Land
Hessen
Sozialgericht
SG Kassel (HES)
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
S 6 VE 12/11
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 4 VE 36/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid
Leitsätze
Gem. § 45 Abs. 3 Buchstabe c) (alte Fassung) BVG ist Waisenrente nach Vollendung des 18. Lebensjahres für eine Waise zu gewähren, die infolge körperlicher oder geistiger Gebrechen spätestens bei Vollendung des 27. Lebensjahres außerstande ist, sich selbst zu unterhalten, solange dieser Zustand dauert, über die Vollendung des 27. Lebensjahrs hinaus jedoch nur, wenn ihr Ehegatte oder Lebenspartner außerstande ist, sie zu unterhalten.
Der Zeitpunkt der Vollendung des 27. Lebensjahrs bei § 45 Abs. 3 Buchstabe c) BVG kann nicht im Wege des Härteausgleichs nach § 89 BVG auf Konstellationen ausgeweitet werden, in denen die Voraussetzungen einer Gebrechlichkeit bzw. Behinderung nach neuem Recht und die Unfähigkeit, sich selbst zu unterhalten, erst nach Vollendung des 27. Lebensjahres bewiesen sind.
Der Zeitpunkt der Vollendung des 27. Lebensjahrs bei § 45 Abs. 3 Buchstabe c) BVG kann nicht im Wege des Härteausgleichs nach § 89 BVG auf Konstellationen ausgeweitet werden, in denen die Voraussetzungen einer Gebrechlichkeit bzw. Behinderung nach neuem Recht und die Unfähigkeit, sich selbst zu unterhalten, erst nach Vollendung des 27. Lebensjahres bewiesen sind.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt Hinterbliebenenversorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).
Die 1945 geborene Klägerin ist die Tochter des 1910 geborenen und 1945 bei einem Bombenangriff verstorbenen Herrn D. D. und der 1912 geborenen und 2007 verstorbenen Frau E. D.
Am 30.04.2007 stellte die Klägerin durch ihren Bevollmächtigten einen Antrag auf Gewährung von Hinterbliebenenversorgung nach dem BVG. Da die Mitarbeiter des Beklagten bei der Übergabe des Antrags die berechtigte Frage gestellt hätten, warum der Antrag erst jetzt gestellt worden sei, sei zum besseren Verständnis zu erläutern, dass die Klägerin bis zum Tod ihrer Mutter von Versorgungsbezügen ihrer Mutter nach dem BVG und von einer Beamtenwitwenpension ihrer Mutter gelebt habe. Seit dem Tod ihrer Mutter lebe die Klägerin von der Unterstützung des Sozialamtes des Schwalm-Eder-Kreises, da außer einem kleinen, ziemlich herunter gekommenen Haus keinerlei Rücklagen vorhanden seien. Die Klägerin habe bis 1960 die Volksschule in F-Stadt, dann bis 1962 die Handelsschule und anschließend bis 1963 die Haushaltsschule in G-Stadt besucht. Anschließend habe sie bis 1966 eine Lehre zur Industriekauffrau in F-Stadt absolviert und im Anschluss daran bis 1972 in einem Sägewerk in F-Stadt gearbeitet. Im Jahr 1972 habe die Klägerin geheiratet, wobei die Ehe noch im gleichen Jahr geschieden worden sei. Seitdem habe die Klägerin wieder bei ihrer Mutter in F-Stadt gelebt. Nach dem persönlichen Eindruck des Bevollmächtigten der Klägerin und dessen Familie sowie aller gemeinsamer Bekannter habe die Klägerin durch den Tod ihres Vaters – damals sei die Mutter mit ihr im 2. Monat schwanger gewesen – eine Schädigung erlitten, die dazu geführt habe, dass sie weder eine kindgerechte Entwicklung gehabt noch ein "normales" Leben habe führen können. Es werde gebeten, die Selbsteinschätzung des Gesundheitszustands der Klägerin zu beachten. In dem Schriftsatz des Bevollmächtigten wird sodann wiedergegeben, dass die Klägerin ihre Mutter als klammernd empfand und dass die Klägerin Schwierigkeiten als Kind gehabt habe, selbständig zu werden. Insoweit wird auf die Schriftsatz Bezug genommen. Die Eltern des Bevollmächtigten der Klägerin hätten versucht, mit der Mutter der Klägerin über eine neurologisch-psychiatrische Untersuchung zu sprechen. Dies habe die Mutter der Klägerin jedoch mit dem Argument, die Klägerin sei völlig normal, abgelehnt. Nach dem Tod der Mutter werde jedoch sichtbar, dass die Klägerin massiv hilflos sei. Vor diesem Hintergrund sei ein Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung nach § 45 BVG bzw. nach § 89 BVG zu prüfen (Bl. 664 Verwaltungsakte).
Diesem Schriftsatz war ein Antragsformular auf Hinterbliebenenversorgung nach dem BVG beigefügt, aus dem hervorgeht, dass die Klägerin bis 30.09.1966 Waisengeld erhalten hatte. Auch habe die Klägerin Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung geleistet (Bl. 667 Verwaltungsakte).
Einem Vermerk des Beklagten vom 22.05.2007 kann u.a. entnommen werden, dass die Klägerin in der Zeit vom 01.12.1962 bis 30.09.1966 Waisenrente erhalten hatte, welche mit dem Ende der Ausbildung eingestellt worden sei. Anlässlich des Auslaufens der Waisenrente sei nicht der Einwand der Gebrechlichkeit der Klägerin geäußert worden, zumal die Klägerin nach der Berufsausbildung eine berufliche Tätigkeit aufgenommen hatte. Mit der Verheiratung sei die Berufstätigkeit aufgegeben und nach der kurz danach ausgesprochenen Scheidung auch nicht wieder aufgenommen worden. Seit dieser Zeit habe die Klägerin bei ihrer Mutter gelebt und sei von dieser mitversorgt worden. Beweiskräftige Unterlagen, die einen Anspruch aus § 45 Abs. 3c BVG oder § 89 BVG auf Grund einer körperlichen oder geistigen Gebrechlichkeit der Klägerin spätestens vor Vollendung des 27. Lebensjahres dokumentierten, würden nicht vorliegen. Ganz im Gegenteil werde ein schulisch und beruflich normaler Werdegang geschildert. Die Beweislast für eine körperliche oder geistige Gebrechlichkeit liege bei der Klägerin. Die Schilderung der Familiensituation sei nicht ausreichend. Erforderlich seien ärztliche Feststellungen vor dem 27. Lebensjahr bzw. ärztliche Verlaufsberichte der kindlichen Entwicklung (Bl. 668 Verwaltungsakte).
Mit Bescheid vom 01.06.2007 lehnte der Beklagte den Antrag auf Waisenrente gem. § 45 Abs. 3 Buchstabe c) BVG ab, da nicht nachgewiesen sei, dass spätestens bei Vollendung des 27. Lebensjahres eine körperliche oder geistige Gebrechlichkeit vorgelegen habe, welche die Klägerin außerstande setzte, sich selbst zu unterhalten. Auch die Voraussetzungen des § 89 BVG würden nicht eingreifen. Auf den Bescheid wird Bezug genommen (Bl. 670 f. Verwaltungsakte).
Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin am 14.06.2007 Widerspruch ein (Bl. 673 Verwaltungsakte). Am 26.07.2007 begründete die Klägerin den Widerspruch durch ihren Bevollmächtigten dahingehend, dass nach ihrer Auffassung eine körperliche oder geistige Gebrechlichkeit vor Vollendung des 27. Lebensjahres vorgelegen habe. Man widerspreche der Auffassung des Beklagten, dass beweiskräftige ärztliche Unterlagen aus der Zeit vom dem 27. Lebensjahr zu fordern seien. Es sei unklar, wie solche Unterlagen vorgelegt werden könnten, wenn sich die Mutter der Klägerin doch geweigert habe, die Frage einer Behinderung klären zu lassen. Aus dem Umstand, dass die Klägerin bei ihrer Mutter gelebt und von dieser mitversorgt wurde, sei der Schluss zu ziehen, dass die Klägerin offensichtlich außerstande gewesen sei, sich selbst zu unterhalten. Auch die Tatsache, dass die Ehe nur einige Monate gedauert habe, sei ein weiteres Indiz für einen nicht gewöhnlichen Lebensverlauf. Auch hätte der Beklagte berücksichtigen müssen, dass die Klägerin wegen mangelnder Erwerbsfähigkeit Sozialhilfeleistungen erhalte. Eine Begutachtung durch einen Amtsarzt werde angeregt. Weiterhin werden in dem Widerspruchsbegründungsschriftsatz als Zeugen der Vater des Bevollmächtigen des Klägers, dessen Schwester und Schwager, die mit der Familie der Klägerin gut bekannt gewesen seien, benannt. Die Forderung eines Nachweises in der vom Beklagten erwähnten Form sei unangemessen, denn sie berücksichtige nicht die Besonderheiten des vorliegenden Falls. Auch habe man unter Punkt 5 des Begleitbriefs angedeutet, dass zu prüfen sei, ob durch die Kriegsereignisse nicht eine direkte pränatale Schädigung vorliege (Bl. 673 ff. Verwaltungsakte).
Mit Widerspruchsbescheid vom 28.01.2008 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Ein vom Bevollmächtigten der Klägerin gefordertes amtsärztliches Gutachten könne keine Erkenntnisse über den Gesundheitszustand im Jahre 1972 erbringen und sei somit nicht geeignet, zur Sachaufklärung beizutragen (Bl. 680 Verwaltungsakte).
Es schloss sich sodann ein erstes Klageverfahren beim Sozialgericht Kassel unter dem Aktenzeichen S 4 V 3/08 an. Es sei denklogisch möglich durch einen heutigen Gutachter festzustellen, dass ein geistiges Gebrechen seit der Geburt vorliege. Damit habe es dann auch im Jahr 1972 vorgelegen. Der Vollständigkeit halber sei darauf hinzuweisen, dass für den Zustand der Tochter indirekt auch eine Schädigung der Mutter infolge des Kriegsgeschehens mitursächlich gewesen sein könne. Auch dies könne durch ein fachärztliches Gutachten festgestellt werden. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Klageschrift Bezug genommen (Bl. 1-7 Gerichtsakte S 4 V 3/08).
Der Klageschrift war ein Schreiben der Klägerin "Erinnerungen an meine Kindheit" beigefügt, auf welches Bezug genommen wird (Bl. 8 Gerichtsakte S 4 V 3/08).
Mit Schriftsatz vom 10.04.2008 wies der Beklagte darauf hin, dass ein Anspruch der Klägerin neben einer Gebrechlichkeit auch voraussetzen würde, dass die Klägerin spätestens bei Vollendung des 27. Lebensjahres außerstande gewesen sein müsse, sich selbst zu unterhalten. Dass die Klägerin außerstande gewesen sei, sich bei Vollendung des 27. Lebensjahres selbst zu unterhalten, sei jedoch durch die Angaben der Klägerin widerlegt, da die Klägerin u.a. von 1966 bis zu ihrer Heirat im Jahr 1972 in einem Sägewerk in F-Stadt gearbeitet habe (Bl. 16 Gerichtsakte S 4 V 3/08).
