2011 erfolgt. Ob sich die tatsächlichen Verhältnisse in wesentlicher Hinsicht geändert haben, beurteilt sich nicht nach den subjektiven Vorstellungen, die für die aufhebende Behörde bei Erlass des ursprünglichen Verwaltungsakts maßgeblich gewesen sind, sondern allein nach den tatsächlichen Verhältnissen. Bei einem Vergleich der Befunde kommt es nicht auf die subjektiven Auffassungen und Beurteilungen einzelner Sachverständiger oder Gerichte, sondern allein auf den wirklichen, das heißt objektiven Befund an (vgl. Lan-dessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 14. März 2003, Az. L 8 AL 1601/07). Die Schmerzmittelabhängigkeit und das Schmerzsyndrom haben bei dem Kläger zusätzlich zu seiner Sprunggelenksverletzung bereits vor der Bewilligung von Arbeitslosengeld vorgelegen und sind kein "neuen" Diagnosen aus dem schmerzthe-rapeutischem Bericht vom 12. Oktober 2011.

Damit haben auch die Voraussetzungen des § 126 Abs. 1 Satz 1 SGB III (a.F.; Leis-tungs¬fortzahlung bei Arbeitsunfähigkeit) nicht vorgelegen. Demnach verliert ein Ar-beitsloser, der während des Bezugs von Arbeitslosengeld infolge Krankheit unver-schuldet arbeitsunfähig wird, nicht den Anspruch auf Arbeitslosengeld für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit oder stationären Behandlung mit einer Dauer von bis zu sechs Wochen. Beim Kläger ist jedoch mit der Begutachtung vom 30. November 2011 keine neue Arbeitsunfähigkeit eingetreten, die vorher medizinisch noch nicht vorgelegen hat. Vielmehr ist er seit Antragstellung arbeitsunfähig gewesen. Hinzu kommt, dass die (erst) zu diesem Zeitpunkt vom ärztlichen Dienst (an)erkannte Arbeitsunfähigkeit im Hinblick auf ihre Dauer nicht kürzer als sechs Monate hätte eingeschätzt werden dürfen. Die Agentur für Arbeit darf nur dann eigenständig über die gesundheitlichen Leistungsfähigkeit - als Voraussetzung der Verfügbarkeit - entscheiden, wenn eine etwaige Leistungsminderung des Versicherten zweifelsfrei nicht länger als sechs Monate andauern wird (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 14.03.2008, Az. L 8 AL 1601/07, juris Rn. 23; Brand in Niesel/Brand, SGB III, § 125 Rn. 5). Nur dann scheidet eine Rente wegen Erwerbsminderung sicher aus und es bestünde keine Gefahr eines Kompetenzkonflikts mit dem Rentenversicherungsträger (LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 24.08.2006, Az. L 4 AL 57/04, juris Rn. 25). Ist die Dauer der Leistungsminderung jedoch zweifelhaft und lässt sich eine mehr als sechsmonatige Leistungsminderung nicht sicher ausschließen, obliegt die Entscheidung über eine verminderte Erwerbsfähigkeit nicht der Agentur für Arbeit, sondern gemäß § 125 Abs. 1 Satz 2 SGB III (a.F.) dem Träger der gesetzlichen Rentenversicherung.

