Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG Landshut (FSB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
10
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 10 AS 390/12
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Angelegenheiten nach dem SGB II
Bei der Rücknahme von Bewilligungbescheiden (hier: SGB II) wegen verschwiegenem Vermögen ist rückschauend zu prüfen, ob und wie lange einzusetzende Beträge zur Bedarfsdeckung ausgereicht hätten. Eine Mehrfachanrechnung ist unter Berücksichtigung von § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 SGB II nicht zulässig. Schließlich soll durch die Anwendung von § 45 SGB X die materiell zutreffende Rechtslage hergestellt werden. Die Vorschrift besitzt keinen darüber hinausgehenden Strafcharakter.
Bei der Rücknahme von Bewilligungbescheiden (hier: SGB II) wegen verschwiegenem Vermögen ist rückschauend zu prüfen, ob und wie lange einzusetzende Beträge zur Bedarfsdeckung ausgereicht hätten. Eine Mehrfachanrechnung ist unter Berücksichtigung von § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 SGB II nicht zulässig. Schließlich soll durch die Anwendung von § 45 SGB X die materiell zutreffende Rechtslage hergestellt werden. Die Vorschrift besitzt keinen darüber hinausgehenden Strafcharakter.
I. Der Bescheid des beklagten Jobcenters vom 28.07.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 09.05.2012 und der Rücknahme- und Erstattungsbescheid vom 21.02.2011 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 15.11.2013 werden
- bezüglich der Klägerin zu 2) vollständig und
- bezüglich der Klägerin zu 1) insoweit aufgehoben, als von ihr ein
2.218,07 EUR übersteigender Betrag gefordert wird.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Das beklagte Jobcenter erstattet elf Zwölftel der notwendigen außergerichtlichen Kosten der Kläger.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens nach § 44 SGB X über die Rechtmäßigkeit eines Rücknahme- und Erstattungsbescheids vom 21.02.2011.
Die Klägerin zu 1) beantragte am 14.10.2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für sich und ihre Tochter , geb. am 01.11.1993, der Klägerin zu 2). Dabei gab sie als Vermögen ein Sparbuch (Nr ...), eine Kapitalversicherung bei der ... Lebensversicherung AG (Nr ...), eine Lebensversicherung bei der ... Lebensversicherung auf Gegenseitigkeit (Nr ...) sowie einen Bausparvertrag bei der ... (Nr ...) an. Da die Versicherung bei der ... einen Rückkaufswert in Höhe von 11.495,75 EUR aufwies, wurde der Klägerin zu 1) am 17.11.2005 telefonisch mitgeteilt, dass keine Hilfebedürftigkeit vorliege, weil das Vermögen den Freibetrag übersteige. Die Klägerin zu 1) kündigte in der Folgezeit die Lebensversicherung. Nachdem der über dem Freibetrag liegende Betrag verbraucht war, wurden den Klägerinnen mit Bescheid vom 02.03.2006 und Folgebescheiden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes ab dem 13.02.2006 gewährt.
Im Rahmen eines Datenabgleichs gab die Klägerin zu 1) am 06.10.2010 erstmals an, dass im November 2010 ein Sparkassenbrief (Nr ...) ihrer Tochter in Höhe von ca. 7.000 EUR fällig werde. Das Geld aus dem Sparkassenbrief war zunächst - von der Großmutter der Klägerin zu 2) - am 16.11.2000 für fünf Jahre bis zum 16.11.2005 fest angelegt worden. Am 18.11.2005 wurde der Klägerin zu 2) ein Betrag in Höhe von 7.050,78 EUR gutgeschrieben. Ein Teilbetrag in Höhe von 6.096,75 EUR wurde am gleichen Tag erneut über einen Sparkassenbrief für fünf Jahre bis zum 18.11.2010 fest angelegt. Die Klägerin zu 1) erklärte, mit ihrer Tochter sei vereinbart worden, dass sie die vielen Ausgaben, die sie für sie gehabt habe, zunächst durch Überziehung ihres Girokontos decke und wenn der Sparvertrag fällig werde, werde abgerechnet. Am 19.11.2010 wurden dem Girokonto der Tochter der Klägerin zu 1) 6.673,04 EUR gutgeschrieben.
Mit Schreiben des Jobcenters vom 18.01.2011 wurde der Klägerin zu 1) mitgeteilt, dass das Vermögen ihrer Tochter den Freibetrag seit Leistungsbeginn überstiegen habe. Es sei daher beabsichtigt, sie und ihre Tochter zur Erstattung der zu Unrecht erhaltenen Leistungen zu verpflichten. Sie könne sich zu den entscheidungserheblichen Tatsachen äußern. Mit Schreiben vom 25.01.2011 teilte die Klägerin zu 1) mit, sie habe den Sparkassenbrief bei Erstantragstellung angegeben, das Geld sei teilweise schon verbraucht.
Mit Rücknahme- und Erstattungsbescheid vom 21.02.2011 wurden alle Bewilligungsbescheide seit Leistungsbeginn zurückgenommen und von der Klägerin zu 1) 12.434,49 EUR, von ihrer Tochter 12.349,59 EUR Erstattung verlangt. Hiergegen wurde kein Widerspruch erhoben.
Mit Schreiben eingegangen am 07.07.2011 beantragten die Klägerinnen zu 1) und 2), den Rücknahme- und Erstattungsbescheid vom 21.02.2011 nach § 44 SGB X zu überprüfen.
Mit Bescheid vom 28.07.2011 wurde der Überprüfungsantrag abgelehnt, da nach der Antragstellung vom 14.10.2005 der Tochter der Klägerin zu 1) 7.000 EUR zugeflossen seien, sie also über Einkommen verfügt habe. Diese einmalige Einnahme sei auf 12 Monate aufzuteilen gewesen. Das Einkommen habe den Bedarf überstiegen. Nach Ablauf der 12 Monate sei das noch vorhandene Geld als Vermögen zu bewerten. Die Vermögensfreibeträge seien während der gesamten Dauer des Leistungsbezugs überschritten gewesen.
Gegen den Ablehnungsbescheid vom 28.07.2011 legten die Klägerinnen mit Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten am 30.08.2011 Widerspruch ein.
Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens legten die Klägerinnen eine Bestätigung der Sparkasse B-Stadt vom 19.07.2011 vor. Danach habe der Sparkassenbrief nicht vor Fälligkeit aufgelöst werden können. Mit weiteren Schreiben der Sparkasse B-Stadt vom 04.10.2011 erklärte diese, dass auch eine Beleihung des Sparkassenbriefs nicht möglich gewesen wäre, da die Klägerin zu 2) zum damaligen Zeitpunkt noch minderjährig gewesen sei.
Mit Widerspruchsbescheid vom 09.05.2012 wurde der Bescheid vom 28.07.2011 und der Rücknahme- und Erstattungsbescheid vom 21.02.2011 hinsichtlich des Erstattungsumfangs wie folgt geändert:
Datum
Bescheid
Rücknahmezeitraum
von - bis
Leistungsberechtigte/r
Rücknahme-
mtl. in Euro
LU*
Umfang
KdU/Hz*
30.10.2008
01.08.2008-31.08.2008
A.
43,64
195,33
*LU = Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (Regelbedarf inkl. Mehrbedarfe)
*KdU/Hz = Leistungen für Unterkunft und Heizung
Die aufgrund des zurückgenommenen Bescheids erbrachten Leistungen sind zu erstatten und zwar
von
Leistungsempfänger
in Höhe von insgesamt
In EUR
A. 12.114,92
A. 12.185,90
Im Übrigen wurde der Widerspruch zurückgewiesen.
Am 12.06.2012 erhoben die Klägerinnen, vertreten durch ihren Prozessbevollmächtigten, Klage zum Sozialgericht Landshut:
Bei dem Sparkassenbrief handle es sich bereits nicht um verwertbares Vermögen. Laut Bestätigung der Sparkasse B-Stadt vom 19.07.2011 habe der Sparkassenbrief nicht vor Fälligkeit aufgelöst werden können. Mit weiterem Schreiben vom 04.10.2011 habe die Sparkasse B-Stadt bestätigt, dass auch eine Beleihung des Sparkassenbriefs nicht möglich gewesen wäre. Schließlich sei die Erstattungsforderung bezüglich der Klägerin zu 2) bereits deshalb rechtswidrig, weil die Schuldenhaftung aus Zeiten der Minderjährigkeit begrenzt sei. Zum Stichtag 01.11.2011 habe die Klägerin zu 2) über ein Girokonto verfügt, das mit 52,67 EUR überzogen gewesen sei. Die beiden Sparbücher haben ein Guthaben von 1,02 EUR bzw. 32,29 EUR ausgewiesen.
Die Klägerinnen beantragen,
den Rücknahme- und Erstattungsbescheid vom 21.02.2011 und den Überprüfungsbescheid vom 28.07.2011 sowie den Widerspruchsbescheid vom 09.05.2012 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Klägerin zu 1) sei zum Zeitpunkt der Antragstellung am 14.10.2005 sehr wohl bewusst gewesen, dass die Klägerin zu 2) über einen Sparkassenbrief verfüge. Einen Tag vor Abschluss des neuen Sparkassenbriefs am 17.11.2005 sei der Klägerin zu 1) telefonisch mitgeteilt worden, dass das Vermögen über den Freibeträgen liege. Auch in diesem Gespräch sei der Sparkassenbrief nicht offengelegt worden.
Das anrechenbare Vermögen sei auch bei Erstattungskonstellationen nicht auf monatlichen Hilfebedarf "anzurechnen", sondern stehe dem Leistungsanspruch bis zu seinem Verbrauch entgegen.
