S 6 AS 854/10

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Kassel (HES)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
6
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
S 6 AS 854/10
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Eingliederungsvereinbarungen können im Einzelfall mit konkludenten Zusicherungen verbunden sein, aus denen der Hilfebedürftige einen eigenständigen Rechtsanspruch ableiten kann.
Der Bescheid vom 24.02.2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 25.06.2010 und der Bescheide vom 15.06.2011 und 14.10.2011 wird aufgehoben.

Der Beklagte wird verurteilt, der Klägerin für die Zeit vom 18.02.2010 bis 31.07.2010 Arbeitslosengeld II in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

Der Beklagte hat der Klägerin ihre notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Klägerin in der Zeit vom 18.02.2010 bis 31.07.2010 Arbeitslosengeld II zusteht.

Die 1982 geborene Klägerin stellte am 18.02.2010 erstmalig einen Antrag auf Leistungen nach dem SGB II beim Beklagten. Die Verwaltungsakte über die Klägerin beginnt mit einem Vermerk. Die Klägerin habe nach einem Jahr das Referendariat als Lehrerin abgebrochen. Zur Zeit besuche sie eine schulische Ausbildung als Pharmazeutisch-technische Assistentin.

Dem Antragsformular kann entnommen werden, dass die Klägerin mit einer weiteren Person, nämlich ihrem späteren Ehemann, zusammenwohnt, wobei der Sachbearbeiter handschriftlich ergänzt hat, dass dieses Zusammenwohnen noch nicht ein Jahr dauere.

Weiterhin gab die Klägerin an, seit dem 01.09.2009 Wohngeld zu erhalten.

Die Klägerin legte einen Untermietvertrag vor, auf den Bezug genommen wird.

Weiterhin überreichte die Klägerin einen Bescheid über Ausbildungsförderung nach dem BAföG vom 30.05.2008 des Studentenwerkes der Universität YC., aus dem hervorgeht, dass das Ende der Förderungshöchstdauer im September 2006 war (Bl. 16 Verwaltungsakte).

Die Klägerin überreichte eine Bescheinigung über den Besuch der Akademie QW. vom 16.02.2010, aus der hervorgeht, dass es sich um eine Berufsfachschule handelt. Die Klägerin habe die Ausbildung zur Pharmazeutisch-technischen Assistentin am 06.08.2009 begonnen. Das voraussichtliche Ende der schulischen Ausbildung werde im Juni 2011 sein. Das voraussichtliche Ende der praktischen Ausbildung liege im Februar 2012 (Bl. 17 Verwaltungsakte). Die Klägerin muss für die Ausbildung Ausbildungskosten pro Halbjahr in Höhe von 1050 EUR entrichten (Bl. 18 Verwaltungsakte).

Der Anlage WEP kann entnommen werden, dass Herr A. seit Mai 2009 als Techniker arbeitet (Bl. 20 Verwaltungsakte). Herr A. erhielt für Februar 2010 ein Bruttoarbeitsentgelt in Höhe von 650 EUR, wobei das Entgelt immer am 10. des Folgemonats abgerechnet werde (Bl. 26 Verwaltungsakte).

Weiterhin wurde Herrn A. Wohngeld in Höhe von monatlich 83 EUR bewilligt (Bl. 27 Verwaltungsakte).

Die Klägerin zahlte für ihre Krankenversicherung seit 01.01.2010 einen monatlichen Betrag in Höhe von 287,20 EUR (Bl. 32 Verwaltungsakte).

Die Wohnung der Klägerin ist mit einer Gesamtmiete einschließlich Heizkosten von 450 EUR verbunden (Bl. 36, 38 ff. Verwaltungsakte).

Einer Mitteilung der Eltern der Klägerin vom 17.02.2010 kann entnommen werden, dass diese die Klägerin zuletzt unterstützt hatten. Da nun die Mutter bzw. Schwiegermutter ins Pflegeheim gekommen sei, sei man dazu nicht mehr in der Lage und stelle die Zahlungen ein (Bl. 57 Verwaltungsakte).

