Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG Landshut (FSB)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 1 KR 122/07
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Beschäftigung von Familienangehörigen - Mißbrauch - Krankenversicherungsschutz - Scheingeschäft - § 7 SGB IV
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig ist, ob die Klägerin ab 01.11.2003 in der Zahnarztpraxis ihres Ehemannes versicherungspflichtig beschäftigt war.
Die 1963 geborene Klägerin beantragte am 10.12.2003 bei der Beklagten die Durchführung der Pflichtversicherung ab dem 01.11.2003. In ihrem Aufnahmeantrag gab sie an, seit dem 01.11.2003 in der Zahnarztpraxis ihres Ehemannes K. K. (Beigeladener zu 4) mit einem monatlichen Gehalt von 950,00 Euro tätig zu sein. Bis 31.12.2002 war sie nach ihren Angaben privat krankenversichert. Auf dem "Feststellungsbogen zur versicherungsrechtlichen Beurteilung eines Beschäftigungsverhältnisses zwischen Angehörigen" gab ihr Ehemann an, dass sie in seiner Praxis mit der Erledigung von Büroarbeiten und der Buchführung beschäftigt sei; von Januar 2001 bis Oktober 2003 habe sie ihre Tätigkeit als geringfügig Beschäftigte ausgeübt, zuletzt mit einem monatlichen Gehalt von 400,00 Euro.
Die beklagte Krankenkasse führte daraufhin ab 01.11.2003 eine Pflichtversicherung durch; ein gesonderter Bescheid hierzu erging nicht. Am 12.02.2004 wurde durch den Ehemann der Klägerin eine Unterbrechungsmeldung wegen Mutterschaftsurlaubs erstattet, am 16.03.2004 entband die Klägerin von Zwillingen und befand sich anschließend in Elternzeit. Die Beklagte prüfte daraufhin die Angaben zur Pflichtversicherung erneut und stellte fest, dass die von der Klägerin seit 01.11.2003 bei ihrem Ehemann ausgeübte Beschäftigung von untergeordneter wirtschaftlicher Bedeutung sei und diese Beschäftigung im Rahmen der familienhaften Mitarbeit ausgeübt werde. Mit Bescheid vom 10.05.2004 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass die Beschäftigung in der Zahnarztpraxis ihres Ehemannes keine Sozialversicherungspflicht begründe. Der hiergegen erhobene Widerspruch wurde von der Klägerin im Wesentlichen damit begründet, dass sie die Beklagte bereits bei der Antragstellung auf Durchführung der Pflichtversicherung telefonisch mitgeteilt habe, dass sie schwanger sei; die Beklagte sei deswegen nicht berechtigt, ihre Pflichtversicherung rückwirkend zu stornieren. Auf Anfrage machte der Ehemann der Klägerin folgende Angaben: Vor und nach dem 01.11.2003 seien sechs Mitarbeiter in der Praxis beschäftigt gewesen; während der Zeit des Mutterschutzes seien die Aufgaben seiner Ehefrau auf andere Mitarbeiter umverteilt worden. Seit dem 19.06.2004 befände sie sich in Erziehungszeit und würde mit einem Gehalt von 400,00 Euro in der Praxis mitarbeiten. Ihre wöchentliche Arbeitszeit habe 19 Stunden betragen, die sich auf die Zeit von Montag bis Freitag verteilten. Überwiegend habe sie in der Praxis gearbeitet, aber auch Arbeiten von zu Hause aus erledigt. Ihre Tätigkeit habe in der Buchführung, der Abrechnung und der Erfassung von Belegen bestanden. Ihre insgesamt 11 Kinder im Alter von 12 Wochen bis 18 Jahren würden von der Klägerin, der Oma und teilweise von den älteren Geschwistern betreut. Ein Arbeitsvertrag wurde trotz Aufforderung durch die Beklagte nicht vorgelegt.