Der Bevollmächtigte der Klägerin erwiderte hierauf mit Schriftsatz vom 14.07.2008, dass die Klägerin ihre Lehre und die anschließende Beschäftigung im Sägewerk nur erhalten habe, da die Eltern mit dem Sägewerkbesitzer befreundet gewesen seien. Die Klägerin selbst habe die Arbeit im Sägewerk als "Jugendstrafe" erlebt (Bl. 23 Gerichtsakte S 4 V 3/08). Bei der Klägerin liege zwar zweifelsohne eine Intelligenz vor. Die psychische Verfasstheit der Klägerin habe jedoch eine selbstverantwortliche Gestaltung des eigenen Lebens nicht zugelassen, so dass sie nicht in der Lage gewesen sei, sich selbst zu unterhalten (Bl. 24 Gerichtsakte S 4 V 3/08).
Der Beklagte hat daraufhin mit Schriftsatz vom 29.07.2008 mitgeteilt, dass vor dem Hintergrund der angegebenen zweifelsohne vorhandenen Intelligenz ein geistiges Gebrechen der Klägerin, das spätestens bei Vollendung des 27. Lebensjahres vorgelegen haben müsse, mit der Folge, dass sie nicht in der Lage gewesen sei, sich selbst zu unterhalten, ausgeschlossen werden könne. Bei der Abhängigkeit von der Mutter handele es sich um kein geistiges Gebrechen im Sinne des § 45 Abs. 3 Buchstabe c BVG (Bl. 26 f. Gerichtsakte S 4 V 3/08).
Auf Nachfrage des Gerichts hat der Bevollmächtigte der Klägerin mit Schriftsatz vom 20.05.2009 mitgeteilt, dass sich die Klägerin in den Jahren 1970 bis 1975 nicht in ärztliche und vor allem nicht in psychiatrische Behandlung begeben habe (Bl. 35 Gerichtsakte S 4 V 3/08).
Der Bevollmächtigte der Klägerin überreichte eine Bescheinigung über die Mitgliedschaft in der Landwirtschaftlichen Krankenkasse Hessen-Nassau vom 07.03.1973 (Bl. 41 Gerichtsakte S 4 V 3/08), eine Bescheinigung der DAK über eine Mitgliedschaft im Zeitraum vom 01.10.1963 bis 30.09.1972 (Bl. 42 Gerichtsakte S 4 V 3/08) sowie eine Erklärung der Klägerin über ihre Ehe (Bl. 43 Gerichtsakte S 4 V 3/08). Sie habe geheiratet, um sich ihrer überaus dominanten Mutter zu entziehen. Sie habe in ihrer Ehe Freiheit gesucht, welche sie zu Hause nicht gehabt habe. Ihr damaliger Ehemann sei ein "Muttersöhnchen" gewesen und seine Mutter ebenfalls sehr dominant. Sie habe den Eindruck gehabt, dass ihre Schwiegermutter auf sie eifersüchtig gewesen sei. Auch habe man nicht verstehen können, dass sie bei der Arbeit auf dem Bauernhof eine Eingewöhnung benötigt habe. Sie habe sich zwar große Mühe gegeben, jedoch der Schwiegermutter nichts recht machen können. Auch habe sie ihren Mann in einer verfänglichen Situation mit einer Verwandten im Heu angetroffen. Es sei zu Streitigkeiten mit ihrem Ehemann gekommen. Sie sei nicht gewillt gewesen, für ihre Schwiegermutter nur eine bessere Magd zu sein. Bei der Scheidung habe man ihr angelastet, dass sie sich ihrem Mann im Bett verweigert habe. Sie habe es nicht fertig gebracht, ihrem ehemaligen Mann nach einem Streit am Tage Befriedigung im Bett zu verschaffen. Kinder habe sie nicht gewollt, da sie im Bekanntenkreis mitbekommen habe, was ein Kind empfinde, wenn sich Eltern scheiden ließen (Bl. 43 Gerichtsakte S 4 V 3/08).
In der Gerichtsakte befindet sich des Weiteren Korrespondenz der Klägerin anlässlich der Scheidung im Jahr 1972 mit dem Bevollmächtigten ihres ehemaligen Ehemanns, auf die Bezug genommen wird (Bl. 47 ff. Gerichtsakte S 4 V 3/08).
Am 22.09.2010 führte das Sozialgericht Kassel im Verfahren S 4 V 3/08 einen mündlichen Verhandlungstermin durch. Aus dem Protokoll geht u.a. hervor, dass die Klägerin am 27.05.1972 geheiratet und dann aufgehört hatte, zu arbeiten und am 11.01.1973 wieder zu ihrer Mutter gezogen war. Ihre Leistungen in der Schule seien normal gewesen (Bl. 88 Gerichtsakte).
Mit Urteil vom 22.09.2010 hatte das Sozialgericht Kassel die Klage im Verfahren S 4 V 3/08 als unbegründet abgewiesen. Die Klägerin habe am 23.09.1972 ihr 27. Lebensjahr vollendet. Zu diesem Zeitpunkt habe die Klägerin nach einem erfolgreichen Abschluss der Volksschule, der Handelsschule, der Haushaltungsschule sowie einer Ausbildung zur Industriekauffrau in ihrem Beruf bei einem Sägewerk in F-Stadt gearbeitet, bis sie ihre Arbeit auf Grund der Heirat im Mai 1972 aufgab. Die Klägerin sei also ununterbrochen in einem Ausbildungs- und Arbeitsverhältnis gewesen. Demnach habe die Klägerin ihren Unterhalt bei Vollendung des 27. Lebensjahres selbst bestritten, gegenteilige Anhaltspunkte würden nicht vorliegen. Auch sei nicht bewiesen, dass die Klägerin spätestens bei Vollendung des 27. Lebensjahres an einem körperlichen oder geistigen Gebrechen gelitten habe. Auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens habe verzichtet werden können, da dieses ohne das Vorliegen von medizinischen Unterlagen aus diesem Zeitraum keinen Erfolg verspreche. Einer Vernehmung des Vaters des Bevollmächtigen als Zeugen habe es nicht bedurft, da dieser nicht über medizinische Kenntnisse verfüge, eine psychische Störung und deren Auswirkungen zu beurteilen. Auch ein aus § 89 BVG herzuleitenden Anspruch auf Gewährung einer Waisenrente im Wege des Härteausgleichs komme nicht in Betracht, da dies eine bestandskräftige Ablehnung des Waisenrentenanspruchs nach § 45 BVG erfordere (Bl. 97 Gerichtsakte S 4 V 3/08).
Die Klägerin ist gegen dieses Urteil nicht im Wege der Berufung vorgegangen.
Am 26.10.2010 stellte die Klägerin durch ihren Bevollmächtigen einen neuen Antrag auf Waisenrente im Wege eines Härteausgleichs nach § 89 BVG (Bl. 686 Verwaltungsakte). Zur Begründung des Antrags werde zunächst auf das Vorbringen der Klägerin im ersten Verwaltungsverfahren Bezug genommen. Des Weiteren sei zu berücksichtigen, dass durch eine pränatale Schädigung der Klägerin und die Traumatisierung ihrer Mutter durch den kriegsbedingten Tod des Vaters eine kindgerechte Entwicklung der Klägerin nicht möglich gewesen sei. Dies werde durch viele Beispiele eines überprotektiven Verhaltens der Mutter der Klägerin deutlich. Die Klägerin sei niemals in der Lage gewesen, eine gesunde, "normale" Entwicklung zu nehmen, um sich selbst zu unterhalten. Dagegen spreche nicht, dass die Klägerin eine Lehre absolviert und anschließend einige Jahre im Büro gearbeitet habe, da die Familie der Klägerin mit dem Sägewerksbesitzer befreundet gewesen. Es sei in hohem Maß wahrscheinlich, dass dieser Lebenslauf der Klägerin auf den Tod des Vaters durch den Bombenangriff zurückzuführen sei. Dabei könne offen bleiben, ob die gesundheitliche Schädigung durch eine direkte Einwirkung auf den Nasciturus erfolgt sei oder indirekt durch eine posttraumatische Belastungsstörung der Mutter und deren Auswirkungen auf die Klägerin. Es liegt somit ein außergewöhnlicher Sachverhalt vor, der nach § 89 BVG gelöst werden müsse (Bl. 689 Verwaltungsakte).
Mit Bescheid vom 22.11.2010 lehnte der Beklagte auch den Antrag auf Gewährung von Waisenversorgung als Härteausgleich nach § 89 BVG ab. Nach Prüfung des Sachverhalts und des Antragsvorbringens sei festzustellen, dass sich eine Härte aus den Vorschriften des Gesetzes nicht ergebe. Es fehle der Beweis der Gebrechlichkeit und des Außerstandeseins sich selbst zu unterhalten bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres. Ganz im Gegenteil spreche alles dafür, dass sich die Klägerin sehr wohl habe selbst unterhalten können und dies auch vor ihrer Heirat getan habe (Bl. 692 f. Verwaltungsakte).
Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin am 01.12.2010 Widerspruch ein (Bl. 694 Verwaltungsakte), welchen der Bevollmächtigte der Klägerin mit Schriftsatz vom 28.01.2011 begründete. Eine besondere Härte sei vorliegend deshalb anzunehmen, da sich der Beklagte allein auf den Stichtag stütze, ohne das Gesamtbild zu würdigen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Widerspruchsbegründungsschriftsatz Bezug genommen (Bl. 695-699 Verwaltungsakte).
Mit Widerspruchsbescheid vom 08.06.2011 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück (Bl. 706 Verwaltungsakte).
Am 04.07.2011 hat die Klägerin gegen den Bescheid vom 18.11.2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 08.06.2011 Klage beim Sozialgericht Kassel erhoben. Ein Härtefall im Sinne des § 89 BVG sei vorliegend gegeben, da sich der Beklagte allein auf den Stichtag zu § 45 BVG berufe. Der Stichtag möge aus gesetzgeberischen Gründen als allgemeine Regel zielführend sein, könne und wolle aber – wie § 89 BVG zeige – nicht ausschließen, dass es Gründe geben könne, von dieser Regel abzuweichen. Der Beklagte setze sich über den Sinn des § 89 BVG hinweg (Bl. 1-5 Gerichtsakte).
Die Klägerin hat sodann Kopien eines Rentenbescheids vom 28.07.2010 der Deutschen Rentenversicherung Bund überreicht. Die Klägerin erhält danach seit 01.10.2010 eine Rente in Höhe eines Auszahlungsbetrags von 241,10 EUR (Bl. 29 Gerichtsakte).
Aus einer amtsärztlichen Stellungnahme der Medizindirektorin H. vom 20.04.2007 für den Kreisausschuss des Schwalm-Eder-Kreises geht hervor, dass die Klägerin ausweislich des Ergebnisses einer Untersuchung am 19.04.2007 dauerhaft voll erwerbsgemindert sei (Bl. 30 Gerichtsakte).
Das Gericht hat sodann Befunde beim Hausarzt Dr. C. eingeholt, der im Anschreiben vom 19.09.2011 (Bl. 41 Gerichtsakte) mitgeteilt hat, die Klägerin in der Zeit von 1996 bis 2003 gelegentlich behandelt zu haben. Diesem Schreiben waren Auszüge aus der Patientenakte mit den gestellten Diagnosen beigefügt. Dort werden u.a. wiederholt eine psychische Labilität und psychische Erregungszustände genannt (Bl. 42 Gerichtsakte).
Das Gericht hat die Verwaltungsakte des Gesundheitsamtes des Schwalm-Eder-Kreises beigezogen. Auf den Akteninhalt wird Bezug genommen.
