S 8 VE 6/13

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Kassel (HES)
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
8
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
S 8 VE 6/13
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zur Anerkennung einer Colitis ulcerosis als Wehrdienstbeschädigung im Rahmen der Kannversorgung
1. Der Bescheid der Beklagten vom 07.10.2010 in der Fassung des Beschwerdebescheides vom 14.02.2013 wird aufgehoben, und die Beklagte wird verurteilt, für den Kläger eine "colitis ulcerosa" als Folge einer Wehrdienstbeschädigung i.S.d. § 81 SVG festzustellen. Der Bescheid vom 18.09.2009 in der Fassung des Beschwerdebescheides vom 14.02.2013 wird abgeändert und die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger für die "einsatzbedingte posttraumatische Belastungsstörung" und "colitis ulcerosa" Beschädigtenversorgung nach einem GdS von 50 ab dem 25.03.2006 zu gewähren. Der Bescheid vom 08.03.2012 in der Fassung des Beschwerdebescheides vom 14.02.2013 in der Fassung des Teilanerkenntnisses der Beklagten vom 06.04.2018 wird abgeändert und die Beklagte wird verurteilt, für den Kläger ab dem 01.05.2012 insgesamt Beschädigtenversorgung nach einem GdS von 40 zu gewähren.

2. Die Beklagte hat dem Kläger seine notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob die Gesundheitsstörung "colitis ulcerosa" beim Kläger als Wehrdienstbeschädigung anzuerkennen ist. Des Weiteren streiten die Parteien über die Höhe des insgesamt bei dem Kläger anzuerkennenden Grades der Schädigung (GdS) und in der Folge über die Höhe der Beschädigtenrente nach dem Gesetz über die Versorgung für die ehemaligen Soldaten der Bundeswehr und ihre Hinterbliebenen (Soldatenversorgungsgesetz - SVG) i. V. m. den Regelungen des Gesetzes über die Versorgung der Opfer des Krieges (Bundesversorgungsgesetz - BVG).

Der 1981 geborene Kläger ist seit dem 02.01.2003 Berufssoldat und nahm in der Zeit vom 04.12.2005 bis zum 25.03.2006 an einem Bundeswehreinsatz in Q. in Afghanistan teil.

Auf seinen Antrag vom 09.03.2007 (Bl. 3 der Verwaltungsakte) hatte die Beklagte mit Bescheid vom 12.11.2007 (Bl. 125 ff. der Verwaltungsakte) die Gesundheitsstörung "Empfindungsstörung im linken Wangenbereich nach Osteosynthesematerialentfernung" als Folge einer Wehrdienstbeschädigung anerkannt. Die Empfindungsstörung nach der durchgeführten Kieferoperation am 06.11.2006 sei negative Folge truppenärztlicher Behandlung.

Am 11.03.2008 (Bl. 133 ff. der Verwaltungsakte) stellte der Kläger bei der Beklagten einen Antrag auf Anerkennung einer "colitis ulcerosa" als Wehrdienstbeschädigung, an der er ca. 3 Wochen nach dem Einsatz erkrankt sei. Die Erkrankung sei nunmehr chronisch geworden und habe sich trotz intensiver truppenärztlicher und ziviler Behandlung nicht verbessert. Der Kläger stellte außerdem einen Antrag auf Anerkennung seines psychischen Krankheitsbildes als Wehrdienstbeschädigung. Er habe bisher kein Einsatznachbereitungsseminar besucht, bei dem er habe offen mit geschultem Personal über seine Erlebnisse im Einsatz sprechen können. Die armselige Lage der zivilen afghanischen Bevölkerung habe ihn extrem beschäftigt. Am meisten habe ihn aber die Lebenssituation der Kleinkinder als junger Vater seines 2004 geborenen Sohnes C., damals kaum ein Jahr alt, negativ psychisch belastet. Kinder seien auf offener Straße von der einheimischen Bevölkerung verprügelt worden, die Mädchen misshandelt etc.

Die Beklagte zog diverse medizinische Unterlagen bei und ließ sodann eine versorgungsmedizinische Stellungnahme bei dem Facharzt für Arbeitsmedizin, Sozialmedizin und Umweltmedizin, Dr. D., vom 07.12.2008 erstellen (ab Bl. 284 ff. der Verwaltungsakte). Dr. D. empfahl eine internistisch-gastroenterologische Begutachtung und eine psychiatrische Begutachtung. Die Beklagte veranlasste daraufhin zunächst eine Begutachtung auf internistisch-gastroenterologischem Fachgebiet bei dem Facharzt für Innere Medizin Prof. E. Prof. E. führte in seinem Gutachten vom 20.05.2009 (ab Bl. 322 ff. der Verwaltungsakte) aus, dass sich insgesamt in den vom 30.03.2009 bis 03.04.2009 durchgeführten gastroenterologischen Untersuchungen im Bundeswehrkrankenhaus Ulm keine Beweise für das Vorliegen einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung im Sinne einer colitis ulcerosa oder eines Morbus Crohn ergeben hätten. Somit könne eine chronisch-entzündliche Darmerkrankung nicht mit hinreichender Sicherheit als nachgewiesen gewertet werden.

Die Beklagte veranlasste weiterhin ein Gutachten auf psychiatrischem Fachgebiet bei dem Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. F. Dr. F. führte in seinem Gutachten vom 10.07.2009 (ab Bl. 340 ff. der Verwaltungsakte) aus, dass beim Kläger nach DSM IV alle Kriterien für die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) erfüllt seien. Die Ursache stehe in einem wahrscheinlichen Zusammenhang mit dem Auslandseinsatz in Afghanistan, dies stelle die wesentliche Ursache dar. Die PTBS könne auf den Auslandseinsatz zurückgeführt werden. Den Grad der Schädigung gab der Gutachter i. H. v. 40 an. Der Gutachter empfahl eine Nachbegutachtung in 12 Monaten nach Abschluss der ambulanten Psychotherapie. In seiner abschließenden versorgungmedizinischen Stellungnahme vom 23.08.2009 (Bl. 349 f. der Verwaltungsakte) empfahl Dr. D., bei dem Kläger eine "Einsatzbedingte posttraumatische Belastungsstörung" als Wehrdienstbeschädigung ab dem Monat März 2006 anzuerkennen und hierfür einen GdS von 40. Dr. D. folgte der Empfehlung von Dr. F. einer psychiatrischen Nachbegutachtung nach 12 Monaten. Dann könne auch die Frage eines Kausalzusammenhangs zwischen der als Wehrdienstbeschädigung geltend gemachten Darmerkrankung und der posttraumatischen Belastungsstörung geklärt werden.

