S 1 KR 231/06

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG Landshut (FSB)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 1 KR 231/06
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Rückforderung, Ermessensentscheidung, Bösgläubigkeit
I. Der Bescheid der Beklagten vom 11.05.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.07.2006 wird aufgehoben.

II. Die Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers zu tragen.

Tatbestand:

Gegenstand des Rechtsstreits ist die Rückforderung von im Zeitraum vom 07.07.2003 bis 27.10.2003 von der Beklagten angeblich zu Unrecht erbrachten Leistungen. Im Einzelnen: Arzneimittel, VO vom 15.07.2003 114,33 EUR Arzneimittel, VO vom 04.08.2003 32,64 EUR Arzneimittel, VO vom 15.09.2003 114,33 EUR Sehhilfe, erhalten am 26.07.2003 80,78 EUR Blutzuckermessgeräte, VO vom 15.07.2003 156,39 EUR Tensgerät, VO vom 18.09.2003 336,40 EUR Insulin Injektionsgerät, VO vom 13.10.2003 91,52 EUR Teststreifen, VO vom 13.10.2003 285,80 EUR Gesamtbetrag 1.212,19 EUR

Die Rückforderung wurde von der Beklagten damit begründet, dass für den Kläger im genannten Zeitraum keine Mitgliedschaft bei ihr bestanden habe. In diesem Zusammenhang wird auf einen Gerichtstermin vor dem Sozialgericht Berlin vom 26.04.2005 hingewiesen, in dessen Rahmen festgestellt worden sei, dass ein nachgehender Leistungsanspruch nur bis einschließlich 06.07.2003 bestehe. Auf dieser Grundlage sei ein Vergleich geschlossen worden. Gemäß § 19 Abs.1 SGB V erlösche der Anspruch auf Leistungen grundsätzlich mit dem Ende der Mitgliedschaft. Für die nach dem 06.07.2003 (bis 27.10.2003) in Anspruch genommenen Leistungen sei der Kläger somit erstattungspflichtig.

Der hiergegen erhobene Widerspruch blieb ohne Erfolg. Im Widerspruchsbescheid vom 24.07.2006 führte die Beklagte u.a. aus: "Durch Ihre bis Mai 2005 unterlassene Mitteilung, dass Sie bei der T. BKK familienversichert waren, ist es der BKK-VBU nicht mehr möglich, Erstattungsansprüche bei der T. BKK geltend zu machen, da die Anmeldung solcher Ersatzansprüche nur innerhalb einer gesetzlich festgelegten Ausschlussfrist erfolgen kann. Insofern hatte die BKK-VBU keine andere Möglichkeit, als die Kosten bei Ihnen geltend zu machen, da Sie grob fahrlässig unter Verletzung der Sorgfaltspflicht Leistungen mit der Krankenversichertenkarte der BKK-VBU zu Unrecht in Anspruch genommen haben sowie Ihrer Mitteilungspflicht nicht nachgekommen sind".

Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende Klage. Zur Begründung ließ der Kläger u.a. vortragen: Bis zum Abschluss des Vergleichs vor dem Sozialgericht Berlin sei er davon ausgegangen, dass er weiterhin bei der Beklagten versichert sei. Das Verfahren vor dem SG Berlin habe zwei Jahre gedauert; er hätte alle über die Versichertenkarte der Beklagten abgerechneten Leistungen auch von der T. BKK erhalten können.

Nach Auffassung der Beklagten sind die Voraussetzungen der §§ 45 und 48 SGB X erfüllt, da der Kläger es zumindest grob fahrlässig unterlassen habe, die Beklagte über die Möglichkeit einer Familienversicherung über seine Ehefrau zu informieren.

Der Prozessbevollmächtigte des Klägers stellte im Klageschriftsatz vom 24.08.2006 den Antrag, den Bescheid der Beklagten vom 11.05.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.07.2006 aufzuheben.

Die Beklagte stellte den Antrag, die Klage abzuweisen.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird im Übrigen auf den wesentlichen Inhalt der beigezogenen Beklagtenakte sowie auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Im ausdrücklichen Einverständnis der Beteiligten hat die Kammer gemäß § 124 Abs.2 SGG ohne mündliche Verhandlung entschieden.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist auch begründet. Der Kläger ist nicht zur Erstattung der auf Versichertenkarte der Beklagten in der Zeit vom 07.07. bis 27.10.2003 in Anspruch genommenen Leistungen verpflichtet. Der angefochtene Bescheid vom 11.05.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.07.2006 ist rechtswidrig und daher aufzuheben.

Die Entscheidung der Kammer ergibt sich im Wesentlichen aus folgenden Erwägungen:

1. Es kann im Ergebnis dahingestellt bleiben, ob Rechtsgrundlage für das Erstattungsbegehren der Beklagten § 50 Abs.1 oder § 50 Abs.2 SGB X ist. In beiden Fällen ist die Regelung des § 45 SGB X zu beachten. Absatz 1 setzt voraus, dass die Leistungsbewilligung gemäß § 45 wirksam aufgehoben wurde. Bei Absatz 2 gilt § 45 zum Schutz des Erstattungsschuldners entsprechend.

2. Der angefochtene Bescheid lässt nicht hinreichend erkennen, dass die Beklagte die Vorgaben des § 45 SGB X beachtet hat. Nach dieser Vorschrift darf ein begünstigender Verwaltungsakt, der rechtswidrig ist, unter bestimmten Voraussetzungen mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Es handelt sich dabei um eine Ermessensentscheidung, an die besondere formale Anforderungen zu stellen sind: Der Bescheid muss erkennen lassen, dass der Behörde der ihr eingeräumte Ermessensspielraum bewusst war, weiter die Gesichtspunkte aufzeigen, von denen die Behörde bei der Ausübung des Ermessens ausgegangen ist. Hierbei sind alle wesentlichen Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen, soweit sie einen unmittelbaren Bezug auf das Vertrauen des Begünstigten, seine Schutzwürdigkeit oder das öffentliche Interesse haben. Ausführungen über das Fehlen eines Vertrauensschutzes reichen nicht aus (BSG SozR § 45 Nr.34; BSG 56, 55). Die Nichtausübung von Ermessen stellt einen Ermessensfehler dar, der zur Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsaktes führt.

3. Abgesehen von diesem formellen Fehler liegen nach Auffassung der Kammer auch die materiellen Voraussetzungen des § 45 SGB X im konkreten Fall nicht vor, insbesondere kann nicht mit hinreichender Sicherheit festgestellt werden, dass der Kläger bei Entgegennahme der Leistungen "bösgläubig" war und deswegen keinen Vertrauensschutz im Sinne des § 45 Abs.2 Satz 3 SGB X genießt. Der Hinweis des Prozessbevollmächtigten des Klägers, dieser sei bis zum Vergleich vor dem SG Berlin im April 2005 davon ausgegangen, er seit weiterhin bei der Beklagten versichert, ist nach Auffassung der Kammer nicht zu widerlegen. Es ist nicht auszuschließen, dass der juristisch nicht vorgebildete und zum damaligen Zeitpunkt gesundheitlich zweifellos schwer beeinträchtigte Kläger möglicherweise davon ausging, aufgrund des Krankengeldbezugs noch Mitglied der Beklagten zu sein. Die im Gerichtstermin vom 26.04.2005 gewonnene Erkenntnis machte jedenfalls den Kläger nicht nachträglich "bösgläubig".

Der Klage war daher stattzugeben. Auf die Frage, ob die Einjahresfrist des § 45 Abs.4 Satz 2 SGB X eingehalten wurde, kommt es für die Entscheidung nicht mehr an.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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