S 5 SO 38/11 ER

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
SG Leipzig (FSS)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
5
1. Instanz
SG Leipzig (FSS)
Aktenzeichen
S 5 SO 38/11 ER
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Ein Schüler hat Anspruch auf eine spezielle Krankenbeobachtung im Rahmen der von der Krankenkasse zu erbringenden Leistungen zur häuslichen Krankenpflege, wenn nur bei kontinuierlicher Beobachtung während des Schulbesuchs durch professionelle Pflegekräfte sowie ständige Überwachung seiner Vitalfunktionen eine lebensgefährliche Erkrankung verhindert werden kann.
I. Die Beigeladene zu 1. wird im Wege der einstweiligen Anordnung dazu verpflichtet, dem Antragsteller Leistungen der häuslichen Krankenpflege in Form der speziellen Krankenbeobachtung im Umfang von 70 Stunden wöchentlich zu gewähren bis einschließlich 30.06.2015. II. Die Beigeladene zu 1. hat die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers zu erstatten. Im Übrigen sind keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe:

I.

Der 2006 geborene Antragsteller wurde im März 2015 in der K. B ... stationär behandelt wegen akuter Blutungsanämie bei Magenvarizen, sonstigen nicht näher bezeichneten Bauchschmerzen sowie Ösophagusvarizen. Ausweislich des Berichts des Krankenhauses vom 19.03.2015 wurde der Antragsteller am 06.03.2015 stationär aufgenommen, da dieser unter blutigem Erbrechen und Fieber litt. Die Ärzte identifizierten als Blutungsquelle schließlich eine Ösophagusvarizenblutung Typ 1 auf Grund von isoliert gastrischen Varizen Typ 1. Auf Grund der starken Blutungen erhielt der Antragsteller mehrfach Bluttransfusionen. Bei einer Sonografie des Abdomens mit anschließendem MRT fanden sich zwei echoreiche hepatische Herde, die nach Ansicht der Ärzte am ehesten regenerativer tumoröser Natur seien. Der Antragsteller wurde 2010 auf Grund eines metastasierenden Nephroblastoms (Lunge und Leber) in der Universitätsklinik H ... operiert und mittels Chemotherapie behandelt. Ösophagusvarizen seien Krampfadern im Gastrointestinaltrakt, die im Rahmen bindegewebiger Umbauprozesse der Leber, beim Antragsteller am ehesten im Rahmen der tumorösen Prozesse, entstünden. Es handele sich um einen medizinischen Notfall, der jederzeit wieder auftreten könne. 70 % dieser Blutungen würden sich wiederholen. Trotz Behandlung belaufe sich die Sterberate einer solchen Blutung auf 30 %. Vor diesem Hintergrund sei eine Krankenpflege erforderlich, die den Antragsteller tagtäglich begleite und gewährleiste, dass im möglichen Fall einer lebensbedrohlichen Blutung schnell medizinische Hilfe geleistet und für die rasche Weiterbehandlung Sorge getragen werde. Ferner sei die kontinuierliche Beobachtung und Dokumentation der Vitalparameter erforderlich. Außerdem müsse die Gabe eines antihypertensiven Medikamentes sichergestellt werden. Die Beigeladene holte daraufhin eine Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) ein. Dieser führte in seiner Stellungnahme vom 25.03.2015 aus, dass die Voraussetzungen zur Verordnung häuslicher Krankenpflege aus seiner Sicht nicht erfüllt seien. Daraufhin erließ die Beigeladene zu 1. den Bescheid vom 30.03.2015, der nicht mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehen worden ist. Sie teilte im Ergebnis ihrer Prüfung mit, dass sie die Kosten für die einzelne medizinisch notwendige behandlungspflegerische Maßnahme (Medikamentengabe) übernehme, sofern das Verabreichen in die Zeit des Schulbesuchs falle. Für die Begleitung und Betreuung des Antragstellers im Alltag sei jedoch ihre Zuständigkeit nicht gegeben. Deshalb habe sie diesen Antrag zur weiteren Bearbeitung an den Antragsgegner weitergeleitet.

Unterdessen erstellte die K. eine Folgeverordnung für die Zeit vom 31.03.2015 bis 07.04.2015, die Kinder- und Jugendärztin Dipl.-Med. R. weitere Folgeverordnungen für die Zeit vom 08.04.2015 bis zum 30.06.2015. Die Verordnungsdauer wurde damit begründet, dass 70 Stunden pro Woche Intensivpflege und Überwachungspflicht erforderlich seien, da akute Blutungsgefahr bestünde. Diese Folgeverordnungen leitete die Beigeladene zu 1. an den Antragsgegner weiter unter Hinweis auf § 14 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX). Am 31.03.2015 zeigte sich die Beigeladene zu 2. gegenüber der Beigeladenen zu 1. an und teilte mit, dass sie auf Wunsch der Klinik und zur Wahrung der Schulpflicht des Antragstellers umgehend die Versorgung aufgenommen habe. Auf Grund der Intensivpflichtigkeit des Antragstellers über 70 Stunden wöchentlich beantragte die Beigeladene zu 2. bei der Beigeladenen zu 1. die vorläufige Kostenübernahme zu einem Stundensatz von 29,90 EUR.