Mit Widerspruchsbescheid vom 04.05.2005 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Die Entscheidung wurde im Wesentlichen darauf gestützt, dass das Beschäftigungsverhältnis der Klägerin einem Fremdvergleich nicht standhalte. Ein fremder Arbeitgeber würde ein mit einer schwangeren Arbeitnehmerin bestehendes geringfügiges Beschäftigungsverhältnis unverändert fortsetzen und nicht, wie vorliegend geschehen, vor dem anstehenden Mutterschaftsurlaub und der Entbindung das Gehalt unter Beibehaltung der übrigen Arbeitsbedingungen um mehr als 100 % erhöhen. Die Erhöhung des Gehalts zum 01.11.2003 auf 950,00 Euro habe vielmehr einzig dem Zweck gedient, die bis dahin in der gesetzlichen Krankenversicherung bestehende Versicherungsfreiheit zu beenden und eine Versicherungspflicht herbeizuführen, um so Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung während der Schwangerschaft und nach der Entbindung zu erhalten.
Diese Entscheidung wurde bestandskräftig.
Mit Schreiben ihrer bevollmächtigten Rechtsanwälte vom 27.01.2006 bat die Klägerin um Überprüfung des Bescheides vom 10.05.2004 gemäß § 44 SGB X.
Mit der Begründung, dass weiterhin keine abhängige Beschäftigung der Klägerin in der Zahnarztpraxis ihres Ehemannes ab 01.11.2003 gesehen werde, lehnte die Beklagte eine Aufhebung der früher getroffenen Entscheidung mit Schreiben vom 22.05.2006 ab. Der hiergegen erhobene Widerspruch blieb erfolglos – Widerspruchsbescheid vom 26.04.2007.
Mit ihrer Klage zum Sozialgericht Landshut verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Zur Begründung wurde von ihrem Bevollmächtigten vorgetragen: Aufgrund der der Klägerin erteilten Mitgliedsbescheinigung habe zumindest eine formale Mitgliedschaft bestanden. Der Bescheid vom 10.05.2004 sei schon wegen fehlender Anhörung rechtswidrig. Eine rückwirkende Feststellung der fehlenden Mitgliedschaft könne nur auf die in § 45 SGB X enthaltenen Gründe gestützt werden; derartige Gründe lägen nicht vor. Die Klägerin habe die Beklagte nicht über irgendwelche maßgeblichen Sachverhalte getäuscht oder unvollständige Auskünfte erteilt. Selbst wenn materiell-rechtlich der angefochtene Bescheid begründet wäre, könnte er lediglich für die Zukunft aufgehoben werden. Ein derartiger Bescheid liege bisher nicht vor.
In ihrer Klageerwiderung vom 04.07.2008 machte die Beklagte u.a. geltend: Gerade bei der Beschäftigung von Angehörigen sei kritisch zu prüfen, ob ein ernsthaft gewolltes und vereinbarungsgemäß entgeltliches Beschäftigungsverhältnisses vorliege; dies sei insbesondere dann der Fall, wenn Vertragsgestaltung und -durchführung auch mit einem fremden Arbeitnehmer so erfolgt wäre. Dies werde aus den bereits genannten Gründen bestritten. Da sich an der Tätigkeit der Klägerin zu keinem Zeitpunkt etwas geändert habe, sei die erhebliche Anhebung des Gehalts von 400,00 Euro auf 950,00 Euro monatlich für die kurze Zeit vor der Entbindung nicht anders erklärbar, als dass dies zu dem Zweck erfolgte, kurzfristig Versicherungspflicht herbeizuführen. Dies werde durch den Umstand bekräftigt, dass die Klägerin nach ihrer Arbeitspause ab dem 19.06.2004 wieder ein Gehalt von 400,00 Euro bezog. Darüber hinaus werde die Erteilung einer Mitgliedschaftsbescheinigung bestritten. Die Klägerin habe allenfalls ein Begrüßungsschreiben erhalten, wobei es sich hierbei jedoch nach ständiger Rechtsprechung um keinen Verwaltungsakt handle, der nach den Regelungen des SGB X zurückzunehmen wäre. Auch ein Anhörungsfehler sei nicht ersichtlich. Der Bescheid vom 10.05.2004 sei zwar ohne vorherige Anhörung erfolgt, diese sei nach § 41 Abs.1 Nr.3 SGB X im Rahmen des Widerspruchsverfahrens nachgeholt worden. Der Klägerin sei hierbei die Möglichkeit gegeben worden, sich zu dem Bescheid im Widerspruchsverfahren zu äußern. Dies habe die Klägerin auch mit Schreiben vom 26.06.2004 getan und vorgetragen, dass die Beklagte bereits vor Stellung des Mitgliedschaftsantrages über ihre Schwangerschaft informiert worden sei. Die vorgebrachten Argumente seien im vorliegenden Widerspruchsbescheid vom 04.05.2005 erkennbar aufgenommen und in die Prüfung miteinbezogen worden.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung stellte die Prozessbevollmächtigte der Klägerin folgende Anträge:
1. Der Bescheid der Beklagten vom 22.05.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.04.2007 wird aufgehoben.
2. Unter Aufhebung des Bescheides vom 10.05.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.05.2005 wird festgestellt, dass die Klägerin für Zeiten ab 01.11.2003 Mitglied der Beklagten ist.
3. Hilfsweise wird beantragt, festzustellen, dass die ab 01.11.2003 bestehende Mitgliedschaft der Klägerin bei der Beklagten mit dem Bescheid vom 10.05.2004 nicht rückwirkend beendet wurde.
Die Beklagtenvertreterin stellte den Antrag,
die Klage abzuweisen.
Die Beigeladenen zu 1 bis 4 (Agentur für Arbeit, ... BKK – Pflegekasse –, Deutsche Rentenversicherung Bund, K. K.) stellten keinen Antrag.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird im Übrigen auf den gesamten Inhalt der beigezogenen Beklagtenakte, auf die zwischen den Beteiligten im Klageverfahren gewechselten Schriftsätze sowie auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist nicht begründet. Die Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, den Bescheid vom 10.05.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.05.2005 zurückzunehmen. Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass bei Erlass dieses Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem falschen Sachverhalt ausgegangen worden wäre. Auch nach Auffassung der Kammer hat die Beklagte zu Recht das Vorliegen einer versicherungspflichtigen Beschäftigung der Klägerin ab 01.11.2003 in der Zahnarztpraxis ihres Ehemannes abgelehnt.
1. Ob eine Beschäftigung von Familienangehörigen als abhängiges Beschäftigungsverhältnis, selbständige Tätigkeit als Mitunternehmer oder familienhafte Mitarbeit zu werten ist, ist unter Berücksichtigung der Grundsätze, die Lehre und Rechtsprechung zum Begriff des entgeltlichen Beschäftigungsverhältnisses in der Sozialversicherung entwickelt haben, zu entscheiden. Allerdings ist es bei der Beschäftigung von Angehörigen erforderlich und zulässig, an den Nachweis echter Arbeitverträge zwischen Ehegatten besondere Anforderungen zu stellen (BVerfGE 9, 237, 245 ff). Dementsprechend sind Arbeitsverhältnisse zwischen Eheleuten anzuerkennen, wenn sie ernsthaft, klar und eindeutig vereinbart sind und der Vereinbarung entsprechend tatsächlich vollzogen werden; Vertragsgestaltung und -durchführung sind darauf zu überprüfen, ob sie auch zwischen Fremden üblich sind. An den Nachweis der Tatsachen, die Versicherungspflicht begründen sind strenge Anforderungen zu stellen, wenn der Verdacht von Manipulationen zu Lasten der Krankenkassen besteht. Die Feststellungslast für die Tatsachen, die Versicherungspflicht begründen, trägt derjenige, der sich auf sie beruft (BSG vom 04.12.1997 12 RK 46/94; ständige Rechtsprechung).
2. In Anwendung dieser Grundsätze ist vorliegend im maßgeblichen Zeitraum nicht von einem versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis auszugehen. Auch nach Überzeugung der Kammer hatte die Erhöhung des Gehalts zum 01.11.2003 auf 950,00 Euro – ohne wesentliche Änderung der sonstigen Arbeitsbedingungen – einzig und allein den Zweck, Versicherungspflicht herbei zu führen, um während der Schwangerschaft und nach der Entbindung Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung zu erhalten und während der Elternzeit (Erziehungszeit) ohne Beitragsleistung krankenversichert zu sein. Die missbrauchsbegründenden Umstände sind nach Auffassung der Kammer "mit Händen zu greifen": Die Klägerin war zum damaligen Zeitpunkt, ebenso wie ihr Ehemann, ohne Krankenversicherungsschutz; es bestand eine Zwillingsschwangerschaft im fünften Schwangerschaftsmonat; vor dem 01.11.2003 als auch während der Zeit des Erziehungsurlaubs (Elternzeit) war die Klägerin auf Geringverdienerbasis beschäftigt. Weitere Gesichtspunkte sind: Keine Veränderung der Zahl der Praxismitarbeiter; kein Arbeitsvertrag; widersprüchliche Angaben zu der angeblich ausgeübten Tätigkeit; Betreuung von neun minderjährigen, im Haushalt lebenden Kindern etc ...
