S 1 KR 221/07

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG Landshut (FSB)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 1 KR 221/07
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Krankentransportleistungen, Vergütungsvereinbarung, Schadensersatzanspruch
I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der Kosten, die durch die Anrufung des unzuständigen Amtsgerichts Passau entstanden sind.

III. Der Streitwert wird auf EUR 4.717,44 festgesetzt.

Tatbestand:

Die Klägerin macht entgangenen Gewinn für den Zeitraum 01.08.2005 bis 31.01.2006 im Wege der Teilklage geltend.

Die Klägerin, ein Mietwagen-Unternehmen, schloss mit der beklagten Krankenkasse mit Wirkung zum 01.05.2002 eine auf § 133 SGB V gestützte "Vereinbarung über die Durchführung von Patientenfahrten". Gemäß § 1 "regelt diese Vereinbarung in Verbindung mit der Vergütungsvereinbarung (Anlage 1) die Art und Weise der Durchführung sowie die Rechnungslegung und Vergütung von Fahrten nach § 60 SGB V im Mietwagen für Versicherte der AOK Bayern, Direktion Passau, exklusive der Krankentransporte."

Die Klägerin hat aufgrund dieser Vereinbarung Dialyse-Fahrten zwischen Hofkirchen und Passau für den Versicherten ... (J.D.), Hofkirchen, erbracht.

Mit Schreiben vom 25.07.2005 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass sie ab 01.08.2005 seine Dienste für Dialyse-Fahrten nicht mehr in Anspruch nehmen könne. Aufgrund der gesetzlichen Verpflichtung zur wirtschaftlichen Leistungserbringung würden künftig durch das Kuratorium für Dialyse und Nierentransplantation e.V. (KfH) für Dialyse-Patienten Gemeinschaftsfahrten von und zur Dialyse-Behandlung organisiert. Dabei berücksichtige das KfH den Wohnort, die Streckenführung und die Behandlungszeiten gleichermaßen. Der Versicherte J. D. sei darüber informiert worden, dass, falls er aus persönlichen Gründen an der organisierten Gemeinschaftsfahrt nicht teilnehme, die Mehrkosten selbst tragen müsse.

In der Folgezeit nahm der Versicherte die Dienste der Klägerin nicht mehr in Anspruch.

Zur Begründung der vorliegenden Klage ließ die Klägerin im Wesentlichen vortragen: Laut § 2 Abs.4 des zwischen den Parteien abgeschlossenen, bisher ungekündigten Vertrages stehe den Versicherten die Wahl unter den zugelassenen Leistungserbringern am Ort grundsätzlich frei. Die Beklagte sei zwar nach den vertraglichen Vereinbarungen berechtigt, den Versicherten über günstigere Anbieter zu informieren oder andere preisgünstigere Beförderer zu beauftragen. Dem bisherigen Leistungserbringer sei jedoch zuvor Gelegenheit zu geben, sein Angebot anzugleichen. Dieser Passus sei von der Beklagten nicht beachtet worden. Bei vertragsgemäßem Verhalten hätte die Beklagte die Klägerin darauf hinweisen müssen, dass die Möglichkeit einer Gemeinschaftsfahrt für den Versicherten J.D. bestehe und ihr gleichzeitig Gelegenheit geben müssen, ihre Preise den günstigeren Preise für die Gemeinschaftsfahrten anzugleichen. Erst wenn die Klägerin die Angleichung der Preise abgelehnt hätte, wäre die Beklagte zu einer anderweitigen Vergabe der Dialyse-Fahrten berechtigt gewesen. Durch die Entziehung des Auftrags der Klägerin und die Auftragserteilung an ein anderes Unternehmen verstoße die Beklagte gegen die vertraglich begründeten Verpflichtungen. Es handele sich insoweit um eine Pflichtverletzung aus dem vertraglichen Schuldverhältnis, die die Klägerin zum Schadensersatz berechtige. Aufgrund der vertragsgemäß angebotenen Leistung der Klägerin befinde sich die Beklagte seit 01.08.2005 in Verzug. Mit der Klage werde vorläufig nur entgangener Gewinn der Klägerin für den Zeitraum 01.08.2005 bis 31.01.2006 im Wege der Teilklage geltend gemacht. Es sei davon auszugehen, dass die Klägerin den Versicherten J.D. für die Zeit vom 01.08.2005 bis 31.01.2006 durchschnittlich 13,5mal monatlich nach Passau und zurück gefahren hätte. Dies entspreche dem Durchschnitt der in den Monaten Februar bis Juli 2005 erbrachten Dialyse-Fahrten. Mithin ergebe sich bei einem monatlichen Entgelt von 982,80 Euro (bei 72,80 Euro je Fahrt) für die 13,5 Fahrten eine Gesamtsumme von 5.896,80 Euro. Abzüglich ersparter Aufwendungen der Klägerin in Höhe von 20 % betrage der entgangene Gewinn 4.717,44 Euro (5.896,80 Euro – 1.179,36 Euro).

Mit Beschluss vom 21.08.2007 erklärte das Amtsgericht Passau den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten für unzulässig und verwies den Rechtsstreit an das Sozialgericht Landshut.