Der Antragsgegner holte auf die an ihn weitergeleiteten Anträge die amtsärztliche Stellungnahme von Dipl.-Med. F. vom 30.04.2015 ein. Die Amtsärztin teilte daraufhin mit, dass ein Krankheitsgeschehen, unter dem der Antragsgegner leide, mit hoher Wahrscheinlichkeit erneut zu einer lebensbedrohlichen Situation führen könne, deren Eintritt täglich grundsätzlich denkbar wäre. Ein genauerer Zeitpunkt dafür im Voraus könne nicht bestimmt werden. Eine Ösophagusvarizenblutung sei grundsätzlich lebensbedrohlich, wobei die sofortige ärztliche Intervention notwendig sei. Der Antragsteller müsse in einem solchen Fall unverzüglich in ein Krankenhaus gebracht werden, um die Blutungsquelle zu stillen und um durch ärztliche Intervention den hypovolämischen Schock abzufangen. Deshalb teile die Amtsärztin die fachliche Einschätzung des MDK nicht. Sollte es zu einer massiven Ösophagusvarizenblutung kommen, sei der Antragsteller nicht selbstständig und allein dazu in der Lage, die notwendigen Hilfen zu rufen. Aus diesem Grund benötige er die ständige Begleitung und Beobachtung durch eine erwachsene Person, die in der Lage sei, diese Hilfen schnellstmöglich herbeizurufen. Der Antragsgegner hat daraufhin den Antrag auf die Übernahme der Kosten einer Begleitperson für den Kläger abgelehnt (Bescheid vom 05.05.2015). Die Voraussetzungen zur Gewährung von Eingliederungshilfe lägen nicht vor. Trotz der vorliegenden Behinderungen des Antragstellers sei seine Teilhabe am Schulbesuch unbeeinträchtigt. Denn zum Lernen benötige er keine fremde Hilfe. Der Hilfebedarf bestehe auf Grund seiner Erkrankungen sowie der Notwendigkeit der sofortigen ärztlichen Intervention. Gegen diesen Bescheid hat der Antragsteller am 08.05.2015 Widerspruch eingelegt, über den der Antragsgegner noch nicht entschieden hat.

Der Antragsteller beantragt,

den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Kosten der besonderen Krankenbeobachtung durch die Beigeladene zu 2. zur Sicherung seiner Vitalfunktionen zu übernehmen,

hilfsweise, die Beigeladene zu 1. zu verpflichten, die Kosten für die erwähnte Krankenbeobachtung zu tragen.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Er meint, die Beigeladene zu 1. sei für die Gewährung der hier einschlägigen Leistungen der häuslichen Krankenpflege zuständig.

Die Beigeladene zu 1. beantragt,

den Hilfsantrag des Antragstellers abzulehnen.

Ihrer Ansicht nach sei der Antragsgegner dazu verpflichtet, den aus ihrer Sicht bestehenden Bedarf des Antragstellers an Leistungen der Eingliederungshilfe zu erfüllen.

Die Beigeladene zu 2. stellt keinen Antrag.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie auf die beigezogenen Verwaltungsakten verwiesen, die Gegenstand der Entscheidung gewesen sind.

II.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist erfolgreich, soweit er sich auf die Verpflichtung der Beigeladenen zu 1. bezieht, Leistungen der häuslichen Krankenpflege auch in Form der Krankenbeobachtung zu erbringen. Gegenüber dem Antragsgegner steht dem Antragsteller hingegen bereits kein Anordnungsanspruch zu.

Gem. § 86 b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch die Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (sogenannte Sicherungsanordnung). Eine solche Anordnung soll der Veränderung eines bestehenden Zustandes vorbeugen. Sie dient einer Bewahrung des Status quo mit einem Unterlassungsgebot an den zu Verpflichtenden. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint.

Die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes setzt einen Anordnungsanspruch, also einen materiell-rechtlichen Anspruch auf die Leistung, zu der der Antragsgegner verpflichtet werden soll sowie einen Anordnungsgrund, nämlich die Dringlichkeit des Rechtsschutzes. Gemäß § 86 b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (so genannte Sicherungsanordnung). Eine solche Anordnung soll der Veränderung eines bestehenden Zustands vorbeugen. Sie dient der Bewahrung des Status quo mit einem Unterlassungsgebot an den zu Verpflichtenden. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG; so genannte Regelungsanordnung).

Das Bestehen eines Anordnungsanspruchs und das Vorliegen eines Anordnungsgrundes sind erforderlich. Der Anordnungsanspruch bezieht sich auf den geltend gemachten materiellen Anspruch, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird. Die erforderliche Dringlichkeit betrifft den Anordnungsgrund. Die Tatsachen, die den Anordnungsgrund und den Anordnungsanspruch begründen sollen, sind darzulegen und glaubhaft zu machen (§ 86 b Abs. 2 Satz 4 i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung [ZPO]). Diese allgemeinen Anforderungen sind verfassungsrechtlich unbedenklich (Bundesverfassungsgericht [BVerfG]), Beschluss vom 25.10.1999 – 2 BvR 745/88BVerfGE 79, 69).