Der Beklagte und die Klägerin schlossen am 18.02.2010 eine Eingliederungsvereinbarung mit Gültigkeit bis 17.08.2010, in welcher sich die Klägerin unter 2. verpflichtete, ihre Ausbildung zur PTA fortzusetzen. Unter dem Punkt 1. "Ihr Träger für Grundsicherung Arbeitsförderung Werra Meißner unterstützt Sie mit folgenden Leistungen zur Eingliederung" ist hingegen nur ein Sternzeichen vermerkt. Sodann heißt es in der Eingliederungsvereinbarung (Bl. 60 Verwaltungsakte):
"Halten Sie sich innerhalb des zeit- und ortsnahen Bereichs auf, muss sichergestellt sein, dass Sie persönlich an jedem Werktag an Ihrem Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt unter der von Ihnen benannten Anschrift (Wohnung) durch Briefpost erreichbar sind.
Sie sind verpflichtet, Änderungen (z.B. Krankheit, Arbeitsaufnahme, Umzug) unverzüglich mitzuteilen und bei einer Ortsabwesenheit vorab die Zustimmung des persönlichen Ansprechpartners einzuholen.
Bei einer unangemeldeten oder unerlaubten Ortsabwesenheit entfällt der Anspruch auf Arbeitslosengeld II, auch bei nachträglichem Bekanntwerden. Wird ein genehmigter auswärtiger Aufenthalt unerlaubt verlängert, besteht ab dem ersten Tag der unerlaubten Ortsabwesenheit kein Anspruch auf Leistungen mehr. Nähere Informationen finden Sie im Kapitel 14.3 des Merkblatts "Arbeitslosengeld II/Sozialgeld.
...
Die Eingliederungsvereinbarung wurde mit mir besprochen. Unklare Punkte und die möglichen Rechtsfolgen wurden erläutert. Ich bin mit den Inhalten der Eingliederungsvereinbarung einverstanden und habe ein Exemplar erhalten. Ich verpflichte mich, die vereinbarten Aktivitäten einzuhalten und beim nächsten Termin über die Ergebnisse zu berichten."
Die Eingliederungsvereinbarung wurde von der Klägerin und einem Herrn ER. als Vertreter des Beklagten unterschrieben.

Die Klägerin wurde sodann gebeten, ihre Hilfebedürftigkeit durch Vorlage von Kontoauszügen und Nachweisen ihres sonstigen Vermögens nachzuweisen (Bl. 62 Verwaltungsakte).

Einem Vermerk des Beklagten kann entnommen werden, dass dieser am 22.02.2010 mit Herrn TZ. von der BAföG-Stelle telefoniert habe. Da die Klägerin nur ein Jahr BAFöG erhalten habe, als sie das Referendariat abgebrochen habe, habe die Klägerin weiterhin einen Anspruch auf Leistungen nach dem BAföG (Bl. 64 Verwaltungsakte). Einem Vermerk (Bl. 72 Verwaltungsakte) des Beklagten kann entnommen werden, dass die Klägerin telefonisch mitteilte, dass sie bereits vor dem Referendariat BAföG-Leistungen bekommen hatte. Insgesamt seien es 5 Jahre gewesen. Der Beklagte rief daraufhin erneut bei der BAföG-Stelle an. Die neue Ausbildung der Klägerin sei dem Grunde nach förderungsfähig nach dem BAföG. Da die Klägerin bereits die vollen Leistungen ausgeschöpft habe, könne keine erneute Bewilligung stattfinden (Bl. 72 Verwaltungsakte).

Die Wohngeldstelle teilte dem Beklagten im Rahmen eines Telefonats mit, dass die Klägerin dem Grunde nach einen Anspruch auf Wohngeld habe (Bl. 73 Verwaltungsakte).

Der Beklagte forderte von der Klägerin sodann weitere Unterlagen und hierbei u.a. Kontoauszüge und Nachweise über vorhandenes Vermögen an (Bl. 74 Verwaltungsakte).