Gemessen daran war weder am ersten Tag der Arbeitslosigkeit noch bei der erneuten Untersuchung am 30. November 2011 zweifelsfrei von einer nur vorübergehenden, also nicht mehr als sechsmonatigen Minderung der Leistungsfähigkeit auszugehen. Die von Dr. M. getroffene medizinische Einschätzung eines unter dreistündigen Leistungsvermögens ist unter Berücksichtigung der medizinischen Ermittlungen zu-treffend gewesen. Angesichts der mehr als 18-monatigen Dauer der krankheitsbe-dingten Arbeitsunfähigkeit des Klägers bis zum Beginn des Leistungszeitraumes - deren Ende zum Zeitpunkt des Leistungsantrages offenbar nicht absehbar war, der Art seiner Erkrankung (Schmerzsyndrom im Sprunggelenk, Schmerzmittelabhängigkeit und chronisches Schmerzsyndrom) und im Hinblick auf die noch anstehenden Behandlungen konnte ein absehbares Ende der Leistungsminderung nicht prognostiziert werden. Aus dem Dr. M. am 30. November 2011 vorliegenden schmerztherapeutischem Bericht vom 12. Oktober 2011 ist die schon länger andauernde Krankheitsgeschichte des Klägers ersichtlich, einschließlich der Morphiumabhängigkeit. Der Kläger wird dahingehend zitiert, dass sämtliche durchgeführten Behandlungsmaßnahmen bisher zu keiner wesentlichen Besserung der Schmerzen geführt haben. Aus dem Bericht wird ein Behandlungsbedarf sowohl im Hinblick auf die Schmerzmittelabhängigkeit als auch im Hinblick auf das Schmerzsyndrom deutlich. Der Bericht endet mit dem Hinweis, dass erst nach einem Schmerzmittelentzug eine Stellungnahme - aus schmerztherapeutischer Sicht - zur Leistungsfähigkeit erfolgen kann. Eine zweifelsfreie Einschätzung war folglich - erst recht ohne eigene Untersuchung - auch durch Dr. Müller nicht möglich. Das bestätigt Dr. M. im Nachhinein auch in der im Klageverfahren vorgelegten Stellungnahme vom 09. Oktober 2013, wo sie sich zwar darauf zu berufen versucht, dass eine Einschätzung der Leistungsminderung grundsätzlich nie unzweifelhaft in der Dauer beurteilt werden könne, dann jedoch ergänzt, dass dies "insbesondere bei noch nicht abgeschlossener Therapie" der Fall sei. Sowohl zum Zeitpunkt ihrer Einschätzung am 26. Oktober 2011 als auch am 20. November 2011 standen noch mindestens ein Schmerzmittelentzug und eine Behandlung des Schmerzsyndroms aus. Darauf geht sie in ihrer arbeitsmedizinischen Stellungnahme auch ein ("Aufgrund der noch immer bestehenden Schmerzen stehen noch mehrere fachärztliche Begutachtungen aus. Auch wurde dem Kunden ein nochmaliger stationärer Aufenthalt empfohlen"), so dass die geäußerte Erwartung - "In dieser Zeit dürften sämtliche medizinische Maßnahmen und Begutachtungen abgeschlossen sein und eine endgültige Beurteilung der Leistungsfähigkeit von Herrn R. möglich sein" - gerade keine zweifelsfreie zeitliche Abschätzung des Ende der Leistungsminderung darstellt. Selbst aus der Möglichkeit einer endgültigen Beurteilung der Leistungsfähigkeit binnen sechs Monaten kann nicht auf ein dann vorliegendes Leistungsvermögen geschlossen werden.

Dies haben auch die sachverständigen Zeugen bestätigen können. Dr. S. hat gegen-über dem Gericht angegeben, seit dem Unfall im Januar 2010 sei es zu chronischen Schmerzen und der Notwendigkeit einer Schmerzmedikation mittels hochdosierten Morphinpräparaten gekommen, die jedoch ohne durchgreifenden Erfolg gegen die Schmerzen gewesen seien. Eine wesentliche Änderung des Gesundheitszustandes des Klägers von Januar 2011 bis Juli 2012 wird von Dr. S. verneint und seiner Einschätzung nach hat im November 2011 über eine Dauer der Leistungsminderung keine unzweifelhafte Beurteilung getroffen werden können. Auch Dr. M. hat eine weniger als sechs Monate anhaltende Leistungsminderung zu diesem Zeitpunkt für unwahrscheinlich gehalten. Dem steht das Rentengutachten vom 15. Dezember 2011 nicht entgegen, da in diesem nur die Sprunggelenksverletzung auf unfallchirurgischem Gebiet im Hinblick auf die letzte Tätigkeit beurteilt wird.

2. Die angefochtene Entscheidung der Beklagten kann auch nicht im Wege der Um-deutung auf § 45 Abs. 1 SGB X gestützt werden. Gemäß § 43 Abs. 1 SGB X kann ein fehlerhafter Verwaltungsakt in einen anderen Verwaltungsakt umgedeutet werden, wenn er auf das gleiche Ziel gerichtet ist, von der erlassenden Behörde in der geschehenen Verfahrensweise und Form rechtmäßig hätte erlassen werden können und wenn die Voraussetzungen für dessen Erlass erfüllt sind. Eine Entscheidung, die nur als gesetzlich gebundene Entscheidung ergehen kann, kann allerdings nicht in eine Ermessensentscheidung umgedeutet werden (§ 43 Abs. 3 SGB X). Bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X (kein Vertrauens-schutz des Klägers) wäre die Ermessensausübung nach § 330 Abs. 2 SGB III aus-geschlossen, so dass eine Umdeutung möglich wäre und der Aufhebungsbescheid auf § 45 Abs. 2 SGB X gestützt werden könnte. Es kann jedoch dahinstehen, ob der Kläger im Rahmen der Eröffnung des Gutachtens am 08. Dezember 2011 konkret über die Befristung auf sechs Wochen hingewiesen worden ist (Beratungsvermerk: "Verfahren erklärt. Nach Ende der Leistungsfortzahlung muss er sich erkundigen [ ]") und nach Auffassung der Beklagten damit kein Vertrauensschutz vorgelegen hätte. Eine Zeugenvernehmung der Ehefrau des Klägers sowie der zuständigen Arbeitsvermittlerin konnte unterbleiben, da die Bewilligung des Arbeitslosengeldes weder durch Bescheid vom 27. Oktober 2011 noch durch den Bescheid vom 21. Dezember 2011 rechtswidrig erfolgt ist und die Anwendung des § 45 SGB X bereits daran scheitert, dass kein rechtswidriger Verwaltungsakt vorgelegen hat.

