Land
Hessen
Sozialgericht
SG Kassel (HES)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
S 2 RA 1220/02
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.
Die Sprungrevision wird zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger verlangt von der Beklagten einen höheren Zahlbetrag seiner Altersrente wegen Arbeitslosigkeit.
Der 1941 geborene Kläger war bei der C. AG beschäftigt. Dort wurden seit Jahren Frühverrentungsmodelle, so genannte 55iger Regelungen, praktiziert. Arbeitnehmer schieden nach Vollendung des 55. Lebensjahres aus dem Arbeitsverhältnis aus und nahmen nach Zeiten der Arbeitslosigkeit, in denen sie aufgrund einer Betriebsvereinbarung Zuschüsse der Arbeitgeberin erhielten, mit Vollendung des 60. Lebensjahres die Altersrente wegen Arbeitslosigkeit und Leistungen der betrieblichen Altersversorgung in Anspruch.
Die Arbeitgeberin kündigte im Rahmen des Frühverrentungsmodell das Arbeitsverhältnis des Klägers im November 1995 zum 30.09.1996. Der Kläger war bis 31.8.2001 arbeitslos und erhielt von der Arbeitgeberin Übergangsleistungen. Zum 01.9.2001 bewilligte die Beklagte Altersrente wegen Arbeitslosigkeit (Bescheid vom 6.8.2001). Dabei ging sie aufgrund der Regelung in § 237 Abs. 3 Sozialgesetzbuch VI (SGB VI) von einem Zugangsfaktor von lediglich 0,832 aus (Kürzung der Rente wegen vorzeitiger Inanspruchnahme um 16,8 %). Inzwischen hatte nämlich der Gesetzgeber im Jahre 1996 Gesetzesänderungen zu verschiedenen Rentenarten beschlossen, die bei der Altersrente wegen Arbeitslosigkeit bei vorzeitiger Inanspruchnahme wegen der Vorziehung der Anhebung der Altersgrenzen zu einem geringeren Zahlbetrag führte als der Kläger ihn zum Zeitpunkt der Kündigung des Arbeitsverhältnisses erwartet hatte.
Die frühere Arbeitgeberin gleicht aufgrund einer im März/April 1996 zwischen ihr und dem Betriebsrat vereinbarten Ergänzung zur Gesamtbetriebsvereinbarung zur betrieblichen Altersvorsorgung die Rentenkürzung teilweise aus. In dieser Regelung verpflichtet sich die Arbeitgeberin bei den Arbeitnehmern, die nach dem 13.02.1996 das 55. Lebensjahr vollendet haben oder noch vollenden werden, die aufgrund des Gesetzes zur Förderung des gleitenden Übergangs in den Ruhestand eintretenden Abschläge in der gesetzlichen Rentenversicherung, die sich auf bis zu 10,8 % belaufen, auszugleichen. Im Falle des Klägers gleicht die frühere Arbeitgeberin einen Rentenabschlag von 10,2 % aus, da der Kläger auch nach der alten Rechtslage 1992 Abschläge von 0,6 % hätte hinnehmen müssen.
Der Versuch betroffener Arbeitnehmer, die C. AG zu noch weitergehenden Ausgleichszahlungen zu verpflichten (nämlich Rentenminderungen bis zu 18 % wie sie das WFG mit Wirkung ab 01.01.1997 einführte, auszugleichen), scheiterte letztinstanzlich beim BAG (Urteile vom 20.06.2002; Az.: u.a. 3 AZR 52/00).
Nach erfolglosem Widerspruch (Widerspruchsbescheid vom 3.7.2002) hat der Kläger am 12.7.2002 zum Sozialgericht Kassel Klage erhoben. Er steht auf dem Standpunkt, die im Jahre 1996 vom Gesetzgeber beschlossene vorzeitige Anhebung der Altersgrenzen für die Altersrente wegen Arbeitslosigkeit verstoße gegen die Verfassung. Hierzu beruft er sich insbesondere auf ein von ihm vorgelegtes für die IG-Metall erstattetes Rechtsgutachten von Fuchs/Köhler. Darin kommen die Autoren zu dem Ergebnis, dass die durch das Gesetz zur Förderung eines gleitenden Übergangs in den Ruhestand vom 23.07.1996 und das Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetz vom 25.09.1996 erfolgte Anhebung der Altersgrenze für die Rente wegen Arbeitslosigkeit die betroffenen Rentenversicherten in ihren Grundrechten aus Art. 14 und 3 Grundgesetz (GG) verletze und deshalb verfassungswidrig sei. Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt des Gutachtens verwiesen.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 6.8.2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 3.7.2002 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, den Wert des Rechts auf Altersrente wegen Arbeitslosigkeit auf der Grundlage eines Zugangsfaktors von 0,994 zu bestimmen, hilfsweise, die Sprungrevision zuzulassen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie steht - mit näherer Begründung - auf dem Standpunkt, dass kein Anhaltspunkt für eine Verfassungswidrigkeit der vom Kläger beanstandeten Regelungen bestünde.
Das Gericht hat eine in einem Parallelverfahren eingeholte Auskunft der C. AG vom 18. Oktober 2002 (mit Anlagen) zum Gegenstand des Verfahrens gemacht. Wegen des Inhalts wird auf diese Auskunft verwiesen.
Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen, insbesondere wegen des weiteren Verbringens der Beteiligten, wird verwiesen auf die Gerichtsakte und die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Beratung der Kammer gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig. Sie ist insbesondere form- und fristgerecht erhoben worden (§§ 87, 90 Sozialgerichtsgesetz- SGG -).
Die Klage ist jedoch nicht begründet. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 6.8.2001 (in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 3.7.2002) ist sachlich und rechtlich nicht zu beanstanden. Die Beklagte hat den Wert des Rechts auf Altersrente wegen Arbeitslosigkeit des Klägers zutreffend berechnet. Die der Anhebung der Altersgrenze und der Kürzung der Rente des Klägers zugrundeliegenden Vorschriften sind nicht verfassungswidrig.
Der Anspruch des Klägers auf Altersrente wegen Arbeitslosigkeit richtet sich nach § 237 Abs. 1 SGB VI. Danach haben Versicherte (unter weiteren Voraussetzungen, die hier - unstreitig - beim Kläger vorlagen) Anspruch auf Altersrente, wenn sie das 60. Lebensjahr vollendet haben und bei Beginn der Rente arbeitslos sind und nach Vollendung eines Lebensalters von 58 Jahren und 6 Monaten insgesamt 52 Wochen arbeitslos waren. Gemäß Abs. 3 der Vorschrift wird die Altersgrenze von 60 Jahren bei Altersrenten wegen Arbeitslosigkeit für Versicherte, die nach dem 31. Dezember 1936 geboren sind, angehoben. Die vorzeitige Inanspruchnahme einer solchen Altersrente ist möglich, die Anhebung der Altersgrenzen und die Möglichkeit der vorzeitigen Inanspruchnahme der Altersrente bestimmen sich nach Anlage 19. Nach dieser Anlage kann die Altersrente ab Vollendung des 60. Lebensjahres (vorzeitig) in Anspruch genommen werden. Für Versicherte, die - wie der Kläger - im August 1941 geboren sind, wird die Altersgrenze um 56 Monate auf das Alter 64 Jahre und 8 Monate angehoben.
Der 1941 geborene Kläger hat die Rente nach Vollendung des 60. Lebensjahres in Anspruch genommen (Rentenbeginn 01.9.2001). Der Zugangsfaktor wurde damit zutreffend auf 0,832 festgesetzt, denn § 77 Abs. 2 Nr. 2 Buchstabe a SGB VI bestimmt, dass der Zugangsfaktor für Entgeltpunkte, die noch nicht Grundlage von persönlichen Entgeltpunkten einer Rente waren, bei Renten wegen Alters, die vorzeitig in Anspruch genommen werden, für jeden Kalendermonat um 0,003 niedriger als 1,0 ist (Inanspruchnahme 56 Kalendermonate vor Erreichen der Altersgrenze).