Am 23.02.2010 gingen beim Beklagten verschiedene Bescheide nach dem BAföG ein. Den Bescheiden kann entnommen werden, dass die Klägerin in der Zeit von Oktober 2001 bis September 2006 Leistungen nach dem BAföG erhalten hatte (Bl. 75-79 Verwaltungsakte).

Die Klägerin überreichte sodann weitere Unterlagen, über ihre Vermögensverhältnisse, auf die Bezug genommen wird (Bl. 80 ff. Verwaltungsakte).

Mit Bescheid vom 24.02.2010 lehnte der Beklagte den Antrag nach dem SGB II ab. Die Klägerin befinde sich in einer Ausbildung und diese Ausbildung sei im Rahmen des BAföG oder der §§ 60 bis 62 SGB III dem Grunde nach förderungsfähig. Diese Entscheidung beruhe auf § 7 Abs. 5 und 6 SGB II (Bl. 94 Verwaltungsakte).

Am 09.03.2010 legte die Klägerin gegen den Bescheid Widerspruch ein. Sie sei bereits in vollem Umfang nach dem BAföG gefördert worden, wie aus den überreichten Bescheiden hervorgehe. Eine Förderung einer weiteren Ausbildung nach § 7 Abs. 2 BAföG könne in ihrem Fall nicht geleistet werden, wie aus dem anliegenden Bescheid der zuständigen BAföG-Stelle entnommen werden könne. Auch liege eine gültige Eingliederungsvereinbarung vor, aus der hervorgehe, dass sie die Ausbildung zur PTA an der Akademie QW. fortsetzen dürfe. Auch habe sie momentan kein Einkommen (Bl. 103 Verwaltungsakte).

Dem Widerspruchsschriftsatz beigefügt war der Bescheid des Kreisausschusses des Werra-Meißner Kreises vom 13.03.2010, mit dem Leistungen nach dem BAföG abgelehnt worden waren. Dem Bescheid kann entnommen werden, dass die Klägerin nach dem Abitur ab Oktober 2001 bis März 2007 an der Universität YC. Chemie studiert hatte und dieses Studium am 26.01.2007 mit dem Titel Diplom-Chemikern abschließen konnte. Danach habe die Klägerin noch Zeiten als wissenschaftliche Mitarbeiterin und als Referendarin für Lehramt zurückgelegt, bevor sie im August 2009 die PTA-Schule an der Akademie QW. begonnen habe. In dem Bescheid wird sodann der Wortlaut von § 7 BAföG wiedergegeben und dann ausgeführt, dass die Klägerin bereits über ein abgeschlossenes Studium mit dem höchsten Abschluss (Diplom) verfüge und darüber hinaus die Förderungshöchstdauer im BAföG ausgeschöpft habe. Daher könne die jetzige PTA-Schule nicht mehr nach dem BAföG gefördert werden. Außerdem liege der angestrebte Ausbildungsabschluss unter dem bereits erreichten Abschluss der Diplom-Chemikerin (Bl. 106 f. Verwaltungsakte).

Die Klägerin überreichte sodann eine Veränderungsmitteilung, der zunächst entnommen werden kann, dass die Klägerin inzwischen den gleichen Nachnamen wie ihr Untermieter führt. Auch sei die Klägerin inzwischen seit 01.03.2010 bei der AOK familienversichert (Bl. 112 Verwaltungsakte). Weiterhin überreichte die Klägerin eine Gehaltsabrechnung der Firma UO. für März 2010 mit einem Bruttogehalt in Höhe von 401,00 EUR, dem ein Nettogehalt in Höhe von 357,26 EUR entsprach (Bl. 111 Verwaltungsakte).

Am 14.06.2010 ging beim Beklagten eine ärztliche Bescheinigung des Frauenarztes PA. vom 14.06.2010 ein, wonach die Klägerin schwanger sei (Bl. 114 Verwaltungsakte).

