S 6 R 331/10

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Kassel (HES)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
S 6 R 331/10
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 5 R 374/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Bescheid vom 30.04.2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 17.08.2010 wird aufgehoben, soweit in dem Bescheid eine Rücknahme der Leistungsbewilligung für die Zeit vom 01.11.2008 bis 30.04.2010 in Höhe von 6430,18 Euro und eine Pflicht zur Erstattung dieses Betrags festgelegt ist.

Die Beklagte hat der Klägerin ihre notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin wendet sich gegen einen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid.

Die im Jahre 1943 geborene Klägerin stellte im Jahr 1985 einen Antrag auf Kontenklärung und überreichte der Beklagten Unterlagen über ihr Scheidungsverfahren. Ihr ehemaliger Ehemann war der im Jahr 1941 geborene Kinderarzt C. (vgl. Bl. 3 Verwaltungsakte).

Die Beklagte forderte von der Klägerin sodann weitere Unterlagen an, um den Versorgungsausgleich prüfen zu können (Bl. 8 Verwaltungsakte).

Im Jahr 1986 gelangte daraufhin auch das Scheidungsurteil des Familiengerichts ZM. vom 25.02.1986 zur Verwaltungsakte. Dort heißt es sodann unter dem Tenor zu 3): "Die vom Antragsgegner bei der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen erworbenen Vermögenswerte werden in der Weise real gestellt, dass der Antragstellerin gegen die Kassenärztliche Vereinigung Hessen Rentenanwartschaften in Höhe von monatlich 399,79 DM, bezogen auf das Ende der Ehezeit im Juni 1984, aus eigenem Recht zustehen." Unter dem Tenor zu 4) heißt es in dem Urteil (Bl. 31 Verwaltungsakte): "Im Wege der Realteilung werden zu Gunsten der Antragstellerin bei der XY. Versicherung, Versorgungsanstalt für Ärzte, Zahnärzte und Tierärzte Rentenanwartschaften aus der Ehezeit, die im Juni 1984 endete, in Höhe von monatlich 394,16 DM begründet." Wegen des weiteren Inhalts und hierbei insbesondere wegen der Entscheidungsgründe des Scheidungsurteils wird auf die Verwaltungsakte Bezug genommen (Bl. 33 ff. Verwaltungsakte).

Eingereichten Unterlagen kann u.a. entnommen werden, dass die Klägerin Psychologie studiert hat und in diesem Beruf auch arbeitete.

In der Folgezeit forderte die Klägerin von der Beklagten von sich aus einen Versicherungsverlauf an, um die im Versicherungskonto gespeicherten Daten überprüfen zu können (Bl. 76 Verwaltungsakte) und stellte im Jahr 2000 einen Antrag auf Kontenklärung (Bl. 81 ff. Verwaltungsakte).

Der Verwaltungsakte der Beklagten ist zu entnehmen (vgl. Bl. 87 f. Verwaltungsakte), dass die Durchführung des Versorgungsausgleichs datenmäßig verarbeitet wurde.

Die Beklagte stand mit der Klägerin in der Folgezeit wegen der Frage der Kontenklärung und anlässlich eines Antrag auf die Zahlung freiwilliger Beiträge (Bl. 153 Verwaltungsakte) fortlaufend im Kontakt.

Am 28.08.2008 stellte die Klägerin einen Antrag auf ihre Regelaltersrente mit einem voraussichtlichen Rentenbeginn ab November 2008.

Dem Datenverarbeitungsvorgang vom 28.08.2008 kann auf Seite 4 unter anderem entnommen werden, dass die Beklagte als rentenrechtlichen Sachverhalt u.a. den durchgeführten Versorgungsausgleich verarbeitet hatte (Bl. 2 R Verwaltungsakte).

Mit Bescheid vom 30.09.2008 bewilligte die Beklagte der Klägerin eine Regelaltersrente ab 01.11.2008 in Höhe von monatlich 1059,81 EUR (Bl. 30 ff. Verwaltungsakte). In der Anlage 5 dieses Bescheids sind die Auswirkungen des Versorgungsausgleichs geregelt, wobei ausgeführt wird, dass der zugunsten des Versicherungskontos durchgeführte Versorgungsausgleich zu einem Zuschlag an Entgeltpunkten führe, wobei sodann auch eine ohne Beitragsentrichtung begründete Rentenanwartschaft in Höhe von monatlich 394,16 DM zugunsten der Klägerin berücksichtigt wurde (Bl. 42 Verwaltungsakte).