Mit Teil-Bescheid vom 18.09.2009 (Bl. 358 ff. der Verwaltungsakte) erkannte die Beklagte als weitere Folge einer Wehrdienstbeschädigung im Sinne des § 81 SVG eine "Einsatzbedingte posttraumatische Belastungsstörung" an und gewährte dem Kläger einen Ausgleich nach § 85 SVG nach einem GdS von 40 ab dem 25.03.2006. Hiergegen erhob die Prozessbevollmächtigte des Klägers mit Schreiben vom 23.10.2009 Beschwerde.

Entsprechend der Empfehlung einer Nachbegutachtung nach Ablauf eines Jahres veranlasste die Beklagte ein Gutachten nach Aktenlage auf psychiatrischem Fachgebiet bei Dr. F. zu der Frage eines Kausalzusammenhangs zwischen der Darmerkrankung und der posttraumatischen Belastungsstörung. Dr. F. führte in seinem Gutachten vom 05.08.2010 (Bl. 462 f. der Verwaltungsakte) aus, dass ein kausaler Zusammenhang zwischen der Darmerkrankung und der posttraumatischen Belastungsstörung nicht auszuschließen sei, ggf. als Möglichkeit in Betracht zu ziehen sei, aber nicht wahrscheinlich sei. In einer versorgungsmedizinischen Stellungnahme der Sozialmedizinerin G. vom 29.09.2010 (Bl. 468 f. der Verwaltungsakte) führte diese aus, dass sie sich der Auffassung von Dr. F. anschließe, dass lediglich die Möglichkeit eines kausalen Zusammenhangs zwischen der Darmsymptomatik und der PTBS bestehe, jedoch nicht die im sozialen Entschädigungsrecht geforderte Wahrscheinlichkeit.

Mit Bescheid vom 07.10.2010 (Bl. 479 ff. der Verwaltungsakte) lehnte es die Beklagte ab, als weitere Folge einer Wehrdienstbeschädigung im Sinne des § 81 SVG eine "wiederkehrende Darmentzündung, konservativ behandelt" anzuerkennen und dem Kläger hierfür einen Ausgleich nach § 85 SVG zu gewähren. Den vom Kläger angeschuldigten dienstlichen Belastungen während des Auslandseinsatzes vom 04.12.2005 bis 25.03.2006 könne keine wesentliche Bedeutung für die Entstehung dieser Gesundheitsstörung beigemessen werden, da es sich um eine schicksalhafte Erkrankung handele, deren Verlauf überwiegend von körpereigenen Faktoren bestimmt werde. Gegen diesen Bescheid erhob die Prozessbevollmächtigte des Klägers mit Schreiben vom 05.11.2010 Beschwerde. Der Auslandseinsatz des Klägers sei ursächlich für seine nunmehr vorhandene Darmerkrankung. Es gebe durchaus Meinungen in der Medizinwissenschaft, die hier von einer Kausalität ausgingen. Deshalb sei nach § 81 Abs. 6 SVG die Möglichkeit der Anerkennung dieser Gesundheitsschädigung als Folge einer Wehrdienstbeschädigung gegeben.

Die Beklagte veranlasste in der Folge eine Nachbegutachtung auf psychiatrischem Fachgebiet bei Dr. F. Dr. F. untersuchte den Kläger am 16.03.2011 ambulant und führte in seinem Gutachten vom 18.03.2011 (Bl. 501 f. der Verwaltungsakte) aus, dass nur (noch) eine diskrete Restsymptomatik der einsatzbedingten psychischen Störung bei dem Kläger vorliege, die mit einer MdE von 10 zu bewerten sei. Der Kläger habe während der Begutachtung angegeben, dass er seit mindestens einem halben Jahr keine Schlafstörungen mehr habe, so dass Dr. F. die MdE i. H. v. 10 seit Oktober 2010 empfahl. Dementsprechend empfahl die Sozialmedizinerin G. in ihrer versorgungsmedizinischen Stellungnahme vom 13.05.2011 (Bl. 508 der Verwaltungsakte), die Wehrdienstbeschädigung beim Kläger neu zu einer "nahezu abgeklungenen einsatzbedingten Posttraumatischen Belastungsstörung" zu fassen und hierfür einen GdS von 10 zu gewähren.

Mit Schreiben vom 15.08.2011 (Bl. 516 der Verwaltungsakte) hörte die Beklagte den Kläger zu einer beabsichtigten Teilaufhebung des Bescheides vom 18.09.2009 an.

Am 31.08.2011 stellte der Kläger bei der Beklagten einen Verschlechterungs- bzw. einen neuen Antrag (Bl. 519 der Verwaltungsakte), der neben den bereits bekannten Leiden "entzündliche Darmerkrankung" und erlebnisreaktive Störung/posttraumatischen Belastungsstörung" eine "entzündlich rheumatische Erkrankung" als Wehrdienstbeschädigung umfasste.

Nach Beiziehung diverser medizinischer Unterlagen ließ die Beklagte eine versorgungsmedizinische Stellungnahme bei dem Facharzt für Innere Medizin Dr. H. vom 03.02.2011 erstellen (ab Bl. 591 ff. der Verwaltungsakte).

Mit Bescheid vom 08.03.2012 (Bl. 602 ff. der Verwaltungsakte) hob die Beklagte den Bescheid vom 18.09.2009 zum 01.05.2012 insoweit auf, als dort ein Ausgleich nach einem GdS von 40 gezahlt wurde. Die in dem dortigen Bescheid gefasste Gesundheitsstörung fasste sie neu zu "diskrete Restsymptomatik einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTPS)" und bewertete diese mit einem GdS von unter 25. Die weiterhin festgestellten Gesundheitsstörungen "rezidivierende depressive Störung" und "entzündlich rheumatische Erkrankung der Wirbelsäule" seien nicht Folgen einer Wehrdienstbeschädigung. Hiergegen erhob die Prozessbevollmächtigte des Klägers mit Schreiben vom 12.04.2012 Beschwerde, die mit Schreiben vom 15.06.2010 begründet wurde. Die als Wehrdienstbeschädigung anerkannte psychische Gesundheitsstörung habe sich nicht so weit gebessert, dass diese nur noch mit einem GdS von 10 zu bewerten sei. Dies werde sich aus einem im Klageverfahren zu beantragenden Sachverständigengutachten ergeben.

