S 3 SO 324/07

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Konstanz (BWB)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
3
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 3 SO 324/07
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Bescheid des Landratsamts xxxxx vom 10. November 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Januar 2007 wird aufgehoben, soweit die Bewilligung von Sozialhilfe bis 31. Oktober 2006 aufgehoben wurde. Im übrigen wird die Klage abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen die Aufhebung von Sozialhilfebewilligungen, die Erstattung von Leistungen und begehrt die Gewährung eines Mehrbedarfs ab 1. September 2005.

Der Kläger beantragte am 1. Juli 2005 Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt. Zu diesem Zeitpunkt bezog er eine Berufsunfähigkeitsrente mit einem Zahlbetrag von 572,22 EUR (vgl. Rentenbescheid Verwaltungsakte Blatt 9/13). In seinem Begleitschreiben (Verwaltungsakte Blatt 5) teilte er mit, dass ihm mit Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 10. März 2004 Erwerbsunfähigkeitsrente zuerkannt worden sei (Az.: S 7 RA 774/99), hiergegen jedoch eine Berufung der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte anhängig sei. Mit dem Antrag gehe es also lediglich um die Zeit bis zur rechtskräftigen Zuerkennung der Erwerbsunfähigkeitsrente. Der Beklagte bewilligte in der Folge mit Bescheiden vom 21. September 2005 (Verwaltungsakte Blatt 109/113, 31. Januar 2006 (Verwaltungsakte Blatt 145/155) und 20. März 2006 (Verwaltungsakte Blatt 191/197) laufende Hilfe zum Lebensunterhalt ab 1. September 2005.

Am 16. Oktober 2006 ging beim Beklagten eine Mitteilung des Sozialgerichts Konstanz (Verwaltungsakte Blatt 215) ein, wonach das Urteil des Sozialgerichts vom 10. März 2004 nach Rücknahme der Berufung rechtskräftig sei. Spätestens am 9. November 2006 erhielt der Beklagte eine Zweitschrift des Rentenbescheides der Deutschen Rentenversicherung Bund vom 10. August 2006, wonach der Kläger ab 10. März 2004 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung erhält und für die Zeit ab 1. Oktober 2006 laufend monatlich 911,47 EUR bezahlt werden. Außerdem erfolge eine Nachzahlung für die Zeit vom 1. November 2003 bis 30. September 2006 in Höhe von 11.909,20 EUR, die jedoch vorläufig einbehalten werde.

Mit Bescheid vom 10. November 2006 (Verwaltungsakte Blatt 251) hob der Beklagte die Bescheide vom 21. September 2005, 31. Januar 2006 und 20. März 2006 auf, weil beim Kläger aufgrund der rückwirkend ab 1. November 2003 zuerkannten Erwerbsminderungsrente keine Hilfebedürftigkeit vorgelegen habe und ordnete die Erstattung von 2.294,25 EUR an. Dem hiergegen am 13. Dezember 2006 eingelegten Widerspruch half das Landratsamt Xxxxx mit Widerspruchsbescheid vom 10. Januar 2007 insoweit ab, als der Erstattungsbetrag auf 801,60 EUR reduziert wurde. Im übrigen wurde der Widerspruch zurückgewiesen. Zur Begründung wird ausgeführt, die Bewilligung vom 20. März 2006 sei hinsichtlich der Monate September bis November wegen des Anspruchs auf Erwerbsunfähigkeitsrente aufzuheben, ohne dass dem Kläger insoweit Vertrauensschutz zustehe. Im übrigen sei der Kläger nach § 105 Abs. 1 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialhilfe (SGB XII) zur Herausgabe der Leistung an den Träger der Sozialhilfe verpflichtet, weil die Deutsche Rentenversicherung als vorrangig verpflichteter Leistungsträger in Unkenntnis der Leistung des Beklagten die Rentennachzahlung an den Kläger direkt erbracht habe. Die Herausgabe des Erlangten sei allerdings nach § 105 Abs. 2 SGB XII insoweit eingeschränkt, als 56 Prozent Unterkunftskosten nicht zurückgefordert werden könnten. Zu dem Erstattungsbetrag wegen Bescheidaufhebung von 552,60 EUR trete ein herauszugebender Betrag in Höhe von 249 EUR, so dass insgesamt 801,60 EUR zu erstatten seien.