Sinn und Zweck des einstweiligen Rechtsschutzes liegen in der Sicherung der Entscheidungsfähigkeit und der prozessualen Lage, um eine endgültige Rechtsverwirklichung im Hauptsacheprozess zu ermöglichen. Es will nichts anderes als allein wegen der Zeitdimension der Rechtserkenntnis und der Rechtsdurchsetzung im Hauptsacheverfahren eine zukünftige oder gegenwärtige prozessuale Rechtsstellung vor zeitüberholenden Entwicklungen sichern und irreparable Folgen ausschließen und der Schaffung vollendeter Tatsachen vorbeugen, die auch dann nicht mehr rückgängig gemacht werden können, wenn sich die angefochtene Verwaltungsentscheidung im Nachhinein als rechtswidrig erweist. Hingegen dient das vorläufige Rechtsschutzverfahren nicht dazu, gleichsam unter Umgehung des für die Hauptsache zuständigen Gerichts und unter Abkürzung dieses Verfahrens, geltend gemachte materielle Rechtspositionen vorab zu realisieren.

Bei der Auslegung und Anwendung der Regelungen des vorläufigen Rechtsschutzes sind die Gerichte gehalten, der besonderen Bedeutung der jeweils betroffenen Grundrechte und den Erfordernissen eines effektiven Rechtsschutzes Rechnung zu tragen. Die Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) verlangt grundsätzlich die Möglichkeit eines Eilverfahrens, wenn ohne sie dem Betroffenen eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung in seinen Rechten droht, die durch die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden kann (vgl. BVerfG Beschluss vom 25.10.1999 – 2 BvR 745/88BVerfGE 79, 69, 74; Beschluss vom 16.05.1995 – 1 BvR 1087/91BVerfGE 93, 1, 14). Dies gilt sowohl für die Anfechtungs- als auch für Vornahmesachen. Hierbei dürfen die Entscheidungen der Gerichte grundsätzlich sowohl auf eine Folgenabwägung wie auch auf eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache gestützt werden.

Jedoch stellt Art. 19 Abs. 4 GG besondere Anforderungen an die Ausgestaltung des Eilver-fahrens, wenn ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen können, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären. Je schwerer die Belastungen des Betroffenen wiegen, die mit der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes verbunden sind, umso weniger darf das Interesse an einer vorläufigen Regelung oder Sicherung der geltend gemachten Rechtsposition zurückgestellt werden. Art. 19 Abs. 4 GG verlangt auch bei Vornahmesachen jedenfalls dann vorläufigen Rechtsschutz, wenn ohne ihn schwere und unzumutbare, anders nicht anwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (BVerfG, Beschluss vom 25.10.1999 – 2 BvR 745/88BVerfGE 79, 69, 74; Urteil vom 14.05.1996 – 2 BvR 1516/93 – 94, 166, 216). Die Gerichte, wenn sie ihre Entscheidung nicht an einer Abwägung der widerstreitenden Interessen, sondern an den Erfolgsaussichten in der Hauptsache orientieren, in solchen Fällen gemäß Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG gehalten, die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes auf eine eingehenden Prüfung der Sach- und Rechtslage zu stützen. Dies bedeutet auch, dass die Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache Fragen des Grundrechtsschutzes einbeziehen muss, wenn dazu Anlass besteht (BVerfG, Kammerbeschluss vom 25.07.1996 – 1 BvR 638/96NVwZ 1997, 479). Ist dem Gericht eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden. Auch in diesem Fall sind die grundrechtlichen Belange des Antragstellers umfassend in die Abwägung einzustellen. Die Gerichte müssen sich schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen stellen. Dies gilt ganz besonders, wenn es um die Wahrung der Würde des Menschen geht. Eine Verletzung dieser grundrechtlichen Gewährleistung, auch wenn sie nur möglich oder nur zeitweilig andauert, haben die Gerichte zu verhindern (BVerfG, Beschluss vom 25.02.2009 – 1 BvR 120/09NZS 2009, 674, 675 Rdnr. 11).

Gemessen an diesen Voraussetzungen kann sich der Antragsteller gegenüber dem Antragsgegner auf keinen Anordnungsanspruch berufen.

Nach § 53 Abs. 1 Satz 1 SGB XII erhalten Personen, die durch eine Behinderung im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind, Leistungen der Eingliederungshilfe, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalls, insbesondere nach Art oder Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann. Menschen sind behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft beeinträchtigt ist (§ 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Durch körperliche Gebrechen wesentlich in ihrer Teilhabefähigkeit eingeschränkt im Sinne des § 53 Abs. 1 Satz 1 SGB XII sind Personen, deren körperliches Leistungsvermögen infolge Erkrankung, Schädigung oder Fehlfunktion eines inneren Organs oder der Haut in erheblichem Umfange eingeschränkt ist (§ 1 Nr. 3 der auf Grund des § 60 SGB XII ergangenen Eingliederungshilfeverordnung). Diese Voraussetzungen liegen beim Antragsteller vor.