Die Übergangsvorschrift in § 237 Abs. 4 SGB VI kann dem Kläger nicht zugute kommen. Diese Vorschrift sieht eine abweichende (für die Versicherten günstigere) Anhebung der Altersgrenzen für solche Versicherte vor, die
1. bis zum 14. Februar 1941 geboren sind und
a) am 14. Februar 1996 arbeitslos waren oder Anpassungsgeld für entlassene Arbeitnehmer des Bergbaus bezogen haben oder
b) deren Arbeitsverhältnis aufgrund einer Kündigung oder Vereinbarung, die vor dem 14. Februar 1996 erfolgt ist, nach dem 13. Februar 1996 beende worden ist und die daran anschließend arbeitslos geworden sind oder Anpassungsgeld für entlassene Arbeitnehmer des Bergbaus bezogen haben,
2. bis zum 14. Februar 1944 geboren sind und aufgrund einer Maßnahme nach Art. 56 § 2 Buchstabe b des Vertrages über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS-V), die vor dem 14. Februar 1996 genehmigt worden ist, aus einem Betrieb der Montanindustrie ausgeschieden sind oder
3. vor dem 1. Januar 1942 geboren sind und 45 Jahre mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben, wobei § 55 Abs. 2 nicht für Zeiten anzuwenden ist, in denen Versicherte wegen des Bezuges von Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe versicherungspflichtig waren.
Dass die Anwendung der zweiten Alternative der Übergangsvorschrift auf den Kläger nicht in Betracht kommt, bedarf keiner näheren Erörterung. Die erste Alternative scheitert daran, dass der Kläger nicht bis zum 14.02.1941 geboren ist. Die Anwendung der dritten Alternative scheitert daran, dass der Kläger nicht 540 Kalendermonate mit Pflichtbeiträgen aufweist, sondern lediglich 486 Monate (wie sich aus seinem Kontenspiegel ergibt).
Zwischen den Beteiligten ist auch nicht streitig, dass die Beklagte das geltende Recht bei der Ermittlung des Zahlbetrages der Rente des Klägers zutreffend angewandt hat. Vielmehr geht der Streit darum, ob die der Anhebung der Altersgrenze zugrunde liegenden Vorschriften verfassungsgemäß sind. Dies ist jedoch nach Überzeugung der Kammer nicht der Fall. Von daher kommt auch keine Aussetzung des Verfahrens und Vorlage an das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) gemäß Art. 100 Abs. 1 GG in Betracht.
Zur besseren Nachvollziehbarkeit der weiteren Darlegungen stellt die Kammer die gesetzliche Entwicklung noch einmal kurz dar: Das Rentenreformgesetz 1992 vom 18.12.1989 (Bundesgesetzblatt -BGBI.- I, 2261) sah eine stufenweise Anhebung der Altersgrenze von 60 Jahren bei der Altersrente wegen Arbeitslosigkeit für Rentenzugänge ab 2001 vor (vgl. § 41 Abs. 1 SGB VI in der ab 01.01.1992 geltenden Fassung). Mit Wirkung zum 01.08.1996 wurde durch das Gesetz zur Förderung eines gleitenden Übergangs in den Ruhestand vom 23.07.1996 (BGBI. I, 1078) durch Einfügung eines Abs. 1a in § 41 SGB VI eine vorgezogene Anhebung der Altersgrenzen geregelt. Für die Jahrgänge 1940 bis 1948 war danach eine Anhebung um 36 Monate vorgesehen. Das Gesetz ging zurück auf einen Kabinettsbeschluss vom 14.02.1996. Dieser Stichtag findet sich in der bereits dargestellten Übergangsregelung wieder (§ 237 Abs. 4 SGB VI). Durch das Gesetz zur Umsetzung des Programms für mehr Wachstum und Beschäftigung in den Bereichen der Rentenversicherung und Arbeitsförderung (WFG) vom 25.09.1996 (BGBI. I, 1461) wurde mit Wirkung zum 01.01.1997 die Anhebung der Altersgrenzen für die Altersrente wegen Arbeitslosigkeit nochmals erweitert (Ausdehnung der Anhebung auf das 65. Lebensjahr; die 1941 geborenen Versicherten mussten nach dieser Regelung Anhebungen von 49 - 60 Monaten hinnehmen). Das WFG fasste die Vorschrift in § 41 Abs. 1 SGB VI (der erst kurz zuvor in Kraft getretene § 41 Abs. 1a SGB VI wurde wieder aufgehoben). Mit Wirkung vom 01.01.2000 wurde § 41 Abs. 1 SGB VI inhaltsgleich transformiert in § 237 Abs. 3 SGB VI (Rentenreformgesetz 1999 vom 16.12.1997- BGBI. I, 2998). ln dieser Fassung hat das Gesetz Anwendung auf die Rentenberechnung des Klägers gefunden.
Mit der vorgezogenen Anhebung der Altersgrenzen für die Rente wegen Arbeitslosigkeit durch die Gesetze vom 23.07.1996 (BGBI. I, 1078) und 25.09.1996 (BGBI. I, 1461) hat der Gesetzgeber nicht gegen Art. 14 GG verstoßen.
Die Kammer stimmt dem Kläger zu, dass die vorgezogene stufenweise Anhebung der Altersgrenze und die im Falle einer vorzeitigen Inanspruchnahme vorgesehenen Abschläge als Eingriff in eine von dem Kläger erworbene Rentenanwartschaft anzusehen sind und damit ein Eingriff in den Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG vorliegt, und zwar unabhängig davon, ob bereits ein Anwartschaftsrecht im Sinne der Rechtsprechung des 4. Senates des BSG vorgelegen hat (vgl. Vorlagebeschluss vom 16.12.1999, B 4 RA 11/99 R), denn Rentenanwartschaften fallen unter die Eigentumsgarantie des Art. 14 GG, wenn sie bei Erfüllung weiterer Voraussetzungen, etwa des Ablaufs der Wartezeit und des Eintritts des Versicherungsfalls, zum Vollrecht erstarken können (BVerfGE 69, 272, 288). Die Kammer stimmt dem Kläger ferner darin zu, dass auch das Renteneintrittsalter (Altersgrenze für die erstmals mögliche Inanspruchnahme der Rente) vom Eigentumsschutz erfasst ist, denn der Wert der Rentenleistung ergibt sich neben ihrer monatlichen Höhe auch aus ihrer Laufzeit (vgl. Binne, DRV 1996, 145, 146).
Da es keinen "absoluten" Begriff des Eigentums gibt, ist es Sache des Gesetzgebers, Inhalt und Schranken des Eigentums zu bestimmen. Sein Recht hierzu ergibt sich aus Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG (BVerfGE 31, 229, 240). Die Gewährleistung einer zuerkannten Eigentümerposition bedeutet noch nicht deren Unantastbarkeit, d.h., sie besagt nicht, dass jede inhaltliche Veränderung unzulässig wäre. Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG ermächtigt den Gesetzgeber nicht nur, verfassungsrechtlich geschützte Eigentümerpositionen - erstmalig - zu begründen; vielmehr räumt er ihm auch die Befugnis ein, in bereits begründete Rechte - unter Beachtung bestimmter Voraussetzungen - einzugreifen und diesen einen neuen Inhalt zu geben (BVerfGE 42, 263, 294). Dies gilt grundsätzlich auch für Eigentumsrechte aufgrund Rentenanwartschaften (BVerfGE 75, 78). Dabei muss der Eingriff jedoch durch Gründe des öffentlichen Interesses unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit gerechtfertigt sein. Dies wiederum setzt voraus, dass die Maßnahme einen legitimen Zweck verfolgt, das eingesetzte Mittel zur Zweckerreichung geeignet und erforderlich ist und die Regelung die Betroffenen nicht übermäßig belastet und deshalb für sie nicht unzumutbar ist (BVerfG a.a.O., S. 97).
An diesem Maßstab gemessen hat die Kammer keine durchgreifenden Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der vom Kläger angegriffenen Regelungen.