Mit Schriftsatz vom 11.10.2007 äußerte sich die Beklagte zur Sache wie folgt: Die Beklagte habe im Laufe des Jahres 2005 eine Kostenersparnis im Bereich der Fahrtkosten insbesondere durch Organisation gemeinsamer bzw. regelmäßig stattfindender Taxifahrten mehrerer Versicherter (sog. Serien- und Sammelfahrten) angestrebt. Das Kuratorium für Dialyse- und Nierentransplantation e.V. (KfH) habe sich daraufhin bereit erklärt, die von ihm behandelten Dialyse-Patienten, soweit möglich, im Rahmen einer Sammelfahrt zur Behandlung transportieren zu lassen. Die Beklagte habe in der Folgezeit die bei ihr versicherten Dialyse-Patienten dahingehend informiert, dass sie als Körperschaft des öffentlichen Rechts verpflichtet sei, im Rahmen des Wirtschaftlichkeitsgebotes und vor dem Hintergrund der Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 30.01.2001 (Az. B 3 KR 2/00 R) soweit wie möglich gemeinsame Taxi- und Mietwagenfahrten (Serien- und Sammelfahrten) von Versicherten zu organisieren und entsprechende Alleinfahrten zu verweigern. In entsprechender Weise seien die Transportunternehmen informiert worden. Das Bundessozialgericht habe im Urteil vom 30.01.2001 (aaO) festgestellt, dass § 60 Abs.1 Satz 2 SGB V von dem Grundsatz ausgehe, dass ein bestimmtes Fahrzeug nur benutzt werden könne, wenn dafür eine medizinische Notwendigkeit im Einzelfall vorliege. Dazu gebe § 60 Abs.2 Satz 1Nr.1 bis 3 SGB V unter den zulässigen Transportmitteln eine Reihenfolge vor, wonach das jeweils teurere Transportmittel nur genutzt werden dürfe, wenn das jeweils billigere Transportmittel nicht benutzt werden könne. § 133 Abs.1 Satz 5 SGB V postuliere außerdem die Ausrichtung von Vergütungsvereinbarungen an möglichst preisgünstigen Versorgungsmöglichkeiten. Alle genannten Vorschriften seien Ausdruck des für die Krankenkassen generell geltenden Wirtschaftlichkeitsgebotes (§ 12 SGB V). Einer Gesamtbetrachtung der einschlägigen Vorschriften sei (so das Bundessozialgericht) der Wille des Gesetzgebers zur möglichst sparsamen Inanspruchnahme von Verkehrsmitteln durch die Versicherten sowie ein Auftrag an die Krankenkassen zum Ergreifen geeigneter Maßnahmen in Richtung auf eine möglichst weitgehende Fahrtkostenersparnis zu entnehmen. Das insoweit vom Gesetzgeber vorgegebene und durch das Bundessozialgericht bestätigte Vorgehen der Beklagten sei nicht zu beanstanden.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung stellte die Prozessbevollmächtigte der Klägerin den Antrag:
I. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 5.128,74 Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

II. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagtenvertreter stellte den Antrag,
die Klage abzuweisen sowie die Kosten des Verfahrens und die Mehrkosten für die Anrufung des unzuständigen Gerichts der Klägerin aufzuerlegen.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird im Übrigen auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze sowie auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist nicht begründet.

Die Klägerin begehrt von der beklagten Krankenkasse die Zahlung des Beförderungsentgelts (abzüglich ersparter Aufwendungen) für nicht durchgeführte Dialyse-Fahrten. Abgesehen davon, dass die Anzahl der der Schadensberechnung zugrunde gelegten monatlichen Dialyse-Fahrten rein fiktiv und ein Abzug von lediglich 20 % für ersparte Aufwendungen realitätsfremd ist, ergibt sich der geltend gemachte Anspruch weder aus einer Vertragsverletzung der Beklagten noch aus anderen Rechtsgrundsätzen.

1. Die Klägerin kann den geltend gemachten Anspruch nicht auf die mit der Beklagten geschlossene "Vereinbarung über die Durchführung von Patientenfahrten" stützen. Diese Vereinbarung regelt die Art und Weise der Durchführung sowie die Rechnungslegung und Vergütung von Fahrten nach § 60 SGB V (vgl. § 1 der Vereinbarung), wobei sich die Höhe der Vergütung im Einzelnen aus der Vergütungsvereinbarung gemäß Anlage 1 ergibt. Diese Vereinbarung enthält jedoch ausweislich seines Wortlauts keinerlei Verpflichtung der Beklagten, der Klägerin Versicherte zur Beförderung "zur Verfügung zu stellen", noch eine Verpflichtung von Versicherten der Beklagten, sich bei der Klägerin befördern zu lassen. Letzteres ergibt sich ausdrücklich aus § 2 Abs.4 Satz 1 dieser Vereinbarung, wonach den Versicherten die Wahl unter den zugelassenen Leistungserbringern am Ort grundsätzlich frei steht. Ebenso enthält die Vereinbarung keine Verpflichtung der Klägerin, bestimmte Versicherte der Beklagten zu transportieren. Bei verständiger Auslegung seines Wortlauts gibt diese Vereinbarung lediglich der Klägerin das Recht, unter bestimmten Voraussetzungen und zu bestimmten Konditionen, Versicherte der Beklagten zu befördern; eine Verpflichtung der Beklagten, der Klägerin eine bestimmte Zahl von Versicherten zuzuweisen, lässt sich aus der geschlossenen Vereinbarung nicht entnehmen (ebenso LSG für das Land Brandenburg, Urteil vom 04.12.2003, Az.: L 4 KR 17/00).