Das Gericht hat weiterhin die Akte über die Klägerin der DRV-Bund (Anlage zu Bl. 55 Gerichtsakte) beigezogen. Die Klägerin hatte am 19.05.2010 eine Regelaltersrente beantragt. Aus dem Versicherungsverlauf der Klägerin gehen Pflichtbeiträge in der Zeit vom 01.10.1963 bis 30.04.1972 hervor. In der Zeit vom 01.05.1972 bis 31.12.1972 befindet sich eine geklärte Lücke. Im Folgenden hatte die Klägerin zunächst freiwillige Beiträge gezahlt. In der Zeit vom 09.01.2003 bis 06.03.2007 sind Pflichtbeiträge in Folge einer Pflegetätigkeit der Klägerin ausgewiesen.
Auf gerichtliche Nachfrage hat die Klägerin eine Kopie ihres Abschlusszeugnisses zur Bürokauffrau vom 25.09.1966 überreicht, auf welches Bezug genommen wird (Bl. 75 Gerichtsakte).
Mit Schriftsatz vom 30.05.2013 hat der Bevollmächtigte der Klägerin hilfsweise einen Anspruch der Klägerin auf Kriegsopferfürsorge geltend gemacht (Bl. 120 Gerichtsakte).
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
den Bescheid vom 18.11.2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 08.06.2011 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihr eine Waisenrente nach dem Bundesversorgungsgesetz und hilfsweise Leistungen der Kriegsopferfürsorge nach § 25 BVG ab Oktober 2010 zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Verwaltungsakte des Beklagten und auf die Gerichtsakten S 4 V 3/08 und S 6 VE 12/11 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage hat keinen Erfolg.
Das Gericht konnte gem. § 105 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Gerichtsbescheid entscheiden, denn die Sache weist keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art auf und der Sachverhalt ist geklärt. Die Beteiligten sind zu einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört worden.
1. Der zulässige Hauptantrag der Klägerin ist unbegründet.
a) Zunächst hat die Klägerin keinen Anspruch auf Waisenrente aus § 44 Abs. 1 SGB X in Verbindung § 45 Abs. 3 BVG.
Nach dem Meistbegünstigungsgrundsatz hatte das Gericht zu prüfen, ob die Klägerin mit ihrem Antrag einen Anspruch auf Waisenrente nach § 45 BVG haben könnte, da die Klägerin und ihr Bevollmächtigter nämlich wiederholt geltend gemacht haben, dass die Entscheidungen des Beklagten im vorherigen Verwaltungsverfahren, namentlich der Bescheid vom 01.06.2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 28.01.2008, und das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 22.09.2010 (S 4 V 3/08) falsch seien. Das Gericht ist jedoch davon überzeugt, dass die Voraussetzungen des § 44 Abs. 1 SGB X in Verbindung mit § 45 BVG nicht erfüllt sind.
Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt gem. § 44 Abs. 1 S.1 SGB X auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen.
Waisenrente erhalten gem. § 45 Abs. 1 BVG (in der vom 01.01.2002 bis 20.12.2007 geltenden Fassung) nach dem Tode des Beschädigten seine Kinder bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres.
Als Kinder gelten gem. § 45 Abs. 2 BVG (in der vom 01.01.2002 bis 20.12.2007 geltenden Fassung) auch
1. Stiefkinder oder Kinder des Lebenspartners, die der Verstorbene in seinen Haushalt aufgenommen hatte,
2. Pflegekinder im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des Bundeskindergeldgesetzes.
Die Waisenrente ist gem. § 45 Abs. 3 BVG nach Vollendung des 18. Lebensjahrs für eine Waise zu gewähren, die
a) sich in einer Schul- oder Berufsausbildung befindet, die ihre Arbeitskraft überwiegend in Anspruch nimmt und nicht mit der Zahlung von Dienstbezügen, Arbeitsentgelt oder sonstigen Zuwendungen in entsprechender Höhe verbunden ist, längstens bis zur Vollendung des 27. Lebensjahrs,
b) ein freiwilliges soziales Jahr im Sinne des Gesetzes zur Förderung eines freiwilligen sozialen Jahres oder ein freiwilliges ökologisches Jahr im Sinne des Gesetzes zur Förderung eines freiwilligen ökologischen Jahres leistet, längstens bis zur Vollendung des 27. Lebensjahrs,
c) infolge körperlicher oder geistiger Gebrechen spätestens bei Vollendung des 27. Lebensjahrs außerstande ist, sich selbst zu unterhalten, solange dieser Zustand dauert, über die Vollendung des 27. Lebensjahrs hinaus jedoch nur, wenn ihr Ehegatte oder Lebenspartner außerstande ist, sie zu unterhalten.
Hierbei gilt im Sozialen Entschädigungsrecht der Grundsatz, dass alle anspruchsbegründenden Tatsachen nach der Überzeugung des Gerichts im Vollbeweis vorliegen müssen. Lediglich bei Tatbestandsvoraussetzungen, die einen ursächlichen Zusammenhang zwischen einem schädigenden Ereignis und einer Gesundheitsstörung voraussetzen, genügt die Wahrscheinlichkeit des Ursachenzusammenhangs (vgl. dazu: Hessisches Landessozialgericht, Urteil v. 17.12.2008, L 4 VG 5/07, juris, Rn. 17).
Zu den Anforderungen an den Vollbeweis postuliert das Bundessozialgericht (BSG) zutreffend im Urteil vom 17.04.2013 (B 9 V 3/12 R, juris, Rn. 34):
"Für den Vollbeweis muss sich das Gericht die volle Überzeugung vom Vorhandensein oder Nichtvorhandensein einer Tatsache verschaffen. Allerdings verlangt auch der Vollbeweis keine absolute Gewissheit, sondern lässt eine an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit ausreichen. Denn ein darüber hinausgehender Grad an Gewissheit ist so gut wie nie zu erlangen (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 128 RdNr 3b mwN). Daraus folgt, dass auch dem Vollbeweis gewisse Zweifel innewohnen können, verbleibende Restzweifel mit anderen Worten bei der Überzeugungsbildung unschädlich sind, solange sie sich nicht zu gewichtigen Zweifeln verdichten (BSG Urteil vom 24.11.2010 - B 11 AL 35/09 R - Juris RdNr 21). Eine Tatsache ist bewiesen, wenn sie in so hohem Grade wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 128 RdNr 3b mwN)."
Vorliegend sind die Voraussetzungen des § 45 Abs. 3 Buchstabe c) BVG nach Auffassung des Gerichts nicht zum Vollbeweis bewiesen.
aa) Zunächst ist nach Auffassung der Kammer nicht bewiesen, dass die Klägerin spätestens bei Vollendung des 27. Lebensjahrs unter einem körperlichen oder geistigen Gebrechen litt.
Der Begriff der Gebrechlichkeit setzt eine chronische Erkrankung voraus, deren Wegfall durch Heilung nicht absehbar ist (vgl. Förster in: Wilke (Hrsg.), Soziales Entschädigungsrecht, 1992, § 33b Rn 16 BVG). Nach Auffassung des Gerichts ist der Begriff weit auszulegen. Unter den Begriff des geistigen Gebrechens fallen vor diesem Hintergrund nicht nur Beeinträchtigungen der Intelligenz, sondern auch seelische Erkrankungen. In der Neufassung des BVG ist der Begriff der Gebrechlichkeit nämlich durch den Begriff der Behinderung ersetzt worden.
Im vorliegenden Fall sind keine medizinischen Unterlagen mehr vorhanden, die belegen, dass die Klägerin spätestens zum Zeitpunkt der Vollendung des 27. Lebensjahres unter einer schweren chronischen Erkrankung litt.
Für eine vom Bevollmächtigten der Klägerin angenommene pränatale Schädigung der Klägerin gibt es keine Anhaltspunkte, wobei für das Gericht unklar ist, ob der Bevollmächtigte der Klägerin hiermit eine Schädigung des Körpers oder der psychischen Gesundheit der Klägerin meint.
In den eingeholten Unterlagen des behandelnden Allgemeinmediziners aus den Jahren 1996 bis 2003 und aus dem Vortrag der Klägerin gibt es Anhaltspunkte für eine seelische Erkrankung der Klägerin. Es ist jedoch nach Auffassung der Kammer zwar möglich, aber letztlich spekulativ anzunehmen, dass diese seelische Erkrankung bereits bei der Vollendung des 27. Lebensjahres der Klägerin vorgelegen hat. Das Gericht hält dies in der Tendenz für wenig wahrscheinlich.
Hätte die Klägerin bereits ab frühester Kindheit bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres unter einer schwerwiegenden chronifizierten seelischen Erkrankung gelitten, dürfte es der Mutter der Klägerin bzw. der Klägerin selbst nicht möglich gewesen sein, diesen Umstand vor den Schulen, dem Ausbildungsbetrieb und dem Arbeitgeber der Klägerin geheim zu halten. Anhaltspunkte für eine seelische Erkrankung konnte das Gericht den überreichten Unterlagen jedoch nicht entnehmen. So hat die Klägerin ihr Abschlusszeugnis zur Bürokauffrau vom 25.09.1966 (Bl. 75 Gerichtsakte) überreicht, in dem befriedigende und ausreichende Noten ausgewiesen sind. Auch hat die Klägerin ihre Ausbildung in dem Sägewerk erfolgreich absolviert und in diesem Ausbildungsbetrieb noch mehrere Jahre, namentlich insgesamt von 1966 bis 1972, gearbeitet. Mag die Einstellung der Klägerin auch auf Kontakte der Familie der Klägerin zum Sägewerkbesitzer zurückzuführen sein, so hält es das Gericht für wenig wahrscheinlich, dass der Sägewerkbetreiber die Klägerin mehrere Jahre weiterbeschäftigt und bezahlt hätte, wenn die Klägerin ihre Arbeit wegen einer schweren seelischen Krankheit nicht hätte bewältigen können. Die Klägerin hat ihre Tätigkeit im Sägewerk erst mit ihrer Heirat und damit aus mehr oder weniger freien Stücken aufgegeben.
Auch in der Korrespondenz zwischen der Klägerin und dem Bevollmächtigten ihres ehemaligen Ehemanns anlässlich des Scheidungsverfahrens finden sich keine Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin unter einer chronifizierten seelischen Erkrankung litt. Das Gericht hat vielmehr in seiner Verfügung vom 27.04.2013 darauf hingewiesen, dass die Beweggründe der Klägerin, sich von ihrem damaligen Ehemann zurückzuziehen objektiv nachvollziehbar sind und nicht als objektiver Ausdruck einer seelischen Erkrankung der Klägerin zu bewerten sind. Insoweit wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die richterliche Verfügung vom 27.04.2013 Bezug genommen.
Zusammenfassend ist damit zu konstatieren, dass ein körperliches oder geistiges Gebrechen der Klägerin zum Zeitpunkt der Vollendung des 27. Lebensjahres zwar möglich ist, aber nach Auffassung des Gerichts nicht mit einer an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vorliegt.
bb) Das Gericht ist weiterhin nicht davon überzeugt, dass die Klägerin bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres außerstande war, sich selbst zu unterhalten.
Das Tatbestandsmerkmal des Außerstandeseins, sich selbst zu unterhalten, ist entsprechend dem Begriff der Erwerbsunfähigkeit auszufüllen (Landessozialgericht Bremen, Urteil v. 18.09.1987, L 3 V 25/85, Leitsatz bei juris). Es geht also um die eigene Existenzsicherung (BSG, Urteil v. 10.12.1980, 9 RV 11/80, juris, Rn.12).
