S 6 R 340/10

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Kassel (HES)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
S 6 R 340/10
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 5 R 366/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zur Frage eines Rentenanspruchs für geschiedene Witwen oder Witwer im Falle eines erklärten Unterhaltsverzichts
Die Klage wird abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt eine sog. Geschiedenen-Hinterbliebenenrente.

Die 1934 geborene Klägerin war vom 05.05.1957 bis 25.04.1972 mit dem am xx.xx.2009 verstorbenen Herrn A. verheiratet.

Am 03.03.2010 stellte die Klägerin einen Antrag auf eine Rente aus der Versicherung des geschiedenen Ehegatten nach § 243 SGB VI.

In dem Antragsformular gab die Klägerin an, nach der Scheidung nicht wieder geheiratet zu haben. Im letzten Jahr vor dem Tod des Versicherten habe die Klägerin keinen Unterhalt erhalten. Im Zeitraum von Mai 1972 bis ca. April 1977 habe der Versicherte einen Zugewinnausgleich in Höhe von monatlich 200,00 DM geleistet. Sie habe auf den Unterhalt ausdrücklich verzichtet. Der Versicherte habe zum Zeitpunkt der Scheidung einen Nettolohn von 2000 DM erzielt. Sie habe zum Zeitpunkt der Auflösung der Ehe kein eigenes Einkommen gehabt. Derzeit erhalte sie eine Rente in Höhe von monatlich 417,00 EUR (Bl. 9 f. Verwaltungsakte).

Die Klägerin überreichte sodann ihre Heiratsurkunde vom 05.05.1957, die erste Seite des Scheidungsurteils und eine Mitteilung über ihre Rentenhöhe. Aus der ersten Seite des Scheidungsurteils kann u.a. entnommen werden, dass die Klägerin bei der Durchführung des gerichtlichen Scheidungsverfahrens anwaltlich vertreten war (Bl. 14 ff. Verwaltungsakte).

Mit Schriftsatz vom 29.04.2010 wandte sich die Beklagte an die Klägerin und bat sie um nähere Angaben zum Unterhaltsverzicht (Bl. 18 Verwaltungsakte). Hierauf erwiderte die Klägerin im Rahmen eines Telefonats am 12.05.2010, dass sie auf den Unterhalt verzichtet habe, da ihr Ehemann gedroht habe, nicht mehr arbeiten zu gehen. Dann hätte sie auch für ihr Kind nichts mehr bekommen. Eine schriftliche Vereinbarung liege nicht vor. Ob der Verzicht im Scheidungsurteil geregelt worden sei, wisse sie nicht (Bl. 19 Verwaltungsakte).

Die Klägerin übersandte sodann die Seiten 2 und 3 des Scheidungsurteils, dem u.a. entnommen werden kann, dass aus der Ehe ein Kind hervorgegangen ist. Wegen der Einzelheiten wird auf das Scheidungsurteil, in dem keine Unterhaltsregelung enthalten ist, Bezug genommen (Bl. 23 f. Verwaltungsakte).