Ferner finde die Haftungsbeschränkung des § 1629a BGB bezüglich der Klägerin zu 2) keine Anwendung. Zum Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung sei der Rücknahme- und Erstattungsbescheid rechtmäßig gewesen. Die Haftungsbeschränkung sei vorliegend im Verwaltungsvollstreckungsverfahren geltend zu machen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird im Übrigen auf den wesentlichen Inhalt der beigezogenen Beklagtenakte, auf die im Klageverfahren zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze sowie auf die Niederschrift über den Erörterungstermin vom 19.10.2012 und die von der mündliche Verhandlung vom 24.10.2013 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Da die Parteien mit Schriftsätzen vom 10.01.2014 bzw. 23.01.2014 ihr Einverständnis nach § 124 Abs. 2 SGG erteilt haben, konnte das Gericht ohne weitere mündliche Verhandlung entscheiden.
Die zulässige Klage ist im tenoriertem Umfang begründet.
Der Bescheid des beklagten Jobcenters vom 28.07.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 09.05.2012 und der Rücknahme- und Erstattungsbescheid vom 21.02.2011 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 15.11.2013 sind insoweit rechtswidrig und verletzen die Klägerinnen in ihren Rechten, § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG, als von der Klägerin zu 1) ein 2.218,07 EUR übersteigender Betrag und von der Klägerin zu 2) mit Eintritt in die Volljährigkeit SGB II-Leistungen zurückgefordert werden.
1. Streitgegenstand ist vorliegend die Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 28.07.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.05.2012, mit dem der Beklagte die Rücknahme des Bescheides vom 21.02.2011 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 15.11.2013 abgelehnt hat.
2. Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass des Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Die Vorschrift ist nach allgemeiner Auffassung (analog) anwendbar auf Aufhebungs- und Erstattungsbescheide (vgl. nur BSG, Urteil vom 04.02.1998 - B 9 V 16/96 R, zit. in Juris; Merten, in Hauck/Noftz, SGB X, K § 44 Rn. 70 m.w.N.).
a) Verfahrensrechtliche Grundlage der Rücknahme der Bewilligungen sind mit Blick auf die von Anfang an rechtswidrigen Bewilligungsbescheide die Bestimmungen der §§ 44 Abs. 1 Satz 1, 2 Nr. 1 SGB II, 45 SGB X in der Modifikation durch § 330 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III). Die Beurteilung der Rechtswidrigkeit bestimmt sich hierbei nach den tatsächlichen und materiell-rechtlichen Verhältnissen im Zeitpunkt des Erlasses des begünstigenden Verwaltungsakts (vgl. Bundessozialgericht SozR 3-1500 § 54 Nr. 18). Nach § 45 Abs. 1 SGB X in Verbindung mit § 330 Abs. 2 SGB III ist ein begünstigter Verwaltungsakt unter Beachtung der Einschränkungen der Absätze 2 und 4 von § 45 SGB X ganz oder teilweise zurückzunehmen. Auf Vertrauensschutz (vgl. § 45 Abs. 2 Sätze 1 und 2 SGB X) kann sich der Begünstigte nicht berufen, soweit
(1.) er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung
erwirkt hat,
(2.) der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob
fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat oder
(3.) er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts kannte oder infolge grober Fahr-
lässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die
erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat (§ 45 Abs. 2
Satz 3 SGB X).
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Bösgläubigkeit ist der Erlass des zurückzunehmenden begünstigenden Bescheids (vgl. BSG SozR 3-1300 § 45 Nr. 24 S. 82; SozR a.a.O. Nr. 39 S. 127).
b) Die vorgenannten Voraussetzungen für eine Rücknahme der Bescheide liegen hier vor. Die Bewilligungsbescheide waren rechtswidrig, weil die Klägerinnen zu 1) und 2) wegen des verwertbaren Sparkassenbriefs der Klägerin zu 2) keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II hatten.
aa) Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II erhalten Leistungen nach diesem Buch nur Personen, die u. a. hilfebedürftig sind (Nr. 3 a.a.O.). Hilfebedürftig ist gemäß § 9 Abs. 1 SGB II, wer seinen Lebensunterhalt, seine Eingliederung in Arbeit und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem nicht durch (1.) Aufnahme einer zumutbaren Arbeit, (2.) aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält. Als Vermögen sind alle verwertbaren Vermögensge-genstände zu berücksichtigen (§ 12 Abs. 1 SGB II). Hierzu gehört auch der Sparkassenbrief der Klägerin zu 2). Der Verwertbarkeit steht nicht entgegen, dass die Klägerin zu 2) diesen nicht einseitig kündigen konnte. Zwar war die Forderung wegen der Festlegung bis zum 22.11.2010 noch nicht fällig und auch nicht vorzeitig kündbar, so dass die Klägerin zu 2) die Rückzahlung noch nicht verlangen konnte, indes war es ihr möglich, die Forderung "zu beleihen", also zur Sicherung eines Darlehens abzutreten oder zu verpfänden. Eine solche Belastung von Vermögenswerten war bereits zum früheren Recht der Arbeitslosenhilfe (neben dem Verbrauch oder der Übertragung) eine Möglichkeit der Verwertung von Vermögen (so LSG NRW, Urteil vom 22.09.2009 - L 1 AS 28/08 mit Verweis auf BSG SozR 4-4300 § 193 Nr 5; BSGE 83, 88ff = SozR 3-4220 § 6 Nrn 4 und 6; BSG SozR 3-4100 § 137 Nr 6). Daran hat sich auch unter der Geltung des SGB II nichts geändert. Dem steht nicht entgegen, dass die Sparkasse B-Stadt mit Schreiben vom 04.10.2011 "wunschgemäß" bestätigte, dass eine Beleihung auf Grund der Minderjährigkeit der Klägerin zu 2) nicht möglich gewesen wäre. Eine Beleihung wäre durch Genehmigung der gesetzlichen Vertreter bzw. des zuständigen Familiengerichts durchaus möglich gewesen.
Das durch den Sparkassenbrief verbriefte Vermögen übersteigt auch die der Klägerin zu 2) zustehenden Freibeträge nach § 12 Abs. 2 SGB II (zur Berechnung wird auf den Widerspruchsbescheid vom 09.05.2012 verwiesen, § 136 Abs. 3 SGG).
bb) Die Klägerinnen können sich auch nicht auf Vertrauensschutz berufen, da die Bewilligungsbescheide auf Angaben beruhen, die sie zumindest grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht haben (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X), denn die Klägerin zu 1) hat bei allen Anträgen zunächst den Sparkassenbrief der Klägerin zu 2) nicht angegeben. Die rechtswidrigen Bewilligungen beruhen auf diesen Angaben der Klägerin zu 1). Entgegen der klaren und unmissverständlichen Fragestellung in den jeweiligen Antragsformularen hat die Klägerin zu 1) unrichtige Angaben bezüglich ihrer Vermögensverhältnisse gemacht, indem sie den Sparkassenbrief ihrer Tochter nicht angegeben hat. Dabei ist die Kammer davon überzeugt, dass der Klägerin zu 1) - unter Zugrundelegung der eindeutigen Fragestellung - auch bei der ihr eingeräumten eigenen rechtlichen Wertung (vgl. BSGE 42, 184, 188 = SozR 4100 § 152 Nr. 3; BSGE 47, 28, 33; BSG SozR 4100 § 152 Nr. 6) ohne weitere Überlegung klar sein musste, dass zu den anzugebenden Vermögenswerten auch der auf die Tochter lautende Sparkassenbrief gehört. Die Klägerin zu 1) hat nach Antragstellung vom 14.05.2005 den auf dem Girokonto der Klägerin zu 2) am 18.11.2005 gutgeschriebenen Betrag sofort erneut angelegt. Ihr war daher bewusst, dass es den Sparkassenbrief gab. Ferner war der Klägerin zu 1) am 17.11.2005, also einen Tag vor dem Abschluss des neuen Sparkassenbriefs, telefonisch vom Jobcenter mitgeteilt worden, dass ihr Vermögen über den Freibeträgen lag. Auch in diesem Gespräch wurde der Sparkassenbrief der Tochter nicht offengelegt.
Die Klägerin zu 2) muss sich das Verschulden der Klägerin zu 1) als ihrer gesetzlichen Vertreterin zurechnen lassen, da die Mutter die SGB II-Behördenangelegenheiten für die Bedarfsgemeinschaft, d.h. insbesondere für die damals minderjährige Tochter, wahrgenommen hat. Insoweit ist Verschulden der Mutter als gesetzlicher Vertreterin gemäß § 278 Satz 1 BGB der Klägerin zu 2) genauso zuzurechnen wie eigenes Verschulden. Die Klägerin zu 2) war beschränkt geschäftsfähig iSv § 106 BGB mit der Folge, dass ihre Mutter als gesetzlicher Vertreter für sie in Behördenangelegenheiten tätig geworden ist.
Die Bewilligungsbescheide beruhen somit auf Angaben, die die Klägerin zu 1) zumindest grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat. Der Beklagte war daher dem Grunde nach berechtigt, die Bewilligungsbescheide - soweit sie den Leistungsanspruch der Klägerinnen betrafen - mit Wirkung für die Vergangenheit aufzuheben.
cc) Die in § 45 Abs. 3 und 4 SGB X genannten Fristen sind eingehalten. Nach § 45 Abs. 3 Satz 3 SGB X kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung bis zum Ablauf von 10 Jahren nach seiner Bekanntgabe zurückgenommen werden, wenn die Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 oder 3 SGB X vorliegen. Die Rücknahme mit Wirkung für die Vergangenheit muss innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen erfolgen, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakts für die Vergangenheit rechtfertigen (§ 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X). Zur Kenntnis der Behörde von den maßgeblichen, die Rücknahme rechtfertigenden Tatsachen gehört regelmäßig auch die Anhörung der Beteiligten (vgl. BSG SozR 3-1300 § 45 Nrn. 27 und 42).