Dabei geht die obergerichtliche Rechtsprechung (vgl. BSG, Urteil v. 11.10.1994, 9 RV 35/93, juris) davon aus, dass der Anspruch auf Waisenrente mit einer dauerhaften Eingliederung in das Erwerbsleben endgültig wegfällt. In der Randnummer 13 dieser Entscheidung heißt es:
"Die Waisenrente lebt nicht wieder auf, wenn es der Waise gelungen ist, sich von dieser Leistung auf Dauer unabhängig zu machen. Das ist jedenfalls dann der Fall, wenn sie sich durch Erwerbstätigkeit in ein anderes Sicherungssystem, hier die gesetzliche Rentenversicherung, eingegliedert hat. Denn wenn dieses Sicherungssystem eingreift, in der Rentenversicherung also die Anwartschaft auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit erfüllt ist, ist die Waise nicht mehr, wie es das Gesetz ausdrücklich voraussetzt (§ 45 Abs 3 Satz 3 BVG), erneut außerstande, sich selbst zu unterhalten. "Erneut" ist so zu verstehen, daß die Waisenrente nur wiederauflebt, wenn die Erwerbstätigkeit nur zur vorübergehenden Unabhängigkeit geführt hat und die Waise bei Beendigung der Erwerbstätigkeit wieder in den vorigen Stand zurückfällt. Die Waise fällt jedenfalls dann nicht in diesen Stand zurück, wenn die beitragsrechtlichen Voraussetzungen für eine versicherungsrechtliche Unterhaltsersatzleistung erfüllt sind."
Der Randnummer 14 der Entscheidung kann entnommen werden, dass auch Unterhaltsansprüche gegen den Ehegatten zu berücksichtigen sind.
Vorliegend kann aus dem Versicherungsverlauf der Deutschen Rentenversicherung über die Klägerin vom 31.05.2010 entnommen werden, dass die Klägerin mit der Vollendung der Lehre Erwerbseinkommen aus abhängiger Beschäftigung bis 30.04.1972 erzielt hatte, welches zur eigenen Existenzsicherung ausreichend gewesen sein dürfte. Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung wurden in der Zeit vom 01.10.1963 bis 30.04.1972 geleistet, so dass auch Anwartschaften auf eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit bzw. Erwerbsminderung begründet worden waren. Ihren Arbeitsplatz hat die Klägerin selbst gekündigt. Sodann war die Klägerin von Mai 1972 bis nach der Vollendung ihres 27. Lebensjahres verheiratet und musste auf dem Bauernhof mitarbeiten. Ihr Lebensunterhalt war somit weiterhin gesichert. Die Voraussetzungen des § 45 Abs. 3 Buchstabe c) BVG, dass die Klägerin bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres infolge einer Gebrechlichkeit außerstande war, sich selbst zu versorgen, liegen somit nicht vor.
cc) Die Kammer sah sich nicht dazu veranlasst, den Sachverhalt durch die Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens weiter aufzuklären.
Das Ausmaß der Ermittlungen von Amts wegen nach § 103 SGG steht im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts. Ein Sachverständiger ist vom Gericht dann zu bestellen, wenn es selbst nicht über eine ausreichende Sachkunde verfügt, um einen Sachverhalt beurteilen zu können (BSG, Urteil v. 17.04.2013, B 9 V 3/12 R, juris, Rn.43). Die Sachverhaltsaufklärungspflicht des Gerichts ist jedoch eingeschränkt, soweit es für eine Behauptung von Tatsachen keine hinreichenden Anhaltspunkte gibt (Leitherer in: Meyer-Ladewig u.a. (Hrsg), SGG, 2012, § 103 Rn. 7a) oder wenn ein angebotenes Beweismittel untauglich ist. Auch kann von einem Sachverständigengutachten abgesehen werden, wenn es auf die geltend gemachten Tatsachen nicht ankommt.
(1) Das von der Klägerin angeregte psychiatrische Sachverständigengutachten ist nach der Überzeugung des Gerichts kein geeignetes Beweismittel, weshalb das Gericht sich nicht nach § 103 SGG zur Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens gehalten sah.
Bei der Prüfung, ob die Einholung eines psychiatrisches Sachverständigengutachten die Aufklärung des Sachverhalts fördern kann, hat das Gericht zu beachten, dass ein psychiatrischer Sachverständiger bei einer seelischen Erkrankung ohne das Vorliegen sog. Anknüpfungstatsachen Schwierigkeiten hat, von einem gegenwärtigen Befund auf einen Gesundheitszustand des Probanden in der Vergangenheit zu schließen (vgl. zur Bedeutung von Anknüpfungstatsachen für die Beurteilung des Leistungsvermögens bei seelischen Erkrankungen: Böwering-Möllenkamp, Die Beurteilung der Leistungsfähigkeit im Erwerbsleben bei psychischen Krankheiten, Anwalt im Sozialrecht 2011, 51 (55 f.); im Bereich der Neurologie: Suchenwirth, Kunze & Krasney, Neurologische Begutachtung, 2000, S.11 f.). Um so länger ein Sachverhalt zurückliegt, um so schwerer ist die Möglichkeit, hinreichend valide Aussagen über das Leistungsvermögen einer Person in dem streitigen Zeitpunkt zu treffen. Fehlt es an hinreichend zuverlässigen (medizinischen) Anknüpfungstatsachen in Form von Arztbriefen oder Unterlagen ist es regelmäßig nicht möglich, eines Gesundheitszustand und ein Leistungsbild im Nachhinein hinreichend zuverlässig festzustellen.
Vorliegend ist zu konstatieren, dass es um einen Sachverhalt geht, welcher bereits mehr als 40 Jahre zurückliegt. Selbst wenn medizinische Unterlagen von behandelnden Ärzten aus dem 1960er und 1970er vorliegen würden, ist es für einen Sachverständigen heute praktisch unmöglich sein, eine hinreichend verlässliche Aussage darüber zu treffen, ob die Klägerin am 23.09.1972 unter einem seelischen Gebrechen litt, welches es ihr unmöglich gemacht hat, sich selbst zu unterhalten. Dies gilt im Falle der Klägerin erst Recht, da es keinerlei medizinische Unterlagen aus dieser Zeit gibt, die Auskunft darüber geben können, ob bei der Klägerin zum Zeitpunkt der Vollendung des 27. Lebensjahres überhaupt eine psychische Erkrankung vorlag.
(2) Weiterhin war die Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens auch deshalb entbehrlich, weil nach Auffassung der Kammer feststeht, dass die Klägerin bis zur Vollendung ihres 27. Lebensjahrs in der Lage war, sich selbst zu unterhalten.
Der Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens bedurfte es daher nicht.
b) Auch die Voraussetzungen einer Waisenversorgung im Wege eines Härteausgleichs nach § 89 BVG sind nicht erfüllt.
Sofern sich in einzelnen Fällen aus den Vorschriften dieses Gesetzes besondere Härten ergeben, kann gem. § 89 Abs. 1 BVG mit Zustimmung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales ein Ausgleich gewährt werden.
Eine besondere Härte ist nach Nr. 1 der Verwaltungsvorschrift zu § 89 BVG anzunehmen, wenn bei Würdigung des Gesamtinhalts des Gesetzes der Ausschluss von der Versorgung oder von einzelnen Versorgungsleistungen deren Sinn und Zweck widerspräche.
Bei der Beurteilung, ob eine besondere Härte vorliegt, muss im vorliegenden Fall berücksichtigt werden, dass es sich bei der Gewährung von Waisenrente über das 27. Lebensjahr hinaus um eine Ausnahmeregelung handelt, die nicht beliebig durch eine Härtefallregelung ausgeweitet werden kann.
Das Bayerische Landessozialgericht hat in seinem Urteil vom 26.09.2012 (L 15 VK 12/10, juris, Rn. 34; in der Sache ebenso: Dau in: Knickrehm (Hrsg.), Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, 2012, § 89 Rn. 4) festgestellt:
"Voraussetzung für eine Ermessensleistung nach § 89 BVG ist damit, dass der Gesetzgeber besondere Einzelfälle oder auch Gruppen mit ihren Besonderheiten übersehen oder nicht vorausgesehen oder nicht genügend differenziert geregelt hat (vgl. BSG, Urteil vom 18.12.1996, Az.: 9 RV 2/95). § 89 BVG soll die Gewährung von Leistungen dann ermöglichen, wenn zwischen der konkreten Gesetzesanwendung und dem mit dem Recht der Kriegsopferversorgung angestrebten Ziel ein Missverhältnis auftritt. Eine besondere Härte kann nur bejaht werden, wenn für einen Anspruch auf Versorgung nicht alle Tatbestandsmerkmale, die das BVG aufstellt, verwirklicht sind und wenn der Antragsteller dadurch besonders hart getroffen wird. Die Ermächtigung des § 89 BVG muss auf wenige, unmittelbar aus der Gesetzesanwendung sich ergebende Einzelfälle oder Einzelfallgruppen beschränkt bleiben. Ohne die Begrenzung des Verwaltungsermessens auf krasse Ausnahmen wäre die Ermächtigung zum Verwaltungsermessen dazu angetan, die verfassungsmäßigen Grenzen zwischen Gesetzgebung, Rechtsprechung und Verwaltung zu sprengen (vgl. BSG, Urteile vom 19.09.1979, Az.: 9 RV 66/78, und vom 21.10.1998, Az.: B 9 V 3/98). Die grundlegenden Vorschriften des Kriegsopferrechts dürfen durch einen Härteausgleich nicht ausgehöhlt oder umgangen werden (vgl. BSG, Urteil vom 25.10.1978, Az.: 9 RV 68/77)."
Diesen Ausführungen schließt sich das Gericht an. Im vorliegenden Fall enthält § 45 BVG ein ausdifferenziertes Regelungssystem, unter welchen Voraussetzungen Waisenrente über das 18. Lebensjahr hinaus gewährt werden kann. Die Regelungsabsicht des § 45 BVG, dass Waisenrentenversorgung nicht gewährt werden soll, wenn die Unfähigkeit, den eigenen Lebensunterhalt selbst zu sichern, erst nach Vollendung des 27. Lebensjahres – aus welchen Gründen auch immer – eintritt, kann nicht durch die Härtefallregelung umgangen werden, da der Anwendungsbereich der Konstellationen, in denen Waisenrenten sonst zu gewähren wäre, uferlos wäre. Eine solche weitgehende Regelung müsste der Gesetzgeber selbst schaffen.
2. Soweit die Klägerin mit ihrem Hilfsantrag Leistungen der Kriegsopferfürsorge nach § 25 BVG begehrt, ist der Antrag unzulässig und auch unbegründet.
a) Der Antrag ist zunächst unzulässig, da die Klägerin vor der gerichtlichen Geltendmachung eines entsprechenden Anspruchs zunächst ein förmliches Verwaltungsverfahren einschließlich eines Widerspruchsverfahrens durchführen muss (§ 78 SGG). Dies ist bislang nicht geschehen.
b) Der Antrag ist jedoch auch unbegründet. Der für die Kriegsopferfürsorge anspruchsberechtigte Personenkreis ist nämlich in § 25 Abs. 3 BVG normiert. Hinterbliebene haben danach nur einen Anspruch auf Kriegsopferfürsorge, wenn sie Empfänger von Hinterbliebenenrente, Witwenbeihilfe oder Waisenbeihilfe nach dem BVG sind (Rohr/ Sträßer & Dahm, BVG, Stand Januar 2011, § 24 Nr. 4). Die Leistungsberechtigung für die Kriegsopferfürsorge ist an eine Leistungsberechtigung für Versorgungsleistungen gekoppelt, da diese nach Auffassung des Gesetzgebers "ergänzt" werden sollen (Grube in: Knickrehm (Hrsg.), Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, 2012, § 25 BVG Rn. 7).
