Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Karlsruhe (BWB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
17
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 17 AS 4258/15 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
I. Der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes wird abgelehnt. II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes um die Ge-währung von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).
Der 1995 geborene Antragsteller ist lettischer Staatsangehöriger. Am 24.09.2015 schloss er einen Arbeitsvertrag mit der Zeitarbeitsgesellschaft L-GmbH über eine Beschäftigung als Hilfsarbeiter bei der S-GmbH & Co.KG in der Niederlassung Thü-ringen. Das Arbeitsverhältnis endete am 14.10.2015 durch Kündigung des Antrag-stellers (Kündigungsschreiben vom 13.10.2015).
Der Antragsteller beantragte am 17.12.2015 Leistungen zur Sicherung des Lebens-unterhalts bei dem Antragsgegner.
Mit Bescheid vom 17.12.2015 lehnte der Antragsgegner den Antrag ab. Der Antrag-steller habe keinen Anspruch auf Leistungen, da er ein Aufenthaltsrecht in der Bun-desrepublik Deutschland allein zum Zwecke der Arbeitssuche habe.
Am 23.12.2015 hat der Antragsteller beim Sozialgericht Karlsruhe die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes beantragt. Zur Begründung trägt er vor, er sei dringend auf Leistungen angewiesen, da ihm keine finanziellen Mittel zur Verfügung stünden. Er legte seinem Antrag einen Auszug des Praktikumsvertrages mit der B. für die Zeit vom 11.01.2016 bis 31.01.2016 sowie ein Schreiben seines Rechtsanwaltes an den Antragsgegner bei, mit welcher der Rechtsanwalt mitteilte, die Kündigung aus dem Arbeitsverhältnis mit der L-GmbH sei nicht wirksam bzw. auf unlauterem Wege ent-standen (Schreiben vom 11.12.2015).
Der Antragsteller beantragt sinngemäß,
den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm Leis-tungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe zu bewilligen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung wiederholt und vertieft er die im Ablehnungsbescheid vom 17.12.2015 angeführte Begründung.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der dem Gericht vorliegenden Verwaltungsakte des Antragsgegners sowie den der Gerichtsakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag ist zulässig (dazu 1.), aber unbegründet (dazu 2.).
1. Der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes ist als ein solcher auf Er-lass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 86b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft, da in der - noch zu erhebenden - Hauptsache eine kombinierte Anfech-tungs- und Leistungssache gem. § 54 Abs. 4 SGG vorliegt (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage, § 86b Rn. 24).
Soweit der Antragsteller (bislang) keinen Widerspruch gegen den Ablehnungsbe-scheid vom 17.12.2015 erhoben hat, steht dies der Zulässigkeit des Antrags nicht entgegen. Der Ablehnungsbescheid vom 17.12.2015 ist zum Zeitpunkt der gerichtli-chen Entscheidung noch nicht bestandskräftig (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage, § 86b, Rn. 26d).
2. Der Antrag ist unbegründet. Der Antragsteller hat keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Nach der gebotenen summarischen Prüfung hat er keinen An-spruch auf Leistungen gegen den Antragsgegner, da er nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II von Leistungen ausgeschossen ist (dazu a.). Darüber hinaus hat er auch kei-nen Anspruch gegen den Sozialhilfeträger, da er nicht glaubhaft gemacht hat, Leis-tungsberechtigt nach § 19 SGB XII zu sein (dazu b.).
Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung treffen, wenn die Gefahr besteht, durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes könnte die Verwirklichung eines Rechts des Antragstel-lers vereitelt oder wesentlich erschwert werden. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhält-nis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86b Abs. 2 Satz 2 SGG). Ein Anordnungsgrund ist dann gegeben, wenn der Erlass der einstweiligen Anordnung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86b Abs. 2 Satz 2 SGG). Dies ist der Fall, wenn es dem Antragsteller nach einer Interessenabwägung unter Berücksichtigung der Umstände des Ein-zelfalls nicht zumutbar ist, die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten (Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage, § 86b, Rn. 28). Die Erfolgs-aussicht des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftig-keit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu ma-chen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung [ZPO]). Da-bei begegnet es grundsätzlich keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn sich die Gerichte bei der Beurteilung der Sach- und Rechtslage aufgrund einer summari-schen Prüfung an den Erfolgsaussichten der Hauptsache orientieren (BVerfG, B.v. 2.5.2005 - 1 BvR 569/05 - BVerfGE 5, 237, 242). Allerdings sind die an die Glaub-haftmachung des Anordnungsanspruchs und Anordnungsgrundes zu stellenden An-forderungen umso niedriger, je schwerer die mit der Versagung vorläufigen Rechts-schutzes verbundenen Belastungen - insbesondere auch mit Blick auf ihre Grund-rechtsrelevanz - wiegen (vgl. BVerfG, 25.7.1996 - 1 BvR 638/96 - NJW 1997, 479). Die Erfolgsaussichten der Hauptsache sind daher in Ansehung des sich aus Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) ergebenden Gebots der Sicherstellung einer men-schenwürdigen Existenz sowie des grundrechtlich geschützten Anspruchs auf effek-tiven Rechtsschutz u.U. nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen; ist im Eilverfahren eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage nicht möglich, so ist bei besonders folgenschweren Beeinträchtigungen eine Güter- und Folgenab-wägung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange des Antragstellers vor-zunehmen. Dabei ist das Rechtsschutzbedürfnis als prozessuale Voraussetzung in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen (vgl. LSG Baden-Württemberg, B.v. 29.6.2015 – L 1 AS 2338/15 ER-B, L 1 AS 2358/15 B – juris, Rn. 26 m.w.N.).
a. Der Antragsteller hat nach summarischer Prüfung - unabhängig vom Vorliegen der Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II - wegen des Leistungsausschlusses für arbeitssuchende Unionsbürger aus § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II keinen An-spruch auf Leistungen nach dem SGB II.
Ausgenommen von der Leistungsberechtigung sind nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Ar-beitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbständige noch aufgrund des § 2 Abs. 3 des FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ers-ten drei Monate ihres Aufenthalts (Nr. 1), Ausländerinnen und Ausländer, deren Auf-enthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, und ihre Familienan-gehörigen (Nr. 2) und Leistungsberechtigte nach § 1 des AsylbLG (Nr. 3).
aa. Der 1995 geborene Antragsteller, der lettischer Staatsangehöriger ist, ist nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II von Leistungen nach dem SGB II ausgenommen. Er hält sich nach den der Kammer vorliegenden Unterlagen mindestens seit 24.09.2015 (Datum des Arbeitsvertrages bei der L-GmbH) in der Bundesrepublik Deutschland (BRD) auf. Mangels gegenteiliger Angaben - der Antragsteller hat sich trotz Aufforde-rung des Gerichts hierzu nicht geäußert - geht das Gericht davon aus, der Antragsteller hielt sich zum Zeitpunkt der Antragstellung beim Sozialgericht am 23.12.2015 mehr als drei Monate in der BRD auf. Folglich greift die Regelung des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ein.
bb. Der Antragsteller hat in der Bundesrepublik Deutschland kein materielles Aufenthalts-recht.
(1) Die Voraussetzungen eines Aufenthaltsrechts nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU liegen nicht vor, da sich der Antragsteller - mangels Ausübung einer Erwerbstätigkeit bzw. Berufsausbildung - nicht als Arbeitnehmer oder Auszubildender in der BRD auf-hält. Die Kammer konnte sich auch nicht davon überzeugen, der Antragsteller habe seine Arbeitsstelle bei der L-GmbH unfreiwillig verloren (vgl. § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FreizügG). Die Unterschrift auf der (Eigen-)Kündigung vom 13.10.2015 ist offensicht-lich identisch mit der Unterschrift des Antragstellers.