3. Der Erstattungsbescheid nach § 50 SGB X ist jedoch der Höhe nach bezüglich der Klägerin zu 1) teilweise rechtswidrig und mit Eintritt der Volljährigkeit der Klägerin zu 2) zum 01.11.2011 haben sich die für die Erstattung maßgeblichen Gesichtspunkte maßgeblich geändert, was vorliegend zur Rechtswidrigkeit des Erstattungsbescheids gegenüber der Klägerin zu 2) führt (Beschränkung der Minderjährigenhaftung nach § 1629a BGB).
a) Der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 21.02.2011 ist gegenüber der Klägerin zu 1) insoweit rechtswidrig, als von ihr ein 2.218,07 EUR übersteigender Betrag gefordert wird. Nach Ansicht der Kammer ist bei der Rücknahme von Bewilligungsbescheiden wegen verschwiegenen Vermögens rückschauend zu überprüfen, ob und wie lange einzusetzende Beträge zur Bedarfsdeckung ausgereicht hätten (so zutreffend LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 25.07.2012 - L 5 AS 56/10; SG Karlsruhe, Urteil vom 30.06.2011 - S 13 AS 1217/09; Geiger, in: Münder, SGB II, 5. Aufl. 2013, § 12 Rn. 87; Berlit, in: info also 2011, 223, 225 ff. Anmerkung zur Gegenansicht von LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 22.07.2011 - L 12 AS 4994/10). Eine Mehrfachanrechnung ist nicht zulässig, denn durch die Anwendung von § 45 SGB X soll die materiell zutreffende Rechtslage hergestellt werden. Die Regelung hat keinen darüber hinaus gehenden Sanktionscharakter. Weitere Sanktionen müssen dem Straf- bzw. Ordnungswidrigkeitsverfahren vorbehalten bleiben.
aa) Wie sich aus der unstreitigen Berechnung des beklagten Jobcenters vom 18.11.2013 ergibt, ist unter Berücksichtigung eines fiktiven Vermögensverbrauchs das Vermögen bereits mit Ablauf des Monats Mai 2007 unter den vermögensrechtlichen Freibetrag gesunken. Die Annahme eines längeren Zeitraums der Bedarfsdeckung kommt vorliegend nicht in Betracht.
Zwar ist bei vorausschauenden Bewilligungsentscheidungen ein einzusetzendes, aber tatsächlich nicht verbrauchtes Vermögen solange anzurechnen, wie es noch vorhanden ist. Ein "fiktiver Vermögensverbrauch" ist nicht zu prüfen (vgl. BSG, Beschluss vom 30.07.2008, Az.: B 14 AS 14/08 B, juris RN 5). In der Bewilligungssituation ist es zu rechtfertigen, im Zeitpunkt der Entscheidung über die Bewilligung tatsächlich noch vorhandenes Vermögen auch dann zu berücksichtigen, wenn es einem Leistungsanspruch bereits für einen vorangehenden Bewilligungszeitraum entgegen gehalten worden war (wiederholte Vermögensberücksichtigung), zumal der Verordnungsgeber keine § 9 Alhi-V (F. 1994) entsprechende Regelung mehr vorgesehen hat, nach der der Arbeitslose im Rahmen der Arbeitslosenhilfe nur einmal auf das gleiche Vermögen verwiesen werden könne. Der Leistungsberechtigte hat es in dieser Situation grundsätzlich in der Hand, durch Ver-brauch oder (rechtmäßige) Übertragung einer Mehrfachanrechnung entgegen zu wirken.
bb) Bei der Rücknahme von Bewilligungsbescheiden wegen verschwiegenem Vermögen ist dagegen rückschauend zu überprüfen, ob und wie lange einzusetzende Beträge zur Bedarfsdeckung ausgereicht hätten (so zutreffend: LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 25.07.2012 - L 5 AS 56/10; SG Karlsruhe, Urteil vom 30.06.2011 - S 13 AS 1217/09, juris RN 25-31, unter Bezugnahme auf BVerwG, Beschluss vom 18.07.1986 - 5 B 10/85, juris RN 3f.; Geiger, in: Münder, SGB II, 5. Aufl. 2013, § 12 Rn. 87; Berlit, in: info also 2011, 223, 225 ff. Anmerkung zur Gegenansicht von LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 22.07.2011 - L 12 AS 4994/10). Soweit vertreten wird, im Rahmen von § 45 SGB X sei eine Mehrfachanrechnung zulässig (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 12.03.2010 - L 5 AS 2340/08, juris RN 28; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 22.07.2011 - L 12 AS 4994/10, juris RN 33), ist dem nicht zu folgen. Durch die Anwendung des § 45 SGB X soll die materiell zutreffende Rechtslage hergestellt werden nach einer rechtswidrigen Begünstigung des Leistungsempfängers (vgl. Schütze in von Wulffen: SGB X, 7. Auflage 2010, § 45 RN 2). Dabei ist der Normalfall, also die ordnungsgemäße Verwertung des Vermögens, zugrunde zulegen und nicht der atypische Fall einer verweigerten Verwertung. Die Regelung des § 45 SGB X hat keinen über die genannte Zielsetzung hinausgehenden Sanktionscharakter (a.A.: LSG Berlin-Brandenburg, a.a.O., Rn. 35). In der Rückabwicklungssituation, die sich über mehrere Bewilligungszeiträume erstreckt, besteht auch die Möglichkeit, eine Mehrfachanrechnung durch eigenes Handeln abzuwenden, nicht. Die Mehrfachanrechnung ist indes nicht vom Gesetz gewollter Regelfall; im Umfang der Anrechnung ist regelmäßig von einem Vermögensverbrauch auszugehen. §§ 45 ff. SGB X zielen auch nicht auf eine (zusätzliche) Sanktionierung des Begünstigten; als Sanktion wirkt aber, wenn - wie hier - der Gesamtrückforderungsbetrag nicht nur das den Freibetrag übersteigende Vermögen, sondern den einsetzbaren Vermögenswert insgesamt deutlich übersteigt. Rücknahme und Erstattung führen nicht eine ungerechtfertigte Bereicherung des Leistungsberechtigten zurück, sondern führen zu einer systemwidrigen "Bereicherung" des Grundsicherungsträgers und hat Strafcharakter was dem Straf- bzw. Ordnungswidrigkeitsverfahren vorbehalten bleiben muss. Andernfalls droht eine verfassungsrechtlich bedenkliche Aushöhlung bzw. Unterlaufen des Grundsatzes "ne bis in idem" (vgl. Art. 103 Abs. 3 GG).
cc) Ein dogmatischer Ansatz für das Verbot der "Mehrfachanrechnung" ist in der Härtefallregelung des § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 SGB II zu sehen (vgl. grundlegend Berlit, in: info also 2011, 223, 225 ff. Anmerkung zur Gegenansicht von LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 22.07.2011 - L 12 AS 4994/1099).
Zutreffend weist Berlit a. a. O auf Folgendes hin:
Nach der BSG-Rechtsprechung zur Alhi-V durfte durch Veruntreuung erlangtes Vermögen oder Einkommen, zu dessen Rückzahlung an den Geschädigten der Arbeitslose verpflichtet ist, im Rahmen der Bedürftigkeitsprüfung nicht als verwertbares Vermögen bzw. anrechenbares Einkommen berücksichtigt werden (BSG v. 06.04.2000 - B 11 AL 31/99 R). Im Recht der Ausbildungsförderung geht das Bundesverwaltungsgericht ohne nähere Begründung davon aus, dass bei der auf einzelne Bewilligungsabschnitte bezogenen Vermögensbetrachtung für vorangehende Bewilligungszeiträume festgesetzte Rückforderungsbeträge abzusetzen sind (BVerwG NJW 2009, 3045). Gemeinsamer und zutreffender Grundgedanke dieser Rechtsprechung ist, dass die Rückabwicklung auf die Herstellung materiell-rechtlich rechtmäßiger Verhältnisse gerichtet ist und hiernach solche Vermögensbestandteile, die in qualifizierter Weise rechtlich anderweitig "gebunden" sind, außer Betracht zu bleiben haben. Dabei reicht eine beliebige schuldrechtliche Verpflichtung oder Bindung sicherlich nicht aus. Das Besondere in Fällen der Leistungsrückforderung wegen verschwiegenen Vermögens ist, dass es der Grundsicherungsträger selbst ist, der Gläubiger der an den Vermögensüberhang anknüpfenden Erstattungsschuld ist, und aus einem Vermögensüberhang, auf den er just für vorangehende Zeiträume rechnerisch zugegriffen hat, die Rechtfertigung herleitet, auch für Folgezeiträume Leistungen zurückzufordern. Bei einer auf den jeweiligen Bewilligungszeitpunkt abstellenden Betrachtung gehört zu der vollständigen Erfassung des objektiven Sachverhalts auch der Umstand, dass ein anrechenbares Vermögen zu Beginn des Folgezeitraums nur deswegen noch vorhanden ist, weil es für vorangehende Bewilligungszeiträume nicht angerechnet und verbraucht worden ist, sowie die Bewertung, dass in der Höhe der objektiv rechtswidrigen Nichtanrechnung - bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X - die Rücknahme und Rückforderung möglich und geboten ist; dass diese Informationen erst später bekannt geworden sind, ändert nichts an der objektiven Rechtslage.