Da die Klägerin jedoch keinen Anspruch auf Versorgungsleistungen nach dem BVG hat, scheidet ein (ergänzender) Anspruch auf Kriegsopferfürsorge ebenfalls aus.
Die Klage war somit insgesamt unbegründet.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt Hinterbliebenenversorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).
Die 1945 geborene Klägerin ist die Tochter des 1910 geborenen und 1945 bei einem Bombenangriff verstorbenen Herrn D. D. und der 1912 geborenen und 2007 verstorbenen Frau E. D.
Am 30.04.2007 stellte die Klägerin durch ihren Bevollmächtigten einen Antrag auf Gewährung von Hinterbliebenenversorgung nach dem BVG. Da die Mitarbeiter des Beklagten bei der Übergabe des Antrags die berechtigte Frage gestellt hätten, warum der Antrag erst jetzt gestellt worden sei, sei zum besseren Verständnis zu erläutern, dass die Klägerin bis zum Tod ihrer Mutter von Versorgungsbezügen ihrer Mutter nach dem BVG und von einer Beamtenwitwenpension ihrer Mutter gelebt habe. Seit dem Tod ihrer Mutter lebe die Klägerin von der Unterstützung des Sozialamtes des Schwalm-Eder-Kreises, da außer einem kleinen, ziemlich herunter gekommenen Haus keinerlei Rücklagen vorhanden seien. Die Klägerin habe bis 1960 die Volksschule in F-Stadt, dann bis 1962 die Handelsschule und anschließend bis 1963 die Haushaltsschule in G-Stadt besucht. Anschließend habe sie bis 1966 eine Lehre zur Industriekauffrau in F-Stadt absolviert und im Anschluss daran bis 1972 in einem Sägewerk in F-Stadt gearbeitet. Im Jahr 1972 habe die Klägerin geheiratet, wobei die Ehe noch im gleichen Jahr geschieden worden sei. Seitdem habe die Klägerin wieder bei ihrer Mutter in F-Stadt gelebt. Nach dem persönlichen Eindruck des Bevollmächtigten der Klägerin und dessen Familie sowie aller gemeinsamer Bekannter habe die Klägerin durch den Tod ihres Vaters – damals sei die Mutter mit ihr im 2. Monat schwanger gewesen – eine Schädigung erlitten, die dazu geführt habe, dass sie weder eine kindgerechte Entwicklung gehabt noch ein "normales" Leben habe führen können. Es werde gebeten, die Selbsteinschätzung des Gesundheitszustands der Klägerin zu beachten. In dem Schriftsatz des Bevollmächtigten wird sodann wiedergegeben, dass die Klägerin ihre Mutter als klammernd empfand und dass die Klägerin Schwierigkeiten als Kind gehabt habe, selbständig zu werden. Insoweit wird auf die Schriftsatz Bezug genommen. Die Eltern des Bevollmächtigten der Klägerin hätten versucht, mit der Mutter der Klägerin über eine neurologisch-psychiatrische Untersuchung zu sprechen. Dies habe die Mutter der Klägerin jedoch mit dem Argument, die Klägerin sei völlig normal, abgelehnt. Nach dem Tod der Mutter werde jedoch sichtbar, dass die Klägerin massiv hilflos sei. Vor diesem Hintergrund sei ein Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung nach § 45 BVG bzw. nach § 89 BVG zu prüfen (Bl. 664 Verwaltungsakte).
Diesem Schriftsatz war ein Antragsformular auf Hinterbliebenenversorgung nach dem BVG beigefügt, aus dem hervorgeht, dass die Klägerin bis 30.09.1966 Waisengeld erhalten hatte. Auch habe die Klägerin Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung geleistet (Bl. 667 Verwaltungsakte).
Einem Vermerk des Beklagten vom 22.05.2007 kann u.a. entnommen werden, dass die Klägerin in der Zeit vom 01.12.1962 bis 30.09.1966 Waisenrente erhalten hatte, welche mit dem Ende der Ausbildung eingestellt worden sei. Anlässlich des Auslaufens der Waisenrente sei nicht der Einwand der Gebrechlichkeit der Klägerin geäußert worden, zumal die Klägerin nach der Berufsausbildung eine berufliche Tätigkeit aufgenommen hatte. Mit der Verheiratung sei die Berufstätigkeit aufgegeben und nach der kurz danach ausgesprochenen Scheidung auch nicht wieder aufgenommen worden. Seit dieser Zeit habe die Klägerin bei ihrer Mutter gelebt und sei von dieser mitversorgt worden. Beweiskräftige Unterlagen, die einen Anspruch aus § 45 Abs. 3c BVG oder § 89 BVG auf Grund einer körperlichen oder geistigen Gebrechlichkeit der Klägerin spätestens vor Vollendung des 27. Lebensjahres dokumentierten, würden nicht vorliegen. Ganz im Gegenteil werde ein schulisch und beruflich normaler Werdegang geschildert. Die Beweislast für eine körperliche oder geistige Gebrechlichkeit liege bei der Klägerin. Die Schilderung der Familiensituation sei nicht ausreichend. Erforderlich seien ärztliche Feststellungen vor dem 27. Lebensjahr bzw. ärztliche Verlaufsberichte der kindlichen Entwicklung (Bl. 668 Verwaltungsakte).
Mit Bescheid vom 01.06.2007 lehnte der Beklagte den Antrag auf Waisenrente gem. § 45 Abs. 3 Buchstabe c) BVG ab, da nicht nachgewiesen sei, dass spätestens bei Vollendung des 27. Lebensjahres eine körperliche oder geistige Gebrechlichkeit vorgelegen habe, welche die Klägerin außerstande setzte, sich selbst zu unterhalten. Auch die Voraussetzungen des § 89 BVG würden nicht eingreifen. Auf den Bescheid wird Bezug genommen (Bl. 670 f. Verwaltungsakte).
Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin am 14.06.2007 Widerspruch ein (Bl. 673 Verwaltungsakte). Am 26.07.2007 begründete die Klägerin den Widerspruch durch ihren Bevollmächtigten dahingehend, dass nach ihrer Auffassung eine körperliche oder geistige Gebrechlichkeit vor Vollendung des 27. Lebensjahres vorgelegen habe. Man widerspreche der Auffassung des Beklagten, dass beweiskräftige ärztliche Unterlagen aus der Zeit vom dem 27. Lebensjahr zu fordern seien. Es sei unklar, wie solche Unterlagen vorgelegt werden könnten, wenn sich die Mutter der Klägerin doch geweigert habe, die Frage einer Behinderung klären zu lassen. Aus dem Umstand, dass die Klägerin bei ihrer Mutter gelebt und von dieser mitversorgt wurde, sei der Schluss zu ziehen, dass die Klägerin offensichtlich außerstande gewesen sei, sich selbst zu unterhalten. Auch die Tatsache, dass die Ehe nur einige Monate gedauert habe, sei ein weiteres Indiz für einen nicht gewöhnlichen Lebensverlauf. Auch hätte der Beklagte berücksichtigen müssen, dass die Klägerin wegen mangelnder Erwerbsfähigkeit Sozialhilfeleistungen erhalte. Eine Begutachtung durch einen Amtsarzt werde angeregt. Weiterhin werden in dem Widerspruchsbegründungsschriftsatz als Zeugen der Vater des Bevollmächtigen des Klägers, dessen Schwester und Schwager, die mit der Familie der Klägerin gut bekannt gewesen seien, benannt. Die Forderung eines Nachweises in der vom Beklagten erwähnten Form sei unangemessen, denn sie berücksichtige nicht die Besonderheiten des vorliegenden Falls. Auch habe man unter Punkt 5 des Begleitbriefs angedeutet, dass zu prüfen sei, ob durch die Kriegsereignisse nicht eine direkte pränatale Schädigung vorliege (Bl. 673 ff. Verwaltungsakte).
Mit Widerspruchsbescheid vom 28.01.2008 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Ein vom Bevollmächtigten der Klägerin gefordertes amtsärztliches Gutachten könne keine Erkenntnisse über den Gesundheitszustand im Jahre 1972 erbringen und sei somit nicht geeignet, zur Sachaufklärung beizutragen (Bl. 680 Verwaltungsakte).
Es schloss sich sodann ein erstes Klageverfahren beim Sozialgericht Kassel unter dem Aktenzeichen S 4 V 3/08 an. Es sei denklogisch möglich durch einen heutigen Gutachter festzustellen, dass ein geistiges Gebrechen seit der Geburt vorliege. Damit habe es dann auch im Jahr 1972 vorgelegen. Der Vollständigkeit halber sei darauf hinzuweisen, dass für den Zustand der Tochter indirekt auch eine Schädigung der Mutter infolge des Kriegsgeschehens mitursächlich gewesen sein könne. Auch dies könne durch ein fachärztliches Gutachten festgestellt werden. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Klageschrift Bezug genommen (Bl. 1-7 Gerichtsakte S 4 V 3/08).
Der Klageschrift war ein Schreiben der Klägerin "Erinnerungen an meine Kindheit" beigefügt, auf welches Bezug genommen wird (Bl. 8 Gerichtsakte S 4 V 3/08).
Mit Schriftsatz vom 10.04.2008 wies der Beklagte darauf hin, dass ein Anspruch der Klägerin neben einer Gebrechlichkeit auch voraussetzen würde, dass die Klägerin spätestens bei Vollendung des 27. Lebensjahres außerstande gewesen sein müsse, sich selbst zu unterhalten. Dass die Klägerin außerstande gewesen sei, sich bei Vollendung des 27. Lebensjahres selbst zu unterhalten, sei jedoch durch die Angaben der Klägerin widerlegt, da die Klägerin u.a. von 1966 bis zu ihrer Heirat im Jahr 1972 in einem Sägewerk in F-Stadt gearbeitet habe (Bl. 16 Gerichtsakte S 4 V 3/08).
Der Bevollmächtigte der Klägerin erwiderte hierauf mit Schriftsatz vom 14.07.2008, dass die Klägerin ihre Lehre und die anschließende Beschäftigung im Sägewerk nur erhalten habe, da die Eltern mit dem Sägewerkbesitzer befreundet gewesen seien. Die Klägerin selbst habe die Arbeit im Sägewerk als "Jugendstrafe" erlebt (Bl. 23 Gerichtsakte S 4 V 3/08). Bei der Klägerin liege zwar zweifelsohne eine Intelligenz vor. Die psychische Verfasstheit der Klägerin habe jedoch eine selbstverantwortliche Gestaltung des eigenen Lebens nicht zugelassen, so dass sie nicht in der Lage gewesen sei, sich selbst zu unterhalten (Bl. 24 Gerichtsakte S 4 V 3/08).