Die Beklagte hat demnach im Bescheid vom 10.05.2004 (Widerspruchsbescheid vom 04.05.2005) zu Recht das Vorliegen einer versicherungspflichtigen Beschäftigung verneint. Der Antrag vom 27.01.2006 auf Rücknahme dieser Entscheidung konnte somit keinen Erfolg haben.
3. Die Entscheidung der Beklagten hält auch einer formellen Überprüfung stand. Hierbei spielt es im Ergebnis keine Rolle, ob die der Klägerin erteilte Mitgliedsbescheinigung Verwaltungsaktcharakter besitzt. Nachdem die Anmeldung bei der Beklagten, wie ausgeführt, der missbräuchlichen Herbeiführung eines Krankenversicherungsschutzes zu Lasten der Solidargemeinschaft diente, wären auch die Voraussetzungen für eine auf § 45 SGB X gestützte Rücknahmeentscheidung gegeben. Der Bescheid vom 10.05.2004 erging zwar ohne vorherige Anhörung der Klägerin. Diese wurde jedoch, worauf die Beklagte zutreffend hinweist, im Rahmen des Widerspruchsverfahrens nachgeholt (§ 41 Abs.1 Nr.3 SGB X). Ein eventueller Anhörungsmangel wäre damit geheilt.
Die Klage war daher abzuweisen. Im Übrigen nimmt die Kammer Bezug auf die zutreffende Begründung im Widerspruchsbescheid vom 04.05.2005. Von einer weiteren Begründung wird abgesehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig ist, ob die Klägerin ab 01.11.2003 in der Zahnarztpraxis ihres Ehemannes versicherungspflichtig beschäftigt war.
Die 1963 geborene Klägerin beantragte am 10.12.2003 bei der Beklagten die Durchführung der Pflichtversicherung ab dem 01.11.2003. In ihrem Aufnahmeantrag gab sie an, seit dem 01.11.2003 in der Zahnarztpraxis ihres Ehemannes K. K. (Beigeladener zu 4) mit einem monatlichen Gehalt von 950,00 Euro tätig zu sein. Bis 31.12.2002 war sie nach ihren Angaben privat krankenversichert. Auf dem "Feststellungsbogen zur versicherungsrechtlichen Beurteilung eines Beschäftigungsverhältnisses zwischen Angehörigen" gab ihr Ehemann an, dass sie in seiner Praxis mit der Erledigung von Büroarbeiten und der Buchführung beschäftigt sei; von Januar 2001 bis Oktober 2003 habe sie ihre Tätigkeit als geringfügig Beschäftigte ausgeübt, zuletzt mit einem monatlichen Gehalt von 400,00 Euro.