Zu den Leistungen der Eingliederungshilfe zählen neben den Leistungen nach den §§ 26, 33, 41 und 55 SGB IX insbesondere Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung, insbesondere im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht und zum Besuch weiterführender Schulen einschließlich der Vorbereitung hierzu; die Bestimmungen über die Ermöglichung der Schulbildung im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht bleiben unberührt (§ 55 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII). Dabei umfasst die Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung im Sinne des § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII auch heilpädagogische sowie sonstige Maßnahmen zugunsten körperlich und geistig behinderter Kinder und Jugendlicher, wenn die Maßnahmen erforderlich und geeignet sind, dem behinderten Menschen den Schulbesuch im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht zu ermöglichen oder zu erleichtern (§ 12 Nr. 1 Eingliederungshilfeverordnung).

Der Antragsgegner ist demgemäß nicht dazu verpflichtet, dem Antragsteller Eingliederungshilfe zu gewähren. Denn anders als der Antragsteller, aber auch offenbar die Beigeladene zu 1. meinen, zielt der tatsächliche Bedarf des Antragstellers nicht auf eine Schulbegleitung in diesem Sinne ab.

Nach § 9 Abs. 1 SGB XII richten sich die Leistungen nach der Besonderheit des Einzelfalls, insbesondere nach der Art des Bedarfs, den örtlichen Verhältnissen, den eigenen Kräften und Mitteln der Person oder des Haushalts bei der Hilfe zum Lebensunterhalt. Wünschen der Leistungsberechtigten, die sich auf die Gestaltung der Leistung richten, soll entsprochen werden, soweit sie angemessen sind. Wünschen der Leistungsberechtigten, den Bedarf stationär oder teilstationär zu decken, soll nur entsprochen werden, wenn dies nach der Besonderheit des Einzelfalls erforderlich ist, weil anders der Bedarf nicht oder nicht ausreichend gedeckt werden kann und wenn mit der Einrichtung Vereinbarungen nach den Vorschriften des Zehnten Kapitels des SGB XII bestehen. Der Träger der Sozialhilfe soll in der Regel Wünschen nicht entsprechen, deren Erfüllung mit unverhältnismäßigen Mehrkosten verbunden wäre (§ 9 Abs. 2 SGB XII).

Dabei berührt der Streit der Beteiligten die Fragen, über welche fachliche Qualifikation ein Schulbegleiter verfügen sollte und welche Aufgaben er – auch im Verhältnis zur Schulverwaltung – vernünftigerweise wahrnehmen kann. Nach dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 22.03.2012 (Az.: B 8 SO 30/10 R) sind Maßnahmen ausgeschlossen, die den Kernbereich der pädagogischen Arbeit der Schule betreffen (vgl. dazu auch Schleswig-Holsteinisches LSG, Beschluss vom 15.04.2014 – L 9 SO 36/14 B ER; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 27.08.2013 – L 9 SO 211/13 B ER; Sächsisches LSG, Beschluss vom 03.06.2010 – L 7 SO 19/09 B ER und LSG Thüringen, Beschluss vom 30.09.2008 – L 8 SO 801/08 ER). Dabei können von der Leistungspflicht des Sozialhilfeträgers auch Maßnahmen umfasst werden, die zum Aufgabenbereich der Schulverwaltung gehören. Ausgeschlossen sind allerdings Maßnahmen, die den Kernbereich der pädagogischen Arbeit der Schule zuzuordnen sind. Dies folgt daraus, dass § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII ausdrücklich anordnet, die Bestimmungen über die Ermöglichung der Schulbildung im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht sollten unberührt bleiben. Die schulrechtlichen Verpflichtungen stehen demnach grundsätzlich neben den sozialhilferechtlichen, ohne dass sie sich gegenseitig inhaltlich beeinflussen. § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII normiert lediglich Hilfen, mithin unterstützende Leistungen, überlässt die Schulbildung selbst aber den Schulträgern. Der Kernbereich der schulischen Arbeit liegt damit nach Sinn und Zweck der §§ 53, 54 SGB XII gänzlich außerhalb der Zuständigkeit des Sozialhilfeträgers (BSG, Urteil vom 22.03.2012 – B 8 SO 30/10 R).