Der Beklagte hat daraufhin mit Schriftsatz vom 29.07.2008 mitgeteilt, dass vor dem Hintergrund der angegebenen zweifelsohne vorhandenen Intelligenz ein geistiges Gebrechen der Klägerin, das spätestens bei Vollendung des 27. Lebensjahres vorgelegen haben müsse, mit der Folge, dass sie nicht in der Lage gewesen sei, sich selbst zu unterhalten, ausgeschlossen werden könne. Bei der Abhängigkeit von der Mutter handele es sich um kein geistiges Gebrechen im Sinne des § 45 Abs. 3 Buchstabe c BVG (Bl. 26 f. Gerichtsakte S 4 V 3/08).
Auf Nachfrage des Gerichts hat der Bevollmächtigte der Klägerin mit Schriftsatz vom 20.05.2009 mitgeteilt, dass sich die Klägerin in den Jahren 1970 bis 1975 nicht in ärztliche und vor allem nicht in psychiatrische Behandlung begeben habe (Bl. 35 Gerichtsakte S 4 V 3/08).
Der Bevollmächtigte der Klägerin überreichte eine Bescheinigung über die Mitgliedschaft in der Landwirtschaftlichen Krankenkasse Hessen-Nassau vom 07.03.1973 (Bl. 41 Gerichtsakte S 4 V 3/08), eine Bescheinigung der DAK über eine Mitgliedschaft im Zeitraum vom 01.10.1963 bis 30.09.1972 (Bl. 42 Gerichtsakte S 4 V 3/08) sowie eine Erklärung der Klägerin über ihre Ehe (Bl. 43 Gerichtsakte S 4 V 3/08). Sie habe geheiratet, um sich ihrer überaus dominanten Mutter zu entziehen. Sie habe in ihrer Ehe Freiheit gesucht, welche sie zu Hause nicht gehabt habe. Ihr damaliger Ehemann sei ein "Muttersöhnchen" gewesen und seine Mutter ebenfalls sehr dominant. Sie habe den Eindruck gehabt, dass ihre Schwiegermutter auf sie eifersüchtig gewesen sei. Auch habe man nicht verstehen können, dass sie bei der Arbeit auf dem Bauernhof eine Eingewöhnung benötigt habe. Sie habe sich zwar große Mühe gegeben, jedoch der Schwiegermutter nichts recht machen können. Auch habe sie ihren Mann in einer verfänglichen Situation mit einer Verwandten im Heu angetroffen. Es sei zu Streitigkeiten mit ihrem Ehemann gekommen. Sie sei nicht gewillt gewesen, für ihre Schwiegermutter nur eine bessere Magd zu sein. Bei der Scheidung habe man ihr angelastet, dass sie sich ihrem Mann im Bett verweigert habe. Sie habe es nicht fertig gebracht, ihrem ehemaligen Mann nach einem Streit am Tage Befriedigung im Bett zu verschaffen. Kinder habe sie nicht gewollt, da sie im Bekanntenkreis mitbekommen habe, was ein Kind empfinde, wenn sich Eltern scheiden ließen (Bl. 43 Gerichtsakte S 4 V 3/08).
In der Gerichtsakte befindet sich des Weiteren Korrespondenz der Klägerin anlässlich der Scheidung im Jahr 1972 mit dem Bevollmächtigten ihres ehemaligen Ehemanns, auf die Bezug genommen wird (Bl. 47 ff. Gerichtsakte S 4 V 3/08).
Am 22.09.2010 führte das Sozialgericht Kassel im Verfahren S 4 V 3/08 einen mündlichen Verhandlungstermin durch. Aus dem Protokoll geht u.a. hervor, dass die Klägerin am 27.05.1972 geheiratet und dann aufgehört hatte, zu arbeiten und am 11.01.1973 wieder zu ihrer Mutter gezogen war. Ihre Leistungen in der Schule seien normal gewesen (Bl. 88 Gerichtsakte).
Mit Urteil vom 22.09.2010 hatte das Sozialgericht Kassel die Klage im Verfahren S 4 V 3/08 als unbegründet abgewiesen. Die Klägerin habe am 23.09.1972 ihr 27. Lebensjahr vollendet. Zu diesem Zeitpunkt habe die Klägerin nach einem erfolgreichen Abschluss der Volksschule, der Handelsschule, der Haushaltungsschule sowie einer Ausbildung zur Industriekauffrau in ihrem Beruf bei einem Sägewerk in F-Stadt gearbeitet, bis sie ihre Arbeit auf Grund der Heirat im Mai 1972 aufgab. Die Klägerin sei also ununterbrochen in einem Ausbildungs- und Arbeitsverhältnis gewesen. Demnach habe die Klägerin ihren Unterhalt bei Vollendung des 27. Lebensjahres selbst bestritten, gegenteilige Anhaltspunkte würden nicht vorliegen. Auch sei nicht bewiesen, dass die Klägerin spätestens bei Vollendung des 27. Lebensjahres an einem körperlichen oder geistigen Gebrechen gelitten habe. Auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens habe verzichtet werden können, da dieses ohne das Vorliegen von medizinischen Unterlagen aus diesem Zeitraum keinen Erfolg verspreche. Einer Vernehmung des Vaters des Bevollmächtigen als Zeugen habe es nicht bedurft, da dieser nicht über medizinische Kenntnisse verfüge, eine psychische Störung und deren Auswirkungen zu beurteilen. Auch ein aus § 89 BVG herzuleitenden Anspruch auf Gewährung einer Waisenrente im Wege des Härteausgleichs komme nicht in Betracht, da dies eine bestandskräftige Ablehnung des Waisenrentenanspruchs nach § 45 BVG erfordere (Bl. 97 Gerichtsakte S 4 V 3/08).
Die Klägerin ist gegen dieses Urteil nicht im Wege der Berufung vorgegangen.
Am 26.10.2010 stellte die Klägerin durch ihren Bevollmächtigen einen neuen Antrag auf Waisenrente im Wege eines Härteausgleichs nach § 89 BVG (Bl. 686 Verwaltungsakte). Zur Begründung des Antrags werde zunächst auf das Vorbringen der Klägerin im ersten Verwaltungsverfahren Bezug genommen. Des Weiteren sei zu berücksichtigen, dass durch eine pränatale Schädigung der Klägerin und die Traumatisierung ihrer Mutter durch den kriegsbedingten Tod des Vaters eine kindgerechte Entwicklung der Klägerin nicht möglich gewesen sei. Dies werde durch viele Beispiele eines überprotektiven Verhaltens der Mutter der Klägerin deutlich. Die Klägerin sei niemals in der Lage gewesen, eine gesunde, "normale" Entwicklung zu nehmen, um sich selbst zu unterhalten. Dagegen spreche nicht, dass die Klägerin eine Lehre absolviert und anschließend einige Jahre im Büro gearbeitet habe, da die Familie der Klägerin mit dem Sägewerksbesitzer befreundet gewesen. Es sei in hohem Maß wahrscheinlich, dass dieser Lebenslauf der Klägerin auf den Tod des Vaters durch den Bombenangriff zurückzuführen sei. Dabei könne offen bleiben, ob die gesundheitliche Schädigung durch eine direkte Einwirkung auf den Nasciturus erfolgt sei oder indirekt durch eine posttraumatische Belastungsstörung der Mutter und deren Auswirkungen auf die Klägerin. Es liegt somit ein außergewöhnlicher Sachverhalt vor, der nach § 89 BVG gelöst werden müsse (Bl. 689 Verwaltungsakte).
Mit Bescheid vom 22.11.2010 lehnte der Beklagte auch den Antrag auf Gewährung von Waisenversorgung als Härteausgleich nach § 89 BVG ab. Nach Prüfung des Sachverhalts und des Antragsvorbringens sei festzustellen, dass sich eine Härte aus den Vorschriften des Gesetzes nicht ergebe. Es fehle der Beweis der Gebrechlichkeit und des Außerstandeseins sich selbst zu unterhalten bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres. Ganz im Gegenteil spreche alles dafür, dass sich die Klägerin sehr wohl habe selbst unterhalten können und dies auch vor ihrer Heirat getan habe (Bl. 692 f. Verwaltungsakte).
Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin am 01.12.2010 Widerspruch ein (Bl. 694 Verwaltungsakte), welchen der Bevollmächtigte der Klägerin mit Schriftsatz vom 28.01.2011 begründete. Eine besondere Härte sei vorliegend deshalb anzunehmen, da sich der Beklagte allein auf den Stichtag stütze, ohne das Gesamtbild zu würdigen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Widerspruchsbegründungsschriftsatz Bezug genommen (Bl. 695-699 Verwaltungsakte).
Mit Widerspruchsbescheid vom 08.06.2011 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück (Bl. 706 Verwaltungsakte).
Am 04.07.2011 hat die Klägerin gegen den Bescheid vom 18.11.2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 08.06.2011 Klage beim Sozialgericht Kassel erhoben. Ein Härtefall im Sinne des § 89 BVG sei vorliegend gegeben, da sich der Beklagte allein auf den Stichtag zu § 45 BVG berufe. Der Stichtag möge aus gesetzgeberischen Gründen als allgemeine Regel zielführend sein, könne und wolle aber – wie § 89 BVG zeige – nicht ausschließen, dass es Gründe geben könne, von dieser Regel abzuweichen. Der Beklagte setze sich über den Sinn des § 89 BVG hinweg (Bl. 1-5 Gerichtsakte).
Die Klägerin hat sodann Kopien eines Rentenbescheids vom 28.07.2010 der Deutschen Rentenversicherung Bund überreicht. Die Klägerin erhält danach seit 01.10.2010 eine Rente in Höhe eines Auszahlungsbetrags von 241,10 EUR (Bl. 29 Gerichtsakte).
Aus einer amtsärztlichen Stellungnahme der Medizindirektorin H. vom 20.04.2007 für den Kreisausschuss des Schwalm-Eder-Kreises geht hervor, dass die Klägerin ausweislich des Ergebnisses einer Untersuchung am 19.04.2007 dauerhaft voll erwerbsgemindert sei (Bl. 30 Gerichtsakte).
Das Gericht hat sodann Befunde beim Hausarzt Dr. C. eingeholt, der im Anschreiben vom 19.09.2011 (Bl. 41 Gerichtsakte) mitgeteilt hat, die Klägerin in der Zeit von 1996 bis 2003 gelegentlich behandelt zu haben. Diesem Schreiben waren Auszüge aus der Patientenakte mit den gestellten Diagnosen beigefügt. Dort werden u.a. wiederholt eine psychische Labilität und psychische Erregungszustände genannt (Bl. 42 Gerichtsakte).
Das Gericht hat die Verwaltungsakte des Gesundheitsamtes des Schwalm-Eder-Kreises beigezogen. Auf den Akteninhalt wird Bezug genommen.
Das Gericht hat weiterhin die Akte über die Klägerin der DRV-Bund (Anlage zu Bl. 55 Gerichtsakte) beigezogen. Die Klägerin hatte am 19.05.2010 eine Regelaltersrente beantragt. Aus dem Versicherungsverlauf der Klägerin gehen Pflichtbeiträge in der Zeit vom 01.10.1963 bis 30.04.1972 hervor. In der Zeit vom 01.05.1972 bis 31.12.1972 befindet sich eine geklärte Lücke. Im Folgenden hatte die Klägerin zunächst freiwillige Beiträge gezahlt. In der Zeit vom 09.01.2003 bis 06.03.2007 sind Pflichtbeiträge in Folge einer Pflegetätigkeit der Klägerin ausgewiesen.