Die beklagte Krankenkasse führte daraufhin ab 01.11.2003 eine Pflichtversicherung durch; ein gesonderter Bescheid hierzu erging nicht. Am 12.02.2004 wurde durch den Ehemann der Klägerin eine Unterbrechungsmeldung wegen Mutterschaftsurlaubs erstattet, am 16.03.2004 entband die Klägerin von Zwillingen und befand sich anschließend in Elternzeit. Die Beklagte prüfte daraufhin die Angaben zur Pflichtversicherung erneut und stellte fest, dass die von der Klägerin seit 01.11.2003 bei ihrem Ehemann ausgeübte Beschäftigung von untergeordneter wirtschaftlicher Bedeutung sei und diese Beschäftigung im Rahmen der familienhaften Mitarbeit ausgeübt werde. Mit Bescheid vom 10.05.2004 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass die Beschäftigung in der Zahnarztpraxis ihres Ehemannes keine Sozialversicherungspflicht begründe. Der hiergegen erhobene Widerspruch wurde von der Klägerin im Wesentlichen damit begründet, dass sie die Beklagte bereits bei der Antragstellung auf Durchführung der Pflichtversicherung telefonisch mitgeteilt habe, dass sie schwanger sei; die Beklagte sei deswegen nicht berechtigt, ihre Pflichtversicherung rückwirkend zu stornieren. Auf Anfrage machte der Ehemann der Klägerin folgende Angaben: Vor und nach dem 01.11.2003 seien sechs Mitarbeiter in der Praxis beschäftigt gewesen; während der Zeit des Mutterschutzes seien die Aufgaben seiner Ehefrau auf andere Mitarbeiter umverteilt worden. Seit dem 19.06.2004 befände sie sich in Erziehungszeit und würde mit einem Gehalt von 400,00 Euro in der Praxis mitarbeiten. Ihre wöchentliche Arbeitszeit habe 19 Stunden betragen, die sich auf die Zeit von Montag bis Freitag verteilten. Überwiegend habe sie in der Praxis gearbeitet, aber auch Arbeiten von zu Hause aus erledigt. Ihre Tätigkeit habe in der Buchführung, der Abrechnung und der Erfassung von Belegen bestanden. Ihre insgesamt 11 Kinder im Alter von 12 Wochen bis 18 Jahren würden von der Klägerin, der Oma und teilweise von den älteren Geschwistern betreut. Ein Arbeitsvertrag wurde trotz Aufforderung durch die Beklagte nicht vorgelegt.
Mit Widerspruchsbescheid vom 04.05.2005 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Die Entscheidung wurde im Wesentlichen darauf gestützt, dass das Beschäftigungsverhältnis der Klägerin einem Fremdvergleich nicht standhalte. Ein fremder Arbeitgeber würde ein mit einer schwangeren Arbeitnehmerin bestehendes geringfügiges Beschäftigungsverhältnis unverändert fortsetzen und nicht, wie vorliegend geschehen, vor dem anstehenden Mutterschaftsurlaub und der Entbindung das Gehalt unter Beibehaltung der übrigen Arbeitsbedingungen um mehr als 100 % erhöhen. Die Erhöhung des Gehalts zum 01.11.2003 auf 950,00 Euro habe vielmehr einzig dem Zweck gedient, die bis dahin in der gesetzlichen Krankenversicherung bestehende Versicherungsfreiheit zu beenden und eine Versicherungspflicht herbeizuführen, um so Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung während der Schwangerschaft und nach der Entbindung zu erhalten.
Diese Entscheidung wurde bestandskräftig.
Mit Schreiben ihrer bevollmächtigten Rechtsanwälte vom 27.01.2006 bat die Klägerin um Überprüfung des Bescheides vom 10.05.2004 gemäß § 44 SGB X.
Mit der Begründung, dass weiterhin keine abhängige Beschäftigung der Klägerin in der Zahnarztpraxis ihres Ehemannes ab 01.11.2003 gesehen werde, lehnte die Beklagte eine Aufhebung der früher getroffenen Entscheidung mit Schreiben vom 22.05.2006 ab. Der hiergegen erhobene Widerspruch blieb erfolglos – Widerspruchsbescheid vom 26.04.2007.
Mit ihrer Klage zum Sozialgericht Landshut verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Zur Begründung wurde von ihrem Bevollmächtigten vorgetragen: Aufgrund der der Klägerin erteilten Mitgliedsbescheinigung habe zumindest eine formale Mitgliedschaft bestanden. Der Bescheid vom 10.05.2004 sei schon wegen fehlender Anhörung rechtswidrig. Eine rückwirkende Feststellung der fehlenden Mitgliedschaft könne nur auf die in § 45 SGB X enthaltenen Gründe gestützt werden; derartige Gründe lägen nicht vor. Die Klägerin habe die Beklagte nicht über irgendwelche maßgeblichen Sachverhalte getäuscht oder unvollständige Auskünfte erteilt. Selbst wenn materiell-rechtlich der angefochtene Bescheid begründet wäre, könnte er lediglich für die Zukunft aufgehoben werden. Ein derartiger Bescheid liege bisher nicht vor.
