Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG Landshut (FSB)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
10
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 10 SO 90/12 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Ein Hilfebedürftiger kann auch dann einen Anspruch auf Übernahme der Kosten für einen Individualhelfer im Rahmen der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen nach den §§ 53 ff. SGB XII gegenüber dem Sozialhilfeträger haben, wenn dieser Anspruch in der nach den §§ 75 ff. SGB XII geschlossenen Gesamtvereinbarung zwischen Sozialhilfeträger und Einrichtungsträger ausgeschlossen ist.
2. Die Betriebserlaubnis setzt in der Regel alleine Mindeststandards für Personal, Gruppengröße und Fachdienste fest. Deshalb kann Individualhilfe einen von der Betriebserlaubnis nicht erfassten zusätzlichen individuellen Bedarf abdecken.
2. Die Betriebserlaubnis setzt in der Regel alleine Mindeststandards für Personal, Gruppengröße und Fachdienste fest. Deshalb kann Individualhilfe einen von der Betriebserlaubnis nicht erfassten zusätzlichen individuellen Bedarf abdecken.
I. Der Antragsgegner wird im Wege einer einstweiligen Anordnung verpflichtet, ab Eingang des Antrags bei Gericht (02.11.2012) bis zum 28.02.2013 für die An-tragstellerin vorläufig die Kosten des Individualhelfers zum Besuch der heilpädagogischen Tageseinrichtung in A-Stadt im beantragten Umfang (11,25 Std/Woche) zu übernehmen.
II. Der Antragsgegner hat der Antragstellerin und dem Beigeladenen jeweils zwei Drittel ihrer notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten um die Bewilligung der Kostenübernahme für einen Individualhelfer zum Besuch der heilpädagogischen Tagesstätte in A-Stadt für das Schuljahr 2012/2013.
Die am ...1995 geborene Antragstellerin leidet an dem Lennox-Gastaut-Syndrom, einer schweren Form der Epilepsie. Bei der schlaffen Tetraparese ist der Muskeltonus vermindert (hypoton). Als Status epelepticus wird ein außergewöhnlich lange andauernder epileptischer Anfall oder eine Serie von Anfällen bezeichnet, wenn das Intervall zwischen den einzelnen Anfällen sehr kurz ist. Die Antragstellerin leidet seit dem Säuglingsalter unter cerebralen Krampfanfällen bei psychomotorischer Retardierung. Sie leidet bis heute täglich unter cerebralen Krampfanfällen, die sich ausgehend von dem Schlund auf den ganzen Körper ausdehnen. Wird der Status ("Epilepsieanfall") nicht rechtzeitig erkannt und behandelt, besteht Lebensgefahr.
Die Antragstellerin besucht derzeit die C.-Schule und Heilpädagogische Tagesstätte in A-Stadt. Träger der Einrichtungen ist die Lebenshilfe Kreisvereinigung A-Stadt e. V., D-Straße, A-Stadt.
Für die Antragstellerin wurden in den vergangenen Jahren neben den Kosten eines Individualhelfers zum Besuch der C.-Schule in A-Stadt auch die Kosten des Individualhelfers zum Besuch der Heilpädagogischen Tagesstätte übernommen, zuletzt mit Bescheid vom11.05.2011 für das Schuljahr 2011/2012 im Umfang von 12,75 Wochenstunden.
Mit Schreiben vom 25.05.2012 wurde für die Antragstellerin beim Antragsgegner die Fortführung der Maßnahme für das Schuljahr 2012/2013 beantragt. Auf Grund der beiliegenden Kostenkalkulation wurde eine monatliche Erstattung von 39 Wochenstunden (Schule 27,75 Std. und Tagesstätte 11,25 Std. = 3.478,02 EUR) beantragt.
Am 07.09.2012 schloss der beigeladene Einrichtungsträger mit Frau M. S. und Frau H. F. jeweils einen bis zum 31.12.2012 befristeten Arbeitsvertrag als Tagesstättenbegleitung für die Antragstellerin.
Mit Bewilligungsbescheid vom 07.08.2012 wurden für die Antragstellerin die Kosten des Schulbegleiters zum Besuch der C.-Schule für das Schuljahr 2012/2013 bis zu 27,75 Wochenstunden bewilligt.
Mit weiterem Bescheid vom 01.10.2012 wurden jedoch die Kosten für den Individualhelfer zum Besuch der Heilpädagogischen Tagesstätte der Lebenshilfe A-Stadt abgelehnt. Der Antragsgegner begründet die Ablehnung im Wesentlichen damit, dass seit dem 01.09.2012 für die Heilpädagogische Tagesstätte der Lebenshilfe A-Stadt eine neue Betriebserlaubnis und eine neue Entgeltstruktur gelte, die die Kinder in drei Kategorien vergleichbaren Hilfebedarfs unterteile. Grundlage hierfür seien § 45 SGB VIII, die Bayerischen Richtlinien für die Heilpädagogischen Tagesstätten, Heime und sonstige Einrichtungen für Kinder und Jugendliche mit Behinderung vom 01.08.2009, sowie die Bayerischen Rahmenleistungsvereinbarung für den Leistungstyp teilstationäre Angebote für körperlich oder geistig behinderte Kinder oder Jugendliche und junge Erwachsene in Heil-pädagogischen Tagesstätten. In der Rahmenleistungsvereinbarung seien verbindliche Vorgaben für die von der Einrichtung zu erbringenden Leistungen festgelegt. Danach habe der Leistungserbringer in jedem Einzelfall die Hilfen entsprechend der drei Hilfsbedarfsgruppen zu erfüllen, u. a. durch Förderung, Erziehung, Betreuung, Beratung und Pflege. Die Hilfsbedarfsgruppe III, der die Antragstellerin zugehöre, erfasse dabei gemäß Ziffer 10.3 der Richtlinien und Ziffer 2.2 der Bayerischen Rahmenleistungsvereinbarung einen Personenkreis, der einer besonders intensiven und ununterbrochenen Betreuung, Förderung und Pflege bedarf. Damit die Einrichtung diesen hohen Anforderungen gerecht werden könne, sei das tägliche Entgelt von bisher 56,03 EUR auf 103,- EUR bei einem Kind mit Hilfsbedarfsgruppe III angehoben worden. Damit sei der höchstmögliche Bedarf eines jungen Menschen in der Heilpädagogischen Tagesstätte abgedeckt. Die in der Betriebserlaubnis festgelegten Standards für Personal-, Gruppengröße und Fachdienste biete die Gewähr dafür, dass eine qualifizierte Betreuung und eine adäquate Förderung der Kinder gewährleistet seien und das Kindeswohl gesichert sei. Nachdem der Förderbedarf der Kinder auch bei Hilfsbedarfsgruppe III insoweit in vollem Umfang gedeckt sei, bestehe nach Auffassung des Bezirks für den Bereich der Heilpädagogischen Tagesstätte kein Anspruch mehr auf einen Individualhelfer.