Der auf diese Weise definierte Kernbereich der schulischen Arbeit ist demgemäß dem Schulgesetz für den Freistaat Sachsen (SchulG) zu entnehmen. Dieses sieht in seinem § 1 Abs. 1 vor, dass sich der Erziehungs- und Bildungsauftrag bestimmt durch das Recht eines jeden jungen Menschen auf eine seinen Fähigkeiten und Neigungen entsprechende Erziehung und Bildung ohne Rücksicht auf Herkunft oder wirtschaftliche Lage. Die schulische Bildung soll zur Entfaltung der Persönlichkeit der Schüler in der Gemeinschaft beitragen. Diesen Auftrag erfüllt die Schule, indem sie den Schülern insbesondere anknüpfend an die christliche Tradition im europäischen Kulturkreis Werte wie Ehrfurcht vor allem Lebendigen, Nächstenliebe, Frieden und Erhaltung der Umwelt, Heimatliebe, sittliches und politisches Verantwortungsbewusstsein, Gerechtigkeit und Achtung vor der Überzeugung des Anderen, berufliches Können, soziales Handeln und freiheitlich demokratische Haltung vermittelt, die zur Lebensorientierung und Persönlichkeitsentwicklung sinnstiftend beitragen und sie zur selbstbestimmten und verantwortungsbewussten Anwendung von Kenntnissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten führt und die Freude an einem lebenslangen Lernen weckt. Bei der Gestaltung der Lernprozesse werden die unterschiedliche Lern- und Leistungsfähigkeit der Schüler inhaltlich und didaktisch-methodisch berücksichtigt sowie geschlechterspezifische Unterschiede beachtet, wobei das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland und die Verfassung des Freistaates Sachsen dafür die Grundlage bilden (§ 1 Abs. 2 Schulgesetz). In Verwirklichung ihres Erziehungs- und Bildungsauftrages entwickelt die Schule ihr eigenes pädagogisches Konzept und plant und gestaltet den Unterricht und seine Organisation auf der Grundlage der Lehrpläne in eigener Verantwortung. Die pädagogischen, didaktischen und schulorganisatorischen Grundsätze zur Erfüllung des Bildungsauftrages im Rahmen der zur Verfügung stehenden Ressourcen legt die Schule in einem Schulprogramm fest. Auf der Grundlage des Schulprogramms bewerten die Schule und die Schulaufsichtsbehörde in regelmäßigen Abständen das Ergebnis der pädagogischen Arbeit. Die Bewertung ist Bestandteil des Schulportraits (§ 1 Abs. 3 Schulgesetz). Vor diesem Hintergrund hat die Schulbegleitung in allen Bereichen, in denen der betreffende Schüler entsprechenden Hilfebedarf aufweist, zu unterstützen, und zwar als Assistenz im besten Sinne. Es muss darum gehen, Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, den erfolgreichen Schulbesuch zu ermöglichen. Entscheidend dabei ist, ob die Vorgabe der Lerninhalte in der Hand des Lehrers bleibt und sich die Betreuungsleistungen des Integrationshelfers im Unterricht auf unterstützende Tätigkeiten bei der Umsetzung der Arbeitsaufträge des Lehrers beschränken (vgl. dazu LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 28.04.2014 – L 12 SO 82/14 B).

Dazu kann nach der genannten Entscheidung auch die Anleitung und Aufarbeitung der von dem Lehrer vorgegebenen Lerninhalte zählen. Nicht zulässig ist demgemäß, dass eine ausgebildete pädagogische Fachkraft in der Unterrichtssituation die Wissensvermittlung und deren Einübung sogar selbst – ggf. im gemeinschaftlichen Zusammenwirken mit den pädagogisch besonders geschulten Lehrkräften – vornimmt (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 28.04.2014 – L 12 SO 82/14 B).

Vor diesem Hintergrund geht der Antragsgegner zutreffend davon aus, dass Eingliederungshilfe in Form der Übernahme der Kosten einer Schulbegleitung den Bedarf des Antragstellers nicht zu decken vermag. Wie dargestellt, soll der Schulbegleiter dem betroffenen behinderten Kind oder Jugendlichen den Schulbesuch durch Assistenzleistungen ermöglichen. Eine solche Unterstützung benötigt der Antragsteller jedoch nicht. Vielmehr ist es ausweislich des vorgelegten Berichts der Klinikum S sowie der auf dieser Grundlage ausgestellten Verordnungen über Leistungen der häuslichen Krankenpflege notwendig, den Antragsteller ununterbrochen zu beobachten und seine Vitalfunktionen regelmäßig zu überprüfen. Im Gegensatz zur Ansicht der Beigeladenen zu 1. ist es nicht möglich, diese Aufgaben durch jede beliebige erwachsene Person übernehmen zu lassen. Diese ist zwar gesetzlich dazu verpflichtet, im Notfall "Erste Hilfe" zu leisten. Dies reicht aber offensichtlich nach Ansicht der behandelnden Ärzte im Krankenhaus "S" nicht aus (siehe dazu unten). Ein Schulbegleiter, wie er oben beschrieben worden ist, vermag jedoch über Maßnahmen der "Ersten Hilfe" hinausgehende medizinische oder pflegerische Verrichtung aufgrund regelmäßig fehlender Qualifikation nicht vorzunehmen.