Mit Schriftsatz ebenfalls vom 14.06.2010 teilte die Klägerin dem Beklagten mit, dass sie eine vom 01.03.2010 bis 30.05.2010 befristete Tätigkeit als Verkäuferin aufgenommen habe. Sie habe am 29.05.2010 geheiratet. Damit falle der Untermietvertrag weg. Auch sei sie in der 10. Woche schwanger. Der Beklagte möge bedenken, dass sie als Schwangere, selbst wenn sie ihre Ausbildung abbrechen würde, nur sehr geringe Chancen auf eine Einstellung in Erwerbstätigkeit hätte (Bl. 115 Verwaltungsakte).

Einer überreichten Einkommensbescheinigung kann entnommen werden, dass der Lohn aus der Erwerbstätigkeit jeweils am 02. des Folgemonats zufließe (Bl. 116 Verwaltungsakte).

Mit Widerspruchsbescheid vom 25.06.2010 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück, wobei insbesondere ausgeführt wird, dass auch die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II unter dem Blickwinkel eines Härtefalls nicht in Betracht komme, da sich die Klägerin noch am Anfang ihrer Zweitausbildung befinde (Bl. 117 ff. Verwaltungsakte).

Am 26.07.2010 hat die Klägerin gegen den Bescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheids Klage beim Sozialgericht Kassel erhoben.

Mit Schriftsatz vom 23.12.2010 hat die Bevollmächtigte der Klägerin die Klage dahingehend begründet, dass der Beklagte mit der Klägerin eine Eingliederungsvereinbarung geschlossen habe. Es möge sein, dass die Klägerin grundsätzlich förderungswürdig nach dem BAföG sei. Dies sei aber vor dem Hintergrund der Eingliederungsvereinbarung irrelevant, nach der sich die Klägerin verpflichtet habe, die Schule fortzusetzen. Das Referendariat habe die Klägerin aus gesundheitlichen Gründen abbrechen müssen. Auch habe der Beklagte in einem vergleichbaren Fall SGB II-Leistungen bewilligt. Unabhängig davon stehe der Klägerin ab der 12. Schwangerschaftswoche ein Mehrbedarf für Schwangere nach § 21 Abs. 2 SGB II zu (Bl. 23-25 Gerichtsakte).

Der Beklagte bat sodann um die Heiratsurkunde, Geburtsurkunde des Kindes und über Einkommensnachweise der Klägerin und ihres Ehemanns. Die Klägerin überreichte dann entsprechende Unterlagen (Bl. 32 ff. Gerichtsakte).

Mit Bescheid vom 15.06.2011 bewilligte der Beklagte der Klägerin und ihrem Mann ab 01.05.2010 bis 30.06.2010 Leistungen nach dem SGB II unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs für werdende Mütter ab der 13. Schwangerschaftswoche. Der Bescheid werde Gegenstand des Klageverfahrens (Bl. 56 Gerichtsakte).

Mit Änderungsbescheid vom 14.10.2011 hat der Beklagte den Leistungsanspruch für Zeit vom 01.05.2010 bis 30.06.2010 neu berechnet und den Leistungsanspruch angehoben. Auf den Bescheid wird Bezug genommen (Bl. 78 ff. Gerichtsakte).

Die Leistungsabteilung des Beklagten hat hierzu erläutert, dass der Klägerin nur ein Anspruch auf einen Mehrbedarf für Schwangere zustehe. Aufgefallen sei, dass Herr A. bislang nur 1/3 der Miete erhalten habe. Dies sei korrigiert worden, so dass eine Nachzahlung für die Monate Mai und Juni 2010 in Höhe von jeweils 75 EUR erfolgt sei (Bl. 72 Gerichtsakte).

Die Klägerin beantragt,
den Bescheid vom 24.02.2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 25.06.2010 und des Bescheids vom 15.06.2011 und vom 14.10.2011 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, für die Zeit vom 18.02.2010 bis 31.07.2010 Arbeitslosengeld II in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Verwaltungsakte des Beklagten und auf die Gerichtsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage hat Erfolg. Die Klage ist zulässig und begründet.

Die Klägerin hat im Zeitraum vom 18.02.2010 bis 31.07.2010 dem Grunde nach einen Anspruch auf Arbeitslosengeld II in gesetzlicher Höhe.