Mit Bescheid vom 28.05.2010 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab. Nach § 243 SGB VI bestehe für die frühere Ehefrau des verstorbenen Versicherten Anspruch auf Witwenrente, wenn
- ihre Ehe mit dem Versicherten vor dem 01.01.1977 geschieden ist,
- sie weder wieder geheiratet noch eine eingetragene Lebenspartnerschaft begründet habe und
- sie im letzten Jahr vor dem Tod des Versicherten von ihm Unterhalt erhalten habe oder im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand vor dessen Tod einen Unterhaltsanspruch gehabt habe. Auch ohne Unterhaltszahlung beziehungsweise Unterhaltsanspruch bestehe nach § 243 Abs. 3 SGB VI Anspruch auf Witwenrente für die frühere Ehefrau, wenn ein Anspruch auf Hinterbliebenenrente für eine Witwe oder einen Lebenspartner des Versicherten nicht bestehe und
1. für die frühere Ehefrau ein Unterhaltsanspruch wegen eigener Einkünfte aus Erwerbstätigkeit oder wegen des Gesamteinkommens nicht bestanden habe und
2. die frühere Ehefrau zum Zeitpunkt der Scheidung der Ehe ein eigenes Kind oder ein Kind des Versicherten erzogen hat (§ 46 Abs. 2 SGB VI) oder das 45. Lebensjahr vollendet habe
3. solange sie entweder
- ein eigenes Kinder oder ein Kind des Versicherten erziehe oder
- erwerbsgemindert (§ 43 SGB VI) sei oder
- vor dem 01.01.1961 geboren und berufsunfähig (§ 240 Abs. 2 SGB VI) sei oder
- am 31.12.2000 bereits berufsunfähig oder erwerbsunfähig gewesen sei und dies ununterbrochen weiterhin der Fall sei oder
- das 60. Lebensjahr vollendet habe.
Die Klägerin habe vorliegend mitgeteilt, dass sie auf den Unterhalt verzichtet habe. Bei einem Unterhaltsverzicht bestehe grundsätzlich auch kein Rentenanspruch nach § 243 Abs. 3 SGB VI. Der Verzicht sei jedoch im Rahmen des § 243 Abs. 3 SGB VI rentenunschädlich, wenn nachgewiesen werde, dass der Unterhaltsverzicht keine materiell-rechtliche Bedeutung erlangt habe, weil aus den in § 243 Abs. 3 Nr. 1 SGB VI genannten Gründen ein Unterhaltsanspruch weder zum Zeitpunkt des Verzichts noch zur Zeit des Todes bestanden hätte, wenn also auf etwas verzichtet wurde, auf das ohnehin kein Anspruch bestehe. Die schwierige Prüfung könne vorliegend dahinstehen, da eine weitere Voraussetzung des Abs. 3, nämlich die Kindererziehung oder die Vollendung des 45. Lebensjahrs zum Zeitpunkt der Scheidung, nicht gegeben sei (Bl. 26 Verwaltungsakte).

Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin am 11.06.2010 Widerspruch ein. Sie habe sich mit ihrem ehemaligen Ehemann darauf geeinigt, dass er für den Sohn zahlen müsse und sie auf den Unterhalt verzichten solle, sonst würde er krank und würde nicht mehr arbeiten. Sie habe sich das beruflich leichter vorgestellt. Leider seien ihre Eltern gestorben und sie habe sich allein um ihren Sohn kümmern müssen. Sie habe ihren Sohn allein großgezogen, da der Vater auch während der Ehe fast nie da gewesen sei. Ihr Sohn habe unter der Scheidung sehr gelitten und habe sich in ärztliche Behandlung begeben müssen. Den Rentenantrag habe sie nur aus Rücksicht auf ihren geschiedenen Ehemann nicht früher gestellt, da dieser krank gewesen sei (Bl. 27-29 Verwaltungsakte).

Mit Widerspruchsbescheid vom 01.09.2010 wies die Beklagte den Widerspruch im Wesentlichen mit den Gründen des Ausgangsbescheids als unbegründet zurück, wobei ergänzend ausgeführt wird, dass die Rente nach § 243 SGB VI Unterhaltsersatzfunktion habe. Im letzten Jahr vor dem Tod des geschiedenen Ehemanns müssten sich die Zahlungen auf den vollen Jahreszeitraum erstrecken, nur Leistungen, die regelmäßig über die ganze Dauer des im Gesetz genannten Jahreszeitraums erbracht worden seien, rechtfertigten objektiv die Annahme, der Versicherte hätte auch weiterhin Unterhalt geleistet, so dass sich der frühere Ehegatte auch für die Zukunft auf diesen Unterhalt habe einstellen dürfen. Bei einem Unterhaltsverzicht bestehe nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts grundsätzlich kein Rentenanspruch nach § 243 Abs. 3 SGB VI (Bl. 32 f. Verwaltungsakte).

Am 24.09.2010 hat die Klägerin gegen den Bescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheids Klage beim Sozialgericht Kassel erhoben. Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 12.10.2010 hat die Klägerin ergänzt, dass der erklärte Unterhaltsverzicht einer rechtlichen Prüfung nicht standhalte.

Die Klägerin hat sodann einen an sich selbst gerichteten Schriftsatz ihres ehemaligen Prozessbevollmächtigten im Scheidungsverfahren vor dem Familiengericht vom 26.04.1972 übersandt, auf den Bezug genommen wird (Bl. 25 f. Gerichtsakte).