Im Juli 2009 fiel der Beklagten dann auf, dass nach dem Tenor der Entscheidung vom 25.02.1986 sowie dem Tatbestand und den Entscheidungsgründen zu Lasten der Versorgung des Ausgleichspflichtigen bei der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen Rentenanwartschaften in Höhe von 394,16 DM durch Realleistung nach § 1 Abs. 2 VAHRG für die Versicherte begründet worden seien. Wesentliches Merkmal bei der Realleistung nach § 1 Abs. 2 VAHRG sei, dass sich diese Ausgleichsform außerhalb der gesetzlichen Rentenversicherung vollziehe. Bei der Realleistung werde daher für den Ausgleichsberechtigten das Anrecht aus dem Versorgungsausgleich nicht bei einem Träger der gesetzlichen Rentenversicherung, sondern bei einem anderen Versorgungsträger, hier der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen, begründet. Von dieser Ausgleichsform sei die gesetzliche Rentenversicherung nicht berührt. Es sei vorliegend irrtümlich von einem Versorgungsausgleich nach § 1587b Abs. 2 BGB ausgegangen worden. Der Rentenbescheid vom 30.09.2008 sei dementsprechend zu ändern (Bl. 29 Verwaltungsakte).

Mit Schriftsatz vom 21.07.2009 hörte die Beklagte die Klägerin zu einer möglichen Überzahlung von Rentenleistungen an (Bl. 63 Verwaltungsakte).

Hierauf erwiderte die Klägerin durch ihren damaligen Bevollmächtigten mit Schriftsatz vom 14.12.2009, dass ihr ein fehlerhaftes Verhalten nicht vorgeworfen werden könne (Bl. 74 Verwaltungsakte).

Mit Schriftsatz vom 19.03.2010 forderte die Beklagte die Klägerin um Mitteilung auf, wann und in welcher Form sie über die Begründung von Rentenanwartschaften bei der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen informiert worden sei und ob die Klägerin insoweit auch bereits Leistungen erhalte (Bl. 84 Verwaltungsakte).

Hierauf erwiderte die Klägerin, dass sie seit dem 01.11.2008 Versorgungsleistungen der Kassenärztlichen Vereinigung beziehe und überreichte verschiedene Unterlagen, auf die Bezug genommen wird.

Mit Rentenbescheid vom 30.04.2010 berechnete die Beklagte die Regelaltersrente der Klägerin ab 01.11.2008 neu und stellte eine Überzahlung in Höhe von 6.430,18 EUR fest, die zu erstatten sei. Der Anlage 1) dieses Bescheids kann entnommen werden, auf Grund welcher Berechnungen die Beklagte zu der errechneten Überzahlung gelangt war. Insoweit wird auf den Bescheid Bezug genommen (Bl. 109 Verwaltungsakte). In der Anlage 10) des Rentenbescheids erläuterte die Beklagte, dass der Rentenbescheid vom 30.09.2008 hinsichtlich der Rentenhöhe mit Wirkung ab 01.11.2008 nach § 45 SGB X zurückgenommen werde. Die in der Anlage 1) ausgewiesene Überzahlung sei von der Klägerin nach § 50 SGB X zu erstatten. Die Rücknahme des Rentenbescheids sowohl für die Vergangenheit als auch für die Zukunft sei zulässig, weil sich die Klägerin nicht auf Vertrauen in den Bestand des Rentenbescheids berufen könne (§ 45 Abs. 2 S.3 SGB X) und zum anderen die Frist des § 45 Abs. 3 SGB X bzw. des § 45 Abs. 4 SGB X noch nicht abgelaufen sei. Auch die vorzunehmende Ermessensausübung führe zu keiner anderen Entscheidung, weil keine persönlichen, wirtschaftlichen oder sachlichen Gründe bekannt oder erkennbar seien, die einer Bescheidrücknahme entgegenstehen würden (Bl. 119 Verwaltungsakte).

Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin am 25.05.2010 Widerspruch ein. Ein Fehlverhalten könne ihr nicht vorgeworfen werden (Bl. 137 Verwaltungsakte).

Mit Widerspruchsbescheid vom 17.08.2010 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Die Klägerin genieße hinsichtlich des Bestands der Leistungsbewilligung keinen Vertrauensschutz, da sie aufgrund der ihr vorliegenden Informationen die fehlerhafte doppelte Begünstigung und damit die Rechtswidrigkeit des Rentenbescheids gekannt habe bzw. infolge grober Fahrlässigkeit nicht gekannt habe. Auch im Rahmen des Ermessens halte die Beklagte eine Bescheidrücknahme für gerechtfertigt, da weder persönliche, wirtschaftliche noch verfahrensrechtliche Gründe erkennbar seien, die eine Bescheidaufhebung beziehungsweise der Rückforderung entgegenstünden (Bl. 158 f. Verwaltungsakte).