Die Beklagte ließ eine versorgungmedizinische Stellungnahme bei der Sozialmedizinerin Dr. J. vom 11.11.2012 erstellen (Bl. 39 ff. der Beschwerdeakte). Frau Dr. J. schloss sich den Ausführungen im gastroenterologischen Gutachten vom 20.05.2009 von Prof. E. an, insbesondere dazu, dass eine chronisch-entzündliche Darmerkrankung nicht mit hinreichender Sicherheit nachgewiesen sei. Deshalb komme auch eine Kannversorgung nicht in Betracht. Unterstelle man aber, dass es sich bei dem Krankheitsbild des Klägers tatsächlich um eine colitis ulcerosa handele, sei unter dem Gesichtspunkt der Kannversorgung zu prüfen, ob der Soldat körperlichen Belastungen oder Witterungseinflüssen, die nach Art, Dauer und Schwere geeignet gewesen seien, die Resistenz herabzusetzen, ausgesetzt gewesen sei, er unter auf den Wehrdienst zurückzuführenden Krankheiten gelitten habe, bei denen eine erhebliche Herabsetzung der Resistenz infrage komme oder er aber mit lang dauernden, schweren, tiefen, in das Persönlichkeitsgefüge eingreifenden psychischen Belastungen konfrontiert gewesen sei. Voraussetzung für eine Kannversorgung könnten, wenn denn solche Umstände als Schädigungstatbestände tatsächlich vorgelegen hätten, dann in Betracht gezogen werden, wenn die ersten Symptome der Darmkrankheit während der Einwirkung der genannten Faktoren oder längstens sechs Monate danach aufgetreten seien. Die Diagnose sei aber nicht sichergestellt, so dass auch keine Versorgung im Rahmen der Kannversorgung in Betracht komme.

Mit Beschwerdebescheid vom 14.02.2013 wies die Beklagte die Beschwerden vom 23.10.2009, 05.11.2010 und 12.04.2012 gegen die Bescheide vom 18.09.2009, 07.10. 2010 und 08.03.2012 als unbegründet zurück. Bei dem Kläger liege nur noch eine "diskrete Restsymptomatik einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS)" vor, durch die ein ausgleichsberechtigender GdS nicht mehr bedingt werde. Ein ursächlicher Zusammenhang der beim Kläger festgestellten Gesundheitsstörungen "wiederkehrende Darmentzündung, konservativ behandelt, rezidivierende depressive Störung, HLA-B 27-assoziierte Spondarthritis mit Sacroiliitis (entzündlich rheumatische Erkrankung der Wirbelsäule)" mit wehrdienstlichen Einflüssen, insbesondere den physischen und psychischen Belastungen durch den Einsatz in Afghanistan von Dezember 2005 bis März 2006 seien weder im Sinne der Entstehung noch im Sinne der Verschlimmerung gegeben. Insofern werde auf die versorgungsmedizinische gutachterliche Stellungnahme vom 11.11.2012 verwiesen.

Hiergegen richtet sich die am 14.03.2013 zum Sozialgericht Kassel erhobene Klage, die unter dem Az. S 8 VE 6/13 angelegt wurde und mit der der Kläger zum einen die Anerkennung einer "colitis ulcerosa" als Wehrdienstbeschädigung erstrebt, hierfür einen angemessenen GdS und sich im Übrigen gegen die Herabsetzung des GdS für seine wehrdienstbedingten psychischen Beeinträchtigungen wehrt.

Im Klageverfahren hat das Gericht zunächst aktuelle Befunde bei den den Kläger behandelnden Ärzten eingeholt und zwar beim Gastroenterologen Dr. K. vom 04.08.2013 (Bl. 50 der Gerichtsakte), der Klinik Bad Hersfeld vom 08.10.2013 (Bl. 68 ff. der Gerichtsakte), dem Fachsanitätszentrum L. vom 08.07.2013 (Bl. 51 ff. der Gerichtsakte) und der Fachärztin für Rheumatologie Dr. M. vom 10.07.2013 (Bl. 48 ff der Gerichtsakte). In ihrer versorgungsmedizinischen Stellungnahme vom 16.11.2013 (Bl. 97 ff. der Gerichtsakte) hat die Sozialmedizinerin Dr. J. ausgeführt, dass sich aus den im Klageverfahren vorgelegten Unterlagen keine andere Bewertung als die in ihrer Stellungnahme vom 11.11.2012 ergebe.

Sodann hat das Gericht ein Gutachten bei dem Facharzt für Innere Medizin, Dr. N., eingeholt, welches dieser aufgrund der Beweisanordnung des Gerichts vom 20.01.2014 nach einer Untersuchung des Klägers am 31.03.2014 noch am selben Tag erstellt hat, das Gutachten dem Gericht jedoch erst am 02.03.2015 übersandt hat. Bei dem Kläger liege die gesicherte Diagnose einer colitis ulcerosa vor. Als wesentliches diagnostisches Kriterium würden hier Durchfälle mit Blutbeimengung gefolgt von endoskopischen Untersuchungen gelten. Entsprechende Berichte oder Befunde über vorwehrdienstliche blutige Durchfälle lägen nicht vor. Erstmals seien bei dem Kläger drei Tage nach der Rückkehr aus Afghanistan blutige Durchfälle aufgetreten. Als auslösende Belastungsfaktoren seien äußere Bedingungen und seelische Faktoren zu berücksichtigen. Da jedoch nicht erkennbar sei, dass bei dem Kläger Witterungs- oder Ernährungseinflüsse während des Afghanistanaufenthaltes eine krankheitsauslösende Rolle gespielt haben könnten, sei im Falle des Klägers ein Zusammenhang mit seelischen Faktoren naheliegend. Diese würden auch ausreichen, um den Kausalitätsanforderungen nach der "Kannversorgung" zu genügen. Nach den Vorgaben der Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) handele es sich jedoch um einer colitis ulcerosa mit geringer Auswirkung. Berücksichtige man die Notwendigkeit einer Dauerbehandlung und während der Schübe einer zusätzlichen Cortisonbehandlung, halte er einen GdS von 20 hierfür für angemessen.

In der versorgungmedizinischen Stellungnahme der Allgemeinmedizinerin/ Sozialmedizinerin G. vom 30.06.2015 (Bl. 211 - 214 der Gerichtsakte) hat diese ausgeführt, dass entgegen den Ausführungen des Gutachters nicht vom Vorliegen der Erkrankung colitis ulcerosa im Vollbeweis ausgegangen werden könne. Selbst wenn man dies täte, sei der zeitliche Rahmen in Bezug auf den bis März 2006 andauernden Auslandseinsatz nach Aktenlage nicht eingehalten.