Auf gerichtliche Nachfrage hat die Klägerin eine Kopie ihres Abschlusszeugnisses zur Bürokauffrau vom 25.09.1966 überreicht, auf welches Bezug genommen wird (Bl. 75 Gerichtsakte).
Mit Schriftsatz vom 30.05.2013 hat der Bevollmächtigte der Klägerin hilfsweise einen Anspruch der Klägerin auf Kriegsopferfürsorge geltend gemacht (Bl. 120 Gerichtsakte).
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
den Bescheid vom 18.11.2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 08.06.2011 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihr eine Waisenrente nach dem Bundesversorgungsgesetz und hilfsweise Leistungen der Kriegsopferfürsorge nach § 25 BVG ab Oktober 2010 zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Verwaltungsakte des Beklagten und auf die Gerichtsakten S 4 V 3/08 und S 6 VE 12/11 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage hat keinen Erfolg.
Das Gericht konnte gem. § 105 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Gerichtsbescheid entscheiden, denn die Sache weist keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art auf und der Sachverhalt ist geklärt. Die Beteiligten sind zu einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört worden.
1. Der zulässige Hauptantrag der Klägerin ist unbegründet.
a) Zunächst hat die Klägerin keinen Anspruch auf Waisenrente aus § 44 Abs. 1 SGB X in Verbindung § 45 Abs. 3 BVG.
Nach dem Meistbegünstigungsgrundsatz hatte das Gericht zu prüfen, ob die Klägerin mit ihrem Antrag einen Anspruch auf Waisenrente nach § 45 BVG haben könnte, da die Klägerin und ihr Bevollmächtigter nämlich wiederholt geltend gemacht haben, dass die Entscheidungen des Beklagten im vorherigen Verwaltungsverfahren, namentlich der Bescheid vom 01.06.2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 28.01.2008, und das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 22.09.2010 (S 4 V 3/08) falsch seien. Das Gericht ist jedoch davon überzeugt, dass die Voraussetzungen des § 44 Abs. 1 SGB X in Verbindung mit § 45 BVG nicht erfüllt sind.
Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt gem. § 44 Abs. 1 S.1 SGB X auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen.
Waisenrente erhalten gem. § 45 Abs. 1 BVG (in der vom 01.01.2002 bis 20.12.2007 geltenden Fassung) nach dem Tode des Beschädigten seine Kinder bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres.
Als Kinder gelten gem. § 45 Abs. 2 BVG (in der vom 01.01.2002 bis 20.12.2007 geltenden Fassung) auch
1. Stiefkinder oder Kinder des Lebenspartners, die der Verstorbene in seinen Haushalt aufgenommen hatte,
2. Pflegekinder im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des Bundeskindergeldgesetzes.
Die Waisenrente ist gem. § 45 Abs. 3 BVG nach Vollendung des 18. Lebensjahrs für eine Waise zu gewähren, die
a) sich in einer Schul- oder Berufsausbildung befindet, die ihre Arbeitskraft überwiegend in Anspruch nimmt und nicht mit der Zahlung von Dienstbezügen, Arbeitsentgelt oder sonstigen Zuwendungen in entsprechender Höhe verbunden ist, längstens bis zur Vollendung des 27. Lebensjahrs,
b) ein freiwilliges soziales Jahr im Sinne des Gesetzes zur Förderung eines freiwilligen sozialen Jahres oder ein freiwilliges ökologisches Jahr im Sinne des Gesetzes zur Förderung eines freiwilligen ökologischen Jahres leistet, längstens bis zur Vollendung des 27. Lebensjahrs,
c) infolge körperlicher oder geistiger Gebrechen spätestens bei Vollendung des 27. Lebensjahrs außerstande ist, sich selbst zu unterhalten, solange dieser Zustand dauert, über die Vollendung des 27. Lebensjahrs hinaus jedoch nur, wenn ihr Ehegatte oder Lebenspartner außerstande ist, sie zu unterhalten.
Hierbei gilt im Sozialen Entschädigungsrecht der Grundsatz, dass alle anspruchsbegründenden Tatsachen nach der Überzeugung des Gerichts im Vollbeweis vorliegen müssen. Lediglich bei Tatbestandsvoraussetzungen, die einen ursächlichen Zusammenhang zwischen einem schädigenden Ereignis und einer Gesundheitsstörung voraussetzen, genügt die Wahrscheinlichkeit des Ursachenzusammenhangs (vgl. dazu: Hessisches Landessozialgericht, Urteil v. 17.12.2008, L 4 VG 5/07, juris, Rn. 17).
Zu den Anforderungen an den Vollbeweis postuliert das Bundessozialgericht (BSG) zutreffend im Urteil vom 17.04.2013 (B 9 V 3/12 R, juris, Rn. 34):
"Für den Vollbeweis muss sich das Gericht die volle Überzeugung vom Vorhandensein oder Nichtvorhandensein einer Tatsache verschaffen. Allerdings verlangt auch der Vollbeweis keine absolute Gewissheit, sondern lässt eine an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit ausreichen. Denn ein darüber hinausgehender Grad an Gewissheit ist so gut wie nie zu erlangen (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 128 RdNr 3b mwN). Daraus folgt, dass auch dem Vollbeweis gewisse Zweifel innewohnen können, verbleibende Restzweifel mit anderen Worten bei der Überzeugungsbildung unschädlich sind, solange sie sich nicht zu gewichtigen Zweifeln verdichten (BSG Urteil vom 24.11.2010 - B 11 AL 35/09 R - Juris RdNr 21). Eine Tatsache ist bewiesen, wenn sie in so hohem Grade wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 128 RdNr 3b mwN)."
Vorliegend sind die Voraussetzungen des § 45 Abs. 3 Buchstabe c) BVG nach Auffassung des Gerichts nicht zum Vollbeweis bewiesen.
aa) Zunächst ist nach Auffassung der Kammer nicht bewiesen, dass die Klägerin spätestens bei Vollendung des 27. Lebensjahrs unter einem körperlichen oder geistigen Gebrechen litt.
Der Begriff der Gebrechlichkeit setzt eine chronische Erkrankung voraus, deren Wegfall durch Heilung nicht absehbar ist (vgl. Förster in: Wilke (Hrsg.), Soziales Entschädigungsrecht, 1992, § 33b Rn 16 BVG). Nach Auffassung des Gerichts ist der Begriff weit auszulegen. Unter den Begriff des geistigen Gebrechens fallen vor diesem Hintergrund nicht nur Beeinträchtigungen der Intelligenz, sondern auch seelische Erkrankungen. In der Neufassung des BVG ist der Begriff der Gebrechlichkeit nämlich durch den Begriff der Behinderung ersetzt worden.
Im vorliegenden Fall sind keine medizinischen Unterlagen mehr vorhanden, die belegen, dass die Klägerin spätestens zum Zeitpunkt der Vollendung des 27. Lebensjahres unter einer schweren chronischen Erkrankung litt.
Für eine vom Bevollmächtigten der Klägerin angenommene pränatale Schädigung der Klägerin gibt es keine Anhaltspunkte, wobei für das Gericht unklar ist, ob der Bevollmächtigte der Klägerin hiermit eine Schädigung des Körpers oder der psychischen Gesundheit der Klägerin meint.
In den eingeholten Unterlagen des behandelnden Allgemeinmediziners aus den Jahren 1996 bis 2003 und aus dem Vortrag der Klägerin gibt es Anhaltspunkte für eine seelische Erkrankung der Klägerin. Es ist jedoch nach Auffassung der Kammer zwar möglich, aber letztlich spekulativ anzunehmen, dass diese seelische Erkrankung bereits bei der Vollendung des 27. Lebensjahres der Klägerin vorgelegen hat. Das Gericht hält dies in der Tendenz für wenig wahrscheinlich.
Hätte die Klägerin bereits ab frühester Kindheit bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres unter einer schwerwiegenden chronifizierten seelischen Erkrankung gelitten, dürfte es der Mutter der Klägerin bzw. der Klägerin selbst nicht möglich gewesen sein, diesen Umstand vor den Schulen, dem Ausbildungsbetrieb und dem Arbeitgeber der Klägerin geheim zu halten. Anhaltspunkte für eine seelische Erkrankung konnte das Gericht den überreichten Unterlagen jedoch nicht entnehmen. So hat die Klägerin ihr Abschlusszeugnis zur Bürokauffrau vom 25.09.1966 (Bl. 75 Gerichtsakte) überreicht, in dem befriedigende und ausreichende Noten ausgewiesen sind. Auch hat die Klägerin ihre Ausbildung in dem Sägewerk erfolgreich absolviert und in diesem Ausbildungsbetrieb noch mehrere Jahre, namentlich insgesamt von 1966 bis 1972, gearbeitet. Mag die Einstellung der Klägerin auch auf Kontakte der Familie der Klägerin zum Sägewerkbesitzer zurückzuführen sein, so hält es das Gericht für wenig wahrscheinlich, dass der Sägewerkbetreiber die Klägerin mehrere Jahre weiterbeschäftigt und bezahlt hätte, wenn die Klägerin ihre Arbeit wegen einer schweren seelischen Krankheit nicht hätte bewältigen können. Die Klägerin hat ihre Tätigkeit im Sägewerk erst mit ihrer Heirat und damit aus mehr oder weniger freien Stücken aufgegeben.
Auch in der Korrespondenz zwischen der Klägerin und dem Bevollmächtigten ihres ehemaligen Ehemanns anlässlich des Scheidungsverfahrens finden sich keine Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin unter einer chronifizierten seelischen Erkrankung litt. Das Gericht hat vielmehr in seiner Verfügung vom 27.04.2013 darauf hingewiesen, dass die Beweggründe der Klägerin, sich von ihrem damaligen Ehemann zurückzuziehen objektiv nachvollziehbar sind und nicht als objektiver Ausdruck einer seelischen Erkrankung der Klägerin zu bewerten sind. Insoweit wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die richterliche Verfügung vom 27.04.2013 Bezug genommen.
Zusammenfassend ist damit zu konstatieren, dass ein körperliches oder geistiges Gebrechen der Klägerin zum Zeitpunkt der Vollendung des 27. Lebensjahres zwar möglich ist, aber nach Auffassung des Gerichts nicht mit einer an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vorliegt.
bb) Das Gericht ist weiterhin nicht davon überzeugt, dass die Klägerin bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres außerstande war, sich selbst zu unterhalten.
Das Tatbestandsmerkmal des Außerstandeseins, sich selbst zu unterhalten, ist entsprechend dem Begriff der Erwerbsunfähigkeit auszufüllen (Landessozialgericht Bremen, Urteil v. 18.09.1987, L 3 V 25/85, Leitsatz bei juris). Es geht also um die eigene Existenzsicherung (BSG, Urteil v. 10.12.1980, 9 RV 11/80, juris, Rn.12).