Mit Beschluss vom 11.01.2011 hat das Sozialgericht den PKH-Antrag der Klägerin abgelehnt, da die Klägerin auf den Unterhalt verzichtet habe. Hiergegen hat die Klägerin Beschwerde eingelegt. In der Beschwerdeschrift hat die Klägerin ausgeführt, dass der Vergleich als sittenwidrig qualifiziert werde müsse, da sie zum damaligen Zeitpunkt ohne eigenes Einkommen dagestanden habe, ein 10-jähriges, damals krankes und unter Sprachstörungen leidendes Kind zu betreuen gehabt habe und über keine eigene Berufsausbildung verfügt habe. Einer gerichtlichen Überprüfung hätte dieser Verzicht zu keinen Zeitpunkt standgehalten. Sie habe damals nur überleben können, indem ihre Eltern sie unterstützten.

Die Klägerin ist der Auffassung, dass der damals geschlossene Vergleich sittenwidrig ist. Sie erhalte eine Grundsicherung in Höhe von monatlich 58,00 EUR, eine eigene Rente in Höhe von monatlich 417,00 EUR und Hausgeld für eine Eigentumswohnung in Höhe von monatlich 250 EUR. Sie fühle sich übervorteilt. Sie habe mit ihrem ehemaligen Ehemann keinen Rosenkrieg gewollt und zu Lebzeiten des Ehemanns keinen Rentenanspruch geltend gemacht, zumal dieser in letzter Zeit krank gewesen sei (Bl. 48 Gerichtsakte).

Die Klägerin beantragt,
den Bescheid vom 28.05.2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 01.09.2010 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr ab März 2010 eine Rente an geschiedene Ehegatten nach § 243 SGB VI in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten und auf die Gerichtsakte und hierbei insbesondere auf das Protokoll von der mündlichen Verhandlung Bezug genommen, in welcher das Gericht die Klägerin zu den damaligen wirtschaftlichen Verhältnissen zum Zeitpunkt der Scheidung befragt hat.

Entscheidungsgründe:

Die Klage hat keinen Erfolg. Die zulässige Klage ist unbegründet.

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf eine Hinterbliebenenrente für geschiedene Ehegatten nach § 243 SGB VI.

Anspruch auf kleine Witwenrente oder kleine Witwerrente besteht ohne Beschränkung auf 24 Kalendermonate gem. § 243 Abs. 1 SGB VI auch für geschiedene Ehegatten,
1. deren Ehe vor dem 1. Juli 1977 geschieden ist,
2. die weder wieder geheiratet noch eine Lebenspartnerschaft begründet haben und
3. die im letzten Jahr vor dem Tod des geschiedenen Ehegatten (Versicherter) Unterhalt von diesem erhalten haben oder im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand vor dessen Tod einen Anspruch hierauf hatten, wenn der Versicherte die allgemeine Wartezeit erfüllt hat und nach dem 30. April 1942 gestorben ist.

Anspruch auf große Witwenrente oder große Witwerrente besteht nach § 243 Abs. 2 SGB VI auch für geschiedene Ehegatten,
1. deren Ehe vor dem 1. Juli 1977 geschieden ist,
2. die weder wieder geheiratet noch eine Lebenspartnerschaft begründet haben und
3. die im letzten Jahr vor dem Tod des Versicherten Unterhalt von diesem erhalten haben oder im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand vor dessen Tod einen Anspruch hierauf hatten und
4. die entweder
a) ein eigenes Kind oder ein Kind des Versicherten erziehen (§ 46 Abs. 2),
b) das 45. Lebensjahr vollendet haben,
c) erwerbsgemindert sind,
d) vor dem 2. Januar 1961 geboren und berufsunfähig (§ 240 Abs. 2) sind oder
e) am 31. Dezember 2000 bereits berufsunfähig oder erwerbsunfähig waren und dies ununterbrochen sind,
wenn der Versicherte die allgemeine Wartezeit erfüllt hat und nach dem 30. April 1942 gestorben ist.

Weiterhin besteht nach § 243 Abs. 3 S.1 SGB VI Anspruch auf große Witwenrente oder große Witwerrente ohne das Vorliegen der in § 243 Abs. 2 Nr. 3 SGB VI genannten Unterhaltsvorauszahlungen für geschiedene Ehegatten, die u.a. einen Unterhaltsanspruch nach § 243 Abs. 2 Nr. 3 SGB VI wegen eines Arbeitsentgelts oder Arbeitseinkommens aus eigener Beschäftigung oder selbständiger Tätigkeit oder entsprechender Ersatzleistungen oder wegen des Gesamteinkommens des Versicherten nicht hatten (§ 243 Abs.3 S.1 Nr. 1 SGB VI).