(2) Auch die Voraussetzungen von § 2 Abs. 2 Nr. 1a FreizügG/EU in der ab dem 09.12.2014 geltenden Fassung liegen nicht vor. Danach sind unionsrechtlich freizü-gigkeitsberechtigt Unionsbürger, die sich zur Arbeitsuche aufhalten, für bis zu sechs Monate und darüber hinaus nur, solange sie nachweisen können, sie suchen weiter-hin Arbeit und haben begründete Aussicht, eingestellt zu werden. Anhaltspunkte für eine künftige Einstellung des Antragstellers, der kein Deutsch spricht liegen nicht vor. Ein zukünftiges dreiwöchiges Praktikum, welches nach seinem Wortlaut gerade kein Arbeitsverhältnis begründen soll (§ 9 Praktikumsvertrag), ändert daran nichts. Nach der Rechtsprechung des EuGH zu Art 39 EG fällt jeder Arbeitnehmer, der eine tat-sächliche und echte Tätigkeit ausübt - mit Ausnahme derjenigen Arbeitnehmer, deren Tätigkeit einen völlig untergeordneten und unwesentlichen Umfang darstellt - unter die Vorschriften über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer (vgl. u.a. EuGH, U.v. 3.6.1986 – 139/85 – juris; EuGH, U.v. 23.3.1982 - C-53/81, Celex-Nr. 61981CJ0053 - juris; EuGH, U.v. 18.7.2007 - C-213/05, Celex-Nr. 62005CJ0213 - juris). Das künftige dreiwöchige Berufspraktikum stellt jedoch gerade ein solch kurzfristiges und für den Arbeitgeber unbedeutendes Beschäftigungsverhältnis ohne erkennbaren wirtschaftlichen Wert dar (vgl. dazu auch LSG Berlin-Brandenburg, B.v. 30.6.2015 – L 20 AS 1297/15 B ER, L 20 AS 1299/15 B ER PKH – juris, Rn. 13).
(3) Das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Aufenthaltsrecht i.S.d. § 2 Abs. 2 Nr. 2 FreizügG/EU, § 2 Abs. 2 Nr. 5 i.V.m. § 4 Satz 1 FreizügG/EU und § 4a FreizügG/EU sind vom Antragsteller weder behauptet noch glaubhaft gemacht.
(4) Nachdem ein Aufenthaltsrecht aus dem Aufenthaltsgesetz ebenfalls nicht ersichtlich ist verbleibt im Falle des Antragstellers nur das (formelle) Aufenthaltsrecht nach § 2 Abs. 4 FreizügG/EU, wonach Unionsbürger für den Aufenthalt keines Aufenthaltsti-tels bedürfen. Damit verfügt der Antragsteller zwar nicht über ein Aufenthaltsrecht allein zur Arbeitsuche im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II, so dass der Leistungs-ausschluss nach seinem Wortlaut nicht einschlägig wäre. Er ist jedoch gleichwohl von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ausgeschlos-sen. Der Gesetzgeber hat es planwidrig unterlassen, auch diejenigen ausdrücklich von den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II auszu-schließen, die über keine materielle Freizügigkeitsberechtigung oder kein Aufent-haltsrecht in Deutschland verfügen. Der Antragsteller ist nach der Entstehungsge-schichte der Ausschlussregelung, ihrem systematischen Zusammenhang und der teleologischen Bedeutung der benannten Vorschrift "Erst-Recht" von diesen Leistun-gen ausgeschlossen, wenn ihm wie aufgezeigt keine materielle Freizügigkeitsberech-tigung nach dem FreizügG/EU oder ein anderes Aufenthaltsrecht zur Seite steht (BSG, U.v. 3.12.2015 – B 4 AS 44/15 R – dazu Terminbericht Nr. 54/15, juris). Der Leistungsausschluss ist nach den Entscheidungen des EuGH in den Sachen "Dano" und "Alimanovic" auch europarechtskonform (BSG, a.a.O.). Über dies kann sich der Antragsteller auch nicht auf das Gleichbehandlungsgebot des Art. 1 EFA (Europäi-sches Fürsorgeabkommen) wegen des von der Bundesregierung am 19.12.2011 erklärte Vorbehalts nach Art. 16 Abs. b EFA berufen (BSG, a.a.O.).
b. Der Antragstellung hat nach summarischer Prüfung auch keinen Anspruch gegen den Sozialhilfeträger.