In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 14.06.2016 (Bl. 242 - 247 der Gerichtsakte) ist der Sachverständige bei seiner Auffassung verblieben, dass bei dem Kläger eine colitis ulcerosa im Vollbeweis vorliege. Im Rahmen der "Kannversorgung" sei das posttraumatische Belastungssyndrom als krankheitsauslösend zu werten. Der Einschätzung des gerichtlichen Sachverständigen hat sich auch die Sozialmedizinerin Dr. O. in ihrer Stellungnahme vom 06.10.2016 (Bl. 262 ff. der Gerichtsakte) angeschlossen und ausgeführt, dass durch den gerichtlichen Sachverständigen nachvollziehbar die Diagnose der colitis ulcerosa als im Vollbeweis gesichert dargestellt werde mit diesbezüglich ausführlicher Begründung. Frau Dr. O. führte aus, dass im Allgemeinen für die colitis ulcerosa bekannt sei, dass Stress und Belastungen wesentlich zu einem schwierigen Verlauf beitrügen und aktive Schübe der Krankheit auslösen könnten. Begründend und das Gutachten des Sachverständigen stützend würden hierzu in den ärztlichen Anhaltspunkten (AHP, S. 226-227) in Ergänzung zur VersMedV unter c) "langdauernde, schwere, tief in das Persönlichkeitsgefüge eingreifende psychische Belastungen" aufgeführt, die mit der Diagnosestellung der einsatzbedingten PTBS bei dem Kläger vorlägen. Die Ätiologie und Pathogenese der colitis ulcerosa seien in der Wissenschaft noch weitgehend ungeklärt, dennoch würden verschiedene Faktoren als auslösend diskutiert (Umweltfaktoren wie Hygiene und Ernährung, genetische Prädisposition (mit krankhaft gesteigerter Autoimmunreaktion), virale und bakterielle Infektion, psychosomatische Mechanismen). Der Vorschlag des Sachverständigen der Anerkennung im Rahmen der Kannversorgung sei daher plausibel. Dieser Empfehlung seines eigenen ärztlichen Dienstes hat sich der Beklagte durch seine Ausführungen im Schriftsatz vom 21.10.2016 nicht angeschlossen.

Nach dem ersten Termin zur mündlichen Verhandlung am 23.02.2017 hat das Gericht ein Gutachten bei dem Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. P. eingeholt, welches dieser aufgrund der Beweisanordnung des Gerichts vom 27.02.2017 am 05.06.2017 erstellt hat. Dr. P. hat ausgeführt, dass bei dem Kläger weiterhin eine posttraumatische Belastungsstörung vorliege, die als gesundheitliche Schädigungsfolge eines Auslandseinsatzes in Afghanistan zu verstehen sei. Diese sei ursprünglich mit einem GdS von 40 zu bewerten gewesen und erst ab Oktober 2010 mit einem GdS von 30 zu bewerten.

Die Beklagte ist diesem Gutachten von Dr. P. gefolgt und hat mit Schreiben vom 06.04.2018 ein Teilanerkenntnis dergestalt abgegeben, dass sie den Änderungsbescheid vom 08.03.2012 in Gestalt des Beschwerdebescheides vom 14.02.2013 insoweit abgeändert hat, als dass sie den Tenor für die Leidensbezeichnung der anerkannten Gesundheitsstörung in "psychoreaktive Störung" umbenannt hat und hierfür ab dem 01.05.2012 einen Grad der Schädigungsfolgen (GdS) i.H.v. 30 v. H. anerkannt hat. Dieses Teilanerkenntnis hat die Prozessbevollmächtigte des Klägers mit Schriftsatz vom 15.08.2018 für den Kläger angenommen.

Der Kläger beantragt nunmehr nur noch,
den Bescheid der Beklagten vom 07.10.2010 in der Fassung des Beschwerdebescheides vom 14.02.2013 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, für den Kläger eine "colitis ulcerosa" als Folge einer Wehrdienstbeschädigung im Sinne des § 81 SVG festzustellen, den Bescheid vom 18.09.2009 in der Fassung des Beschwerdebescheides vom 14.02.2013 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger für die "einsatzbedinge posttraumatische Belastungsstörung" und "colitis ulcerosa" Beschädigtenversorgung nach einem GdS von 50 ab dem 25.03.2006 zu gewähren und den Bescheid vom 08.03.2012 in der Fassung des Beschwerdebescheides vom 14.02.2013 in der Fassung des Teilanerkenntnisses der Beklagten vom 06.04.2018 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, für den Kläger ab dem 01.05.2012 insgesamt Beschädigtenversorgung nach einem GdS von 40 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Sie vertritt weiterhin die Auffassung, dass die colitis ulcerosa beim Kläger nicht als im Vollbeweis gesichert angenommen werden kann. Im Übrigen würden auch nicht die Voraussetzungen der Kannversorgung beim Kläger vorliegen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach-und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und den Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen, die das Gericht beigezogen hat und die Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung der Kammer gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage hat in dem tenorierten Umfang auch Erfolg.

Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage gemäß § 54 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) bzw. als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 4 SGG statthaft. Sie ist form- und fristgerecht vor dem zuständigen Sozialgericht erhoben worden (§§ 87, 90 SGG).

Die Beklagte ist nach der Änderung des § 88 Abs. 1 S. 1 SVG, wonach die Soldatenversorgung aufgrund des Gesetzes zur Übertragung der Zuständigkeiten der Länder im Bereich der Beschädigten- und Hinterbliebenenversorgung nach dem dritten Teil des SVG (§§ 80 - 86) auf den Bund vom 15. Juli 2013 (BGBl I S. 2416) nunmehr von Behörden der Bundeswehrverwaltung durchgeführt wird, seit dem 1. Januar 2015 auch für in der Vergangenheit geltend gemachte Ansprüche für die Ausführung des BVG zuständig. Insoweit kommt es nicht auf die nach früherer Rechtslage zu treffende Zuständigkeitsabgrenzung zwischen der Bundeswehrverwaltung und den damals noch für die Ausführung des BVG zuständigen Behörden nach § 88 SVG alte Fassung an, also ob es um die Feststellung von Folgen einer Wehrdienstbeschädigung geht, die bereits während des Wehrdienstes vorgelegen haben oder die erst nach dessen Ende aufgetreten sind (BSG, Urteil vom 18. November 2015 – B 9 V 1/15 R; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 27. August 2015 – L 6 VS 4569/14). Maßgeblich für die vom Kläger erhobene Klage ist die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leithherer, Kommentar zum SGG, 12. Aufl. 2017, § 54 Rnr. 34).