Gem. § 19 Abs. 1 S.1 SGB II erhalten erwerbsfähige Hilfebedürftige als Arbeitslosengeld II Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts einschließlich der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung, wenn kein Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 5 SGB II eingreift.

Die Bewilligung der Leistungen soll gem. § 41 Abs. 1 S.4 SGB II jeweils für sechs Monate erfolgen.

Gem. § 9 Abs. 1 SGB II ist hilfebedürftig, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderlichen Hilfen nicht von anderen, insbesondere nicht von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält.

Aus den überreichten Unterlagen der Klägerin über ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse geht hervor, dass die Klägerin hilfebedürftig war.

1. Grundsätzlich stand einem Leistungsanspruch der Klägerin im Streitzeitraum, worauf der Beklagte in seinem Bescheid vom 24.02.2012 zutreffend hingewiesen hat, § 7 Abs. 5 SGB II entgegen.

Gem. § 7 Abs. 5 SGB II haben Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes dem Grunde nach förderungsfähig ist, keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts.

Die Klägerin absolvierte im Streitzeitraum eine schulische Ausbildung an einer Berufsfachschule zur Pharmazeutisch-technischen Assistentin (Bl. 17 Verwaltungsakte). Eine solche Ausbildung ist nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 BAföG dem Grunde nach förderungsfähig (vgl. auch: Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 18.04.2012, L 19 AS 1761/10 ZVW, juris), so dass die Klägerin gem. § 7 Abs. 5 SGB II vom SGB II-Bezug ausgeschlossen war.

2. Es greift auch keine Rückausnahme nach § 7 Abs. 6 SGB II ein.

Gem. § 7 Abs. 6 SGB II findet § 7 Abs. 5 SGB II keine Anwendung auf Auszubildende,

1. die auf Grund von § 2 Abs. 1a des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung oder auf Grund von § 64 Abs. 1 des Dritten Buches keinen Anspruch auf Berufsausbildungsbeihilfe haben,

2. deren Bedarf sich nach § 12 Abs. 1 Nr. 1 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes oder nach § 66 Abs. 1 Satz 1 des Dritten Buches bemisst oder

3. die eine Abendhauptschule, eine Abendrealschule oder ein Abendgymnasium besuchen, sofern sie aufgrund von § 10 Abs. 3 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben.

Keine der Rückausnahmen greift ein.

a) § 7 Abs. 6 Nr. 1 SGB II greift nicht ein. Dies würde nämlich voraussetzen, dass die Klägerin nach § 2 Abs.1a BAföG dem Grunde nach vom BAFöG-Bezug ausgeschlossen ist. § 2 Abs.1a BAföG greift aber nur für die Fälle des § 2 Abs. 1 Nr. 1 BAföG ein. Vorliegend besteht aber dem Grunde nach ein Anspruch nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 BAföG.

b) Auch liegt kein Fall des § 7 Abs. 6 Nr. 2 BAFöG vor. Diese würde voraussetzen, dass sich der Bedarf nach § 12 Abs. 1 Nr. 1 BAföG bemisst. Dies ist aber bei der Klägerin nicht der Fall, da diese nicht bei ihren Eltern wohnt (vgl. dazu auch Hacketal in: Juris-PK-SGB II, § 7 Rn. 89), so dass sich der Bedarf nach § 12 Abs. 2 Nr.1 BAföG bemisst.

c) Auch findet die Ausbildung nicht an einer Abendschule im Sinne des § 7 Abs. 6 Nr. 3 SGB II statt, so dass der Beklagte in seinen Leistungsbescheid zutreffend davon ausgegangen ist, dass die Klägerin kraft Gesetzes vom Arbeitslosengeld II-Bezug ausgeschlossen war.

3. Ein Arbeitslosengeld II-Anspruch der Klägerin ergibt sich jedoch aus der Eingliederungsvereinbarung vom 18.02.2010, da diese insoweit konkludent eine entsprechende Zusicherung enthält.