Gegen den Ablehnungsbescheid wurde mit Schreiben vom 26.10.2012 Widerspruch eingelegt, über den soweit ersichtlich, bislang nicht entschieden wurde.
Am 02.11.2012 beantragte die Antragstellerin beim Sozialgericht Landshut einstweiligen Rechtsschutz:
Eine Kostendeckung wie vom Antragsgegner behauptet, würde nur dann vorliegen, wenn die gezahlte höhere Vergütung tatsächlich dazu führen würde, dass durch die Aufstockung des Personals dem Individualanspruch auch entsprochen werden könne. Dies sei jedoch nicht der Fall. Mit der Neuvereinbarung zum 01.09.2012 würden zwar höhere Budgetkosten gezahlt, damit stünde aber nicht mehr Gruppenpersonal zur Verfügung. Die letzte Erhöhung bzw. Leistungsvereinbarung sei 2004 verhandelt worden. Mit der Neuverhandlung hätten die Lohnkostensteigerungen ausgeglichen, aber auch Verbesserungen erreicht werden können. Dies liege aber im Wesentlichen in der Erhöhung um 1,21 Stellen (Erhöhung der Fachkräfte von 6,37 auf 9,36) mit gleichzeitiger Reduzierung der Hilfskräfte um 1,79 Stellen. In der Erhöhung der übergreifenden Fachdienste mit der Hausmeisterstelle und der Leitungsstelle und unter Berücksichtigung der Lohnkostensteigerungen führe dies dazu, dass nun 0,49 Stellen weniger durch die Zahlungen des Bezirks Niederbayern finanziert werden können. Auch die Behauptung, durch die Einstufung in die Hilfsbedarfsgruppe III sei eine 1:1 Betreuung gewährleistet, sei unzutreffend. Der Verweis auf die Rahmenrichtlinien bedeute für die Gruppe, in der die Antragstellerin tatsächlich betreut wird, dass diese Gruppe einen Betreuungsschlüssel von 2,4:1 habe. Ohne zusätzliche Einzelbegleitung müsse der Antragstellerin in einem solchen Fall eine volle Kraft beiseite gestellt werden. Dann blieben den anderen 5 Kindern noch 1,5 Kräfte zur Verfügung. Der Stellenschlüssel sei dann für diese Kinder 1:3,33. Dies bedeute, dass 50 % der Öffnungszeiten nur eine Kraft für diese 5 Kinder in der Hilfsbedarfsgruppe III zur Verfügung stehe.
Ferner wiesen die Antragstellerin und der Beigeladene darauf hin, dass in einem Parallelfall von einem anderen Sozialhilfeträger sehr wohl die Kosten für den beantragten Individualhelfer übernommen worden seien.
Die Antragstellerin beantragt, den Antragsgegner zu verpflichten, vorläufig bis zum 28.02.2013 die Kosten des Integrationshelfers zum Besuch der Heilpädagogischen Tagesstätte der C.-Schule, Privates Förderzentrum, Förderschwerpunkt geistige Entwicklung, A-Stadt für das Schuljahr 2012/2013 zu übernehmen.
Der Antragsgegner beantragt, den Antrag abzulehnen.
Ohne einen eigenen Antrag zu stellen, schließt sch der Beigeladene den Ausführungen der Antragstellerin an.
Der Antragsgegner verweist im Wesentlichen auf den Ablehnungsbescheid vom 01.10.2012 und ein Schreiben des Bezirkstagspräsidenten vom 12.09.2012. Ferner sei zu berücksichtigen, dass die Betriebserlaubnis vom 02.02.2012 von einer Platzzahl von 91 Kindern ausgehe, der Einrichtungsträger im Schuljahr 2012/2013 jedoch nur 83 Kinder betreue, so dass die von die Antragstellerseite vorgenommene Stellenberechnung nicht den tatsächlichen Gegebenheiten entspreche. Schließlich wurden für das Schuljahr 2012/2013 bei der Berechnung des erforderlichen Personals zudem 186 Schultage zugrunde gelegt, obwohl die Kinder nur an 185 Tagen betreut würden.
Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die beigezogene Akte des Antragsgegners und das Protokoll des Erörterungstermins vom 28.11.2012 verwiesen.
II.
Der form- und fristgerecht erhobene Antrag ist als Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis gemäß § 86 b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig, auch schon vor Erlass eines Widerspruchsbescheides und vor Klageerhebung in der Hauptsache (Absatz 3).
Der Antrag ist auch begründet. Die Antragstellerin hat sowohl einen Anordnungsanspruch als auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Entgegen der Ansicht der Vertreter des Antragsgegners kann es auch in heilpädagogischen Tagesstätten nach Änderung der Bayerischen Rahmenleistungsvereinbarung, wonach die betroffenen Kinder in drei (Hilfe-bedarf-)Kategorien eingeteilt werden, weiterhin Fälle geben, bei denen eine Individualhilfe zwingend notwendig ist. Im vorliegenden Fall gibt eine Folgenabwägung - Schutz der Gesundheit und körperlichen Integrität der Antragstellerin - den Ausschlag für den Erlass der einstweiligen Anordnung. Im Hauptsacheverfahren wird ggf. unter Einholung eines Sachverständigengutachtens zu klären sein, ob der individuelle Bedarf der Antragstellerin durch die seit 01.09.2012 geltende neue Betriebserlaubnis und neue Entgeltstruktur gedeckt ist.