Eine notwendige Beiladung nach § 75 Abs. 2 SGG war nicht vorzunehmen. Die Mitwirkung einer anderen Stelle bei der Erteilung eines Verwaltungsaktes kann eine solche zwar bedingen (BSG, Urteil vom 30. September 2009 – B 9 VS 3/09 R). Der Kläger begehrt unter anderem mit seiner Klage die Anerkennung einer colitis ulcerosa im Rahmen der Kannversorgung. Insofern sieht § 81 Abs. 6 S. 2 SVG vor, dass nur mit Zustimmung des Bundesministeriums der Verteidigung im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales die Gesundheitsstörung als Folge einer Wehrdienstbeschädigung anerkannt werden kann, wobei die Zustimmung auch allgemein erteilt werden kann, wenn die zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Wehrdienstbeschädigung erforderliche Wahrscheinlichkeit nur deshalb nicht gegeben ist, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit besteht. Mit Schriftsatz vom 14.03.2017 hat die Beklagte insofern auf ein Rundschreiben des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom 7. November 2016 verwiesen, mit dem dieses die gemäß § 81 Abs. 6 S. 2 SVG am 12. Dezember 1996 für einige Fallkonstellationen - darunter nach spezifischen Voraussetzungen auch die colitis ulcerosa - erteilte allgemeine Zustimmung aufgehoben hat. Jedenfalls eine Beiladung des Bundesministeriums der Verteidigung war nicht erforderlich, da die Beklagte bereits durch das Bundesamt für das Personalmanagement der Bundeswehr, einer Bundesoberbehörde, deren übergeordnete Behörde das Verteidigungsministerium ist, vertreten wird.

Die Klage ist auch im tenorierten Umfang begründet. Denn der Kläger hat sowohl einen Anspruch auf Anerkennung einer "colitis ulcerosa" als Wehrdienstbeschädigung gegen die Beklagte als auch einen Anspruch auf Gewährung einer Beschädigtenversorgung in Form einer Beschädigtenrente hierfür in Verbindung mit der als Wehrdienstbeschädigung bereits anerkannten "psychoreaktiven Störung" nach den §§ 80, 81 SVG i.V.m. mit den §§ 30, 31 BVG.

Dabei brauchte das Gericht nicht mehr über die Bewertung der beim Kläger vorliegenden psychischen Beeinträchtigungen infolge des Auslandsaufenthaltes in Q. vom Dezember 2006 bis März 2007 zu entscheiden, nachdem die Beklagte im laufenden Klageverfahren am 06.04.2018 insofern dem Sachverständigengutachten von Dr. P. folgend anerkannt hat, dass diese ab dem 01.05.2012 statt wie von ihr ursprünglich angenommen mit einem GdS von 10 nun noch mit einem GdS von 30 zu bewerten sind und der Kläger dieses Teilanerkenntnis mit Schriftsatz vom 15. August 2018 angenommen hat.

Ein Soldat, der eine Wehrdienstbeschädigung erlitten hat, erhält gemäß § 80 S. 1 SVG nach Beendigung des Wehrdienstverhältnisses wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der Wehrdienstbeschädigung auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG, soweit in diesem Gesetz nichts Abweichendes bestimmt ist. Wehrdienstbeschädigung ist nach § 81 SVG eine gesundheitliche Schädigung, die durch eine Wehrdienstverrichtung, durch einen während der Ausübung des Wehrdienstes erlittenen Unfall oder durch die dem Wehrdienst eigentümlichen Verhältnisse herbeigeführt worden ist. Die Versorgung umfasst nach dem insoweit entsprechend anwendbaren § 9 Abs. 1 Nr. 3 BVG die Beschädigtenrente (§§ 29 ff. BVG). Nach § 30 Abs. 1 S. 1 BVG ist der Grad der Schädigungsfolgen (GdS) - bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung des BVG und anderer Vorschriften des Sozialen Entschädigungsrechts vom 13. Dezember 2007 (BGBl I S. 2904) am 21. Dezember 2007 als Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) bezeichnet - nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen, welche durch die als Schädigungsfolge anerkannten körperlichen, geistigen, seelischen Gesundheitsstörungen bedingt sind, in allen Lebensbereichen zu beurteilen. Nachdem für die Beurteilung der MdE und des GdS dieselben Grundsätze gelten, wird im Folgenden allein auf die Beurteilung des GdS Bezug genommen. Der GdS ist nach Zehnergraden von 10 bis 100 zu bemessen; ein bis zu fünf Grad geringerer GdS wird vom höheren Zehnergrad mitumfasst (§ 30 Abs. 1 S. 2 BVG). Beschädigte erhalten gemäß § 31 Abs. 1 BVG eine monatliche Grundrente ab einem GdS von 30. Liegt der GdS unter 25 besteht kein Anspruch auf eine Rentenentschädigung (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 18. Dezember 2014 – L 6 VS 413/13).

Durch diese gesetzlichen Bestimmungen ist nach einhelliger Ansicht in Rechtsprechung und Schrifttum für die Anerkennung von Schädigungsfolgen, welche eine Beschädigtenrente stützen können, eine dreigliedrige Kausalkette vorgegeben: Ein mit dem Wehrdienst zusammenhängender schädigender Vorgang muss zu einer primären Schädigung geführt haben, welche wiederum die geltend gemachte Schädigungsfolge bedingt haben muss. Dabei müssen sich die drei Glieder selbst mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststellen lassen, während für den ursächlichen Zusammenhang eine hinreichende Wahrscheinlichkeit ausreicht (BSG, Urteil vom 16. Dezember 2014 – B 9 V 3/13 R; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 23.06.2016 - L 6 VS 1095/14; Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 26.01.2016, Az. L 15 VK 1/12; Bayerisches LSG, Urteil vom 15.12.2015 – L 15 VS 19/09), wie dies § 81 Abs. 6 S. 1 SVG für die Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Wehrdienstbeschädigung normiert. Diese Grundsätze haben ihren Niederschlag auch in den "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz" in ihrer am 1. Oktober 1998 geltenden Fassung der Ausgabe 1996 (AHP 1996) und nachfolgend - seit Juli 2004 - den "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX)" in ihrer jeweils geltenden Fassung (AHP 2005 und 2008) gefunden, welche zum 1. Januar 2009 durch die Anlage zu § 2 Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (Teil C, Nrn. 1 - 3 und 12 der Anlage zu § 2 VersMedV; vgl. BR-Drucks. 767/1/08, S. 3 f.) inhaltsgleich ersetzt worden ist (vgl. BSG, Urteil vom 16. Dezember 2014 – B 9 V 6/13 R). Das Gericht orientiert sich bei der Beurteilung von MdE und GdS für die Zeit bis zum 31. Dezember 2008 an den im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung als antizipierte Sachverständigengutachten angewandten (BSG, Urteile vom 29. August 1990 – 9 a/9 RVs 7/89; Urteil vom 23. Juni 1993 - 9/9a RVs 1/91, Urteil vom 9. April 1997, 9 RVs 4/95 und Urteil vom 18. September 2003 B 9 SB 3/02 R) AHP in der jeweils geltenden Fassung, danach an den VG (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 18. Dezember 2014 – L 6 VS 413/13).