In ihrer Klageerwiderung vom 04.07.2008 machte die Beklagte u.a. geltend: Gerade bei der Beschäftigung von Angehörigen sei kritisch zu prüfen, ob ein ernsthaft gewolltes und vereinbarungsgemäß entgeltliches Beschäftigungsverhältnisses vorliege; dies sei insbesondere dann der Fall, wenn Vertragsgestaltung und -durchführung auch mit einem fremden Arbeitnehmer so erfolgt wäre. Dies werde aus den bereits genannten Gründen bestritten. Da sich an der Tätigkeit der Klägerin zu keinem Zeitpunkt etwas geändert habe, sei die erhebliche Anhebung des Gehalts von 400,00 Euro auf 950,00 Euro monatlich für die kurze Zeit vor der Entbindung nicht anders erklärbar, als dass dies zu dem Zweck erfolgte, kurzfristig Versicherungspflicht herbeizuführen. Dies werde durch den Umstand bekräftigt, dass die Klägerin nach ihrer Arbeitspause ab dem 19.06.2004 wieder ein Gehalt von 400,00 Euro bezog. Darüber hinaus werde die Erteilung einer Mitgliedschaftsbescheinigung bestritten. Die Klägerin habe allenfalls ein Begrüßungsschreiben erhalten, wobei es sich hierbei jedoch nach ständiger Rechtsprechung um keinen Verwaltungsakt handle, der nach den Regelungen des SGB X zurückzunehmen wäre. Auch ein Anhörungsfehler sei nicht ersichtlich. Der Bescheid vom 10.05.2004 sei zwar ohne vorherige Anhörung erfolgt, diese sei nach § 41 Abs.1 Nr.3 SGB X im Rahmen des Widerspruchsverfahrens nachgeholt worden. Der Klägerin sei hierbei die Möglichkeit gegeben worden, sich zu dem Bescheid im Widerspruchsverfahren zu äußern. Dies habe die Klägerin auch mit Schreiben vom 26.06.2004 getan und vorgetragen, dass die Beklagte bereits vor Stellung des Mitgliedschaftsantrages über ihre Schwangerschaft informiert worden sei. Die vorgebrachten Argumente seien im vorliegenden Widerspruchsbescheid vom 04.05.2005 erkennbar aufgenommen und in die Prüfung miteinbezogen worden.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung stellte die Prozessbevollmächtigte der Klägerin folgende Anträge:
1. Der Bescheid der Beklagten vom 22.05.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.04.2007 wird aufgehoben.
2. Unter Aufhebung des Bescheides vom 10.05.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.05.2005 wird festgestellt, dass die Klägerin für Zeiten ab 01.11.2003 Mitglied der Beklagten ist.
3. Hilfsweise wird beantragt, festzustellen, dass die ab 01.11.2003 bestehende Mitgliedschaft der Klägerin bei der Beklagten mit dem Bescheid vom 10.05.2004 nicht rückwirkend beendet wurde.
Die Beklagtenvertreterin stellte den Antrag,
die Klage abzuweisen.
Die Beigeladenen zu 1 bis 4 (Agentur für Arbeit, ... BKK – Pflegekasse –, Deutsche Rentenversicherung Bund, K. K.) stellten keinen Antrag.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird im Übrigen auf den gesamten Inhalt der beigezogenen Beklagtenakte, auf die zwischen den Beteiligten im Klageverfahren gewechselten Schriftsätze sowie auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist nicht begründet. Die Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, den Bescheid vom 10.05.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.05.2005 zurückzunehmen. Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass bei Erlass dieses Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem falschen Sachverhalt ausgegangen worden wäre. Auch nach Auffassung der Kammer hat die Beklagte zu Recht das Vorliegen einer versicherungspflichtigen Beschäftigung der Klägerin ab 01.11.2003 in der Zahnarztpraxis ihres Ehemannes abgelehnt.
