Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Konstanz (BWB)
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
8
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 8 EL 3521/07
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin unter Zugrundelegung eines Nettoeinkommens für die Monate Februar bis April 2007 von jeweils 1.790,13 EUR höheres Elterngeld zu gewähren. Der Bescheid der Beklagten vom 07.09.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.12.2007 wird aufgehoben, soweit er dem entgegensteht. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Höhe des Elterngeldes, insbesondere ob der Wechsel der Klägerin von der Lohnsteuerklasse IV in die Lohnsteuerklasse III rechtsmissbräuchlich war.
Die ... geborene Klägerin ist Mutter der am ... geborenen Tochter L. Vor der Geburt der Tochter war sie mit einem monatlichen Bruttoeinkommen in Höhe von 2.422,98 EUR versicherungspflichtig beschäftigt. Zum 01.02.2007 wechselte sie von Lohnsteuerklasse IV in Lohnsteuerklasse III. Ihre Steuerabzüge reduzierten sich darauf von 426,76 EUR auf 128,87 EUR im Monat.
Unter dem 03.07.2007 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Zahlung von Elterngeld für die ersten 12 Lebensmonate ihrer Tochter. Sie begründete den Steuerklassenwechsel auf Nachfrage der Beklagten damit, dass sich zwar ihr Bruttoeinkommen in dieser Zeit nicht geändert und das Bruttoeinkommen ihres Ehemannes ihr eigenes überstiegen hätte. Allerdings sei die Steuerklassenwahl steuerrechtlich zulässig und dürfe bei der gesetzlich vorgeschriebenen Einkommensermittlung zur Berechnung des Elterngeldes nicht außer Acht gelassen werden.
Mit Bescheid vom 07.09.2007 bewilligte die Beklagte der Klägerin Elterngeld für die ersten 12 Lebensmonate des Kindes L. in Höhe von 0 EUR (1. und 2. Lebensmonat), 908,39 EUR (3. Lebensmonat) und 938,67 EUR (4. bis 12. Lebensmonat). Sie führte dabei an, dass der Steuerklassenwechsel, der erkennbar die Funktion gehabt hätte, den Anspruch auf Elterngeld zu erhöhen, für die Berechnung des Elterngeldes unbeachtlich gewesen sei. Die Berechnung sei deswegen so durchzuführen gewesen, als ob kein Steuerklassenwechsel stattgefunden hätte.
Hiergegen erhob die Klägerin mit der Begründung Widerspruch, dass die Unbeachtlichkeit des Steuerklassenwechsels sich nicht aus dem Gesetz ergebe. Der Gesetzgeber hätte es in der Hand gehabt, einem Rechtsmissbrauch vorzubeugen, wenn er als Bemessungsgrundlage etwa das Bruttoentgelt zugrunde gelegt hätte.
Mit Widerspruchsbescheid vom 13.12.2007 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Die gezielte Erhöhung des Nettoeinkommens sei hier zur Herbeiführung eines höheren Elterngeldes durchgeführt worden. Die ungleich höhere Einkommensminderung beim Ehemann habe die Klägerin hingenommen, da dies bei der Festsetzung der Jahressteuer wieder ausgeglichen werde.
Mit Schreiben vom 18.12.2007, eingegangen am 21.12.2007, hat die Klägerin vor dem Sozialgericht Konstanz Klage erhoben. Sie führt an, dass nach der gesetzlichen Regelung auf den tatsächlichen Steuerabzug abzustellen sei. Maßgeblich sei insoweit die Arbeitgeberbescheinigung. Die Rechtsprechung der Arbeitsgerichtsbarkeit zur Rechtsmissbräuchlichkeit eines Lohnsteuerklassenwechsels sei nicht übertragbar, da diese privatrechtliche Ansprüche betreffe. Der Staat habe es jedoch in der Hand, ggf. eine unerwünschte Inanspruchnahme von steuerrechtlichen Gestaltungsmöglichkeit zu verhindern. Außerdem zeigten die Plenarprotokolle des Deutschen Bundestages, dass der Gesetzgeber sich des Problems eines Steuerklassenwechsels bewusst gewesen sei und dennoch auf ein dementsprechende Regelung verzichtet hätte.