Mit dem Eingriff in die Eigentumsrechte der betroffenen Versicherten verfolgte der Gesetzgeber einen legitimen Zweck. Ziel der vorzeitigen Anhebung der Altersgrenze für die Altersrente wegen Arbeitslosigkeit war es der erheblichen Ausweitung der Frühverrentungspraxis entgegenzuwirken (BT-Drucks. 13/4336). ln der Gesetzesbegründung (a.a.O.) ist weiter ausgeführt, dass durch diese Art der betrieblichen Personalanpassung gesetzliche Rentenversicherung und Arbeitslosenversicherung mit Kosten belastet würden, die letztlich nur über höhere Beitragssätze zu finanzieren seien. Diese Frühverrentungspraxis schade dem Wirtschaftsstandort Deutschland und gefährde die künftige Finanzierbarkeil der sozialen Sicherungssysteme. Angesichts des Umstandes, dass auch in den nächsten Jahren zahlenmäßig starke Jahrgänge das Alter erreichten, in dem Frühverrentungsmaßnahmen einsetzten, sei schnelles Handeln geboten.
Die Kammer schließt aus diesen Formulierungen, dass es Hauptzweck der gesetzgeberischen Bemühungen war, eine finanzielle Konsolidierung im Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung (und der gesetzlichen Arbeitslosenversicherung) zu schaffen. Dies erweist sich auch an der Erwartung des Gesetzgebers, eine Kostenentlastung bis zum Jahr 2003 im Bereich der Rentenversicherung um ca. 17 Milliarden DM und im Bereich der Bundesanstalt für Arbeit um ca. 2,1 Milliarden DM zu erzielen (a.a.O., Abschnitt D). Soweit in dem vorgelegten Rechtsgutachten ein legitimer Gesetzeszweck mit dem Argument verneint wird, es sei dem Gesetzgeber um Arbeitsmarktpolitik gegangen und dies sei kein zulässiger Zweck für einen Eingriff in rentenversicherungsrechtliche Positionen, kann dem die Kammer nicht folgen. Dass sich sinkende (oder nur langsamer steigende) Sozialversicherungsbeiträge günstig auf den "Wirtschaftsstandort" Deutschland (Wettbewerbsfähigkeit) auswirken, ist eine Nebenfolge der intendierten Einsparung des Gesetzgebers und nicht deren Hauptmotiv. Mit der Eindämmung der Frühverrentungspraxis ging es sogar eher darum - worauf die Beklagte zu Recht hinweist - eine arbeitsmarktpolitische Instrumentierung der Rentenversicherung, wie sie von den Großunternehmen durch die Frühverrentungspraxis ins Werk gesetzt worden war, zu beenden. Die Kammer stimmt der Beklagten auch ausdrücklich darin zu, dass die Altersrente wegen Arbeitslosigkeit dazu dient, die Notlage der Altersarbeitslosigkeit sozial abzufedern und nicht dazu, Arbeitslosigkeit bewusst zu planen, um Frührente in Anspruch zu nehmen. Vergegenwärtigt man sich ferner, dass der Anteil der Altersrente wegen Arbeitslosigkeit am jährlichen Rentenzugang 1989 und 1990 bei 7,8 %, 1993 bei 10,6 %, 1994 bei 17 % und 1995 gar bei 22,7 % lag (Rentenversicherung in Zeitreihen, DRV-Schriften, Bd. 22, S. 51), so ist der Handlungsdruck auf den Gesetzgeber um so mehr nachzuvollziehen. Bezogen auf männliche Versicherte, die seit jeher - wegen der Möglichkeit der Inanspruchnahme der Altersrente für Frauen für weibliche Versicherte - die Altersrente wegen Arbeitslosigkeit überproportional in Anspruch nehmen, ist die Dramatik der Entwicklung noch deutlicher abzulesen: Der Anteil der Altersrente wegen Arbeitslosigkeit am Rentenzugang stieg von 14,0 % (1989) bzw. 13,7 % (1990) über 18,2 % (1993) und 28,2 % (1994) auf 37,4 % (1995) (Rentenversicherung in Zeitreihen, a.a.O., S. 52).
Die vorgezogene Anhebung der Altersgrenze war auch ein geeignetes Mittel, die durch die Ausweitung der Frühverrentungspraxis gestiegenen Kosten der Rentenversicherung einzudämmen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist das eingesetzte Mittel zur Erreichung des Regelungszwecks immer dann geeignet, wenn mit seiner Hilfe das angestrebte Ziel erreicht oder die Zielerreichung gefördert werden kann (BVerfGE 67, 157, 173; 96, 10, 23). Der Gesetzgeber ging für die Zeit bis zum Jahr 2003 von Einsparungen für die gesetzliche Rentenversicherung um ca. 17 Milliarden DM (und für die Bundesanstalt für Arbeit von ca. 2,1 Milliarden DM) aus (BTDrucks. a.a.O.). Das Bundesverfassungsgericht zweifelt eine Prognose des Gesetzgebers nicht an, solange sie nicht offensichtlich oder schlechthin unrealistisch ist (E 76, 220, 240). Dass von letzterem auszugehen wäre, ist für die Kammer nicht ersichtlich. Dies behauptet auch der Kläger nicht. Vielmehr steht er auf dem Standpunkt, allein die vorzeitige Anhebung der Altersgrenzen habe zur Konsolidierung der Rentenfinanzen nicht ausgereicht, zumal die finanziellen Schwierigkeiten auf den Folgen der Wiedervereinigung beruhten (BI. 26, 27 des vorgelegten Rechtsgutachtens). Diese Argumentation überzeugt die Kammer nicht, denn es kommt für die Eignung der gesetzgeberischen Maßnahme nicht darauf an, ob Einsparungen im Bereich der Altersrente wegen Arbeitslosigkeit das Ziel der Konsolidierung der Rentenfinanzen allein erreichen können. Vielmehr reicht es nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts aus, wenn die vom Gesetzgeber ergriffene Maßnahme einen Beitrag zur Zielerreichung geleistet hat (BVerfG a.a.O., m.w.N.). Darüber hinaus beruhten die Finanzprobleme der Rentenversicherung eben nicht allein auf der Wiedervereinigung, sondern auch auf der ausufernden Frühverrentungspraxis.
Die vorzeitige Anhebung der Altersgrenze war eine zur Zielerreichung erforderliche Maßnahme. Das Bundesverfassungsgericht verneint die Erforderlichkeil nur, wenn evident ist, dass die angestrebten Einsparungen mit weniger eingreifenden Mitteln hätten erreicht werden können (E 76, 220, 241). Die Kammer verkennt nicht, dass die im Rechtsgutachten genannten möglichen weiteren Maßnahmen (Erhöhung des Bundeszuschusses oder Verminderung der Rentenanpassung) ebenfalls zur Zielerreichung geeignet gewesen wären. Dies schließt jedoch die Erforderlichkeil der Regelung nicht aus, weil der Gesetzgeber insoweit ist frei bei der Wahl seiner Mittel. Nicht nur hinsichtlich der Geeignetheit, sondern auch hinsichtlich der Erforderlichkeil hat der Gesetzgeber einen erheblichen Beurteilungs-, Prognose- und Handlungsspielraum (BVerfGE 53, 257, 293). Vergegenwärtigt man sich ferner, dass nach dem Willen des Gesetzgebers der Frühverrentungspraxis Einhalt geboten werden sollte, war die vorzeitige Anhebung der Altersgrenzen zudem das wesentlich sachnähere Mittel gegenüber etwa einer Erhöhung des Bundeszuschusses bzw. Verminderung der Rentenanpassung.
Durch die vorzeitige Anhebung der Altersgrenzen sind die Betroffenen nicht übermäßig belastet worden (so genannte Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne). Das gilt auch soweit Vertrauensschutzgesichtspunkte zu berücksichtigen sind. Eine Maßnahme ist dann unzulässig, wenn sie außer Verhältnis steht zu dem angestrebten Zweck. Es geht um die Abwägung des öffentlichen Interesses an der Neuregelung mit dem Interesse der Betroffenen an dem Fortbestand der bisherigen Regelung (BVerfGE 70, 101, 114). Grundsätzlich soll sich der Bürger bei seiner persönlichen Lebensgestaltung und seinen wirtschaftlichen Dispositionen auf die geltende Rechtsordnung verlassen und auf sie vertrauen können (BVerfGE 76, 256, 350). Bei der Prüfung der Frage der Zumutbarkeit ist auch in Betracht zu ziehen, ob der Gesetzgeber in geeigneter Weise die Auswirkungen der Neuregelung durch eine angemessene Übergangsregelung abgemildert hat (BVerfG a.a.O., 359).