1. Gemäß § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweiligen Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erlassen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (sog. Regelungsanordnung). Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist stets, dass sowohl ein Anordnungsgrund (d.h. die Eilbedürftigkeit zur Abwendung wesentlicher Nachteile) und ein Anordnungsanspruch (d.h. die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines in der Sache gegebenen materiellen Leistungsanspruchs) glaubhaft gemacht werden (vgl. § 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung - ZPO -).
Grundsätzlich soll wegen des vorläufigen Charakters der einstweiligen Anordnung die endgültige Entscheidung in der Hauptsache nicht vorweg genommen werden. Wegen des Gebots, effektiven Rechtsschutz zu gewähren (vgl. Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz - GG -) ist von diesem Grundsatz aber eine Abweichung dann geboten, wenn ohne die begehrte Anordnung dem Betroffenen eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung in seinen Rechten droht und damit schwere und unzumutbare, später nicht wieder gutzumachende Nachteile entstünden, die durch die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden können (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05 - mit weiteren Nachweisen).
Ist dem Gericht eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden. Auf die Folgenabwägung kommt es insbesondere dann an, wenn es um überragende Rechtsgüter wie die Wahrung der Würde des Menschen und Leben und Gesundheit geht (BVerfG a.a.O. und BVerfG 1 BvR 165/11, Beschluss vom 04.07.2001 und Beschluss vom 22.11.2002, 1 BvR 1586/12 sowie vom 14.05.1996, 2 BvR 1516/93, BVerfGE 94, 166, 216 und Beschluss vom 19.10.1977, 2 BvR 42/76, BVerfGE 46, 166 ff.). Die Folgenabwägung, die auch eine Interessensabwägung ist, ist dabei abhängig vom Ergebnis der summarischen Prüfung des Hauptsacheanspruchs. Wenn der Erfolg der Klage in der Hauptsache wahrscheinlich ist, können die Anforderungen an den Anordnungsgrund für eine einstweilige Anordnung geringer sein als wenn der Ausgang völlig offen oder sogar eher unwahrscheinlich ist. Immer sind dabei jedoch die grundrechtlichen Belange des Antragstellers umfassend in die Abwägung einzubeziehen. Die Gerichte müssen sich schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen stellen (BVerfG vom 12.05.2005, a.a.O.). Eine Verletzung dieser grundgesetzlichen Gewährleistung, auch wenn sie nur möglich erscheint oder nur zeitweilig andauert, haben die Gerichte zu verhindern.
2. Unter Beachtung dieser Grundsätze ergibt sich folgendes:
Bei summarischer Prüfung ist derzeit offen, ob die Antragstellerin gegen den Antragsgegner einen Anspruch auf Übernahme der Kosten für eine Individualpflegekraft im beantragten Umfang hat oder ob die Beigeladene als Einrichtungsträger für die Bedarfsdeckung auf Grund der neuen Betriebserlaubnis und der neuen Entgeltstruktur alleine zuständig ist.
Unstreitig ist zwischen den Beteiligten, dass bei der Antragstellerin ein erheblicher Hilfebedarf besteht und dass die Antragstellerin auf die Bereitstellung eines fachlich qualifizierten (Individual-)helfers während des Besuchs der Heilpädagogischen Tagesstätte in A-Stadt angewiesen ist. Die Notwendigkeit einer solchen Hilfe wird nicht nur von den Vertretern der Antragstellerin behauptet, sondern auch vom Einrichtungsträger in verschiedenen Stellungnahmen gegenüber dem Antragsgegner bestätigt (vgl. Bl. 142 ff. Akte der Antragsgegnerin, Bl. 41 ff. Gerichtsakte). Die Notwendigkeit einer 1:1 Betreuung wird insbesondere dadurch deutlich, dass bei der Antragstellerin bei einem "Epilepsieanfall" eine sofortige Notfallmedikation notwendig ist. Ansonsten besteht Lebensgefahr.
Der Anspruch kann dem Grunde nach auch vom Antragsgegner erfüllt werden. Er folgt aus §§ 53, 54 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII i. V. m. § 12 der Eingliederungshilfeverordnung. Danach sind Leistungen der Eingliederungshilfe auch Hilfen zu einer allgemeinen Schulbildung. Vor allem im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht umfassen diese Hilfen auch Maßnahmen zu Gunsten behinderter Kinder und Jugendlicher, wenn die Maßnahmen erforderlich und geeignet sind, den Behinderten den Schulbesuch im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht zu ermöglichen oder zu erleichtern. Daneben gehören nach § 12 Nr. 1 Eingliederungshilfeverordnung auch heilpädagogische Maßnahmen zu den Hilfen einer angemessenen Schulbildung. Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Die Antragstellerin gehört unstreitig aufgrund ihrer Behinderungen zum leistungsberechtigten Personenkreis nach § 53 Abs. 1 S. 1 SGB XII. Ein Integrations- bzw. Einzelfallhelfer stellt, dies ist ebenfalls unstreitig, eine Maßnahme im Sinne des § 54 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII i. V. m. § 12 Eingliederungshilfeverordnung dar, die erforderlich und geeignet ist, der Antragstellerin eine im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht erreichbare Bildung zu ermöglichen.