1. Vorliegend hatte die Klägerin im letzten Jahr vor dem Tod des Ehemanns keinen Unterhalt bekommen, weil sie auf den Unterhalt verzichtet hatte. Die gesetzliche Voraussetzung des § 243 Abs. 1 Nr. 3 SGB VI und des § 243 Abs. 2 Nr. 3 SGB VI, dass der geschiedene Ehegatte im letzten Jahr vor dem Tod des Versicherten Unterhalt erhalten hat, liegt nicht vor. Es ist nicht ersichtlich, dass der Unterhalt nicht realisierbar gewesen wäre, weil der Ehemann kein Einkommen oder Vermögen gehabt hätte, um Unterhaltszahlungen zu leisten, so dass der potentielle Unterhaltsanspruch ohne den Verzicht nicht als bloße "leere Hülse" im Sinne der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ((BSG), Urteil v. 30.09.1996, 8 RKn 17/95, juris; BSG, Urteil v. 16.12.1993, 13 RJ 1/93) angesehen werden kann.

2. Die Kammer hatte weiterhin zu überprüfen, ob die Klägerin jedoch einen Anspruch auf Unterhalt von ihrem geschiedenen Ehemann gehabt hätte. Dies wäre der Fall gewesen, wenn der Unterhaltsverzicht unwirksam gewesen wäre. Die Kammer ist jedoch zu der Einschätzung gelangt, dass dies nicht der Fall ist.

a) Zunächst ist der Unterhaltsverzicht nicht wegen § 779 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) unwirksam.

Gem. § 779 Abs. 1 BGB ist ein Vertrag, durch den der Streit oder die Ungewissheit der Parteien über ein Rechtsverhältnis im Wege gegenseitigen Nachgebens beseitigt wird (Vergleich), unwirksam, wenn der nach dem Inhalt des Vertrags als feststehend zugrunde gelegte Sachverhalt der Wirklichkeit nicht entspricht und der Streit oder die Ungewissheit bei Kenntnis der Sachlage nicht entstanden sein würde.

Gem. § 779 BGB steht es der Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis gleich, wenn die Verwirklichung des Anspruchs unsicher ist.

Es entspricht der Rechtsprechung des BSG (Urteil v. 28.06.1989, 5/4a RJ 77/87, juris), dass sich die frühere Ehefrau des Versicherten auch nach dem Tod des Ehemanns auf die Unwirksamkeit eines per Vergleich geschlossenen Unterhaltsverzichts gem. § 779 Abs. 1 BGB berufen kann.

Es ist vorliegend allerdings nicht ersichtlich, dass die Klägerin und ihr damaliger Ehemann den Inhalt des Sachverhalts, der für den damaligen Vergleichsschluss maßgebend war, nicht gekannt hätten. Die Klägerin und ihr ehemaliger Ehemann hatten ein gerichtliches Scheidungsverfahren durchgeführt, in dessen Rahmen in der mündlichen Verhandlung ausweislich des anwaltlichen Schriftsatzes vom 26.04.1972 ein Vergleich geschlossen wurde. Von dem damaligen Prozessbevollmächtigten der Klägerin wurde, wie sich aus dem bereits genannten Anwaltsschriftsatz vom 26.04.1972 ergibt, auch die Höhe der Regelung überprüft (vgl. Bl. 26 Gerichtsakte), so dass davon ausgegangen werden muss, dass damals auch die wirtschaftlichen Verhältnisse des ehemaligen Ehemanns überprüft wurden. Der Vergleich ist vor diesem Hintergrund nicht wegen § 779 BGB unwirksam.

b) Der geschlossene Unterhaltsverzicht ist von der Klägerin auch nicht wirksam angefochten worden.

Die Klägerin hat zwar behauptet, dass ihr ehemaliger Ehemann ihr gedroht habe, nicht mehr arbeiten zu gehen, wenn sie dem Unterhaltsverzicht nicht zustimme, so dass eine Anfechtung nach § 123 Abs. 1 BGB in Betracht kam.

Für diese Behauptung trifft die Klägerin allerdings die objektive Beweislast.