Dabei geht die obergerichtliche Rechtsprechung (vgl. BSG, Urteil v. 11.10.1994, 9 RV 35/93, juris) davon aus, dass der Anspruch auf Waisenrente mit einer dauerhaften Eingliederung in das Erwerbsleben endgültig wegfällt. In der Randnummer 13 dieser Entscheidung heißt es:
"Die Waisenrente lebt nicht wieder auf, wenn es der Waise gelungen ist, sich von dieser Leistung auf Dauer unabhängig zu machen. Das ist jedenfalls dann der Fall, wenn sie sich durch Erwerbstätigkeit in ein anderes Sicherungssystem, hier die gesetzliche Rentenversicherung, eingegliedert hat. Denn wenn dieses Sicherungssystem eingreift, in der Rentenversicherung also die Anwartschaft auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit erfüllt ist, ist die Waise nicht mehr, wie es das Gesetz ausdrücklich voraussetzt (§ 45 Abs 3 Satz 3 BVG), erneut außerstande, sich selbst zu unterhalten. "Erneut" ist so zu verstehen, daß die Waisenrente nur wiederauflebt, wenn die Erwerbstätigkeit nur zur vorübergehenden Unabhängigkeit geführt hat und die Waise bei Beendigung der Erwerbstätigkeit wieder in den vorigen Stand zurückfällt. Die Waise fällt jedenfalls dann nicht in diesen Stand zurück, wenn die beitragsrechtlichen Voraussetzungen für eine versicherungsrechtliche Unterhaltsersatzleistung erfüllt sind."
Der Randnummer 14 der Entscheidung kann entnommen werden, dass auch Unterhaltsansprüche gegen den Ehegatten zu berücksichtigen sind.
Vorliegend kann aus dem Versicherungsverlauf der Deutschen Rentenversicherung über die Klägerin vom 31.05.2010 entnommen werden, dass die Klägerin mit der Vollendung der Lehre Erwerbseinkommen aus abhängiger Beschäftigung bis 30.04.1972 erzielt hatte, welches zur eigenen Existenzsicherung ausreichend gewesen sein dürfte. Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung wurden in der Zeit vom 01.10.1963 bis 30.04.1972 geleistet, so dass auch Anwartschaften auf eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit bzw. Erwerbsminderung begründet worden waren. Ihren Arbeitsplatz hat die Klägerin selbst gekündigt. Sodann war die Klägerin von Mai 1972 bis nach der Vollendung ihres 27. Lebensjahres verheiratet und musste auf dem Bauernhof mitarbeiten. Ihr Lebensunterhalt war somit weiterhin gesichert. Die Voraussetzungen des § 45 Abs. 3 Buchstabe c) BVG, dass die Klägerin bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres infolge einer Gebrechlichkeit außerstande war, sich selbst zu versorgen, liegen somit nicht vor.
cc) Die Kammer sah sich nicht dazu veranlasst, den Sachverhalt durch die Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens weiter aufzuklären.
Das Ausmaß der Ermittlungen von Amts wegen nach § 103 SGG steht im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts. Ein Sachverständiger ist vom Gericht dann zu bestellen, wenn es selbst nicht über eine ausreichende Sachkunde verfügt, um einen Sachverhalt beurteilen zu können (BSG, Urteil v. 17.04.2013, B 9 V 3/12 R, juris, Rn.43). Die Sachverhaltsaufklärungspflicht des Gerichts ist jedoch eingeschränkt, soweit es für eine Behauptung von Tatsachen keine hinreichenden Anhaltspunkte gibt (Leitherer in: Meyer-Ladewig u.a. (Hrsg), SGG, 2012, § 103 Rn. 7a) oder wenn ein angebotenes Beweismittel untauglich ist. Auch kann von einem Sachverständigengutachten abgesehen werden, wenn es auf die geltend gemachten Tatsachen nicht ankommt.
(1) Das von der Klägerin angeregte psychiatrische Sachverständigengutachten ist nach der Überzeugung des Gerichts kein geeignetes Beweismittel, weshalb das Gericht sich nicht nach § 103 SGG zur Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens gehalten sah.
Bei der Prüfung, ob die Einholung eines psychiatrisches Sachverständigengutachten die Aufklärung des Sachverhalts fördern kann, hat das Gericht zu beachten, dass ein psychiatrischer Sachverständiger bei einer seelischen Erkrankung ohne das Vorliegen sog. Anknüpfungstatsachen Schwierigkeiten hat, von einem gegenwärtigen Befund auf einen Gesundheitszustand des Probanden in der Vergangenheit zu schließen (vgl. zur Bedeutung von Anknüpfungstatsachen für die Beurteilung des Leistungsvermögens bei seelischen Erkrankungen: Böwering-Möllenkamp, Die Beurteilung der Leistungsfähigkeit im Erwerbsleben bei psychischen Krankheiten, Anwalt im Sozialrecht 2011, 51 (55 f.); im Bereich der Neurologie: Suchenwirth, Kunze & Krasney, Neurologische Begutachtung, 2000, S.11 f.). Um so länger ein Sachverhalt zurückliegt, um so schwerer ist die Möglichkeit, hinreichend valide Aussagen über das Leistungsvermögen einer Person in dem streitigen Zeitpunkt zu treffen. Fehlt es an hinreichend zuverlässigen (medizinischen) Anknüpfungstatsachen in Form von Arztbriefen oder Unterlagen ist es regelmäßig nicht möglich, eines Gesundheitszustand und ein Leistungsbild im Nachhinein hinreichend zuverlässig festzustellen.
Vorliegend ist zu konstatieren, dass es um einen Sachverhalt geht, welcher bereits mehr als 40 Jahre zurückliegt. Selbst wenn medizinische Unterlagen von behandelnden Ärzten aus dem 1960er und 1970er vorliegen würden, ist es für einen Sachverständigen heute praktisch unmöglich sein, eine hinreichend verlässliche Aussage darüber zu treffen, ob die Klägerin am 23.09.1972 unter einem seelischen Gebrechen litt, welches es ihr unmöglich gemacht hat, sich selbst zu unterhalten. Dies gilt im Falle der Klägerin erst Recht, da es keinerlei medizinische Unterlagen aus dieser Zeit gibt, die Auskunft darüber geben können, ob bei der Klägerin zum Zeitpunkt der Vollendung des 27. Lebensjahres überhaupt eine psychische Erkrankung vorlag.
(2) Weiterhin war die Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens auch deshalb entbehrlich, weil nach Auffassung der Kammer feststeht, dass die Klägerin bis zur Vollendung ihres 27. Lebensjahrs in der Lage war, sich selbst zu unterhalten.
Der Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens bedurfte es daher nicht.
b) Auch die Voraussetzungen einer Waisenversorgung im Wege eines Härteausgleichs nach § 89 BVG sind nicht erfüllt.
Sofern sich in einzelnen Fällen aus den Vorschriften dieses Gesetzes besondere Härten ergeben, kann gem. § 89 Abs. 1 BVG mit Zustimmung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales ein Ausgleich gewährt werden.
Eine besondere Härte ist nach Nr. 1 der Verwaltungsvorschrift zu § 89 BVG anzunehmen, wenn bei Würdigung des Gesamtinhalts des Gesetzes der Ausschluss von der Versorgung oder von einzelnen Versorgungsleistungen deren Sinn und Zweck widerspräche.
Bei der Beurteilung, ob eine besondere Härte vorliegt, muss im vorliegenden Fall berücksichtigt werden, dass es sich bei der Gewährung von Waisenrente über das 27. Lebensjahr hinaus um eine Ausnahmeregelung handelt, die nicht beliebig durch eine Härtefallregelung ausgeweitet werden kann.
Das Bayerische Landessozialgericht hat in seinem Urteil vom 26.09.2012 (L 15 VK 12/10, juris, Rn. 34; in der Sache ebenso: Dau in: Knickrehm (Hrsg.), Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, 2012, § 89 Rn. 4) festgestellt:
"Voraussetzung für eine Ermessensleistung nach § 89 BVG ist damit, dass der Gesetzgeber besondere Einzelfälle oder auch Gruppen mit ihren Besonderheiten übersehen oder nicht vorausgesehen oder nicht genügend differenziert geregelt hat (vgl. BSG, Urteil vom 18.12.1996, Az.: 9 RV 2/95). § 89 BVG soll die Gewährung von Leistungen dann ermöglichen, wenn zwischen der konkreten Gesetzesanwendung und dem mit dem Recht der Kriegsopferversorgung angestrebten Ziel ein Missverhältnis auftritt. Eine besondere Härte kann nur bejaht werden, wenn für einen Anspruch auf Versorgung nicht alle Tatbestandsmerkmale, die das BVG aufstellt, verwirklicht sind und wenn der Antragsteller dadurch besonders hart getroffen wird. Die Ermächtigung des § 89 BVG muss auf wenige, unmittelbar aus der Gesetzesanwendung sich ergebende Einzelfälle oder Einzelfallgruppen beschränkt bleiben. Ohne die Begrenzung des Verwaltungsermessens auf krasse Ausnahmen wäre die Ermächtigung zum Verwaltungsermessen dazu angetan, die verfassungsmäßigen Grenzen zwischen Gesetzgebung, Rechtsprechung und Verwaltung zu sprengen (vgl. BSG, Urteile vom 19.09.1979, Az.: 9 RV 66/78, und vom 21.10.1998, Az.: B 9 V 3/98). Die grundlegenden Vorschriften des Kriegsopferrechts dürfen durch einen Härteausgleich nicht ausgehöhlt oder umgangen werden (vgl. BSG, Urteil vom 25.10.1978, Az.: 9 RV 68/77)."
Diesen Ausführungen schließt sich das Gericht an. Im vorliegenden Fall enthält § 45 BVG ein ausdifferenziertes Regelungssystem, unter welchen Voraussetzungen Waisenrente über das 18. Lebensjahr hinaus gewährt werden kann. Die Regelungsabsicht des § 45 BVG, dass Waisenrentenversorgung nicht gewährt werden soll, wenn die Unfähigkeit, den eigenen Lebensunterhalt selbst zu sichern, erst nach Vollendung des 27. Lebensjahres – aus welchen Gründen auch immer – eintritt, kann nicht durch die Härtefallregelung umgangen werden, da der Anwendungsbereich der Konstellationen, in denen Waisenrenten sonst zu gewähren wäre, uferlos wäre. Eine solche weitgehende Regelung müsste der Gesetzgeber selbst schaffen.
2. Soweit die Klägerin mit ihrem Hilfsantrag Leistungen der Kriegsopferfürsorge nach § 25 BVG begehrt, ist der Antrag unzulässig und auch unbegründet.
a) Der Antrag ist zunächst unzulässig, da die Klägerin vor der gerichtlichen Geltendmachung eines entsprechenden Anspruchs zunächst ein förmliches Verwaltungsverfahren einschließlich eines Widerspruchsverfahrens durchführen muss (§ 78 SGG). Dies ist bislang nicht geschehen.
b) Der Antrag ist jedoch auch unbegründet. Der für die Kriegsopferfürsorge anspruchsberechtigte Personenkreis ist nämlich in § 25 Abs. 3 BVG normiert. Hinterbliebene haben danach nur einen Anspruch auf Kriegsopferfürsorge, wenn sie Empfänger von Hinterbliebenenrente, Witwenbeihilfe oder Waisenbeihilfe nach dem BVG sind (Rohr/ Sträßer & Dahm, BVG, Stand Januar 2011, § 24 Nr. 4). Die Leistungsberechtigung für die Kriegsopferfürsorge ist an eine Leistungsberechtigung für Versorgungsleistungen gekoppelt, da diese nach Auffassung des Gesetzgebers "ergänzt" werden sollen (Grube in: Knickrehm (Hrsg.), Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, 2012, § 25 BVG Rn. 7).
Da die Klägerin jedoch keinen Anspruch auf Versorgungsleistungen nach dem BVG hat, scheidet ein (ergänzender) Anspruch auf Kriegsopferfürsorge ebenfalls aus.
Die Klage war somit insgesamt unbegründet.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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