Der Antrag ist jedoch begründet, soweit er sich gegen die Beigeladene zu 1. richtet. Zwar sieht § 75 Abs. 5 SGG ausdrücklich nur die Verurteilung eines Versicherungsträgers, eines Trägers der Grundsicherung für Arbeitsuchende, eines Trägers der Sozialhilfe oder in Angelegenheiten des sozialen Entschädigungsrechts eines Landes nach Beiladung vor. Es ist allerdings anerkannt, dass auch – wie hier – eine einstweilige Anordnung gegen einen Beigeladenen möglich ist (vgl. Leitherer in: meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl., § 75 Rn. 18 m.w.N.). Nach summarischer Prüfung liegen die Voraussetzungen eines Anspruchs auf häusliche Krankenpflege gem. § 37 Abs. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) vor. Danach erhalten Versicherte in ihrem Haushalt, ihrer Familie oder sonst an einem geeigneten Ort, insbesondere in betreuten Wohnformen, Schulen und Kindergärten, bei besonders hohem Pflegebedarf auch in Werkstätten für behinderte Menschen neben der ärztlichen Behandlung häusliche Krankenpflege durch geeignete Pflegekräfte, wenn Krankenhausbehandlung geboten, aber nicht ausführbar ist, oder wenn sie durch die häusliche Krankenpflege vermieden oder verkürzt wird.

Im Falle des Antragstellers handelt es sich um häusliche Krankenpflege, die der Vermeidung oder Verkürzung von Krankenhausbehandlung dient. Diese soll dem Versicherten ermöglichen, im häuslichen Bereich zu verbleiben bzw. frühzeitig dorthin zurückzukehren (vgl. Flint in: Hauck/Noftz, SGB V, § 37, Rdnr. 68). Die häusliche Krankenpflege umfasst u.a. die Behandlungspflege (vgl. § 37 Abs. 1 Satz 3 SGB V), die die Beigeladene zu 1. bereits bewilligt hat und die demgemäß auch nicht streitgegenständlich ist.

Der Antragsteller hat jedoch offensichtlich auch Anspruch auf eine spezielle Krankenbeobachtung. Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB V stellen die Krankenkassen den Versicherten die im 3. Kapitel des SGB V genannten Leistungen unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots (§ 12 SGB V) zur Verfügung, soweit diese Leistungen nicht der Eigenverantwortung der Versicherten zugerechnet werden. Krankenkassen, Leistungserbringer und Versicherte haben darauf zu achten, dass die Leistungen wirksam und wirtschaftlich erbracht und nur im notwendigen Umfang in Anspruch genommen werden (§ 2 Abs. 4 SGB V). Dabei ist den besonderen Belangen behinderter und chronisch kranker Menschen Rechnung zu tragen (§ 2 a SGB V). Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst nach § 27 Abs. 1 Satz 2 SGB V:

1. ärztliche Behandlung einschließlich Psychotherapie als ärztliche und psychotherapeutische Behandlung, 2. zahnärztliche Behandlung, 2a. Versorgung mit Zahnersatz einschließlich Zahnkronen und Suprakonstruktionen, 3. Versorgung mit Arznei-, Verband-, Heil- und Hilfsmitteln, 4. häusliche Krankenpflege und Haushaltshilfe, 5. Krankenhausbehandlung, 6. Leistungen zur medizinischen Rehabilitation und ergänzende Leistungen.

Bereits vor diesem Hintergrund war eine Weiterleitung der ärztlichen Verordnungen für häusliche Krankenpflege an den Antragsgegner nicht veranlasst. Denn bei der häuslichen Krankenpflege handelt es sich nicht um Leistungen zur medizinischen Rehabilitation, wie es sich bereits auf Grund der gesonderten Aufzählung in § 27 Abs. 1 Satz 2 SGB V ergibt. § 14 Abs. 1 Satz 1 SGB IX bezieht sich jedoch auf Leistungen zur Teilhabe, zu denen – wie erwähnt – Leistungen der häuslichen Krankenpflege nicht zählen. Die Beigeladene zu 1. ist jedoch Rehabilitationsträger nur für Leistungen zu medizinischen Rehabilitation sowie für unterhaltssichernde und andere ergänzende Leistungen (vgl. § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX, § 5 Nr. 1 und 3 SGB IX). Die Möglichkeit zur Weiterleitung innerhalb von zwei Wochen nach Eingang des Antrags bestand also für die Beigeladene zu 1. nicht. Deshalb ist der Antragsgegner auch nicht dazu verpflichtet, über die Voraussetzungen des erhobenen Anspruchs auf häusliche Krankenpflege zu entscheiden (vgl. § 14 Abs. 2 Satz 1 SGB IX).

Der Antragsgegner hat daher zutreffend auf Grund des § 18 Abs. 1 SGB XII geprüft, ob dem Antragsteller ein Anspruch auf Eingliederungshilfe in Form einer Schulbegleitung zustehen könnte. Er hat dies mit zutreffenden Erwägungen verneint. Als unzutreffend erweist sich hingegen die Auffassung der Beigeladenen zu 1., den Anspruch des Antragstellers auf Leistungen der häuslichen Krankenpflege aufspalten zu können, wie dies im Bescheid vom 30.03.2015 geschehen ist. Dabei sei an dieser Stelle nochmals betont, dass dieses Schreiben alle Anforderungen erfüllt, die § 31 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) an einen Verwaltungsakt stellt. Insbesondere liegt auch eine Regelung vor, in dem die Beigeladene zu 1. mitgeteilt hat, Leistungen der Behandlungspflege übernehmen zu wollen und im gleichen Zuge die von ihr angenommene, vom Antragsteller angeblich geltend gemachte Begleitung im Alltag während der Schulzeit abgelehnt hat.