Am 20.09.2010 hat die Klägerin gegen den Bescheid in Gestalt des Widerspruchsspruchs Klage beim Sozialgericht Kassel erhoben und die Klage dahingehend begründet, dass die Beklagte die von ihr eingereichten Unterlagen selbst zunächst falsch interpretiert habe. Auch sei ihr keine grobe Fahrlässigkeit zur Last zu legen, da sie auf die Richtigkeit der Rentenhöhe vertraut habe.

Die Klägerin beantragt,
den Bescheid vom 30.04.2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 17.08.2010 aufzuheben, soweit in dem Bescheid eine Rücknahme der Leistungsgewährung für die Zeit vom 01.11.2008 bis 30.04.2010 in Höhe von 6430,18 EUR und eine Pflicht zur Erstattung der festgestellten Überzahlung geregelt ist.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Es sei von einer groben Fahrlässigkeit auszugehen. Der Adressat eines Verwaltungsaktes sei deshalb gehalten, den Bescheid zu lesen und zur Kenntnis zu nehmen. Vorliegend könne aus der Anlage 5 des Bescheids vom 30.09.2008 ohne Weiteres entnommen werden, dass der Bescheid im Widerspruch zum Urteil des Familiengerichts Q-Stadt vom 25.02.1986 und zur Mitteilung der Versorgungsanstalt für Ärzte, Zahnärzte und Tierärzte vom 03.06.1986 stehe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten und auf die Gerichtsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage hat Erfolg. Die zulässige Klage ist begründet.

Der Bescheid vom 30.04.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17.08.2010 ist hinsichtlich der von der Klägerin mit der Klage angefochtenen Rücknahme der Rentenbewilligung und der Pflicht zur Erstattung der aufgehobenen Rentenleistungen rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten und war daher von der Kammer aufzuheben.

Die Beklagte hat den Bescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheids zutreffend auf § 45 SGB X gestützt.

Soweit ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), rechtswidrig ist, darf er gem. § 45 Abs. 1 SGB X, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden.

Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt darf gem. § 45 Abs. 2 S.1 SGB X nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist.

Das Vertrauen ist gem. § 45 Abs. 2 S.2 SGB X in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann.

Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte gem. § 45 Abs. 2 S.3 SGB X nicht berufen, soweit
1. er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat,
2. der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat, oder
3. er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte.

Grobe Fahrlässigkeit liegt gem. § 45 Abs. 2 S. 3 Halbsatz 2 SGB X vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat.

1. Vorliegend war die ursprüngliche Leistungsbewilligung rechtswidrig, da die Beklagte irrtümlich einen Versorgungsausgleich im Sinne des § 1587 Abs. 2 BGB und damit einen höheren Rentenanspruch annahm, obwohl dieser Versorgungsausgleichsanspruch gegenüber der Versorgungsanstalt für Ärzte, Zahnärzte und Tierärzte erfolgt ist und die Klägerin also von dort aus ebenfalls Versorgungsleistungen erhält.

2. Ob die Klägerin die Rechtswidrigkeit der Leistungsbewilligung auf Grund von grober Fahrlässigkeit nicht kannte, konnte vorliegend dahinstehen, wobei die Kammer erhebliche Bedenken hat, ob der Klägerin ein entsprechender Vorwurf zu machen ist.

Das Bundessozialgericht (BSG) geht, worauf die Beklagte zutreffend hingewiesen hat, in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass die Adressaten von Bewilligungsbescheiden die Obliegenheit haben, diese zu lesen und zur Kenntnis zu nehmen (BSG, Urteil v. 01.07.2010, B 13 R 77/09 R, juris, 33).

Danach ist eine Unkenntnis grob fahrlässig, wenn der Adressat, hätte er den Bewilligungsbescheid gelesen und zur Kenntnis genommen, auf Grund einfachster und nahe liegender Überlegungen sicher hätte erkennen können, dass der zuerkannte Anspruch nicht oder jedenfalls so nicht besteht (Schütze in: Von Wulffen (Hrsg.), SGB X, 2010, § 45 Rn. 56).

Bei komplizierten Berechnungen und maschinellen Verschlüsselungen wird von einer groben Fahrlässigkeit regelmäßig nur dann ausgegangen werden können, wenn diese durch einen erklärenden Langtext verständlich sind (Schütze in: Von Wulffen (Hrsg.), SGB X, 2010, § 45 Rn.57).

Da die Klägerin vorliegend sämtliche Angaben zutreffend gemacht hatte und verschiedene Rentenauskünfte hinsichtlich der Leistungshöhe im Wesentlichen mit der Rentenhöhe des Bescheids vom 30.09.2008 übereinstimmten, hat die Kammer erhebliche Bedenken, ob es der Klägerin schon beim einfachen Lesen des Bescheids vom 30.09.2008 und hierbei der Anlage 5 hätte auffallen müssen, dass der Beklagten insoweit ein Fehler unterlaufen ist, zumal ein Bezug auf die konkrete Rentenanwartschaft und auf das Scheidungsurteil vom 25.02.1986 fehlt (vgl. Bl. 42 Verwaltungsakte).