Eine von einer zuständigen Behörde erteilte Zusage, einen bestimmten Verwaltungsakt später zu erlassen, bedarf gem. § 34 Abs. 1 S.1 SGB X zu ihrer Wirksamkeit der schriftlichen Form.

Das Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg hat in seinem Beschluss vom 11.12.2012 (L 34 AS 3550/12 B ER, juris) in einem ähnlich gelagerten Fall, in dem der Leistungsträger nach dem SGB II ebenfalls mit einer nach § 7 Abs. 5 SGB II vom Leistungsbezug ausgeschlossenen Hilfebedürftigen eine Eingliederungsvereinbarung abgeschlossen hatte, zutreffend darauf hingewiesen, dass eine Behörde auch in einer Eingliederungsvereinbarung eine Zusicherung erteilen kann und hervorgehoben, dass die Eingliederungsvereinbarung aus Sicht eines objektiven Empfängers ausgelegt werden muss. Das Gericht hatte eine Zusicherung bejaht, da die Hilfebedürftige in dem von ihm zu entscheidenden Fall annehmen musste, dass sie im Falle der Fortführung der Maßnahme, zu der sie sich verpflichten musste, auch Leistungen nach dem SGB II erhalten werde. Das LSG Berlin-Brandenburg führt hierzu in der Randnummer 34 seiner Entscheidung aus:

"Aus der Sicht eines objektiven Adressaten in der Position der Antragstellerin wären die erklärte Zustimmung und der Abschluss der Eingliederungsvereinbarung, mit der durch sie begründeten Verpflichtung, an einer Maßnahme teilzunehmen und dies auch nachzuweisen, widersinnig, wenn die Erfüllung der Verpflichtung den Verlust des Anspruches auf Leistungen nach dem SGB II zur Folge hätte. Von einem Auszubildenden, der keine Leistungen nach dem SGB II erhält und die Kosten der Ausbildung selbst trägt, darf der Träger der Grundsicherung keine Nachweise über die Teilnahme an der Ausbildung verlangen. Wird der Auszubildende allerdings wie die Antragstellerin dazu durch eine Eingliederungsvereinbarung verpflichtet, so muss er dies so verstehen, dass die Pflicht deshalb besteht, weil ihm auch während der Ausbildung weiter Leistungen nach dem SGB II gewährt werden."

Die Kammer schließt sich der Auffassung des LSG Berlin-Brandenburg an, dass Eingliederungsvereinbarungen im Einzelfall eine konkludente Zusicherung im Sinne des § 34 SGB X enthalten können, aus denen der Hilfebedürftige mithin einen Rechtsanspruch ableiten kann. Ein solcher Rechtsanspruch besteht vor dem Hintergrund einer wirksamen Zusicherung, worauf das LSG Berlin-Brandenburg in der Randnummer 36 der Entscheidung hingewiesen hat, auch dann, wenn die Zusicherung rechtswidrig ist. Rechtswidrige Zusicherungen sind nämlich grundsätzlich bindend und können nur unter den Voraussetzungen des § 34 Abs. 2 SGB X zurückgenommen werden.

Auch im vorliegenden Fall ist aus der abgeschlossenen Eingliederungsvereinbarung und den zusätzlich zu berücksichtigenden äußeren Umständen aus Sicht eines objektiven Empfängers eine Zusicherung dahingehend zu schlussfolgern, dass die Klägerin im Falle ihrer Hilfebedürftigkeit einen Arbeitslosengeld II-Anspruch haben werde.

a) Zunächst hatte die Klägerin dem Sachbearbeiter, mit dem sie die Eingliederungsvereinbarung abgeschlossen hatte, ausweislich der Verwaltungsakte bereits die Unterlagen über die schulische Ausbildung überreicht. Es hätte sich dem zuständigen Sachbearbeiter aufdrängen müssen, dass ein Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 5 SGB II in Betracht kommen könnte. Durch die Prüfung der grundsätzlichen Anspruchsberechtigung vor dem Abschluss der Eingliederungsvereinbarung hätte der vorliegende Rechtsstreit möglicherweise vermieden können.

b) Eine Eingliederungsvereinbarung ist ein öffentlich-rechtlicher Vertrag (Berlit in: Münder (Hrsg.), SGB II, 2011, § 15 Rn. 8; Müller in: Hauck & Noftz (Hrsg.), SGB II, 48. Erg. LfG. VII/12, § 15 Rn. 34). Verträge sind durch ein "Geben und Nehmen" gekennzeichnet, wovon auch das SGB II ausgeht.