Im Rahmen seiner jüngsten Rechtsprechung hat das BSG den beigeladenen Sozial-hilfeträger zur Leistungserbringung in dem Fall verurteilt, in welchem Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende wegen § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II nicht ge-währt werden dürfen, aber ein verfestigter Aufenthalt vorliegt (BSG, U.v. 3.12.2015 – B 4 AS 44/15 R – dazu Terminbericht Nr. 54/15, juris). Das BSG stützt den Anspruch auf § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII, wonach Sozialhilfe geleistet werden kann, soweit dies im Einzelfall gerechtfertigt ist. Nach Ansicht des BSG führt die "gesundheitlich" bestehende Erwerbsfähigkeit nicht nach § 21 SGB XII zu einem Ausschluss von Leistungen nach dem Dritten Kapitel des SGB XII, da nach dem SGB II ausgeschlos-sene Personen bei Hilfebedürftigkeit dem System des SGB XII zugewiesen seien (BSG, a.a.O.).
Im vorliegenden Fall hat der Antragsteller jedoch bereits nicht glaubhaft gemacht, seinen notwendigen Lebensunterhalt nicht aus eigenen Kräften und Mitteln, insbe-sondere aus seinem Einkommen und Vermögen, bestreiten zu können (vgl. § 19 Abs. 1 SGB XII). Er lebt seit mindestens September 2015 in der BRD. Mit Ausnahme einer etwa dreiwöchigen Erwerbstätigkeit dürfte der Antragsteller keine Einnahmen in der BRD erzielt haben. Er verfügt nach seinen Angaben im Leistungsantrag an den Antragsgegner jedoch über ein Handy sowie ein Girokonto und ist Krankenversichert. Folglich liegen dem Gericht keine ausreichenden Angaben über die Vermögens- und Einkommensverhältnisse des Antragstellers vor. Ein Anspruch auf Sozialhilfeleistun-gen scheidet daher im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes aus. Die Beila-dung des zuständigen Sozialhilfeträgers im einstweiligen Rechtsschutzverfahren war daher nicht notwendig i.S.d. § 75 Abs. 2 SGG.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes um die Ge-währung von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).
Der 1995 geborene Antragsteller ist lettischer Staatsangehöriger. Am 24.09.2015 schloss er einen Arbeitsvertrag mit der Zeitarbeitsgesellschaft L-GmbH über eine Beschäftigung als Hilfsarbeiter bei der S-GmbH & Co.KG in der Niederlassung Thü-ringen. Das Arbeitsverhältnis endete am 14.10.2015 durch Kündigung des Antrag-stellers (Kündigungsschreiben vom 13.10.2015).
Der Antragsteller beantragte am 17.12.2015 Leistungen zur Sicherung des Lebens-unterhalts bei dem Antragsgegner.
Mit Bescheid vom 17.12.2015 lehnte der Antragsgegner den Antrag ab. Der Antrag-steller habe keinen Anspruch auf Leistungen, da er ein Aufenthaltsrecht in der Bun-desrepublik Deutschland allein zum Zwecke der Arbeitssuche habe.
Am 23.12.2015 hat der Antragsteller beim Sozialgericht Karlsruhe die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes beantragt. Zur Begründung trägt er vor, er sei dringend auf Leistungen angewiesen, da ihm keine finanziellen Mittel zur Verfügung stünden. Er legte seinem Antrag einen Auszug des Praktikumsvertrages mit der B. für die Zeit vom 11.01.2016 bis 31.01.2016 sowie ein Schreiben seines Rechtsanwaltes an den Antragsgegner bei, mit welcher der Rechtsanwalt mitteilte, die Kündigung aus dem Arbeitsverhältnis mit der L-GmbH sei nicht wirksam bzw. auf unlauterem Wege ent-standen (Schreiben vom 11.12.2015).
Der Antragsteller beantragt sinngemäß,
den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm Leis-tungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe zu bewilligen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung wiederholt und vertieft er die im Ablehnungsbescheid vom 17.12.2015 angeführte Begründung.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der dem Gericht vorliegenden Verwaltungsakte des Antragsgegners sowie den der Gerichtsakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag ist zulässig (dazu 1.), aber unbegründet (dazu 2.).