3. Die Frage der groben Fahrlässigkeit konnte nach der Überzeugung der Kammer allerdings vorliegend dahinstehen, da der Bescheid vom 30.04.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17.08.2010 ermessensfehlerhaft ist.

§ 45 SGB X räumt dem Sozialleistungsträger ein Entschließungs- und Auswahlermessen ein (Schütze in: Von Wulffen (Hrsg.), SGB X, 2010, § 45 Rn. 88 ff.).

Bei Ermessensentscheidungen ist der Verwaltung ein Handlungsspielraum eingeräumt (Keller in: Meyer-Ladewig u.a. (Hrsg.), SGG, 2008, § 54 Rn. 25). Das Gericht darf hierbei seine Vorstellungen hinsichtlich einer zweckmäßigen Entscheidung nicht an die Stelle des Verwaltungsermessens setzen. Es findet mithin nur eine gerichtliche Rechtskontrolle, nicht aber eine Zweckmäßigkeitskontrolle statt. Das Gericht prüft mithin entsprechend § 54 Abs. 2 S.2 SGG nur, ob die jeweilige Behörde die gesetzlichen Grenzen des Ermessens eingehalten hat und ob von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechender Weise Gebrauch gemacht worden ist (vgl. Hessisches Landessozialgericht, Urteil v. 02.10.2009, L 5 R 315/08, juris, Rn. 32; Keller in: Meyer-Ladewig u.a. (Hrsg.), SGG, 2008, § 54 Rn. 27, 29).

Gem. § 35 Abs. 1 S.2 SGB X sind in der Begründung eines Verwaltungsaktes die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gründe mitzuteilen, die die Behörde zu ihrer Entscheidung erwogen haben. Die Begründung von Ermessensentscheidungen muss gem. § 35 Abs. 1 S.3 SGB X auch die Gesichtspunkte erkennen lassen, von denen die Behörde bei der Ausübung ihres Ermessens ausgegangen ist.

Eine fehlende Ermessensausübung und ein Ermessensfehlgebrauch sind im gerichtlichen Verfahren nicht mehr heilbar. Fehlt es an einer Ermessensausübung erkennbar oder liegt ein Ermessensfehlgebrauch vor, ist der Verwaltungsakt aufzuheben (Schütze in: Von Wulffen (Hrsg.), SGB X, 2010, § 41 Rn. 11 f.).

Zu den wesentlichen Ermessensgerichtspunkten zählt die Frage, ob die rechtswidrige Begünstigung des Leistungsberechtigten durch sein Verhalten oder einen groben Behördenfehler verursacht worden ist (vgl. Pohl in: Eichenhofer & Wenner, SGB I, IV, X, 2012, § 45 SGB X Rn. 32; Schütze in: Von Wulffen (Hrsg), SGB X, § 45 Rn. 90). Ist eine Überzahlung durch einen groben Behördenfehler verursacht worden, liegt ein atypischer Fall vor, mit dem sich die Behörde im Rahmen der Ermessensentscheidung und auch in der Begründung des Verwaltungsaktes auseinanderzusetzen hat. In derartigen Fallgestaltungen liegt es nahe, dass der Sozialleistungsträger im Rahmen des Auswahlermessens das eigene Verschulden berücksichtigt und nicht die volle Überzahlung vom Begünstigten zurückverlangt.

Vorliegend hat die Beklagte zwar gesehen, dass das Gesetz ihr ein Ermessen einräumt. Allerdings führt die Beklagte in ihren Bescheiden im Rahmen des Abschnitts über das Ermessen nur apodiktisch aus, dass keine persönlichen, wirtschaftlichen oder verfahrensrechtlichen Gründe ersichtlich seien, die einer Aufhebung entgegenstünden. Solche Feststellungen sind nach der Auffassung der Kammer allerdings vorliegend unzureichend und ermessensfehlerhaft, da der Umstand, dass eine Überzahlung bei zutreffenden Angaben des Berechtigten allein durch ein Behördenverhalten bewirkt wird, so wesentlich ist, dass die Behörde dies in ihrem Bescheid diskutieren muss. Da dies unterblieben ist und die Beklagte somit im Rahmen ihrer Ermessensentscheidung einen wesentlichen Aspekt nicht bedacht hat, war der Bescheid vom 30.04.2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 17.08.2010 ermessensfehlerhaft und aufzuheben.

Die Klage war somit begründet.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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