Angesichts des gesetzgeberischen Ziels, der Frühverrentungspraxis der großen Unternehmen auf Kosten der Sozialversicherungssysteme möglichst schnell Einhalt zu gebieten, erscheint die Belastung für den Kläger als zumutbar im Sinne der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts: Zunächst ist es nicht zwingend, davon auszugehen, dass eine einmal bestehende Vertrauensschutzregelung nicht noch einmal geändert werden kann. Der Kläger steht auf dem Standpunkt, dass die durch das Rentenreformgesetz 1992 geschaffene Regelung des § 41 SGB VI vom Gesetzgeber nicht mehr habe angetastet werden dürfen. Dem stimmt die Kammer nicht zu. Unbeschränkte Bestandskraft kann auch eine Vertrauensschutzregelung (hier die über einen sehr langen Zeitraum erstreckte Anhebung der Altersgrenzen) nicht haben. Denn das würde die Handlungsfreiheit des Gesetzgebers zu weitgehend einschränken. Vielmehr muss er auf veränderte Bedingungen auch reagieren können (vgl. Binne, a.a.O., 150). Allerdings müssen nachvollziehbare Gründe dafür vorliegen, von einer einmal getroffenen Vertrauensschutzregelung wieder abzuweichen. Ein solcher Grund ist hier die stetig zunehmende Inanspruchnahme der Altersrente wegen Arbeitslosigkeit und die dadurch (mit-) verursachte problematische Finanzentwicklung der gesetzlichen Rentenversicherung (Binne, a.a.O.). Die ursprüngliche Vertrauensschutzregelung war äußerst großzügig und gilt für den von der Übergangsvorschrift (§ 237 Abs. 4 SGB VI) erfassten Personenkreis weiter. Die übrigen Versicherten, die zum Zeitpunkt des Kabinettsbeschlusses (14.02.1996) noch nicht arbeitslos oder noch nicht 55 Jahre alt waren, hatten nach der Vorstellung des Gesetzgebers noch ausreichend Zeit, sich auf die neue Lage einzustellen. Für diesen Personenkreis ging der Gesetzgeber - aus der Sicht der Kammer zutreffend - davon aus, dass die gesetzliche Neuregelung keine unzumutbaren Härten enthält. Dass auch der Kläger im konkreten Fall noch auf die neue Gesetzeslage reagieren konnte (und damit die Erwartung des Gesetzgebers zutraf) ergibt sich für die Kammer schon aus dem Umstand, dass die betroffenen Arbeitnehmer des C.-Werkes bereits ca. einen Monat nach dem Kabinettsbeschluss (und noch vor lnkrafttreten des Gesetzes) eine Erhöhung ihrer Versorgungszusage im Rahmen einer Ergänzung der Betriebsvereinbarung erreicht hatten (Ausgleich der zu erwartenden Abschläge bis zu einem Abschlag von 10,8 %). ln diesem Zusammenhang lässt die Kammer die Frage offen, ob - wie es die Arbeitgeberauskunft vom 18.10.2002 nahe legt - für den Kläger zudem eine realistische Wiedereinstellungsmöglichkeit bestanden hat. Denn eine unzumutbare Belastung des Klägers liegt auch deshalb nicht vor, weil der Kläger an der Entstehung seiner Arbeitslosigkeit mitgewirkt und freiwillig an dem Frühverrentungsmodell teilgenommen hat. Insoweit stimmt die Kammer den Ausführungen der Beklagten zu, dass lediglich von einem eingeschränkt schützenswerten Vertrauen des Klägers auszugehen ist, denn er war einer derjenigen, der von der Zweckentfremdung der Altersrente wegen Arbeitslosigkeit profitiert hat. Gerade sein Personenkreis sollte vom Gesetzgeber mit der gesetzlichen Neuregelung erreicht werden. Ferner stehen dem Nachteil der Abschlagsregelung die wirtschaftlichen Vorteile der Frühverrentungsvereinbarung und nicht zuletzt der vorgezogene Ruhestand gegenüber. Außerdem muss bei der Abwägung berücksichtigt werden, dass der Gesetzgeber die Möglichkeit der Inanspruchnahme der Rente ab 60 aufrecht erhalten hat und die Absenkung des Rentenbetrages durch freiwillige Rentenbeiträge abgewendet werden kann (vgl. § 187 a SGB VI).
Daneben ist die gesetzliche Regelung aber auch deshalb verfassungsmäßig, weil sie aufgrund eines hohen Gemeinschaftsgutes erfolgte und zudem eine vom Gesetzgeber unerwünschte, von den Arbeitgebern und Arbeitnehmern aber gemeinsam verursachte Ausnutzung der Regelungen des Rentenreformgesetzes 1992 beseitigte: Die Konsolidierung und Stabilisierung der Finanzentwicklung der Rentenversicherung ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht nur ein hohes Gemeinschaftsgut als solches, sondern ihm kommt auch eine so hohe Bedeutung zu, dass zu seinem Schutz in Situationen, in denen sich die Lage der öffentlichen Haushalte dramatisch verschlechtert, aus akuten Gründen Gesetzesregelungen getroffen werden dürfen, mit denen das Vertrauen gerade auch härter betroffener Versicherter enttäuscht werden darf (BVerfGE 76, 256, 357, 358). Eine solche dramatische Verschlechterung der Finanzierbarkeit der gesetzlichen Rentenversicherung hatte sich gerade Mitte der 90er Jahre eingestellt (vgl. Binne, a.a.O., S. 147 ff.). Hinzu kam, dass die dramatische Entwicklung gerade bei den Altersrenten wegen Arbeitslosigkeit zusätzlich auf einem (zusammenwirkenden) Verhalten von Arbeitnehmern und Arbeitgebern beruhte und dem Sinn der Altersrente wegen Arbeitslosigkeit widersprach (vgl. ebenso LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 27.06.2002- L 1 RA 239101 -).
Schließlich liegt auch ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG nicht vor. Der Gleichbehandlungsgrundsatz verpflichtet den Gesetzgeber, Gleiches gleich und Ungleiches entsprechend seiner Eigenart verschieden zu behandeln (BVerfGE 3, 58, 135 ff.). Dabei darf der Gesetzgeber weder wesentlich Gleiches willkürlich ungleich noch wesentlich Ungleiches willkürlich gleich behandeln (BVerfGE 49, 148, 165). Soweit der Kläger meint, eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung liege vor bzgl. Altersrentnern, die wegen Arbeitslosigkeit vorzeitig in Rente gehen einerseits und Versicherten, die nicht arbeitslos werden (BI. 43 des Rechtsgutachtens) trifft dies nicht zu. Denn die erste Gruppe hat in der Regel weniger Beiträge bis zum Rentenbeginn einbezahlt und verlangt eine längere Rentenlaufzeit. Daher ist es gerechtfertigt, diese Gruppe anders - im Ergebnis schlechter - zu behandeln als die zweite Gruppe.
Auch gegenüber Frauen, für die die Anhebung der Altersgrenzen bei der Altersrente für Frauen erst ab Jahrgang 1940 gilt, liegt eine unzulässige Benachteiligung nicht vor. Denn die Frühverrentungsmodelle betrafen hauptsächlich Männer (vgl. auch die statistischen Angaben zum Rentenzugang). Ferner hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass der Gesetzgeber berechtigt ist, einen rentenrechtlichen Ausgleich für Frauen zu schaffen, da sie - generell gesehen - einer Mehrfachbelastung durch Haushalt, Schwangerschaft, Kindererziehung und Beruf ausgesetzt sind (BVerfGE 74, 163, 180 ff.).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Das Gericht hat die Sprungrevision zugelassen, weil es dem Rechtsstreit grundsätzliche Bedeutung beimisst (§ 161 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG). Eine Entscheidung des BSG zu der hier maßgeblichen Rechtsfrage liegt noch nicht vor. Zudem ist eine erhebliche Zahl von Versicherten von der vorgezogenen Anhebung der Altersgrenzen betroffen.