1. Ob eine Beschäftigung von Familienangehörigen als abhängiges Beschäftigungsverhältnis, selbständige Tätigkeit als Mitunternehmer oder familienhafte Mitarbeit zu werten ist, ist unter Berücksichtigung der Grundsätze, die Lehre und Rechtsprechung zum Begriff des entgeltlichen Beschäftigungsverhältnisses in der Sozialversicherung entwickelt haben, zu entscheiden. Allerdings ist es bei der Beschäftigung von Angehörigen erforderlich und zulässig, an den Nachweis echter Arbeitverträge zwischen Ehegatten besondere Anforderungen zu stellen (BVerfGE 9, 237, 245 ff). Dementsprechend sind Arbeitsverhältnisse zwischen Eheleuten anzuerkennen, wenn sie ernsthaft, klar und eindeutig vereinbart sind und der Vereinbarung entsprechend tatsächlich vollzogen werden; Vertragsgestaltung und -durchführung sind darauf zu überprüfen, ob sie auch zwischen Fremden üblich sind. An den Nachweis der Tatsachen, die Versicherungspflicht begründen sind strenge Anforderungen zu stellen, wenn der Verdacht von Manipulationen zu Lasten der Krankenkassen besteht. Die Feststellungslast für die Tatsachen, die Versicherungspflicht begründen, trägt derjenige, der sich auf sie beruft (BSG vom 04.12.1997 12 RK 46/94; ständige Rechtsprechung).
2. In Anwendung dieser Grundsätze ist vorliegend im maßgeblichen Zeitraum nicht von einem versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis auszugehen. Auch nach Überzeugung der Kammer hatte die Erhöhung des Gehalts zum 01.11.2003 auf 950,00 Euro – ohne wesentliche Änderung der sonstigen Arbeitsbedingungen – einzig und allein den Zweck, Versicherungspflicht herbei zu führen, um während der Schwangerschaft und nach der Entbindung Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung zu erhalten und während der Elternzeit (Erziehungszeit) ohne Beitragsleistung krankenversichert zu sein. Die missbrauchsbegründenden Umstände sind nach Auffassung der Kammer "mit Händen zu greifen": Die Klägerin war zum damaligen Zeitpunkt, ebenso wie ihr Ehemann, ohne Krankenversicherungsschutz; es bestand eine Zwillingsschwangerschaft im fünften Schwangerschaftsmonat; vor dem 01.11.2003 als auch während der Zeit des Erziehungsurlaubs (Elternzeit) war die Klägerin auf Geringverdienerbasis beschäftigt. Weitere Gesichtspunkte sind: Keine Veränderung der Zahl der Praxismitarbeiter; kein Arbeitsvertrag; widersprüchliche Angaben zu der angeblich ausgeübten Tätigkeit; Betreuung von neun minderjährigen, im Haushalt lebenden Kindern etc ...
Die Beklagte hat demnach im Bescheid vom 10.05.2004 (Widerspruchsbescheid vom 04.05.2005) zu Recht das Vorliegen einer versicherungspflichtigen Beschäftigung verneint. Der Antrag vom 27.01.2006 auf Rücknahme dieser Entscheidung konnte somit keinen Erfolg haben.
3. Die Entscheidung der Beklagten hält auch einer formellen Überprüfung stand. Hierbei spielt es im Ergebnis keine Rolle, ob die der Klägerin erteilte Mitgliedsbescheinigung Verwaltungsaktcharakter besitzt. Nachdem die Anmeldung bei der Beklagten, wie ausgeführt, der missbräuchlichen Herbeiführung eines Krankenversicherungsschutzes zu Lasten der Solidargemeinschaft diente, wären auch die Voraussetzungen für eine auf § 45 SGB X gestützte Rücknahmeentscheidung gegeben. Der Bescheid vom 10.05.2004 erging zwar ohne vorherige Anhörung der Klägerin. Diese wurde jedoch, worauf die Beklagte zutreffend hinweist, im Rahmen des Widerspruchsverfahrens nachgeholt (§ 41 Abs.1 Nr.3 SGB X). Ein eventueller Anhörungsmangel wäre damit geheilt.
Die Klage war daher abzuweisen. Im Übrigen nimmt die Kammer Bezug auf die zutreffende Begründung im Widerspruchsbescheid vom 04.05.2005. Von einer weiteren Begründung wird abgesehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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