Die Klägerin beantragt,
ihr unter Zugrundelegung eines Nettoeinkommens für die Monate Februar bis April 2007 von jeweils 1.790,13 EUR höheres Elterngeld zu gewähren und den Bescheid der Beklagten vom 07.09.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13.12.2007 aufzuheben, soweit sie dem entgegenstehen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten, die im Gerichtsverfahren gewechselten Schriftsätze und die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 17.07.2008 verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig. Insbesondere wurde sie form- und fristgerecht erhoben. Die Klage ist auch begründet. Der Bescheid des Beklagten vom 07.09.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.12.2007 beschwert die Klägerin hinsichtlich der Außerachtlassung des Steuerklassenwechsels für die Berechnung des Elterngeldes im Sinne von § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und war daher insoweit aufzuheben. Die Beklagte hat der Klägerin höheres Elterngeld zu gewähren.
Nach § 2 Abs. 1 Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG) in der seit 01.01.2007 gültigen Fassung wird Elterngeld in Höhe von 67 Prozent des in den zwölf Kalendermonaten vor dem Monat der Geburt des Kindes durchschnittlich erzielten monatlichen Einkommens aus Erwerbstätigkeit bis zu einem Höchstbetrag von 1.800 Euro monatlich für volle Monate gezahlt, in denen die berechtigte Person kein Einkommen aus Erwerbstätigkeit erzielt. Als Einkommen aus Erwerbstätigkeit ist die Summe der positiven Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb, selbstständiger Arbeit und nichtselbstständiger Arbeit im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) nach Maßgabe der Absätze 7 bis 9 zu berücksichtigen. Nach § 2 Abs. 7 Satz 1 BEEG ist als Einkommen aus nichtselbstständiger Arbeit der um die auf dieses Einkommen entfallenden Steuern und die aufgrund dieser Erwerbstätigkeit geleisteten Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung in Höhe des gesetzlichen Anteils der beschäftigten Person einschließlich der Beiträge zur Arbeitsförderung verminderte Überschuss der Einnahmen in Geld oder Geldeswert über die mit einem Zwölftel des Pauschbetrags nach § 9a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchstabe a EStG anzusetzenden Werbungskosten zu berücksichtigen. Nach den Sätzen 3 und 4 gelten als auf die Einnahmen entfallende Steuern die abgeführte Lohnsteuer einschließlich Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer, im Falle einer Steuervorauszahlung der auf die Einnahmen entfallende monatliche Anteil. Grundlage der Einkommensermittlung sind dabei die entsprechenden monatlichen Lohn- und Gehaltsbescheinigungen des Arbeitgebers.
Ausgehend von diesen Grundlagen hat die Beklagte das Elterngeld der Klägerin unzutreffend berechnet. Der Arbeitgeber hatte der Klägerin im Zeitraum von Mai 2006 bis April 2007 Steuerabzüge vom Arbeitseinkommen in Höhe von 4.256,89 EUR bescheinigt (vgl. Bl. 3 der Verwaltungsakte). Die Beklagte legte jedoch stattdessen im angefochtenen Bescheid Steuerabzüge in Höhe von insgesamt 5.150,56 EUR zugrunde, indem sie den Steuerklassenwechsel ab Februar 2007 außer Acht ließ. Dies ist rechtswidrig, da nach den genannten Vorschriften alleine auf das tatsächlich zugeflossene Nettoentgelt bzw. die tatsächlich entrichteten Steuern, wie es vom Arbeitgeber bescheinigt wurde, abzustellen ist (vgl. hierzu auch SG Augsburg, Urteil vom 08.07.2008, Az. S 10 EG 15/08, veröffentlich in www.sozialgerichtsbarkeit.de). Die Heranziehung einer fiktiv höheren Steuerbelastung ist nicht zulässig. Die insoweit anderslautende Richtlinie des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ist als bloßes Verwaltungsinternum für die Gerichte nicht bindend.