Die Sprungrevision wird zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger verlangt von der Beklagten einen höheren Zahlbetrag seiner Altersrente wegen Arbeitslosigkeit.
Der 1941 geborene Kläger war bei der C. AG beschäftigt. Dort wurden seit Jahren Frühverrentungsmodelle, so genannte 55iger Regelungen, praktiziert. Arbeitnehmer schieden nach Vollendung des 55. Lebensjahres aus dem Arbeitsverhältnis aus und nahmen nach Zeiten der Arbeitslosigkeit, in denen sie aufgrund einer Betriebsvereinbarung Zuschüsse der Arbeitgeberin erhielten, mit Vollendung des 60. Lebensjahres die Altersrente wegen Arbeitslosigkeit und Leistungen der betrieblichen Altersversorgung in Anspruch.
Die Arbeitgeberin kündigte im Rahmen des Frühverrentungsmodell das Arbeitsverhältnis des Klägers im November 1995 zum 30.09.1996. Der Kläger war bis 31.8.2001 arbeitslos und erhielt von der Arbeitgeberin Übergangsleistungen. Zum 01.9.2001 bewilligte die Beklagte Altersrente wegen Arbeitslosigkeit (Bescheid vom 6.8.2001). Dabei ging sie aufgrund der Regelung in § 237 Abs. 3 Sozialgesetzbuch VI (SGB VI) von einem Zugangsfaktor von lediglich 0,832 aus (Kürzung der Rente wegen vorzeitiger Inanspruchnahme um 16,8 %). Inzwischen hatte nämlich der Gesetzgeber im Jahre 1996 Gesetzesänderungen zu verschiedenen Rentenarten beschlossen, die bei der Altersrente wegen Arbeitslosigkeit bei vorzeitiger Inanspruchnahme wegen der Vorziehung der Anhebung der Altersgrenzen zu einem geringeren Zahlbetrag führte als der Kläger ihn zum Zeitpunkt der Kündigung des Arbeitsverhältnisses erwartet hatte.
Die frühere Arbeitgeberin gleicht aufgrund einer im März/April 1996 zwischen ihr und dem Betriebsrat vereinbarten Ergänzung zur Gesamtbetriebsvereinbarung zur betrieblichen Altersvorsorgung die Rentenkürzung teilweise aus. In dieser Regelung verpflichtet sich die Arbeitgeberin bei den Arbeitnehmern, die nach dem 13.02.1996 das 55. Lebensjahr vollendet haben oder noch vollenden werden, die aufgrund des Gesetzes zur Förderung des gleitenden Übergangs in den Ruhestand eintretenden Abschläge in der gesetzlichen Rentenversicherung, die sich auf bis zu 10,8 % belaufen, auszugleichen. Im Falle des Klägers gleicht die frühere Arbeitgeberin einen Rentenabschlag von 10,2 % aus, da der Kläger auch nach der alten Rechtslage 1992 Abschläge von 0,6 % hätte hinnehmen müssen.
Der Versuch betroffener Arbeitnehmer, die C. AG zu noch weitergehenden Ausgleichszahlungen zu verpflichten (nämlich Rentenminderungen bis zu 18 % wie sie das WFG mit Wirkung ab 01.01.1997 einführte, auszugleichen), scheiterte letztinstanzlich beim BAG (Urteile vom 20.06.2002; Az.: u.a. 3 AZR 52/00).
Nach erfolglosem Widerspruch (Widerspruchsbescheid vom 3.7.2002) hat der Kläger am 12.7.2002 zum Sozialgericht Kassel Klage erhoben. Er steht auf dem Standpunkt, die im Jahre 1996 vom Gesetzgeber beschlossene vorzeitige Anhebung der Altersgrenzen für die Altersrente wegen Arbeitslosigkeit verstoße gegen die Verfassung. Hierzu beruft er sich insbesondere auf ein von ihm vorgelegtes für die IG-Metall erstattetes Rechtsgutachten von Fuchs/Köhler. Darin kommen die Autoren zu dem Ergebnis, dass die durch das Gesetz zur Förderung eines gleitenden Übergangs in den Ruhestand vom 23.07.1996 und das Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetz vom 25.09.1996 erfolgte Anhebung der Altersgrenze für die Rente wegen Arbeitslosigkeit die betroffenen Rentenversicherten in ihren Grundrechten aus Art. 14 und 3 Grundgesetz (GG) verletze und deshalb verfassungswidrig sei. Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt des Gutachtens verwiesen.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 6.8.2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 3.7.2002 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, den Wert des Rechts auf Altersrente wegen Arbeitslosigkeit auf der Grundlage eines Zugangsfaktors von 0,994 zu bestimmen, hilfsweise, die Sprungrevision zuzulassen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie steht - mit näherer Begründung - auf dem Standpunkt, dass kein Anhaltspunkt für eine Verfassungswidrigkeit der vom Kläger beanstandeten Regelungen bestünde.
Das Gericht hat eine in einem Parallelverfahren eingeholte Auskunft der C. AG vom 18. Oktober 2002 (mit Anlagen) zum Gegenstand des Verfahrens gemacht. Wegen des Inhalts wird auf diese Auskunft verwiesen.
Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen, insbesondere wegen des weiteren Verbringens der Beteiligten, wird verwiesen auf die Gerichtsakte und die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Beratung der Kammer gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig. Sie ist insbesondere form- und fristgerecht erhoben worden (§§ 87, 90 Sozialgerichtsgesetz- SGG -).
Die Klage ist jedoch nicht begründet. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 6.8.2001 (in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 3.7.2002) ist sachlich und rechtlich nicht zu beanstanden. Die Beklagte hat den Wert des Rechts auf Altersrente wegen Arbeitslosigkeit des Klägers zutreffend berechnet. Die der Anhebung der Altersgrenze und der Kürzung der Rente des Klägers zugrundeliegenden Vorschriften sind nicht verfassungswidrig.
Der Anspruch des Klägers auf Altersrente wegen Arbeitslosigkeit richtet sich nach § 237 Abs. 1 SGB VI. Danach haben Versicherte (unter weiteren Voraussetzungen, die hier - unstreitig - beim Kläger vorlagen) Anspruch auf Altersrente, wenn sie das 60. Lebensjahr vollendet haben und bei Beginn der Rente arbeitslos sind und nach Vollendung eines Lebensalters von 58 Jahren und 6 Monaten insgesamt 52 Wochen arbeitslos waren. Gemäß Abs. 3 der Vorschrift wird die Altersgrenze von 60 Jahren bei Altersrenten wegen Arbeitslosigkeit für Versicherte, die nach dem 31. Dezember 1936 geboren sind, angehoben. Die vorzeitige Inanspruchnahme einer solchen Altersrente ist möglich, die Anhebung der Altersgrenzen und die Möglichkeit der vorzeitigen Inanspruchnahme der Altersrente bestimmen sich nach Anlage 19. Nach dieser Anlage kann die Altersrente ab Vollendung des 60. Lebensjahres (vorzeitig) in Anspruch genommen werden. Für Versicherte, die - wie der Kläger - im August 1941 geboren sind, wird die Altersgrenze um 56 Monate auf das Alter 64 Jahre und 8 Monate angehoben.
Der 1941 geborene Kläger hat die Rente nach Vollendung des 60. Lebensjahres in Anspruch genommen (Rentenbeginn 01.9.2001). Der Zugangsfaktor wurde damit zutreffend auf 0,832 festgesetzt, denn § 77 Abs. 2 Nr. 2 Buchstabe a SGB VI bestimmt, dass der Zugangsfaktor für Entgeltpunkte, die noch nicht Grundlage von persönlichen Entgeltpunkten einer Rente waren, bei Renten wegen Alters, die vorzeitig in Anspruch genommen werden, für jeden Kalendermonat um 0,003 niedriger als 1,0 ist (Inanspruchnahme 56 Kalendermonate vor Erreichen der Altersgrenze).