Gem. § 15 Abs. 1 S.1 SGB II soll die Agentur für Arbeit im Einvernehmen mit dem kommunalen Träger mit jeder erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person die für ihre Eingliederung erforderlichen Leistungen vereinbaren (Eingliederungsvereinbarung).

Die Eingliederungsvereinbarung soll gem. § 15 Abs. 1 S.2 SGB II insbesondere bestimmen,

1. welche Leistungen die oder der Erwerbsfähige zur Eingliederung in Arbeit erhält,

2. welche Bemühungen erwerbsfähige Leistungsberechtigte in welcher Häufigkeit zur Eingliederung in Arbeit mindestens unternehmen müssen und in welcher Form diese Bemühungen nachzuweisen sind,

3. welche Leistungen Dritter, insbesondere Träger anderer Sozialleistungen, erwerbsfähige Leistungsberechtigte zu beantragen haben.

Zieht man diese Prämissen heran, so kann aus der Eingliederungsvereinbarung zunächst entnommen werden, dass der Beklagte der Klägerin keine Leistungen zur Eingliederung erbringen wollte (Punkt 1.). Das Feld der Eingliederungsvereinbarung ist insoweit leer. Als Ziel der Eingliederungsvereinbarung war die "Fortführung der Ausbildung zur PTA" enthalten, wozu sich die Klägerin ausweislich des Punktes 2 der Eingliederungsvereinbarung auch verpflichten musste. Auch enthält die Eingliederungsvereinbarung Hinweise über Pflichten der Klägerin bei Ortsabwesenheiten, wie diese auch Hilfebedürftigen, die Arbeitslosengeld II erhalten, vom Gesetz vorgegeben sind. Sollte die Klägerin gegen diese Pflichten verstoßen, bestehe ab dem ersten Tag der unerlaubten Ortsabwesenheit kein Anspruch auf Arbeitslosengeld II "mehr".

aa) Aus dem Umstand, dass die Klägerin überhaupt eine Eingliederungsvereinbarung unterschreiben musste, ist zunächst zu schlussfolgern, dass ein objektiver Empfänger annehmen muss, dass Unterstützung mit SGB II-Leistungen erfolgen wird, zumal der Abschluss einer Eingliederungsvereinbarung sonst, da auch keine Leistungen nach § 16 SGB II gewährt werden sollten, widersinnig wäre.

bb) Diese Schlussfolgerung ist erst recht als Umkehrschluss aus der Belehrung zu ziehen, dass ein Anspruch auf Arbeitslosengeld II im Falle einer nicht genehmigten Ortsabwesenheit ab dem ersten Tag der Ortsabwesenheit nicht "mehr" bestehe.

cc) Eine Berechtigung des Beklagten, von einer Person, die vom Leistungsbezug nach dem SGB II ausgeschlossen ist, eine Genehmigung einer Ortsabwesenheit zu verlangen, ist nicht ersichtlich.

Die Klägerin durfte somit auf Grund des Inhaltes der Eingliederungsvereinbarung berechtigter Weise annehmen, dass sie in der Zeit der Gültigkeit der Eingliederungsvereinbarung dem Grunde nach einen Arbeitslosengeld II-Anspruch haben werde. Die Eingliederungsvereinbarung ist insoweit konkludent mit einer (schriftlichen) Zusicherung im Sinne des § 34 SGB X verbunden, aus welcher die Klägerin dem Grunde nach einen Arbeitslosengeld II-Anspruch ableiten kann.

Die Klage war somit begründet.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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