Hiergegen hat der Kläger am 7. September 2007 Klage erhoben und macht geltend, der Kläger sei seiner Verpflichtung, die Beklagte von der Änderung in seinen persönlichen Verhältnissen zu unterrichten, bereits mit Telefax vom 31. August 2006 nachgekommen; er könne sich daher auf Vertrauensschutz berufen.

Der Kläger beantragt schriftsätzlich:

"Die Beklagte wird verurteilt, den Widerspruchsbescheid vom 10.01.2007 in voller Höhe zurückzunehmen und dem Kläger den ihm seit 01.09.2005 bis 06.03.2006 gem. § 30 Absatz 1 Ziffer 2 SGB zustehenden Mehrbedarf von 17 vom Hundert des maßgeblichen Regelsatzes für seine volle Erwerbsminderung und Schwerbehinderung mit dem Merkmal "G" in Höhe von monatlich 58,65 EUR (vom 01.09.2005 bis 28.02.2006) und für den Monat März 2006 anteilig 9,77 EUR, insgesamt also 361,67 EUR, zuzüglich 4 % Zinsen (gemäß § 44 SGB I) zu bezahlten."

Der Beklagte beantragt schriftsätzlich,

die Klage abzuweisen,

und macht geltend, die Leistungsgewährung an den Kläger sei ab 10. August 2006 unerkannt rechtswidrig gewesen, denn die Sozialhilfebewilligung hätte ab diesem Zeitpunkt nicht mehr unbedingt erfolgen dürfen, sondern entweder unter Aufwendungsersatz nach § 19 Abs. 5 SGB XII oder darlehensweise. Ein Erstattungsanspruch gegenüber der Deutschen Rentenversicherung sei nicht geltend gemacht worden, da er bereits eine Berufsunfähigkeitsrente gezahlt und wohl angenommen worden sei, dass eine Erwerbsunfähigkeitsrente nicht höher werden würde. Auch habe der Kläger Leistungen der Grundsicherung ausdrücklich nur für die Zeit bis zur Zuerkennung einer Erwerbsunfähigkeitsrente beantragt, was man lebensnah nur dahingehend auslegen könne, dass Leistungen nur für die Zeit der Sozialhilfebedürftigkeit verlangt worden seien.

Das Gericht hat die Beteiligten darauf hingewiesen, dass hinsichtlich Gewährung eines Mehrbedarfs nach § 30 Abs. 1 Ziffer 2 SGB XII die Klage unzulässig sein dürfte, weil insoweit beim Sozialgericht Konstanz unter dem Az.: S 5 SO 306/06 eine - zeitlich frühere - Klage vom 8. Februar 2006 anhängig ist.

Das Gericht hat des weiteren eine Auskunft der Deutsche Rentenversicherung Bund vom 24. April 2008 eingeholt. Danach wurde eine Rentennachzahlung von 4.060,69 EUR mit Zahlungsauftrag vom 3. November 2006 auf das Konto des Klägers überwiesen (vgl. Gerichtsakte Bl. 33/34).

Die Beteiligten waren in der mündlichen Verhandlung nicht vertreten.

Dem Gericht liegen die Verwaltungsakten des Landratsamts xxxxx vor, auf welche ebenso wie auf die Gerichtsakten wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts Bezug genommen wird.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht kann trotz Ausbleibens der Beteiligten verhandeln und entscheiden, weil beide Beteiligten mit der Ladung ordnungsgemäß auf diese Möglichkeit hingewiesen worden sind.

I.

Die Klage ist unzulässig, soweit der Kläger Gewährung eines Mehrbedarfs nach § 30 Abs. 1 Ziffer 2 SGB XII begehrt, denn insoweit ist im Entscheidungszeitpunkt beim Sozialgericht Konstanz unter dem Aktenzeichen S 5 SO 306/06 bereits eine früher eingegangene Klage vom 8. Februar 2006 anhängig. Nach § 17 Abs. 1 Satz 2 Gerichtverfassungsgesetz in Verbindung mit § 202 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann der Rechtsstreit während der Rechtshängigkeit nicht anderweitig anhängig gemacht werden. Die später erhobene Klage ist unzulässig (vgl. Hüßtege in: Thomas / Putzo, ZPO, 29. Aufl. 2008, § 17 GVG Rdnr. 4).