Hinsichtlich der vorliegend in Betracht kommenden Funktionsbeeinträchtigung "colitis ulcerosa" sieht die VersMedV unter dem Punkt 10.2.2 vor, dass eine solche mit geringer Auswirkung (geringe Beschwerden, keine oder geringe Beeinträchtigung des Kräfte- und Ernährungszustandes, seltene Durchfälle) mit einem GdS von 10 bis 20, mit mittelschwerer Auswirkung (häufig rezidivierende oder länger anhaltende Beschwerden, geringe bis mittelschwere Beeinträchtigung des Kräfte- und Ernährungszustandes, häufiger Durchfälle) mit einem GdS von 30 bis 40, mit schwererer Auswirkung (anhaltende oder häufig rezidivierende erhebliche Beschwerden, erhebliche Beeinträchtigung des Kräfte- und Ernährungszustandes, häufige, tägliche, auch nächtliche Durchfälle) mit einem GdS von 50 bis 60 und mit schwerster Auswirkung (häufig rezidivierende oder anhaltende schwere Beschwerden, schwere Beeinträchtigung des Kräfte- und Ernährungszustandes, ausgeprägte Anämie) mit einem GdS von 70 bis 80 zu bewerten ist.

In Übereinstimmung mit dem gerichtlichen Sachverständigengutachten von Dr. N. und in Abweichung zur Auffassung der Beklagten geht das Gericht zunächst davon aus, dass bei dem Kläger eine colitis ulcerosa im Vollbeweis vorliegt. So hat der Sachverständige Dr. N. in seinem Gutachten vom 31.03.2014 ausgeführt, dass die colitis ulcerosa zusammen mit dem Morbus Crohn zu den chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen gehört. Pathognomonisch für die colitis ulcerosa sei der Befall der Enddarmschleimhaut. Die Diagnose sei beim Kläger durch zahlreiche Spiegelungen (Rektoskopien, Proktoskopien) bestätigt worden. Die entzündlichen Veränderungen der Enddarmschleimhaut seien unterschiedlich stark ausgeprägt gewesen. Die Krankheit verlaufe schubweise, wobei nach einem längeren Intervall eine weitgehend normale Schleimhaut imponieren könne. Dies habe Dr. R., dessen Ausführungen die Grundlage für das Gutachten von Prof. E. gebildet haben, dann zu der Erkenntnis geführt, dass eine colitis ulcerosa nicht nachgewiesen sei. Der Sachverständige hat ausgeführt, dass es sich hierbei um eine Fehleinschätzung gehandelt hat. Entzündliche Veränderungen der Enddarmschleimhaut seien wiederholt bestätigt worden, unter anderem auch 2007 durch den Proktologen Dr. S. Damals seien die Durchfälle auch mit einem Blutabgang verbunden gewesen. Durchfälle mit Blutbeimengung seien immer beweisend für eine Colitis. Bei chronisch-rezidivierenden Verläufen sei die Diagnose einer colitis ulcerosa in hohem Grade wahrscheinlich. Der feingewebliche Befund sei dabei nicht entscheidend, da die colitis ulcerosa mit unspezifischen Veränderungen einhergehen könne. Die Diagnose sei bei dem Kläger auch insofern gesichert, da das Vorliegen einer immunologischen Prädisposition aufgrund des HLA-B 27-Status habe nachgewiesen werden können. In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 14.06.2016 hat der Sachverständige nochmals darauf hingewiesen, dass es sich bei der Einschätzung von Dr. R., welche dem Gutachten von Prof. E. vom 20.05.2009 zu Grunde lag, um eine Fehleinschätzung gehandelt habe. Dieses Begutachtungsergebnis sei dadurch zustande gekommen, dass dieser den Kläger in einer Phase der Remission der Krankheit untersucht habe. Typisch für die colitis ulcerosa sei der schubweise Verlauf mit zwischenzeitlichen Remissionen. Das Auftreten von blutigen Durchfällen sei beweisend. Typisch sei der Befall des unteren Dickdarms (linksseitige colitis), Befall des Rektums und der Analregion (Proctitis). Die Diagnose einer colitis ulcerosa decke sich mit den Einschätzungen von Dr. S. (07.03.2007): Distale feingranuläre Rectitis. Nach Klinik, Anamnese und Befund wahrscheinlich colitis ulcerosa; Dr. S. vom 19.03.2007: colitis ulcerosa mit Blutungen; Dr. S. vom 04.09.2007: V.a. colitis ulcerosa, derzeit Remission; Dr. T. vom 14.02.2008, Bericht über Koloskopie: Diskrete Zeichen einer Proctitis ...Proctitis ulcerosa derzeit in Remission; Dr. U. vom 07.04.2008: Insgesamt denke ich an einen neuen Schub einer colitis ulcerosa, medikamentöse Therapie wegen Nebenwirkungen abgebrochen; Dr. V. et al. vom 28.08.2008: Proctitis ulcerosa, derzeit Remissionsphase zusätzlich noch funktionelle Symptomatik im Rahmen eines Colon irritabile und Dr. V. et al. vom 30.10.2008 (nach stationärer Behandlung): Aktuell leichte Proctitis ulcerosa.