Die Übergangsvorschrift in § 237 Abs. 4 SGB VI kann dem Kläger nicht zugute kommen. Diese Vorschrift sieht eine abweichende (für die Versicherten günstigere) Anhebung der Altersgrenzen für solche Versicherte vor, die
1. bis zum 14. Februar 1941 geboren sind und
a) am 14. Februar 1996 arbeitslos waren oder Anpassungsgeld für entlassene Arbeitnehmer des Bergbaus bezogen haben oder
b) deren Arbeitsverhältnis aufgrund einer Kündigung oder Vereinbarung, die vor dem 14. Februar 1996 erfolgt ist, nach dem 13. Februar 1996 beende worden ist und die daran anschließend arbeitslos geworden sind oder Anpassungsgeld für entlassene Arbeitnehmer des Bergbaus bezogen haben,
2. bis zum 14. Februar 1944 geboren sind und aufgrund einer Maßnahme nach Art. 56 § 2 Buchstabe b des Vertrages über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS-V), die vor dem 14. Februar 1996 genehmigt worden ist, aus einem Betrieb der Montanindustrie ausgeschieden sind oder
3. vor dem 1. Januar 1942 geboren sind und 45 Jahre mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben, wobei § 55 Abs. 2 nicht für Zeiten anzuwenden ist, in denen Versicherte wegen des Bezuges von Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe versicherungspflichtig waren.
Dass die Anwendung der zweiten Alternative der Übergangsvorschrift auf den Kläger nicht in Betracht kommt, bedarf keiner näheren Erörterung. Die erste Alternative scheitert daran, dass der Kläger nicht bis zum 14.02.1941 geboren ist. Die Anwendung der dritten Alternative scheitert daran, dass der Kläger nicht 540 Kalendermonate mit Pflichtbeiträgen aufweist, sondern lediglich 486 Monate (wie sich aus seinem Kontenspiegel ergibt).
Zwischen den Beteiligten ist auch nicht streitig, dass die Beklagte das geltende Recht bei der Ermittlung des Zahlbetrages der Rente des Klägers zutreffend angewandt hat. Vielmehr geht der Streit darum, ob die der Anhebung der Altersgrenze zugrunde liegenden Vorschriften verfassungsgemäß sind. Dies ist jedoch nach Überzeugung der Kammer nicht der Fall. Von daher kommt auch keine Aussetzung des Verfahrens und Vorlage an das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) gemäß Art. 100 Abs. 1 GG in Betracht.
Zur besseren Nachvollziehbarkeit der weiteren Darlegungen stellt die Kammer die gesetzliche Entwicklung noch einmal kurz dar: Das Rentenreformgesetz 1992 vom 18.12.1989 (Bundesgesetzblatt -BGBI.- I, 2261) sah eine stufenweise Anhebung der Altersgrenze von 60 Jahren bei der Altersrente wegen Arbeitslosigkeit für Rentenzugänge ab 2001 vor (vgl. § 41 Abs. 1 SGB VI in der ab 01.01.1992 geltenden Fassung). Mit Wirkung zum 01.08.1996 wurde durch das Gesetz zur Förderung eines gleitenden Übergangs in den Ruhestand vom 23.07.1996 (BGBI. I, 1078) durch Einfügung eines Abs. 1a in § 41 SGB VI eine vorgezogene Anhebung der Altersgrenzen geregelt. Für die Jahrgänge 1940 bis 1948 war danach eine Anhebung um 36 Monate vorgesehen. Das Gesetz ging zurück auf einen Kabinettsbeschluss vom 14.02.1996. Dieser Stichtag findet sich in der bereits dargestellten Übergangsregelung wieder (§ 237 Abs. 4 SGB VI). Durch das Gesetz zur Umsetzung des Programms für mehr Wachstum und Beschäftigung in den Bereichen der Rentenversicherung und Arbeitsförderung (WFG) vom 25.09.1996 (BGBI. I, 1461) wurde mit Wirkung zum 01.01.1997 die Anhebung der Altersgrenzen für die Altersrente wegen Arbeitslosigkeit nochmals erweitert (Ausdehnung der Anhebung auf das 65. Lebensjahr; die 1941 geborenen Versicherten mussten nach dieser Regelung Anhebungen von 49 - 60 Monaten hinnehmen). Das WFG fasste die Vorschrift in § 41 Abs. 1 SGB VI (der erst kurz zuvor in Kraft getretene § 41 Abs. 1a SGB VI wurde wieder aufgehoben). Mit Wirkung vom 01.01.2000 wurde § 41 Abs. 1 SGB VI inhaltsgleich transformiert in § 237 Abs. 3 SGB VI (Rentenreformgesetz 1999 vom 16.12.1997- BGBI. I, 2998). ln dieser Fassung hat das Gesetz Anwendung auf die Rentenberechnung des Klägers gefunden.
Mit der vorgezogenen Anhebung der Altersgrenzen für die Rente wegen Arbeitslosigkeit durch die Gesetze vom 23.07.1996 (BGBI. I, 1078) und 25.09.1996 (BGBI. I, 1461) hat der Gesetzgeber nicht gegen Art. 14 GG verstoßen.
Die Kammer stimmt dem Kläger zu, dass die vorgezogene stufenweise Anhebung der Altersgrenze und die im Falle einer vorzeitigen Inanspruchnahme vorgesehenen Abschläge als Eingriff in eine von dem Kläger erworbene Rentenanwartschaft anzusehen sind und damit ein Eingriff in den Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG vorliegt, und zwar unabhängig davon, ob bereits ein Anwartschaftsrecht im Sinne der Rechtsprechung des 4. Senates des BSG vorgelegen hat (vgl. Vorlagebeschluss vom 16.12.1999, B 4 RA 11/99 R), denn Rentenanwartschaften fallen unter die Eigentumsgarantie des Art. 14 GG, wenn sie bei Erfüllung weiterer Voraussetzungen, etwa des Ablaufs der Wartezeit und des Eintritts des Versicherungsfalls, zum Vollrecht erstarken können (BVerfGE 69, 272, 288). Die Kammer stimmt dem Kläger ferner darin zu, dass auch das Renteneintrittsalter (Altersgrenze für die erstmals mögliche Inanspruchnahme der Rente) vom Eigentumsschutz erfasst ist, denn der Wert der Rentenleistung ergibt sich neben ihrer monatlichen Höhe auch aus ihrer Laufzeit (vgl. Binne, DRV 1996, 145, 146).
Da es keinen "absoluten" Begriff des Eigentums gibt, ist es Sache des Gesetzgebers, Inhalt und Schranken des Eigentums zu bestimmen. Sein Recht hierzu ergibt sich aus Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG (BVerfGE 31, 229, 240). Die Gewährleistung einer zuerkannten Eigentümerposition bedeutet noch nicht deren Unantastbarkeit, d.h., sie besagt nicht, dass jede inhaltliche Veränderung unzulässig wäre. Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG ermächtigt den Gesetzgeber nicht nur, verfassungsrechtlich geschützte Eigentümerpositionen - erstmalig - zu begründen; vielmehr räumt er ihm auch die Befugnis ein, in bereits begründete Rechte - unter Beachtung bestimmter Voraussetzungen - einzugreifen und diesen einen neuen Inhalt zu geben (BVerfGE 42, 263, 294). Dies gilt grundsätzlich auch für Eigentumsrechte aufgrund Rentenanwartschaften (BVerfGE 75, 78). Dabei muss der Eingriff jedoch durch Gründe des öffentlichen Interesses unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit gerechtfertigt sein. Dies wiederum setzt voraus, dass die Maßnahme einen legitimen Zweck verfolgt, das eingesetzte Mittel zur Zweckerreichung geeignet und erforderlich ist und die Regelung die Betroffenen nicht übermäßig belastet und deshalb für sie nicht unzumutbar ist (BVerfG a.a.O., S. 97).
An diesem Maßstab gemessen hat die Kammer keine durchgreifenden Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der vom Kläger angegriffenen Regelungen.