1. Der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes ist als ein solcher auf Er-lass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 86b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft, da in der - noch zu erhebenden - Hauptsache eine kombinierte Anfech-tungs- und Leistungssache gem. § 54 Abs. 4 SGG vorliegt (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage, § 86b Rn. 24).
Soweit der Antragsteller (bislang) keinen Widerspruch gegen den Ablehnungsbe-scheid vom 17.12.2015 erhoben hat, steht dies der Zulässigkeit des Antrags nicht entgegen. Der Ablehnungsbescheid vom 17.12.2015 ist zum Zeitpunkt der gerichtli-chen Entscheidung noch nicht bestandskräftig (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage, § 86b, Rn. 26d).
2. Der Antrag ist unbegründet. Der Antragsteller hat keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Nach der gebotenen summarischen Prüfung hat er keinen An-spruch auf Leistungen gegen den Antragsgegner, da er nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II von Leistungen ausgeschossen ist (dazu a.). Darüber hinaus hat er auch kei-nen Anspruch gegen den Sozialhilfeträger, da er nicht glaubhaft gemacht hat, Leis-tungsberechtigt nach § 19 SGB XII zu sein (dazu b.).
Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung treffen, wenn die Gefahr besteht, durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes könnte die Verwirklichung eines Rechts des Antragstel-lers vereitelt oder wesentlich erschwert werden. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhält-nis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86b Abs. 2 Satz 2 SGG). Ein Anordnungsgrund ist dann gegeben, wenn der Erlass der einstweiligen Anordnung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86b Abs. 2 Satz 2 SGG). Dies ist der Fall, wenn es dem Antragsteller nach einer Interessenabwägung unter Berücksichtigung der Umstände des Ein-zelfalls nicht zumutbar ist, die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten (Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage, § 86b, Rn. 28). Die Erfolgs-aussicht des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftig-keit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu ma-chen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung [ZPO]). Da-bei begegnet es grundsätzlich keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn sich die Gerichte bei der Beurteilung der Sach- und Rechtslage aufgrund einer summari-schen Prüfung an den Erfolgsaussichten der Hauptsache orientieren (BVerfG, B.v. 2.5.2005 - 1 BvR 569/05 - BVerfGE 5, 237, 242). Allerdings sind die an die Glaub-haftmachung des Anordnungsanspruchs und Anordnungsgrundes zu stellenden An-forderungen umso niedriger, je schwerer die mit der Versagung vorläufigen Rechts-schutzes verbundenen Belastungen - insbesondere auch mit Blick auf ihre Grund-rechtsrelevanz - wiegen (vgl. BVerfG, 25.7.1996 - 1 BvR 638/96 - NJW 1997, 479). Die Erfolgsaussichten der Hauptsache sind daher in Ansehung des sich aus Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) ergebenden Gebots der Sicherstellung einer men-schenwürdigen Existenz sowie des grundrechtlich geschützten Anspruchs auf effek-tiven Rechtsschutz u.U. nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen; ist im Eilverfahren eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage nicht möglich, so ist bei besonders folgenschweren Beeinträchtigungen eine Güter- und Folgenab-wägung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange des Antragstellers vor-zunehmen. Dabei ist das Rechtsschutzbedürfnis als prozessuale Voraussetzung in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen (vgl. LSG Baden-Württemberg, B.v. 29.6.2015 – L 1 AS 2338/15 ER-B, L 1 AS 2358/15 B – juris, Rn. 26 m.w.N.).
a. Der Antragsteller hat nach summarischer Prüfung - unabhängig vom Vorliegen der Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II - wegen des Leistungsausschlusses für arbeitssuchende Unionsbürger aus § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II keinen An-spruch auf Leistungen nach dem SGB II.