Der Sachverständige hat ausgeführt, dass die zahlreichen Befundberichte, in denen entzündliche Darmveränderungen beschrieben würden, zusammen mit der Symptomatik von blutigen Durchfällen zu der Einschätzung führten, dass die Diagnose einer colitis ulcerosa als bewiesen angesehen werden müsse. Dem stehe nicht entgegen, dass in beschwerdefreien Intervallen (Remissionsphasen) keine entzündlichen Schleimhautveränderungen nachzuweisen gewesen seien. Dies stehe im Einklang mit dem Krankheitsverlauf und führe nicht zu einer anderen diagnostischen Einschätzung. Es gebe keine andere Darmkrankheit, die mit dem beschriebenen Krankheitsverlauf in Einklang zu bringen sei. Bei dem Kläger handele es sich lediglich um eine leichtere Form der Erkrankung mit zwischenzeitlichen Remissionen.

Selbst der ärztliche Beratungsdienst der Beklagten in Person der Frau Dr. O. hat sich in der Stellungnahme vom 6. Oktober 2016 diesen Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen Dr. N. angeschlossen, indem sie ausgeführt hat, dass durch den Sachverständigen nachvollziehbar die Diagnose einer colitis ulcerosa als im Vollbeweis gesichert dargestellt worden sei mit diesbezüglich ausführlicher (von ihr nachvollziehbarer) Begründung. Dabei handele es sich bei dem Kläger lediglich um eine leichtere Form der Erkrankung mit zwischenzeitlichen Remissionen.

Nur der Vollständigkeit halber weist das Gericht darauf hin, dass auch der Beklagtenvertreter im Termin zur mündlichen Verhandlung am 16.08.2018 nicht den Widerspruch aufzuklären vermochte, warum die Beklagte einerseits beim Kläger die Diagnose einer colitis ulcerosa nicht als im Vollbeweis gesichert anerkennt, diese aber laut Aussage des zuständigen Truppenarztes mit einer Fehlziffer 6 bewertet würde, was zu einer Ausmusterung führen würde, sollte die colitis ulcerosa nicht als Wehrdienstbeschädigung anzuerkennen sein.

Diese beim Kläger nach Auffassung des Gerichts im Vollbeweis bestehende colitis ulcerosa ist auch mit Wahrscheinlichkeit auf die Wehrdiensttätigkeit des Klägers während seines Afghanistan-Einsatzes vom 04.12.2005 bis 25.03.2006 zurückzuführen.

Allerdings liegt insofern keine hinreichende Wahrscheinlichkeit im Sinne von § 81 Abs. 6 S. 1 SVG vor.

Kann eine Aussage zu einem hinreichend wahrscheinlichen Zusammenhang nur deshalb nicht getroffen werden, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit besteht, kommt die so genannte Kannversorgung gemäß § 81 Abs. 6 S. 2 SVG in Betracht. Von Ungewissheit ist dann auszugehen, wenn es keine einheitlich herrschende, sondern verschiedene ärztliche Lehrmeinungen gibt, wobei nach der Rechtsprechung des BSG von der Beurteilung auf dem Boden der "Schulmedizin" (gemeint ist damit der allgemein anerkannte Stand der medizinischen Wissenschaft) auszugehen ist (vgl. BSG, Urteil vom 27.08.1998, Az. B 9 VJ 2/97 R). Aber auch bei der Kannversorgung reicht allein die Möglichkeit des Ursachenzusammenhangs oder die Nichtausschließbarkeit des Ursachenzusammenhangs nicht aus. Es muss vielmehr wenigstens eine wissenschaftliche Lehrmeinung geben, die die Wahrscheinlichkeit des Ursachenzusammenhangs positiv vertritt; das BSG spricht hier auch von der "guten Möglichkeit" eines Zusammenhangs (vgl. BSG, Urteile vom 12.12.1995, Az. 9 RV 17/94 und vom 17.07.2008, Az. B 9/9a VS 5/06). In einem solchen Fall liegt eine Schädigungsfolge dann vor, wenn bei Zugrundelegung der wenigstens einen wissenschaftlichen Lehrmeinung nach deren Kriterien die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines Ursachenzusammenhangs nachgewiesen ist (Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 19.11.2014, Az. L 15 VS 19/11). Existiert eine solche Meinung überhaupt nicht, fehlt es an der erforderlichen Wahrscheinlichkeit nicht infolge einer Ungewissheit; denn alle Meinungen stimmen dann darin überein, dass ein Zusammenhang nicht hergestellt werden kann (vgl. BSG, Urteil vom 10.11.1993, Az. 9/9a RV 41/ 92).

Der Sachverständige Dr. N. hat in seinem Gutachten vom 31.03.2014 ausgeführt, dass es sich bei der colitis ulcerosa um eine Erkrankung handelt, der eine Störung des Immunsystems zugrunde liegt. Man vermute ein Zusammenwirken mit Toxinen von Darmbakterien. Über die Ätiologie bestehe keine gesicherte medizinisch wissenschaftliche Auffassung. Als auslösende Belastungsfaktoren seien äußere Bedingungen und seelische Faktoren zu berücksichtigen. Es sei nicht erkennbar, dass Witterungseinflüsse oder Ernährungseinflüsse während des Afghanistan-Aufenthalts des Klägers eine krankheitsauslösende Rolle gespielt haben könnten, naheliegender sei aber der Zusammenhang mit seelischen Faktoren. Da eine wehrbedingte posttraumatische Belastungsstörung mit einem GdS von 40 anerkannt worden sei, könne hier von einer erheblichen psychischen Belastungssituation ausgegangen werden, die nach Auffassung des Sachverständigen ausreichend gewesen sei, um den Kausalitätsanforderungen nach der Kannversorgung zu genügen. Auch die ärztliche Beraterin der Beklagten, Frau Dr. O. hat in ihrer sozialmedizinischen Stellungnahme vom 06.10.2016 ausgeführt, dass im allgemeinen für die colitis ulcerosa bekannt sei, dass Stress und Belastungen wesentlich zu einem schwierigen Verlauf beitrügen und aktive Schübe der Krankheit auslösen könnten. Die Ätiologie und Pathogenese der colitis ulcerosa seien in der Wissenschaft noch weitgehend ungeklärt, dennoch würden verschiedene Faktoren als auslösend diskutiert (Umweltfaktoren wie Hygiene und die Ernährung, genetische Prädisposition (mit Krankheit gesteigerter Autoimmunreaktion), virale und bakterielle Infektion, psychosomatische Mechanismen). Der Vorschlag der Anerkennung im Rahmen der Kannversorgung sei daher plausibel.