Mit dem Eingriff in die Eigentumsrechte der betroffenen Versicherten verfolgte der Gesetzgeber einen legitimen Zweck. Ziel der vorzeitigen Anhebung der Altersgrenze für die Altersrente wegen Arbeitslosigkeit war es der erheblichen Ausweitung der Frühverrentungspraxis entgegenzuwirken (BT-Drucks. 13/4336). ln der Gesetzesbegründung (a.a.O.) ist weiter ausgeführt, dass durch diese Art der betrieblichen Personalanpassung gesetzliche Rentenversicherung und Arbeitslosenversicherung mit Kosten belastet würden, die letztlich nur über höhere Beitragssätze zu finanzieren seien. Diese Frühverrentungspraxis schade dem Wirtschaftsstandort Deutschland und gefährde die künftige Finanzierbarkeil der sozialen Sicherungssysteme. Angesichts des Umstandes, dass auch in den nächsten Jahren zahlenmäßig starke Jahrgänge das Alter erreichten, in dem Frühverrentungsmaßnahmen einsetzten, sei schnelles Handeln geboten.
Die Kammer schließt aus diesen Formulierungen, dass es Hauptzweck der gesetzgeberischen Bemühungen war, eine finanzielle Konsolidierung im Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung (und der gesetzlichen Arbeitslosenversicherung) zu schaffen. Dies erweist sich auch an der Erwartung des Gesetzgebers, eine Kostenentlastung bis zum Jahr 2003 im Bereich der Rentenversicherung um ca. 17 Milliarden DM und im Bereich der Bundesanstalt für Arbeit um ca. 2,1 Milliarden DM zu erzielen (a.a.O., Abschnitt D). Soweit in dem vorgelegten Rechtsgutachten ein legitimer Gesetzeszweck mit dem Argument verneint wird, es sei dem Gesetzgeber um Arbeitsmarktpolitik gegangen und dies sei kein zulässiger Zweck für einen Eingriff in rentenversicherungsrechtliche Positionen, kann dem die Kammer nicht folgen. Dass sich sinkende (oder nur langsamer steigende) Sozialversicherungsbeiträge günstig auf den "Wirtschaftsstandort" Deutschland (Wettbewerbsfähigkeit) auswirken, ist eine Nebenfolge der intendierten Einsparung des Gesetzgebers und nicht deren Hauptmotiv. Mit der Eindämmung der Frühverrentungspraxis ging es sogar eher darum - worauf die Beklagte zu Recht hinweist - eine arbeitsmarktpolitische Instrumentierung der Rentenversicherung, wie sie von den Großunternehmen durch die Frühverrentungspraxis ins Werk gesetzt worden war, zu beenden. Die Kammer stimmt der Beklagten auch ausdrücklich darin zu, dass die Altersrente wegen Arbeitslosigkeit dazu dient, die Notlage der Altersarbeitslosigkeit sozial abzufedern und nicht dazu, Arbeitslosigkeit bewusst zu planen, um Frührente in Anspruch zu nehmen. Vergegenwärtigt man sich ferner, dass der Anteil der Altersrente wegen Arbeitslosigkeit am jährlichen Rentenzugang 1989 und 1990 bei 7,8 %, 1993 bei 10,6 %, 1994 bei 17 % und 1995 gar bei 22,7 % lag (Rentenversicherung in Zeitreihen, DRV-Schriften, Bd. 22, S. 51), so ist der Handlungsdruck auf den Gesetzgeber um so mehr nachzuvollziehen. Bezogen auf männliche Versicherte, die seit jeher - wegen der Möglichkeit der Inanspruchnahme der Altersrente für Frauen für weibliche Versicherte - die Altersrente wegen Arbeitslosigkeit überproportional in Anspruch nehmen, ist die Dramatik der Entwicklung noch deutlicher abzulesen: Der Anteil der Altersrente wegen Arbeitslosigkeit am Rentenzugang stieg von 14,0 % (1989) bzw. 13,7 % (1990) über 18,2 % (1993) und 28,2 % (1994) auf 37,4 % (1995) (Rentenversicherung in Zeitreihen, a.a.O., S. 52).
Die vorgezogene Anhebung der Altersgrenze war auch ein geeignetes Mittel, die durch die Ausweitung der Frühverrentungspraxis gestiegenen Kosten der Rentenversicherung einzudämmen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist das eingesetzte Mittel zur Erreichung des Regelungszwecks immer dann geeignet, wenn mit seiner Hilfe das angestrebte Ziel erreicht oder die Zielerreichung gefördert werden kann (BVerfGE 67, 157, 173; 96, 10, 23). Der Gesetzgeber ging für die Zeit bis zum Jahr 2003 von Einsparungen für die gesetzliche Rentenversicherung um ca. 17 Milliarden DM (und für die Bundesanstalt für Arbeit von ca. 2,1 Milliarden DM) aus (BTDrucks. a.a.O.). Das Bundesverfassungsgericht zweifelt eine Prognose des Gesetzgebers nicht an, solange sie nicht offensichtlich oder schlechthin unrealistisch ist (E 76, 220, 240). Dass von letzterem auszugehen wäre, ist für die Kammer nicht ersichtlich. Dies behauptet auch der Kläger nicht. Vielmehr steht er auf dem Standpunkt, allein die vorzeitige Anhebung der Altersgrenzen habe zur Konsolidierung der Rentenfinanzen nicht ausgereicht, zumal die finanziellen Schwierigkeiten auf den Folgen der Wiedervereinigung beruhten (BI. 26, 27 des vorgelegten Rechtsgutachtens). Diese Argumentation überzeugt die Kammer nicht, denn es kommt für die Eignung der gesetzgeberischen Maßnahme nicht darauf an, ob Einsparungen im Bereich der Altersrente wegen Arbeitslosigkeit das Ziel der Konsolidierung der Rentenfinanzen allein erreichen können. Vielmehr reicht es nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts aus, wenn die vom Gesetzgeber ergriffene Maßnahme einen Beitrag zur Zielerreichung geleistet hat (BVerfG a.a.O., m.w.N.). Darüber hinaus beruhten die Finanzprobleme der Rentenversicherung eben nicht allein auf der Wiedervereinigung, sondern auch auf der ausufernden Frühverrentungspraxis.
Die vorzeitige Anhebung der Altersgrenze war eine zur Zielerreichung erforderliche Maßnahme. Das Bundesverfassungsgericht verneint die Erforderlichkeil nur, wenn evident ist, dass die angestrebten Einsparungen mit weniger eingreifenden Mitteln hätten erreicht werden können (E 76, 220, 241). Die Kammer verkennt nicht, dass die im Rechtsgutachten genannten möglichen weiteren Maßnahmen (Erhöhung des Bundeszuschusses oder Verminderung der Rentenanpassung) ebenfalls zur Zielerreichung geeignet gewesen wären. Dies schließt jedoch die Erforderlichkeil der Regelung nicht aus, weil der Gesetzgeber insoweit ist frei bei der Wahl seiner Mittel. Nicht nur hinsichtlich der Geeignetheit, sondern auch hinsichtlich der Erforderlichkeil hat der Gesetzgeber einen erheblichen Beurteilungs-, Prognose- und Handlungsspielraum (BVerfGE 53, 257, 293). Vergegenwärtigt man sich ferner, dass nach dem Willen des Gesetzgebers der Frühverrentungspraxis Einhalt geboten werden sollte, war die vorzeitige Anhebung der Altersgrenzen zudem das wesentlich sachnähere Mittel gegenüber etwa einer Erhöhung des Bundeszuschusses bzw. Verminderung der Rentenanpassung.
Durch die vorzeitige Anhebung der Altersgrenzen sind die Betroffenen nicht übermäßig belastet worden (so genannte Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne). Das gilt auch soweit Vertrauensschutzgesichtspunkte zu berücksichtigen sind. Eine Maßnahme ist dann unzulässig, wenn sie außer Verhältnis steht zu dem angestrebten Zweck. Es geht um die Abwägung des öffentlichen Interesses an der Neuregelung mit dem Interesse der Betroffenen an dem Fortbestand der bisherigen Regelung (BVerfGE 70, 101, 114). Grundsätzlich soll sich der Bürger bei seiner persönlichen Lebensgestaltung und seinen wirtschaftlichen Dispositionen auf die geltende Rechtsordnung verlassen und auf sie vertrauen können (BVerfGE 76, 256, 350). Bei der Prüfung der Frage der Zumutbarkeit ist auch in Betracht zu ziehen, ob der Gesetzgeber in geeigneter Weise die Auswirkungen der Neuregelung durch eine angemessene Übergangsregelung abgemildert hat (BVerfG a.a.O., 359).