Der Anspruch ist entgegen der Ansicht der Vertreter des Antragsgegners auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil in der nach den §§ 75 ff. SGB XII geschlossenen Gesamtvereinbarung vom 06.08.2012 unter Ziffer 2.2. der Leistungsvereinbarung geregelt ist, dass Personen nicht aufgenommen werden, welche eine individuelle Tagesstättenbegleitung benötigen, welche nicht vom Kostenträger genehmigt wurde. Unabhängig davon, dass bereits fraglich ist, ob diese Regelung auf "Bestandsfälle" anwendbar ist, bindet diese Regelung in erster Linie die Vertragsparteien. Davon ist im sog. "sozialhilferechtlichen Dreiecksverhältnis" der individuelle Anspruch des Hilfebedürftigen gegen den Sozialhilfeträger zu unterscheiden. In diesen Zusammenhang ist auch zu beachten, dass dem § 53 Abs. 1 Satz 1 SGB XII ("nach der Besonderheit des Einzelfalles"), wie § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII iVm § 12 Nr 1 Eingliederungshilfe-VO ein individualisiertes Förderverständnis zugrunde liegt (vgl.BSG, Urteil vom 22.03.2012 - B 8 SO 30/10; BSG SozR 4-3500 § 54 Nr 6 RdNr 22). Die Leistungsbeziehung zwischen dem bedürftigen Hilfeempfänger und dem Sozialhilfeträger bildet den vorrangigen rechtlichen Maßstab für die übrigen Leistungsbeziehungen im sozialhilferechtlichen Dreiecksverhältnis (vgl. nur Frommann, Sozialhilfe nach Vereinbarung, 2002, S. 80 f.). Den übrigen vertraglichen Beziehungen innerhalb des sozialhilferechtlichen Dreiecks - insbesondere dem Verhältnis Leistungserbringer und Sozialhilfeträger - kommt insoweit nur eine dienende Funktion zu (Bieback NZS 2007, 505 f.). Ein tatsächlich bestehender sozialhilferechtlicher Bedarf kann nicht durch Vereinbarung zwischen Leistungserbringer und Sozialhilfeträger ausgeschlossen werden. Heilpädagogische Tagesstätten sind nach § 45 SGB VIII erlaubnispflichtige Einrichtungen. Das SGB VIII und die Bayerischen Richtlinien für Heilpädagogische Tagesstätten, Heime und sonstige Einrichtungen bilden den gesetzlichen und ordnungsrechtlichen Rahmen für diese Einrichtungen. Die Betriebserlaubnis übersetzt diesen Rahmen in differenzierte Mindeststandards für Personal, Gruppengröße und Fachdienste. Diese bieten Gewähr dafür, dass eine qualifizierte Betreuung und eine adäquate Förderung gewährleistet sind und das Kindeswohl in aller Regel gesichert ist. Analog der Bayerischen Rahmenleistungsvereinbarung für Heilpädagogische Tagesstätten werden die Kinder hierfür in drei Kategorien vergleichbaren Hilfebedarfs unterteilt. Die große Bandbreite der Hilfen, die einzelne Kinder und Jugendliche benötigen, kann mit dieser Dreiteilung aber nicht vollumfänglich abgebildet werden. Deshalb kann Individualhilfe einen von der Betriebserlaubnis nicht zu erfassenden zusätzlichen individuellen Hilfebedarf abdecken (so ausdrücklich die Stellungnahme des BayStMASFF vom 16.01.2012 u.a. gegenüber dem Verband der Bayerischen Bezirke).
Ob und in welchem Umfang ein Anspruch auf Individualhilfe besteht, kann abschließend jedoch erst im Hauptsacheverfahren ggf. unter Einholung eines Sachverständigengutachtens geklärt werden.
3. Es besteht auch ein Anordnungsgrund. Richtig ist zwar, dass derzeit die Versorgung der Antragstellerin mit der benötigten Individualpflegekraft gesichert ist, da diese von der Beigeladenen (vor-)finanziert wird. Der Arbeitsvertrag der Individualpflegekräfte ist jedoch befristet bis 31.12.2012. Wie die Versorgung danach sichergestellt werden soll, ist ungewiss. Im Hinblick auf den erheblichen Betreuungsbedarf und der bestehenden Risiken bei nicht ununterbrochener Gewährleistung einer 1:1 Betreuung ist es für die Antragstellerin nicht zumutbar das Auslaufen des Arbeitsvertrags abzuwarten. Auch unter Berücksichtigung der Grundrechte der Antragstellerin (insbesondere Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) ist daher ein Anordnungsgrund zu bejahen.
4. Die auf Grund des offenen Ausgangs des Hauptsacheverfahrens erforderliche Folgen- bzw. Interessenabwägung geht zu Gunsten der Antragstellerin aus. Es ist darauf abzustellen, welche Folgen sich ergeben, falls der Antrag abgewiesen wird und die Antragstellerin in der Hauptsache obsiegt bzw. welche Folgen sich aus dem umgekehrten Fall (Obsiegen im ER-Verfahren und Unterliegen im Hauptsacheverfahren) ergeben.
Im ersten Fall müsste die Antragstellerin bis zur Entscheidung der Hauptsache ohne den Individualhelfer auskommen, denn sie hätte nicht die Möglichkeit, die Kosten vorzustrecken. Es bestünde dann die ganz konkrete - von der Einrichtungsleitung beschriebene - Gefahr, dass die Antragstellerin die Tagesstätte auf Grund der bestehenden Risiken nicht mehr besuchen kann. Dies mag für den Zeitraum weniger Tage hinnehmbar zu sein. Da jedoch wegen der personellen Ausstattung der Sozialgerichtsbarkeit mit einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache bei streitiger Entscheidung erst in bis zu drei Jahren zu rechnen ist, liegt auf der Hand, dass damit das Grundrecht der Antragstellerin auf Schulbildung ganz massiv beschnitten würde. Dies ließe sich auch nicht mehr mit einer positiven Entscheidung in der Hauptsache rückgängig machen.
Dieser massiven Grundrechtsbeeinträchtigung der Antragstellerin steht gegenüber das finanzielle Risiko des Antragsgegners, die Kosten der Maßnahme endgültig tragen zu müssen, sei es weil ein Rückgriff auf die Antragstellerin wegen Vermögenslosigkeit nicht möglich sein wird oder weil ein Erstattungs- oder sonstiger Anspruch gegen einen anderen (öffentlich-rechtlichen) Träger nicht realisiert werden kann. Für die Gesamtheit der Steuerzahler, deren Interessen der Antragsgegner vertritt - eigene Interessen des Antragsgegners kann es hier gar nicht geben - wäre eine solche Folge zweifellos eher hinnehmbar als die mögliche Grundrechtsverletzung der Antragstellerin.
Aus diesen Gründen war dem Antrag im tenoriertem Umfang stattzugeben. Dem Antrag konnte erst ab Eingang bei Gericht stattgegeben werden. Es ist nicht Aufgabe des vorläufigen Rechtsschutzes einen finanziellen Ausgleich für die Vergangenheit, also für die Zeit vor Anhängigkeit des Eilverfahrens herbeizuführen. Dies ist Aufgabe des Hauptsacheverfahrens (Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl. 2012, § 86b Rn. 29a). Die Verpflichtung ist befristet bis zum 28.02.2013. Das Gericht darf nicht mehr zusprechen als beantragt war (§ 123 SGG).
5. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Rechtsmittelbelehrung: Gegen diesen Beschluss ist gemäß den §§ 172 Abs.1, 173 SGG Beschwerde zum Bayer. Landessozialgericht statthaft. Die Beschwerde ist binnen eines Monats nach Zustellung des Beschlusses beim Sozialgericht Landshut, Seligenthaler Straße 10, 84034 Landshut, schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Die Beschwerdefrist ist auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist beim Bayer. Landessozialgericht, Ludwigstraße 15, 80539 München, oder bei der Zweigstelle des Bayer. Landessozialgerichts, Rusterberg 2, 97421 Schweinfurt, schriftlich oder mündlich zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird.
II. Der Antragsgegner hat der Antragstellerin und dem Beigeladenen jeweils zwei Drittel ihrer notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten um die Bewilligung der Kostenübernahme für einen Individualhelfer zum Besuch der heilpädagogischen Tagesstätte in A-Stadt für das Schuljahr 2012/2013.
Die am ...1995 geborene Antragstellerin leidet an dem Lennox-Gastaut-Syndrom, einer schweren Form der Epilepsie. Bei der schlaffen Tetraparese ist der Muskeltonus vermindert (hypoton). Als Status epelepticus wird ein außergewöhnlich lange andauernder epileptischer Anfall oder eine Serie von Anfällen bezeichnet, wenn das Intervall zwischen den einzelnen Anfällen sehr kurz ist. Die Antragstellerin leidet seit dem Säuglingsalter unter cerebralen Krampfanfällen bei psychomotorischer Retardierung. Sie leidet bis heute täglich unter cerebralen Krampfanfällen, die sich ausgehend von dem Schlund auf den ganzen Körper ausdehnen. Wird der Status ("Epilepsieanfall") nicht rechtzeitig erkannt und behandelt, besteht Lebensgefahr.
Die Antragstellerin besucht derzeit die C.-Schule und Heilpädagogische Tagesstätte in A-Stadt. Träger der Einrichtungen ist die Lebenshilfe Kreisvereinigung A-Stadt e. V., D-Straße, A-Stadt.
Für die Antragstellerin wurden in den vergangenen Jahren neben den Kosten eines Individualhelfers zum Besuch der C.-Schule in A-Stadt auch die Kosten des Individualhelfers zum Besuch der Heilpädagogischen Tagesstätte übernommen, zuletzt mit Bescheid vom11.05.2011 für das Schuljahr 2011/2012 im Umfang von 12,75 Wochenstunden.
Mit Schreiben vom 25.05.2012 wurde für die Antragstellerin beim Antragsgegner die Fortführung der Maßnahme für das Schuljahr 2012/2013 beantragt. Auf Grund der beiliegenden Kostenkalkulation wurde eine monatliche Erstattung von 39 Wochenstunden (Schule 27,75 Std. und Tagesstätte 11,25 Std. = 3.478,02 EUR) beantragt.
Am 07.09.2012 schloss der beigeladene Einrichtungsträger mit Frau M. S. und Frau H. F. jeweils einen bis zum 31.12.2012 befristeten Arbeitsvertrag als Tagesstättenbegleitung für die Antragstellerin.
Mit Bewilligungsbescheid vom 07.08.2012 wurden für die Antragstellerin die Kosten des Schulbegleiters zum Besuch der C.-Schule für das Schuljahr 2012/2013 bis zu 27,75 Wochenstunden bewilligt.
Mit weiterem Bescheid vom 01.10.2012 wurden jedoch die Kosten für den Individualhelfer zum Besuch der Heilpädagogischen Tagesstätte der Lebenshilfe A-Stadt abgelehnt. Der Antragsgegner begründet die Ablehnung im Wesentlichen damit, dass seit dem 01.09.2012 für die Heilpädagogische Tagesstätte der Lebenshilfe A-Stadt eine neue Betriebserlaubnis und eine neue Entgeltstruktur gelte, die die Kinder in drei Kategorien vergleichbaren Hilfebedarfs unterteile. Grundlage hierfür seien § 45 SGB VIII, die Bayerischen Richtlinien für die Heilpädagogischen Tagesstätten, Heime und sonstige Einrichtungen für Kinder und Jugendliche mit Behinderung vom 01.08.2009, sowie die Bayerischen Rahmenleistungsvereinbarung für den Leistungstyp teilstationäre Angebote für körperlich oder geistig behinderte Kinder oder Jugendliche und junge Erwachsene in Heil-pädagogischen Tagesstätten. In der Rahmenleistungsvereinbarung seien verbindliche Vorgaben für die von der Einrichtung zu erbringenden Leistungen festgelegt. Danach habe der Leistungserbringer in jedem Einzelfall die Hilfen entsprechend der drei Hilfsbedarfsgruppen zu erfüllen, u. a. durch Förderung, Erziehung, Betreuung, Beratung und Pflege. Die Hilfsbedarfsgruppe III, der die Antragstellerin zugehöre, erfasse dabei gemäß Ziffer 10.3 der Richtlinien und Ziffer 2.2 der Bayerischen Rahmenleistungsvereinbarung einen Personenkreis, der einer besonders intensiven und ununterbrochenen Betreuung, Förderung und Pflege bedarf. Damit die Einrichtung diesen hohen Anforderungen gerecht werden könne, sei das tägliche Entgelt von bisher 56,03 EUR auf 103,- EUR bei einem Kind mit Hilfsbedarfsgruppe III angehoben worden. Damit sei der höchstmögliche Bedarf eines jungen Menschen in der Heilpädagogischen Tagesstätte abgedeckt. Die in der Betriebserlaubnis festgelegten Standards für Personal-, Gruppengröße und Fachdienste biete die Gewähr dafür, dass eine qualifizierte Betreuung und eine adäquate Förderung der Kinder gewährleistet seien und das Kindeswohl gesichert sei. Nachdem der Förderbedarf der Kinder auch bei Hilfsbedarfsgruppe III insoweit in vollem Umfang gedeckt sei, bestehe nach Auffassung des Bezirks für den Bereich der Heilpädagogischen Tagesstätte kein Anspruch mehr auf einen Individualhelfer.