Für diese Konstellation drängt sich auch nach Auffassung der Kammer auf, eine besondere Härte anzunehmen. Bei einer unbeschränkten Rücknahme und Rückforderung, wird gerade nicht nur den gesetzlichen Vermögensanrechnungsregelungen rückwirkend zum Durchbruch verholfen. Wirtschaftlich wird durch die "Mehrfachanrechnung" der Vermögensfreibetrag aufgezehrt, der dem Leistungsberechtigten einen Restbestand an finanziellem Bewegungsspielraum (und damit ökonomisch gesichertem Freiheitsgebrauch) gewährleisten soll; der Rückforderungsbetrag überschreitet im vorliegenden Fall sogar deutlich das insgesamt einsatzfähige Gesamtvermögen. Ist im Rücknahmezeitpunkt der Vermögensüberhang noch vorhanden, ist er weiterhin vorrangig zur Sicherung des Lebensunterhalts einzusetzen und darf nicht einmal zur Tilgung der Rückforderungsschuld eingesetzt werden. Die Rücknahme und Rückforderung überschreitet das zur Herstellung der Nachrangigkeit angezeigte Maß, was selbst bei einem Ersatzanspruch bei sozialwidrigem Verhalten bereits die Geltendmachung des Ersatzanspruchs wegen Härte (§34 Abs.1 Satz 3 SGB II) hinderte. Der Mehrfachzugriff auf das den Freibetrag überschreitende Guthaben aus dem Sparbrief ist daher auch unter Verhältnismäßigkeitsgrundsätzen (Art. 20 Abs. 3 GG) nicht zu rechtfertigen. Wie der vorliegende Fall anschaulich zeigt, kommt es bei einem verschwiegenen und anzurechnenden Vermögen von 2.700 EUR zu folgenden "Sanktionen" für die Bedarfsgemeinschaft:
* Rückforderung von SGB II-Leistungen von ca. 25.000 EUR.
* Keine SGB II-Leistungen für die Zukunft, solange der Sparbrief nicht fällig und verwertet wird.
* Strafverfahren bzw. Ordnungswidrigkeitsverfahren.
Auch ein Vergleich zu den Regelungen nach der Abgabenordnung im Bereich der Steuerhinterziehung (vgl. §§ 370 ff. AO) macht deutlich, dass eine Mehrfachanrechnung von Vermögen in Erstattungskonstellationen zu offensichtlichen Wertungswidersprüchen führt. Der Steuerhinterzieher muss, abgesehen von einer möglichen strafrechtlichen Verurteilung (Möglichkeit der strafbefreienden Selbstanzeige nach § 371 AO), lediglich die Steuern zuzüglich von Hinterziehungszinsen nachzahlen. Der Hilfebedürftige muss sich jedoch ein Vielfaches seines tatsächlichen Vermögens auf die SGB II-Leistungen anrechnen lassen; dabei hilft es ihm auch nicht, wen er nachträglich sein Vermögen aus freien Stücken dem Jobcenter mitteilt.
Aus oben genannten Gründen ist daher bei der Rücknahme von Bewilligungsbescheiden wegen verschwiegen Vermögens rückwirkend zu prüfen, ob und wie lange einzusetzende Beträge zur Bedarfsdeckung gereicht hätten. Wie sich aus der unstreitigen Berechnung des beklagten Jobcenters vom 18.11.2013 ergibt, ist unter Berücksichtigung eines fiktiven Vermögensverbrauchs das Vermögen bereits mit Ablauf des Monats Mai 2007 unter den vermögensrechtlichen Freibetrag gesunken. Die Annahme eines längeren Zeitraums der Bedarfsdeckung kommt daher vorliegend nicht in Betracht. Dies bedeutet, dass von der Klägerin zu 1) 2.218,07 EUR zu erstatten sind.
b) Ursprünglich, d.h. in der Fassung des Rücknahme- und Erstattungsbescheids vom 21.02.2011 war das Erstattungsbegehren dem Grunde nach gegenüber der Klägerin zu 2) rechtmäßig. Denn gemäß § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X sind, soweit ein Verwaltungsakt aufgehoben worden ist, die bereits erbrachten Leistungen zu erstatten. Durch den Eintritt der Volljährigkeit der Klägerin zu 2) zum 01.11.2011 haben sich jedoch für die Erstattung relevante Umstände maßgeblich geändert, was vorliegend zur Rechtswidrigkeit des Erstattungsbescheids gegenüber der Klägerin zu 2) führt.
Dem Erstattungsanspruch des Beklagten steht die Beschränkung der Minderjährigenhaftung entgegen. Nach § 1629a Abs. 1 BGB beschränkt sich die Haftung für Verbindlichkeiten, die u. a. Eltern im Rahmen ihrer gesetzlichen Vertretungsmacht durch Rechtsgeschäft oder durch eine sonstige Handlung mit Wirkung für das Kind begründet haben, auf den Bestand des bei Eintritt der Volljährigkeit vorhandenen Vermögens des Kindes. Dazu hat das BSG in seinem Urteil vom 07.07.2011 (Az.: B 14 AS 153/10 R, juris RN 47) ausgeführt, dass ein Erstattungsbescheid nach Eintritt der Volljährigkeit dann rechtswidrig wird, wenn das bei Eintritt der Volljährigkeit bestehende pfändbare Vermögen hinter den (unter § 1629a BGB fallenden) Verbindlichkeiten zurückbleibt. § 1629a BGB führe zur Rechtswidrigkeit des Erstattungsbescheids, denn die Regelung sei auch bei der Rückforderung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II entsprechend anwendbar. Dies sei bereits im Erstattungs- und nicht erst im Vollstreckungsverfahren zu berücksichtigen (a.a.O., RN 40 ff.). Durch das Minderjährigenhaftungsbeschränkungsgesetz vom 25.08.1998 habe der Gesetzgeber die Aufforderung des Bundesverfassungsgerichts im Beschluss vom 13.05.1986 (Az. 1 BvR 1542/84, NJW 1986, S. 1859), in Wahrnehmung seines Wächteramts Regelungen zu schaffen, die verhindern, dass der soeben volljährig Gewordene nicht mehr als nur ein scheinbare Freiheit erreicht, befolgt und § 1629a BGB erlassen.
Im Grundsatz bedeutet dies:
Solange das Kind minderjährig ist, haftet es für die Verbindlichkeiten, die es infolge der gesetzlichen Vertretung treffen (wie hier eine Erstattungsforderung aufgrund von verschuldeten Falschangaben des Vaters), unbeschränkt. Ab Eintritt der Volljährigkeit ist die Haftung (für die durch den gesetzlichen Vertreter während der Minderjährigkeit begründeten Verbindlichkeiten) beschränkt auf das bei Eintritt der Volljährigkeit vorhandene Vermögen (vgl. Palandt, BGB, 73. Auflage 2014, § 1629a RN 4). Reicht dieses zur Befriedigung der Gläubiger, bzw. hier zur Begleichung der Erstattungsforderung nicht aus, steht dem jungen Volljährigen die sog. Erschöpfungseinrede zu. Dementsprechend ist nach der Rechtsprechung des BSG a. a. O. im SGB II-Leistungsrecht von Amts wegen eine Vermögensprüfung durch den Leistungsträger vorzunehmen. Der Erstattungsbescheid wird in Höhe der das Vermögen übersteigenden Forderung rechtswidrig.
Folgende Fallkonstellationen können dabei u.a. auftreten:
* Ist der Schuldner bei Erlass des Erstattungsbescheides noch nicht volljährig, ist der Erstattungsbescheid zum Zeitpunkt seines Erlasses zunächst rechtmäßig. Dies entspricht der § 1629 a BGB zugrunde liegenden unbeschränkten Haftung des Minderjährigen bis zum Eintritt der Volljährigkeit. Soweit aber bei Eintritt der Volljährigkeit das an diesem Tag bestehende pfändbare Vermögen hinter den (unter § 1629 a BGB fallenden) Verbindlichkeiten zurückbleibt, kommt die Haftungsbeschränkung zum Zuge. In diesem Fall besteht gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB X ein Anspruch auf Aufhebung des Erstattungsbescheides (BSG a.a.O. m.w.N.).
* Tritt die Volljährigkeit nach Erlass des ursprünglichen Erstattungsbescheides, aber noch vor Abschluss des Widerspruchsverfahrens ein, ist zu beachten, dass bei (reinen) Anfechtungsklagen der maßgebende Zeitpunkt in der Regel die Sach- und Rechtslage bei Erlass der letzten behördlichen Entscheidung ist (vgl. nur Keller in Meyer-Ladewig, SGG, 9. Aufl. 2008, § 54 RdNr. 33 m.w.N.). Sind zu diesem Zeitpunkt die Voraussetzungen des § 1629 a BGB gegeben, wäre der Erstattungsbescheid von Anfang an rechtswidrig (BSG a.a.O.).
* Tritt die Volljährigkeit nach Abschluss des Widerspruchsverfahrens ein, war der Erstattungsbescheid auch bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 1629 a BGB rechtmäßig. In diesem Fall kann sich der volljährige Schuldner ab dem Zeitpunkt seiner Volljährigkeit im Rahmen der Verwaltungsvollstreckung gegen die Durchsetzung der (Rest-)Forderung wehren oder einen Antrag nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB X auf Aufhebung des Erstattungsbescheides ab dem Zeitpunkt seiner Volljährigkeit stellen.
Dies bedeutet jedoch auch, dass das Jobcenter einen Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X in Fallkonstellationen bei denen die Volljährigkeit nach der letzten Behördenentscheidung eintritt, als Aufhebungsantrag nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB X auszulegen hat. Es wäre vorliegend willkürlich die Klägerin zu 2) auf das Vollstreckungsverfahren zu verweisen.
Bürgerlich-rechtlich haftet der vormalige Minderjährige demnach mit seinem pfändbaren Vermögen voll. Insoweit gibt es keine Freibeträge. Aus den dem Gericht vorgelegten Kontoauszügen verfügte die Klägerin zu 2) zum Stichtag 01.11.2011 unter Berücksichtigung einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise über kein pfändbares Vermögen (Das Girokonto war mit 52,67 EUR überzogen; Sparguthaben waren 1.02 EUR bzw. 32,29 EUR vorhanden). Die Kammer ist auch davon überzeugt, dass die Klägerin zu 2) bei Eintritt der Volljährigkeit nicht über weiteres Vermögen verfügt hat.
Aus oben genannten Gründen ist der Klage daher im tenoriertem Umfang stattzugeben.