Eine Unbeachtlichkeit des Steuerklassenwechsels vor der Geburt des Kindes lässt sich aus gesetzlichen Vorschriften nicht ableiten. § 2 Abs. 7 Satz 3 und 4 BEEG spricht ausdrücklich nur von der "abgeführten" Lohnsteuer, die das heranzuziehende Einkommen mindert. Anders als etwa in § 133 Abs. 3 SGB III hat der Gesetzgeber eine Unbeachtlichkeit des Steuerklassenwechsels gerade nicht in die Regelungen zur Berechnung des Elterngeldes mit aufgenommen. Auch aus den Gesetzesmaterialien ist eine derartiger gesetzgeberischer Wille nicht zu entnehmen. Vielmehr wird dort darauf hingewiesen, dass die Angaben in den Lohn- und Gehaltsbescheinigungen des Arbeitgebers zur Einkommensermittlung übernommen werden können (BT-Drs. 16/2785 S. 37). Es ist das Einkommen zu berücksichtigen, das der anspruchsberechtigten Person zuletzt tatsächlich monatlich zur Verfügung stand, da die Verhältnisse im Jahr vor der Geburt abgebildet werden sollen (BT-Drs. 16/1889, S. 20 f.). Wenn nun von der Beklagten anstelle des von der Klägerin erhaltenen Nettoeinkommens ein niedrigeres Einkommen zur Berechnung des Elterngeld herangezogen wird, wird den tatsächlichen Verhältnisse im Jahr vor der Geburt jedoch gerade nicht entsprochen.
Aus den von der Klägerin zitierten Aussagen von Abgeordneten zum Lohnsteuerklassenwechsel in den Plenarprotokollen des Deutschen Bundestages in den Lesungen zum BEEG (BT-Plenarprotokoll 16/55, S. 5353 ff.) ergibt sich schließlich, dass sich der Gesetzgeber der Problematik des Steuerklassenwechsels durchaus bewusst war und trotzdem eine Änderung bzw. Einschränkung der gesetzlichen Regelung nicht vorgenommen hatte (vgl. auch SG Augsburg, a.a.O.). Für eine Unbeachtlichkeit eines Steuerklassenwechsels des antragstellenden Elternteils im Jahr vor der Geburt, wie es die Beklagte vorgenommen hat, bleibt danach kein Raum.
Gegen die Geltendmachung des Anspruchs der Klägerin bestehen auch keine Bedenken aus dem Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchs. Ein Recht auf eine Sozialleistung kann nicht geltend gemacht werden, wenn dies sozial unangemessen geschieht und wenn es der rechtsethischen Funktion des Rechts widerspricht. Der Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchs orientiert sich am Schutzzweck der Norm, wobei grundsätzlich davon auszugehen ist, dass der Berechtigte den ihm zustehenden Anspruch im gesetzlich vorgegebenen Rahmen mit legalen Mitteln ausschöpfen kann (vgl. BSG, Urteil vom 22.03.1995, Az. 10 RAr 1/94 m.w.N.)
Der Beklagten ist zwar zuzugeben, dass das im vorliegenden Fall praktizierte Verfahren des kurzfristigen Lohnsteuerklassenwechsels vor der Geburt zweifelhaft erscheint, da der Wechsel alleine der Erhöhung der Sozialleistung diente und zu einer - bei Betrachtung beider Ehepartner - insgesamt höheren und damit eigentlich unzweckmäßigen Steuerbelastung führte. Die mit dem Wechsel verbundenen Nachteile der erhöhten Steuerabzüge beim Ehepartner wurden später bei der Festsetzung der Jahressteuer wieder ausgeglichen.