II.

Im übrigen ist die Klage zulässig, jedoch nur teilweise begründet.

Der Bescheid des Landratsamts Xxxxx vom 10. November 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Januar 2007 ist insoweit rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinem Rechten, als bis zum 31. Oktober 2006 die Bewilligung von Sozialhilfe aufgehoben wurde (1.). Im übrigen, also insbesondere hinsichtlich der Erstattungsforderung, ist die Entscheidung in der nach § 95 SGG maßgeblichen Gestalt des Widerspruchsbescheides rechtmäßig, denn der Kläger ist - auch soweit die Aufhebung der Bewilligung rechtswidrig war - nach § 105 Abs. 1 SGB XII zur Erstattung der rechtmäßigerweise bezogenen Sozialhilfe in der verfügten Höhe verpflichtet (2.).

1. Bis zum 31. Oktober 2006 durfte die Bewilligung nicht nach §§ 45 ff. Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) aufgehoben werden.

a) Die Aufhebung der Bewilligung von Sozialhilfe setzt nach den beiden hier in Betracht kommenden Rechtsgrundlagen § 45 oder § 48 SGB X jeweils voraus, dass die Bewilligung rechtswidrig war oder geworden ist.

Die ist jedoch für die Zeit bis 31. Oktober 2006 nicht der Fall. Insbesondere war der Kläger bis dahin hilfebedürftig.

Nach Wesen, Sinn und Zweck ist Sozialhilfe öffentliche Hilfe in gegenwärtiger Not, weshalb es für die (rechtmäßige) Gewährung von Sozialhilfe auf die tatsächliche Lage des Hilfesuchenden im Zeitraum des Bedarfs ankommt. Weil danach die tatsächlichen und nicht die rechtlichen Verhältnisse entscheidend sind, stehen - unabhängig von der Frage, ob auf sie ein Rechtsanspruch besteht - nur tatsächlich erhaltene oder erhältliche Mittel von dritter Seite als "bereite Mittel" zur Selbsthilfe gemäß § 2 Abs. 1 SGB XII dem Sozialhilfeanspruch entgegen. Sind die Mittel, wie hier die Leistungen der Rentenversicherung, im Bedarfszeitraum tatsächlich nicht verfügbar, sondern müssen sie erst vor Gericht erstritten werden, ist Sozialhilfe (regelmäßig) zu gewähren, um die gegenwärtige Notlage zu beheben. Die danach rechtmäßige Gewährung von Sozialhilfe wird nicht dadurch rückwirkend rechtswidrig, dass eine vorrangige Sozialleistung, auf die im und für den Zeitraum des Bedarfs Anspruch bestand, nachträglich bewilligt wird. Das ist mit Rücksicht auf den Charakter der Sozialhilfe als Hilfe zur Überwindung einer gegenwärtigen Notlage denkgesetzlich nicht möglich. Besteht eine Notlage und wird aus diesem Grund Sozialhilfe rechtmäßig gewährt, dann ist die Notlage behoben und der aus Anlaß dieser Notlage entstandene Sozialhilfefall erledigt (vgl. zum früheren Sozialhilferecht: BVerwG, Urteil vom 17. August 1995 - 5 C 26.93 -, BVerwGE 99, 114).

Dem kann auch nicht mit dem Beklagten entgegengehalten werden, die Bewilligung sei jedenfalls seit August 2006 gleichsam "unerkannt rechtswidrig" gewesen, weil sie nur noch als Darlehen hätte geleistet werden dürfen. Zwar "können" Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt (§ 28 SGB XII) gemäß § 38 Abs. 1 SGB XII unter bestimmten Voraussetzungen als Darlehen gewährt werden. Da diese Leistungsform jedoch im Ermessen des Trägers steht (vgl. Streichsbier in: Grube / Wahrendorf, SGB XII, 2. Aufl. 2008, § 38 Rdnr. 7), führt es noch nicht zur Rechtswidrigkeit der Bewilligung, wenn der Träger zu Gunsten des Hilfeempfängers von dem Ermessen keinen Gebrauch macht und sich - bewusst oder konkludent - für eine Bewilligung als Zuschuss entscheidet, zumal dies ohnedies die Regelform darstellt.