2. Ein anderer Vertragsinhalt wäre auch schwer mit § 133 SGB V zu vereinbaren, der insoweit die gesetzliche Grundlage bildet. Nach dieser Vorschrift schließen die Krankenkassen oder ihre Verbände Verträge über Vergütung von Leistungen des Rettungsdienstes und anderer Krankentransporte ( ) mit dafür geeigneten Einrichtungen oder Unternehmen, soweit die Entgelte nicht durch andere rechtliche oder kommunale Bestimmungen festgelegt werden. Die auf der Grundlage des § 133 SGB V geschlossene Vereinbarung kann nur als das angesehen werden, was in dieser Bestimmung vorgegeben ist, nämlich als Vertrag über die Vergütung von Krankentransportleistungen.

3. Nachdem der Klägerin somit kein vertragliches Recht auf Beförderung des Versicherten J.D. zustand, kann sie auch aus dem Umstand, dass der Versicherte durch Vermittlung der Beklagten die Dienste der KfH in Anspruch nahm, keinen Schadensersatzanspruch ableiten. Zwar gelten nach § 69 Satz 4 SGB V für die Rechtsbeziehung zwischen Krankenkassen und Leistungserbringern die Vorschriften des bürgerlichen Gesetzbuchs entsprechend, allerdings nur, soweit sie mit den Vorgaben des § 70 und den übrigen Aufgaben und Pflichten der Beteiligten nach diesem Kapitel vereinbar sind. Abgesehen davon, dass, wie ausgeführt, sich die Beklagte nicht verpflichtet hat, den Versicherten J.D. durch die Klägerin befördern zu lassen, stünde dem geltend gemachten Anspruch auch § 70 SGB V entgegen. Diese Vorschrift verpflichtet die Beklagte u.a. zur Beachtung der Grundsätze der Wirtschaftlichkeit. Die Einschaltung der KfH zur Organisation von Serien- oder Sammelfahrten ist nach der Gesamtkonzeption des Leistungserbringungsrechts nicht nur zulässig, sondern entspricht dem gesetzgeberischen Auftrag.

4. Ein Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb der Klägerin ist darin nicht zu sehen. Dieses Grundrecht aus Art.14 GG schützt nur den Bestand des Gewerbebetriebs und nicht in der Zukunft liegende Chancen und Verdienstmöglichkeiten (BVerfGE 30, 292/335; BVwerwGE 95, 314/349). Die Chance der Klägerin, mit der Durchführung von Krankentransportfahrten zur Dialyse Gewinn zu erzielen, ist verfassungsrechtlich nicht geschützt. Dies ergibt sich bereits aus § 2 Abs.2 Satz 2 der Vereinbarung. Danach ist die AOK Bayern berechtigt, den Versicherten über preisgünstige Beförderer nach dieser Vereinbarung zu informieren und auch andere Beförderer zu beauftragen, wenn diese bei gleichem Leistungsumfang preisgünstiger als die Konditionen nach diesem Vertrag sind. Nichts anderes hat die Beklagte getan. Zwar heißt es in § 2 Abs.4 Satz 3 der Vereinbarung: Den bisherigen Leistungsbringer ist Gelegenheit zu geben, sein Angebot anzugleichen. Dies hat die Beklagte unstreitig nicht getan. Ein Schadensersatzanspruch der Klägerin könnte hieraus allerdings nur dann entstehen, wenn sie nachweisen könnte, dass sie bereit und in der Lage gewesen wäre, zu den Vergütungssätzen der KfH gewinnbringend Patienten zu befördern. Dies wurde jedoch weder vorgetragen noch gibt es dafür irgendwelche Anhaltspunkte. Die Klägerin hat in der Vergangenheit für jede Fahrt 72,80 Euro erhalten, nach Angaben der Beklagten in der mündlichen Verhandlung zahlt sie derzeit pro Fahrt eine Pauschale von 16,35 Euro pro Patient (also 32,70 Euro für Hin- und Rückweg). Vom Geschäftsführer der Klägerin wurde in der mündlichen Verhandlung spontan eingeräumt, dass er zu diesem Preis die verlangte Leistung nicht erbringen könne.

5. Mangels Anspruchsgrundlage war die Klage daher abzuweisen.

6. Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs.1 SGG iVm § 154 Abs.1 VwGO. Der Streitwert bemisst sich nach § 197a Abs.1 SGG iVm § 52 Abs.1 und 3 GKG und entspricht dem eingeklagten Betrag.

-
Rechtskraft
Aus
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