Allerdings ist der Lohnsteuerklassenwechsel steuerrechtlich möglich und zulässig. Die gesetzliche Regelung stellt zudem bewusst auf das Nettoeinkommen ab. Dass das Nettoeinkommen über das Instrument des Steuerklassenwechsel zwischen Ehepartnern auch bei gleichbleibendem Bruttoeinkommen gestaltbar ist, war dem Gesetzgeber - wie die Plenardebatten (s.o.) zeigten - dabei bewusst. Es kann also nicht davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber bei Einführung des Elterngeldes die Praxis des Steuerklassenwechsels nicht vorausgesehen hat. Auf eine ausdrückliche gesetzliche Regelung zur Vermeidung des Steuerklassenwechsel verzichtete er dennoch. Auch das Bundesarbeitsgericht (BAG), das im Fall des Steuerklassenwechsels einer Ehefrau vor der Geburt ihres Kindes zur Erhöhung des Mutterschaftsgeldes Rechtsmissbräuchlichkeit annahm (Urteil vom 18.09.1991, Az. 5 AZR 581/90), weist auf die Notwendigkeit von klaren gesetzlichen Missbrauchstatbeständen bei der im Sozialrecht vorherrschenden Massenverwaltung hin. Ohne eine solche ausdrückliche gesetzliche Grundlage kann der Wechsel der Steuerklasse nicht als unbeachtlich ausgeschlossen werden (so auch SG Augsburg a.a.O.). Die Rechtsprechung des BAG zur Rechtsmissbräuchlichkeit von Steuerklassenwechseln bezieht sich zudem auf privatrechtliche Ansprüche zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber und ist deswegen nicht auf den vorliegenden Fall übertragbar. Das BEEG gewährt hingegen einen öffentlich-rechtlichen Anspruch des Bürgers gegen den Staat.
Nach alledem war der Klage stattzugeben. Bei der Berechnung des Gesamtnettoeinkommens der Klägerin sind für die Monate Februar bis April 2007 jeweils monatlich 1.790,13 EUR (Bruttoeinkommen in Höhe von 2422,98 EUR abzüglich Steuern in Höhe von 128,87 EUR und Sozialabgaben in Höhe von 503,98 EUR) heranzuziehen, wie es auch in der Arbeitgeberbescheinigung vom 13.07.2007 (Bl. 3 der Verwaltungsakte) ausgewiesen ist. Das Urteil erging in Form eines den Rechtsstreit beendenden Grundurteils im Sinne von § 130 SGG. Die Berechnung der konkreten Erhöhung des Elterngeldes hat durch die Beklagte zu erfolgen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Die Berufung war nach § 144 Abs. 2 SGG wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zuzulassen. Höherinstanzliche Entscheidungen über die hier entschiedene Rechtsfrage liegen - soweit ersichtlich - bislang nicht vor.
Tatbestand:
Streitig ist die Höhe des Elterngeldes, insbesondere ob der Wechsel der Klägerin von der Lohnsteuerklasse IV in die Lohnsteuerklasse III rechtsmissbräuchlich war.
Die ... geborene Klägerin ist Mutter der am ... geborenen Tochter L. Vor der Geburt der Tochter war sie mit einem monatlichen Bruttoeinkommen in Höhe von 2.422,98 EUR versicherungspflichtig beschäftigt. Zum 01.02.2007 wechselte sie von Lohnsteuerklasse IV in Lohnsteuerklasse III. Ihre Steuerabzüge reduzierten sich darauf von 426,76 EUR auf 128,87 EUR im Monat.
Unter dem 03.07.2007 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Zahlung von Elterngeld für die ersten 12 Lebensmonate ihrer Tochter. Sie begründete den Steuerklassenwechsel auf Nachfrage der Beklagten damit, dass sich zwar ihr Bruttoeinkommen in dieser Zeit nicht geändert und das Bruttoeinkommen ihres Ehemannes ihr eigenes überstiegen hätte. Allerdings sei die Steuerklassenwahl steuerrechtlich zulässig und dürfe bei der gesetzlich vorgeschriebenen Einkommensermittlung zur Berechnung des Elterngeldes nicht außer Acht gelassen werden.
Mit Bescheid vom 07.09.2007 bewilligte die Beklagte der Klägerin Elterngeld für die ersten 12 Lebensmonate des Kindes L. in Höhe von 0 EUR (1. und 2. Lebensmonat), 908,39 EUR (3. Lebensmonat) und 938,67 EUR (4. bis 12. Lebensmonat). Sie führte dabei an, dass der Steuerklassenwechsel, der erkennbar die Funktion gehabt hätte, den Anspruch auf Elterngeld zu erhöhen, für die Berechnung des Elterngeldes unbeachtlich gewesen sei. Die Berechnung sei deswegen so durchzuführen gewesen, als ob kein Steuerklassenwechsel stattgefunden hätte.