Schließlich kann die Rechtswidrigkeit schon deshalb nicht mit dem Beklagten aus § 19 Abs. 5 SGB XII hergeleitet werden, weil diese Norm nur die "erweiterte Hilfe" betrifft (Grube in Grube / Wahrendorf, a. a. O., § 19 Rdnr. 33)

Die Bewilligung war daher bis 31. Oktober 2006 rechtmäßig und kann nicht nach §§ 45 ff. SGB X zu Lasten des Klägers aufgehoben werden.

b) Etwas anderes gilt allerdings für die Zeit ab 1. November 2006. Insoweit ist die Bewilligung nachträglich rechtswidrig geworden, weil dem Kläger am 3. November 2006 tatsächlich Mittel zugeflossen sind, welche seiner Hilfebedürftigkeit entgegenstehen.

Das Gericht wendet - wie übrigens auch das Bundesverwaltungsgericht in seinem zitierten Urteil vom 17. August 1995 - hier § 48 SGB X an, weil nach dem letzten maßgeblichen Bescheid vom 20. März 2006 (Verwaltungsakten Bl. 191 ff.) davon auszugehen ist, dass die Leistungen nicht tage-, sondern mindestens monatsweise bewilligt wurden und die Änderung während des laufenden Monats eingetreten ist.

Rechtsgrundlage für die Aufhebung der Bewilligung ab November 2006 ist damit § 48 SGB X. Nach Absatz 1 Satz 1 dieser Vorschrift ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Bereits rückwirkend vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse an soll der Verwaltungsakt nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X aufgehoben werden, soweit nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde. Als Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse gilt in Fällen, in denen Einkommen oder Vermögen auf einen zurückliegenden Zeitraum auf Grund der besonderen Teile dieses Gesetzbuches anzurechnen ist, der Beginn des Anrechnungszeitraumes (Satz 3).

Eine wesentliche Änderung ist somit durch den Eingang der Rentennachzahlung von 4.060,69 EUR am 3. November 2006 eingetreten, denn derartige Einkünfte sind nach §§ 82 ff. SGB XII anzurechnen und schließen einen Hilfeanspruch aus. Dies gilt nach § 48 Abs. 1 Satz 3 SGB X bereits ab Beginn des Anrechnungszeitraums, bei monatsweiser Bewilligung also ab dem Monatsersten.

Subjektive Momente wie Verschulden spielen bei § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X keine Rolle (Steinwedel in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, § 48 SGB X Rdnr. 51); es gibt daher bei Doppelbezug auch keinen Vertrauensschutz.

Somit ist die Aufhebung der Bewilligung für die Zeit ab 1. November 2006 nicht zu beanstanden.

2. Die angeordnete Erstattung ist insgesamt in der im Widerspruchbescheid festgestellten Höhe rechtmäßig, und zwar sowohl für die Zeit ab 1. November 2006 (a) als auch hinsichtlich der zuvor bezogenen Leistungen (b).

a) Gemäß § 50 Abs. 1 SGB X sind bereits erbrachte Leistungen zu erstatten, soweit der bewilligende Verwaltungsakt aufgehoben wird. Aus der rechtmäßigen Aufhebungsentscheidung ab 1. November 2006 folgt also zwingend die Rückforderung der ab diesem Zeitpunkt erbrachten Leistungen.

b) Für die Zeit bis 31. Oktober 2006 ist Rechtsgrundlage für die Erstattung der Leistungen § 105 Abs. 1 SGB XII. Nach dieser Vorschrift ist eine leistungsberechtigte Person zur Herausgabe des Erlangten an den Träger der Sozialhilfe verpflichtet, wenn ein vorrangig verpflichteter Leistungsträger in Unkenntnis der Leistung des Trägers der Sozialhilfe an diese Person geleistet hat.

Diese Voraussetzungen liegen hier dem Wortlaut nach ohne weiteres vor. Der vorrangig (§ 2 Abs. 1 SGB XII) verpflichtete Rentenversicherungsträger hat an den Kläger die Nachzahlung ausgekehrt, ohne dass er von dessen Sozialhilfebezug in einem Teil des Zeitraums, für welchen Rente geleistet wurde, gewusst hat.