Der Sachverständige Dr. N. hat weiterhin in seinem Gutachten vom 31.03.2014 für das Gericht überzeugend und nachvollziehbar ausgeführt, dass dem Beklagteneinwand, dass die Erkrankung schon vordienstlich begonnen habe, nicht gefolgt werden kann. Als wesentliches diagnostisches Kriterium gelten laut den Ausführungen des Sachverständigen Durchfälle mit Blutbeimengung, gefolgt von endoskopischen Untersuchungen. Mit Bezug auf das Vorerkrankungsverzeichnis des Klägers lässt sich die Auffassung der Beklagten nicht belegen. Laut Auskunft der Krankenkasse ist der Kläger 1999 zwei Tage wegen einer Gastroenteritis arbeitsunfähig gewesen, ein Jahr später, im Juni 2000, drei Tage wegen einer Diarrhoe und Gastroenteritis sowie drei Wochen später einen Tag wegen Diarrhoe und Gastroenteritis. Im Mai 2001 ist er wiederum drei Tage krank gewesen wegen Diarrhoe und Gastroenteritis. Der Sachverständige hat ausgeführt, dass die Diagnose Gastroenteritis mit Diarrhoe in Arztpraxen sehr oft ausgestellt wird und häufig Anlass für kurzzeitige Arbeitsunfähigkeitszeiten ist. Aus dem Vorerkrankungsverzeichnis des Klägers lässt sich dementsprechend nicht wahrscheinlich machen, dass diese kurz dauernden Magen-Darm-Infekte Ausdruck einer vorbestehenden colitis ulcerosis gewesen sind. Dies - so der Sachverständige - sei nur dann wahrscheinlich, wenn vorwehrdienstlich bereits einmalig blutige Durchfälle aufgetreten seien und wenn bei dem Kläger mittels Darmspiegelung ein entsprechender Befund bestätigt worden sei. Entsprechende Berichte oder Befunde liegen jedoch nicht vor. Es ist somit in Übereinstimmung mit den Ausführungen des Sachverständigen Dr. N. davon auszugehen, dass die Erkrankung colitis ulcerosa des Klägers direkt nach dessen Afghanistan-Einsatz ausgebrochen ist. Nach Aussage des Klägers sind bereits drei Tage nach der Rückkehr erstmalig blutige Durchfälle aufgetreten, dokumentiert wurde diese Erkrankung jedoch erst im Anschluss an die Kieferoperation im April 2006 und die antibiotische Behandlung mit dem Medikament Sobelin. In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 14.06.2016 hat der Sachverständige jedoch ausgeführt, dass dieser Umstand unberücksichtigt bleiben könne. Denn eine durch medikamentöse Behandlung ausgelöste colitis heile folgenlos aus und sei nicht ursächlich für die Manifestation einer colitis ulcerosa. Im Hinblick auf die Zusammenhangsdiskussion kann dieser Aspekt somit unberücksichtigt bleiben.

Soweit die Beklagte in ihrem Schriftsatz vom 21.10.2016 ausgeführt hat, dass es sich bei den Äußerungen des Sachverständigen Dr. N. in seinem Gutachten vom 31.03.2014, dass nach seinem Dafürhalten die seelischen Belastungsfaktoren ausreichend gewesen seien, um der geforderten Kausalität zu genügen, es sich allenfalls um die persönliche Ansicht des Gutachters handele, folgt das Gericht dem nicht und verweist insofern auch auf die versorgungsmedizinische gutachterliche Stellungnahme der Sozialmedizinerin Frau Dr. O. vom 06.10.2016 und die versorgungmedizinische Stellungnahme der Sozialmedizinerin Dr. J. vom 11.11.2012. In dieser hatte Frau Dr. J. ausgeführt, dass dann, wenn man unterstelle, dass es sich bei dem Krankheitsbild des Klägers tatsächlich um eine colitis ulcerosa handele, unter dem Gesichtspunkt der Kannversorgung zu prüfen sei, ob der Soldat körperlichen Belastungen oder Witterungseinflüssen, die nach Art, Dauer und Schwere geeignet gewesen seien, die Resistenz herabzusetzen, ausgesetzt gewesen sei, er unter auf den Wehrdienst zurückzuführenden Krankheiten gelitten habe, bei denen eine erhebliche Herabsetzung der Resistenz infrage komme oder er aber mit langdauernden, schweren, tiefen, in das Persönlichkeitsgefüge eingreifenden psychischen Belastungen konfrontiert gewesen sei. Voraussetzungen für eine Kannversorgung könnten, hätten solche Umstände als Schädigungstatbestände tatsächlich vorgelegen, dann in Betracht gezogen werden, wenn die ersten Symptome der Darmkrankheit während der Einwirkung der genannten Faktoren oder längstens sechs Monate danach aufgetreten seien. Das Gericht weist darauf hin, dass die Auffassung der Beklagten, der Gutachter habe lediglich eine persönliche Auffassung geäußert, vor diesem Hintergrund nicht haltbar ist und dass sich die Beklagte in ihren Schriftsätzen vom 21.10.2016 und 14.03.2017 insofern in Widerspruch zu den Stellungnahmen ihrer eigenen ärztlichen Beraterinnen Frau Dr. J. vom 11.11.2012 und Frau Dr. O. vom 06.10.2016 setzt. Letztlich hatten auch schon der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. F. am 05.08.2010 und die Sozialmedizinerin G. am 29.09.2010 darauf hingewiesen, dass ein Kausalzusammenhang zwischen der posttraumatischen Belastungsstörung und der Darmerkrankung des Klägers nicht auszuschließen sei, was impliziert, dass es eine solche wissenschaftlich vertretene Auffassung gibt.

Ist somit beim Kläger von dem Vorliegen einer colitis ulcerosa im Vollbeweis auszugehen und kann diese im Rahmen der Kannversorgung auf den Auslandseinsatz in Q. vom 04.12.2005 bis 25.03.2006 zurückgeführt werden, war die Beklagte dementsprechend zu verurteilen, für den Kläger eine "colitis ulcerosa" als Wehrdienstbeschädigung im Sinne des § 81 SVG festzustellen.

Diese ist nach den Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen Dr. N. in seinem Gutachten vom 31.03.2014 und in Übereinstimmung mit den Vorgaben der VersMedV mit einem GdS von 20 angemessen bewertet, so dass die Beklagte in der Folge zu verurteilen war, dem Kläger ab dem 25.03.2006 Beschädigtenversorgung nach einem GdS von insgesamt 50 und ab dem 01.05.2012 nach einem GdS von insgesamt 40 zu gewähren.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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