Ausgenommen von der Leistungsberechtigung sind nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Ar-beitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbständige noch aufgrund des § 2 Abs. 3 des FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ers-ten drei Monate ihres Aufenthalts (Nr. 1), Ausländerinnen und Ausländer, deren Auf-enthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, und ihre Familienan-gehörigen (Nr. 2) und Leistungsberechtigte nach § 1 des AsylbLG (Nr. 3).
aa. Der 1995 geborene Antragsteller, der lettischer Staatsangehöriger ist, ist nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II von Leistungen nach dem SGB II ausgenommen. Er hält sich nach den der Kammer vorliegenden Unterlagen mindestens seit 24.09.2015 (Datum des Arbeitsvertrages bei der L-GmbH) in der Bundesrepublik Deutschland (BRD) auf. Mangels gegenteiliger Angaben - der Antragsteller hat sich trotz Aufforde-rung des Gerichts hierzu nicht geäußert - geht das Gericht davon aus, der Antragsteller hielt sich zum Zeitpunkt der Antragstellung beim Sozialgericht am 23.12.2015 mehr als drei Monate in der BRD auf. Folglich greift die Regelung des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ein.
bb. Der Antragsteller hat in der Bundesrepublik Deutschland kein materielles Aufenthalts-recht.
(1) Die Voraussetzungen eines Aufenthaltsrechts nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU liegen nicht vor, da sich der Antragsteller - mangels Ausübung einer Erwerbstätigkeit bzw. Berufsausbildung - nicht als Arbeitnehmer oder Auszubildender in der BRD auf-hält. Die Kammer konnte sich auch nicht davon überzeugen, der Antragsteller habe seine Arbeitsstelle bei der L-GmbH unfreiwillig verloren (vgl. § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FreizügG). Die Unterschrift auf der (Eigen-)Kündigung vom 13.10.2015 ist offensicht-lich identisch mit der Unterschrift des Antragstellers.
(2) Auch die Voraussetzungen von § 2 Abs. 2 Nr. 1a FreizügG/EU in der ab dem 09.12.2014 geltenden Fassung liegen nicht vor. Danach sind unionsrechtlich freizü-gigkeitsberechtigt Unionsbürger, die sich zur Arbeitsuche aufhalten, für bis zu sechs Monate und darüber hinaus nur, solange sie nachweisen können, sie suchen weiter-hin Arbeit und haben begründete Aussicht, eingestellt zu werden. Anhaltspunkte für eine künftige Einstellung des Antragstellers, der kein Deutsch spricht liegen nicht vor. Ein zukünftiges dreiwöchiges Praktikum, welches nach seinem Wortlaut gerade kein Arbeitsverhältnis begründen soll (§ 9 Praktikumsvertrag), ändert daran nichts. Nach der Rechtsprechung des EuGH zu Art 39 EG fällt jeder Arbeitnehmer, der eine tat-sächliche und echte Tätigkeit ausübt - mit Ausnahme derjenigen Arbeitnehmer, deren Tätigkeit einen völlig untergeordneten und unwesentlichen Umfang darstellt - unter die Vorschriften über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer (vgl. u.a. EuGH, U.v. 3.6.1986 – 139/85 – juris; EuGH, U.v. 23.3.1982 - C-53/81, Celex-Nr. 61981CJ0053 - juris; EuGH, U.v. 18.7.2007 - C-213/05, Celex-Nr. 62005CJ0213 - juris). Das künftige dreiwöchige Berufspraktikum stellt jedoch gerade ein solch kurzfristiges und für den Arbeitgeber unbedeutendes Beschäftigungsverhältnis ohne erkennbaren wirtschaftlichen Wert dar (vgl. dazu auch LSG Berlin-Brandenburg, B.v. 30.6.2015 – L 20 AS 1297/15 B ER, L 20 AS 1299/15 B ER PKH – juris, Rn. 13).
(3) Das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Aufenthaltsrecht i.S.d. § 2 Abs. 2 Nr. 2 FreizügG/EU, § 2 Abs. 2 Nr. 5 i.V.m. § 4 Satz 1 FreizügG/EU und § 4a FreizügG/EU sind vom Antragsteller weder behauptet noch glaubhaft gemacht.