Streitig ist insoweit nur, ob die Norm einschränkend dahingehend auszulegen ist, dass die Unkenntnis des vorrangigen Trägers darauf beruhen muss, dass der Sozialhilfeträger seinerseits in Unkenntnis über einen eventuellen Erstattungsanspruch nach § 104 SGB X war. Die Norm soll nach Auffassung von Grube (a. a. O., § 105 Rdnr. 7 f.) dann nicht anwendbar sein, wenn es der Sozialhilfeträger zu verantworten hat, keinen Erstattungsanspruch geltend gemacht zu haben. Eine solcher Fall läge hier wohl vor, denn der Kläger hatte den Beklagten von Anfang an darüber informiert, dass er einen vorrangigen Anspruch auf Erwerbsunfähigkeitsrente verfolgt, ohne dass dieser einen Erstattungsanspruch gegenüber dem Rentenversicherungsträger angemeldet hätte. Entgegen der Auffassung des Beklagten hätte sich eine Geltendmachung der Erstattung wohl auch aufdrängen müssen, denn es ist allgemein bekannt, dass die begehrte Erwerbsunfähigkeitsrente in aller Regel höher ist als seine Berufsunfähigkeitsrente.

Demgegenüber hält Conradis (in: LPK-SGB XII, 8. Aufl. 2008, § 105 Rdnr. 3 ff.) den Anspruch nach § 105 Abs. 1 SGB XII auch bei einem Versehen des Sozialleistungsträgers und schuldlosem Verhalten des Empfängers für gegeben.

Das erkennende Gericht schließt sich letztgenannter Auffassung an, weil es aus dem Wortlaut der Vorschrift keine dahingehende Einschränkung entnehmen kann, dass ein Erstattungsanspruch nach § 104 SGB X vorrangig wäre und einen Inanspruchnahme des vormaligen Hilfeempfängers nur dann in Betracht käme, wenn der Träger das Unterlassen der Geltendmachung eines Erstattungsanspruchs nicht zu vertreten hätte. Der Intention des Gesetzgebers dürfte es vielmehr entsprochen haben, Doppelleistungen so effektiv wie möglich zu vermeiden. Das Gericht sieht auch keine Gefahr, dass § 105 SGB XII ausufernd angewandt würde. Für den Sozialhilfeträger ist der Erstattungsanspruch nach § 104 SGB X immer vorzugswürdig, steht ihm doch in diesem Falle ein solventer Schuldner gegenüber und er geht zudem nicht das Risiko ein, dass sich der Hilfeempfänger auf Entreicherung berufen könnte (vgl. zum Streitstand hierzu einerseits Grube, a. a. O., § 105 Rdnr. 9 f., andererseits Conradis, a. a. O., § 105 Rdnr. 4).

Nachdem vorliegend Entreicherung nicht geltend gemacht wurde und sich auch nicht aufdrängt, braucht das Gericht die angerissene Frage nicht zu entscheiden, ob die Worte "Herausgabe des Erlangen" in § 105 Abs. 1 SGB XII an das Bereicherungsrecht des Bürgerlichen Gesetzbuches anknüpfen oder nicht.

Der Kläger ist demnach auch zur Erststattung der vor dem 1. November 2006 bezogenen Leistung verpflichtet.

Nachdem der Beklagte im Widerspruchsbescheid richtigerweise § 105 Abs. 2 SGB XII angewandt und die Erstattungsforderung entsprechend reduziert hat, vermag das Gericht keine weitergehenden Mängel bei der Ermittlung des vom Beklagten mit insgesamt noch 801,60 EUR errechneten Erstattungsbetrages zu erkennen, so dass die Entscheidung des Beklagten insoweit rechtlich nicht zu beanstanden ist.

Nach alldem hat die Klage nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg; im übrigen ist sie abzuweisen.

Das Gericht sieht in Anwendung des Rechtsgedankens von § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO (vgl. hierzu Meyer-Ladewig, SGG, 6. Aufl. 1998, § 193 Rdnr. 112) keine Veranlassung, die Kosten der nur in geringem Umfang obsiegenden Klägerseite für erstattungsfähig zu erklären (§ 193 Abs. 1 Satz 1 SGG). Der Erfolg des Klägers hinsichtlich der Aufhebungsentscheidung bis 31. Oktober 2006 wirkt sich für ihn praktisch nicht aus, weil er die bezogene Leistung dennoch - wenn auch auf anderer Rechtsgrundlage - in dem verfügten Umfang zu erstatten hat.
Rechtskraft
Aus
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