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Rechtsmittelbelehrung
Dieses Urteil kann mit der Berufung angefochten werden.
Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils beim Bayer. Landessozialgericht, Ludwigstraße 15, 80539 München, oder bei der Zweigstelle des Bayer. Landessozialgerichts, Rusterberg 2, 97421 Schweinfurt, schriftlich oder mündlich zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.
Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist beim Sozialgericht Landshut, Seligenthaler Straße 10, 84034 Landshut, schriftlich oder mündlich zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird.
Die Berufungsschrift soll das angefochtene Urteil bezeichnen, einen bestimmten Antrag enthalten und die zur Begründung der Berufung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben.
Der Berufungsschrift und allen folgenden Schriftsätzen sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden.
- bezüglich der Klägerin zu 2) vollständig und
- bezüglich der Klägerin zu 1) insoweit aufgehoben, als von ihr ein
2.218,07 EUR übersteigender Betrag gefordert wird.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Das beklagte Jobcenter erstattet elf Zwölftel der notwendigen außergerichtlichen Kosten der Kläger.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens nach § 44 SGB X über die Rechtmäßigkeit eines Rücknahme- und Erstattungsbescheids vom 21.02.2011.
Die Klägerin zu 1) beantragte am 14.10.2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für sich und ihre Tochter , geb. am 01.11.1993, der Klägerin zu 2). Dabei gab sie als Vermögen ein Sparbuch (Nr ...), eine Kapitalversicherung bei der ... Lebensversicherung AG (Nr ...), eine Lebensversicherung bei der ... Lebensversicherung auf Gegenseitigkeit (Nr ...) sowie einen Bausparvertrag bei der ... (Nr ...) an. Da die Versicherung bei der ... einen Rückkaufswert in Höhe von 11.495,75 EUR aufwies, wurde der Klägerin zu 1) am 17.11.2005 telefonisch mitgeteilt, dass keine Hilfebedürftigkeit vorliege, weil das Vermögen den Freibetrag übersteige. Die Klägerin zu 1) kündigte in der Folgezeit die Lebensversicherung. Nachdem der über dem Freibetrag liegende Betrag verbraucht war, wurden den Klägerinnen mit Bescheid vom 02.03.2006 und Folgebescheiden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes ab dem 13.02.2006 gewährt.
Im Rahmen eines Datenabgleichs gab die Klägerin zu 1) am 06.10.2010 erstmals an, dass im November 2010 ein Sparkassenbrief (Nr ...) ihrer Tochter in Höhe von ca. 7.000 EUR fällig werde. Das Geld aus dem Sparkassenbrief war zunächst - von der Großmutter der Klägerin zu 2) - am 16.11.2000 für fünf Jahre bis zum 16.11.2005 fest angelegt worden. Am 18.11.2005 wurde der Klägerin zu 2) ein Betrag in Höhe von 7.050,78 EUR gutgeschrieben. Ein Teilbetrag in Höhe von 6.096,75 EUR wurde am gleichen Tag erneut über einen Sparkassenbrief für fünf Jahre bis zum 18.11.2010 fest angelegt. Die Klägerin zu 1) erklärte, mit ihrer Tochter sei vereinbart worden, dass sie die vielen Ausgaben, die sie für sie gehabt habe, zunächst durch Überziehung ihres Girokontos decke und wenn der Sparvertrag fällig werde, werde abgerechnet. Am 19.11.2010 wurden dem Girokonto der Tochter der Klägerin zu 1) 6.673,04 EUR gutgeschrieben.
Mit Schreiben des Jobcenters vom 18.01.2011 wurde der Klägerin zu 1) mitgeteilt, dass das Vermögen ihrer Tochter den Freibetrag seit Leistungsbeginn überstiegen habe. Es sei daher beabsichtigt, sie und ihre Tochter zur Erstattung der zu Unrecht erhaltenen Leistungen zu verpflichten. Sie könne sich zu den entscheidungserheblichen Tatsachen äußern. Mit Schreiben vom 25.01.2011 teilte die Klägerin zu 1) mit, sie habe den Sparkassenbrief bei Erstantragstellung angegeben, das Geld sei teilweise schon verbraucht.
Mit Rücknahme- und Erstattungsbescheid vom 21.02.2011 wurden alle Bewilligungsbescheide seit Leistungsbeginn zurückgenommen und von der Klägerin zu 1) 12.434,49 EUR, von ihrer Tochter 12.349,59 EUR Erstattung verlangt. Hiergegen wurde kein Widerspruch erhoben.
Mit Schreiben eingegangen am 07.07.2011 beantragten die Klägerinnen zu 1) und 2), den Rücknahme- und Erstattungsbescheid vom 21.02.2011 nach § 44 SGB X zu überprüfen.
Mit Bescheid vom 28.07.2011 wurde der Überprüfungsantrag abgelehnt, da nach der Antragstellung vom 14.10.2005 der Tochter der Klägerin zu 1) 7.000 EUR zugeflossen seien, sie also über Einkommen verfügt habe. Diese einmalige Einnahme sei auf 12 Monate aufzuteilen gewesen. Das Einkommen habe den Bedarf überstiegen. Nach Ablauf der 12 Monate sei das noch vorhandene Geld als Vermögen zu bewerten. Die Vermögensfreibeträge seien während der gesamten Dauer des Leistungsbezugs überschritten gewesen.
Gegen den Ablehnungsbescheid vom 28.07.2011 legten die Klägerinnen mit Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten am 30.08.2011 Widerspruch ein.
Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens legten die Klägerinnen eine Bestätigung der Sparkasse B-Stadt vom 19.07.2011 vor. Danach habe der Sparkassenbrief nicht vor Fälligkeit aufgelöst werden können. Mit weiteren Schreiben der Sparkasse B-Stadt vom 04.10.2011 erklärte diese, dass auch eine Beleihung des Sparkassenbriefs nicht möglich gewesen wäre, da die Klägerin zu 2) zum damaligen Zeitpunkt noch minderjährig gewesen sei.
Mit Widerspruchsbescheid vom 09.05.2012 wurde der Bescheid vom 28.07.2011 und der Rücknahme- und Erstattungsbescheid vom 21.02.2011 hinsichtlich des Erstattungsumfangs wie folgt geändert:
Datum
Bescheid
Rücknahmezeitraum
von - bis
Leistungsberechtigte/r
Rücknahme-
mtl. in Euro
LU*
Umfang
KdU/Hz*
30.10.2008
01.08.2008-31.08.2008
A.
43,64
195,33
*LU = Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (Regelbedarf inkl. Mehrbedarfe)
*KdU/Hz = Leistungen für Unterkunft und Heizung
Die aufgrund des zurückgenommenen Bescheids erbrachten Leistungen sind zu erstatten und zwar
von
Leistungsempfänger
in Höhe von insgesamt
In EUR
A. 12.114,92
A. 12.185,90
Im Übrigen wurde der Widerspruch zurückgewiesen.
Am 12.06.2012 erhoben die Klägerinnen, vertreten durch ihren Prozessbevollmächtigten, Klage zum Sozialgericht Landshut:
Bei dem Sparkassenbrief handle es sich bereits nicht um verwertbares Vermögen. Laut Bestätigung der Sparkasse B-Stadt vom 19.07.2011 habe der Sparkassenbrief nicht vor Fälligkeit aufgelöst werden können. Mit weiterem Schreiben vom 04.10.2011 habe die Sparkasse B-Stadt bestätigt, dass auch eine Beleihung des Sparkassenbriefs nicht möglich gewesen wäre. Schließlich sei die Erstattungsforderung bezüglich der Klägerin zu 2) bereits deshalb rechtswidrig, weil die Schuldenhaftung aus Zeiten der Minderjährigkeit begrenzt sei. Zum Stichtag 01.11.2011 habe die Klägerin zu 2) über ein Girokonto verfügt, das mit 52,67 EUR überzogen gewesen sei. Die beiden Sparbücher haben ein Guthaben von 1,02 EUR bzw. 32,29 EUR ausgewiesen.
Die Klägerinnen beantragen,
den Rücknahme- und Erstattungsbescheid vom 21.02.2011 und den Überprüfungsbescheid vom 28.07.2011 sowie den Widerspruchsbescheid vom 09.05.2012 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Klägerin zu 1) sei zum Zeitpunkt der Antragstellung am 14.10.2005 sehr wohl bewusst gewesen, dass die Klägerin zu 2) über einen Sparkassenbrief verfüge. Einen Tag vor Abschluss des neuen Sparkassenbriefs am 17.11.2005 sei der Klägerin zu 1) telefonisch mitgeteilt worden, dass das Vermögen über den Freibeträgen liege. Auch in diesem Gespräch sei der Sparkassenbrief nicht offengelegt worden.
Das anrechenbare Vermögen sei auch bei Erstattungskonstellationen nicht auf monatlichen Hilfebedarf "anzurechnen", sondern stehe dem Leistungsanspruch bis zu seinem Verbrauch entgegen.
Ferner finde die Haftungsbeschränkung des § 1629a BGB bezüglich der Klägerin zu 2) keine Anwendung. Zum Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung sei der Rücknahme- und Erstattungsbescheid rechtmäßig gewesen. Die Haftungsbeschränkung sei vorliegend im Verwaltungsvollstreckungsverfahren geltend zu machen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird im Übrigen auf den wesentlichen Inhalt der beigezogenen Beklagtenakte, auf die im Klageverfahren zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze sowie auf die Niederschrift über den Erörterungstermin vom 19.10.2012 und die von der mündliche Verhandlung vom 24.10.2013 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Da die Parteien mit Schriftsätzen vom 10.01.2014 bzw. 23.01.2014 ihr Einverständnis nach § 124 Abs. 2 SGG erteilt haben, konnte das Gericht ohne weitere mündliche Verhandlung entscheiden.
Die zulässige Klage ist im tenoriertem Umfang begründet.