Gegen den Ablehnungsbescheid wurde mit Schreiben vom 26.10.2012 Widerspruch eingelegt, über den soweit ersichtlich, bislang nicht entschieden wurde.
Am 02.11.2012 beantragte die Antragstellerin beim Sozialgericht Landshut einstweiligen Rechtsschutz:
Eine Kostendeckung wie vom Antragsgegner behauptet, würde nur dann vorliegen, wenn die gezahlte höhere Vergütung tatsächlich dazu führen würde, dass durch die Aufstockung des Personals dem Individualanspruch auch entsprochen werden könne. Dies sei jedoch nicht der Fall. Mit der Neuvereinbarung zum 01.09.2012 würden zwar höhere Budgetkosten gezahlt, damit stünde aber nicht mehr Gruppenpersonal zur Verfügung. Die letzte Erhöhung bzw. Leistungsvereinbarung sei 2004 verhandelt worden. Mit der Neuverhandlung hätten die Lohnkostensteigerungen ausgeglichen, aber auch Verbesserungen erreicht werden können. Dies liege aber im Wesentlichen in der Erhöhung um 1,21 Stellen (Erhöhung der Fachkräfte von 6,37 auf 9,36) mit gleichzeitiger Reduzierung der Hilfskräfte um 1,79 Stellen. In der Erhöhung der übergreifenden Fachdienste mit der Hausmeisterstelle und der Leitungsstelle und unter Berücksichtigung der Lohnkostensteigerungen führe dies dazu, dass nun 0,49 Stellen weniger durch die Zahlungen des Bezirks Niederbayern finanziert werden können. Auch die Behauptung, durch die Einstufung in die Hilfsbedarfsgruppe III sei eine 1:1 Betreuung gewährleistet, sei unzutreffend. Der Verweis auf die Rahmenrichtlinien bedeute für die Gruppe, in der die Antragstellerin tatsächlich betreut wird, dass diese Gruppe einen Betreuungsschlüssel von 2,4:1 habe. Ohne zusätzliche Einzelbegleitung müsse der Antragstellerin in einem solchen Fall eine volle Kraft beiseite gestellt werden. Dann blieben den anderen 5 Kindern noch 1,5 Kräfte zur Verfügung. Der Stellenschlüssel sei dann für diese Kinder 1:3,33. Dies bedeute, dass 50 % der Öffnungszeiten nur eine Kraft für diese 5 Kinder in der Hilfsbedarfsgruppe III zur Verfügung stehe.
Ferner wiesen die Antragstellerin und der Beigeladene darauf hin, dass in einem Parallelfall von einem anderen Sozialhilfeträger sehr wohl die Kosten für den beantragten Individualhelfer übernommen worden seien.
Die Antragstellerin beantragt, den Antragsgegner zu verpflichten, vorläufig bis zum 28.02.2013 die Kosten des Integrationshelfers zum Besuch der Heilpädagogischen Tagesstätte der C.-Schule, Privates Förderzentrum, Förderschwerpunkt geistige Entwicklung, A-Stadt für das Schuljahr 2012/2013 zu übernehmen.
Der Antragsgegner beantragt, den Antrag abzulehnen.
Ohne einen eigenen Antrag zu stellen, schließt sch der Beigeladene den Ausführungen der Antragstellerin an.
Der Antragsgegner verweist im Wesentlichen auf den Ablehnungsbescheid vom 01.10.2012 und ein Schreiben des Bezirkstagspräsidenten vom 12.09.2012. Ferner sei zu berücksichtigen, dass die Betriebserlaubnis vom 02.02.2012 von einer Platzzahl von 91 Kindern ausgehe, der Einrichtungsträger im Schuljahr 2012/2013 jedoch nur 83 Kinder betreue, so dass die von die Antragstellerseite vorgenommene Stellenberechnung nicht den tatsächlichen Gegebenheiten entspreche. Schließlich wurden für das Schuljahr 2012/2013 bei der Berechnung des erforderlichen Personals zudem 186 Schultage zugrunde gelegt, obwohl die Kinder nur an 185 Tagen betreut würden.
Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die beigezogene Akte des Antragsgegners und das Protokoll des Erörterungstermins vom 28.11.2012 verwiesen.
II.
Der form- und fristgerecht erhobene Antrag ist als Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis gemäß § 86 b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig, auch schon vor Erlass eines Widerspruchsbescheides und vor Klageerhebung in der Hauptsache (Absatz 3).
Der Antrag ist auch begründet. Die Antragstellerin hat sowohl einen Anordnungsanspruch als auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Entgegen der Ansicht der Vertreter des Antragsgegners kann es auch in heilpädagogischen Tagesstätten nach Änderung der Bayerischen Rahmenleistungsvereinbarung, wonach die betroffenen Kinder in drei (Hilfe-bedarf-)Kategorien eingeteilt werden, weiterhin Fälle geben, bei denen eine Individualhilfe zwingend notwendig ist. Im vorliegenden Fall gibt eine Folgenabwägung - Schutz der Gesundheit und körperlichen Integrität der Antragstellerin - den Ausschlag für den Erlass der einstweiligen Anordnung. Im Hauptsacheverfahren wird ggf. unter Einholung eines Sachverständigengutachtens zu klären sein, ob der individuelle Bedarf der Antragstellerin durch die seit 01.09.2012 geltende neue Betriebserlaubnis und neue Entgeltstruktur gedeckt ist.
1. Gemäß § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweiligen Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erlassen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (sog. Regelungsanordnung). Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist stets, dass sowohl ein Anordnungsgrund (d.h. die Eilbedürftigkeit zur Abwendung wesentlicher Nachteile) und ein Anordnungsanspruch (d.h. die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines in der Sache gegebenen materiellen Leistungsanspruchs) glaubhaft gemacht werden (vgl. § 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung - ZPO -).
Grundsätzlich soll wegen des vorläufigen Charakters der einstweiligen Anordnung die endgültige Entscheidung in der Hauptsache nicht vorweg genommen werden. Wegen des Gebots, effektiven Rechtsschutz zu gewähren (vgl. Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz - GG -) ist von diesem Grundsatz aber eine Abweichung dann geboten, wenn ohne die begehrte Anordnung dem Betroffenen eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung in seinen Rechten droht und damit schwere und unzumutbare, später nicht wieder gutzumachende Nachteile entstünden, die durch die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden können (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05 - mit weiteren Nachweisen).