Der Bewilligungsbescheid vom 27. Oktober 2011 in Form des Bescheids vom 21. Dezember 2011 ist nicht rechtwidrig. Der Kläger hat seit dem 25. September 2011 gegenüber der Beklagten einen Anspruch auf Arbeitslosengeld, der über den 18. Ja-nuar 2012 hinausgeht. Nach §§ 117 Abs. 1 Nr. 1, 118 Abs. 1 SGB III (a.F. bis 31. März 2012) haben Arbeitnehmer Anspruch auf Arbeitslosengeld, wenn sie arbeitslos sind, sich bei der Agentur für Arbeit arbeitslos gemeldet und die Anwartschaftszeit erfüllt haben. Arbeitslos ist gemäß § 119 Abs. 1 SGB III (a.F.) ein Arbeitnehmer, der 1. nicht in einem Beschäftigungsverhältnis steht (Beschäftigungslosigkeit), 2. sich bemüht, seine Beschäftigungslosigkeit zu beenden (Eigenbemühungen) und 3. den Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit zur Verfügung steht (Verfügbarkeit). Den Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit steht zur Verfügung, wer ar-beitsfähig und seiner Arbeitsfähigkeit entsprechend arbeitsbereit ist.

Unstreitig ist zwischen den Beteiligten, dass sich der Kläger arbeitslos gemeldet und die Anwartschaftszeit erfüllt hat. Er ist nach der Kündigung durch seine Arbeitgeberin beschäftigungslos gewesen und hat den Vermittlungsbemühungen subjektiv zur Ver-fügung gestanden, da er sich in seinem Antrag ausdrücklich im Rahmen der vom ärztlichen Dienst festgestellten Leistungsfähigkeit zur Verfügung gestellt hat. Allerdings ist er - wie bereits oben ausgeführt - seit Antragstellung wegen seiner Erkrankungen nicht in der Lage gewesen, eine versicherungspflichtige Beschäftigung von 15 Stunden wöchentlich auszuüben (objektive Verfügbarkeit im Sinne von Arbeitsfähigkeit).

Nach § 125 Abs. 1 SGB III (a.F.) hat Anspruch auf Arbeitslosengeld auch, wer allein deshalb nicht arbeitslos ist, weil er wegen einer mehr als sechsmonatigen Minderung seiner Leistungsfähigkeit versicherungspflichtige, mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassende Beschäftigungen nicht unter den Bedingungen ausüben kann, die auf dem für ihn in Betracht kommenden Arbeitsmarkt ohne Berücksichtigung der Minderung der Leistungsfähigkeit üblich sind - und wenn verminderte Erwerbsfähigkeit im Sinne der gesetzlichen Rentenversicherung nicht festgestellt worden ist. Die Regelung soll verhindern, dass die Agentur für Arbeit und der Rentenversicherungsträger eine etwaige Uneinigkeit hinsichtlich des gesundheitlichen Leistungsvermögens des Versicherten "auf dessen Rücken austragen". Dieser Gefahr eines negativen Kompetenzkonflikts zwischen der Agentur für Arbeite und dem Rentenversicherungsträger wegen gegensätzlicher Beurteilung der gesundheitlichen Leistungsfähigkeit soll § 125 Abs. 1 Satz 1 SGB III begegnen (vgl. Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 09. September 1999, Az. B 11 AL 13/99 R, juris Rn. 16). Wie oben bereits dargelegt, ist der Kläger aufgrund der Sprunggelenksverletzung, des Schmerzsyndroms und der Schmerzmittelabhängigkeit von Anfang seines Leistungsbezug an nur unter drei Stunden erwerbsfähig gewesen und es konnte nicht davon ausgegangen werden, dass diese Leistungsminderung zweifelsfrei nicht länger als sechs Monate andauern wird. Damit haben die Voraussetzungen für die Fiktion der objektiven Verfügbarkeit (Arbeitsfähigkeit) nach § 125 SGB III (a.F.) vorgelegen und der Kläger hat einen Anspruch auf Arbeitslosengeld gegen die Beklagte gehabt.

Die Bewilligung von Arbeitslosengeld ist folglich rechtmäßig gewesen. Dass sich die Bewilligung nicht auf § 125 SGB III sondern auf §§ 117 ff. SGB III stützt, ist lediglich ein unschädliches Begründungselement. Aus diesen Gründen ist der angefochtene Aufhebungsbescheid rechtswidrig gewesen und war aufzuheben.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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