Der Bescheid des beklagten Jobcenters vom 28.07.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 09.05.2012 und der Rücknahme- und Erstattungsbescheid vom 21.02.2011 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 15.11.2013 sind insoweit rechtswidrig und verletzen die Klägerinnen in ihren Rechten, § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG, als von der Klägerin zu 1) ein 2.218,07 EUR übersteigender Betrag und von der Klägerin zu 2) mit Eintritt in die Volljährigkeit SGB II-Leistungen zurückgefordert werden.
1. Streitgegenstand ist vorliegend die Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 28.07.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.05.2012, mit dem der Beklagte die Rücknahme des Bescheides vom 21.02.2011 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 15.11.2013 abgelehnt hat.
2. Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass des Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Die Vorschrift ist nach allgemeiner Auffassung (analog) anwendbar auf Aufhebungs- und Erstattungsbescheide (vgl. nur BSG, Urteil vom 04.02.1998 - B 9 V 16/96 R, zit. in Juris; Merten, in Hauck/Noftz, SGB X, K § 44 Rn. 70 m.w.N.).
a) Verfahrensrechtliche Grundlage der Rücknahme der Bewilligungen sind mit Blick auf die von Anfang an rechtswidrigen Bewilligungsbescheide die Bestimmungen der §§ 44 Abs. 1 Satz 1, 2 Nr. 1 SGB II, 45 SGB X in der Modifikation durch § 330 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III). Die Beurteilung der Rechtswidrigkeit bestimmt sich hierbei nach den tatsächlichen und materiell-rechtlichen Verhältnissen im Zeitpunkt des Erlasses des begünstigenden Verwaltungsakts (vgl. Bundessozialgericht SozR 3-1500 § 54 Nr. 18). Nach § 45 Abs. 1 SGB X in Verbindung mit § 330 Abs. 2 SGB III ist ein begünstigter Verwaltungsakt unter Beachtung der Einschränkungen der Absätze 2 und 4 von § 45 SGB X ganz oder teilweise zurückzunehmen. Auf Vertrauensschutz (vgl. § 45 Abs. 2 Sätze 1 und 2 SGB X) kann sich der Begünstigte nicht berufen, soweit
(1.) er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung
erwirkt hat,
(2.) der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob
fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat oder
(3.) er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts kannte oder infolge grober Fahr-
lässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die
erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat (§ 45 Abs. 2
Satz 3 SGB X).
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Bösgläubigkeit ist der Erlass des zurückzunehmenden begünstigenden Bescheids (vgl. BSG SozR 3-1300 § 45 Nr. 24 S. 82; SozR a.a.O. Nr. 39 S. 127).
b) Die vorgenannten Voraussetzungen für eine Rücknahme der Bescheide liegen hier vor. Die Bewilligungsbescheide waren rechtswidrig, weil die Klägerinnen zu 1) und 2) wegen des verwertbaren Sparkassenbriefs der Klägerin zu 2) keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II hatten.
aa) Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II erhalten Leistungen nach diesem Buch nur Personen, die u. a. hilfebedürftig sind (Nr. 3 a.a.O.). Hilfebedürftig ist gemäß § 9 Abs. 1 SGB II, wer seinen Lebensunterhalt, seine Eingliederung in Arbeit und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem nicht durch (1.) Aufnahme einer zumutbaren Arbeit, (2.) aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält. Als Vermögen sind alle verwertbaren Vermögensge-genstände zu berücksichtigen (§ 12 Abs. 1 SGB II). Hierzu gehört auch der Sparkassenbrief der Klägerin zu 2). Der Verwertbarkeit steht nicht entgegen, dass die Klägerin zu 2) diesen nicht einseitig kündigen konnte. Zwar war die Forderung wegen der Festlegung bis zum 22.11.2010 noch nicht fällig und auch nicht vorzeitig kündbar, so dass die Klägerin zu 2) die Rückzahlung noch nicht verlangen konnte, indes war es ihr möglich, die Forderung "zu beleihen", also zur Sicherung eines Darlehens abzutreten oder zu verpfänden. Eine solche Belastung von Vermögenswerten war bereits zum früheren Recht der Arbeitslosenhilfe (neben dem Verbrauch oder der Übertragung) eine Möglichkeit der Verwertung von Vermögen (so LSG NRW, Urteil vom 22.09.2009 - L 1 AS 28/08 mit Verweis auf BSG SozR 4-4300 § 193 Nr 5; BSGE 83, 88ff = SozR 3-4220 § 6 Nrn 4 und 6; BSG SozR 3-4100 § 137 Nr 6). Daran hat sich auch unter der Geltung des SGB II nichts geändert. Dem steht nicht entgegen, dass die Sparkasse B-Stadt mit Schreiben vom 04.10.2011 "wunschgemäß" bestätigte, dass eine Beleihung auf Grund der Minderjährigkeit der Klägerin zu 2) nicht möglich gewesen wäre. Eine Beleihung wäre durch Genehmigung der gesetzlichen Vertreter bzw. des zuständigen Familiengerichts durchaus möglich gewesen.
Das durch den Sparkassenbrief verbriefte Vermögen übersteigt auch die der Klägerin zu 2) zustehenden Freibeträge nach § 12 Abs. 2 SGB II (zur Berechnung wird auf den Widerspruchsbescheid vom 09.05.2012 verwiesen, § 136 Abs. 3 SGG).
bb) Die Klägerinnen können sich auch nicht auf Vertrauensschutz berufen, da die Bewilligungsbescheide auf Angaben beruhen, die sie zumindest grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht haben (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X), denn die Klägerin zu 1) hat bei allen Anträgen zunächst den Sparkassenbrief der Klägerin zu 2) nicht angegeben. Die rechtswidrigen Bewilligungen beruhen auf diesen Angaben der Klägerin zu 1). Entgegen der klaren und unmissverständlichen Fragestellung in den jeweiligen Antragsformularen hat die Klägerin zu 1) unrichtige Angaben bezüglich ihrer Vermögensverhältnisse gemacht, indem sie den Sparkassenbrief ihrer Tochter nicht angegeben hat. Dabei ist die Kammer davon überzeugt, dass der Klägerin zu 1) - unter Zugrundelegung der eindeutigen Fragestellung - auch bei der ihr eingeräumten eigenen rechtlichen Wertung (vgl. BSGE 42, 184, 188 = SozR 4100 § 152 Nr. 3; BSGE 47, 28, 33; BSG SozR 4100 § 152 Nr. 6) ohne weitere Überlegung klar sein musste, dass zu den anzugebenden Vermögenswerten auch der auf die Tochter lautende Sparkassenbrief gehört. Die Klägerin zu 1) hat nach Antragstellung vom 14.05.2005 den auf dem Girokonto der Klägerin zu 2) am 18.11.2005 gutgeschriebenen Betrag sofort erneut angelegt. Ihr war daher bewusst, dass es den Sparkassenbrief gab. Ferner war der Klägerin zu 1) am 17.11.2005, also einen Tag vor dem Abschluss des neuen Sparkassenbriefs, telefonisch vom Jobcenter mitgeteilt worden, dass ihr Vermögen über den Freibeträgen lag. Auch in diesem Gespräch wurde der Sparkassenbrief der Tochter nicht offengelegt.
Die Klägerin zu 2) muss sich das Verschulden der Klägerin zu 1) als ihrer gesetzlichen Vertreterin zurechnen lassen, da die Mutter die SGB II-Behördenangelegenheiten für die Bedarfsgemeinschaft, d.h. insbesondere für die damals minderjährige Tochter, wahrgenommen hat. Insoweit ist Verschulden der Mutter als gesetzlicher Vertreterin gemäß § 278 Satz 1 BGB der Klägerin zu 2) genauso zuzurechnen wie eigenes Verschulden. Die Klägerin zu 2) war beschränkt geschäftsfähig iSv § 106 BGB mit der Folge, dass ihre Mutter als gesetzlicher Vertreter für sie in Behördenangelegenheiten tätig geworden ist.
Die Bewilligungsbescheide beruhen somit auf Angaben, die die Klägerin zu 1) zumindest grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat. Der Beklagte war daher dem Grunde nach berechtigt, die Bewilligungsbescheide - soweit sie den Leistungsanspruch der Klägerinnen betrafen - mit Wirkung für die Vergangenheit aufzuheben.
cc) Die in § 45 Abs. 3 und 4 SGB X genannten Fristen sind eingehalten. Nach § 45 Abs. 3 Satz 3 SGB X kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung bis zum Ablauf von 10 Jahren nach seiner Bekanntgabe zurückgenommen werden, wenn die Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 oder 3 SGB X vorliegen. Die Rücknahme mit Wirkung für die Vergangenheit muss innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen erfolgen, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakts für die Vergangenheit rechtfertigen (§ 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X). Zur Kenntnis der Behörde von den maßgeblichen, die Rücknahme rechtfertigenden Tatsachen gehört regelmäßig auch die Anhörung der Beteiligten (vgl. BSG SozR 3-1300 § 45 Nrn. 27 und 42).