Hiergegen erhob die Klägerin mit der Begründung Widerspruch, dass die Unbeachtlichkeit des Steuerklassenwechsels sich nicht aus dem Gesetz ergebe. Der Gesetzgeber hätte es in der Hand gehabt, einem Rechtsmissbrauch vorzubeugen, wenn er als Bemessungsgrundlage etwa das Bruttoentgelt zugrunde gelegt hätte.
Mit Widerspruchsbescheid vom 13.12.2007 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Die gezielte Erhöhung des Nettoeinkommens sei hier zur Herbeiführung eines höheren Elterngeldes durchgeführt worden. Die ungleich höhere Einkommensminderung beim Ehemann habe die Klägerin hingenommen, da dies bei der Festsetzung der Jahressteuer wieder ausgeglichen werde.
Mit Schreiben vom 18.12.2007, eingegangen am 21.12.2007, hat die Klägerin vor dem Sozialgericht Konstanz Klage erhoben. Sie führt an, dass nach der gesetzlichen Regelung auf den tatsächlichen Steuerabzug abzustellen sei. Maßgeblich sei insoweit die Arbeitgeberbescheinigung. Die Rechtsprechung der Arbeitsgerichtsbarkeit zur Rechtsmissbräuchlichkeit eines Lohnsteuerklassenwechsels sei nicht übertragbar, da diese privatrechtliche Ansprüche betreffe. Der Staat habe es jedoch in der Hand, ggf. eine unerwünschte Inanspruchnahme von steuerrechtlichen Gestaltungsmöglichkeit zu verhindern. Außerdem zeigten die Plenarprotokolle des Deutschen Bundestages, dass der Gesetzgeber sich des Problems eines Steuerklassenwechsels bewusst gewesen sei und dennoch auf ein dementsprechende Regelung verzichtet hätte.
Die Klägerin beantragt,
ihr unter Zugrundelegung eines Nettoeinkommens für die Monate Februar bis April 2007 von jeweils 1.790,13 EUR höheres Elterngeld zu gewähren und den Bescheid der Beklagten vom 07.09.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13.12.2007 aufzuheben, soweit sie dem entgegenstehen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten, die im Gerichtsverfahren gewechselten Schriftsätze und die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 17.07.2008 verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig. Insbesondere wurde sie form- und fristgerecht erhoben. Die Klage ist auch begründet. Der Bescheid des Beklagten vom 07.09.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.12.2007 beschwert die Klägerin hinsichtlich der Außerachtlassung des Steuerklassenwechsels für die Berechnung des Elterngeldes im Sinne von § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und war daher insoweit aufzuheben. Die Beklagte hat der Klägerin höheres Elterngeld zu gewähren.
Nach § 2 Abs. 1 Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG) in der seit 01.01.2007 gültigen Fassung wird Elterngeld in Höhe von 67 Prozent des in den zwölf Kalendermonaten vor dem Monat der Geburt des Kindes durchschnittlich erzielten monatlichen Einkommens aus Erwerbstätigkeit bis zu einem Höchstbetrag von 1.800 Euro monatlich für volle Monate gezahlt, in denen die berechtigte Person kein Einkommen aus Erwerbstätigkeit erzielt. Als Einkommen aus Erwerbstätigkeit ist die Summe der positiven Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb, selbstständiger Arbeit und nichtselbstständiger Arbeit im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) nach Maßgabe der Absätze 7 bis 9 zu berücksichtigen. Nach § 2 Abs. 7 Satz 1 BEEG ist als Einkommen aus nichtselbstständiger Arbeit der um die auf dieses Einkommen entfallenden Steuern und die aufgrund dieser Erwerbstätigkeit geleisteten Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung in Höhe des gesetzlichen Anteils der beschäftigten Person einschließlich der Beiträge zur Arbeitsförderung verminderte Überschuss der Einnahmen in Geld oder Geldeswert über die mit einem Zwölftel des Pauschbetrags nach § 9a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchstabe a EStG anzusetzenden Werbungskosten zu berücksichtigen. Nach den Sätzen 3 und 4 gelten als auf die Einnahmen entfallende Steuern die abgeführte Lohnsteuer einschließlich Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer, im Falle einer Steuervorauszahlung der auf die Einnahmen entfallende monatliche Anteil. Grundlage der Einkommensermittlung sind dabei die entsprechenden monatlichen Lohn- und Gehaltsbescheinigungen des Arbeitgebers.