Ist dem Gericht eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden. Auf die Folgenabwägung kommt es insbesondere dann an, wenn es um überragende Rechtsgüter wie die Wahrung der Würde des Menschen und Leben und Gesundheit geht (BVerfG a.a.O. und BVerfG 1 BvR 165/11, Beschluss vom 04.07.2001 und Beschluss vom 22.11.2002, 1 BvR 1586/12 sowie vom 14.05.1996, 2 BvR 1516/93, BVerfGE 94, 166, 216 und Beschluss vom 19.10.1977, 2 BvR 42/76, BVerfGE 46, 166 ff.). Die Folgenabwägung, die auch eine Interessensabwägung ist, ist dabei abhängig vom Ergebnis der summarischen Prüfung des Hauptsacheanspruchs. Wenn der Erfolg der Klage in der Hauptsache wahrscheinlich ist, können die Anforderungen an den Anordnungsgrund für eine einstweilige Anordnung geringer sein als wenn der Ausgang völlig offen oder sogar eher unwahrscheinlich ist. Immer sind dabei jedoch die grundrechtlichen Belange des Antragstellers umfassend in die Abwägung einzubeziehen. Die Gerichte müssen sich schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen stellen (BVerfG vom 12.05.2005, a.a.O.). Eine Verletzung dieser grundgesetzlichen Gewährleistung, auch wenn sie nur möglich erscheint oder nur zeitweilig andauert, haben die Gerichte zu verhindern.
2. Unter Beachtung dieser Grundsätze ergibt sich folgendes:
Bei summarischer Prüfung ist derzeit offen, ob die Antragstellerin gegen den Antragsgegner einen Anspruch auf Übernahme der Kosten für eine Individualpflegekraft im beantragten Umfang hat oder ob die Beigeladene als Einrichtungsträger für die Bedarfsdeckung auf Grund der neuen Betriebserlaubnis und der neuen Entgeltstruktur alleine zuständig ist.
Unstreitig ist zwischen den Beteiligten, dass bei der Antragstellerin ein erheblicher Hilfebedarf besteht und dass die Antragstellerin auf die Bereitstellung eines fachlich qualifizierten (Individual-)helfers während des Besuchs der Heilpädagogischen Tagesstätte in A-Stadt angewiesen ist. Die Notwendigkeit einer solchen Hilfe wird nicht nur von den Vertretern der Antragstellerin behauptet, sondern auch vom Einrichtungsträger in verschiedenen Stellungnahmen gegenüber dem Antragsgegner bestätigt (vgl. Bl. 142 ff. Akte der Antragsgegnerin, Bl. 41 ff. Gerichtsakte). Die Notwendigkeit einer 1:1 Betreuung wird insbesondere dadurch deutlich, dass bei der Antragstellerin bei einem "Epilepsieanfall" eine sofortige Notfallmedikation notwendig ist. Ansonsten besteht Lebensgefahr.
Der Anspruch kann dem Grunde nach auch vom Antragsgegner erfüllt werden. Er folgt aus §§ 53, 54 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII i. V. m. § 12 der Eingliederungshilfeverordnung. Danach sind Leistungen der Eingliederungshilfe auch Hilfen zu einer allgemeinen Schulbildung. Vor allem im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht umfassen diese Hilfen auch Maßnahmen zu Gunsten behinderter Kinder und Jugendlicher, wenn die Maßnahmen erforderlich und geeignet sind, den Behinderten den Schulbesuch im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht zu ermöglichen oder zu erleichtern. Daneben gehören nach § 12 Nr. 1 Eingliederungshilfeverordnung auch heilpädagogische Maßnahmen zu den Hilfen einer angemessenen Schulbildung. Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Die Antragstellerin gehört unstreitig aufgrund ihrer Behinderungen zum leistungsberechtigten Personenkreis nach § 53 Abs. 1 S. 1 SGB XII. Ein Integrations- bzw. Einzelfallhelfer stellt, dies ist ebenfalls unstreitig, eine Maßnahme im Sinne des § 54 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII i. V. m. § 12 Eingliederungshilfeverordnung dar, die erforderlich und geeignet ist, der Antragstellerin eine im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht erreichbare Bildung zu ermöglichen.
Der Anspruch ist entgegen der Ansicht der Vertreter des Antragsgegners auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil in der nach den §§ 75 ff. SGB XII geschlossenen Gesamtvereinbarung vom 06.08.2012 unter Ziffer 2.2. der Leistungsvereinbarung geregelt ist, dass Personen nicht aufgenommen werden, welche eine individuelle Tagesstättenbegleitung benötigen, welche nicht vom Kostenträger genehmigt wurde. Unabhängig davon, dass bereits fraglich ist, ob diese Regelung auf "Bestandsfälle" anwendbar ist, bindet diese Regelung in erster Linie die Vertragsparteien. Davon ist im sog. "sozialhilferechtlichen Dreiecksverhältnis" der individuelle Anspruch des Hilfebedürftigen gegen den Sozialhilfeträger zu unterscheiden. In diesen Zusammenhang ist auch zu beachten, dass dem § 53 Abs. 1 Satz 1 SGB XII ("nach der Besonderheit des Einzelfalles"), wie § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII iVm § 12 Nr 1 Eingliederungshilfe-VO ein individualisiertes Förderverständnis zugrunde liegt (vgl.BSG, Urteil vom 22.03.2012 - B 8 SO 30/10; BSG SozR 4-3500 § 54 Nr 6 RdNr 22). Die Leistungsbeziehung zwischen dem bedürftigen Hilfeempfänger und dem Sozialhilfeträger bildet den vorrangigen rechtlichen Maßstab für die übrigen Leistungsbeziehungen im sozialhilferechtlichen Dreiecksverhältnis (vgl. nur Frommann, Sozialhilfe nach Vereinbarung, 2002, S. 80 f.). Den übrigen vertraglichen Beziehungen innerhalb des sozialhilferechtlichen Dreiecks - insbesondere dem Verhältnis Leistungserbringer und Sozialhilfeträger - kommt insoweit nur eine dienende Funktion zu (Bieback NZS 2007, 505 f.). Ein tatsächlich bestehender sozialhilferechtlicher Bedarf kann nicht durch Vereinbarung zwischen Leistungserbringer und Sozialhilfeträger ausgeschlossen werden. Heilpädagogische Tagesstätten sind nach § 45 SGB VIII erlaubnispflichtige Einrichtungen. Das SGB VIII und die Bayerischen Richtlinien für Heilpädagogische Tagesstätten, Heime und sonstige Einrichtungen bilden den gesetzlichen und ordnungsrechtlichen Rahmen für diese Einrichtungen. Die Betriebserlaubnis übersetzt diesen Rahmen in differenzierte Mindeststandards für Personal, Gruppengröße und Fachdienste. Diese bieten Gewähr dafür, dass eine qualifizierte Betreuung und eine adäquate Förderung gewährleistet sind und das Kindeswohl in aller Regel gesichert ist. Analog der Bayerischen Rahmenleistungsvereinbarung für Heilpädagogische Tagesstätten werden die Kinder hierfür in drei Kategorien vergleichbaren Hilfebedarfs unterteilt. Die große Bandbreite der Hilfen, die einzelne Kinder und Jugendliche benötigen, kann mit dieser Dreiteilung aber nicht vollumfänglich abgebildet werden. Deshalb kann Individualhilfe einen von der Betriebserlaubnis nicht zu erfassenden zusätzlichen individuellen Hilfebedarf abdecken (so ausdrücklich die Stellungnahme des BayStMASFF vom 16.01.2012 u.a. gegenüber dem Verband der Bayerischen Bezirke).