3. Der Erstattungsbescheid nach § 50 SGB X ist jedoch der Höhe nach bezüglich der Klägerin zu 1) teilweise rechtswidrig und mit Eintritt der Volljährigkeit der Klägerin zu 2) zum 01.11.2011 haben sich die für die Erstattung maßgeblichen Gesichtspunkte maßgeblich geändert, was vorliegend zur Rechtswidrigkeit des Erstattungsbescheids gegenüber der Klägerin zu 2) führt (Beschränkung der Minderjährigenhaftung nach § 1629a BGB).
a) Der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 21.02.2011 ist gegenüber der Klägerin zu 1) insoweit rechtswidrig, als von ihr ein 2.218,07 EUR übersteigender Betrag gefordert wird. Nach Ansicht der Kammer ist bei der Rücknahme von Bewilligungsbescheiden wegen verschwiegenen Vermögens rückschauend zu überprüfen, ob und wie lange einzusetzende Beträge zur Bedarfsdeckung ausgereicht hätten (so zutreffend LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 25.07.2012 - L 5 AS 56/10; SG Karlsruhe, Urteil vom 30.06.2011 - S 13 AS 1217/09; Geiger, in: Münder, SGB II, 5. Aufl. 2013, § 12 Rn. 87; Berlit, in: info also 2011, 223, 225 ff. Anmerkung zur Gegenansicht von LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 22.07.2011 - L 12 AS 4994/10). Eine Mehrfachanrechnung ist nicht zulässig, denn durch die Anwendung von § 45 SGB X soll die materiell zutreffende Rechtslage hergestellt werden. Die Regelung hat keinen darüber hinaus gehenden Sanktionscharakter. Weitere Sanktionen müssen dem Straf- bzw. Ordnungswidrigkeitsverfahren vorbehalten bleiben.
aa) Wie sich aus der unstreitigen Berechnung des beklagten Jobcenters vom 18.11.2013 ergibt, ist unter Berücksichtigung eines fiktiven Vermögensverbrauchs das Vermögen bereits mit Ablauf des Monats Mai 2007 unter den vermögensrechtlichen Freibetrag gesunken. Die Annahme eines längeren Zeitraums der Bedarfsdeckung kommt vorliegend nicht in Betracht.
Zwar ist bei vorausschauenden Bewilligungsentscheidungen ein einzusetzendes, aber tatsächlich nicht verbrauchtes Vermögen solange anzurechnen, wie es noch vorhanden ist. Ein "fiktiver Vermögensverbrauch" ist nicht zu prüfen (vgl. BSG, Beschluss vom 30.07.2008, Az.: B 14 AS 14/08 B, juris RN 5). In der Bewilligungssituation ist es zu rechtfertigen, im Zeitpunkt der Entscheidung über die Bewilligung tatsächlich noch vorhandenes Vermögen auch dann zu berücksichtigen, wenn es einem Leistungsanspruch bereits für einen vorangehenden Bewilligungszeitraum entgegen gehalten worden war (wiederholte Vermögensberücksichtigung), zumal der Verordnungsgeber keine § 9 Alhi-V (F. 1994) entsprechende Regelung mehr vorgesehen hat, nach der der Arbeitslose im Rahmen der Arbeitslosenhilfe nur einmal auf das gleiche Vermögen verwiesen werden könne. Der Leistungsberechtigte hat es in dieser Situation grundsätzlich in der Hand, durch Ver-brauch oder (rechtmäßige) Übertragung einer Mehrfachanrechnung entgegen zu wirken.
bb) Bei der Rücknahme von Bewilligungsbescheiden wegen verschwiegenem Vermögen ist dagegen rückschauend zu überprüfen, ob und wie lange einzusetzende Beträge zur Bedarfsdeckung ausgereicht hätten (so zutreffend: LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 25.07.2012 - L 5 AS 56/10; SG Karlsruhe, Urteil vom 30.06.2011 - S 13 AS 1217/09, juris RN 25-31, unter Bezugnahme auf BVerwG, Beschluss vom 18.07.1986 - 5 B 10/85, juris RN 3f.; Geiger, in: Münder, SGB II, 5. Aufl. 2013, § 12 Rn. 87; Berlit, in: info also 2011, 223, 225 ff. Anmerkung zur Gegenansicht von LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 22.07.2011 - L 12 AS 4994/10). Soweit vertreten wird, im Rahmen von § 45 SGB X sei eine Mehrfachanrechnung zulässig (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 12.03.2010 - L 5 AS 2340/08, juris RN 28; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 22.07.2011 - L 12 AS 4994/10, juris RN 33), ist dem nicht zu folgen. Durch die Anwendung des § 45 SGB X soll die materiell zutreffende Rechtslage hergestellt werden nach einer rechtswidrigen Begünstigung des Leistungsempfängers (vgl. Schütze in von Wulffen: SGB X, 7. Auflage 2010, § 45 RN 2). Dabei ist der Normalfall, also die ordnungsgemäße Verwertung des Vermögens, zugrunde zulegen und nicht der atypische Fall einer verweigerten Verwertung. Die Regelung des § 45 SGB X hat keinen über die genannte Zielsetzung hinausgehenden Sanktionscharakter (a.A.: LSG Berlin-Brandenburg, a.a.O., Rn. 35). In der Rückabwicklungssituation, die sich über mehrere Bewilligungszeiträume erstreckt, besteht auch die Möglichkeit, eine Mehrfachanrechnung durch eigenes Handeln abzuwenden, nicht. Die Mehrfachanrechnung ist indes nicht vom Gesetz gewollter Regelfall; im Umfang der Anrechnung ist regelmäßig von einem Vermögensverbrauch auszugehen. §§ 45 ff. SGB X zielen auch nicht auf eine (zusätzliche) Sanktionierung des Begünstigten; als Sanktion wirkt aber, wenn - wie hier - der Gesamtrückforderungsbetrag nicht nur das den Freibetrag übersteigende Vermögen, sondern den einsetzbaren Vermögenswert insgesamt deutlich übersteigt. Rücknahme und Erstattung führen nicht eine ungerechtfertigte Bereicherung des Leistungsberechtigten zurück, sondern führen zu einer systemwidrigen "Bereicherung" des Grundsicherungsträgers und hat Strafcharakter was dem Straf- bzw. Ordnungswidrigkeitsverfahren vorbehalten bleiben muss. Andernfalls droht eine verfassungsrechtlich bedenkliche Aushöhlung bzw. Unterlaufen des Grundsatzes "ne bis in idem" (vgl. Art. 103 Abs. 3 GG).
cc) Ein dogmatischer Ansatz für das Verbot der "Mehrfachanrechnung" ist in der Härtefallregelung des § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 SGB II zu sehen (vgl. grundlegend Berlit, in: info also 2011, 223, 225 ff. Anmerkung zur Gegenansicht von LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 22.07.2011 - L 12 AS 4994/1099).
Zutreffend weist Berlit a. a. O auf Folgendes hin:
Nach der BSG-Rechtsprechung zur Alhi-V durfte durch Veruntreuung erlangtes Vermögen oder Einkommen, zu dessen Rückzahlung an den Geschädigten der Arbeitslose verpflichtet ist, im Rahmen der Bedürftigkeitsprüfung nicht als verwertbares Vermögen bzw. anrechenbares Einkommen berücksichtigt werden (BSG v. 06.04.2000 - B 11 AL 31/99 R). Im Recht der Ausbildungsförderung geht das Bundesverwaltungsgericht ohne nähere Begründung davon aus, dass bei der auf einzelne Bewilligungsabschnitte bezogenen Vermögensbetrachtung für vorangehende Bewilligungszeiträume festgesetzte Rückforderungsbeträge abzusetzen sind (BVerwG NJW 2009, 3045). Gemeinsamer und zutreffender Grundgedanke dieser Rechtsprechung ist, dass die Rückabwicklung auf die Herstellung materiell-rechtlich rechtmäßiger Verhältnisse gerichtet ist und hiernach solche Vermögensbestandteile, die in qualifizierter Weise rechtlich anderweitig "gebunden" sind, außer Betracht zu bleiben haben. Dabei reicht eine beliebige schuldrechtliche Verpflichtung oder Bindung sicherlich nicht aus. Das Besondere in Fällen der Leistungsrückforderung wegen verschwiegenen Vermögens ist, dass es der Grundsicherungsträger selbst ist, der Gläubiger der an den Vermögensüberhang anknüpfenden Erstattungsschuld ist, und aus einem Vermögensüberhang, auf den er just für vorangehende Zeiträume rechnerisch zugegriffen hat, die Rechtfertigung herleitet, auch für Folgezeiträume Leistungen zurückzufordern. Bei einer auf den jeweiligen Bewilligungszeitpunkt abstellenden Betrachtung gehört zu der vollständigen Erfassung des objektiven Sachverhalts auch der Umstand, dass ein anrechenbares Vermögen zu Beginn des Folgezeitraums nur deswegen noch vorhanden ist, weil es für vorangehende Bewilligungszeiträume nicht angerechnet und verbraucht worden ist, sowie die Bewertung, dass in der Höhe der objektiv rechtswidrigen Nichtanrechnung - bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X - die Rücknahme und Rückforderung möglich und geboten ist; dass diese Informationen erst später bekannt geworden sind, ändert nichts an der objektiven Rechtslage.
Für diese Konstellation drängt sich auch nach Auffassung der Kammer auf, eine besondere Härte anzunehmen. Bei einer unbeschränkten Rücknahme und Rückforderung, wird gerade nicht nur den gesetzlichen Vermögensanrechnungsregelungen rückwirkend zum Durchbruch verholfen. Wirtschaftlich wird durch die "Mehrfachanrechnung" der Vermögensfreibetrag aufgezehrt, der dem Leistungsberechtigten einen Restbestand an finanziellem Bewegungsspielraum (und damit ökonomisch gesichertem Freiheitsgebrauch) gewährleisten soll; der Rückforderungsbetrag überschreitet im vorliegenden Fall sogar deutlich das insgesamt einsatzfähige Gesamtvermögen. Ist im Rücknahmezeitpunkt der Vermögensüberhang noch vorhanden, ist er weiterhin vorrangig zur Sicherung des Lebensunterhalts einzusetzen und darf nicht einmal zur Tilgung der Rückforderungsschuld eingesetzt werden. Die Rücknahme und Rückforderung überschreitet das zur Herstellung der Nachrangigkeit angezeigte Maß, was selbst bei einem Ersatzanspruch bei sozialwidrigem Verhalten bereits die Geltendmachung des Ersatzanspruchs wegen Härte (§34 Abs.1 Satz 3 SGB II) hinderte. Der Mehrfachzugriff auf das den Freibetrag überschreitende Guthaben aus dem Sparbrief ist daher auch unter Verhältnismäßigkeitsgrundsätzen (Art. 20 Abs. 3 GG) nicht zu rechtfertigen. Wie der vorliegende Fall anschaulich zeigt, kommt es bei einem verschwiegenen und anzurechnenden Vermögen von 2.700 EUR zu folgenden "Sanktionen" für die Bedarfsgemeinschaft:
* Rückforderung von SGB II-Leistungen von ca. 25.000 EUR.