Ausgehend von diesen Grundlagen hat die Beklagte das Elterngeld der Klägerin unzutreffend berechnet. Der Arbeitgeber hatte der Klägerin im Zeitraum von Mai 2006 bis April 2007 Steuerabzüge vom Arbeitseinkommen in Höhe von 4.256,89 EUR bescheinigt (vgl. Bl. 3 der Verwaltungsakte). Die Beklagte legte jedoch stattdessen im angefochtenen Bescheid Steuerabzüge in Höhe von insgesamt 5.150,56 EUR zugrunde, indem sie den Steuerklassenwechsel ab Februar 2007 außer Acht ließ. Dies ist rechtswidrig, da nach den genannten Vorschriften alleine auf das tatsächlich zugeflossene Nettoentgelt bzw. die tatsächlich entrichteten Steuern, wie es vom Arbeitgeber bescheinigt wurde, abzustellen ist (vgl. hierzu auch SG Augsburg, Urteil vom 08.07.2008, Az. S 10 EG 15/08, veröffentlich in www.sozialgerichtsbarkeit.de). Die Heranziehung einer fiktiv höheren Steuerbelastung ist nicht zulässig. Die insoweit anderslautende Richtlinie des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ist als bloßes Verwaltungsinternum für die Gerichte nicht bindend.
Eine Unbeachtlichkeit des Steuerklassenwechsels vor der Geburt des Kindes lässt sich aus gesetzlichen Vorschriften nicht ableiten. § 2 Abs. 7 Satz 3 und 4 BEEG spricht ausdrücklich nur von der "abgeführten" Lohnsteuer, die das heranzuziehende Einkommen mindert. Anders als etwa in § 133 Abs. 3 SGB III hat der Gesetzgeber eine Unbeachtlichkeit des Steuerklassenwechsels gerade nicht in die Regelungen zur Berechnung des Elterngeldes mit aufgenommen. Auch aus den Gesetzesmaterialien ist eine derartiger gesetzgeberischer Wille nicht zu entnehmen. Vielmehr wird dort darauf hingewiesen, dass die Angaben in den Lohn- und Gehaltsbescheinigungen des Arbeitgebers zur Einkommensermittlung übernommen werden können (BT-Drs. 16/2785 S. 37). Es ist das Einkommen zu berücksichtigen, das der anspruchsberechtigten Person zuletzt tatsächlich monatlich zur Verfügung stand, da die Verhältnisse im Jahr vor der Geburt abgebildet werden sollen (BT-Drs. 16/1889, S. 20 f.). Wenn nun von der Beklagten anstelle des von der Klägerin erhaltenen Nettoeinkommens ein niedrigeres Einkommen zur Berechnung des Elterngeld herangezogen wird, wird den tatsächlichen Verhältnisse im Jahr vor der Geburt jedoch gerade nicht entsprochen.
Aus den von der Klägerin zitierten Aussagen von Abgeordneten zum Lohnsteuerklassenwechsel in den Plenarprotokollen des Deutschen Bundestages in den Lesungen zum BEEG (BT-Plenarprotokoll 16/55, S. 5353 ff.) ergibt sich schließlich, dass sich der Gesetzgeber der Problematik des Steuerklassenwechsels durchaus bewusst war und trotzdem eine Änderung bzw. Einschränkung der gesetzlichen Regelung nicht vorgenommen hatte (vgl. auch SG Augsburg, a.a.O.). Für eine Unbeachtlichkeit eines Steuerklassenwechsels des antragstellenden Elternteils im Jahr vor der Geburt, wie es die Beklagte vorgenommen hat, bleibt danach kein Raum.