Die objektive Beweislast kennzeichnet das Risiko, wegen der Nichterweislichkeit rechtlich erheblicher Tatsachen im Prozess zu unterliegen. Es besteht der Grundsatz, dass die Unerweislichkeit einer Tatsache im Zweifel zu Lasten des Beteiligten geht, der aus ihr eine ihm günstige Rechtsfolge herleitet. Wer ein Recht in Anspruch nimmt, trägt daher die Beweislast für die rechtsbegründenden Tatsachen, wer ein Recht leugnet, die Beweislast für die rechtshindernden, rechtsvernichtenden und rechtshemmenden Tatsachen (vgl. Sächsisches Landessozialgericht (LSG), Beschluss v. 03.11.2011, L 3 AS 268/11 B ER).

Da die Klägerin die von ihr behaupte widerrechtliche Drohung ihres ehemaligen Ehemanns nicht beweisen kann, scheidet eine Anfechtung des Unterhaltsverzichts nach § 123 BGB in Verbindung mit §§ 142, 143 BGB aus.

Im Übrigen hat die Klägerin angegeben, eine Anfechtungserklärung noch nicht abgegeben zu haben. Da die angegebene Drohungslage aber bereits seit Jahrzehnten weggefallen sein dürfte, würde eine wirksame Anfechtung des Unterhaltsverzichts zudem an der Jahresfrist des § 124 BGB scheitern.

c) Die Klägerin kann sich auch nicht mit Erfolg auf die Nichtigkeit des Unterhaltsverzichts wegen § 138 BGB berufen.

Gem. § 138 Abs. 1 BGB ist ein Rechtsgeschäft, das gegen die guten Sitten verstößt, nichtig.

Gem. § 138 Abs. 2 BGB ist ein Rechtsgeschäft insbesondere nichtig, durch das jemand unter Ausbeutung einer Zwangslage, der Unerfahrenheit, des Mangels an Urteilsvermögen oder der erheblichen Willensschwäche eines anderen sich oder einem Dritten für eine Leistung Vermögensvorteile versprechen oder gewährten lässt, die in einem auffälligen Missverhältnis zu der Leistung stehen.

Um die Sittenwidrigkeit einer Regelung des nachehelichen Unterhalts beurteilen zu können, ist (vgl. LSG Berlin-Brandenburg Urteil v. 26.03.2010, L 3 R 975/07, juris, Rn. 59) eine umfassende Gesamtwürdigung der individuellen Verhältnisse zum Zeitpunkt der Vergleichsregelung vorzunehmen. Subjektiv sind die Beweggründe der Beteiligten zu berücksichtigen.

Da § 138 BGB die Vertragsautonomie einschränkt, führt nicht jeder für eine Partei nachteilige Vergleichsschluss zur Unwirksamkeit des Vergleichs wegen einer Sittenwidrigkeit. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat in seiner Entscheidung vom 06.02.2011 (1 BvR 12/92, juris) ausgeführt, dass der auf der Grundlage der Privatautonomie aus Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz (GG) zum Ausdruck gebrachte übereinstimmende Wille der Vertragsparteien in der Regel auf einen durch den Vertrag hergestellten sachgerechten Interessenausgleich schließen lasse, den der Staat grundsätzlich zu respektieren habe.

In der Sache damit übereinstimmend hat das Oberlandesgericht (OLG) Hamm in seinem Beschluss vom 15.04.1999 (4 UF 149/98, juris, Rn. 47) ausgeführt, dass eine Sittenwidrigkeit einer Scheidungsfolgenvereinbarung nur ausnahmsweise angenommen werden kann, etwa wenn der Ehegatte ohne jegliche Gegenleistung oder ein Nachgeben des anderen Teils jegliche Altersversorgung verlieren würde.

Erforderlich ist neben einem groben Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung, dass der Übervorteilende eine schwächere Position des Übervorteilten bewusst oder grob fahrlässig ausnutzt (OLG Hamm, Beschluss v. 15.04.1999, 4 UF 149/98, Rn. 49).

Gemessen an diesen normativen Vorgaben ist der geschlossene Vergleich nicht wegen offenkundiger einseitiger Lastenverteilung unter Ausnutzung einer Zwangslage als sittenwidrig anzusehen:

aa) Beim Vergleichsschluss war zu berücksichtigen, dass der Sohn der Klägerin zum Zeitpunkt des Vergleichsschlusses ca. 10 Jahre alt war und zur Schule ging und die Klägerin zum Zeitpunkt des Vergleichsschlusses 38 Jahre alt war.