Angesichts des gesetzgeberischen Ziels, der Frühverrentungspraxis der großen Unternehmen auf Kosten der Sozialversicherungssysteme möglichst schnell Einhalt zu gebieten, erscheint die Belastung für den Kläger als zumutbar im Sinne der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts: Zunächst ist es nicht zwingend, davon auszugehen, dass eine einmal bestehende Vertrauensschutzregelung nicht noch einmal geändert werden kann. Der Kläger steht auf dem Standpunkt, dass die durch das Rentenreformgesetz 1992 geschaffene Regelung des § 41 SGB VI vom Gesetzgeber nicht mehr habe angetastet werden dürfen. Dem stimmt die Kammer nicht zu. Unbeschränkte Bestandskraft kann auch eine Vertrauensschutzregelung (hier die über einen sehr langen Zeitraum erstreckte Anhebung der Altersgrenzen) nicht haben. Denn das würde die Handlungsfreiheit des Gesetzgebers zu weitgehend einschränken. Vielmehr muss er auf veränderte Bedingungen auch reagieren können (vgl. Binne, a.a.O., 150). Allerdings müssen nachvollziehbare Gründe dafür vorliegen, von einer einmal getroffenen Vertrauensschutzregelung wieder abzuweichen. Ein solcher Grund ist hier die stetig zunehmende Inanspruchnahme der Altersrente wegen Arbeitslosigkeit und die dadurch (mit-) verursachte problematische Finanzentwicklung der gesetzlichen Rentenversicherung (Binne, a.a.O.). Die ursprüngliche Vertrauensschutzregelung war äußerst großzügig und gilt für den von der Übergangsvorschrift (§ 237 Abs. 4 SGB VI) erfassten Personenkreis weiter. Die übrigen Versicherten, die zum Zeitpunkt des Kabinettsbeschlusses (14.02.1996) noch nicht arbeitslos oder noch nicht 55 Jahre alt waren, hatten nach der Vorstellung des Gesetzgebers noch ausreichend Zeit, sich auf die neue Lage einzustellen. Für diesen Personenkreis ging der Gesetzgeber - aus der Sicht der Kammer zutreffend - davon aus, dass die gesetzliche Neuregelung keine unzumutbaren Härten enthält. Dass auch der Kläger im konkreten Fall noch auf die neue Gesetzeslage reagieren konnte (und damit die Erwartung des Gesetzgebers zutraf) ergibt sich für die Kammer schon aus dem Umstand, dass die betroffenen Arbeitnehmer des C.-Werkes bereits ca. einen Monat nach dem Kabinettsbeschluss (und noch vor lnkrafttreten des Gesetzes) eine Erhöhung ihrer Versorgungszusage im Rahmen einer Ergänzung der Betriebsvereinbarung erreicht hatten (Ausgleich der zu erwartenden Abschläge bis zu einem Abschlag von 10,8 %). ln diesem Zusammenhang lässt die Kammer die Frage offen, ob - wie es die Arbeitgeberauskunft vom 18.10.2002 nahe legt - für den Kläger zudem eine realistische Wiedereinstellungsmöglichkeit bestanden hat. Denn eine unzumutbare Belastung des Klägers liegt auch deshalb nicht vor, weil der Kläger an der Entstehung seiner Arbeitslosigkeit mitgewirkt und freiwillig an dem Frühverrentungsmodell teilgenommen hat. Insoweit stimmt die Kammer den Ausführungen der Beklagten zu, dass lediglich von einem eingeschränkt schützenswerten Vertrauen des Klägers auszugehen ist, denn er war einer derjenigen, der von der Zweckentfremdung der Altersrente wegen Arbeitslosigkeit profitiert hat. Gerade sein Personenkreis sollte vom Gesetzgeber mit der gesetzlichen Neuregelung erreicht werden. Ferner stehen dem Nachteil der Abschlagsregelung die wirtschaftlichen Vorteile der Frühverrentungsvereinbarung und nicht zuletzt der vorgezogene Ruhestand gegenüber. Außerdem muss bei der Abwägung berücksichtigt werden, dass der Gesetzgeber die Möglichkeit der Inanspruchnahme der Rente ab 60 aufrecht erhalten hat und die Absenkung des Rentenbetrages durch freiwillige Rentenbeiträge abgewendet werden kann (vgl. § 187 a SGB VI).
Daneben ist die gesetzliche Regelung aber auch deshalb verfassungsmäßig, weil sie aufgrund eines hohen Gemeinschaftsgutes erfolgte und zudem eine vom Gesetzgeber unerwünschte, von den Arbeitgebern und Arbeitnehmern aber gemeinsam verursachte Ausnutzung der Regelungen des Rentenreformgesetzes 1992 beseitigte: Die Konsolidierung und Stabilisierung der Finanzentwicklung der Rentenversicherung ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht nur ein hohes Gemeinschaftsgut als solches, sondern ihm kommt auch eine so hohe Bedeutung zu, dass zu seinem Schutz in Situationen, in denen sich die Lage der öffentlichen Haushalte dramatisch verschlechtert, aus akuten Gründen Gesetzesregelungen getroffen werden dürfen, mit denen das Vertrauen gerade auch härter betroffener Versicherter enttäuscht werden darf (BVerfGE 76, 256, 357, 358). Eine solche dramatische Verschlechterung der Finanzierbarkeit der gesetzlichen Rentenversicherung hatte sich gerade Mitte der 90er Jahre eingestellt (vgl. Binne, a.a.O., S. 147 ff.). Hinzu kam, dass die dramatische Entwicklung gerade bei den Altersrenten wegen Arbeitslosigkeit zusätzlich auf einem (zusammenwirkenden) Verhalten von Arbeitnehmern und Arbeitgebern beruhte und dem Sinn der Altersrente wegen Arbeitslosigkeit widersprach (vgl. ebenso LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 27.06.2002- L 1 RA 239101 -).
Schließlich liegt auch ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG nicht vor. Der Gleichbehandlungsgrundsatz verpflichtet den Gesetzgeber, Gleiches gleich und Ungleiches entsprechend seiner Eigenart verschieden zu behandeln (BVerfGE 3, 58, 135 ff.). Dabei darf der Gesetzgeber weder wesentlich Gleiches willkürlich ungleich noch wesentlich Ungleiches willkürlich gleich behandeln (BVerfGE 49, 148, 165). Soweit der Kläger meint, eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung liege vor bzgl. Altersrentnern, die wegen Arbeitslosigkeit vorzeitig in Rente gehen einerseits und Versicherten, die nicht arbeitslos werden (BI. 43 des Rechtsgutachtens) trifft dies nicht zu. Denn die erste Gruppe hat in der Regel weniger Beiträge bis zum Rentenbeginn einbezahlt und verlangt eine längere Rentenlaufzeit. Daher ist es gerechtfertigt, diese Gruppe anders - im Ergebnis schlechter - zu behandeln als die zweite Gruppe.
Auch gegenüber Frauen, für die die Anhebung der Altersgrenzen bei der Altersrente für Frauen erst ab Jahrgang 1940 gilt, liegt eine unzulässige Benachteiligung nicht vor. Denn die Frühverrentungsmodelle betrafen hauptsächlich Männer (vgl. auch die statistischen Angaben zum Rentenzugang). Ferner hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass der Gesetzgeber berechtigt ist, einen rentenrechtlichen Ausgleich für Frauen zu schaffen, da sie - generell gesehen - einer Mehrfachbelastung durch Haushalt, Schwangerschaft, Kindererziehung und Beruf ausgesetzt sind (BVerfGE 74, 163, 180 ff.).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Das Gericht hat die Sprungrevision zugelassen, weil es dem Rechtsstreit grundsätzliche Bedeutung beimisst (§ 161 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG). Eine Entscheidung des BSG zu der hier maßgeblichen Rechtsfrage liegt noch nicht vor. Zudem ist eine erhebliche Zahl von Versicherten von der vorgezogenen Anhebung der Altersgrenzen betroffen.
Rechtskraft
Aus
Login
HES
Saved