Gegen die Geltendmachung des Anspruchs der Klägerin bestehen auch keine Bedenken aus dem Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchs. Ein Recht auf eine Sozialleistung kann nicht geltend gemacht werden, wenn dies sozial unangemessen geschieht und wenn es der rechtsethischen Funktion des Rechts widerspricht. Der Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchs orientiert sich am Schutzzweck der Norm, wobei grundsätzlich davon auszugehen ist, dass der Berechtigte den ihm zustehenden Anspruch im gesetzlich vorgegebenen Rahmen mit legalen Mitteln ausschöpfen kann (vgl. BSG, Urteil vom 22.03.1995, Az. 10 RAr 1/94 m.w.N.)
Der Beklagten ist zwar zuzugeben, dass das im vorliegenden Fall praktizierte Verfahren des kurzfristigen Lohnsteuerklassenwechsels vor der Geburt zweifelhaft erscheint, da der Wechsel alleine der Erhöhung der Sozialleistung diente und zu einer - bei Betrachtung beider Ehepartner - insgesamt höheren und damit eigentlich unzweckmäßigen Steuerbelastung führte. Die mit dem Wechsel verbundenen Nachteile der erhöhten Steuerabzüge beim Ehepartner wurden später bei der Festsetzung der Jahressteuer wieder ausgeglichen.
Allerdings ist der Lohnsteuerklassenwechsel steuerrechtlich möglich und zulässig. Die gesetzliche Regelung stellt zudem bewusst auf das Nettoeinkommen ab. Dass das Nettoeinkommen über das Instrument des Steuerklassenwechsel zwischen Ehepartnern auch bei gleichbleibendem Bruttoeinkommen gestaltbar ist, war dem Gesetzgeber - wie die Plenardebatten (s.o.) zeigten - dabei bewusst. Es kann also nicht davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber bei Einführung des Elterngeldes die Praxis des Steuerklassenwechsels nicht vorausgesehen hat. Auf eine ausdrückliche gesetzliche Regelung zur Vermeidung des Steuerklassenwechsel verzichtete er dennoch. Auch das Bundesarbeitsgericht (BAG), das im Fall des Steuerklassenwechsels einer Ehefrau vor der Geburt ihres Kindes zur Erhöhung des Mutterschaftsgeldes Rechtsmissbräuchlichkeit annahm (Urteil vom 18.09.1991, Az. 5 AZR 581/90), weist auf die Notwendigkeit von klaren gesetzlichen Missbrauchstatbeständen bei der im Sozialrecht vorherrschenden Massenverwaltung hin. Ohne eine solche ausdrückliche gesetzliche Grundlage kann der Wechsel der Steuerklasse nicht als unbeachtlich ausgeschlossen werden (so auch SG Augsburg a.a.O.). Die Rechtsprechung des BAG zur Rechtsmissbräuchlichkeit von Steuerklassenwechseln bezieht sich zudem auf privatrechtliche Ansprüche zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber und ist deswegen nicht auf den vorliegenden Fall übertragbar. Das BEEG gewährt hingegen einen öffentlich-rechtlichen Anspruch des Bürgers gegen den Staat.
Nach alledem war der Klage stattzugeben. Bei der Berechnung des Gesamtnettoeinkommens der Klägerin sind für die Monate Februar bis April 2007 jeweils monatlich 1.790,13 EUR (Bruttoeinkommen in Höhe von 2422,98 EUR abzüglich Steuern in Höhe von 128,87 EUR und Sozialabgaben in Höhe von 503,98 EUR) heranzuziehen, wie es auch in der Arbeitgeberbescheinigung vom 13.07.2007 (Bl. 3 der Verwaltungsakte) ausgewiesen ist. Das Urteil erging in Form eines den Rechtsstreit beendenden Grundurteils im Sinne von § 130 SGG. Die Berechnung der konkreten Erhöhung des Elterngeldes hat durch die Beklagte zu erfolgen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Die Berufung war nach § 144 Abs. 2 SGG wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zuzulassen. Höherinstanzliche Entscheidungen über die hier entschiedene Rechtsfrage liegen - soweit ersichtlich - bislang nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Login
BWB
Saved