Diese Aufspaltung ist nach der Auffassung des Gerichts nicht zulässig. Denn ersichtlich wurde dem Antragsteller keine irgendwie geartete "Begleitung" verordnet und außerdem zielte diese auch nicht darauf ab, dem Antragsteller den Schulbesuch zu ermöglichen. Die Annahmen der Beigeladenen zu 1. in dem genannten Bescheid legen dies allerdings nahe. Es drängt sich der Eindruck auf, dass diese nicht zulässige Aufspaltung allein dazu dienen soll, die bekanntermaßen hohen Kosten für Leistungen der häuslichen Krankenpflege auf den Antragsgegner als Träger der Eingliederungshilfe abzuwälzen. Dabei sei auf den Grundsatz nach § 2 Abs. 2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) hingewiesen: Demnach ist sicherzustellen, dass die sozialen Rechte möglichst weitgehend verwirklicht werden. Um dieses Ziel zu erreichen, kann ein angegangener Leistungsträger in Zweifelsfällen gem. § 12 Abs. 1 Nr. 4 SGB X auch andere Leistungsträger zum Verfahren hinzuziehen. Ein solches Vorgehen spart Zeit und vermeidet den nicht unbedingt zuträglichen Eindruck, auf Kosten eines anderen Leistungsträgers und in zeitlicher Hinsicht zu Lasten des Leistungsempfängers Geld sparen zu wollen. Denn bei all den erwähnten Hinweisen auf das Wirtschaftlichkeitsgebot im SGB V ist zu beachten, dass die Leistungen gem. § 2 Abs. 4 SGB V wirksam erbracht werden müssen. Wie erwähnt, reicht die Schulbegleitung im Rahmen der Eingliederungshilfe nicht aus, um den Bedarf des Klägers zu decken; es ist keine geeignete Leistung, um das mit den ärztlichen Verordnungen verbundene Ziel zu verwirklichen.

Bezogen auf den Bescheid vom 30.03.2015 erlaubt sich das Gericht den Hinweis, dass dieser nicht mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehen worden ist. Der Antragsteller hat daher die Möglichkeit, innerhalb eines Jahres seit Bekanntgabe des Bescheides Widerspruch einzulegen (§ 66 Abs. 2 Satz 1 SGG).

In der Sache ermächtigt § 37 Abs. 6 SGB V den Gemeinsamen Bundesausschuss, in Richtlinien nach § 92 SGB V festzulegen, an welchen Orten und in welchen Fällen Leistungen nach § 37 Abs. 1, 2 SGB V auch außerhalb des Haushalts und der Familie des Versicherten erbracht werden können. Der Gemeinsame Bundesausschuss beschließt nach § 92 Abs. 1 SGB V die zur Sicherung der ärztlichen Versorgung erforderlichen Richtlinien über die Gewährung für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten; dabei ist den besonderen Erfordernissen der Versorgung behinderter oder von Behinderung bedrohter Menschen und psychisch Kranker Rechnung zu tragen, vor allem bei den Leistungen zur Belastungserprobung und Arbeitstherapie; er kann dabei die Erbringung und Verordnung von Leistungen oder Maßnahmen einschränken oder ausschließen, wenn nach allgemein anerkanntem Stand der medizinischen Erkenntnisse der diagnostische oder therapeutische Nutzen, die medizinische Notwendigkeit oder die Wirtschaftlichkeit nicht nachgewiesen sind; er kann die Verordnung von Arzneimitteln einschränken oder ausschließen, wenn die Unzweckmäßigkeit erwiesen oder eine andere, wirtschaftlichere Behandlungsmöglichkeit mit vergleichbarem diagnostischen oder therapeutischen Nutzen verfügbar ist.

Gem. § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V kann der Gemeinsame Bundesausschuss Richtlinien beschließen u.a. über die häusliche Krankenpflege. Diese Möglichkeit hat der Gemeinsame Bundesausschuss genutzt und die sogenannte "Häusliche Krankenpflege-Richtlinie" erlassen mit dem Stand der Neufassung vom 17.09.2009, zuletzt geändert am 17.07.2014. Nach dem Verzeichnis verordnungsfähiger Maßnahmen der häuslichen Krankenpflege, der Anlage zur HKP-Richtlinie, findet sich unter Ziff. 24 die spezielle Krankenbeobachtung. Diese erfordert nach der Leistungsbeschreibung die kontinuierliche Beobachtung und Intervention mit den notwendigen medizinisch-pflegerischen Maßnahmen sowie die Dokumentation der Vitalfunktionen wie Puls, Blutdruck, Temperatur, Haut und Schleimhaut einschließlich aller in diesem Zeitraum anfallenden pflegerischen Maßnahmen. Die Leistung ist verordnungsfähig, wenn mit hoher Wahrscheinlichkeit sofortige pflegerische/ärztliche Intervention bei lebensbedrohlichen Situationen täglich erforderlich ist und nur die genauen Zeitpunkte und das genaue Ausmaß nicht im Voraus bestimmt werden können.