In § 243 Abs. 2 Nr. 4 SGB VI kommt die Wertung zum Ausdruck, dass es für Ehepartner, die bereits das 45 Lebensjahr vollendet haben, sehr schwer ist, eine den Lebensunterhalt deckende Arbeitsstelle zu finden. Die Klägerin war jünger. Es war ihr im Zeitraum des Zuflusses des Unterhalts, zieht man die im Urteil des BSG vom 30.09.1996 (8 RKn 17/95, juris, Rn. 33) wiedergeben Anforderungen der Zivilgerichte zur Zumutbarkeit von Arbeit nach einer Scheidung heran, zumutbar, halbtags zu arbeiten.

Auch hatte die Klägerin selbst zum damaligen Zeitpunkt die Vorstellung, wieder berufstätig zu sein, da sie in ihrem Schriftsatz vom 07.05.2010 (Bl. 28 Verwaltungsakte) ausführt, dass sie sich den beruflichen Wiedereintritt leichter vorgestellt habe.

bb) Des Weiteren hatte die Kammer die wirtschaftlichen Verhältnisse des geschiedenen Ehemanns zu berücksichtigen:

Der ehemalige Ehemann der Klägerin war Holzkaufmann und abhängig beschäftigt und verdiente im Jahr 1971, also im Jahr vor dem Vergleichsschluss, 22.772 DM brutto (Bl. 5 Verwaltungsakte).

Im Rahmen der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin angegeben, dass sie und ihr ehemaliger Ehemann zum Zeitpunkt der Scheidung über kein Vermögen an Immobilien verfügten, sondern zur Miete wohnten.

cc) Der Vergleichstext berücksichtigt zudem, dass es zum Zeitpunkt des Vergleichsschlusses unsicher war, wie sich die Situation der Vertragsschließenden entwickeln würde, wobei insbesondere eine Berufstätigkeit der Klägerin vor dem Hintergrund ihres Alters durchaus im Rahmen des Wahrscheinlichen lag und der Unterhalt für die Klägerin selbst offenbar bis zum Erreichen des 14. Lebensjahrs des Sohns gezahlt werden sollte und auch wurde. Der Unterhalt des Sohns war zeitlich uneingeschränkt mit monatlich 200,00 DM zugesichert worden.

Der Unterhalt sollte auch für den Fall gezahlt werden, dass die Klägerin nicht mehr auf Unterhalt angewiesen sein würde wegen Neuheirat oder eigener Berufstätigkeit.

dd) Der Hausrat wurde zum damaligen Zeitpunkt laut den Angaben der Klägerin ungefähr hälftig geteilt (Bl. 68 Gerichtsakte).

ee) Auch verpflichtete sich der geschiedene Ehemann der Klägerin dazu, die Kosten des Vergleichs zu tragen.

ff) Für die Kammer hatte zudem besonderes Gewicht, dass die Klägerin im Rahmen des Scheidungsverfahrens anwaltlich vertreten war, so dass eine möglicherweise bestehende geschäftliche Unerfahrenheit der Klägerin durch die anwaltliche Vertretung kompensiert worden sein dürfte. Auch hat der damalige Bevollmächtigte der Klägerin den Vergleich überprüft und in seinem Schriftsatz an die Klägerin unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse der Eheleute ausgeführt, dass er auch die Höhe der Regelung für angemessen halte.

Die Kammer hat diese Umstände gewürdigt und ist zu der Einschätzung gekommen, dass der damalige Unterhaltsverzicht für die Klägerin im Nachhinein sicherlich ungünstig war. Eine einseitige Lastenverteilung, die so gravierend ist, dass diese zu einer Sittenwidrigkeit des Unterhaltsverzichts führt, liegt nach der Überzeugung der Kammer allerdings nicht vor.

Die Klägerin hatte somit auf Grund des Unterhaltsverzichts auch keinen Anspruch auf Unterhalt gegenüber ihrem geschiedenen Ehemann, so dass ein Anspruch auf Witwenrente nach § 243 Abs. 1 und Abs. 2 SGB VI ausscheidet.

3. Da die Klägerin auf Grund des wirksamen Unterhaltsverzichts und nicht wegen ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse keinen Anspruch auf Unterhalt hatte, kam auch ein Rentenanspruch nach § 243 Abs. 3 SGB VI nicht in Betracht.

Die Klage war somit unbegründet.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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