Ob und in welchem Umfang ein Anspruch auf Individualhilfe besteht, kann abschließend jedoch erst im Hauptsacheverfahren ggf. unter Einholung eines Sachverständigengutachtens geklärt werden.
3. Es besteht auch ein Anordnungsgrund. Richtig ist zwar, dass derzeit die Versorgung der Antragstellerin mit der benötigten Individualpflegekraft gesichert ist, da diese von der Beigeladenen (vor-)finanziert wird. Der Arbeitsvertrag der Individualpflegekräfte ist jedoch befristet bis 31.12.2012. Wie die Versorgung danach sichergestellt werden soll, ist ungewiss. Im Hinblick auf den erheblichen Betreuungsbedarf und der bestehenden Risiken bei nicht ununterbrochener Gewährleistung einer 1:1 Betreuung ist es für die Antragstellerin nicht zumutbar das Auslaufen des Arbeitsvertrags abzuwarten. Auch unter Berücksichtigung der Grundrechte der Antragstellerin (insbesondere Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) ist daher ein Anordnungsgrund zu bejahen.
4. Die auf Grund des offenen Ausgangs des Hauptsacheverfahrens erforderliche Folgen- bzw. Interessenabwägung geht zu Gunsten der Antragstellerin aus. Es ist darauf abzustellen, welche Folgen sich ergeben, falls der Antrag abgewiesen wird und die Antragstellerin in der Hauptsache obsiegt bzw. welche Folgen sich aus dem umgekehrten Fall (Obsiegen im ER-Verfahren und Unterliegen im Hauptsacheverfahren) ergeben.
Im ersten Fall müsste die Antragstellerin bis zur Entscheidung der Hauptsache ohne den Individualhelfer auskommen, denn sie hätte nicht die Möglichkeit, die Kosten vorzustrecken. Es bestünde dann die ganz konkrete - von der Einrichtungsleitung beschriebene - Gefahr, dass die Antragstellerin die Tagesstätte auf Grund der bestehenden Risiken nicht mehr besuchen kann. Dies mag für den Zeitraum weniger Tage hinnehmbar zu sein. Da jedoch wegen der personellen Ausstattung der Sozialgerichtsbarkeit mit einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache bei streitiger Entscheidung erst in bis zu drei Jahren zu rechnen ist, liegt auf der Hand, dass damit das Grundrecht der Antragstellerin auf Schulbildung ganz massiv beschnitten würde. Dies ließe sich auch nicht mehr mit einer positiven Entscheidung in der Hauptsache rückgängig machen.
Dieser massiven Grundrechtsbeeinträchtigung der Antragstellerin steht gegenüber das finanzielle Risiko des Antragsgegners, die Kosten der Maßnahme endgültig tragen zu müssen, sei es weil ein Rückgriff auf die Antragstellerin wegen Vermögenslosigkeit nicht möglich sein wird oder weil ein Erstattungs- oder sonstiger Anspruch gegen einen anderen (öffentlich-rechtlichen) Träger nicht realisiert werden kann. Für die Gesamtheit der Steuerzahler, deren Interessen der Antragsgegner vertritt - eigene Interessen des Antragsgegners kann es hier gar nicht geben - wäre eine solche Folge zweifellos eher hinnehmbar als die mögliche Grundrechtsverletzung der Antragstellerin.
Aus diesen Gründen war dem Antrag im tenoriertem Umfang stattzugeben. Dem Antrag konnte erst ab Eingang bei Gericht stattgegeben werden. Es ist nicht Aufgabe des vorläufigen Rechtsschutzes einen finanziellen Ausgleich für die Vergangenheit, also für die Zeit vor Anhängigkeit des Eilverfahrens herbeizuführen. Dies ist Aufgabe des Hauptsacheverfahrens (Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl. 2012, § 86b Rn. 29a). Die Verpflichtung ist befristet bis zum 28.02.2013. Das Gericht darf nicht mehr zusprechen als beantragt war (§ 123 SGG).
5. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Rechtsmittelbelehrung: Gegen diesen Beschluss ist gemäß den §§ 172 Abs.1, 173 SGG Beschwerde zum Bayer. Landessozialgericht statthaft. Die Beschwerde ist binnen eines Monats nach Zustellung des Beschlusses beim Sozialgericht Landshut, Seligenthaler Straße 10, 84034 Landshut, schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Die Beschwerdefrist ist auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist beim Bayer. Landessozialgericht, Ludwigstraße 15, 80539 München, oder bei der Zweigstelle des Bayer. Landessozialgerichts, Rusterberg 2, 97421 Schweinfurt, schriftlich oder mündlich zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird.
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