Diese Voraussetzungen liegen im Falle des Antragstellers vor. Ausweislich des Berichts der Klinikum S bestehen beim Antragsteller Krampfadern, die zu Blutungen geführt haben. 70 Prozent dieser Blutungen wiederholen sich demnach, wobei trotz Behandlung die Sterberate bei einer solchen Blutung bei 30 Prozent liegt. Damit handelt es sich, worauf die ärztlichen Verordnungen Bezug nehmen, um eine ständige Gefahr für den Antragsteller, weshalb dieser während des Verordnungszeitraums tagtäglich begleitet werden muss, damit im Fall einer lebensbedrohlichen Blutung unverzüglich medizinische Hilfe geleistet werden kann. Nach Ansicht des Gerichts ist es – anders als die Beigeladene zu 1. meint - nicht möglich, eine solche Hilfe durch einen verständigen erwachsenen Menschen leisten zu lassen. Der MDK hat seine ablehnende Haltung in seiner sozialmedizinischen Stellungnahme vom 25.03.2015 nicht begründet. Er hat lediglich behauptet, dass die Voraussetzungen der Ziff. 24 der Anlage zur HKP-Richtlinie nicht vorlägen. Dies ist nicht sachgerecht.

Im Falle des Antragstellers geht es allerdings ersichtlich auch darum, bei eintretender Blutung keine Zeit verloren zu haben. Der gewöhnliche Ersthelfer stünde bereits vor der Herausforderung, eine Blutung beim Antragsteller auszumachen. Wieviel Zeit für diesen Erkenntnisprozess vergeht, lässt sich nicht sicher voraussagen. Die kontinuierliche Beobachtung des Antragstellers durch professionelle Pflegekräfte sowie die ständige Überwachung seiner Vitalfunktionen ermöglicht es hingegen mit großer Wahrscheinlichkeit, Komplikationen beim Antragsteller unverzüglich wahrzunehmen, damit in einem solchen Notfall wertvolle Zeit für seine Rettung genutzt werden kann. Diese Auffassung wird von der amtsärztlichen Stellungnahme von Dipl.-Med. F. gestützt. Anders als der MDK geht die Ärztin von einem lebensbedrohlichen Krankheitsbild beim Antragsteller aus. Zwar könne medizinische Hilfe rasch auch von Menschen herbeigerufen werden, die über keinen medizinischen Sachverstand verfügten. Sollte es aber zu einer massiven Ösophagusvarizenblutung kommen, ist der Antragsteller demgemäß nicht dazu in der Lage, die notwendige Hilfe zu rufen. Die Beigeladene zu 2. teilt diese Auffassung in ihrem Schriftsatz vom 09.06.2015 und geht davon aus, dass das erforderliche schnelle und adäquate Handeln im falle einer Blutung nur durch examinierte Pflegefachkräfte erfolgen könne.

Im Umfang der verordneten häuslichen Krankenpflege besteht auch nicht die Möglichkeit, die Versorgung des Antragstellers durch seine Mutter – einer examinierten Pflegekraft - vornehmen zu lassen. Zwar besteht der Anspruch auf häusliche Krankenpflege nur, soweit eine im Haushalt lebende Person den Kranken in dem erforderlichen Umfang nicht pflegen und versorgen kann (§ 37 Abs. 3 SGB V). Allerdings ist die Mutter des Antragstellers in Vollzeit berufstätig. Ihr kann nicht angesonnen werden, ihren Arbeitsplatz aufzugeben oder ihre Arbeitszeit einzuschränken. Zu berücksichtigen ist dabei auch, dass die Pflege des Antragstellers – die sie außerhalb der verordneten Krankenpflege gemeinsam mit dem Vater des Antragstellers leistet - besondere psychische Belastungen nach sich zieht. Dabei sind der Inanspruchnahme von Haushaltsangehörigen zur Entlastung der gesetzlichen Krankenversicherung auch Grenzen gesetzt (vgl. BSG, Urteil vom 21.11.2002 – B 3 KR 13/02 R). Insbesondere besteht demnach keine Verpflichtung der Haushaltsangehörigen, den Kranken beim Schulbesuch zu begleiten. Die Verordnung über vier Wochen hinaus (vgl. § 37 Abs. 1 Satz 4, 5 SGB V) erscheint im Rahmen der summarischen Prüfung nachvollziehbar, müsste aber gegebenenfalls in einem Hauptsacheverfahren gutachtlich eingeschätzt werden.

Aus den vorgenannten Erwägungen besteht auch ein Anordnungsgrund. Die Sache ist eilbedürftig, da das Leben des Antragstellers ohne die besondere Krankenbeobachtung gefährdet sein könnte.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG. Die Kosten des Antragsgegners sind nicht erstattungsfähig (§ 193 Abs. 4 SGG). Die Kosten der beigeladenen zu 2. können nicht erstattet werden, da sie keinen Antrag gestellt hat und demgemäß keinem Prozessrisiko ausgesetzt gewesen ist.
Rechtskraft
Aus
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