* Keine SGB II-Leistungen für die Zukunft, solange der Sparbrief nicht fällig und verwertet wird.
* Strafverfahren bzw. Ordnungswidrigkeitsverfahren.
Auch ein Vergleich zu den Regelungen nach der Abgabenordnung im Bereich der Steuerhinterziehung (vgl. §§ 370 ff. AO) macht deutlich, dass eine Mehrfachanrechnung von Vermögen in Erstattungskonstellationen zu offensichtlichen Wertungswidersprüchen führt. Der Steuerhinterzieher muss, abgesehen von einer möglichen strafrechtlichen Verurteilung (Möglichkeit der strafbefreienden Selbstanzeige nach § 371 AO), lediglich die Steuern zuzüglich von Hinterziehungszinsen nachzahlen. Der Hilfebedürftige muss sich jedoch ein Vielfaches seines tatsächlichen Vermögens auf die SGB II-Leistungen anrechnen lassen; dabei hilft es ihm auch nicht, wen er nachträglich sein Vermögen aus freien Stücken dem Jobcenter mitteilt.
Aus oben genannten Gründen ist daher bei der Rücknahme von Bewilligungsbescheiden wegen verschwiegen Vermögens rückwirkend zu prüfen, ob und wie lange einzusetzende Beträge zur Bedarfsdeckung gereicht hätten. Wie sich aus der unstreitigen Berechnung des beklagten Jobcenters vom 18.11.2013 ergibt, ist unter Berücksichtigung eines fiktiven Vermögensverbrauchs das Vermögen bereits mit Ablauf des Monats Mai 2007 unter den vermögensrechtlichen Freibetrag gesunken. Die Annahme eines längeren Zeitraums der Bedarfsdeckung kommt daher vorliegend nicht in Betracht. Dies bedeutet, dass von der Klägerin zu 1) 2.218,07 EUR zu erstatten sind.
b) Ursprünglich, d.h. in der Fassung des Rücknahme- und Erstattungsbescheids vom 21.02.2011 war das Erstattungsbegehren dem Grunde nach gegenüber der Klägerin zu 2) rechtmäßig. Denn gemäß § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X sind, soweit ein Verwaltungsakt aufgehoben worden ist, die bereits erbrachten Leistungen zu erstatten. Durch den Eintritt der Volljährigkeit der Klägerin zu 2) zum 01.11.2011 haben sich jedoch für die Erstattung relevante Umstände maßgeblich geändert, was vorliegend zur Rechtswidrigkeit des Erstattungsbescheids gegenüber der Klägerin zu 2) führt.
Dem Erstattungsanspruch des Beklagten steht die Beschränkung der Minderjährigenhaftung entgegen. Nach § 1629a Abs. 1 BGB beschränkt sich die Haftung für Verbindlichkeiten, die u. a. Eltern im Rahmen ihrer gesetzlichen Vertretungsmacht durch Rechtsgeschäft oder durch eine sonstige Handlung mit Wirkung für das Kind begründet haben, auf den Bestand des bei Eintritt der Volljährigkeit vorhandenen Vermögens des Kindes. Dazu hat das BSG in seinem Urteil vom 07.07.2011 (Az.: B 14 AS 153/10 R, juris RN 47) ausgeführt, dass ein Erstattungsbescheid nach Eintritt der Volljährigkeit dann rechtswidrig wird, wenn das bei Eintritt der Volljährigkeit bestehende pfändbare Vermögen hinter den (unter § 1629a BGB fallenden) Verbindlichkeiten zurückbleibt. § 1629a BGB führe zur Rechtswidrigkeit des Erstattungsbescheids, denn die Regelung sei auch bei der Rückforderung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II entsprechend anwendbar. Dies sei bereits im Erstattungs- und nicht erst im Vollstreckungsverfahren zu berücksichtigen (a.a.O., RN 40 ff.). Durch das Minderjährigenhaftungsbeschränkungsgesetz vom 25.08.1998 habe der Gesetzgeber die Aufforderung des Bundesverfassungsgerichts im Beschluss vom 13.05.1986 (Az. 1 BvR 1542/84, NJW 1986, S. 1859), in Wahrnehmung seines Wächteramts Regelungen zu schaffen, die verhindern, dass der soeben volljährig Gewordene nicht mehr als nur ein scheinbare Freiheit erreicht, befolgt und § 1629a BGB erlassen.
Im Grundsatz bedeutet dies:
Solange das Kind minderjährig ist, haftet es für die Verbindlichkeiten, die es infolge der gesetzlichen Vertretung treffen (wie hier eine Erstattungsforderung aufgrund von verschuldeten Falschangaben des Vaters), unbeschränkt. Ab Eintritt der Volljährigkeit ist die Haftung (für die durch den gesetzlichen Vertreter während der Minderjährigkeit begründeten Verbindlichkeiten) beschränkt auf das bei Eintritt der Volljährigkeit vorhandene Vermögen (vgl. Palandt, BGB, 73. Auflage 2014, § 1629a RN 4). Reicht dieses zur Befriedigung der Gläubiger, bzw. hier zur Begleichung der Erstattungsforderung nicht aus, steht dem jungen Volljährigen die sog. Erschöpfungseinrede zu. Dementsprechend ist nach der Rechtsprechung des BSG a. a. O. im SGB II-Leistungsrecht von Amts wegen eine Vermögensprüfung durch den Leistungsträger vorzunehmen. Der Erstattungsbescheid wird in Höhe der das Vermögen übersteigenden Forderung rechtswidrig.
Folgende Fallkonstellationen können dabei u.a. auftreten:
* Ist der Schuldner bei Erlass des Erstattungsbescheides noch nicht volljährig, ist der Erstattungsbescheid zum Zeitpunkt seines Erlasses zunächst rechtmäßig. Dies entspricht der § 1629 a BGB zugrunde liegenden unbeschränkten Haftung des Minderjährigen bis zum Eintritt der Volljährigkeit. Soweit aber bei Eintritt der Volljährigkeit das an diesem Tag bestehende pfändbare Vermögen hinter den (unter § 1629 a BGB fallenden) Verbindlichkeiten zurückbleibt, kommt die Haftungsbeschränkung zum Zuge. In diesem Fall besteht gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB X ein Anspruch auf Aufhebung des Erstattungsbescheides (BSG a.a.O. m.w.N.).
* Tritt die Volljährigkeit nach Erlass des ursprünglichen Erstattungsbescheides, aber noch vor Abschluss des Widerspruchsverfahrens ein, ist zu beachten, dass bei (reinen) Anfechtungsklagen der maßgebende Zeitpunkt in der Regel die Sach- und Rechtslage bei Erlass der letzten behördlichen Entscheidung ist (vgl. nur Keller in Meyer-Ladewig, SGG, 9. Aufl. 2008, § 54 RdNr. 33 m.w.N.). Sind zu diesem Zeitpunkt die Voraussetzungen des § 1629 a BGB gegeben, wäre der Erstattungsbescheid von Anfang an rechtswidrig (BSG a.a.O.).
* Tritt die Volljährigkeit nach Abschluss des Widerspruchsverfahrens ein, war der Erstattungsbescheid auch bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 1629 a BGB rechtmäßig. In diesem Fall kann sich der volljährige Schuldner ab dem Zeitpunkt seiner Volljährigkeit im Rahmen der Verwaltungsvollstreckung gegen die Durchsetzung der (Rest-)Forderung wehren oder einen Antrag nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB X auf Aufhebung des Erstattungsbescheides ab dem Zeitpunkt seiner Volljährigkeit stellen.
Dies bedeutet jedoch auch, dass das Jobcenter einen Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X in Fallkonstellationen bei denen die Volljährigkeit nach der letzten Behördenentscheidung eintritt, als Aufhebungsantrag nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB X auszulegen hat. Es wäre vorliegend willkürlich die Klägerin zu 2) auf das Vollstreckungsverfahren zu verweisen.
Bürgerlich-rechtlich haftet der vormalige Minderjährige demnach mit seinem pfändbaren Vermögen voll. Insoweit gibt es keine Freibeträge. Aus den dem Gericht vorgelegten Kontoauszügen verfügte die Klägerin zu 2) zum Stichtag 01.11.2011 unter Berücksichtigung einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise über kein pfändbares Vermögen (Das Girokonto war mit 52,67 EUR überzogen; Sparguthaben waren 1.02 EUR bzw. 32,29 EUR vorhanden). Die Kammer ist auch davon überzeugt, dass die Klägerin zu 2) bei Eintritt der Volljährigkeit nicht über weiteres Vermögen verfügt hat.
Aus oben genannten Gründen ist der Klage daher im tenoriertem Umfang stattzugeben.
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Rechtsmittelbelehrung
Dieses Urteil kann mit der Berufung angefochten werden.
Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils beim Bayer. Landessozialgericht, Ludwigstraße 15, 80539 München, oder bei der Zweigstelle des Bayer. Landessozialgerichts, Rusterberg 2, 97421 Schweinfurt, schriftlich oder mündlich zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.
Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist beim Sozialgericht Landshut, Seligenthaler Straße 10, 84034 Landshut, schriftlich oder mündlich zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird.
Die Berufungsschrift soll das angefochtene Urteil bezeichnen, einen bestimmten Antrag enthalten und die zur Begründung der Berufung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben.
Der Berufungsschrift und allen folgenden Schriftsätzen sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden.
Rechtskraft
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