(4) Nachdem ein Aufenthaltsrecht aus dem Aufenthaltsgesetz ebenfalls nicht ersichtlich ist verbleibt im Falle des Antragstellers nur das (formelle) Aufenthaltsrecht nach § 2 Abs. 4 FreizügG/EU, wonach Unionsbürger für den Aufenthalt keines Aufenthaltsti-tels bedürfen. Damit verfügt der Antragsteller zwar nicht über ein Aufenthaltsrecht allein zur Arbeitsuche im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II, so dass der Leistungs-ausschluss nach seinem Wortlaut nicht einschlägig wäre. Er ist jedoch gleichwohl von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ausgeschlos-sen. Der Gesetzgeber hat es planwidrig unterlassen, auch diejenigen ausdrücklich von den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II auszu-schließen, die über keine materielle Freizügigkeitsberechtigung oder kein Aufent-haltsrecht in Deutschland verfügen. Der Antragsteller ist nach der Entstehungsge-schichte der Ausschlussregelung, ihrem systematischen Zusammenhang und der teleologischen Bedeutung der benannten Vorschrift "Erst-Recht" von diesen Leistun-gen ausgeschlossen, wenn ihm wie aufgezeigt keine materielle Freizügigkeitsberech-tigung nach dem FreizügG/EU oder ein anderes Aufenthaltsrecht zur Seite steht (BSG, U.v. 3.12.2015 – B 4 AS 44/15 R – dazu Terminbericht Nr. 54/15, juris). Der Leistungsausschluss ist nach den Entscheidungen des EuGH in den Sachen "Dano" und "Alimanovic" auch europarechtskonform (BSG, a.a.O.). Über dies kann sich der Antragsteller auch nicht auf das Gleichbehandlungsgebot des Art. 1 EFA (Europäi-sches Fürsorgeabkommen) wegen des von der Bundesregierung am 19.12.2011 erklärte Vorbehalts nach Art. 16 Abs. b EFA berufen (BSG, a.a.O.).
b. Der Antragstellung hat nach summarischer Prüfung auch keinen Anspruch gegen den Sozialhilfeträger.
Im Rahmen seiner jüngsten Rechtsprechung hat das BSG den beigeladenen Sozial-hilfeträger zur Leistungserbringung in dem Fall verurteilt, in welchem Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende wegen § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II nicht ge-währt werden dürfen, aber ein verfestigter Aufenthalt vorliegt (BSG, U.v. 3.12.2015 – B 4 AS 44/15 R – dazu Terminbericht Nr. 54/15, juris). Das BSG stützt den Anspruch auf § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII, wonach Sozialhilfe geleistet werden kann, soweit dies im Einzelfall gerechtfertigt ist. Nach Ansicht des BSG führt die "gesundheitlich" bestehende Erwerbsfähigkeit nicht nach § 21 SGB XII zu einem Ausschluss von Leistungen nach dem Dritten Kapitel des SGB XII, da nach dem SGB II ausgeschlos-sene Personen bei Hilfebedürftigkeit dem System des SGB XII zugewiesen seien (BSG, a.a.O.).
Im vorliegenden Fall hat der Antragsteller jedoch bereits nicht glaubhaft gemacht, seinen notwendigen Lebensunterhalt nicht aus eigenen Kräften und Mitteln, insbe-sondere aus seinem Einkommen und Vermögen, bestreiten zu können (vgl. § 19 Abs. 1 SGB XII). Er lebt seit mindestens September 2015 in der BRD. Mit Ausnahme einer etwa dreiwöchigen Erwerbstätigkeit dürfte der Antragsteller keine Einnahmen in der BRD erzielt haben. Er verfügt nach seinen Angaben im Leistungsantrag an den Antragsgegner jedoch über ein Handy sowie ein Girokonto und ist Krankenversichert. Folglich liegen dem Gericht keine ausreichenden Angaben über die Vermögens- und Einkommensverhältnisse des Antragstellers vor. Ein Anspruch auf Sozialhilfeleistun-gen scheidet daher im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes aus. Die Beila-dung des zuständigen Sozialhilfeträgers im einstweiligen Rechtsschutzverfahren war daher nicht notwendig i.S.d. § 75 Abs. 2 SGG.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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